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Biodynamische Landwirtschaft I Ausgewählte Vorträge aus Bildung und Weiterbildung 2008

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Biodynamische Landwirtschaft I

Ausgewählte Vorträge aus Bildung und Weiterbildung 2008

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Biodynamischer Landbau

Biodynamische Landwirtschaft I

Eine Auswahl von Vorträgenaus Bildung und Weiterbildung 2008

Herausgeber:Lehr- und Forschungsgemeinschaft

für biodynamische Lebensfelder

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Danksagung, Impressum

Danksagung

Die Lehr- und Forschungsgemeinschaft für biodynamische Lebensfelder bedankt sich bei

den Referentinnen und Referenten für die Beiträge.

Dank für die finanzielle Unterstützung zur Herausgabe dieses Sammelbandes:

Impressum:Herausgeber:

Lehr- und Forschungsgemeinschaft für biodynamische Lebensfelder

In der Auen 5438583 EdelschrottTel: 03144 35 45

Für den Inhalt verantwortlich: Die Autorinnen und Autoren.

Die Vorträge wurden von Hörerinnen und Hörern bearbeitet

und nach Rücksprache mit den Referentinnen und Referenten

von diesen zur Veröffentlichung freigegeben.

Redaktion: Waltraud Neuper mit technischer Unterstützung von

Helga PietschLayout, Satz, Bildbearbeitung: Siegfried ReiterGesamtherstellung: Druckerei IRIS, Judenburg

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Vorwort

Die biologisch-dynamische Landwirtschaft fußt auf

den geisteswissenschaftlichen Forschungen von Rudolf

Steiner. Damit setzt sie sich von anderen Strömungen

innerhalb der Ökologischen Landwirtschaft ab. Ihr

Blickwinkel ist nicht nur naturwissenschaftlich begrün-

det, sondern auch geisteswissenschaftlich verortet

und reflektiert. In Interpretationen aber auch Erkennt-

nisweisen oder Modellen liefert sie einen erweiterten,

man könnte auch sagen grundlegend anderen Zugang

zu den Naturwissenschaften, ohne dass deren her-

kömmliche Wissensbestände in Frage gestellt werden.

Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften ste-

hen in einem wechselseitigen Verhältnis. Dieser eigene

Zugang wird auch in der Sprache erfahrbar. Begriffe wie

„Gestaltbildung, Erdorganismus,

Pflanzenseele oder Kräftebewegung“ oder Formulie-

rungen wie „die Geste des Wachstums“ erschließen

neue Erkenntnisfelder für den Umgang mit der Natur.

Die rege Teilnahme der Studierenden an diesem Frei-

fach unterstreicht, dass diese an unterschiedlichsten

Zugängen zur Landwirtschaft interessiert sind. Dieser

Reader umfasst von den Studierenden erstellte Texte,

basierend auf den Vorträgen der Fach-ReferentInnen.

Die Texte stellen einen Versuch dar, ein Abtasten im

Umgang mit der durchaus anspruchsvollen biolo-

gisch-dynamischen Landwirtschaft und deren Grundle-

gungen. Sie dienen einem internen LeserInnenkreis zur

Orientierung. Sie bedürfen noch einer weiteren Diskus-

sion und der Vertiefung.

Univ.Prof. Dr. argr. biol. Bernhard Freyer

Vorwort

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Inhaltsverzeichnis

Einführung in die goetheanistische Erkenntnisweise anhand der Metamorphose der Pflanze Reinhild Frech-Emmelmann 59

Annäherung an den ErdapfelOskar Grollegger 67

Zum Tier in der biodynamischen Landwirtschaft:

Zum Wesen des HaustieresElisabeth Stöger 74

Biodynamische Betrachtungen über das Tier(ische) in der Landwirtschaft und in uns -Überlegungen zur Haustierhaltung hinsichtlich der Auswirkung auf den landwirtschaftlichen OrganismusWilhelm Erian 80

Praktische Maßnahmen zur Parasitenregulierung bei Schaf und ZiegeHannes Neuper 93

Tierzucht im geschlossenen Organismus einer LandwirtschaftLeopold Selinger 96

Neue Kooperationsformen in der LandwirtschaftDie Regionalwert-AG: eine BürgeraktiengesellschaftChristian Hiß 104

Kulturphilosophische Betrachtung:

Biodynamischer Landbau als Antwort auf die Kultur- und Ökologiekrise in der LandwirtschaftWaltraud Neuper 108

Autorenliste 118

Danksagungen, Impressum 3

Vorwort Bernd Freyer 4

Einleitung Waltraud Neuper 6

Biodynamik als ganzheitlicher Ansatz:

Etwas zum Verständnis des anthroposophischen WeltbildesJohannes Zwiauer 9

Geistige Grundlagen der biodynamischen LandwirtschaftJohannes Toegel 12

Zur Bildekräfteforschung:

Was ist die besondere Qualität von Produkten aus biodynamischem Anbau?Markus Buchmann 23

Etwas über den OrganismusUrsula Kothny 29

Der landwirtschaftliche OrganismusRudolf Keiblinger-Bartsch 34

Über den Prozess des PotenzierensJohannes Zwiauer 38

Zwei Vorträge zum Themenkreis Boden:

Der Boden als lebendiger OrganismusWalter Sorms 39

Grundelemente der Umwandlungs-prozesse während der KompostierungFlorian Amlinger 44

Zum Wesen der Pflanze:

Einführung in das Wesen der PflanzeBertold Heyden 52

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Einleitung

Einleitung:

Biodynamischer Landbau wurde seiner Idee nach im Rahmen einer „Bildungsveranstaltung“ - dem Kober-witzer Kurs - grundgelegt. Bauern luden Rudolf Steiner ein, etwas zur Landwirtschaft zu sagen. Diese Bauern verspürten den Antrieb, sich in Fragen ihrer landwirt-schaftlichen Arbeit Rat und Anregungen zu holen. Zwei Aspekte sind dabei bemerkenswert: Zum einen luden sie mit dem Anthroposophen Rudolf Steiner einen mit Landwirtschaft in keiner Weise befassten Referenten ein. Zum anderen trat das Phänomen auf, dass diese Bauern sich selbst weiterbilden wollten, um den zunehmenden Problemen in der Landwirtschaft begegnen zu können.

Diese Tatsache kann gar nicht hoch genug bewertet werden: Ihre Initiative drückt das Bedürfnis und die Ab-sicht aus, dass sie sich ein Bild machen wollten von den Zusammenhängen und Prozessen in einer durch neue Methoden sich verändernden Landwirtschaft. Hier ha-ben sich Initiative und Impuls verbunden. Auf diesen beiden Eckpfeilern – Initiative und Impuls – entwickelte sich die biodynamische Landwirtschaft.

Die gegenwärtig sich beschleunigenden Verände-rungen in allen Bereichen der Landwirtschaft, die zuneh-mende Orientierung an technischer Machbarkeit bestim-men die neuen Wertegrundlagen und Zielvorgaben.

Daran kann auch die biodynamische Landwirtschaft nicht vorbeischauen. Sie muss den Diskurs darüber füh-ren, welche Bedeutung sie innerhalb dieses Geschehens erlangen will. Da treten naturgemäß zuallererst Fragen auf; solche nach der Anpassung in der technischen

Aufrüstung, oder der Lockerung der strengen Richtli-nienvorgaben, z.B. bezüglich der Tierhaltung. Solche Überlegungen rütteln am konzeptionellen Gefüge und somit am grundlegenden Selbstverständnis der biodyna-mischen Landwirtschaft.

Daraus formuliert sich gewissermaßen eine existen-zielle Entscheidungsfrage: Leiten allein die Richtlinien die biodynamische Arbeit oder intendiert die bewusst-seinsmäßige Durchdringung der geistigen Grundlagen das Tun?

Diese reflexive Fragestellung führte zur Erkenntnis, dass ein Raum für Bildung geschaffen werden muss. Es geht darum, uns ein Bewusstsein von den geistigen Grundlagen der biodynamischen Landwirtschaft zu er-arbeiten. Das ist von jedem Einzelnen und gleichzeitig von der Gemeinschaft zu leisten. Im Herbst 2008 wurde dieser „Bildungs-Raum“ mit dem Beginn der Weiterbil-dung für praktizierende Biodynamiker eröffnet. Zu den Grundthemen Boden, Pflanze, Tier und Organismus wurde jeweils ein Vortrag gehalten. Es ging vorerst ein-mal darum, sich ein Bild vom Naturverständnis in der biodynamischen Landwirtschaft zu erarbeiten. Das be-deutet,

•die Viergliederung beziehungsweise die Dreiglie-derung kennen zu lernen,•das Wesen der Pflanze in Verbindung mit der Me-tamorphose und der Urpflanze zu erfassen,•das Tier in seiner Beziehung zum Menschen und in seiner Bedeutung für die biodynamische Land-wirtschaft zu begreifen und•den Organismus als Ganzes zu verstehen, ohne seine Teile aus den Augen zu verlieren.

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Einleitung

In diesem Sinne soll dieser Sammelband verstanden werden als ein Zusammentragen jener Bilder, welche in dieser Weiterbildungsreihe entstanden sind.

Darüber hinaus sind einige Vorträge, welche im Rah-men der Ringvorlesung „Biologisch-dynamischer Land-bau“ gehalten wurden, von Studierenden für diese Samm-lung bearbeitet in Schriftform übertragen worden.

Weiters finden sich in diesem Sammelband Beiträge aus den Bauern-Arbeitsgruppen.

Die Auswahl soll drei Aspekte dokumentieren: die Ebenen der geistigen Auseinandersetzung mit der Biody-namik sollen sichtbar, die Themenvielfalt dokumentiert werden und der Hinweis darauf, dass wir mit dieser Ar-beit am Anfang stehen, soll nicht fehlen.

Die Anordnung der Themen orientiert sich an den na-türlichen Gegebenheiten in der Landwirtschaft: Boden, Pflanze, Tier, Mensch und Organismus.

Der Vortrag von Walter Sorms nähert sich von seinen praktischen Erfahrungen ausgehend an den Boden an. Es gelingt ihm, den oft und durchaus auch missverständ-lich gebrauchten Begriff des Bodenlebens differenziert in einen, mit der Praxis sich verbindenden Zusammenhang zu bringen. Indem Walter Sorms immer wieder Bezug nimmt auf seine tägliche Arbeit, gewinnt der Vortrag eine plastische Dimension.

Florian Amlinger bietet mit seiner Darstellung einen völlig anderen Zugang zum Thema Boden. Er versucht anhand vieler Diagramme, Bilder und Skizzen darzule-gen, wie abgestorbene organische Substanzen durch die

Kompostierungsprozesse in neues Lebendiges über ge-führt werden können. Er dokumentiert dabei die hervor-ragende Bedeutung des Stallmistes für den Humusauf-bau des Bodens. Ein geistig und sinnlich eindrucksvolles Erlebnis ist die Einführung in das Wesen der Pflanze durch Bertold Heyden. Mit feinfühligem Spürsinn führt er die Bauern und Bäuerinnen hin zur Metamorphose der Pflanze im Stile der goetheanistischen Naturbetrach-tung. Seine derzeitige Züchtungsarbeit an Wildgräsern bildet den zweiten Schwerpunkt. Dasselbe Thema hat Reinhild Frech-Emmelmann für die Studierenden der Ringvorlesung „Biologisch-dynamischer Landbau“ ent-wickelt. Auch hier ruft diese Betrachtungsweise Stau-nen hervor. Beide Vorträge machen darauf aufmerksam, dass im Umgang mit der Pflanze übende Betrachtung von großer Bedeutung ist. Zum Themenkreis Pflanze ist in diesen Sammelband auch ein Beitrag aus der Arbeit der regionalen Bauern-Arbeitsgruppen aufgenommen worden. „Die Annäherung an den Erdapfel“ von Oskar Grollegger enthält einige Hinweise, wie die Saatgutquali-tät von Erdäpfeln verbessert werden kann.

Damit verlassen wir das Naturreich der Pflanze und der Vortrag von Willi Erian führt uns in erzählend anschau-licher Form an das Tier(ische) in der Landwirtschaft und in uns heran. Elisabeth Stögers Ausführungen zum We-sen des Haustieres erweitern das Bild in Richtung Dome-stikation und eine Praxisanleitung von Hannes Neuper zur Parasitenregulierung bei Schafen und Ziegen zeigen einen relevanten Zusammenhang von Haltung, Fütte-rung und Krankheit auf.

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Einleitung

Die Beiträge, die im vierten Teil zusammengefasst sind, können als jene gesehen werden, welche die drei Grundthemen Boden - Pflanze - Tier zum Teil verbinden oder in der einen oder anderen Weise grundlegen. So werfen die beiden Kurzvorträge von Johannes Zwiauer über die Viergliederung der Natur und die Dreigliederung jedes Organismus ein Licht auf das anthroposophische Welt- und Naturverständnis. Ursula Kothny weist mit ih-ren Gedanken über den Organismus darauf hin, dass je-des Lebendige immer ein Ganzes ist – auch der Hoforga-nismus – und Johannes Toegel spricht über die geistigen Grundlagen der biodynamischen Landwirtschaft.

Markus Buchmann berichtet über die Bildekräftefor-schung und macht damit auf die unterschiedlichen Arten von Wahrnehmung aufmerksam.

Christian Hiß spricht über die Suche nach neuen Ko-operationsformen in der Landwirtschaft und stellt in diesem Zusammenhang die „Regionalwert-AG – Bür-geraktiengesellschaft“ als einen solchen Kooperations-versuch vor. Im Beitrag der Herausgeberin werden die Themenbereiche auf die Frage hin orientiert, ob und wie die biodynamische Landwirtschaft eine Antwort auf die ökologische und kulturelle Krise in der Landwirtschaft sein könnte.

Dieser Sammelband ist kein Lehrbuch. Er stellt viel-mehr das Wagnis dar, die Vorträge von ausgewiesenen Fachleuten nicht in Manuskript-Form zu übernehmen, sondern durch interessierte Hörer und Hörerinnen be-arbeiten zu lassen. Diese Bearbeitungen erfolgten in Ab-sprache mit den Referenten und Referentinnen.

Ein Teil der Vorträge wurde im Rahmen der Weiterbil-dung für praktizierende Biodynamiker gehalten. Diese Weiterbildung wurde im Herbst 2008 begonnen. Die Besonderheit dieser Weiterbildungsreihe liegt in dem Umstand, dass ein und derselbe Vortrag des jeweiligen Referenten oder der jeweiligen Referentin an drei auf ei-nander folgenden Tagen in Niederösterreich, in Kärnten und in Slowenien gehalten wurde. Das trug dazu bei, dass viele Bauern und Bäuerinnen an der Veranstaltung teilnehmen konnten.

Im Herbst startete auch die Ringvorlesung „Biolo-gisch-dynamischer Landbau“ am Ökologischen Insti-tut der Universität für Bodenkultur in Wien. Aus dieser Reihe wurden sechs Vorträge für diese Sammlung aus-gewählt. An dieser Stelle sei die großzügige Unterstüt-zung durch Sponsoren dankbar erwähnt. Die Vorlesung konnte durchgeführt werden, weil die Firmen Weleda, Lackner&Lackner Wüstensalz, der Wurzerhof in St. Veit, Frau Doris Edler und Herr Willi Rosen den notwendigen Geldbetrag zur Verfügung gestellt haben.

In Anbetracht der subjektiven Zugänge zu den The-men ist es erstaunlich, dass letztendlich das Biodyna-mische eine Klammer schaffen konnte, innerhalb wel-cher die unterschiedlichen Ansätze ohne Widersprüche in Erscheinung treten konnten. Und es ist ausschließlich die Sicht der biodynamischen Landwirtschaft, welche in den Beiträgen zum Ausdruck kommt.

Mauterndorf, 30.März 2009 Waltraud Neuper

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Anthroposophisches Weltbild

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Etwas zum Verständnis des anthroposophischen WeltbildesJohannes Zwiauer

Die Viergliederung der NaturIm anthroposophischen Weltbild basiert die Glie-

derung der Natur auf vier Daseinsweisen. Sie werden elementar unterschieden nach der Ebene des Minera-lischen, des Pflanzlichen und des Tierischen.

Der Mensch lebt im Zusammenhang mit der Natur und hat eine unauflösbare Beziehung zu den Naturreichen. Durch sein Ich-Bewusstsein, durch seine Fähigkeit zu geistigen Aktivitäten konstituiert er eine vierte Ebene.

Er hat Anteil • am Mineralischen durch das Stoffliche in seinem Körper, • am Pflanzlichen durch die Lebensprozesse und • am Tierischen durch die Empfindung.

Im Mineralreich finden wir jene Substanzen, welche aus dem Lebensprozess ausgeschieden wurden und da-mit als tot bezeichnet werden. Auch im menschlichen Organismus werden ständig Substanzen aus dem Le-bensprozess ausgeschieden. Als Bild diene uns hier die Verhornung oder Verknöcherung solcher Substanzen in den Nägeln oder den Knochen.

Im Pflanzenreich haben wir es mit den Lebensprozes-sen zu tun. Diese zeigen sich hier besonders stark; man denke daran, dass wir der Pflanze etwas wegschneiden können und sie treibt wieder aus. Diese Eigenschaft fin-den wir in diesem Ausmaß nur bei der Pflanze.

Mit dem Tier verbindet den Menschen die Fähigkeit zur Empfindung. Das Tier ist geleitet durch Empfin-dungen, Instinkte, Triebe und Begierden. Diese bilden sein Seelenleben. Trägerin der Empfindung ist die Seele.

Das Tier ist ein fühlendes Wesen. Ausdruck des Fühlens ist die Bewegung. Das Tier wird durch seine Triebe, seine Begierden und Instinkte bewegt.

Die Pflanze wird bewegt durch das Wachstum. Man denke an eine keimende Kartoffel. Der Keim sucht sich seinen Weg zur Lichtquelle. Er wächst der Lichtquelle entgegen. Die Pflanze selbst kann sich nicht bewegen.

Mit dem Naturreich des Tieres verbindet den Men-schen das Triebleben, welches er angehalten ist durch sein Selbstbewusstsein zu reflektieren und zu durch-schauen. Dieser Zusammenhang beschäftigt die Philoso-phie schon seit sehr langer Zeit. Im letzten Jahrhundert wurden die damit zusammenhängenden Fragen Stoff der psychologischen Fragestellungen und Untersuchungen.

Das Tier lebt ganz verbunden mit seiner Umwelt, ist ganz ausgeliefert an die Umwelt, ist ganz von ihr be-stimmt. Der Mensch stellt sich der Welt gegenüber, ob-jektiviert sie. Der Mensch trennt zwischen sich und der Umwelt, indem er Ich sagt. Hier bin ich und dort ist die Welt. Dadurch konnte er ein Selbstbewusstsein ausbil-den.

Wir sind geneigt anzunehmen, dass der Mensch fä-hig geworden ist, die Naturreiche des Mineralischen, Pflanzlichen und Tierischen in ihren Zusammenhängen zu erkennen und durch sein Bewusstsein eine geistige Dimension als vierte Ebene sichtbar zu machen. Zusam-menfassend können wir sagen, dass der Mensch so in den Naturreichen darinnen steht:

• durch das Sein ist er mit dem Mineralreich verbunden,• durch das Leben ist er mit der Pflanze verbunden,• durch die Empfindung ist er mit dem Tier verbunden,• durch den Geist transzendiert er die drei Naturreiche.

Diese hinzukommende geistige Qualität durchzieht den ganzen Menschen, bildet seine Individualität bis hi-

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Anthroposophisches Weltbild

Dazwischen vermittelt das Rhythmische System.

So stellt die Dreigliederung die Prozesse im physischen Leib dar.

Es fällt auf, dass jedes der drei Wesensglieder eine ei-gene, spezifische Verbindung mit der Außenwelt unter-hält:

Das Nerven-Sinnessystem nimmt über die Sinnesor-gane Eindrücke von außen auf und leitet sie durch das Nervensystem weiter in den Körper hinein.

Das Rhythmische System ist durch die Atmung mit der Außenwelt in Kontakt.

Das Stoffwechselsystem ist über den Nahrungsstrom mit der Außenwelt verbunden.

Die Dreigliederung hat eine ungeheure Bedeutung in Bezug auf Gesundheit und Krankheit.

nein in den Fingerabdruck, in seine Gestik und in seine Gebärden. Alles an einem Menschen ist einzigartig, in-dividuell, einmalig. Das unterscheidet ihn vom Tier. Das Tier lebt mehr im Gruppenhaften, im Instinktiven.

Diese Viergliederung der Natur wird mit Blick auf den Menschen gerne begrifflich unterschieden nach dem physischen Leib (dichter-stofflicher Leib), Ätherleib (fein-stofflicher Leib), Astralleib (Seelenleib) und Ich-Leib.

Die Dreigliederung des physischen Leibes

Auf der Ebene des phy-sischen Körpers können wir eine Dreigliederung erkennen:

(1) Nerven-Sinnessystem

(2) Rhythmisches System

(3) Stoffwechsel-Gliedma-ßensystem

Das Nerven-Sinnessystem und das Stoffwechsel-Glied-maßensystem stehen sich polar gegenüber:

Nerven-Sinnessystem Wachheit im Bewusstsein Denken Aufnahme von Sinneseindrücken

Stoffwechsel-Gliedmaßensystem

völliges UnbewusstseinWollen

Aufnahme vonStofflichem

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Anthroposophisches Weltbild

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Zusammenfassend können wir feststellen: Der Mensch ist mit den Naturreichen des Mineralischen, des Pflanzlichen und des Tierischen über den Stoff, die Lebensprozesse und die Empfindungsfähigkeit verbunden und fasst diese drei Reiche durch sein Selbstbewusstsein zur Einheit. Wir sprechen von Viergliederung.Auf der Ebene des Physischen gliedert sich die menschliche Organisation in drei Systeme: Das Nerven-Sinnessystem, das Rhythmische System und das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem. Wir sprechen von Dreigliederung.

Dr. Zwiauer hat diesen Vortrag am 23.Jänner 2009 im Rahmen der Ringvorlesung gehalten.

STOFFWECHSEL-GLIEDMASSENSYSTEMHier finden alle physiologischen Abbau- und

Aufbauprozesse statt. Davon haben wir kein Be-wusstsein, außer über den Schmerz.

Das Nervensystem reagiert in diesem Bereich reflexiv. Es gibt keine Bewegung ohne Stoffwechsel

und keinen Stoffwechsel ohne Bewegung.Schlafbewusstsein

im Wollen

RHYTHMISCHES SYSTEMDas Herz und die Lunge sind die Träger

der rhythmischen Organisation.Der Rhythmus entsteht durch die Atembewegung:

ein und aus und ein;und durch den Blutstrom vom Herzenin die Peripherie und wieder zurück.

Traum- oder Halbbewusstseinim Fühlen

NERVEN-SINNESSYSTEMDas Zentralnervensystem ist

Träger unseres Selbstbewusstseins.In der Vorstellung, im Denken

sind wir Nervensinnesmenschen.Wachbewusstsein

im Denken

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Geistige Grundlagen

Geistige Grundlagen der biodynamischen LandwirtschaftJohannes Toegel

Welche Art der Wahrnehmung ermöglichte es Rudolf Steiner einen Vortrag über die Land wirtschaft zu halten, der bis heute von hoher Bedeutung für den biologischen Landbau ist, wo er selbst kein Bauer, Landwirt, oder Agrarwissen schafter war?

Worauf beruhen die so genannten „geisteswissen-schaftlichen Grundlagen zum Gedeihen der Landwirt-schaft“?

Gibt es eine Brücke zwischen der modernen Natur-wissenschaft, auf deren Erkenntnissen das aktuelle Ver-ständnis der Wirklichkeit aufbaut und der so genannten geistigen Wahrnehmung der Welt, welche die Grundlage für die biodynamische Landwirtschaft darstellt?

Johannes Toegel erklärt diese Begriffe und Zusammen-hänge anhand anschaulicher Beispiele und herausfor-dernder Übungen, die dazu auffordern, aus herkömm-lichen Denk- und Handlungsmustern auszubrechen und die Dinge und Zusammenhänge aus einem anderen Blickwinkel heraus zu betrachten.

Lebenszugang und geistige Wahrnehmung

„Mein Lebenszugang zum Geistigen ist der Folgende: Ich hab’ mich vor längerer Zeit für drei Jahre in eine Ein-siedelei im Himalaya zurück gezogen und bei der Gele-genheit wirklich gelernt, was geistig sein heißt, oder was Geist bedeutet. Und diesen Geist hab’ ich dann bei Ru-dolf Steiner wieder gefunden und deshalb steh‘ ich jetzt-

hier und sprech’ zu ihnen.“1

Was unter dem Begriff Geist im Zusammenhang mit der biodynamischen Landwirtschaft zu verstehen ist, kann vielleicht eine Geschichte aus dem Leben des Vor-tragenden deutlich machen. Sie handelt von sehr prak-tischen Dingen, wie Feuer machen und Tee kochen, und spielt in einer einsamen Klause im Hochland des Hima-laya:

„Heißer Dampf steigt über den Tassen auf. Wir trinken Buttertee. Direkt über die Schalen mit Tsampa gegossen – die Grundnahrungsmittel der tibetischen Einsiedler. Ich bin zu Gast bei meinem Lehrer, um mit ihm ein paar schwierige meta physische Fragen zu klären, aber er lässt mich nicht zu Wort kommen.

‚Wie geht es dir mit dem Feuer in der Höhle?‘

‚Mit dem Feuer? Nicht besonders. Man braucht tro-ckenes Holz um ein gutes Feuer zu brennen und ich habe kein trockenes Holz.‘

Mein Lehrer lächelt und wir schlürfen unseren Tee. Wie ich wieder zu meinen Fragen ansetzen will, kommt er mir zuvor.

‚Wie geht es mit dem Tee?‘

‚Auch nicht besonders. Was wir hier trinken ist aus-gezeichnet, aber daheim hab’ ich keine frische Milch und man braucht frische Milch um Butter tee zu machen.‘

Mein Lehrer lächelt wieder und ich gebe meine kompli-zierten Fragen auf. Dafür fange ich an mein Leben zu ändern. Ich lerne Holz sammeln und trocknen.

1 Toegel

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Geistige Grundlagen

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Ich freunde mich mit den Hirten am Berg an, um frische Milch zu bekommen. So lerne ich den Berg ken-nen, die Orte wo das Holz wächst und das Gras für die Schafe. Wo das Dorf steht und was in den Herzen der Menschen vor sich geht.

Nach einer Weile sammle ich das Holz nicht mehr um Feuer zu machen, sondern um mit dem Berg in Berüh-rung zu bleiben. Ich besuche die Menschen nicht mehr allein um Milch und Butter zu bekommen, sondern vor allem um mit ihnen in Beziehung zu kommen.

An diesem Punkt beginnt der Berg sich mir zu öffnen und mit mir zu reden. Erst jetzt beginnt die Botschaft meines Lehrers ganz in mich ein zudringen und Früchte zu tragen. Meditation und Geist bedeuten mit der Erde und dem Leben in Berührung zu sein und von dort her eine neue Dimension zu erschließen.“

Die geistige Ebene der Wirklichkeit

Unter Geist versteht man demnach weder die uns in-newohnende Vernunft, noch ein Gespenst, oder das, was an einer geisteswissenschaftlichen Fakultät gelehrt wird.

In der Anthroposophie gibt es den Ansatz einer Drei-gliederung der Wirklichkeit in Materie, Leben und Geist. Im Rahmen dieser Dreigliederung, ist der Geist die um-fassendste, die komplexeste der drei Ebenen der Wirk-lichkeit.

Dieser Geist ist etwas, das auch außerhalb unseres Kopfes, außerhalb unserer Vorstellung passiert. Geistige Wahrnehmung ist eine Art Annäherung an die Wirklich-keit, aus der heraus ein Blick entsteht, mit dem man Din-ge sieht, die man vorher nicht gesehen hat.

Man sieht Zusammenhänge. Man schaut etwas lie-bevoller auf die Wirklichkeit und sieht immer deutlicher worum es geht. Und das ist der Hintergrund der biolo-gischen und der biodynamischen Landwirtschaft.

Man schaut genau hin, wie die Natur sich entwickelt und handelt der Natur entsprechend. Man schaut genau hin, wie der Mensch sich entwickelt und schafft Nahrung - dem Menschen entsprechend.

Um sich nun dieser Art von Wahrnehmung anzunäh-ern, hilft ein weiteres Beispiel.

„Also wenn man auf unsere Erde von oben schaut, dann sieht man erst einmal hauptsächlich Materie und die Gestaltungen der Materie. Und wenn man weiter-schaut, sieht man, es gibt Wasser, es gibt Flüsse. Und an den Flüssen und dort wo genug Wasser ist, entwi-ckelt sich so etwas wie sichtbares Leben: Wälder, Felder, Äcker, und so weiter. Und wenn man weiter schaut, sieht man, dass sich über diesem Leben eine weitere Schicht aufbaut. Und das ist das, was wir die Schicht des Geistes nennen könnten.“2

Materie – Leben – Geist

Das genannte Beispiel verdeutlicht unterschiedliche Komplexitätsebenen. Um eine Wahrnehmung dafür zu entwickeln kann man sich beispielsweise durch die fol-genden Übungen annähern.

Man versucht verschiedene Objekte in ihrer Ganzheit wahrzunehmen, indem man die Objekte einfach nur be-trachtet, ohne sich irgendwelche Gedanken über diese zu machen bzw. ohne irgendetwas in sie hinein zu inter-

2 Toegel

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Seite 14

Geistige Grundlagen

pretieren. Im Rahmen des Vortrags wurde mit einem Kristall, einer Pflanze, einem Tier und dem Menschen gearbeitet.

Der Kristall steht in diesem Zusammenhang für die Materie, die Pflanze und das Tier für die Verbindung von Materie und Lebensebene und der Mensch steht für die Verbindung von materieller, lebendiger und geistiger Ebene.

Jedem dieser Objekte wohnt eine gewisse Gefühlsqua-lität inne, die sich durch die Beobachtung gewissermaßen in einem selbst abbildet. Durch diese Betrachtungsweise kann das eigene Bewusstsein ein Stück weit die Gestalt des betrachteten Objekts nachbilden. Man nimmt die Komplexität und die Gesetze des Entstehungsprozesses der Objekte wahr und bildet diese sozusagen gefühlsmä-ßig nach.

Es ist auch möglich - vielleicht nur diffus, aber doch spürbar - Unterschiede zwischen den verschiedenen Komplexitätsebenen wahrzunehmen. Der Mensch bei-spielsweise vereint mehrere Qualitäten des Lebendigen (des pflanzlichen und des tierischen Lebens) in sich. Er hat es aber sozusagen auf einer höheren Ebene gesam-melt. Ein Raum voller Tiere, wäre im Vergleich zu einem Raum voller Menschen, ein ziemliches Durcheinander. Beim Menschen ist diese Art der Unruhe beruhigt.

Durch diese Darstellung der Wirklichkeit wird erkenn-bar, dass sich das hier beschriebene Weltbild von dem uns bekannten naturwissenschaftlich geprägten Weltbild grundlegend unterscheidet.

Diese Tatsache führt uns zu der eingangs gestellten Frage, ob es eine Brücke zwischen der modernen Natur-wissenschaft und der geistigen Wahrnehmung der Welt gibt.

Die nun folgende Darstellung soll einen Überblick über die Gemeinsamkeiten der beiden Interpretationen der Wirklichkeit geben und eine Möglichkeit zeigen, wie die vorhandenen Unterschiede überbrückt werden können.

Zwei verschiedene Denksysteme

Abbildung 1 Modifizierte Tafelzeichnung

Sowohl im naturwissenschaftlichen als auch im gei-steswissenschaftlichen Denksystem kann zwischen den drei Ebenen Materie, Leben und Geist unterschieden werden. Der menschliche Organismus bewegt sich auf allen drei Ebenen.

Für die moderne Naturwissenschaft besteht der Un-terschied zwischen den Ebenen vor allem im Grad der Komplexität der einzelnen Erscheinungen. In der moder-nen Systemtheorie versucht man, auf dieser Grundlage zu einem Gesamtbild der Wirklichkeit zu gelangen.

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Geistige Grundlagen

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Zur Erkenntnistheorie

Grundsätzlich kann nur die höhere, komplexere Ebene die niedrigere, einfacher gestaltete Ebene erfassen.

Das menschliche Ich stellt eine Unterstruktur des Or-ganismus Mensch dar. Es kann sich die Ebenen der Mate-rie und des Lebendigen durch Wahrnehmung begreifbar machen. Ebenso kann sich der Mensch durch (Selbst-)Reflexion, oder Spiegelung durch die Umgebung, bis zu einem gewissen Grade seines Ichs bewusst werden.Durch eine philosophische Dialektik3 – der Methode von „ These, Antithese und Synthese“ – kann dieser Bereich etwas ausgeweitet werden.

Der dialektische Erkenntnisweg bleibt aber auf die Ebe-ne der Vernunft und des menschlichen „Ich“ beschränkt und blendet daher die höheren Ebenen des Geistes ( beispielsweise das „Höhere Ich“, wie Steiner es nennt, oder das „Selbst“ wie C.G. Jung es bezeichnet) aus. Der Versuch Erkenntnis über diesen Bereich des Geistigen zu erlangen ist nur über eine Öffnung des Ich möglich.

Rudolf Steiner hat sich Zeit seines Lebens mit der Öffnung des Ich und der Erkenntnis vom Höheren Ich beschäftigt. Wahrnehmungsübungen, wie sie im Vortrag ansatzweise probiert wurden, waren integraler Bestand-teil seiner Arbeit: der Anthroposphie.

Um zu verstehen was geistige Wahrnehmung ist, muss man sich über das Feld des Intellekts hinausbewegen, die zuerst zwischen den verschiedenen Seinsebenen ge-zogenen Grenzen wieder auflösen und die Wirklichkeit als ein rhythmisches Ganzes betrachten.

Die Wahrnehmung der höheren Ebenen des Geistes

3 Vom Philosophen Hegel begründete Lehre von der Erkenntnisge-winnung durch Gegenüberstellung von These und Antithese – eine Lösung zeichnet sich in der Synthese ab (vgl. Popper 1940).

ist aber nicht zu verwechseln mit einer intuitiven, mythi-schen oder vor-rationalen Weltsicht!

Durch Wahrnehmung zur Wirklichkeit

„Wenn ein Musiker aus dem Takt kommt, ist es das Beste, wenn er sein Instrument kurz absetzt und einfach nur zuhört. Vorher hat ihn seine eigene Stimme taub ge-macht. Jetzt kann er die Musik wieder aufnehmen. Sie ergreift sein Wesen, sein Herz und seinen Atem. Und dann, ganz natürlich, kommt sein Einsatz.“4

So wie ein Musiker sich der Musik zuwendet, so kann sich jeder Mensch dem eigenen Leben zuwenden, die Le-bensprozesse still wahrnehmen – ganz ohne Verstand. Da können wir den Rhyth mus des Atems wahrnehmen, den Herzschlag und viele weitere Rhythmen, bis wir uns ganz spüren, an dem Ort, an dem wir sind, wie wir sind.

Wir leben aber auch in komplexeren Zyklen und Rhyth-men, wie Wachen und Schlafen, Jahres phasen und im Lebenszyklus überhaupt bis hin zum Entstehen und Ver-gehen von Kulturen. Diese Rhythmen werden aus dem Geistigen getragen.

Indem wir uns also unseren Rhythmen nach unten öff-nen, werden wir sensibler für all die Rhythmen, die in uns sind und damit nähern wir uns den Wirklichkeiten von einer geistigen Wahr nehmung aus.

Und aus dieser Wahrnehmung heraus hat nun Rudolf Steiner auf die Landwirtschaft geschaut.

4 Toegel

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Geistige Grundlagen

Abbildung 2 -Modifizierte Tafelzeichnung

Wo steht der Mensch?

Der Mensch stellt nun in diesem Zusammenhang die Verbindung dieses ganzen Organismus in Harmonie mit der Erde auf der einen Seite und darüber hinaus zum Kosmos her.

Er hat die Bedeutung der Beachtung dieser Rhythmen für:

- die Wachstumsprozesse (Tag- Nachtrhythmus)- die Reproduktionsprozesse (Jahres-Mondrythmen)- die richtigen Saat-, Setz- und Erntezeitpunkte (planetarische Rhythmen) und- die Zuchtarbeit

im landwirtschaftichen Organismus erkannt. Aus diesen Hinweisen hat sich später die Konstellationsforschung für den landwirtschaftlichen Bereich entwickelt.Die Beschäftigung mit den irdischen und kosmischen Rhythmen erweitert auch das Bewusstsein für die Rhyth-men und Zyklen im menschlichen Leben und kann uns dazu anleiten, das eigene Dasein stärker im Lichte dieser Rythmen von Schlafen und Wachen, Jahresläufen, von Geburt und Tod zu reflektieren.

Der Mensch im landwirtschaftlichen Organismus

Nun geht es darum zu versuchen, den Orga nismus einer biodynamischen Landwirtschaft innerhalb der drei Wirklichkeitsebenen zu betrachten: Materie, Leben und Geist.

Im Boden ist das meiste Materie, darüber wächst die Pflanze – sie bildet mit der Materie ein harmonisches Ganzes. Der Bereich der Tiere steht wiederum sowohl mit den Pflanzen – über das Futter – und mit dem Boden – über die Düngung – in Verbindung. Und zusammen bilden diese Bereiche eine Ganzheit, in der alle Ebenen miteinander zusammenhängen.

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Geistige Grundlagen

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Er steht in dreifacher Weise darinnen:1. In seinem sozialen Verhältnis zu allem Lebendigemim Hof.Dieses Verhältnis findet seinen Widerhall im Atmosphä-rischen am Hof.2. In der Verbindung des Hofes zur Gemeinschaft.Hier hinein spielen die rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen des Hofes. Ist der Hof nur eine Produkti-onsstätte oder ist er darüberhinaus ein Ort des Lernens (PraktiktanInnen, Lehrlinge...), ein Ort der Begegnung und der Kooperation? Rudolf Steiner hat schon zu Be-ginn des 20. Jahrhunderts auf die Notwendigkeit des as-soziativen Wirtschaftens als Gegenpol zum industriellen Bewirtschaften hingewiesen.3. In der Beziehung des Hofes zur Welt und zum Kosmos überhaupt.Hier muss sich der Mensch die Frage stellen, wohin sein Tun führen soll. Dient der Hof nur zu wirtschaftlichen oder sozialen Zwecken, oder soll das Lebendige über die Zucht weiterentwickelt werden? Das geht soweit, dass wir uns fragen sollen, worin die Aufgabe des Menschen auf dieser Welt zu suchen ist.

Zusammenfassend geht es bei der Beziehung zum Kosmos um die Frage, wie denn eigentlich die Aufgabe der Menschheit auf der Erde aussieht. Wie der Mensch sein Wirken, seinen Betrieb in die richtige Richtung lenkt, damit es für das Gesamte richtig ist.

Um diese Richtung zu erkennen, braucht der Mensch eine Wahrnehmungsfähigkeit, die über die Vernunft hin-ausgeht. Mit der Vernunft kommt der Mensch nur bis zur gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Ebene. Um aber eine Ahnung davon zu bekommen, wohin die Lebensprozesse ziehen, wohin Boden, Pflanzen und Tie-re wachsen wollen und wo sich letztlich die Menschheit

hinentwickeln will, dafür braucht es eine andere Wahr-nehmungsfähigkeit.

Hat man ein Gespür dafür gefunden, wohin das alles gehen soll, hat man dieses Ziel erkannt, dann kann sich der Organismus richtig entwickeln und sich in die gro-ßen Gesetze und Kreis läufe einordnen.

Exkurs: Die Entwicklung einer sozialen Ordnungvon Waltraud Neuper

Die Entwicklung hin zu einer sozialen Ordnung in der Landwirtschaft – und davon ausgehend auf alle Lebens-bereiche, die ja von der Landwirtschaft abhängig sind – ist ein Prozess, der sich über Generationen erstreckt.

Noch vor zwei Generationen war die Land wirtschaft getragen von Traditionen und hierarchisch geordneten Strukturen im Zusammenleben. Davor war sie geleitet von höheren geistigen Institutionen wie Klöstern, Grund-herren und noch weiter zurück von den Mysterien und Pharaonenpriestern.

Nun hat sich mit der Aufklärung das Bewusstsein ver-ändert und die Menschen sind aus den alten Traditionen herausgetreten. Mit dem Beginn des 20. Jahrhundert be-gannen sich alte bäuerliche Lebensformen aufzulösen. Industrialisierung, Mechanisierung, Aufklärung und vor allem die zunehmende Individualisierung führen dazu, dass der Einzelne immer mehr selbst seine Entschei-dungen treffen und damit die Verantwortung für die Konsequenzen auf sich nehmen muss. Das ist die große Herausforderung auf den Höfen. Dort, wo dieses Ringen um die Selbstbestimmung und die Eigenverantwortung nicht stattfindet, werden äußere Mächte das Ruder er-greifen (Regelmentierung, Vorschriften...).

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Geistige Grundlagen

Die momentane Situation auf den Höfen ruft nach einer neuen Kultur, die alten Hierachien verlieren ihre Macht.

Rudolf Steiners Werdegang

Rudolf Steiner hat den Landwirtschaftlichen Kurs, in dem die biodynamische Landwirtschaft ihren geistigen Ursprung hat, gegen Ende seines abwechslungsreichen Lebens gehalten.

Schon die Verschiedenartigkeit der Biographien über Steiner erwecken das Gefühl, dass er viele Anhänger hat-te, aber auch viele Gegner.

Steiner wurde 1861 wurde in Kraljevec geboren. Sein Vater war Beamter der Südbahn, so kam er im Laufe sei-ner Kindheit an verschiedene Orte.

Steiner schreibt selbst, dass er schon früh geist ige We-senheiten so wahrgenommen hat, wie er mit den Augen die gewöhnliche Welt gesehen hat.

Daraus entspringt für ihn ein Bedürfnis diese beiden Welten miteinander in Einklang zu bringen und aufeinan-der zu beziehen. Das durchzieht sein ganzes Leben.

Mit 18 Jahren beginnt er in Wien zu studieren. Er hat ein Stipendium, aber er muss sich als Haus lehrer durch-schlagen. Eine seiner wichtigsten Tätigkeiten war es im Alter von 29 Jahren die Gesamtausgabe der naturwissen-schaftlichen Schriften Goethes zu erarbeiten. Goethe hat sich sehr mit Prozessen beschäftigt, die beim natürlichen Wachstum von Pflanzen und Kristallen stattfinden. Er hat damit eine eigene Art der Wissenschaft begründet.

Gleichzeitig hat er auch andere Werke heraus gegeben,

wie eine Gesamtausgabe von Schopenhauer und Werke von Jean Paul. Außerdem hat er sich zu diesem Zeitpunkt sehr mit Nietzsche beschäftigt – er war offenbar geistig sehr rege.

Einige Jahre später, um 1900, ist er nach Berlin ge-kommen: Dort lebt er einige Jahre unter schwierigsten (finanziellen; Anm.) Umständen, ist in Künstler- und In-tellektuellenkreisen tätig, arbeitet an einer Arbeiterschu-le und man merkt, er ringt. Er ringt darum, was jetzt sein soll und die Biografen setzen in diesen Zeiten auch eine große Wende in seinem Leben an.

Jedenfalls wird Steiner, der stets geistigen Autoritäten gegenüber sehr kritisch war, auf einmal ein starker Be-fürworter einer höheren geistigen Leitung oder Wirklich-keit. Es wird angenommen, dass er in dieser Zeit eine Art Christuserlebnis hatte.

Von der Theosophie zur Anthroposophie

Durch Steiners Kenntnis der Werke Goethes und Nietzsches wurde er bald als Vortragsredner für den the-osophischen Kreis interessant, da vor allem Nietzsche in jener Zeit sehr modern wurde. Diese Bewegung der The-osophie war im British Empire entstanden, aus dem Be-streben der Kolonialherren heraus, das alte Wissen der Inder mit der aufgeklärten Sicht der Engländer zu verbin-den. Es war eine neugnostische Bewegung, die in höch-sten Kreisen – auch in Deutschland – Anhänger fand.

Und zu diesem Kreis ist nun Steiner eingeladen wor-den und hat dort offenbar sehr großen Anklang gefun-den, denn auf einmal war es mit seinen Lebensschwie-rigkeiten zu Ende.

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Geistige Grundlagen

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Als nun ein Teil der theosophischen Gesellschaft den Inder Krishna Murti weltweit als den neuen Heilsbringer (eine Art neuer Christus) verkünden wollte, kam es zum Bruch mit der Theosophischen Gesellschaft. Steiner setzte seine geistige Arbeit und Vortragstätigkeit unter eigenem Namen fort. Das war die Geburt der Anthro-posophie.

Der 1. Weltkrieg und Steiners Impulse

Die Zeit des ersten Weltkrieges war eine gewaltige Ka-tastrophe für das Geistesleben Europas, die vieles ver-ändert hat.

Steiner schlägt in dieser Situation die Dreigliederung des sozialen Organis mus in Wirtschaftsleben, Geistes-leben und Rechtsleben vor. Das sind die drei Bereiche, die er im gesellschaftlichen Organismus harmonisch ver-bunden haben wollte.

Steiner füllte mit seinen Vorträgen ganze Konzertsäle und kam auch in höchste Regierungs kreise – jedenfalls muss er ein mitreißender Redner gewesen sein. Dabei hat er seine Vorträge kaum schriftlich vorbereitet, son-dern hat – was nicht ganz ungefährlich war – aus dem Geist gesprochen. Dort wo das möglich war, hat er das, was ihm durch seine unmittelbare Anschauung zugäng-lich war, Menschen mitgeteilt.

In dieser Zeit entsteht unter Steiners Anregungen in Dornach in der Schweiz ein eigenes Zentrum, eine Künstlerkolonie, die sich um einen wunder schönen Bau ansiedelt – das Goetheanum. Dieses erste Goetheanum wurde – man nimmt an von rechtsradikalen Kreisen – in einer Neujahrsnacht niedergebrannt und wurde kurz vor seinem Tod wiedererrichtet.

Dabei erhält Steiner immer einflussreichere Verbün-dete, wie den Architekten Le Corbusier, der ihn bei der Wiedererrichtung des Goetheanums unterstützte, oder den Großindus triellen Waldorf-Astoria, der mit ihm in Stuttgart die erste Waldorf schule begründet hat.

Und gegen Ende seines Lebens – im Jahre 1924 – hat er dann den Landwirtschaftlichen Kurs gehalten – beim Grafen Keyserlingk in damaligen Schlesien – und er hat dort in einigen Tagen die Grundlagen der biodyna-mischen Landwirtschaft entwickelt. Das ist deswegen bemerkenswert, weil Steiner bis dort hin mit der Land-wirtschaft überhaupt nichts zu tun hatte – denn er hatte sich sein Leben lang mit geistigen Inhalten beschäftigt.

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Zusammenfassung und kritische Würdigung

Ausgehend vom Rand der Welt im Hochland des Hi-malaya-Gebirges führte Dr. Johannes Toegel die HörerIn-nenschaft bis an die Grenzen der persönlichen Vorstel-lungskraft und der eigenen Wahrnehmung. Es war eine Wanderung in großen Schritten, die es trotz der hohen Geschwindigkeit ermöglichte, für einen Augenblick in hö-here Komplexitätsebenen einzudringen.

Bilder, Geschichten aus dem Leben des Vortragenden und verschiedene Vorstellungsübungen boten die Mög-lichkeit, die Idee eines größeren Gesamtbildes entstehen zu lassen. Ähnlich einer Landkarte, mit deren Hilfe die Vorbereitung des weiteren Weges gemacht werden kann. Vielleicht eine Art mehrdimensionale Karte mit vielen weißen Flecken, deren zielführende Verwendung mit viel Übung verbunden ist.

Die Verlockung, sich wiederum durch Bilder über die Unfähigkeit der Erkenntnis höherer Komplexitätsebenen hinwegzuhelfen, erscheint groß.

Es stellt sich auch die Frage, ob „wahre Erkenntnis” durch im Geist konstruierte Bilder möglich sein kann. Besteht unsere gesamte Wirklichkeit, in der wir leben, nicht aus solchen, im Geist konstruierten Bildern?

Gleichsam schafft dieser Ansatz eine Anknüpfung an die Erkenntnisse der modernen Quantenphysik, deren philosophische Erkenntnisse in das „Potsdamer Mani-fest“ eingeflossen sind, in dem folgender Aufruf zu lesen ist: „Wir müssen lernen, auf neue Weise zu denken.“ 5

5 Hans-Peter Dürr geht so weit, dass er die Atome, welche lange Zeit als begrenzte Teichen galten, als „Wirks“ bezeichnet, En-ergien die in einem Beziehungsgefüge bis in den Kosmos hinein wirken.

Diese Denkschrift, die weltweit von ca. 130 Wis-senschafterInnen und Persönlichkeiten unterzeichnet wurde, fordert eine Neuorientierung vom materiali-stisch-mechanistischen Weltbild hin zum geistig-le-bendigen Kosmos (Dürr et al. 2005). Die Erkenntnisse der Quantenphysik führten in dieser Disziplin zu der Einsicht, dass die Wirklichkeit nicht mehr dadurch de-finiert werden kann, was ist, sondern durch das was passiert, was wirkt.

Begriffe wie Wahrheit, Wirklichkeit, Realität, Natur und Kultur wurden, aufgrund des begrenzten Zeitrah-mens, leider nur ansatzweise behandelt.

Eine Unterscheidung zwischen Realität und Wirk-lichkeit findet sich beispielsweise im radikalen Kon-struktivismus.

“In dieser Hinsicht bietet die deutsche Sprache ei-nen Vorteil im Vergleich zum Englischen. Sie stellt ei-nem zwei Wörter zur Verfügung, dank derer man den unnahbaren ontologischen Bereich, den die abend-ländische Philosophie stets zu ‚erkennen’ hoffte, als Realität bezeichnet, während man von der Erlebens-welt, zu der allein man durch Wahrnehmen und Han-deln tatsächlich Zugang hat, getrost als Wirklichkeit sprechen kann [...]. Damit hat man die Möglichkeit, allen herkömmlichen Realismus, sei er materialistisch oder metaphysisch, zu vermeiden.“6

Theoretische Ausführungen und Erklärungen, so-wie verschiedene Vorstellungsübungen sollen einen also dazu befähigen, eine Wahrnehmung zu entwik-keln, die als praktisches Werkzeug im täglichen Leben eingesetzt werden kann und soll.

6 Glasersfeld 1997, p. 47

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Die Frage, die sich vielleicht stellt, ist, welche Art des „Geistes“ ein Mensch aufweisen muss, um sich über-haupt auf diesen Weg begeben zu können. Dr. Toegel spricht von einer demütigen Haltung, von einer Gesin-nung, die nicht dazu neigt die geistige Ebene „beherr-schen“ zu wollen. Was bedeutet dies aber im Klartext?

Ein unreflektiertes Nachahmen der Übungen und Ver-haltensweisen von anderen Menschen, die sich mehr oder weniger erfolgreich auf diesen „Weg der Erkennt-nis“ begeben haben, kann wohl kaum der Schlüssel zum Erfolg sein, wo doch dem Individuum selbst und der in-dividuellen Entwicklung des „Geistes“ eine so hohe Be-deutung beigemessen wird.

Richtlinien können auch in diesem Zusammenhang höchstens der Ausgangspunkt für weitere Entwicklun-gen sein.

Im Gespräch mit Dr. Toegel: Früher konnte man davon ausgehen, dass ein Bauer, wenn er so arbeitet, wie es sei-ne Vorfahren gemacht haben, den ihm überantworteten Betrieb gesund erhalten kann.

Heutzutage kann man davon ausgehen, dass ein Bau-er, wenn er weiterarbeitet wie seine Vorfahren es taten, den Betrieb nur schwer gesund erhalten kann.

Dies soll keineswegs bedeuten, dass unsere Vorfahren alles falsch gemacht haben. Sie haben bestimmt in be-ster Gesinnung und, oder vielmehr aber ihrer Zeit ent-sprechend gehandelt.

Ein Umdenken erscheint deshalb nötig, weil die Rah-menbedingungen, innerhalb derer sich ein Betrieb heut-zutage bewegt, einem schnelleren Wandel unterzogen-

sind, als das jemals der Fall gewesen sein dürfte.

Dr. Toegel hielt diesen Vortrag am 24.Oktober 2008 an der Universität für Bodenkultur.

Weiterführende Literaturvon Dr. Johannes Toegel

1. Steiner, Rudolf: „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1992.

2. Steiner, Rudolf: „Mein Lebensgang. Eine nicht vollendete Autobiographie.“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1982.

3. Wehr, Gerhard: „C.G.Jung und Rudolf Steiner. Konfrontation und Synopse,“ Klett-Cotta, Stuttgart 1998.

4. Teilhard de Chardin, Pierre: „Der Mensch im Kosmos,“ C.H.Beck, München 1964.

5. Laszlo, Ervin: „Die Neugestaltung der vernetzten Welt. Global denken – global handeln.“ (pp 133-145), Vianova, Petersberg 2004.

Zwei Biografien von Rudolf Steiner im Internet:

http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Steinerhttp://www.rudolf-steiner.com/rudolf_steiner/

6. von Glasersfeld, Ernst : „Wege des Wissens. Konstruktivistische Erkundungen durch unser Denken,“ Carl Auer Systeme, Heidelberg 1997.

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Geistige Grundlagen

7. Dürr; H.-P.; Dahm D.; zur Lippe, R.: „Potsdamer Denkschrift.“ Hrsg. von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler VDW e.V. - Federation of German Scientists. Berlin 2005.

8. Popper, K.: “What is dialectic?” Aus: Mind, N. S., Bd. 49. Wiederabgedruckt in Popper Karl R. Conjectures and refutations, London, Routledge and Kegan Paul, 1963, S. 312-335. Basic Books, New York 1940.

Der Vortrag wurde bearbeitet von Stephan Pabst und Wolfgang Eichinger; beide Studierende an der Universität für Bodenkultur in Wien, WS 2008.

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Markus Buchmann lebt in der Nähe von Zürich und arbeitet seit 14 Jahren im Pflanzenzüchtungsunterneh-men von Peter Kunz mit. Er beschäftigt sich mit Fragen der Qualität im Bereich von Lebensmitteln. Er betreut eigene Forschungsprojekte im Gemüsebereich unter der speziellen Fragestellung:

Was ist die besondere Qualität von Produkten aus biodynamischem Anbau?

Markus Buchmann beginnt seinen Vortrag, indem er anknüpft an die Eurhythmie, welche dem Vortrag voran-gegangen ist. Er verweist auf die Zusammenhänge zwi-schen den Anfängen der Sprache und Wahrnehmen von Qualität. .

Wenn wir heute von Bioprodukten sprechen dann verbinden wir damit eine kausale Reihe in dem Sinne, dass wir sagen: Wenn wir einen gesunden Boden haben, dann erhalten wir gesunde Pflanzen und dann haben wir gesunde Tiere usf.

Darauf reduzieren wir gern die Aussagen über Qualität. Das scheint seine innere Logik zu haben. Wenn wir das aber mit naturwissenschaftlichem Ansatz betrachten, so fragen wir sofort danach, ob dies so sein kann, ob dies objektiv nachgewiesen werden kann, weil wir die Qua-litätsfrage verbinden mit dem ökonomischen Aspekt, dass Bioprodukten ein höherer Preis zusteht.

Also muss eine solche Aussage belegt werden. Damit begann die biodynamische LW Methoden zu suchen, um diese Qualitäten nach zu weisen. In diesem Zusammen-hang wurden die Kupferchloridkristallisations-, die Steig-bildmethoden und die Rundbilderchromatogramme entwickelt. Das sind die so genannten bildschaffenden Methoden, weil sie versuchen, den Zustand einer Sub-stanz auf bildhafte Weise darzustellen. Diese Bildsprache

benennt die Kräfte, die in der lebenden Substanz gewirkt haben. Seit 2000 wächst die Akzeptanz dieser Metho-den zunehmend und es steigt die Sicherheit in der Unter-scheidung zwischen Produkten aus konventionellem, aus organisch biologischem und biodynamischem Anbau.

Die Methoden sind in einem EU Projekt evaluiert wor-den. Die Unterschiede sind nun nachzuweisen, aber die Interpretation ist noch schwierig. Der Übergang von ei-ner solchen Darstellung zur Interpretation ist nicht mit Sicherheit zu bewerkstelligen. Das heißt, über die Bedeu-tung der Bilder können noch keine objektiven Aussagen gemacht werden.

Da könnte man auch Studien machen. Buchmann ver-weist auf die „Klosterstudie“, in welcher sichtbar wurde, dass die Essensumstellung auf biodynamische Produkte positive Folgen hat. Dieser Nachweis ist zwar für die Wis-senschaft noch immer viel zu subjektiv, aber Nahrung hat eben mit dem Menschen zu tun und die Auswirkung der Nahrung kann in letzter Konsequenz nur der Mensch in seiner subjektiven Erfahrung beurteilen. Die Bedeu-tung für die Gesundheit kann so einfach nicht nachgewie-sen werden. Aber wir können an die Fragen anknüpfen: Wir machen alle unsere persönlichen Erfahrungen. Die Wissenschaften hinterfragen diese persönlichen Erfah-rungen, aber meist so, dass das persönlich Menschliche, oder das individuell Menschliche ausgeschlossen wird, weil es korrumpierbar ist. Jeder Mensch hat ja seine Vor-lieben. Und das hat Konsequenzen in der Kulturentwick-lung, wenn man die Wissenschaft darauf aufbaut. Es gibt einen anderen Weg – und der ist der biodynamischen Methode inhärent und geht hervor aus der „Philosophie der Freiheit“; und dieser Weg zeigt auf, dass Wissen-schaft auf Individualisierung gebaut werden sollte, aber konsequent. Der Mensch in seiner subjektiven Erfah-rung wird nicht ausgeschlossen. Das könnte Bedeutung haben bis hinein in die Naturwissenschaft. Wie wir das

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tun in der Bildekräfteforschung, das möchte ich jetzt beschreiben. Jeder von uns hat schon Erfahrungen in dem Sinne gemacht, dass er/sie vor einer Pflanze, vor einem Acker, vor einem Feld steht und das Gefühl hat, dass es dieses Jahr besonders gut wächst, oder daß da etwas nicht stimmt, ohne dass Sie es an einem Phäno-men festmachen könnten. Man isst ein Nahrungsmittel und merkt, das kräftigt mich jetzt richtig. Bittet man um eine nähere Beschreibung, dann geht die Antwort aber schnell wieder ins Ungefähre, ins Vage. Und trotzdem ist man sicher, dass man hier etwas erfahren hat.

Diese Erfahrungen zu systematisieren wird zur Aufga-be in der Bildekräfteforschung.

Es ist wesentlich, dem, was man erfahren hat, genau nachzugehen, es aber nicht auf der Gefühls bzw. Emp-findungsebene zu belassen, sondern mit vollem Be-wusstsein in diese Erfahrung hineinzugehen; das was man empfindet zu durchschauen. Es ist möglich diese Empfindungen mit vollem Bewusstsein zu durchblicken. Denn der heutige Mensch muss diese Erfahrungen mit Bewusstsein durchdringen, damit er als selbständiger, selbstbewusster Menschen das Leben ergreifen kann.

Wie dies geschehen kann, soll nun schrittweise entwi-ckelt werden. Wir beginnen damit, dass wir uns fragen, wo diese Empfindungen stattfinden. Wir neigen dazu, diese Empfindungen als Einbildungen abzutun. Das ist unser Denken. Auch spirituelle Richtungen verurteilen das Denken als Behinderung dafür, andere Dimensionen wahrzunehmen. 2 Übungen:

1) „Stellen Sie sich bildhaft eine rote Rose vor. Intensiv vorstellen, bis Sie sich vor sich sehen. Nun frage ich Sie: Wo taucht die Rose auf?“ Zu-hörer antworten: „In mir.“ - „Zwischen den Au-gen.“ – „In meinem Gehirn.“ Herr Buchmann: „Sehen Sie, wir haben täglich tausende von Vor-stellungsbildern und machen uns aber keine Ge-

danken darüber, wo sie auftauchen. Sie erschei-nen, wie schon der Begriff „vor“ - „stellen“ sagt, im unmittelbaren Raum vor unseren Augen.“2) „Stellen Sie sich die Rose noch einmal vor, aber nun in einer bestimmten Landschaft, ganz realistisch. Sie müssen sich konzentrieren. Und jetzt fahren Sie mit der Hand einmal durch Ihre Vorstellung räumlich hindurch. Beobachten Sie, was da passiert.“ Reaktionen: Wenn Menschen sich die Vorstellung bilden, sich konzentrieren und es wird etwas Lebendiges durch diesen Vor-stellungsraum bewegt, dann kommt es zu Vor-stellungsstörungen. Das ist objektiv belegbar.

Wir legen kaum Rechenschaft ab über diese intimsten Vorgänge unserer Vorstellungs- und Denkwelt. Wenn wir das konsequent üben, kommen wir dahin, dass wir eine Empfindung dafür entwickeln, woher unsere Gedanken kommen, wie die Begriffe in unserem Bewusstsein er-scheinen, wie Erinnerungsbilder auftreten, woher sie kommen. Wie geschieht es, dass diese Gedanken For-men und Farben annehmen können. Diese Fragen eröff-nen ein riesiges Forschungsgebiet.

Dieser Vorstellungsraum hat eine Art räumliche Di-mension. Dieser Raum gehört zum Menschen, er kann hell werden etwa durch Ideen, er kann aber auch dunkel

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sein, wenn wir etwa schläfrig sind oder dumpf. Durch diszipliniertes Üben können wir eine Souveränität über die Wahrnehmung dieser Vorgänge gewinnen.

Man kann das an sich erforschen, indem man denkt, kann man beobachten wo Erinnerungen herkommen, wo Vorstellungen auftauchen. Bei starker Konzentration kann man sehen, wie der Vorstellungsraum sich verdich-tet und kristallartige Strukturen entstehen. Man kann es aber schwer beschreiben, weil wir nur Begriffe aus der Sinneswelt zur Verfügung haben. Wir verfügen über die Möglichkeit und potentielle Fähigkeit, über die Beobach-tung des Denkens zu einer neuen Wahrnehmungsfähig-keit zu kommen. Was es braucht, ist die Bereitschaft zur Konzentration und übenden Disziplin. Es braucht die Fä-higkeit, fremde Gedanken weglassen zu können. Wenn wir uns zum Beispiel die Rose vorstellen wollen, so kom-men immer bald andere Gedanken mit herein.

Wir bemerken, dass wir Lieblingsgedanken haben. Man kommt gewissermaßen drauf, wie man tickt. Man muss radikal das Subjektive kennen lernen, damit man es auch beurteilen kann. So ist es nur eine Frage der Übung, bis wir bemerken, dass das Medium, wo sich alle Bewusst-seinvorgänge abspielen, abhängig ist von unserer emo-tionalen Verfassung.

Wir können dieses Medium verfolgen bis hinunter in die Füße. Wir erkennen, dass dieses Medium eine Art zweiter Leib ist. In der Anthroposophie nennt man ihn den Ätherleib. Dieser Ätherleib – oder auch Energieleib – hat im oberen Bereich Anteil an den Bewusstseinspro-zessen und im unteren Körperbereich Anteil an den Le-bensprozessen.

Der Ätherleib ist etwas Geistiges oder Energetisches und ist nicht so abgeschlossen wie zum Beispiel der Schädel. Er ist nach außen offener.

Den oberen Einflüssen gegenüber offen, aufnahmefä-

hig für alles, was von untern kommt, im Rumpfbereich ein ovaler Raum.

Im Erlernen dieser Forschungsmethode, lernt man an-dere Menschen kennen, welche die gleichen Erfahrungen machen. Auch aus verschiedenen Heilmethoden gibt es solche Hinweise. Das ist der Schritt vom rein Subjektiven hin zu einer Art von Intersubjektivität. Man kommt dazu, dass man die eigenen Verfassungen viel feiner oder nä-her bestimmen kann. Wenn man sich bestimmten Ein-flüssen aussetzt, wird dieser Einfluss wahrnehmbar. Man steht auf Kalk oder Kiesel und kann dies unterscheiden und merken, worauf man steht. Oder wenn ich ein Nah-rungsmittel zu mir nehme, dann müsste doch dieses Nahrungsmittel einen Einfluss auf meinen Energieleib - der mich am Leben erhält - haben, und ich müsste die-sen Unterschied wahrnehmen können. Was geschieht in diesem Bereich, wie wird das gestaltet? In der äußeren Natur merken wir tatsächlich, wenn wir über Kalk gehen, wird alles ein wenig kalkhältig, ein wenig schwer in un-serem Empfinden. Auf Granitboden lebt es sich ganz anders – Menschen mit Lungenkrankheiten gesunden in

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Gebieten mit Granit. Das wusste man früher und heute gibt es auch in der anthroposophischen Medizin Erfah-rungswerte damit.

Wenn man an einer Eiche vorbeigeht merkt ganz fein, dass man ein wenig knorrig wird. Beim Apfelbaum lieb-lich. Und so fort.

Übung zum Erkennen von LebenskräftenAufnahme von Ätherkräften von lebendigen Wesen.

Die Eindrücke die entstehen werden systematisiert und eine Art Kräftewirken kann empfunden werden, wenn sie in den Vorstellungsraum kommt, eine bildhafte Qualität annimmt. Wir sprechen von Kräften, die in die Form hi-neinarbeiten.Zu dieser Kräftebewegung gehört eine seelische Sti-mung. Es geht weiter in das Lichthafte. Solche Kräftebe-wegung findet statt in einem Bereich, wo wir mit unserer normalen Sinneswahrnehmung nicht hinkommen.

Diese Wahrnehmung hat Realität. Diese Realität hat mehr Intensität als das Sinnenerleben.

Abbildung 5: Grundgeste Kraftwirbel – einmal in Diagrammform dargestellt(links) und einmal in Skiz-zenform (Mitte). Die einzelnen Kraft“pakete“ können dem ungeübten Beobachter zusammenhangslos im Raum schwirrend erscheinen (rechts).Erst eine be-stimmte Beobachtungsdisziplin vermag die einzel-nen Eindrücke zu einer Gesamtgestalt zu ordnen.

Die Kräfte arbeiten in einen Mittelpunkt hinein. Wenn man nicht geübt ist, kann folgendes geschehen: In der sinnlichen Welt sind Farben und Formen verbunden. In der ätherischen Welt können Formen und Farben separat sein. Erst mit der Souveränität können wir das zusam-menschauen. Am Beginn des Erlernens dieser Fähigkeit sind wir zunächst im Zustand eines Kleinkindes, welches auch nur langsam die einzelnen Gegenstände zusam-menschauen, zuordnen und erinnern kann. Das braucht Erfahrung.

So steht am Beginn dieser Einübung auch die Schwie-rigkeit der Zuordnung. Bis wir zu einer Sicherheit kom-men, braucht es Jahre disziplinierter Übung.

In den Übungen geht es um das Erkennen von Grund-gesten.

Wir verfolgen diese Bewegung: – das Aufblitzende, das man wahrnehmen kann da weiter als ein Kräfteströ-me, dass sich von unten einem Oben öffnet

1. Stufe – das Aufblitzende, das man wahrnehmen kann, öffnet sich von unten einem Oben

2. Stufe – das Licht (ein terminus technicus) erscheint als ein Kräfteströmen nach oben 3. Stufe - das Licht wird gebündelt, gesammelt nach un-ten wieder entlassen

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4. Stufe - das Licht steigt wieder aufWo in der Natur könnte man das finden?

Im Großen bei Laubbäumen. Konzentrierende Geste.

Wärmeprozesse gestalten die Rinde. Der Ahornbaum zeigt dies in reinster Form.

Interessant ist die Geste beim Stamm. Die Geste sel-ber bündelt nicht, Kräfte wirken von außen ein, schaffen Raum nach innen, damit die Säfte steigen können und der Baum nach außen hart werden kann.

Hier macht Herr Buchmann den Übergang zur Euryth-mie und sagt, dass man einerseits dieses Kräftewirken nicht zeichnerisch darstellen kann und es eigentlich eurythmisch tanzen sollte und andererseits ist zu erken-nen, dass sich die Sprache aus dieser Kräftebewegung herausentwickelt hat.

Wir finden diese Geste ausgebreitet über das ganze Pflanzenreich. Bei der Möhre geht dieses Lichtsammeln im Wurzelreich vonstatten. Wenn wir eine Möhre essen, nehmen wir dieses Kräftegestalten auch in uns auf. Man muss sich diese Skizze vom Ätherleib allgemein vor-stellen, die Strömung nach oben. Die Öffnung oben ist

so gestaltet, dass Licht von oben herein strömen kann. So wirkt die Möhre auch auf unseren Organismus. Die Lichtkräfte entfalten sich in alle Regionen hinein und durchlichten das Ganze; im Kopfbereich werden die Lichtkräfte abgegeben. Dann kann man verstehen, wa-rum gesagt wird, dass die Möhre auf das Denken wirkt. wir haben in diesem Bereich Energie zur Verfügung zur denkerischen Tätigkeit. Die Konzentrationsgestaltung bekommen wir quasi gratis, wenn wir Sellerie zu uns nehmen. Wir können nach diesen Erfahrungen gezielt unsere Nah-rungsmittel auswählen.

Hier wirkt ein anderes Licht als bei der Möhre. Im Ätherischen kennen wir vielfältige Lichtqualitäten.

Wenn man Obstbäume auf die gleiche Art beobach-tet, dann kann man andere Strukturen finden. Kräftige Bewegung von unten aufsteigend und außen absteigend wieder in die Erde hinein. Das gibt dem Baum eine Hülle. In diese Hülle hinein strömt von oben ein bestimmtes

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Qualität von Produkten

Licht, welches sich unterscheidet vom Licht der Möhre. Dieses Bildewirken finden wir im Apfel wieder.

Hier sehen wir eine Zugewandtheit nach oben, ein Strömen hinein in die Sinnesorgane und Verbundenheit nach unten.

Wenn wir nun Weizen essen, wirken vor allem die starken Aufrichtekräfte.

Jede Pflanze reagiert auf die gegebenen Wachstums-bedingungen, auf züchterische Massnahmen und last not least auf Grund ihrer genetischen Ausstattung. Mit der Bildekräfteforschung können wir nur Unterschiede im Bildhaften erkennen. Dies lässt noch keine Schlüsse zu.Es bleibt ein beobachtendes Herantasten.

Markus Buchmann hielt den Vortrag am 15. März 2009 in Wien

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Organismus

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Etwas über den OrganismusUrsula Kothny

Wir wollen uns heute mit dem Begriff Organismus be-schäftigen, wollen den Erscheinungen und der Gesetz-mäßigkeit, die in der Entfaltung des Organischen in der Natur walten, etwas näher kommen.

Sie müssen den Organismus verstehen lernen, wenn Sie Ihren Betrieb als einen landwirtschaftlichen Organis-mus gestalten und bearbeiten wollen.

Der Organismus ist immer ein Ganzes

Wann sprechen wir von Organismus? Was zeichnet dieses als Organismus aus, und jenes als ein anorganisches Ob-jekt? Sie alle kennen die Begriffe organische und anorga-nische Naturwissenschaften. Elemente, Steine, Kristalle, Metalle gehören der anorganischen Natur an. Warum? Weil sie in sich nicht belebt sind. Weil für sie die phy-sikalisch-mechanischen Gesetze rein von außen gelten und sie selber nicht die Möglichkeit in sich tragen, auf diese Auswirkungen aus eigenem Antrieb zu reagieren, oder diesen etwas entgegen zu stellen. Pflanzen, Tiere, der Mensch, die Millionen Mikrolebewesen und Bakte-rien gehören der organischen Natur an. Wir sind darin geschult worden, die organische Natur mit den gleichen Augen und Denkmustern zu betrachten wie die anorga-nische Natur; nämlich nach physikalisch-mechanischen Gesetzmäßigkeiten. Mit dieser Betrachtungsweise kann man zwar den Auf-bau und die Funktionen der organischen Natur begrei-fen, niemals aber die in ihr waltenden Gesetze. Noch we-niger die Impulse, welche sich nach eigenen Rhythmen und Entwicklungsschritten entfalten und gleichzeitig den notwendigen Freiraum für die Anpassung an äußere Gegebenheiten beinhalten.

Man nimmt so lediglich Auswirkungen von Bedin-gungen wahr, nicht aber die Ursachen, das Organische an sich. Will man Organismus begreifen, muss man Leben erfassen; muss man begreifen, wie sich das Le-bendige im Organismus zur Geltung bringt. Ein Leich-nam behält wohl eine Zeit lang Form und Größe, Farbe und Lage der einzelnen Teile zueinander, abhängig von Außentemperatur, Luftfeuchtigkeit, etc., aber das We-sentliche fehlt – das die Teile untereinander verbindende Lebensband, und das dadurch jeden einzelnen Teil Bele-bende. Das Organische kann nicht auf die gleiche Weise erforscht werden, wie das Anorganische.

Wir möchten heute den Versuch starten, das Or-ganische mit den Augen Goethes zu betrachten. Die geisteswissenschaftlichen Grundlagen für die biodyna-mische Landwirtschaft hat Rudolf Steiner anhand der na-turwissenschaftlichen Erkenntnisse Goethes entwickelt. Wollen Sie Goethes Denk- und Erkenntniswege gehen, so studieren Sie, wenn Sie das Poetische lieben, den Faust; wenn Sie mehr Zugang zum Prosaischen, Sachlichen verspüren, seine naturwissenschaftlichen Schriften. Zu Ersterem: „Wer das Lebendige will beschreiben, sucht erst den Geist heraus zu treiben. Dann hat er die Teile in seiner Hand, fehlt leider nur das geistige Band.“ 1Sehen Sie, damit haben wir gleich eines der Grundprin-zipien des Organischen ins Auge gefasst, welches schon Platon und Aristoteles erkannt hatten: In der Organik herrscht stets das Prinzip der Ganzheit, das ganzheitlich gestaltende Organisationsprinzip. Es gibt keinen halben Organismus. Ein Organismus ist immer ein Ganzes, egal wie er uns erscheint und in welchem Entwicklungssta-dium er steht. Wir können wohl Teile eines Organismus betrachten und untersuchen, das Organische dieser Teil-bereiche nehmen wir aber nur wahr, wenn wir den

1 Goethe, Johann Wolfgang: „Faust“, Aufbauverlag Berlin und Weimar, 1984

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Organismus

Gesamtorganismus mit in unsere Betrachtung einbezie-hen. Sehen Sie den Apfel an: Nachdem er vom Baum entfernt, bzw. gefallen ist, können nur noch die Abbau-prozesse auf sein ehemals belebtes Fruchtfleisch wirken. Aber in sich trägt er gleichzeitig die Samen, und jeder einzelne trägt das Potential in sich, wiederum ein Apfel-baum zu werden. Den Samen verstehen wir nur dann, wenn wir sein Entwicklungspotential und die ihm inne-wohnende Gestalt vor unser geistiges Auge führen. Der Same selbst sagt nichts darüber aus, welcher Art, der sich daraus entwickelnde Baum sein wird.

Mit Bestimmtheit können wir nur sagen, dass er eine Pflanze wird, ein Baum aus der Familie der Rosenge-wächse.

Der Typus

Goethe spricht in diesem Zusammenhang vom Typus. Der Typus ist keine reale, mit den Augen erfassbare Er-scheinung der sinnlichen Welt. Den Typus der Pflanze hat Goethe an der Urpflanze entwickelt, indem er auf-zeigte, nach welchen Prinzipien sich alles Pflanzliche ausgestaltet.

Das Organische ist in seiner Gestaltung einer steten Verwandlung unterworfen und zeigt sich in der sinn-lichen Welt in der Form. Diese Ausgestaltung erfolgt nach inneren Gesetzmäßigkeiten.

Goethe kommt zu dem Schluss, dass die Idee eines Wesenhaften im Organismus wirkt, bei dem alle Einzel-teile von dieser Idee durchdrungen und belebt werden. Nicht ein Glied bestimmt das andere, sondern das Gan-ze, die Idee bedingt jedes Einzelne aus sich selbst. Das nennt Goethe Entelechie.

Die Entelechie

Die Entelechie ist eine sich aus sich selbst ins Dasein rufende Kraft. Was als Erscheinung ins Dasein tritt, ist durch jene entelechische Kraft bestimmt.

Wenn man nun im goetheschen Sinne von Urorganis-mus spricht, so ist nicht eine Urzelle mit dem ihrer ty-pologischen Veranlagung entsprechenden Entwicklungs-potenzial ins Auge zu fassen, sondern jene Entelechie, in der die Urzelle bereits als Organismus vorweggenom-men ist. Da dies ein allgemeines Prinzip ist, kommt es im einfachsten Organismus genau so vor wie im kom-plexesten. Insofern folgt der Organismus in seiner Ent-wicklung einem ideell-allgemeinen Prinzip. Seiner Aus-gestaltung nach jedoch einem individuell-besonderen.

Das Lebensprinzip existiert nirgends als ein be-stimmtes Zentrum, sondern herrscht übergeordnet und ist zugleich jedem Organ innewohnend.

Wie kommt es nun zu den vielfältigen Erscheinungen innerhalb der organischen Natur?

Wir können zwei Wirkungsprinzipien erkennen:Das der Gliederung oder Differenzierung, welches sich in der Gestaltbildung bzw. Raumgestalt zeigt. Dieses Prinzip kann nur verstanden werden, wenn man auch die Zeitgestalt mit einbezieht. Denn die Erscheinung eines Organismus ist, aufgrund des in ihm wirkenden Lebens-prinzips – der Entelechie – in ständiger Wandlung begrif-fen. Es gibt eine Phase des Aufbauens, des Wachsens, und es gibt eine Phase des Abbauens, des Alterns, und der Reifung. Es wirken Zusammenziehung und Ausdeh-nung. Diese ganze organische Entwicklung folgt einem Urbild, welches in sie wie eingeschrieben ist, was wir das Typologische nennen. Darin herrscht Ganzheitlichkeit, d.h. in jedem Teil des Organismus bildet der Typus das

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Organismus

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Ideell-Allgemeine. Was sich verändert ist lediglich das Er-scheinungsbild im Lauf des Entwicklungsprozesses.

Mit dem befruchteten Ei ist stets schon die charak-teristische Gestalt vorgegeben. Unter Gestaltbildung ist insofern nicht das Entstehen, sondern das Sichtbar-werden der Gestalt in einer individuellen Entwicklung zu verstehen. Sehen Sie das Prinzip der Ganzheit? Ein Or-ganismus summiert sich nicht nach und nach zu einer Einheit, sondern ist von Beginn seiner Entwicklung an ein Ganzes.

Entwicklung im Organischen ist niemals ein von Stadi-um zu Stadium akzidentielles (zufälliges) Hinzukommen im Sinne eines Fortschritts vom Einfachen zum Kompli-zierten, sondern jeweils die Differenzierung eines schon vorgegebenen einheitlichen Ganzen.

Zur Veranschaulichung wollen wir eine solche organische Entwicklung einmal anhand einer Eizelle durchexplizieren:

Die Eizelle ist die größte Zelle im Körper, gerade noch mit freiem Auge sichtbar; ihre Form ist die einer Kugel. Sie lebt in einem losen Zellverband, dem Eierstock. Die reife Eizelle schwebt frei und kann so ungehindert ihre Sphärengestalt verändern.

Die Eizelle ist die älteste teilungsfähige Zelle des Kör-pers. Sie bildete sich im mütterlichen Organismus, als jener sich noch im embryonalen Zustand befand. Das bedeutet, diese Eizelle ist bereits im Leib der Großmut-ter entstanden.

Wir blicken hier auf den Erbstrom der organischen Substanz, der sich im Dunkel der Generationen verliert.

Die Eizelle als Ursubstanz des Lebens wird mit der Be-fruchtung zu einer inneren Dynamik aufgerufen, zu einer Auseinandersetzung zwischen einem inneren und einem äußeren Organismus.

Nach dem Eindringen des Samens kommt es von in-nen her nach 30 Stunden zur ersten Zellteilung. Bald sind es zwei, vier, acht Zellen. Drei Tage nach der Befruchtung besteht der junge Keim aus einer 16 zelligen, kompakten Kugel, die von ihrem Aussehen her einer Maulbeere gleicht, deshalb Morula genannt.

Obwohl die in der Morula befindlichen Zellen bis auf geringe Größenunterschiede völlig gleich aussehen und man annehmen muss, dass sie noch das gleiche Entwick-lungspotenzial besitzen, also untereinander austausch-bar wären, ist erwiesen, dass aus den zentral gelegenen Zellen der Embryo sich entwickelt, aus den peripheren Zellen das nährende Gewebe, die Plazenta. Den inneren Zellkomplex nennt man darum Embryoplast, den äuße-ren Trophoplast.

In der Morula wächst nun spiralförmig ein Raum, der sich zu einer Höhlung weitet. Die Zellmasse wird dabei an die Peripherie gedrängt, sodass eine Hohlkugel ent-steht. Allmählich löst sich die Zellhaut auf, welche den

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Organismus

Zunächst wird sie flach wie der Erdboden, aus dem sich aber bald gebirgsähnliche Formungen erheben, wächst dann pflanzenartig aus eigenem Erdreich empor, wird fischähnlich und tastet sich allmählich durch alle Gestal-tungen der höheren Tierformen hindurch, bis endlich die Menschengestalt sichtbar wird. Von Anfang an ist aber der sich entwickelnde Körper der eines Menschen, einesganz bestimmten Menschen, eines Individuums mit ei-ner besonderen Persönlichkeit – er ist immer ein ganzer Organismus.

Entwicklung im Organischen meint darum nicht die Differenzierung im Sinne eines Fortschreitens vom Ein-fachen zum Komplizierten, nicht das Hinzukommen von Teilen als Akzidenzien. Der ganze Entwicklungsvorgang ist Differenzierung eines schon vorgegebenen Ganzen, dessen Erscheinungsform sich im Laufe des Erdenle-bens ändert.

Unter diesem Aspekt ist auch der Hoforganismus zu sehen. Sie müssen Ihren Geist schulen für das

Ideell-Allgemeine eines Organismus, um darin das Individuell-Besondere erkennen zu können.

Das braucht Intuition. Intuition meint anschauendes Erkennen. Sie müssen die Fähigkeit zur Intuition schu-len, um das Organische begreifen und das Entwick-lungspotenzial Ihres Hoforganismus erschauen zu kön-nen. Meditation und künstlerisches Üben können dabei unterstützend wirken.

Keim bis jetzt umgeben hatte. Die Keimblase hat immer noch die Größe der Eizelle, wenngleich sich die Zellen in unglaublicher Schnelle vermehren, von 60 Zellen auf 100 Zellen in nur einem halben Tag.

Der Keim befindet sich noch immer auf seiner Wande-rung durch den Eileiter. Am sechsten oder siebenten Tag erreicht er die Höhlung der Gebärmutter als völlig frei schwebende Kugel. Die mütterliche Schleimhaut nimmt den Keimling auf, wie die Erde den Samen. Die ganze folgende Entwicklung vollzieht sich im Schoße dieser ei-gens für die Keimesentwicklung wunderbar zubereiteten Schleimhaut im Inneren der Gebärmutter.

Wir sehen: Die Eizelle ist ein Ganzes. Dieses Ganze differenziert sich schrittweise aus. Es werden Augen, Hände, Füße, der Blutkreislauf und aus diesem das Herz entstehen. Aber zu jedem Zeitpunkt ist das Geschöpf ein lebendiges Ganzes. Die Differenzierung geschieht dadurch, dass die Eizelle durch Teilung ihren Innenraum mit Zellen durchsetzt und dass die so entstehenden Zel-len sich immer weiter teilen, an dem einen Ort mehr, an dem anderen weniger. Immer aber vollzieht sich die Ver-mehrung der Zellen im Inneren. Nie setzt sich Zelle auf Zelle, wie bei einem Baukasten. Man hat es mit einem ungeheuer komplizierten Unterteilen und Verschieben des lebendigen Protoplasmas zu tun – jedoch bleibt bei jedem Schritt das Ganze gewahrt.

Umgangssprachlich sagt man: Der Körper sei aus Zellen aufgebaut. Das Gegenteil ist der Fall: Der Körper baut Zellen in seine Form hinein. Dieser Prozess vollzieht sich während des ganzen Lebens. In Zeitbegriffen ausge-drückt wissen wir, dass der Körper im Laufe von sieben Jahren sich zur Gänze erneuert.

Der Körper eines Menschen ist zunächst eine Eizelle, seine Ursprungsgestalt ist eine Kugel. Im Verlaufe der Embryonalentwicklung verändert sich die menschliche Leibform. Sie nimmt verschiedenste Gestaltungen an.

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Organismus

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Zusammenfassend möchte ich noch einmal das Charak-teristische einer organischen Entwicklung hervorheben:

Organische Entwicklung und Wachstum erfolgen immer durch Zellteilung von innen nach außen. Es ist ein Spiel zwischen Anregung von außen und Reifung im Inneren.

Der Organismus folgt in seiner Entwicklung einem Ur-prinzip, welches ihm innewohnt.

Er lebt aus einer sich stets erneuernden Kraft, der En-telechie.

Seine Entwicklung folgt einem ideell-allgemeinen Prinzip, dem Typus (der Urpflanze, des Urtieres). Dieser zeigt sich im Individuell-Besonderen in der sinnenfäl-ligen Raumgestalt, die Gattung, Art, Familie und so fort genannt wird.

Dieser lebendige Organismus ist einer ständigen Wandlung unterworfen. Darum nennt man seine aktu-elle Gestalt immer die Zeitgestalt. Der Typus folgt dem Prinzip der Gliederung.

Literaturliste:Steiner, Rudolf: „Goethes Naturwissenschaftliche Schriften“, Verlag Freies GeisteslebenSteiner, Rudolf: „Geheimwissenschaft im Umriß“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 2005 Goethe, Johann Wolfgang von: „Die Metamorphose der Pflanze“, Acta Humaniora, Weinheim, 1984Darwin, Charles: „Die Entstehung der Arten“, Reclam, Stuttgart, 1967

Ursula Kothny hielt diesen Vortrag im Rahmen der Weiterbildung für praktizierende Biodynamiker

am 4.Oktober 2008 im Waldviertel und am Wurzerhof.

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Biodynamischer LandbauLandwirtschaftlicher Organismus

Hier gilt es, sich eingehend mit den vorhandenen phy-sischen Gegebenheiten zu beschäftigen.

Bodenbeschaffenheit (Kalk oder Kiesel)Klimatische Bedingungen (Obwohl diese sich zunehmend verändern!)Regionale Besonderheiten

Das Ätherische oder die Lebensorganisation

„In der richtigen Verteilung von Wald, Obstanlagen, Strauchwerk, Auen mit einer gewissen natürlichen Pilz-kultur liegt so sehr das Wesen einer günstigen Landwirt-schaft, dass man wirklich mehr erreicht für die Land-wirtschaft, wenn man sogar die nutzbaren Flächen des landwirtschaftlichen Bodens etwas verringern müsste….Man kann eigentlich in einem Betrieb, der so stark ein Naturbetrieb ist wie der landwirtschaftliche, gar nicht da-rinnen stehen, ohne in dieser Weise Einsichten zu haben in den Zusammenhang des Naturbetriebs, in die Wech-selwirkung des Naturbetriebs.“2

Das Ätherische ist die Sphäre der Pflanzenwelt. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind in dieser Sphäre ungleich größer, als in der physischen Organisation.

Erarbeiten einer geeigneten FruchtfolgeAuswahl der richtigen Getreidearten und –sorten (Überlegungen zur Hofsorte)Wahl der passenden BaumartenZusammensetzung der Pflanzengemeinschaften in den Wiesen (Dauerwiese, Wechselwiese)Anlegen von HeckenAuseinandersetzung mit Saatzuchtfragen

2 ebenda S 190

Der Landwirtschaftliche OrganismusRudolf Keiblinger-Bartsch

„Nun, eine Landwirtschaft erfüllt eigentlich ihr Wesen im besten Sinne des Wortes, wenn sie aufgefasst werden kann als eine Art Individualität für sich, als eine wirklich in sich geschlossene Individualität. Und jede Landwirt-schaft müsste eigentlich sich nähern – ganz kann das nicht erreicht werden, aber sie müsste sich nähern – die-sem Zustand, eine in sich geschlossene Individualität zu sein.“1

Dies sind wohl die wichtigsten Sätze im Landwirt-schaftlichen Kurs, wenn es um Überlegungen und Erör-terungen zum landwirtschaftlichen Organismus geht.

Und sie sind deshalb in ihrer Wichtigkeit nicht zu über-schätzen, weil nur eine Landwirtschaft, welche als Orga-nismus verstanden und betrieben wird, in die Zukunft hinein gesund und damit lebensfähig bleiben kann.

Es braucht ganz bestimmte Voraussetzungen, dass sich eine Landwirtschaft zu einem Organismus entwickeln kann:

Es wird hier hilfreich sein, die Viergliederung alles Sei-enden zugrunde zu legen:

Die physische Organisation des landwirtschaftlichenHofes

Die naturhaft angelegte physische Organisation des Hofes hängt wesentlich von den Standortbedingungen ab und ist nur begrenzt veränderbar, sei es durch Ter-rassierung, Be- und Entwässerung, Windschutzhecken. Etwas mehr Einflussmöglichkeiten bieten die Bodenbe-arbeitung und die Düngung.

1 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen…“, S 42

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Biodynamischer LandbauLandwirtschaftlicher Organismus

Die Lebensorganisation ist umso gesünder, je mehr Pflanzenarten Raum gegeben wird, je vielfältiger sie ge-staltet ist. Umgekehrt ist sie umso krankheitsanfälliger, je mehr sie zur Monokultur neigt. Dies bedingt Vielfalt in der Fruchtfolge, in der Verteilung der Kulturarten, in der Mannigfaltigkeit der Kräuter- und Gräserarten einer Wie-se, in der Buntheit eines Gartens, in der Verschiedenheit der Gehölze der Hecken und Wälder.

Die Aufgabe des Landwirtes, der Landwirtin in der Gestaltung ist es, diese Vielfalt zu ermöglichen und zu erhalten, sei es durch Beweidung, Mahd, Ackerfutter-bau, Düngung, Gründüngung, Zwischenfrüchteanbau, Bodenbearbeitung und Neupflanzungen oder Neuein-saaten. So mag es gelingen, dass sich diese lebendige strömende Vielfalt zu Organen zusammenschließt: Zum Fruchtfolgeglied im Ackerbau, zum Bauerngarten mit all seiner Buntheit, zur Streuobstwiese, zum Feldrain, zur Wiese, zur Weide, zur Baumgruppe, zum Biotop, zum Ackerrain, zur Waldlichtung, zum Getreideacker, zum Krautgarten, zum Rübenfeld oder Erdäpfelacker. Der Gestaltungs- und Forschungsmöglichkeiten ist hier so schnell kein Ende gesetzt.

„So wie der Nadelwald eine intime Beziehung zu den Vögeln hat, die Sträucher eine intime Beziehung zu den Säugetieren haben, so hat wiederum alles Pilzige eine intime Beziehung zu der niederen Tierwelt, zu Bakte-rien und ähnlichem Getier, zu den schädlichen Parasiten nämlich.“3

An dieser Stelle spricht Steiner schon die Beziehungen der Pflanzenwelt zum Naturreich des Tierischen an.

3 ebenda S 189

Die Seelenorganisation

Diese Lebensorganisation ist durchzogen von einem Seelischen, das sich am deutlichsten in der weisheits-vollen Tätigkeit der Tiere offenbart, aller Tiere, über und unter der Erde.

Der Mensch ist aufgefordert, das Verhalten der Tiere, ihre Tätigkeit, ihre Stimmungen, die wir bei Begeg-nungen wahrnehmen können, als jene Seelenkräfte zu beobachten, die aus der Vielfalt des Lebendigen jene oben genannten Organe bzw. den Hof als Ganzes zum Organismus schaffen. Sei es nun beim Regenwurm, bei den Vögeln und Insekten, sei es bei der Rinderherde, die sich durch die Lebensorganisation des Hofes frisst, das Futter in Dünger verwandelt, der als Belebungsmittel das Verhältnis von Boden und Pflanze in Bezug auf das Ganze des Hofes ordnet und gestaltet.

„Daher müsste innerhalb der Landwirtschaft auch ein Auge darauf geworfen werden, in der richtigen Art In-sekten und Vögel herumflattern zu lassen. Der Landwirt selber müsste auch etwas von Insektenzucht und Vogel-zucht zu gleicher Zeit verstehen. Denn in der Natur – ich muß das immer wieder betonen – hängt doch alles, alles zusammen….Darüber macht sich heute die Menschheit noch nicht richtige Begriffe, welchen Einfluß die Ver-treibung gewisser Vogelarten aus gewissen Gegenden durch die modernen Lebensverhältnisse für alles land-wirtschaftliche und forstmässige Leben eigentlich hat.“4

Dabei ist es der Bauer,die Bäuerin, der/die das richtige Maß finden muss: Die richtige Anzahl an verschiedenen Tieren im Verhältnis zum Boden, zur Futtergrundlage. Das ergibt genau den richtigen Mist für dieses Stück Erde.

4 ebenda S 179

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Biodynamischer LandbauLandwirtschaftlicher Organismus

Die Seelenorganisation offenbart sich nicht nur durch die Tierwelt. Sie strahlt um die Pflanzen herum, in Farbe und Duft der Pflanzen, im Bild der Pflanzengestalt, in der Abgeschlossenheit der Baumkrone und der Blüten, in den Hautbildungen eines Waldsaums oder einer Hecke, da wo Empfindungen von Schönheit aufglänzen.

Die Ich-Organisation

Dass sich diese physische Gegebenheit des Standortes des Hofes, die Möglichkeiten der Gestaltung der Pflan-zenwelt und Seelenkräfte der Tierwelt , die astralische Wirksamkeit der Planeten und Sterne zu einer Art Wesens-glieder eines landwirtschaftlichen Organismus und dieser zur Grundlage einer Art Individualität entwickeln kön-nen, bedarf es eines vierten Wesensgliedes: der Ich-Organisation. Sie bildet sich durch die ideengetragene Arbeit der den Hof gestaltenden Menschen, die alle Wesensglieder durchwirkt, formt und in lebendigem Fluss hält.

Der handelnde Mensch

SeelischesTierwelt

LebensprozessePflanzenwelt

Physische WeltMineralisches

Präparateanwendung

Düngung

Fruchtfolge

Bodenbearbeitung

Viehzucht

Pflege

Fütterung

Viehhaltung

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Biodynamischer LandbauLandwirtschaftlicher Organismus

Der Organismus ist mehr als die Summe seiner Teile

Nur weil in einer Landwirtschaft Viehhaltung und Pflanzenbau betrieben wird, es Hecken und Teiche gibt, heißt das noch nicht, dass eine solche Landwirtschaft schon ein Organismus ist. Man kann eine Landwirtschaft auch führen, indem man verschiedene Arbeits- oder Pro-duktionsbereiche schafft. Es wird immer darum gehen, dass wir den Unterschied von Bereichs-Gliederung und Bereichs-Trennung verstehen. Natürlich ist der Anbau von Pflanzen ein eigenes Arbeitsgebiet, sowie auch die Viehhaltung. Aber wenn wir sie in Bereiche trennen, dann verlieren sie ihre innere Beziehung zueinander. Der Mist der Tiere wird dann nicht mehr mit dem Leben im Boden zusammengedacht, das Wohlbefinden der Tiere wird nicht mehr mit der Frohwüchsigkeit der Pflanzen in Ver-bindung gebracht, die richtige Konsistenz des Topfens wird nicht mehr in Beziehung gesetzt zum Seelenklima im Stall. Abweichungen von der gewünschten Norm wer-den nur mehr über Zahlen und Analysen erfasst.

Der Organismus ist ein Ganzes von innen her

Das zu begreifen fällt uns heutigen Menschen schwer. Wir sind es gewohnt zu analysieren; mit unserem Ver-stand die Dinge zu bewerten. Wenn wir aber einen Orga-nismus verstehen wollen, muss noch eine Fähigkeit hin-zukommen. Die Fähigkeit des Erspürens, des Fühlens; des intuitiven Erkennens.

Der Organismus Landwirtschaft entsteht in seiner Ganzheit im Herzen des Bauern, der Bäuerin, welche/r diese lebendige Einheit spüren, fühlen kann.

Dann werden die einzelnen Teile und Bereiche zu Or-ganen sich entwickeln, die in gutem Wirkungs-Gleichge-wicht zueinander bestehen. Es werden nicht mehr jene Teile bevorzugt, die das Geld bringen; es wird zu einem

Ausgleich in den Wertigkeiten kommen. Die Schönheit einer Sommerwiese wird in der Wertigkeit nicht unter der guten Milchleistung einer Kuh zu stehen kommen; der feine Geschmack der Karotte wird gleichwertig sein einer energiesparenden Hackschnitzelheizung.

Wir ahnen schon: Einen Hof als Organismus verstehen zu lernen ist eine Entwicklungsaufgabe. Geduldiges Üben im Wahrnehmen und Beobachten, Vertiefen der Urteilsfähigkeit, zunehmendes Vertrauen zu selbst bestimmtem Denken und Handeln und Arbeit an intuitiver Erkenntnis sind dabei die unerlässlichen Schritte.

Auf diese Weise wird der Bauer, die Bäuerin selbst zu einem empfindenden Organ in diesem Organismus und kann dadurch heilend in die heute durchaus kranke Landwirtschaft hineinwirken.

So können wir sagen:Der Organismus ist immer etwas in sich Geschlossenes mit folgenden Merkmalen:

Der Organismus besitzt eine Haut, eine Grenze, somit ein Außen und ein Innen. Er hat eine Form, Gestalt. Es laufen Prozesse in ihm ab; es gibt Wechselwirkungen, er ist in ständiger Veränderung. Die Vorgänge reichen über das Kreislaufdenken hinaus.

Die Aufgabe, mit dem Gestalten des landwirtschaft-lichen Hoforganismus einen neuen sinnstiftenden Zu-sammenhang zu bilden, ist zugleich die Chance der biodynamischen Landwirtschaft als kulturschaffende Kraft. Denn die Fähigkeit, den Hof als einen Organismus denken zu können, führt zu einem auf den anderen aus-gerichteten Verhalten und dieses wiederum zu neuen so-zialen Lebensformen, welche von der Einsicht getragen sind, dass ein sozialer Organismus sich nur auf der Basis von Kooperation entwickeln kann.Mag. Rudolf Keiblinger hielt diesen Vortrag am 23.1.2009

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Potenzieren

der D1 nehmen und wieder mit zehn Teilen Milchzucker verreiben, bekommen wir die D2 und so fort.

Bei diesem Vorgehen wird der Stoff immer mehr ausei-nander gezogen, zerdehnt. So kommen wir an die Kräfte des Goldes heran.

Wenn man das Gold stofflich verdünnt, zerdehnt, aus-

einander zieht, kommen jene Kräfte, die einst den Stoff verdichtend gebildet haben, frei und werden für unseren Körper verfügbar.

Nach Rudolf Steiner war vor der Stoffwelt eine Kräfte-welt, welche sich in den Stoff hinein verdichtet hat, wel-che sich gewissermaßen im Stoff erschöpft hat. Stoff ist in diesem Lichte hoch verdichtete Bildekraft.

Zwiauer: „Man nehme den Quarz: Mit dem Quarz als Kristall kann der menschliche Organismus nichts anfan-gen; aber Quarz als D10 ist ein beliebtes Heilmittel. In diesem Arzneimittel wirken nicht mehr die Stoffteile son-dern die Kräfte.“

Es bestehen bei naturwissenschaftlich orientierten Menschen große Bedenken bezüglich der Tatsache, dass ab der 27. Potenz kein Stoffmolekül mehr in der Lösung vorhanden ist. Es stellt sich die Frage: Was wirkt da noch? Wenn wir die vorangegangenen Aussagen verstanden haben, können wir diesen Prozess durchschauen und erkennen, dass das Kräftewirken nicht an stoffliche Mo-leküle gebunden ist. So können wir durchaus auch aus giftigen Substanzen Heilmittel herstellen. Während der Körper das Gift in der verdichteten Form nicht überwin-den kann, ist es ohne weiteres möglich, dass die gleiche Substanz in einem verdünnten Zustand heilend wirkt. Als Beispiel wird die Tollkirsche (Belladonna) angeführt.

Dr. Zwiauer hat diesen Vortrag am 23.Jänner 2009 im Rahmen der Ringvorlesung gehalten.

Etwas über den Prozess des PotenzierensJohannes Zwiauer

Wenn wir uns dem Potenzieren annähern wollen, müs-sen wir uns zuallererst eine Vorstellung davon machen, was der Stoff ist. Womit haben wir es in der physischen Natur zu tun?

Stoff hat Form, Farbe, eine gewisse Beständigkeit, er ist Ausdruck von Kräften. Durch die moderne Physik ist die Einsicht in uns wach geworden, dass es ein Verhältnis gibt zwischen Stoff und Kraft. Der Stoff kann erscheinen als Partikel oder Kraft. Ausgedrückt wird das enge Ver-hältnis von Stoff und Kraft durch die Formel: e=mc2.

Eine ungeheure Energiemenge wird verdichtet zu Stoff, im Umkehrprozess wissen wir, welch ungeheure Mengen an Energie freigesetzt werden können durch Auflösung der dichten Verbindung mittels Kernspaltung.

Diesen Zusammenhang hat Samuel Hahnemann er-kannt und versucht für die Heilkunde fruchtbar zu ma-chen. Das ließ ihn nach Vorgängen suchen, durch wel-che diese starke Verbindung zwischen dem Stoff und den Kräften gelöst werden kann. Er begann den Stoff zu zerkleinern, verdünnen, zerreiben, um diesen Stoff Kraftzusammenhang zu lockern und immer mehr zu zerdehnen. Dadurch bekam er Zugang zu den Kräften.

Als Beispiel können wir uns Folgendes vor Augen füh-ren: Da haben wir ein Stück Gold. Wenn nun ein Mensch dieses Stück Gold isst, passiert gar nichts, außer, dass er es wieder ausscheidet. Der Körper kommt an diese verdichtete Materie mit seinen Aufschließungskräften nicht heran, er kann sie nicht verwerten. Wird dieses Stück Gold fein zerrieben und, sagen wir in einem Ver-hältnis von 1:10 – das heißt, ein Teil Gold und zehn Teile Milchzucker – eine Stunde lang verrieben, dann haben wir eine D1 (Dezimalpotenz). Wir können dann immer weiter verdünnen. Wenn wir ein Teil von der Substanz

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Boden als lebendiger Organismus

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Der Boden als lebendiger OrganismusWalter Sorms

Inhaltlich lässt sich der Vortrag von Walter Sorms in

drei große Bereiche gliedern, welche einander bedingen:

Der Boden als LebewesenEine gute Ernte ist die beste VorfruchtDammkultur als effiziente Bearbeitungsmethode

Der Boden als lebendiger OrganismusWenn in biodynamischen Zusammenhängen vom Boden als einem Bodenlebewesen gesprochen wird, entsteht oft der Eindruck, dass mit diesem lebendigen Wesen oder Organismus die Summe aller im Boden lebenden Organismen gemeint ist. Walter Sorms tritt dieser Denk-Ungenauigkeit mit Entschiedenheit entgegen und beruft sich dabei auf Forschungsergebnisse aus der langjährigen akribischen Forschungsarbeit von Dr. Edwin Scheller. Dabei handelt es sich um eine außerordentliche Entde-ckung: Dr. Scheller konnte die Existenz von spezifischem Erdeiweiß nachweisen. Die Tragweite dieser Entdeckung können wir noch gar nicht abschätzen. Wenn wir das für wahr nehmen, dann ist der Boden ein eigenes Lebewe-sen und das muss weitgehende Folgen für unseren Um-gang mit dem Boden haben.

Eiweiß ist der zentrale Stoff des Lebens. Überall wo Ei-weiß ist, kann das Leben andocken. Die Erkenntnis, dass es ein eigenes Erdeiweiß gibt, bedeutet, dass der Boden lebt. Und überall wo etwas lebt, wirkt eine Kraft.

Und so erklärt uns Walter Sorms in seinem Vortrag auf der Grundlage dieser Annahme sein Verständnis für den Umgang mit dem Boden und die dafür speziell ent-wickelten technischen Hilfsmittel zur Bearbeitung des Bodens.

Er stellt sich drei Kernfragen:

• Wo liegt die Quelle des Ertrages, wenn die Theorie von der Pflanze als zehrendem Organismus aufgegeben wird? (Staubsaugerfunktion der Pflanze)• Wie ist der Satz „Der gute Ertrag ist die beste Vorfrucht“ zu verstehen? • Wie können wir – neben einer durchdachten Fruchtfolge – über die Bodenbearbeitung der Tatsache gerecht werden, dass der Boden ein lebendiger Organismus ist?

In der Landwirtschaft begann sich mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts die mechanistische Auffassung von Welt und Natur durchzusetzen. Demnach muss eine Pflanze für ihr Wachstum Stoffe aus dem Boden aufneh-men. Das bedeutet: Je besser sie wächst, desto mehr Stoffe entzieht sie dem Boden. Daher müssen dem Bo-den jene Stoffe, welche die Pflanze entzogen hat, in mi-neralischer Form wieder zurückgegeben werden. Diese Ansicht führte dazu, dass aus verschiedenen Gegenden der Welt mineralische Dünger - Grundstoffe - eingeführt wurden und noch immer werden. Die geisteswissen-schaftlichen Grundlagen der biodynamischen Landwirt-schaft widersprechen dieser Annahme.

Hier setzt Walter Sorms an, wenn er sagt: „Aus bio-dynamischer Sicht sind wir angehalten, dem Lebendigen gegenüber ein Vertrauen zu hegen, dass das Leben für sich selber sorgt. Wir haben als Bauern und Bäuerinnen die Aufgabe, die Gesetze zu erkennen, nach denen das Lebendige sich erhält. Auf Grundlage dieser Gesetze kön-nen wir dann die richtigen Bedingungen schaffen durch angepasste Bodenbearbeitung, sorgfältige Saatgutselek-tion und zeitgerecht durchgeführte Pflegemaßnahmen

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Boden als lebendiger Organismus

sowie Präparateanwendungen.Walter Sorms beginnt damit, dass er die Frage nach

der Quelle des Ertrages stellt. Er legt seinen Überle-gungen und Ausführungen die drei Grundgesetze des Lebens zu Grunde:

• Jedes Lebewesen besteht aus Eiweiß.• Jedes Lebewesen betreibt Stoffwechsel.• Für den Stoffwechsel wird Energie gebraucht.

Die Pflanze kann – und das hat sie dem Menschen ge-wissermaßen voraus – die Energie direkt von der Sonne aufnehmen. Sie wandelt diese Energie in einem Verdich-tungsprozess um. Vermittelt über die Ernährung wird dann dem Tier und dem Menschen diese Energie für die je eigenen Lebensprozesse zur Verfügung gestellt.

Diese Energie verdichtet sie zu Zucker, Stärke – zu Ma-terie.

In diesem Umbildungsprozess entstehen auch Sub-stanzen, welche die Pflanze in den Boden hinein aus-scheidet.

Um die Wurzelspitzen herum verdichten sich solcher-art die Lebensprozesse, da sich Kleinstlebewesen in hoher Zahl von diesen Pflanzen-Ausscheidungssubstan-zen ernähren können. Diese Kleinstlebewesen erzeugen Ausscheidungsstoffe und diese wiederum sind beteiligt am Humusaufbau.

Ein Boden ist dann fruchtbar, wenn Aufbau und Ab-bau im Gleichgewicht sind. Und wir können sehen, dass dieses Gleichgewicht keine Angelegenheit von Stoff-mengen ist, sondern in erster Linie abhängt von den Lebensprozessen sowohl in der Pflanze als auch im sie umgebenden Erdreich. Das Gesagte gilt dann, wenn die Pflanze sich aus dem Lebendigen des Bodens ernähren muss und nicht künstlich ernährt wird.

Neben der Einsicht, dass sorgfältig kompostierter Stallmist von verdauungsstarken Tieren den kontinuier-lichen Humusaufbau ermöglicht, unterstreicht Walter Sorms die Tatsache, dass es aber auch ein vitales Pflan-zenwachstum braucht, um den Boden fruchtbar zu hal-ten. In diesem Sinne meint er:

Eine gute Ernte ist die beste Vorfrucht

Ist diese Aussage nicht ein Widerspruch zur Liebig-schen Formel vom Stoffausgleich? Denn in diesem Sinn müsste der Mangel an, von der Pflanze aufgenom-menen, Stoffen im Boden nach einer guten Ernte viel größer sein.

Walter Sorms erläutert diese Problematik an einem Versuch:

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Boden als lebendiger Organismus

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Auf zwei Versuchsfeldern - ein Feld wird mit Kali ge-düngt, eines bleibt ungedüngt - werden Rüben gebaut. Der Ertrag auf dem ungedüngten Feld war genauso hoch, wie auf dem gedüngten. Die Erwartung, dass man auf dem ungedüngten Feld einen Rückgang von Kali nach-weisen könne, erwies sich als Fehleinschätzung. Es war sogar nachzuweisen, dass auf dem ungedüngten Feld der Kaligehalt gestiegen war. Walter Sorms führt diesen Versuch an, um zu zeigen, dass ein hoher Ertrag – inso-fern er nicht auf hohe Düngergaben zurückgeführt wer-den kann – ein Zeichen für vitale, „fleißige“ Pflanzen ist, welche neben dem hohen Ertrag auch noch Überschüsse in den Boden hinein produzieren. Er erklärt das damit, dass solche vitale Pflanzen einen hohen Energieumsatz haben. Je besser eine Pflanze wächst, desto mehr Sub-stanzen bildet sie, welche sie in den Boden hinein aus-scheiden kann und desto mehr Lebewesen können sich rund um die Wurzel herum entwickeln und desto mehr Prozesse werden in Gang gesetzt:

Damit werden Lebensgrundlagen für eine Vielfalt von Pilzen, Bakterien und andere Mikroorganismen geschaf-fen. Und das wiederum unterstützt den Humusaufbau.

Von der Frohwüchsigkeit der Pflanze

Der Bauer ist also angehalten, dafür Sorge zu tragen, dass die Pflanzen ihre optimalen Bedingungen für ein vitales Wachstum vorfinden.

Walter Sorms hält nichts von jener Haltung, von der Natur nur zu nehmen, was sie uns von sich aus gibt. Dies gilt selbstredend für jene Kulturpflanzen, welche der Er-nährung von Tier und Mensch dienen.

Der Mensch als Bauer muss die Prozesse der Natur – und für diesen Themenkreis – die Prozesse im Boden genauestens beobachten und studieren. Aus einem sol-chen Verständnis kann er der Natur, ohne diese zu schä-digen, höhere Erträge abringen. Das richtige Maß und das Vermeiden von Einseitigkeiten jedweder Art zugun-sten von höheren Erträgen müssen in diesem Zusam-menhang jedoch stets bewusst bleiben.

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Boden als lebendiger Organismus

„Wenn nämlich für irgendeinen Ort der Erde ein Niveau, das Obere der Erde, vom Inneren der Erde sich abgrenzt, so wird alles dasjenige, was sich über

diesem Niveau einer bestimmten Gegend sich erhebt, eine besondere Neigung zeigen zum Lebendigen, eine

besondere Neigung zeigen sich mit dem Ätherisch-Lebendigem zu durchdringen. Sie werden es daher leichter haben, gewöhnliche Erde, unorganische,

mineralische Erde, fruchtbar zu durchdringen mit humusartiger Substanz oder überhaupt mit einer

in Zersetzung begriffenen Abfallsubstanz, wenn Sie Erdhügel aufrichten und diese damit durchdringen.

Dann wird das Erdige selber die Tendenz bekommen, innerlich lebendig, pflanzenverwandt zu werden.“1

1 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“, 7. Auflage, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1984; S 90

„Ein kümmerliches Pflanzenwachstummuss uns weh tun“

sollte nach Ansicht von Walter Sorms zum Credo eines jeden Bauern werden. Voraussetzung dafür ist allerdings zum einen ein Verständnis vom Boden als Organismus und zum anderen, dass die Pflanze aus der Lebendigkeit des Bodens wachsen soll und nicht durch „Infusionen“.

In unseren Breiten haben wir alle Nährstoffe für die Pflanzen in Hülle und Fülle in der unmittelbaren Umge-bung der Pflanze. Wir müssen nicht Nährstoffe von weit herkarren. Aber wir können die vorhandenen Nährstoffe für die Pflanzen nur verfügbar machen, wenn wir uns da-rum bemühen die Bedingungen des Lebens zu verste-hen.

Wer das Lebendige verstehen will, muss sich fragen:

Wie schaffe ich lebensfreundliche Bedingungen?

Dies sollte das Motto sein für alle Überlegungen zur • Düngung und zur• Bodenbearbeitung.

Lebensfreundliche Bedingungen sind immer die mittle-ren Zustände zwischen

nass und trocken,heiß und kalt, stickig und Durchzug.

Walter Sorms bringt den Vergleich mit einem Haus, welches auch gegen Nässe und Austrocknung isoliert ist, welches eine Dämmung hat gegen Hitze und Kälte.

Und dieser Vergleich soll hinführen auf eine Boden-struktur, die diese Eigenschaften erfüllt. Ein krümeliger Boden braucht sechs Kältegrade mehr, bis er gefriert. Ausgehend von dieser Krümelstruktur führt uns Walter Sorms hin zum vierten Vortrag im „Landwirtschaft-lichen Kurs“:

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Grundelemente der Umwandlung

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Dammkultur führt zur Verlebendigung des Bodens

Unbefriedigende Erfahrungen mit der pfluglosen Bo-denbearbeitung, dann später mit dem Pflügen und die über Jahre zusammengetragenen Erkenntnisse über das Lebendige, verbunden mit diesem Hinweis von Rudolf Steiner haben Walter Sorms zur Dammkultur geführt. Gut durchdachte, aber im Grunde einfache technische Vorrichtungen machen diese Bodenbearbeitung möglich Walter Sorms berichtet, dass das Gleichgewicht zwi-schen Humusaufbau und Humusabbau durch diese Bo-denbearbeitungsmethode besser zu halten ist, dass die oben genannten Einseitigkeiten besser auszugleichen sind und daher die Lebendigkeit und auch die Gesund-heit im Boden steigt.

Anhand von einigen Tafelzeichnungen von technischen Vorrichtungen erklärt Walter Sorms seine Bodenbearbei-tung und es gelingt ihm, jene Prozesse zu veranschau-lichen, welche die Dammkultur als sinnvolle Methode auszeichnen:bessere Durchluftung, Durchlichtung und Durchwär-mung

Die anwesenden Bauern und Bäuerinnen waren von den Ausführungen so angetan, dass die Idee einer Ex-kursion nach Rengoldshausen in den Raum gestellt wur-de, um diese Bodenbearbeitungsart an Ort und Stelle zu studieren. Daher werden weitere und genauere Ausfüh-rungen zu diesem Thema nach der Exkursion folgen.

Zur Person: Familiengeschichtlich betrachtet stammt Walter Sorms nicht aus der Landwirtschaft. Nach dem Besuch einer Waldorfschule widmete er sich dem Schleifen von Tur-malinen und brachte es dort zu großem Können. Trotz-dem rief ihn die Landwirtschaft. Er legte die Meisterprü-fung als Landwirt ab und ging für ein Jahr nach Brasilien.

Die dortigen Bodenverhältnisse, die klimatischen Be-dingungen, vor allem aber die soziale Toleranz im Zu-sammenleben hinterließen einen bleibenden Eindruck. Zusammen mit E.v. Wistinghausen und zwei Gärtnerfa-milien pachteten Walter Sorms und seine Frau ab 1985 das Hofgut Rengoldshausen in Überlingen, welches ur-sprünglich von einer Industriellenfamilie aufgekauft und zur Pacht freigegeben wurde.

Inmitten des Obstbaugebietes Bodensee, drei Kilome-ter östlich von Überlingen, liegt das Hofgut Rengolds-hausen. Seit dem Jahr 1932 wird dort biodynamisch ge-wirtschaftet. Aus dem ursprünglich reinen Milchviehbe-trieb ist mittlerweile ein vielfältiger Betriebsorganismus entstanden.Er gliedert sich in die Bereiche:

• Landwirtschaft • Gärtnerei • Samenzucht • Das landwirtschaftliche Grundjahr als speziellen Ausbildungsbereich

Derzeit leben und arbeiten mehrere Familien, Gehil-fen, Auszubildende und bis zu zehn Schüler des land-wirtschaftlichen Grundjahrs auf dem Hof. Zusammen mit einer zweiten Familie ist Walter Sorms und seine Familie für die Tierhaltung und den Ackerbau zustän-dig, zwei Familien leiten die Gärtnerei, eine Familie leitet die Ausbildung im Grundjahr und Frau Brigitte von Wistinghausen betreibt Saatgutzucht und -forschung. „Biodynamische Landwirtschaft bedeutet für uns nicht nur Verzicht auf Kunstdünger, chemisch-syn-thetische Pflanzenschutzmittel und gentechnische Manipulation, sondern auch die bewusste Pflege der gesamten Lebenszusammenhänge der Natur“.

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Grundelemente der Umwandlung

Das können wir beispielsweise bemerken, wenn wir den „ökologischen Fußabdruck“ des Menschen näher betrachten. Bereits die Überkonsumtion und Überaus-beutung durch einige wenige Länder ermöglichen es, die regenerativen Kräfte der Erde zu überschreiten und somit die gesamte Welt in eine nicht nachhaltige Situa-tion zu bringen. Für viele Menschen ist unnachhaltiges Handeln und Leben normal geworden.

Nachhaltigkeit, als notwendiges Prinzip des Leben-digen, können wir uns sehr gut vergegenwärtigen, wenn wir uns dem Boden annähern. Hier sehen wir, dass die lebenserhaltende Qualität der Böden in Gefahr ist, etwa durch Abschlämmung oder Bodenabtrag, durch Ver-dichtung und auch durch den Kohlenstoffverlust. Wir lernen, dass wir dem Boden mit der Düngung etwas zurückgeben müssen, damit die organische Substanz er-halten oder vielleicht sogar gesteigert werden kann.

Humusbildung und Düngung stehen in einem engen Zusammenhang.

„Man muss wissen, dass das Düngen in der Ver-lebendigung der Erde bestehen muss, damit die

Pflanze nicht in die tote Erde kommt und es schwer hat, aus ihrer Lebendigkeit heraus das zu vollbrin-

gen, was bis zur Fruchtbildung notwendig ist.”2

Da bei der Bodenbildung komplexe und empfindliche Prozesse ablaufen, kommt gerade der Kompostierung hohe Bedeutung zu. Während wir die Kompostierung begleiten, versuchen wir etwas aus dem Geistigen ins Verstehen zu bringen und nicht blind Rezepte anzuwen-den.

Da die Erde selbst als ein komplexer Organismus be-

2 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“, Landwirtschaftlicher Kurs; Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985

Grundelemente der Umwandlungspro-zesse während der KompostierungFlorian Amlinger

Einleitung

„.Und solang du das nicht hast,Dieses: Stirb und werde!

Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde.” 1

Was Goethe vor langer Zeit zum Ausdruck brachte, ist eine wichtige Erkenntnis für die Grundlage der biodyna-mischen Landwirtschaft und formuliert eine Grundeigen-schaft des Lebendigen auf unserer Erde. Gemeint sind Transformationsprozesse und Entwicklungen, denen wir als Menschen, genauso wie der Boden, unterworfen sind. Wenn wir versuchen uns dem Boden anzunähern, erwerben wir ein Grundverständnis für die Prozesse von Aufbau und Abbau und damit auch für die Kompostie-rung.

Dieser Aufbau und Abbau geschieht in der Natur laufend und in der Landwirtschaft versuchen wir Men-schen diesen Prozess so zu steuern, dass wir ein ganz bestimmtes Endmaterial erhalten. Das ist eine der Tä-tigkeiten des Menschen, wo er daran teilnehmen kann, wie Neues geschaffen wird. Wenn wir nicht mit der Natur denken und arbeiten, sondern den Fehler machen gegen die Natur zu wirken, verhalten wir uns auf eine unnatür-liche Weise und die kurzfristig auftretenden Vorteile da-von verschwinden sehr schnell.

1 Goethe, Johann Wolfgang: „Der west-östliche Divan“, Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1974

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Grundelemente der Umwandlung

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noch größeren Unterschied was die Oberflächenstruktur betrifft.

Abbildung 1: Innere Oberfläche des Bodens Bundesgüte-gemeinschaft Kompost e.V., 2005

So erreichen Böden auf einer Fläche von einem Hektar und einer Tiefe von 20 cm mit 20% Ton und 3% stabilem Humus eine Oberfläche von 210000 m2 (Blum, 2006). Es ist das Hauptziel der Kompostierung, stabile Humus-formen aufzubauen. Dann kann der Boden im Feld auch leichter bearbeitet und von Pflanzen besser durchwur-zelt werden.

griffen werden kann, braucht es den Eintrag aus allen Wirklichkeitsebenen: aus der materiellen, geistigen und seelischen Dimension.

Der Boden ist eine enorme Ressource, ein Lebens-raum für Tiere und Pflanzen. Er wirkt als Puffer gegen Verschmutzung und er filtriert und säubert das Grund-wasser. Nicht nur die physikalischen Teile eines Bodens ermöglichen diese Prozesse, sondern auch die Lebewe-sen, die sich im Boden befinden. Diese Lebewesen - von den Mikroorganismen über alle möglichen Arten von Kleinsttieren bis hin zu den Regenwürmern - kommen hauptsächlich in den obersten Schichten des Bodens vor, wo sich auch der Humus befindet. Diese Tatsache muss man sich vor Augen führen, wenn man sich mit der Düngung beschäftigt. Diese Lebewesen werden als erste mit der Düngung konfrontiert. Bezieht man diese Anschauung in die Überlegungen zum Düngen mit ein, wird das auf die Art der Düngung Einfluss nehmen, denn die Stoffwechselprozesse all dieser Lebewesen tragen eminent zur Verlebendigung des Humus bei, sodass Ru-dolf Steiner im Landwirtschaftlichen Kurs den Humus „ein Belebungsmittel der Erde“ nennen konnte.

Der Humus, äußerlich wahrnehmbar in der dunkleren Färbung des Bodens, hebt die Komplexität eines Bo-dens, verbessert die Struktur durch die Bildung von Ag-gregaten, sodass mehr Wasser und Luft zur Verfügung stehen und bildet zusätzlich eine größere Oberfläche, wo Bodentiere, Minerale und Nährstoffe miteinander in Kontakt kommen. Eine größere Oberfläche bedeutet immer auch mehr Lebensmöglichkeiten, das heißt dass mehr Stoffwechselprozesse stattfinden.

Die Oberflächenbildung hängt ab von der Zusammen-setzung des Bodens. So sind die Tonteilchen kleiner als die Teilchen des Schluffbodens oder die von Sand und bilden deshalb auch eine größere Oberfläche. Diese Ei-genschaft beeinflusst die Aufnahme und Bindung von Wasser und Luft. Der Anteil von Humus macht einen

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Grundelemente der Umwandlung

Wie kann die Beziehung zwischen Boden und Pflanze verstanden werden?

„Es ist für viele Pflanzen gar keine scharfe Gren-ze zwischen dem Leben innerhalb der Pflanze und dem Leben im Umkreis, in dem die Pflanze lebt.”3

Die Beziehung zwischen Pflanze und Boden als Le-bensraum – und in unserem Zusammenhang ist vor allem der Humus gemeint – ist so, dass das Eine ohne das Andere nicht sein kann.

Das ist besser einzusehen, wenn man bedenkt, dass Humus immer aus Sonnenenergie entsteht, welche von der Pflanze über die Photosynthese hereingeholt wird. Es sind die Pflanzen, welche von den Tieren gefressen und im Verdauungsprozess umgewandelt werden und in dieser umgewandelten Form für den Aufbau von Hu-mus sorgen. Die Pflanze ist völlig umgewandelt, wenn keine Struktur des Ausgangsmaterials in dem Humus mehr vorhanden ist. Dieser strukturauflösende Prozess ist die Voraussetzung, damit wieder neue Strukturen auf-gebaut werden können. Leben ist nur möglich in diesem Spannungsfeld zwischen Abbau und Aufbau. Und es ist ein großes Forschungsgebiet für die Wissenschaft und ein weites Übungsfeld für die Empfindungsfähigkeit des Bauern oder der Bäuerin, dieses Geheimnis von Abbau und Aufbau in der richtigen Weise zu erkennen, wie es im Goethezitat schon angesprochen ist.

Die Stabilität von Humus entsteht durch eine Verbin-dung zwischen den Huminstoffen und dem Tonmineral. Die Tonminerale sind ein Teil des physikalischen Bodens. Diese Verbindung ist chemisch so zu verstehen, dass der Ton eine negative Ladung hat und der Humus reich

3 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“, Landwirtschaftlicher Kurs; Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985

an Kationen ist. Die endgültige humifizierte organische Substanz ist auch durch Wasserabstoßung stabilisiert, deswegen können größere Aggregate in huminreichen Böden vorkommen. Die Aggregate sorgen für vielfältige Lebensbedingungen für die Lebewesen des Bodens, so dass eine erhöhte Komplexität und eine Anhebung der Ebene des Bodens vom Physikalischen zum Lebendigen erfolgen kann. Diese Annäherung an das Lebendige ist gekennzeichnet durch das vermehrte Auftreten von tie-rischem und mikrobiellem (pilzlichem und baktriellem) Leben in diesem Milieu.

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viele Boden-tiere in einem Boden leben, ist hier ein Beispiel von Blum (2006) angeführt: in einem Hektar Boden mit 30 cm Tie-fe können 25 Tonnen Biomasse als Edaphon enthalten sein.

Es hat sich herausgestellt, dass durch Einbringen von Kompost in den Boden, die Zahl der Regenwürmer steigt, und die Biodiversität der Bodentiere generell er-höht wird. Für den Landwirt oder die Landwirtin ist es auch bedeutsam, dass durch höhere Enzymaktivität und einen größeren metabolischen Quotienten der Ertrag aus dem Pflanzenwachstum größer wird.

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Grundelemente der Umwandlung

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Abbildung 2: Das Edaphon - Der Boden als Lebensraum (nach Voitl et al., 1980; Blum, 2006)

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Grundelemente der Umwandlung

Die Bedeutung des Kohlenstoffs in der Kompostfrage

Kohlenstoff im Boden kann in verschiedenen Formen vorkommen, die auch die Stabilität beeinflussen. Humin ist die stabilste Form von Kohlenstoff, Huminsäure-C ist weniger und Fulvosäure-C noch weniger stabil. Die Tabel-le von stabilen Kohlenstoffverbindungen in organischen Düngern zeigt den Fertigkompost mit dem größten An-teil an stabilen Fraktionen.

Auch ein Langzeitversuch mit biodynamischer Mist-düngung, als eine von fünf organischen Düngevarianten (DOK Trial) zeigt, dass Humin-C den größten Anteil an stabilen Huminstoff-Fraktionen hat, besonders bei der biodynamischen Behandlung (Fliessbach et al 2000).

Abbildung 3: Mistkompostierung in Kombination mit den biodynamischen Präparaten steigert den Huminstoffgehalt und die Krümelstabilität im Boden (Fliessbach et al., 2000)

Auch der pH-Wert ist über die Zeit erhöht, aber nur für die biodynamische Mistkompostvariante. Ein ande-rer Versuch zeigt nach 12 Jahren einen größeren Anstieg des pH-Werts bei den Böden mit größerer Kompostgabe (Kluge et al., 2008).

Zur Kompostierung

Bevor wir mit der Kompostierung beginnen, können wir uns überlegen, was wir im Gesamtprozess steuern können:

(1) die Zusammensetzung des Ausgangs- materials und Strukturierung des Haufens(2) die Sauerstoffversorgung(3) den Wasserhaushalt(4) eventuell den Temperaturverlauf

Zu (1): Es nimmt großen Einfluss auf den Kompostie-rungsverlauf, welche Ausgangsmaterialien ich wie auf-

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Grundelemente der Umwandlung

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schichte. Der Atmungsvorgang dieses sich bildenden Organismus „Komposthaufen“ muss stets im Bewusst-sein sein. Dieser Atmungsvorgang wird über die Struk-tur ermöglicht. Holzanteile sollen fein aufgefasert wer-den, zu feuchte Substanzen müssen so aufgeschichtet werden, dass (2) genug Durchlüftung möglich ist. Das kann im Gartenkompost durch Holzanteile, im Stallmist durch hohen Strohanteil erreicht werden. (3) Die Rege-lung des Wasserhaushaltes spielt nach beiden Polen hin eine große Rolle:

Wird der Komposthaufen zu trocken, kann er sehr heiß werden (über 65° C) oder im Stadium der Verpilzung stecken bleiben und damit nicht bis zum vollen Abbau gelangen.

Ist der Haufen zu nass, bekommen wir es mit Fäul-nisvorgängen zu tun, welche auch keine optimalen Um-setzungsprozesse sind und niemals zum Humusaufbau führen.

Wenn nun die Abläufe bezüglich Luftzufuhr und Was-serhaushalt nicht zufrieden stellend sind, dann kann man sich behelfen, indem der Komposthaufen umge-setzt wird.

Dieser Haufen entwickelt sich zu einem geschlos-senen Bodenbildungsorgan. Durch den Abbau, der in dem Haufen stattfindet, gehen Kohlenstoff (als CO2 und Methan) und Stickstoff (als Ammoniak) verloren. Das Ziel ist es, diesen Verlust sehr niedrig zu halten. Eine Effizienz von 40% wird erwartet, während der Rest verat-met wird. Wenn Stroh, Laub oder Erde auf den Haufen gelegt werden, kann durch Kondensation ein Abschluss nach oben geschaffen werden. Weiters ist eine mög-lichst homogene Verteilung von Kohlenstoff und Nitrat hilfreich. Das Verhältnis von Kohlenstoff zu Nitrat wird als C/N Verhältnis bezeichnet und das Optimum liegt im Verhältnis 20-35 C zu 1 N. Dann ist auch der Stickstoff-verlust möglichst gering.

.

Abbildung 4: Das C:N Verhältnis verschiedener Aus-gangsmaterialien zur Kompostierung

Abbildung 5: Beziehung des C/N-Verhältnisses und des gasförmigen Stickstoffverlustes während der Kompostie-rung (nach Grabbe und Suchardt, 1993)

Zuerst geschieht eine Massenvermehrung von aero-ben und fakultativ anaeroben Bakterien, die den leicht abbaubaren C-Gehalt umwandeln. Als zweites werden Hemizellulose und Zellulose von Bakterien und Pilzen abgebaut. Als letzter Schritt arbeiten hauptsächlich die Pilze an Lignin, was ein wesentlicher Bestandteil der Hu-

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Grundelemente der Umwandlung

musbildung ist. Die optimale Temperatur für die Pilzakti-vität beträgt zwischen 40° und 50° C.

Abbildung 6: Der Kompostierungsprozess (nach Grab-be und Suchardt, 1993)

Präparate, die im biodynamischen Landbau benutzt werden, verfeinern die Kompostierungsprozesse und können die Schwankungen dämpfen und so den Um-setzungsverlauf im Gleichgewicht halten. Der Kompost wird durch den Einsatz der Präparate stabiler und auch die Pflanzen werden gegen Krankheit gestärkt.

Aber Vorsicht: Die Präparate können nur in dieser Wei-se wirken, wenn die Grundvoraussetzungen für einen gu-ten Verlauf, wie sie oben geschildert wurden, geschaffen worden sind.

DI Amlinger weist in seinen Ausführungen auch ein-dringlich darauf hin, dass aller Humusaufbau immer einen vollständigen vorherigen Abbau braucht. Um den Boden fruchtbar und lebendig zu halten, sollen keine zu frischen, nicht fertig abgebauten Substanzen an ihn he-rangebracht werden. Kritische Würdigung und persönliche Deutung der Verfasserin:

Ein wissenschaftlicher Hintergrund für die chemischen und biologischen Prozesse, welche im Boden ablaufen, hilft uns, wenn wir uns mit der Bodenbildung und Kom-postierung näher auseinandersetzen wollen. Wir verste-hen, warum wir manchmal Geduld brauchen und auch, wie wir den Boden bewerten sollen.

Eine Wissenschaft ohne Philosophie ist nicht immer genügend. Die Philosophie der Biodynamik, dass wir Menschen Wissen aus dem Geistigen ins Verstehen bringen sollen, gerade, wenn wir die Prozesse im Boden begleiten, ist in gewissem Sinne eine große Herausforde-rung. Die geistig-seelische Welt und das Ich-Bewusstsein sind nicht so einfach zu verstehen, deshalb müssen wir uns ständig bemühen, unsere Welt bewusst wahrzuneh-men. Wenn wir dies tun, machen wir nicht den Fehler zu denken, dass wir die Kompostierung als Wissen-schaft schon völlig beobachtet und verstanden hätten. Beispielsweise kann uns das, was wir bis heute in Bezug auf die Bodenbiologie überprüft haben, wahrscheinlich noch immer zu wenig über den Boden als Organismus verraten. Es fällt uns immer noch schwer, den Boden als Lebewesen zu verstehen. Solch eine Ansicht über un-ser Wissen zu akzeptieren erfordert von uns eine Men-ge an Vertrauen. Das ist ein Vertrauen in etwas anderes als das, was wir sinnlich wahrnehmen können; es ist Vertrauen in die seelische und geistige Wirklichkeit, die wir aber nur bruchstückhaft erfassen können. Wenn wir Präparate anwenden, vertrauen wir einem Erlebnis ande-rer Menschen – Menschen, die etwas überliefert haben oder Menschen, die ein Wahrnehmungsorgan für diese Prozesse entwickelt haben. Das Wichtige ist: Sie haben etwas erfahren und wir sind selber willig weitere Erfah-rungen zu machen.

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Grundelemente der Umwandlung

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In dieser Einführung haben wir starke empirische Hin-weise präsentiert bekommen über die positive Wirkung der biodynamischen Präparate (wie zur pH-Wert Erhö-hung des Ackers durch Kompostauftragung, zur Biodi-versitätserhöhung, zur Aggregatstabilitätsverbesserung, usw.). Und diese Beweise kommen aus wissenschaft-lichen Untersuchungen. Wir sehen nun, dass es wirkt, aber wir haben keine plausible Theorie, keine plausible Erklärungshypothese dazu, warum es so wirkt. Warum wirken die Präparate also? Wie wichtig ist diese Frage? Ist sie so wichtig, dass wir den Präparaten nicht vertrauen und diese deshalb nicht anwenden wollen?

Ein zentraler Punkt zwischen dem Geistigen und dem Wissenschaftlichen wird also im Vertrauen gefunden. Wir wissen, dass die Wissenschaft noch lange nicht alles er-forscht hat und dass manchmal etwas fehlt und da bleibt es an uns selber zu suchen. Eine Suche über unsere Welt, damit wir sie verstehen. Dieses Suchen ist durch die bio-dynamische Landwirtschaft angedeutet, für Bauern und Bäuerinnen, die auf ihren Feldern und mit ihren Tieren mit diesen Phänomenen in der Praxis zu tun haben.

Es ist das Anliegen der biodynamischen Landwirtschaft die Erkenntnisse, Erfahrungen, Beobachtungen und Wahrnehmungen des Praktikers mit den Forschungs-ergebnissen der Wissenschaft in Übereinstimmung zu bringen. Das verlangt einen kooperativen Wahrneh-mungs- und Austauschprozess und gegenseitige Akzep-tanz. Es ist also eine soziale Frage. Und in unserer Zeit, wo die Landwirtschaft in ihren Grundlagen zunehmend erschüttert wird, eine existentielle. (Anm. N.W.)

Alice Budai , Gaststudentin aus Norwegen hat diesen Vortrag für diesen Sammelband aufbereitet.

Florian Amlinger hat diesen Vortrag am 21.November 2008 im Rahmen der Ringvorlesung gehalten

Literaturangaben

Binner, E., 2003. Kompostierung von biogenen Abfäl-len, Vorlesungsunterlage zur LV-Nr. 520.338. ABF, Boku, Wien

Blum, W., 2006. Verwertung von Abfällen über den Boden – grundsätzliche Überlegungen aus der Sicht ei-ner nachhaltigen Bodennutzung. Zur verfügung gestell-te Vortragsunterlagen zu einer Präsentation am 1. März 2006, Die Verwertung von Abfällen auf dem Boden. Ös-terreichisches Normungsinstitut, Wien

Bundesgütegemeinschaft Kompost e.V., 2005. Orga-nische Düngung. Grundlagen der guten fachlichen Praxis. Schriftenreihe ‚Kompost für die Landwirtschaft’, Köln.

Fliessbach, A., Mäder, P., Pfiffner, L., Dubois, D., Gunst, L., 2000. Bio fördert Bodenfruchtbarkeit und Artenviel-falt. Erkenntnisse aus 21 Jahren DOK-Versuch. Hrsg: For-schungsinstitut für biologischen Landbau. Fibbl Dossier, Nr.1, Frick.

Grabbe, K., Suchardt, F., 1993. Grundlagen der Kompo-stierung. Kompostierung und landwirtschaftliche Kom-postverwertung, KTBL-Arbeitspapier 191: 49 - 64

Kluge, R., 2008: Kluge, R., Deller, B., Laig, H., Schulz, E., Reinhold, J., Haber, N., (2008) Nachhaltige Kompostan-wendung in der Landwirtschaft. Endbericht. Landwirt-schaftliches Technologie zentrum Augustenberg, Karlsru-he, 126 S. http://www.kompost.de/fileadmin/docs/shop/Anwendungsempfehlungen/ltz_Abschlussbericht---

Nachhaltige-Kompostanwendung-in-der-Landwirt-schaft_BGK.pdf [29/11/2008]

Steiner, R., 1924: Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“, Landwirtschaftlicher Kurs; Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985

Voitl, H., Guggenberger, E., Willi, J., 1980. Das große Buch vom biologischen Land- und Gartenbau. Orac-Pietsch, Wien.

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Das Wesen der Pflanze

Einführung in das Wesen der Pflanze, ihre Lebensbedingungen und ihr Bezug zu den übrigen Organen des landwirtschaftlichen OrganismusBertold Heyden

Ausgehend von einem Scheideweg, an dem heute die Pflanzenzüchtung – im Speziellen die Getreidezüchtung, steht, geht der Vortragende auf das Wesen der Pflanze im Allgemeinen und in weiterer Folge auf die Getreidear-ten ein.

Hat die Gruppe der Monokotyledonen oder Einkeim-blättrigen eine Sonderstellung im Pflanzenreich inne, so nehmen die einzelnen Getreidearten innerhalb der Gramineen oder Gräser noch einmal einen besonderen Standort ein.

Durch die gegenseitige Bezogenheit – entfernt ähnlich jener von Mensch und Haustier – sollte an jede Art von Beeinflussung nur höchst sensibel herangegangen wer-den.

Dieses Herangehen erfordert jedoch eine Reihe von Einsichten, die nur im Gefolge von geisteswissenschaft-lichen Erkenntnissen sich erringen lassen.

Die Komponenten „Vegetativ“ bzw. „Generativ“

Ein wesentlicher Einstieg in das Wesen der Pflanze ist das Wahrnehmen irdischer und kosmischer Einflüsse.

Ist der irdische Einfluss gekennzeichnet durch die ve-getative Komponente, so ist das Kosmische durch den generativen Aspekt erkennbar.

Dass die Trennlinie keine exakte ist, und dass die Punkte an den verschiedenen Pflanzenfamilien unter-schiedlich sind, wird noch dargelegt werden. Grundsätz-lich sind Pflanzen Teilorgane des Erdorganismus.

Als „Sinnes“-Organe können sie bezeichnet werden, indem sie sich im Blühen zum Kosmischen hinwenden. Gleichermaßen „Sinnes“-Organe sind sie, indem sie be-reits vorher kosmische Impulse aufgenommen haben.

Jedes vegetative Wachstum, ob Rosetten-Pflanze oder Baum, trägt zur Substanzbildung bei.

Dieser Aufbauprozess wird durch das Generative des Blühvorganges begrenzt.

Auf den lebendigen Erdorganismus bezogen, kann dessen Grenze bis an diese Blühregion verschoben wer-den.

Das Seelische im Blühen

Wenn hier auch nicht von einer Pflanzenseele gespro-chen werden kann, so wirken doch in ihren Bildekräften seelische Impulse.

Diese sind jedoch von außen bildende, nicht wie die Tier- oder Menschenseele innerlich empfindend.

Das zur Tierseele hinströmende mancher Blütenpflan-zen fehlt den Gräsern und damit dem Getreide vollkom-men. Das Tier ist ausgeschaltet und die Bestäubung ein Vorgang, der sich allein zwischen Himmel und Erde voll-zieht.

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Das Wesen der Pflanze

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Das Wesen der Pflanze

Wachstumsvorgänge

Sichtbar hineingestellt in ein, das Leben unterstüt-zendes Spannungsfeld von Erde und Kosmos erscheint die Pflanze in ihrer Gesamtheit von Wurzel, Spross und Blüte.

Was in den Metamorphose-Ausführungen als „über“-sinnlich ausgelöste Phänomene dargelegt wird, soll hier auf die sinnlich-erfahrbare Ebene gehoben oder herun-tergebracht werden.

Zum Verständnis der Pflanzengestalt ist es wichtig, streng zu unterscheiden zwischen dem Substanz schaf-fenden vegetativen Wachstum und dem Heraustreiben des Blütenstandes.

Das erstere ist vom Zellwachstum her deutlich nach unten gerichtet, wobei im Verlaufe des sichtbaren Wachs-tums kontinuierlich Sprossachse und Blattanlagen gebil-det werden.

Eine ganz andere Art von Wachstum stellt sich dar, wenn ein Blütentrieb nach oben geschoben wird. Auf die Getreidearten bezogen heißt das, im Vegetationskegel unter der Erde „schlummert“ metaphysisch gesehen – bis zur Unkenntlichkeit verkleinert und kunstvoll zusam-mengefaltet – die Pflanze bis in die oberste Kornlage.

Durch den Blühimpuls beginnt der Inhalt dieses Ve-getationskegels sich auszudifferenzieren; die Anzahl der möglichen Blüten und Verzweigungen im Blütenstand ist schon vorgegeben.

Damit ist die Gestaltbildung im Prinzip abgeschlossen, ohne dass ein Halm zu sehen ist.

Die Geste des Wachsens zum Kosmos hin wird durch das Schossen noch unterstrichen.

Der verbleibende Rest teilungsfähigen Gewebes schei-det nun an jedem Halmknoten Zellen nach oben ab. Je-der Halmabschnitt wird daher von unten gebildet. Das

oberste Internodium mit der schon vorhandenen Ähren-lage wird zuletzt von diesem Prozess ergriffen.

Zumindest im anthroposophischen Saatgutbereich ist dieser letzte Halmabschnitt ein wichtiges Kriterium für die innere Lebendigkeit der Getreidepflanze.

Auch die Blattbildung erfolgt nach dem Prinzip des Geschoben-Werdens. Das hervor sprießende Blatt wird unmittelbar in seiner Gestalt festgehalten; durch die Zell-teilung an der Basis wird es nur in die Länge geschoben, dadurch entsteht das parallel-nervige Gras- oder Getrei-deblatt.

Das Phänomen der Grannen

Botanisch sind Grannen einfach erklärt. Bei begrannten Weizensorten erscheinen sie deutlich abgesetzt als Ver-längerung der Deckspelze; bei Gersten allmählich über-gehend. Sie sind ursprünglich als Hilfe zur Verbreitung der Samen anzusehen, sind durch die spürbaren Wider-haken zumindest nicht abwegig, sagt aber über einen eventuellen Zusammenhang mit dem Thema Nahrungs-qualität noch nichts aus.

Bezeichnenderweise kommt dieser Begriff „Nahrungs-qualität“ in der beschreibenden Sortenliste des Bun-dessorten-Amtes gar nicht vor. Dazu ein Satz aus dem „Landwirtschaftlichen Kurs“: „Sie können ja irgendwel-che Frucht ziehen, die glänzend aussieht, auf dem Felde oder im Obstgarten, aber sie ist vielleicht für den Men-schen nur Magen füllend, nicht eigentlich sein inneres Dasein organisch befördernd“.1

1 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Ge- Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Ge-deihen der Landwirtschaft“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985

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Das Wesen der Pflanze

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Dazu zwei Darstellungen aus der Bildekräfteforschung von Dorian Schmidt.

Unbegrannter Weizen Begrannter Weizen

Das Bemühen der biodynamischen Getreide-Züch-tung zielt zwar hin auf den Begriff Nahrungsqualität, dies kann derzeit jedoch nur ein Hintasten sein.

Zum Einen kommt immer mehr zu Tage, dass die Analyse der Inhaltsstoffe nur bedingt über die Qualität eines Nahrungsmittels etwas aussagen kann; zum An-deren besteht die anthroposophische Sichtweise, dass diese Qualität abhängig ist von Kräften, die stark in der Gestaltbildung der Pflanze verankert sind. Um hier sub-jektive Kausalitäts-Fallen zu umgehen, bedarf es noch größter Anstrengungen im Hinblick auf die Erhellung der Zusammenhänge.

Dazu ist es unabdingbar in den Bereich des Leben-digen vorzudringen, da nur dort die Kräfte zu finden sind, die uns über das Stoffliche hinaus ernähren.

Zwei bisher angewandte Verfahren sind die• Bildschaffenden Methoden (Kupferchlorid-Kristallisation, Steigbild, Rundfilterchromatographie) und die von Dorian Schmidt entwickelt Methode der• Bildekräfte-Forschung

Was vorläufig als Erkenntnis erarbeitet wurde ist, dass begrannte Sorten den unbegrannten an Reifung und Vi-talität überlegen sind.

Bei der zweiten Methode werden Körner verkostet; die Wahrnehmung der Bildekräfte wird beschrieben und in einer Skizze festgehalten. Diese Wahrnehmung zeigt bei den begrannten Sorten ein deutliches Ausgerichtet-Sein nach oben, und bei den unbegrannten zur Erdenschwere hin.

Eine Korrelation von Grannenweizen und hoher Back-qualität konnte jedoch bis jetzt noch nicht bewiesen wer-den.

Weizensteinbrand und Schachtelhalm

Der Weizensteinbrand oder Stinkbrand gefährdet zu-nehmend den hofeigenen Nachbau von Winterweizen.

Nachdem im biodynamischen Landbau keine che-mischen Beizmittel angewandt werden, war es notwen-dig, bei beginnendem Auftreten nach alternativen Maß-nahmen zu suchen.

Im „Landwirtschaftlichen Kurs“ wird Schachtelhalm als Heilmittel empfohlen. Am Keyserlingk-Institut wur-den auch andere Mittel versucht, die zum Teil befriedi-gende Ergebnisse gebracht haben. Es waren dies unter anderem Kornrade-Mehl, Meerrettich-Saft, Kresse-Saft, Tonmehl. Die sicherste Methode ist noch immer das auf-wändige Waschen mit kaltem Wasser und einem gerin-gen Spülmittelzusatz (Wirkungsgrad cirka 85%).

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Das Wesen der Pflanze

Zusätzliches Beizen mit Kornrademehl und Tonmehl hat den Wirkungsgrad auf 94% erhöht.

Entscheidend für den Erfolg sind die Höhe des Befalls und auch der Saatzeitpunkt, der möglichst früh ange-setzt werden sollte. Die Anwendung von Schachtelhalm als Tee oder Jauche hat bis jetzt noch zu keinen großflä-chigen Erfolgen geführt. Vielleicht kann der Gedanke von Rudolf Steiner weiterführen, „was das Equisetum arvense für einen merkwürdigen Einfluss auf den menschlichen Organismus hat, auf dem Unweg durch die Nierenfunk-tion…“2.

Schwierigkeiten im Landsorten-Anbau

Die Hauptschwierigkeit ist die Kleinräumigkeit des An-baues der einzelnen Sorten. Zusätzlich beschränkt die Rechtslage den Anbau einer einzelnen Sorte auf 50 ha um nicht mit dem Zuchtregister oder gewerblichen Züchtern in Kollision zu geraten. Ein weiterer Schwachpunkt ist das im Laufe der Jahre zunehmende Höhenwachstum, in der Regel verbunden mit einer abnehmenden Stand-festigkeit. Die zunehmende Steinbrandgefahr durch die Weiterverwendung des Saatgutes ist besonders in un-günstigen Lagen zu beachten. Bei der Ernte besteht die Gefahr der Vermischung mit dem im Mähdrescher ver-bliebenen Saatgut aus anderen Äckern.

Eine weitere Schwierigkeit kann aus dem wechselnden Anbau in Höhen- bzw. Tallagen, auf Kalk- bzw. Kiesel-grundgestein, zu winternahen bzw. sommernahen Saat-Zeitpunkten entstehen.

Durch diese Maßnahmen wird eine Landsorte zwar beweglich und viellinig, bietet aber in der Regel kein un-formes Erscheinungsbild.

Diese negative Aufzählung ändert aber nichts an der

2 weiterführend dazu der Aufsatz: „Zum Verständnis der Schach-weiterführend dazu der Aufsatz: „Zum Verständnis der Schach-telhalmwirkung“, Mitteilungen 1993

Kieselformen Kalkformen

Tatsache, dass Hof- oder Regionalsorten ein großer Schritt aus der momentan bestehenden Abhängigkeit wären. Außerdem beginnt die Nahrungsmittel-For-schung wenigstens im anthroposophischen Bereich zu erkennen, was über die Stoffe hinaus für die menschliche Entwicklung essentiell ist.

Eine andere Art von Reagieren auf die Misere ist die Forschung an Wildgräsern. Ausgehend von Zitaten aus dem „Landwirtschaftlichen Kurs“ die Degeneration der Nahrungspflanzen betreffend, gibt es seit damals Ver-suche, einige Wildgräser zu „domestizieren“. Domesti-zieren deshalb, weil vom Gras her Eigenschaften aufge-geben werden müssen, die durch menschliche Handha-bungen ersetzt werden. Zum Beispiel der Schritt von der Brüchigkeit zu einer Zähigkeit der Ährenspindel vermin-dert gravierend die natürliche Verbreitungsfähigkeit der Samen. Unabdingbar ist auch die wenigstens teilweise Rücknahme der Formenvielfalt einer Population, obwohl diese im Grunde ein lebenswichtiger Faktor ist. Auch hier geht es um eine Art von Tausch, in dem der Mensch durch die Schaffung geeigneter Bedingungen das

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Das Wesen der Pflanze

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Vorhandensein vieler Linien weniger notwendig macht. Eine zeitliche Eingrenzung ist auch notwendig, was den Zeitpunkt der Abreife betrifft, da eine maschinelle Ernte ansonsten übermäßig erschwert werden würde.Ehrenfried Pfeiffer und Hugo Erbe versuchten auf diese neue Art zu züchten. Die Dokumentation der For-schungsarbeiten von Hugo Erbe liegt bedauerlicher-weise nur unvollständig auf.

In neuerer Zeit sind es die Arbeiten am Keyserlingk-Institut, beginnend mit der Roggentrespe (Bromus se-calinus) bzw. der Dicken Trespe (Bromus grossus).

Im Jahre 1973 stieß Dr. Heyden im Verlaufe eines Be-suches auf der Krim „zufällig“ auf einen Bestand von Dasypyrum villosum. Inzwischen kamen noch Formen aus Sardinien und Italien dazu. Alle sind „Wintergetrei-de“ und benötigen daher das Phänomen der Vernalisa-tion. Es ist dies das Einwirken einer genügenden Anzahl von Frosttagen, um das Schossen zu ermöglichen.

Die vorhandenen Dasypyrum-Formen sind Fremdbe-fruchter, was sie von unseren Triticum-Arten unterschei-det. Seit 2006 wird am „Lichthof“ in Heiligenholz eine Form relativ großflächig angebaut und versucht, diese in die Fruchtfolge einzubauen. Ein weiteres Anliegen ist die Eingliederung in den Organismus Lichthof, indem die Tiere davon fressen und über den Dünger das „Wesen“ Dasypyrum sich möglicherweise ausbreiten kann.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist der Stand der Fort-schritte so, dass verschiedene Formen exakter selektiert werden und aus dem Erntegut auch schon Backversuche angestellt werden können.

Grundsätzlich erhebt sich die Frage nach dem inneren Vorgang bei einer Umwandlung von Wild- zu Kulturge-treide. Ein Satz von Rudolf Steiner aus dem „Landwirt-schaftlichen Kurs“ kann die Frage nicht beantworten, aber als Frage vertiefen: „Wie in alten Zeiten es notwen-dig war, dass man Kenntnisse hatte, die wirklich hinein

gingen in das Gefüge der Natur, so brauchen auch wir heute wieder Kenntnisse, die wirklich hineingehen in das Gefüge der Natur.“3

Vielleicht kann man dieser Frage entgegen kommen, indem man dieses „Hineingehen in das Gefüge der Na-tur“ in einen Gesamtzusammenhang stellt, d.h. das Wer-den von Kulturgetreide war vor ca. 10000 Jahren „an der Zeit“. Und eingebettet in diese Art von Zeitqualität, hat sich Natur in das „Gefüge“ blicken lassen und gleichzei-tig hatten gewisse Menschen das Auge für dieses Hinein-blicken.

Der für uns nachvollziehbare Kulturschritt erfolgte eher durch die daraus sich bildende Ackerbaukultur, verbun-den mit Sesshaftigkeit, d.h. mit Stadtgründungen. We-sentlich war auch das Einsetzen einer Kultur des Brotes. Ob wir uns heute wiederum Wildgräsern zuwenden sol-len, ist aus der Vergangenheit her nicht zu beantworten. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings aus – wenn auch spärlichen – Aussagen von Rudolf Steiner gegeben.

Auf die Frage von Ehrenfried Pfeiffer, wie es komme,

„dass der Wille zur Tat, zur erfolgreichen Durchführung der geistigen Impulse so schwach ist“4, antwortet Stei-ner, es sei eine Frage der Ernährung. Die Nahrung gebe die Kräfte dafür nicht mehr her. In Anbetracht der Ge-dichtzeile von Hermann Hesse – „vollziehe und werde vollzogen“ – kann vermutet werden, dass der mit einem Wildgetreide befasste Personenkreis sich zumindest nicht mutwillig dieser Aufgabe entziehen darf. Ob die Mühe zu einem Ergebnis im Sinne der Steiner’schen Ant-wort führt, kann nur die Zukunft weisen.

3 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Ge- Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Ge-deihen der Landwirtschaft“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985.4 Meyer, Thomas: „Ein Leben für den Geist- Ehrenfried Pfeiffer“, Basel,1999

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Das Wesen der Pflanze

Arbeit am Dasypyrum villosum

Weiterführende bzw. aktuelle Literatur:

„Mitteilungen aus der Arbeit“ des Keyserlingk-Institutes„Infobrief Saatgutfonds“ Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Christstraße 9, D - 44789 Bochum.Grohmann, Gerbert: „Die Pflanze als dreigliedriges Wesen in ihrer Wechselbeziehung zu Erde und Mensch“Mos, Uwe: „Die Wildgrasveredlung“, Verlag Goetheanum.

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Die Metamorphose der Pflanzen

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Einführung in die goetheanistische Erkenntnisweise –anhand der Metamorphose der Pflanze als Grundlage neuer ZüchtungsmethodenReinhild Frech-Emmelmann

Die Metamorphose der PflanzeRudolf Steiner hat über die naturwissenschaftlichen

Studien Goethes ein Werk verfasst, in welchem die Meta-morphose der Pflanze als Grundlage der Pflanzenbetrach-tung dient.1

In der Botanik wird die Metamorphose definiert als Pro-zess der Umbildungen und Umwandlungen der Grundor-gane (Wurzel, Sprossachse, Blatt) der Pflanzen.

Der goetheanistische Ansatz einer Annäherung an die Pflanze:

Um in das Bildungsgeheimnis der Pflanzen einzustei-gen, ist es wichtig die Pflanze vorurteilsfrei zu betrachten. Man sollte alles botanische Vorwissen zunächst ablegen.

Einfach die Erscheinung der Pflanze konkret beschrei-ben und daraus Schlüsse ziehen. Wesentlich ist also die Konzentration auf die Phänomene der Pflanze und das Sich-Üben in der Anschauung derselben.Definition: Metamorphose in der Botanik Metamorphose im räumlichen Sinn

Die im Samenkorn veranlagte Pflanze zwängt sich aus ihrer konservierenden Hülle. Das Samenkorn schwillt an, die Hülle platzt auf. Auf der einen Seite strebt der Keim-ling dem Licht zu, auf der anderen Seite zwängt er sich mit den Wurzeln in die Tiefe.

1 Steiner, Rudolf,: „Goethes Weltanschauung“, Rudolf Steiner Verlag, 1999

Ziel ist die Streckung nach oben und die Verbindung mit den Erdentiefen.Organ der Pflanze für den Trieb nach oben ist der Stängel.

Es gibt den sich immer wiederholenden Trieb der Pflanzen, sich nach oben dem Lichte zuzuwenden, und sich gleichsam entgegengesetzt mit der Wurzel nach unten zu verankern. Dieser Aufrichtetrieb ist der vertikale Trieb, und wird auch als vertikale Tendenz bezeichnet.

Darüber hinaus existiert bei den Pflanzen der horizon-tale Trieb oder die horizontale Tendenz. Das beginnt mit den Keimblättern und allen darauffolgenden Blättern am Stengel. Sie bieten der Erdoberfläche ihre Breitseite dar. Auch in der Sphäre darunter, im Wurzelbereich, gibt es horizontale Verästelungen.

Über dem Erdorganismus bildet sich eine grüne Pflan-zendecke, vergleichbar einer grünen Höhle, einer leben-digen Haut, während gleichzeitig aus dem Erdinneren sich ein Strahlenleib von immer wieder neuen Pflanzen generiert, die auskeimen, vertikal nach oben durchstoßen und zur Sonne drängen.

Das Allgemeine

Allen Pflanzen gemeinsam ist die Urpflanze.Es liegt eine Ureinheit vor, bestehend aus: Knoten – Stängelstück – Blatt.Jede Pflanze hat ihre eigene Entwicklungsfolge.Bei jedem Blatt gibt es einen Knoten, mit dem es am Stängel ansitzt.

Zu jedem Knoten gehört ein entsprechendes Stängel-stück und vice versa, zu jedem Stängelstück gehört ein entsprechendes Blatt.Der Stängel trägt die Blattorgane. Er verbindet die Wur-zeln mit den Blättern.

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Die Metamorphose der Pflanzen

Generell wird die horizontale Tendenz immer wieder durch die vertikale Tendenz durchstoßen.

Alle Pflanzen dieser Erde sind auf dieser Ureinheit auf-gebaut.

Das Individuelle

Der Ablauf der Entwicklungsfolge ist sowohl in der ver-tikalen, als auch in der horizontalen Richtung individuell verschieden und variabel.

Jede Pflanze hat auch einen eigenen Entwicklungsrhyth-mus.

Die immanente Abfolge ist beeinflussbar von äußeren Faktoren, wie Temperatur, Feuchtigkeit, Licht, Bodenbe-schaffenheit, etc.

Mit dem Emporsteigen der Blätter geht die Formver-wandlung einher.

Entwicklungshistorisch ist die Blüte die höchste Ausfor-mung der Pflanze.

Zur Vertiefung des oben Gesagten nachfolgend einige Beispiele:

Schildampfer

Hat blaugrüne Blätter und unscheinbare Blüten.Die Blätter sind in ihrer Ausformung nicht gleich. Sie wer-den nach oben hin kleiner und spitzer.

Die untersten Blätter haben beim Blattstängel Einbuch-tungen und sehen eher herzförmig aus.

Man kann das Fortschreiten der Veränderung nur ver-stehen, wenn man das jeweils nächste Blatt in Hinblick auf das vorangehende in kontinuierlicher Abfolge betrach-tet.

Man versteht z. B. nicht die Form des obersten Blattes im Vergleich mit dem untersten. Man würde denken, es

sind Blätter von verschiedenen Pflanzen. Innerhalb der Pflanze gilt also das Prinzip der Polari-

täten und der Steigerung.

Skabiose

Das unterste Blatt ist löffelartig, das oberste nur spitz.Die zweite Blattreihe ist löffelartig, jedoch mit Blattein-schnitt.In der dritten Reihe wird der Blatteinschnitt noch größer.In der vierten Reihe entsteht eine völlig neue Blattform.Es bilden sich Blattreihen zweiter und dritter Ordnung, gleichzeitig wird der Ausgestaltungshöhepunkt erreicht.

Durch die verlaufende Betrachtung vom untersten zum obersten Blatt kann das Prinzip der Steigerung miterlebt werden.

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Die Metamorphose der Pflanzen

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Mauerlattich

Das unterste Blatt ist gegliedert, das oberste nur noch eine kleine Blattspitze, das sogar den Stängel umhüllt. Sie sind also ganz verschieden und vordergründig ohne Zu-sammenhang.

Hier wirken Polarität und Steigerung im Goetheschen Sinne sogar in sehr extremer Ausprägung.

Dieses Prinzip der Polarität und Steigerung findet sich bei allen Blütenpflanzen in irgendeiner Modifikation wie-der.

Man kann den dynamischen Prozess der Formenum-wandlung nur durch genaues Betrachten verstehen und so die Pflanze in ihrem Wesen begreifen.

Gut wahrnehmbar ist dieser Prozess in den Wechsel-wirkungen zwischen den Blättern und den Blüten:

Nach der Metamorphose der Blätter, die nach oben hin immer kleiner werden, bis sie letztlich ausgelöscht sind, folgt als Krönung die Blüte. Das Blütenprinzip wirkt in die Metamorphose in den Blättern hinein.

Dabei werden unterschiedliche Entwicklungsausfor-mungen beobachtet.

• Die Blätter wachsen am Stängel entlang. Es gibt verschiedene Anordnungsvariationen der Blätter entlang des Stängels.Immer jedoch nehmen sie nach oben hin ab, d. h. sie wer-den weniger hinsichtlich Dichte, Anzahl und Größe und lassen somit Platz, um an der Spitze die Ausformung ei-ner Blüte zu ermöglichen.Das Blütenprinzip ist stark und bewirkt die Metamor-phose der Blätter.

z. B.: Skabiose

• Die Blätter und die Blüten wachsen am Stängelentlang.Das Blütenprinzip ist schwach. Es gibt meist keine Meta-morphose in den Blättern.

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Die Metamorphose der Pflanzen

Die Blüten wachsen abwechselnd mit den Blättern direkt am Stängel; z. B.: Hahnenfuß

Hahnenfuß

•Die Blätter und die Blüte sind in großer Distanz.Das Blütenprinzip wirkt auch hier schwach.Alle Blätter scheinen herabgesenkt zu einer Rosette.

Der Blütenimpuls ist zu weit von den Blättern entfernt.Er erreicht die Blätter nicht mehr, daher findet auch keine Formverwandlung statt. z. B.: Spitzwegerich

Spitzwegerich

Ähnliches Prinzip findet man auch bei Fingerhut und Königskerze.

• Nur Blätter – keine Blüten:Das Blütenprinzip fehlt. Der Blütenimpuls ist nicht vor-handen, es werden überhaupt keine Blüten ausgebildet.Diese Pflanzen haben sehr schön ausgeformte Blätter, es gibt jedoch keine Blattverwandlung.

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Die Metamorphose der Pflanzen

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z. B.: Farne

Farne 1

Metamorphose im zeitlichen Sinn

Im Laufe der Evolution haben die Pflanzen Metamorpho-sen zu höheren Stufen der Ausformungen vollzogen.Die Urpflanzen der Vergangenheit waren sehr ähnlich den heutigen Farnen und den Schachtelhalmen. Mit diesen Arten ragen sie als Relikte einer alten Zeit in unsere Ge-genwart herein.

Fossile Funde dokumentieren, dass früher ganz andere Pflanzen existierten, die auf einem anderen Niveau gelebt haben.

Die Farne und Schachtelhalme der Jetztzeit sind also Boten aus der Vergangenheit.

Farne 2

Die Farne bestehen aus Wurzeln, Stängeln und sindreich gegliedertem Blattwerk. Die Blätter sind alle gleich. Man kann sich hier keine Blüte denken, da keine Me-tamorphose stattfindet, die das Blattwerk auslöscht.

Samen werden in Gefäßen an der Blattunterseite ausge-bildet. Man sieht kleine braune Kapseln. Der Sporenstaub fällt zur Erde. Es bildet sich ein unscheinbarer Vorspross aus, von dem sexuell differenzierte Fortpflanzungszellen gebildet werden. Somit hat die Fortpflanzung der Farne auch etwas Tierisches.

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Die Metamorphose der Pflanzen

Die Fortpflanzung der Farne erfolgt im Generations-wechsel, d. h. geschlechtliche und ungeschlechtliche Ge-nerationen wechseln sich ab.

Die Fortpflanzung findet also außerhalb der Pflanze statt und Bedarf eines Zwischenprozesses, des Vor-sprosses.

Farne haben keine Staubgefäße und keine Samenkap-seln, sondern nur den Sporenstaub. Das ist Blütenstaub und Samenkorn in einem.

Bei Blütenpflanzen verläuft die Fortpflanzung linear an der Pflanze, nämlich als Blatt-, Blüten- und Samenpro-zess. Die Befruchtung findet durch ein Insekt, oder durch den Wind statt.

Abb. 8: Schachtelhalm

Der Schachtelhalm ist ein weiteres rezentes Beispiel ei-ner überlebenden Pflanze aus der Vergangenheit.Die Ausgestaltung ist reduziert auf das Stängelhafte.Die Fortpflanzung ist ähnlich wie bei den Farnen.

Niedere Pflanzen haben Fortpflanzungsorgane und Fortpflanzungsprozesse getrennt. Zwei Stadien müssen kombiniert werden.

Auf der höheren Entwicklungsstufe bedarf es nicht mehr dieses triebhaften Zwischenprozesses.

Die Ausformung einer Blüte ist die Transformation in eine höhere Entwicklungsstufe.

Die Befruchtung erfolgt innerhalb der Pflanze in der Sphäre des Lichtes.

Denkt man sich die zwei Pflanzen - Farne und Schach-telhalme - zusammen, erkennt man zwei Formenprin-zipien:

das Stängelhaftedie feingliedrige Blattausformung

In dieser gemeinsamen Optik erscheinen uns die Dolden-gewächse.

Doldengewächs (wilde Möhre)

Dazu gehören z. B. Karotten, Kümmel, Dill, Fenchel, Petersi-lie, Pastinake, Koriander, Selle-rie, und viele mehr.Ihnen allen liegt ein gewisses Urbild zugrunde. Sie vereinen Formprinzipien ähnlich den Far-nen und den Schachtelhalmen. Sie sind aber entwickelt zu einer

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Die Metamorphose der Pflanzen

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völlig eigenständigen Art.Sie bilden bereits Blüten aus und dieser Blühimpuls wirkt auch hier umgestaltend.Die Blätter erfahren eine Ausdehnung und zur Blüte hin eine Zusammenziehung und Auslöschung.Gleichsam wie auf einer höheren Stufe entstehen ein „ge-gliedertes Farnblatt“ und die Blütendolde.Goethe spricht vom „Typus“ einer Pflanze.Der Typus ist sich auch in der Metamorphose treu geblie-ben.

Zitat Goethe: „Jedes Lebendige ist kein Einzelnes, son-dern eine Mehrheit. Selbst insofern es als Individuum erscheint, bleibt es doch eine Versammlung von leben-den, selbstständigen Wesen, die der Idee der Anlage nach gleich sind, in ihrer Erscheinung gleich oder ähnlich sind oder werden können. Diese Wesen sind teils ursprünglich schon verbunden, teils binden und vereinigen sie sich. Sie entzweien sich und suchen sich wieder und bewirken so eine unendliche Tradition nach allen Seiten.“

Unsere Kulturpflanzen sind keine Metamorphose der Wildpflanzen.

Kulturpflanzen sind Blütenpflanzen, die in einem ge-wissen Stadium der Blattmetamorphose angehalten wur-den und dort jung geblieben sind, was sich in der Süße äußert.

Sie haben auch den Blühimpuls, konnten aber im Laufe der Entwicklung eine größere Steigerung erfahren.

Sie wurden durch menschliches Zutun in Form von Sa-menselektion und/oder durch Veränderung der äußeren Einflüsse auf den chronologischen Sprossungstrieb, ver-ändert.

Damit z. B. aus dem wilden Salat, dem Mauerlattich, ein Kultursalat geworden ist, hat man den Prozess der

ersten Stufe, in dem die Blätter breit und massig sind, ausgedehnt.

Durch diese Ausdehnung wurden zusätzlich breite Blät-ter geschaffen.

Die Ausformung einer Kulturpflanze kann durch lang-jährige Selektion der Samen erfolgen, die zur Auswahl führenden Beobachtungen werden an der ganzen Pflanze gemacht..

Ein Beispiel: Martin Schmidt, ein Getreidezüchter aus dem Osten Deutschlands, begann 1947/48 beim Roggen mit Beobachtung und Auslese zu experimentieren. Er ent-wickelte die „Ährenbeetmethode“. Dabei werden die Kör-ner in der Reihenfolge, wie sie in der Ähre stecken, in den Boden eingebracht. Er entdeckte, dass sich jeweils die Körner der sechsten Lage am besten entwickelten. Durch Selektion nach den Ergebnissen dieser Beobachtungen, durch Beachten kosmischer Rhythmen, sowie durch Wechsel von winternahen und winterfernen Aussaatter-minen und anderen begleitenden Maßnahmen gelang es ihm binnen 16 Jahren die Roggenähre auf 32 Körnerlagen zu vergrößern.

Diese Erkenntnisse können aber nicht für alle Getrei-dearten generalisiert werden. Es muss quasi in jedem Einzelfall eigenständig beobachtet werden, welche Lagen sich bei den gegebenen Bedingungen am besten entwi-ckeln.

Das Lebendige der Pflanze kann gefördert werden, z. B. durch die Verbesserung der Standortbedingungen, der Bodenqualität, etc.

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Die Metamorphose der Pflanzen

Zusammenfassung

Unsere heutigen Kulturpflanzen sind Blütenpflanzen, bei denen menschliches Gestalten mit hineinwirkt.

In ihrer Ausformung können Pflanzen, durch Samen-auslese, Saatzeitpunkte in Bezug auf Gestirnkonstellati-onen vom Menschen beeinflusst werden, Diese Auswahl-kriterien haben Bedeutung bis hinein in die Lebensmittel-qualität, wobei es letzten Endes nicht die Stoffe sind, die Leben erhaltend wirken, sondern die aus dem Lebenspro-zess der Pflanze frei werdenden Kräfte.

Aus dem Gesagten ergibt sich die Dringlichkeit einer beobachtenden Forschung bei Züchtung, Anbau und Er-haltung von Kulturpflanzen.

Wir können die Metamorphose der Pflanzen hin zu Blü-tenpflanzen nur verstehen, wenn wir die Blütenpflanzen kennen. Man muss also stets die nächste höhere Entwick-lungsstufe kennen, um die vorangegangene Entwicklung rezipieren zu können. Wollte man die derzeitigen Blüten-pflanzen verstehen, müsste man deren kommende näch-ste höhere Ausformung kennen, also die Pflanzenform nach der Blütenpflanze.

Methodisch kann man nur aus der Anschauung heraus versuchen Erkenntnisse abzuleiten, sowie aus der syste-matischen akribischen Beobachtung der Entwicklungs-prozesse Schlussfolgerungen zu treffen über das Wesen und die Bedürfnisse der Pflanze. Durch langfristiges empirisches Vergleichen gelingt es uns annähernd die Intention der pflanzlichen Verwandlungen zu erahnen, ihre Veränderungen zu antizipieren. Mit rein kognitiver Analyse ist die Metamorphose und das Wesen der Pflan-ze nicht begreifbar.

Reinhild Frech Emmelmann hielt diesen Vortrag am 12. 12. 2008 in der Ringvorlesung „Biologisch dynamischer Landbau.“

Frau Frech-Emmelmann ist Geschäftsführerin bei

Fa. Reinsaat KG in St. Leonhard im Hornerwald und trägt dort die Verantwortung für die Pflanzenzüchtung.Das Ziel ist, auf Basis biodynamischer und organisch -biologischer Arbeitsweise die Vielfalt und Nachhaltigkeit von Gemüse-, Kräuter- und Blumenpflanzen zu sichern. Es geht um die Züchtung von samenfesten, schmack-haften Sorten, die regional gut angepasst sind, und um die Verbindung von Qualität und Ertragssicherheit.

Die methodischen Grundlagen von Frau Frech-Emmel-mann sind die anthroposophische Pflanzenbetrachtung und das Buch über die Metamorphose im Pflanzenreich von Dr. Gerbert Grohmann.2 Sie nimmt regelmäßig an Züchtungstagungen in der Schweiz, in Deutschland und in Italien teil.

Quellenverzeichnis

Grohmann, Dr. Gerbert: „Metamorphosen im Pflanzenreich, Verlag Freies Geistesleben, 3. Aufl. 1990,

Goethe, J. W. „Die Metamorphose der Pflanzen“, 1790

Steiner, Rudolf,: „Goethes Weltanschauung,Rudolf SteinerVerlag, 1999

2 Grohmann, Gerbert: „Metamorphosen im Pflanzenreich“, Ver-lag Freies Geistesleben, 3. Aufl. 1990, (Erstauflage aus 1935.Er war ein Zeitgenosse von Rudolf Steiner)

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Annäherung an den Erdapfel

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Annäherung an den ErdapfelOskar Grollegger

Herkunft und Geschichte

Die geografische Herkunft ist eindeutig zu klären; er stammt ursprünglich aus den Hochtälern Südame-rikas. Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts verbreitete sich von Spanien ausgehend dieses Nachtschattenge-wächs vorerst als Zierpflanze in verschiedenen Vari-anten in Europa. Verschiedene Varianten deswegen, weil der Erdapfel stark auf die Tageslänge reagiert. Die Formen um den Äquator und nördlich davon bil-den nur bei einer Tageslänge von 12 Stunden Knollen aus. Im südlichen Teil von Südamerika – Chile, Peru – stimmen die Taglängen mit unseren besser überein, daher wurde Saatgut zunehmend aus diesem Gebiet bezogen.

Botanik

Die Gattung Solanum umfasst weltweit cirka 1500 Arten, nach anderen Quellen sogar bis zu 3000, was einen der größten Verwandtschaftskreise im Pflan-zenreich darstellt. Die Palette reicht vom Schwarzen Nachtschatten über den Erdapfel zu Paradeisern und Tabak. Von der Genetik her sind unsere inzwischen heimischen Formen tetraploid. Das heißt, es befin-den sich 48 Chromosomen in einer Zelle. Die meisten Wildformen haben 24 Chromosomen, d.h. sie sind diploid. Man weiß nicht dezidiert, wie der Schritt zur Kulturpflanze vor sich gegangen ist. Es ist das glei-

che Problem wie bei Weizen, Dinkel und Paradeisern. Zur Verdeutlichung der Problematik soll ein Absatz aus einem Vortrag von Prof. Hermann Kuckuck, vom Institut für Angewandte Genetik in Burgwedel zitiert werden:

Die Entstehung von nacktkörnigen hexaploiden Kulturformen wird auf die Wirkung eines Faktors Q zurückgeführt, der wahrscheinlich durch eine Dupli-kation im Chromosom 5A entstanden ist. Er hat eine pleiotrope Wirkung, indem er die typischen Spelta-Merkmale wie Spindelbrüchigkeit beim Drusch, fester Spelzenschluß, und geschulterte Hüllspelzen unterdrückt. Sie kann aber auch durch die Summie-rung kleiner Mutationsschritte entstanden sein, wie aus der Analyse einer größeren Sammlung aus dem Spelta-Anbaugebiet im Iran wahrscheinlich gemacht worden ist.

Zu der auffallend größeren Formenmannigfaltig-keit der hexaploiden Weizen haben auch spontane Kreuzungen mit Roggen und Aegilopsarten beige-tragen, und zwar durch Addition und Substitution von Fremdchromosomen, ferner durch Translokati-onen und Einlagerung fremder Chromatinstücke in Weizenchromosomen.“1 Diese genaue Zitierung er-folgt, um zu verdeutlichen, dass zumindest ein Teil der Nutzpflanzen in ihrer Hereinnahme durch den Menschen, nicht durchgehend genetisch dokumeti-erbar sind.1 Kuckuck, Hermann: Aus: „ Aktuelle Probleme der land-wirtschaftlichen Forschung“; 9. Seminar – Abstammung der Kulturpflanzen und die Erhaltung des natürlichen Formenreich-tums; Bundesversuchsanstalt Linz, 1982; S 14.

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Annäherung an den Erdapfel

Botanisch ist die Knolle eine Sprossverdickung, die Früch-te sind Beeren mit einer hohen Anzahl von Samen.

Diese Samen sind nur für die Zucht von Bedeutung. Der Erdapfel ist ein Selbstbefruchter. Pflanzenphysio-logisch sind die oberirdischen Stängel und die unterir-dischen Stolonen dasselbe. Die zwei bis zehn Stängel sind meist dreikantig, die Stolonen rund und hell. Wenn Letztere unter Lichteinfluss geraten, werden sie zu Stän-geln mit verkümmerten Laubblättern. Der Sprosscha-rakter der Knollen zeigt sich durch das Vorhandensein der Augen; das sind genau genommen Knospen, welche eine bestimmte Anordnung aufweisen. Diese Anordnung geht aus vom Nabel – das ist der Anwachspunkt an der Stolone – und entwickelt sich spiralförmig ansteigend zur Krone.

Ernährungsphysiologische Bedeutung

Der Erdapfel ist in seinen verschiedenen Zubereitungen ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Ursprünglich in Südamerika, später in Europa, Asien und den USA. Zum Vergleich zwei Anbauzahlen aus den 1990er Jahren:

Erdapfel weltweit 18.000.000 haWeizen 350.000.000 ha.Ernährungsphysiologisch ist der Eiweißgehalt bedeut-sam durch den basischen Überhang, und außerdem die hohen Gehalte an Kohlehydraten und Kalium. In der an-throposophischen Ernährungslehre haben Erdäpfel kei-nen hohen Stellenwert. Nach ihr werden durch den reich-lichen Genuss die Sinnestätigkeiten negativ beeinflusst.

Die Kartoffelesser von Vincent van Gogh

In der Tiermedizin gelten sie als Diätetikum bei Über-säuerung des Rindes. Gefährlich ist das Verfüttern von angekeimten Erdäpfeln, welche eine Alkaloidvergiftung hervorrufen können. Im Laufe des Keimungsvorganges und bei starker Lichteinstrahlung bildet sich massiv So-lanin; die Symptome sind Lähmungserscheinungen im

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Annäherung an den Erdapfel

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Gehirn, Rückenmark und Herz.Das vorhandene Vitamin C kommt hauptsächlich im

Inneren der Knolle vor, kann also beim Schälen nicht verloren gehen. Ernährungspolitische Bedeutung hat der Erdapfel 1845 und einige Folgejahre danach durch das massive Auftreten der Kraut- und Knollenfäule in Irland erlangt. Die dadurch entstandene Hungersnot forderte hunderttausende Todesopfer und zwang in den Folge-jahre eine Million Iren zur Auswanderung nach Norda-merika.

Anbau

Der beste Boden für den Anbau von Erdäpfeln ist der berühmte sandig-lehmige, tiefgründige, lockere, humus-reiche Boden. In der Bodenreaktion sind Erdäpfel tole-rant; optimal ist der leicht saure Boden (um ph – Wert 6). Das Umbauen soll im Herbst erfolgen, vor allem in trockenen Lagen, wo dadurch die kostbare Winterfeuch-tigkeit erhalten bleibt. Die Düngungsempfehlungen rei-chen je nach Lehrbuch von 20.000–40.000 kg Mist pro ha. In der biodynamischen Landwirtschaft achten wir besonders darauf, dass ein gut ausgereifter Kompost verwendet wird.

Die Keimung kommt im Zuge der Erwärmung indirekt in Gang durch die Rückbildung von keimhemmenden Stoffen und gleichzeitig durch die verstärkte Bildung von Zucker- und Eiweißstoffen um die Augen herum.

Das Kronenauge nimmt eine beherrschende Stellung ein und verhindert oft das Austreiben der übrigen Au-gen. Sollte dieser Prozess zu lange vor dem Anbauter-

min in Gang gekommen sein, wäre das Entfernen dieses Keimes ratsam.

Für Betriebe mit einer starken Personaldecke oder auch für Kleingärtner gibt es ein paar den Ertrag stei-gernde Maßnahmen:

• Die erste wäre das Durchschneiden des Erd-apfels, sodass eine Kronen- und eine Nabel-hälfte entsteht. Wenn man nicht am Saatgut sparen muss, sollte man nur die Kronenhälfte anbauen.

• Gleichwertige Hälften bekommt man beim so genannten Brückenschnitt, cirka vier Wochen vor der Pflanzung. Dabei wird der Erdapfel der Länge nach bis auf einen 2 cm langen Steg am Nabelende durchgeschnitten.

• Dann gibt es noch den Reizschnitt, bei dem in der Querrichtung der Erdapfel umrundend eingeschnitten wird. Dadurch keimen auch die nabelseitigen Augen leichter, weil der Kronen-keim nicht so stark ziehen kann.

• Eine extreme Methode, Saatgut zu sparen, stellt das Herausschneiden von Augen mit einem Keil vom Fruchtfleisch von cirka 3 cm Länge dar.

Die Mindesttemperatur für den Anbau wird für vorge-keimtes Saatgut mit 6°-10°C angegeben. Vorgekeimt des-halb, weil bei dieser Temperatur nur das Weiterwachsen der Keime möglich ist, aber nicht das Austreiben.

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Annäherung an den Erdapfel

Beim Früherdäpfel-Anbau empfiehlt sich generell ein Vorkeimen. Wird am Tageslicht vorgekeimt, ist auf das Auftreten von Blattläusen zu achten; Tabakrauch kann als Gegenmittel angewendet werden. 9°-13°C wäre für diesen Anbau der optimale Temperaturbereich. Bei hö-heren Temperaturen bilden sich zu verholzte Keime, die zu viele Nährstoffe verbrauchen. Nach der Weiterlage-rung im Dunkeln ist es vorteilhaft, das Pflanzgut am Vortag der Auspflanzung ans Tageslicht zu bringen, weil dann die Keime nicht so leicht brechen und auch die Schockwirkung herabgemindert wird.

Die technischen Daten für den Anbau sind vorgegeben durch die Spurweite der Geräte. 50-75 cm Reihenabstand und 28-42 cm Abstand in der Reihe sind das Spektrum.

Sonderformen im Früherdäpfel-Anbau sind Verfahren unter Vliesbedeckung oder mit kleinen Folientunnels für jede einzelne Zeile. Die Pflanztiefe reicht von 10cm in leichten bis 5cm in schweren Böden.

Nach Maria Thun ist der beste Zeitpunkt zum Ausle-gen für die Ernte als Saaterdäpfel, wenn Sonne und Mond gemeinsam im Widder stehen.2

Zwischen Anbau und Aufgang ist eine konsequente Unkrautbekämpfung die beste Basis für ein gelingendes weiteres Vorgehen. Hierbei ist zu erwähnen, dass das Ziehen von Dämmen bereits im Herbst durchgeführt werden kann, um den Unkrautdruck zu vermindern.

2 Der genaue Saatzeitpunkt wird jährlich im Aussaatkalender von Maria Thun angeführt.

Nach dem Legen wird blind gestriegelt; eventuell mit einer angehängten Kettenschleppe. Bis zum Schließen des Bestandes sollte mehrere Male gehackt und gehäu-felt werden, wobei die Bodenbewegung auch die Nähr-stoffverfügbarkeit erhöht.

Anwendung der Spritzpräparate

Diese beginnt mit dem Einarbeiten des Fladenprä-parates und dem Ausbringen des Mistkompostes im Herbst.

Zur Bodenbearbeitung im Frühjahr wird Hornmist groß-tropfig ausgebracht; vorteilhaft am späten Nachmittag.

Zeitgleich mit dem Hacken und Häufeln wird feinst verteilt am frühen Morgen Hornkiesel versprüht. Die Meinungen gehen auseinander, ob insgesamt vier Kie-selspritzungen vertretbar sind. Verschiedene in der Zeitschrift „Lebendige Erde“3 angeführte Versuche mit Hornkiesel haben ergeben, dass bei einer späten An-wendung die Chlorophyllwerte höher waren als bei den unbehandelten Pflanzen. Für die Pflanze würde das eine längere Assimilationsdauer und damit ein längeres Knol-lenwachstum bedeuten. Gleichzeitig lässt sich vermuten, dass die Ausreifung der Knollen harmonischer vor sich gehen kann, als bei einem abrupten Laubverlust durch die Krautfäule. Ein weiterer Schluss daraus müsste sein, dass dadurch die Haltbarkeit eine bessere ist.

3 Lebendige Erde, Mr. 4, 2007 „Zum Anwendungszeitpunkt von Hornkiesel“, Dr. Jürgen Fritz

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Annäherung an den Erdapfel

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Krankheiten und Schädlinge

Beginnend mit dem großflächigen und industriellen Anbau sind weitere Krankheiten bekannt geworden, die sich auf Pilze, Bakterien oder Viren zurückführen lassen.

Die gefährlichste Krankheit ist die Kraut- und Knollen-fäule, welche durch den Pilz Phytophtora infestans her-vorgerufen wird. Warme und feuchte Witterung ist die beste Voraussetzung, dass diese Krankheit großflächig und gleichzeitig auftreten kann. Die Züchtung absolut resistenter Sorten ist bis heute noch nicht gelungen, da der Pilz sich äußerst flexibel an neue Gegebenheiten an-passen kann.

In der Steiermark gibt es einen Phytophtora–Warn-dienst mit Evidenzflächen in Hartberg und im Grazer-feld. Nachdem im Demeterbereich Kupfermittel nicht angewendet werden, leitet das über auf das von Maria Thun entwickelte Verfahren zur Verhinderung der Kraut-fäule.

Frau Thun hat ein Verfahren entwickelt, das die Kraut-fäule verhindern soll:4 Dabei wird an einem Blatttag, (so-bald sich das zweite Blattpaar entfaltet hat) am Abend Brennnesseltee gespritzt. Sodann folgen im Neun-Tage-Abstand am Morgen von Wurzeltagen Teespritzungen von Schafgarbe, Kamille, Löwenzahn und Brennnessel in der angegebenen Reihenfolge.

Von den tierischen Schädlingen sind der Kartoffelkäfer und der Drahtwurm die bekanntesten. Lebensweise des Erdäpfelkäfers: Erscheinen der ersten Käfer bei 10-15° C

4 Thun, Maria: „Mein Jahr im Garten“, Kosmos Verlag, Stuttgart, 2004.

Bodentemperatur. Eistadium an der Unterseite der Blät-ter 5-15 Tage. Ein Weibchen kann im Lauf einer Saison bis zu 800 Eier legen. Larvenstadium: 14-21 Tage

Entwicklung als Käfer im Boden: ca eine WocheWas insgesamt einer Zeitspanne von fünf bis sechs

Wochen für die Entwicklung einer neuen Käfergeneration entspricht. Winterschlaf zum Teil ab Ende des Sommers; in einer Tiefe von 50-70 cm.

Nahrungsquellen: Der Großteil der Solanacaen (außer den Blättern des Erdapfels die Blätter von Parad-eiser, Stechapfel, Bittersüß auch noch Kohl und Melde).

Zur Abtötung der Larven der Erdäpfelkäfer gibt es Mit-tel auf der Basis des Bacillus Thuringiensis oder auf der Basis des Neembaumes. In der biodynamischen Land-wirtschaft gibt es auch noch die Möglichkeit der Ver-aschung. Zu angegebenen Konstellationen können Käfer oder Larven gesammelt und in einem Holzfeuer ver-brannt werden. Die Asche wird verrieben und potenziert. Sie kann als Ursubstanz auf die Erde gestreut werden oder als Spritzung auf dem Feld ausgebracht werden. Zunehmenden Schadensdruck verursachen Nemato-den. Die erste Gegenmaßnahme wäre eine Erhebung der Befallsdichte durch eine Bodenprobe. Walter Sorms regt an, den Nematoden durch einen vorherigen Anbau von Ackersenf entgegenzutreten.

Es muss dies jedoch ein nematodenresistenter Senf sein, der für sein Wirksamwerden mindestens eine Vege-tationszeit von sechs Wochen benötigt. Da im Frühjahr für diese Maßnahme eine wahrscheinlich nur zu kurze Zeitspanne zur Verfügung steht, wäre sie im Herbst vor-zunehmen. Die grundsätzlichste Gegenmaßnahme ist

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Annäherung an den Erdapfel

noch immer das Einhalten längerer Anbauintervalle (sechs Jahre).

Die Stellung in der Fruchtfolge

Die gebräuchlichste und beste Vorfrucht sind Legumino-sen oder Grünbrache. Die Erdäpfel selbst sind wieder die beste Vorfrucht für Wintergetreide.

Zwei Verfahren zur Gesundung von Erdäpfelsaatgut

Um den Abbauvorgang des eigenen Saatgutes zu verhin-dern oder zumindest zu verlangsamen, gibt es ein paar Möglichkeiten, die allerdings einen unterschiedlich ho-hen Zeitaufwand erfordern.

• Die einfachere Methode wäre der Anbau der im folgenden Jahr benötigten Samenmenge in einer ausgewiesenen Erdäpfel-Gunstlage. Eine solche wird durch folgende Kriterien ausgewiesen: mineralreicher Unterboden, eine an die Ober-grenze der Anbau-Möglichkeit heranreichende Seehöhe sowie eine hohe Intensität der Sonnen-einstrahlung. Indem dieser Hof in unserem Fall ein Demeterbetrieb sein sollte, der diese Menge an Erdäpfeln in seine Fruchtfolge einbauen muss, ist die Auswahl an Partnerbetrieben gering. Die Intervalle dieser Maßnahme können nur an den Ergebnissen der Beobachtung des Erntegutes angesetzt werden. • Eine andere Möglichkeit, die zwar innerhalb

des eigenen Hofes sich vollziehen kann, aber insgesamt viel mehr Handarbeit erfordert, wäre der Saatgutanbau im Wald.Es könnte eine geeignete Schlagfläche sein, oder eine gerade sich ergebende Rodungsflä-che. Von besonderem Wert wäre die zusätzliche Möglichkeit, das anfallende Astholz verbrennen zu können. Diese Art von Brandwirtschaft wird wahrscheinlich in manchem Zeitgenossen den Eindruck einer Sünde an der Umwelt erwecken. Zumindest das marginale Anwenden dieses Ver-fahrens möge zur Relativierung des Problems beitragen. Die großflächige Anwendung der bäuerlichen Brandwirtschaft war zwar schon dem Erzherzog Johann ein Dorn im Auge, es hat aber auch fundiert argumentierende Befürwor-ter gegeben. Einer davon war DI Fritz Schneiter. Er war nahezu 70 Jahr lang Landes-Alminspektor und Tierzucht-Inspektor. 1879 geboren, hatte er genügend praktischen Einblick, auch in die Aus-wirkungen. Die Landwirtschaftlich-chemische Landesversuchsanstalt hat im Jahre 1933 Boden-proben von 11 steirischen Brandwirtschafts-Betrieben vor bzw. nach dem Brennen entnommen.

Die Mittelwerte ergaben folgende Ergebnisse: vorher nachher

ph-Wert: 4,4 5,1 Kalk in %: 0,262 0,402 Kali in %: 0,142 0,192 Stickstoff in %: 0,411 0,585

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Annäherung an den Erdapfel

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Die Zunahme an Nährstoffen wurde erst in zweiter Linie der verbliebenen Asche zugeschrieben. „Die veredelnde Brennwirkung im schweren Boden wird als Lockerung der kolloiden Struktur, Aufschließen von mineralischen Nährstoffen und Reinigung bezeichnet.“5

• Die arbeitsaufwändigste und unwägbarste Möglichkeit der Erzielung einer Hofsorte ist das Aussäen der eigenen Samen (nicht der Knollen!). Dazu müssen die Beeren gesam-melt und wie die Tomatensamen gewonnen werden. Im Bereich der Biodynamik lässt sich die Hoffnung geltend machen, dass eine, dem Hoforganismus entsprechende Spezies sich entwickelt.• Um eine wertvolle Sorte zu regenerieren, kann die oben angeführte Methode, kräftige Augen heraus zu schneiden, praktiziert werden. Die Augen mit nur wenig Fruchtfleisch aus zu pflanzen kann einen eventuellen Befallsdruck für etliche Jahre verhindern helfen.

Dieser Vortrag wurde von Oskar Grollegger in der Ar-beitsgruppe Kärnten-Steiermark am 1.März 2009 am Birkenhof gehalten.

5 Schneiter, Fritz: „Agrargeschichte der Brandwirtschaft“, Historische Landeskommission für Steiermark, 25.Bd. 1970. S 17

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Wesen des Haustieres

Zum Wesen des HaustieresElisabeth Stöger

Historisches

Der Beginn der Domestikation von Wildtieren markiert einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der Mensch-heit. Er bedeutet den Übergang von der Lebensweise der Jäger und Sammler zu einer gemeinsamen Lebensform von Tier und Mensch in all ihren Facetten. Das Tier wird aus seiner Wildheit hereingeholt in das „Haus“. Es gibt keine ausreichende naturwissenschaftliche Erklärung für dieses Geschehen. Dieser Vorgang lässt vermuten, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt der Menschheitsent-wicklung der Wolf dem Menschen in gewisser Weise ent-gegenkam – d.h., dass gleichzeitig die Bewusstheit des Menschen anfing die Instinkthaftigkeit des Tieres sich zunutze zu machen.

Der Hund

Das erste nachweisbare Haustier ist der Hund. Der Hund ist ein Rudeltier. In einem Rudel herrscht eine ge-naue Hierarchie. Diese Hierarchie ermöglichte es dem Menschen, den Hund an sich zu binden, indem er in die Rolle des Rudelführers treten konnte. Auffällig ist die hohe Formbarkeit des Hundes sowohl der Größe, der Form, der Farben, als auch der Verwendung nach. Man betrachte diese Vielfältigkeit vom Pekinesen bis zum Neufundländer.

Das Schaf und die Ziege

Ab dem 8. Jahrtausend v. Ch. beginnt der Mensch Wildschafe und Wildziegen zu domestizieren. Wir sind angehalten, die beiden Vorgänge – Domestikation und

Zähmung – deutlich zu unterscheiden. Unter Zähmung verstehen wir die Abrichtung eines Einzeltiers für unter-schiedliche Zwecke. Von Zähmung sprechen wir, wenn wir zum Beispiel einen mutterlosen Jungfuchs ins Haus holen und „dressieren“. Von Domestikation hingegen kann erst gesprochen werden, wenn viele Vertreter einer Tierart in die Haustierform hereingeholt werden.

So können wir bei Rind, Schaf und Ziege von Domesti-kation sprechen.

Betrachtet man die Ursprungsgebiete der heutigen Schafe und Ziegen, so wird deutlich, dass die momen-tane Haltung die meisten Exemplare in Lebensräume zwingt, die ihnen nicht förderlich sind. Wenn Ziegen schon in Niederungen gehalten werden müssen, dann sollte wenigstens die Lichtkraft eine hohe sein. Am gra-vierendsten wirkt sich diese falsche Haltung im häufig auftretenden Parasitendruck aus.

Vom sozialen Bereich her betrachtet brauchen die mei-sten Schafrassen viel mehr das Gefüge einer Herde als Ziegen. Es ist interessant zu beobachten, welche Tierar-ten als Einzeltiere domestiziert werden und welche als Herde.

Auch das Schwein wurde in dieser Zeit in menschliche Obhut genommen.

Im folgenden Jahrtausend beginnen Mensch und Rind sich anzunähern. Konzentriert man den Blick nicht nur auf die Domestikation von Tieren, so erkennt man, dass es auch der Zeitpunkt war, an dem bestimmte Gräser von einzelnen kundigen Menschen in die Richtung von Nahrungspflanzen verändert wurden.

Alle bis hierher hereingenommenen Tierarten stellen keine Nahrungskonkurrenz zum Menschen dar, sondern fressen, was dieser nicht verwerten kann. Dazu kommt, dass die Tiere selbst zunehmend zur Quelle von Nah-rungsmitteln werden.

Vom Zeitlauf her ging die nächste Domestikation um 4000 v. Ch. mit dem Wildpferd vonstatten.

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Wesen des Haustieres

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Hund Wolf - Canis lupus mehrfach in verschiedenen Gebieten

in Eurasien und Nordamerika,

13 000 - 7 000 v. Chr.

Katze Wildkatze - Felis silvestris Nordafrika und Vorderasien, in

Ägypten im 2. Jt. v. Chr.

Pferd Wildpferd - Equus ferus mehrfach in verschiedenen Gebieten

Eurasiens, in Europa ab dem frühen

4. Jt. v. Chr.

Schwein Wildschwein - Sus scrofa mehrfach in verschiedenen Gebieten

Asiens,

in Vorderasien im 8. Jt. v. Chr.

Ziege Bezoarziege - Capra aegagrus Vorderasien, etwa 8 000 v. Chr.

Schaf Wildschaf - Ovis ammon Vorderasien, etwa 8 000 v. Chr.

Rind Ur - Bos primigenius Vorderasien, 2. Hälfte 8. Jt. v. Chr.

Taube Felsentaube - Columba livia Vorderasien, 5. Jt. v. Chr.

Huhn Bankivahuhn - Gallus gallus Südostasien, Industal-Kultur, 3. Jt. v.

Chr., ältere Belege aus China

Gans Graugans - Anser anser mehrfach in verschiedenen

Gebieten, in Ägypten in der 2. Hälfte

des 3. Jt. v. Chr., in Europa in der

Spätbronzezeit

Honigbiene Honigbiene - Apis mellifera in verschiedenen Gebieten,

Hausbienenhaltung seit dem

Neolithikum, in Ägypten mindestens

seit 3. Jt. v. Chr.

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Wesen des Haustieres

Überragende Ergebnisse, was die Gewöhnung an den Menschen, verbunden mit höchsten Zuchtleistungen an-geht, brachte der Umgang mit dem Pferd im arabischen Raum.

Relativ spät erscheinen archäologische Funde der Katze. Im ägyptischen Raum, wo diese Funde gemacht wurden, erlangte sie einen hohen kultischen Status, der aus heutiger Sicht nur mehr sehr schwer nachvollzogen werden kann. Von der Lebensweise her ist die Katze kein Rudeltier. Daher ist auch die Stelle des Leittieres unbe-setzt, was den Umgang mit Katzen mit deutlich mehr Unwägbarkeiten ausstattet als den Umgang mit einem Hund.

Dass die einzelnen Domestikationszeiträume wirk-liche Zeit-Fenster waren, lässt sich schon daraus erse-hen, dass solche Vorgänge zu keiner späteren Zeit mehr aufgetreten sind.

Wenn heute Haustiere verwildern, werden sie, voraus-gesetzt sie überleben, wenigstens nicht in absehbarer Zeit wieder zu Wildtieren. Als der Dingo, welcher 2500 v. Ch. als Haustier nach Australien kam, mit der Zeit verwilderte, wurde er doch nicht wieder zum Wolf.Veränderungen, welche beobachtet werden können, wenn Wildtiere in die Haustierform übergeführt werden:

Das vordergründig Auffälligste sind die enormen Stei-gerungen in der Fleisch-, Milch- und Legeleistung. Auch die Anzahl der Jungen pro Geburt ist stark angestiegen.

So hat eine Wildschweinmutter pro Wurf vier bis sechs Frischlinge, während eine Hausschweinmutter pro Wurf etwa 12 bis 15 Ferkel bringt. Ein Wildhuhn hat pro Jahr 20 bis 30 Eier potenziell angelegt, eine Legehenne bis zu 300. Dagegen degenerieren die Sinnesorgane; das Vorderhirn nimmt im Volumen bis zu 70% ab.

Was sich offensichtlich den beschriebenen Steige-rungen entgegenstellt, ist die Kleinheit des dargestellten keltischen Rindes im Vergleich mit dem Urrind.

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Wesen des Haustieres

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Die Dreigliederung bei Mensch und Tier

1. Nerven- Sinnes-System (Kopfpol)2. Ryhtmisches System (Herz, Lunge)3. Stoffwechselgliedmaßensystem (Stofwechsel und Reproduktion)

Die Zuordnung ergibt sich aus der Betonung des jewei-ligen Systems.

Charakteristische Vertreter für die Region des Nerven-Sinnespols sind beispielsweise die Maus und der Adler, während für die Stoffwechselregion das Rind als Haupt-repräsentant bekannt ist. Das Rhythmische System wird vertreten durch Löwenartige.

Da dieser Vortrag hauptsächlich für Biodynamike-rinnen und Biodynamiker gehalten wird, konzentrieren wir uns in weiteren Fragen der Dreigliederung auf das Rind.

Wir können beim Rind eine Art zeitliche Dreigliede-rung bemerken: es frisst acht Stunden, es käut acht Stun-den wieder und es ruht acht Stunden. Interessant ist die

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Tatsache, dass die reine Schlafzeit nicht mehr als eine Stunde beträgt.

Das Besondere im Verdauungsgeschehen des Rindes:Das Rind ist in der Lage Zellulose zu verdauen. Es ge-schieht dies in den drei Vormägen durch unterschied-liche Mikroorganismen. Wegen des Volumens des zu Verdauenden nehmen diese drei Mägen auch den halb-en Brustraum ein. Im vierten Magen ist die Verdauung ähnlich der menschlichen. Das Wiederkäuen dient nicht nur der Zerkleinerung des Futters, sondern auch der Vor-beugung der Übersäuerung. Erkennbar ist die Übersäue-rung am Abweichen vom Optimum an Wiederkäuschlä-gen, welches zwischen 50 und 100 Schlägen liegt. Der Blättermagen ist kein Hohlraum, sondern ist ausgefüllt mit Blättern, welche das Heraussaugen des Wassers aus dem Nahrungsbrei bewerkstelligen. Der Pansen ist durch viele Einbuchtungen so ausgestattet, dass der In-nenraum vergrößert wird. Sehen wir hin auf die Entwick-lung der Mägen beim Einzeltier, so muss gesagt werden, dass beim Kalb nur durch die Aufnahme von Rohfaser die richtige Entwicklung des ersten Vormagens gewähr-leistet wird.

Wovon lebt die Kuh?

Die Zellulose kann es nicht sein; diese wird von Mi-kroorganismen verdaut, welche die Fähigkeit haben, sich sehr rasch zu vermehren und dadurch das eigent-liche Futter für die Kuh abzugeben. Es ist nahezu hand-greiflich zu spüren, welch sensible Höchstleistung hier stattfindet. Diese Höchstleistung findet schon unter „normalen“ Fütterungs- und Leistungsbedingungen statt. Nachdem aber die genetischen Grenzen – was die Leistung betrifft – enorm nach oben verschoben worden sind, eine wiederkäuergerechte Fütterung aber an Volumensgrenzen stößt, ist eine Art von Dauerstress

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Wesen des Haustieres

das Ergebnis. Der optische Eindruck so einer Kuh lässt diese Diagnose schwer aufkommen; jedoch sprechen die Fakten Unfruchtbarkeit, Durchfall und Aggression eine deutliche Sprache.

Die richtige Zuordnung der Fütterung:

Pferd Rind SchweinBlüte/Sonne Blatt/Halbschatten Wurzel/Schatten

Tiere mit betontem Nerven-Sinnessystem brauchen für ihre Nahrung energiereiches Futter (Körner für Vogel-artige), Tiere mit Stoffwechselbetonung brauchen Rohfa-ser und solche mit einer Betonung des Rhythmischen Sy-stems verlangen nach eiweißreicher Fütterung (Fleisch).

Die Mineralstoffgabe aus der Sicht der Referentin:Im Akutfall müssen Mineralstoffgaben verabreicht wer-den, langfristig muss jedoch auf eine Änderung der Grundsituation hingearbeitet werden. Allerdings ist so-gar dafür die Ausgangslage schwierig, da die einseitigen Züchtungstendenzen und deren Ergebnisse nur mini-male Verbesserungsschritte zulassen. Am Beispiel der Putenzucht soll dieser Umstand sichtbar gemacht wer-den: Die Puten sind so auf Gewichtszunahme gezüchtet worden, dass eine putengerechte Fütterung diesem Po-tential der Gewichtszunahme einfach nicht mehr gerecht werden könnte.

Umgelegt auf die Rinderhaltung im biodynamischen Landbau bedeutet dies, dass wir mit dem Laubheu der Mineralstoffversorgung nur dann genügen können, wenn die Tiere nicht einseitig überzüchtet sind.

Eine zunehmende Polarisierung erfolgt im Zuge der Tier-haltung in die Bereiche Nutztiere und Hobbytiere.Nutztiere leiden unspezifisch unter einer Art von

Versachlichung, verbunden mit einer Abnahme an Zu-wendung.Hobbytiere leiden an einer Art von Vereinnahmung, aus-gelöst durch eine egoistisch ausgerichtete Zuwendung.Die Krankheitsbilder weisen im Großen ebenfalls in zwei Richtungen:Die Nutztiere leiden gewissermaßen symptomloser, zu bemerken ist auf jeden Fall eine Form auflösende Ten-denz. Man denke an das Weichwerden der Klauen oder die symptomlose Sterilität.Hobbytiere nähern sich in ihren Krankheitsbildern dem Menschen an: Diabetes, Tumore, Übergewicht…

Ausblick

Wie nun ersichtlich ist, sind bereits in beiden Tierhal-tungsformen Grenzen überschritten, ist die Tierhaltung in Bereiche gekommen, wo Sympathie-Mittel keine Hilfe mehr sein können. Verzicht ist zwar ein bedrohlicher Be-griff geworden, aber ungeachtet dessen wird kein Weg ihn umgehen können.

Aus der Sicht des biodynamischen Landbaues ist im Nutztierbereich das Verzichten auf gewisse genetisch ermöglichte Höchstleistungen der einzig gangbare Weg. Es kann nicht sein, dass der Begriff „ökonomisch“ so un-trennbar mit „Leistungssteigerung“ verknüpft ist.

Im Fall der Hobbytiere ist zwar das Drama der Preis-situation kein Thema; sehr wohl ist aber der Begriff des Verzichtens die Klippe, die nicht zu umschiffen sein wird. Der vorhin thematisierte Egoismus ist zwar diffiziler als in der Nutztierhaltung, bietet aber genügend Auftreff-Fläche um Verzicht zu üben.

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Wesen des Haustieres

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Literatur:

Benecke, Norbert: „Der Mensch und seine Haustiere – Die Geschichte jahrtausendealten Beziehung“, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart, 1994

Spranger, Jörg (Hrsg.): „Lehrbuch der anthroposo-phischen Tiermedizin“; Sonntagverlag, Stuttgart, 2007

Schad Wolfgang: „Säugetiere und Mensch“, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 1971

Nickel, Richard; Schummer, August; Seiferle, Eugen: „Lehrbuch der Anatomie der Haustiere“, Bd.1, Bewe-gungsapparat, Parey-Verlag

Frau Dr. Stöger hielt diesen Vortrag am 14. Februar am Wurzerhof und am 15. Februar in Maribor.Elisabeth Stöger arbeitet als Tierärztin in Kärnten.

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Biodynamische Betrachtungen

Biodynamische Betrachtungen über das Tier(ische) in der Landwirtschaft und in unsÜberlegungen zur Haustierhaltung hinsichtlich der Auswirkung auf den lanwirtschaftlichen OrganismusWilhelm Erian

Persönliches zur Einführung:1973 fragte ihn der Vater: „Wirst du den Stall überneh-men, wenn du die Schule abgeschlossen hast? Ich kann den Melker nicht mehr bezahlen.“ Er verneinte, der Vater verkaufte seine Fleckviehherde.Sein Großvater meinte damals: „Für die Zucht einer Fleckviehherde braucht man ein ganzes Leben!“Wilhelm Erian hat schließlich 1979 doch den elterlichen Hof in Pacht übernommen.Er verkaufte sein Auto, kaufte zwei Kühe und begann, gegen den Willen seines Vaters, biologisch zu wirtschaf-ten.Bald hatte er sieben Kühe, jedoch keine wurde trächtig. Sein Vater, der im Zweitberuf Tierarzt war, und W. Erian hatten nichts unversucht gelassen. So wurde als letzte Option Dr. Selinger, ein nach der Methode der Homöo-pathie arbeitender Tierarzt, konsultiert.

Sein Rat war: „Füttern Sie keine Mineralstoffmischung, kein junges Gras, junges Heu, Silage, etc. Stattdessen lassen sie die Tiere nur noch auf überständige Weiden gehen, füttern sie nur noch Stroh, altes Heu, Kleie, Laub-heu.“Nach kurzer Zeit wurden fünf von sieben Kühen trächtig.

Daraufhin wurde in Zusammenarbeit mit dem homöo-pathischen Tierarzt die Bewirtschaftung des Hofes analysiert.

• Gibt es Hecken auf den Feldrainen?• Welche Fruchtfolgen werden gemacht?• Wie oft werden die Wiesen gemäht?

• Welche Tiergemeinschaften gibt es am Hof?• Wird der Wald miteinbezogen in die Tierfütterung?• Werden den Kühen Rüben gefüttert?• Wie erfolgt der Weidegang der Tiere?

All das und noch viele weitere Fragen führten zu einer kompletten Umstellung des Betriebes.

Wieder einige Jahre später wurde das Thema Zucht in Angriff genommen. Es gibt dabei zwei Herangehens-weisen:

o Zucht aus materialistischer Sicht, orientiert ausschließlich an Leistungskriterien.o Zucht, um das Wesen des Tieres zu verstehen, das Wesen weiterzuentwickeln, es auf eine höhere Stufe zu bringen.

Die Umgestaltung des Betriebes entwickelte sich zu einem Schulungsprozess für den Menschen selbst. Es handelt sich nicht um eine Landbaumethode, sondern um eine Lebenseinstellung.

Warum halten wir am Hof Tiere?

Wirtschaftliche Aspekte

Hohe Wertschöpfung

Innere Betriebsaufstockung, das heißt man kann mehr Tiere halten, das Einkommen steigern ohne die Fläche zu vermehren.Industrielles Denken, d.h. Spezialisierung und Rationa-lisierung, arbeitsteiliges Wirtschaften (nur Viehhaltung, nur Ackerbau).

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Biodynamische Betrachtungen

Organische Aspekte

Definition „Organismus“ in der Biologie: Ein Organis-mus ist das einzelne Lebewesen als die Gesamtheit der funktionell verbundenen und sich gegenseitig be-einflussenden Organe.1

Er ist ein belebter Naturkörper, dessen

Glieder zweckhaft aufeinander abgestimmt sind und die einander bedingen. Er ist immer mehr als die Summe seiner einzelnen Organe.

Nun, was hat das mit der Landwirtschaft zu tun?

Für Rudolf Steiner gleicht kein anderer Bereich des Le-bens sosehr der menschlichen Individualität wie ein (freilich ideal gestalteter) Bauernhof.2

Vom landwirtschaftlichen Organismus zur landwirt-schaftlichen Individualität

Organismen in der oben definierten Ausprägung waren vorhanden, bevor der Mensch in die Natur eingegriffen hat. Der Mensch hat seine eigenen Vor-stellungen entwickelt, Kultur geschaffen, und in die Natur hinein getragen. Das ist so lang gut gegangen, solange er bereit war, sich an bestimmte Grenzen zu halten. (Literaturempfehlung „Erysichton-Mythos der Griechen)3

Lange vor der ökonomischen Wissenschaft haben

1 Lexikon2 Steiner, Rudolf: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“, Rudolf Steiner Verlag, 4. Aufla-ge, Dornach, 20053 Publius Ovidius Naso: „Metamorphoses“, Buch 8, Vers 738-878, 8 n.Chr.

diese Mythen die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Ökologie mit erstaunlichem Durchblick behandelt.Das einzig wirklich Freie am Menschen ist sein Geist. Alle Handlungen aus diesem Geist heraus haben Auswir-kungen auf das Umfeld. Geht man in die Natur, so erscheint sie uns als Freiraum- „die freie Natur“.Die Natur hat aber ihre Gesetzmäßigkeiten. Naturge-setze stellen eine ungemein strenge Ordnung dar. Der allergrößte Teil dessen, was sich nicht an die Naturge-setze hält, fällt aus dem Leben heraus, d.h. es stirbt gleich oder bleibt unfruchtbar.

Immer dann, wenn der Mensch ein System fand, in dem die Naturreiche neben den menschlichen Bedürfnis-sen auch ihr Recht bekamen, entstanden Hochkulturen. Wir stehen heute an einem Punkt, wo wir uns nicht mehr zurückziehen und alles der Natur überlassen können, denn mit dem Auszug aus dem „Paradies“ (= Selbstabnabelung vom Instinkt) hat der Mensch eigene Erkenntnismöglichkeiten entwickelt und damit Mitverantwortung für die Schöpfung übernommen.

Wenn es der Mensch also versteht aus diesen einzel-nen Gliedern, den Organen eines landwirtschaftlichen Betriebes, einen Organismus zu bilden, fließt natürlich seine eigene Weltanschauung, seine ganze Persönlich-keit mit ein in diesen belebten Naturkörper. Sofern es gut gelingt, wird der Bauernhof zu der von Rudolf Steiner oft erwähnten landwirtschaftlichen Individualität.

Am Hof unterscheiden wir folgende Organe

•Boden (Auch er ist für sich ein Lebewesen. Jedes Lebendige hat sein eigenes Eiweißmuster. Es konnte nachgewiesen

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werden, dass es im Boden ein eigenständiges Eiweißmuster gibt, das zu keinem pflanzlichen oder tierischen Organismus gehört. Es wird von der Erde selbst gebildet. Es existiert also ein Bo-denleben unabhängig von den Bodenorganis-men.)

•Pflanze•Tier•Mensch

Alle vier Organe müssen immer in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Wenn sich ein Teil ändert, hat das Auswirkungen auf alle anderen.

Es gibt im landwirtschaftlichen Zusammenhang Grundweisheiten, die dieses Zusammenwirken der Or-gane aufzeigen:

Die Wiese ist die Mutter des Ackers

Das, was der Bauer am Acker macht, ist genau das Ge-genteil von dem, was die Natur will.Ackerbau ist eine einseitige Bepflanzung. Der Bauer will, dass nur eine Kulturpflanze in einem Jahr auf einem Feld wächst. „Der Bauer will Einfalt, die Natur will Vielfalt.“4Die Wiese, gemeint ist dabei das richtig bewirtschaftete Dauergrünland, ist ein Beispiel für natürliche Vielfalt mit stabilem Ökosystem.

Mit dem Anbau von Kulturpflanzen macht der Mensch aber genau das Gegenteil dessen, was die Natur will. Die-se will nämlich möglichst große Vielfalt an verschiedenen Pflanzen und Tieren.

4 Originalzitat Erian

In einem Urwald wächst hoch Aufschießendes neben Kriechendem, üppig Grünendes neben zart Spros-sendem, Mehrjähriges neben Kurzlebendem, Tiefwurz-ler neben Flachwurzler. Es gibt einen steten Auf- und Abbau von organischer Substanz; ein perfektes Kreislaufsystem. Ein aktives Bo-denleben sorgt für „ewiges“ Leben. Dieses perfekte System der Viefalt finden wir in analoger Form auf unseren Höfen in richtig bewirtschafteten Dau-erwiesen.

Es ist völlig falsch Grünlandflächen alle paar Jahre um-zubrechen und ein Wechselwiesensystem einzuführen. Nur in „alten“ Wiesen steckt die Kraft der Dauerwiese.

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hat der Botaniker Voisin immer wieder auf die segensreiche Wirkung der Dauerwiese hingewiesen.5 Sie ist auch das einzig heute bekannte „Heilmittel“, um die weltweit auf-tretende Unfruchtbarkeit bei Rindern zu beheben. Denn es ist doch die Kuh, die durch die modernen Landbau-, Zucht- und Haltungsmethoden zur Repräsentantin für die so genannte „symptomlose Sterilität“ wurde.

Gibt man den Tieren Gras von der Wiese und bringt dann den Dünger auf dem Acker aus, gleicht man den Eingriff ins Ackerland aus, was eine wichtige zusätzliche Möglichkeit zum Fruchtfolgewechsel ist.

Die Fruchtfolge ist nichts anderes als ein zeitliches Aufeinander von verschiedenen Pflanzen, statt des von der Natur angestrebten räumlichen Nebeneinanders von verschiedenen Gewächsen. Das Zulassen eines gewis-sen Unkrautbesatzes ist ein Schritt zur Förderung der Selbstheilungskräfte des Organismus Boden. Denn bei genauem Hinschauen finden jene Pflanzen die besten

5 Voisin, Andrè: „Die Produktivität der Weide,“ BVL, 1958

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Keim- und Wachstumsbedingungen auf einem bestimmten Standort, die der Boden dort am drin-gendsten braucht.

Unkräuter scheinen etwas ins Gleichgewicht bringen zu wollen, das unharmonisch ist, wie etwa verstärktes Auftreten von Disteln das Vorhandensein eines Pflugs-ohlenverdichtungshorizontes anzeigen kann, Ampfer stauende Nässe im Untergrund, die Brennnessel kommt, wenn organische Substanz aufzuarbeiten ist und so fort.Wie jeder weiß, sinkt bei erhöhtem Unkrautbesatz der Ertrag. Damit ist man beim Kern des Problems ange-langt und bei einem Grundprinzip des Lebens:„Langfristige Gesundheit und Fruchtbarkeit gibt es nur bei einem gewissen Verzicht auf materiellen Ertrag.“6

Rudolf Steiner spricht davon, dass Pflanzen die Erde beleben, Tiere sie beseelen. 7

Das Gras auf der Wiese wächst auf und kommt in die Blüte. Von der Form her gibt es Analogien bei den Staub-gefäßen der Blüten zu den Geschlechtsorganen des weiblichen Rindes. Es besteht im übertragenen Sinne ein direkter Zusammenhang, der in der folgenden Redensart zum Ausdruck kommt: „So wie die Blume auf der Wiese blüht, so blüht die Kuh den Stier entgegen.“Die Blüten sind für die Stärkung der Reproduktionskraft der Kuh zuständig.

Düngen heißt nicht die Pflanze ernähren, sondern den Boden beleben!

Ein Boden ohne belebende Organismen, sowohl pflanzlicher als auch tierischer Natur, ist nicht vorstellbar.

6 Originalzitat Erian7 Vgl. Steiner s.o.

Der Boden als solches ist wiederum ein in sich geschlos-sener Organismus, dessen einzelne Glieder sich gegen-seitig bedingen und zweckhaft aufeinander abgestimmt sind.

Was ist das Belebende beim Mist, was wirkt belebend für den Boden?Dr. Selinger sagte: „Der Regenwurm ist nichts anderes als eine frei gewordene Wurzel.“

Betrachtet man den Schnitt durch die Spitze einer Wurzel und durch die des Regenwurmes, lassen sich ganz große Analogien feststellen. Beide haben eine Schleimschicht, die es erst ermöglicht, den Boden zu durchdringen.Es erfolgt also eine unglaublich große Schleimausschei-dung der Wurzeln in den Boden hinein.Eine einzige Maispflanze scheidet in einer Vegetations-periode bis zu 1,5 t Schleimstoffe in den Boden hinein ab.

Leben entsteht immer im Bereich von Schleimhäuten: im Ei ebenso wie in der Gebärmutter. So ist speziell die-ser schleimige Bereich um die ganz feinen Wurzeln he-rum der ideale Lebensraum für die Bodenlebewesen.

Ein besonders wertvoller Dünger ist der Taubenmist. Die äußerlich weiße Schicht des Exkrementes ist Schleim-haut. Bei Hühnern erneuert sich die Darmschleimhaut alle zwei Tage.Diese durch den Mist ausgebrachte Schleimhaut hat die bodenbelebende Wirkung.

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Deshalb ist es auch das Ziel bei der Fütterung vom Rind, dass der ausgeschiedene Mist von richtiger Qua-lität ist. Richtig in der Konsistenz und glänzend von der Schleimhaut.

Wie wird das erreicht?R. Steiner: „Man sollte sich bei der Fütterung an der ganzen Pflanze orientieren.“8

Wurzel – Stängel – Blatt – Blüte – FruchtAll das muss in der Fütterung enthalten sein, nur so ist

die Fütterung richtig. Wurzel: Die weißfleischige Wasserrübe für den erwach-

senen Wiederkäuer, die Karotte für Jungtiere. Jeweils nur in maßvollen Mengen (3–5 kg/Tier u. Tag an Rüben, 1kg/Tier u. Tag an Karotten) W.Erian: „Die Futterrübe und Karotten erscheinen mir als Bauer in der Rinderfüt-terung, aber auch bei Schwein, Schaf, Pferd, Ziege und Huhn als unverzichtbar.“

Stängel: Dieser ist nur dann als wiederkäuergerecht anzusehen, wenn er eine gewisse Reife erreicht. Ob der geforderte Reifegrad erreicht ist, lässt sich zuallererst

8 Steiner, s.o.

am Mistfladen ablesen, bei Hartkäseerzeugung nach mindestens sechsmonatiger Reifung am Käsegeschmack erkennen.

Blatt u. Blüte: Ausgereiftes Gras. Bei Untersuchung einer wildlebenden Wisentherde in Mitteleuropa hat sich gezeigt, dass August und September die natürliche Hauptkonzeptionszeit ist.

Will der Bauer, dass seine Kühe in der Zeit des Tierkreis-zeichens Stier, also im Mai, brünstig werden, so muss er seine Fütterung so gestalten, dass er ihnen jene Blüten-kräfte, die verstärkt brunstauslösend wirken, im Frühjahr zuführt. Ein alter Bauernspruch sagt. „Grumet nicht vor Lichtmess“, was heißt, dass feines blütenreiches Futter erst nach dem 2. Februar verfüttert werden soll.

Frucht: Getreide, aber nur als Gewürz, als Lockmittel.Hier wird das Schmachtkorn, Bruchkorn, Kümmerkorn verwendet, eben nur jenes, das für den Menschen nicht geeignet ist.

Jeder Betrieb braucht daher auch eine bestimmte Flächezum Getreideanbau. Die Ernte wird durchgeputzt, zwei Drittel davon sollten für den Menschen bleiben, ein Drittel für die Tierfütterung.

Diese Menge muss reichen für die Kühe, für die Schweine und für die Hühner.Danach richtet sich auch die Menge der Schweine und die Anzahl der Hühner, die auf einem Hof gehalten wer-den können. Denn für diese Tiere ist Getreide die Futter-basis, nicht für die Rinder.

Schwein und Huhn sind in jener Anzahl am Hof sinn-voll, als für sie zu verwertende Nahrungsmittel, die für die menschliche Ernährung nicht geeignet sind, an-fallen: Das „Saugrasl“, die „Saukartoffel“ (sehr kleine, verletzte, grünlich verfärbte), die Molke, die Heublumen, Küchenabfälle.

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Beherzigen wir diese grundlegenden Dinge nicht, dann gilt auch weiterhin: „Das Vieh der Reichen frisst das Brot der Armen.“

Die heute üblichen Feldfutter, aber auch Grünlandmi-schungen mit rasch wachsenden, massenbildenden Grä-sern, bergen oft die Gefahr in sich – vor allem in Verbin-dung mit „triebiger“ Düngung – dass durch den dichten, raschen Bewuchs Blätter im unteren Teil der Pflanze gelb und faulig werden. Um dem vorzubeugen, mäht der Bau-er früher - unreifes Futter bewirkt rascheres Wachstum der Jungtiere, reichlichere Milchbildung und transferiert so die Unreife vom Feld in den Stall. Stoffwechselpro-bleme beim Tier sind die Folge.

Ist die Verdauung des Rindes gestört, hat das Tier Durch-fall, beginnt ein Teufelskreislauf.Der schlechte Mist kommt aufs Feld, das Bodenleben wird schlecht gefördert. Der Boden bringt minderwer-tigere Pflanzen hervor, was wieder als schlechtes Futter für die Tiere dient, usw..

Die Möglichkeiten einzugreifen bestehen nur über die Fütterung, indem das Gras erst gemäht wird, wenn es voll ausgereift ist, d. h. die Wiese schon in leicht bräun-lichem Schleier erscheint.

Ideal sind unterschiedliche Mähzeiten, denn einmal im Jahr soll jedes Wiesestück voll ausreifen können.

Ist aus den oben genannten Gründen nur junges Futter anzubieten, so kann mit der Zufütterung von Stroh ein Ausgleich erreicht werden. Natürlich ist die Milchleistung bei dieser Fütterung nicht optimiert, aber langfristig ge-sehen wird nur so das Leben am Hof aufrecht erhalten, bleibt das System im Gleichgewicht.

Für die landwirtschaftliche Individualität vollzieht sich die beste kosmische Analyse (also das Entstehen der be-

sten Lebensmittelqualität) von selber im Zusammenle-ben eines mit Pflanzen bewachsenen Gebietes mit dem, was an Tieren in diesem Gebiet lebt. Das bedeutet, dass die Tiere das richtige Maß dessen fressen, was die Erde hergeben kann an Pflanzen. Denn das Tier liefert aus seiner Organisation heraus, auf der Grundlage eines sol-chen Futters, den besonders geeigneten Mist für diesen Boden, wo die Pflanzen wachsen.

Das führt hin zu einem anderen Grundsatz der biody-namischen Wirtschaftsweise:

Die Systemgeschlossenheit

„Alles, was von außen in einen landwirtschaftlichen Betrieb eingebracht wird an Hilfsstoffen, Futter- oder Düngemitteln ist anzusehen als ein Heilmittel für eine bereits erkrankte Landwirtschaft.“9

Auch Wildtiere müssen miteinbezogen werden: Kriech-tiere, Raubtiere, Amphibien, Vogel- und Insektenwelt.

Nachdem die letztgenannten in der biologischen Schädlingsbekämpfung eine zentrale Stellung einneh-men, brauchen sie, sollen sie im Gesamtsystem wirksam werden, einen Lebensraum. Hier soll noch einmal auf die Bedeutung von Hecken und Wald, Gewässer- und Bio-topflächen hingewiesen werden.

Wie stellt man die Stickstoffversorgung im Boden sicher? Als Problemlöser bietet sich die Kleebrache innerhalb der Fruchtfolge an. Die beste Verwertung erfolgt über den Wiederkäuer (im mitteleuropäischen Raum in erster Linie das Rind), ist er doch in der Lage, aus Zellulose menschlich verwertbares Eiweiß zu erzeugen.

9 Steiner, s.o.

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Was stärkt den Verdauungsapparat des Rindes?

• Ausgereiftes Futter• Laubheu

- gewonnen aus den Hecken der Feldraine. Jede Wiese und Ackerlandschaft braucht zur Nütz-lingsförderung und Laubheugewinnung Hecken. „Jede Weide eine Hecke.“ Bei der Pflege fällt das sogenannte Laubheu an, das für den Wiederkäu-er einen unverzichtbaren Teil der Wochenration darstellt. Zusammen mit im Winter angebote-nem Nadelbaumreisig stellt das Laubheu die Mi-neralstoffversorgung der Tiere sicher.10

Martin Buber soll gesagt haben: „Wir müssen dem Nutzen des scheinbar Nutzlosen wieder mehr Raum geben.“11• Salzverabreichung

Dr. Selinger erinnerte die Bauern immer wieder daran, dass jedes Organ, das nicht sinnvoll tätig sein kann, degeneriert. Wird das lebensnotwendige Salz, so wie heute üblich, dem Futter beigemengt, wird es an den Speicheldrüsen sozusagen vorbeigeschluckt, er-zeugt es im Magen eine Übersäuerung. In der Folge werden die säureproduzierenden Drüsen träge, der gesamte Verdauungstrakt verliert an Verdauungskraft. Zufütterung von Mineral-stoffen wird notwendig. Durch eine schlechtere Verdauung sinkt die Mistqualität, ein minder-wertiger Mist erzeugt kein wertvolles Futter, und Futter minderer Qualität erfordert den Einsatz von Futterergänzungsmitteln, wie Mineralstoffe und Vitamine in konzentrierter Form.

10 Machatschek, Michael: „Laubgeschichten: Gebrauchswissen einer alten Baumwirtschaft, Speise- und Futterlaubkultur“, Böhlau Verlag, Wien, 2002.11Buber, Martin

Richtig ist Salzverabreichung nur in Form von Natursteinsalzblöcken, denn bei der schle-ckenden Salzaufnahme wird das Salz im Maul abgepuffert und kommt neutral im Magen an. Mineralstoffmischungen sollten auf keinen Fall zugefüttert werden. Wenn das Rind immer wie-der Mineralstoffe erhält, wird der Verdauungs-trakt geschwächt.

Was schwächt aus der Sicht des biodynamischen Landbaues die Verdauungsorgane des Rindes?

• Unreifes Futter• Mineralstoffmischungen

Sie haben denselben Effekt wie der Handelsdün-ger für den Acker. Man erspart dem Verdauungs-trakt die Extraktion der Stoffe aus dem Futter, und gibt diese in einer leicht löslichen Form. Langfristige Folge ist die Rückbildung der Ver-dauungskraft. Das Organ wird geschwächt.

• Silage Silagefutter soll, wenn überhaupt, nur zeit-lich und mengenmäßig begrenzt eingesetzt werden, ein verträgliches Maß erscheint 1/3 der Gesamttagesration gerechnet nach der Trockensubstanz und max. 1/3 des Jahres. Der Pansen ist eine hochpräzise Gärkammer. Das Rind bekommt mit der Silage ständig etwas Vorverdautes. Der Verdauungsapparat verliert an Kraft.

Die angesprochenen Verdauungskraftschwächungen sind nicht kurzfristig sichtbar, sondern wirken sich erst nach mehreren Generationen aus; man rechnet im

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Allgemeinen mit 12, das wären beim Rind rund 60 Jahre. Aus all diesen aufgelisteten Tatsachen ergibt sich die Notwendigkeit einer vielseitigen Betriebsführung, die Notwendigkeit für eine große Diversität am Hof.

Emotionale Aspekte

Tiere vermitteln Ruhe und Herzenswärme, Rhythmus und Ordnung, Schönheit und Anmut.

Woher kommt die Sehnsucht nach Tieren?

• Das Tier gibt Körperwärme, gemütlich und angenehm wie ein Kachelofen- aber auch jene Wärme, die unser Herz erwärmt. Die Ruhe, die in einem Stall spürbar ist, wirkt auf Menschen beruhigend wie ein sanft wogendes Meer.• An der Kuh besonders faszinierend und heil-sam erscheint ihr Rhythmus. Vor allem Rinder behalten ihren Rhythmus stets bei und lassen sich nur schwer aus diesem periodischen Wechsel von Fressen und Wieder-kauen, Schlafen und Wachen usw. bringen. „Wenn du dich vor Stress nicht mehr kennst, dann setze dich vor eine Kuh und schau ihr beim Wiederkauen zu, wie sie lang-sam ihren Unterkiefer hin und her wiegt.“ War Großvaters Rat, wenn Herr Erian wieder einmal gestresst war.• Die Ordnung, die in einer Herde vorherrscht, lässt erkennen, dass hier eine ähnliche Rhyth-misierung vorliegt, nach der im Einzeltier die einzelnen Körperfunktionen ablaufen: In einer Herde weiden die Tiere gemeinsam, rasten gemeinsam, gehen gemeinsam zur Tränke. Jedes Tier hat seinen festen Platz, der

äußere Kreis der Herdenmitglieder „wächst“ allmählich in die Mitte hinein. Jedes Tier hat sein Recht und auch seine Pflicht.• Die Schönheit und Anmut. Damit ist die persönliche Beziehungsebene gemeint,die innere Vertrautheit.

Was ist das Wesen, das Wesentliche am Tier?

Wenn man sich zum Beispiel eine Kuh vorstellt, und alles was an dieser Kuh physisch sichtbar ist, sich weg-denkt, dann bleibt letztendlich das Wesen der Kuh üb-rig. Dieses Wesen besteht aus Trieben, vor allem Hunger, Durst, Sexualtrieb, Bedürfnisse nach sozialen Kontakten, usw..R. Steiner: „Das Tier ist die Verkörperung von Trieben.“12

Mit domestizierten Tieren tritt man in eine Wechselbe-ziehung. Zähmung schafft Vertrautheit.Sie verändert das Wesen. Gewisse Triebe schwächen sich ab. Das Tier verliert die Wildheit und die Angst. Trotzdem aber bleibt es die Verkörperung von Trieben. Es geht immer um Interaktion mit einem triebhaften Wesen.Im Gegensatz dazu hat der Mensch gelernt seine Triebe zu beherrschen.Die Auseinandersetzung mit dem Tier ist zugleich die beste Schule für den Menschen. Das Haustier ist andererseits Spiegelbild des mensch-lichen Wesens. In jenem Maß, wie es gelingt das Tier zu beherrschen, mit ihm vertraut zu werden, in dem Ausmaß gelingt es auch, mit den eigenen Trieben vertraut zu werden und

12 Steiner, s.o.

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sie zu beherrschen.Tierzucht ist also als ein Wechselspiel zu verstehen,

bei dem das Tier und der Mensch die Chance auf eine Weiterentwicklung haben. Das ganz konkrete Verhalten meiner Tiere im Stall ist der Spiegel, indem ich meinen eigenen Weg des Mensch-Werdens verfolgen kann.

Die schönste Beschreibung einer Zähmung findet man bei Saint-Exupéry in seiner Erzählung „Der kleine Prinz“.

Zur Vorgeschichte: Der „Kleine Prinz“ (er stellt in Exu-pérys Vorstellung den Menschen dar) ist ein Außerir-discher, der für eine Zeit die Erde besucht und hier unter anderem auf einen Fuchs trifft…

„Wer bist du?“ fragte der kleine Prinz. „Du bist sehr hübsch“. „Ich bin ein Fuchs“, sagte der Fuchs. „Komm und spiel mit mir“, schlug der kleine Prinz vor. „Ich kann nicht mit dir spielen“, sagte der Fuchs. „Ich bin noch nicht gezähmt!“ Nach einiger Überlegung sagte der klei-ne Prinz: „Was bedeutet das – zähmen?“ „Das ist eine in Vergessenheit geratene Sache“, sagte der Fuchs. „Es bedeutet: sich vertraut machen.“ „Vertraut machen?“ wiederholte der kleine Prinz fragend. „Gewiss“, sagte der Fuchs. „Du bist für mich nichts als ein kleiner Knabe, der hunderttausend anderen Knaben völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebenso we-nig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend anderen Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein auf der Welt… Wenn du mich zähmst, wird mein Leben wie durchsonnt sein. Ich werde den Klang deines Schrittes kennen, der sich von allen anderen unterschei-det. Die anderen Schritte jagen mich unter die Erde. Der deine wird mich wie Musik aus dem Bau locken. Und dann schau! Siehst du da drüben die Weizenfelder? Ich esse kein Brot, für mich ist der Weizen nutzlos. Die Weizenfelder erinnern mich an nichts. Du aber hast wei-

zenblondes Haar. Oh, es wird wunderbar sein, wenn du mich einmal gezähmt hast! Das Gold der Weizenfelder wird mich an dich erinnern. Und ich werde das Rauschen des Windes im Getreide lieb gewinnen.“

Der Fuchs verstummte und schaute den Prinzen lange an: „Bitte… zähme mich!“ sagte er dann. „Ich möchte wohl“, antwortete der kleine Prinz, „aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge ken-nenlernen.“ „Man kennt nur die Dinge die man zähmt“, sagte der Fuchs. „Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgendetwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fer-tig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du aber einen Freund willst, so zähme mich!“ „Was muss ich da tun?“ fragte der kleine Prinz. „Du musst sehr ge-duldig sein“, antwortete der Fuchs. „Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so verstohlen, so aus dem Augenwinkel ansehen, und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle aller Miss-verständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen näher setzen können…“

So machte denn der kleine Prinz den Fuchs mit sich vertraut. Und als die Stunde des Abschieds nahe war: „Ach!“ sagte der Fuchs, „ich werde weinen“. „Das ist dei-ne Schuld“, sagte der kleine Prinz, „ich wünschte nichts Übles, aber du hast es gewollt, dass ich dich zähme…“ „Gewiss“, sagte der Fuchs. „Aber nun wirst du weinen!“ sagte der kleine Prinz. „Bestimmt“, sagte der Fuchs. „So hast du also nichts gewonnen!“ „Doch“, sagte der Fuchs, „ich habe die Farbe des Weizen gewonnen.“ Zum Abschied hatte der Fuchs dem kleinen Prinzen noch zwei Geheimnisse versprochen: „Adieu“, sagte der kleine Prinz. „Adieu“, sagte der Fuchs. „Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach:

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche

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ist für die Augen unsichtbar.“13

Die Zähmung eines Tieres vererbt sich nicht, sie bleibt nicht erhalten. Die Zähmung muss in jeder Generation neu errungen werden. Dieser Erziehungsvorgang ist beim Tier ganz ähnlich wie beim Menschen.

Will man ein Rind zähmen, muss man beim Kalb be-ginnen. Man sollte bei der Geburt anwesend sein. Das Wesen, das unmittelbar nach der Geburt gesehen und gehört wird, wird als Muttertier anerkannt. (Siehe Verhal-tensforschung v. Konrad Lorenz.)

Bezogen auf die Kuh heißt das, sich möglichst früh in die Beziehung Kuh und Kalb hineinzudrängen. Das mag zunächst einen rohen Eindruck erwecken, aber es bringt für beide Seiten positive Errungenschaften.

Man muss mit unendlicher Geduld (wie sie auch die Kuhmutter besitzt) durch Hand- und Körperkontakt und durch oftmaliges Anreden des Tieres eine Beziehung her-stellen. Für das Kalb wird man Mutterersatz und später Herdenmitglied, für die Kuh wird man zum Kalbersatz. So entsteht der wünschenswerte Zustand, dass die Kuh die Milch uns schenkt. Denn Milch wird von einem Säu-getier nur dann abgegeben, wenn das Jungtier auf seine Ernährung angewiesen ist. Weder vorher, noch nachher wird Milch produziert. Milch wird also nur in der Phase abgegeben, wo das Muttertier stärken und beglücken will. Im übertragenen Sinn kann gesagt werden: Milch ist flüssiggewordene Liebe.Unter diesen Umständen gibt uns die Kuh ihre Milch freiwillig.

In jedem Gegenstand, der uns umgibt, steckt etwas von dem Menschen, der ihn gefertigt hat. Seine Idee, sei-ne investierte Kraft, etc.. Je individueller etwas hergestellt

13 De Saint-Exupery, Antoine: „ Le petit prince“, Ins Deutsche übersetzt von Leitgeb Grete und Josef, Rauch, 58.Auflage,Gallimard, Paris, 1946

wurde, desto mehr transportiert es etwas vom Wesen seines Schöpfers oder seiner Schöpferin. Je industrieller

das Ding entstanden ist, desto weniger hat es etwas von der Persönlichkeit mitbekommen.

Übertragen auf die Milch bedeutet dies, dass in der Milch auch immer etwas vom Wesen der Kuh enthalten ist, sowie auch von ihrem menschlichen Betreuer oder der Betreuerin. Das heißt entweder Geduld, Liebe, Hin-wendung, Verständnis, Ruhe, oder auf der anderen Seite Aggression, Gewalt, Missmut, Stress, Angst.

All das wird ebenfalls mit der Milch konsumiert und im Zuge der Verdauung absorbiert.

R. Steiner: „Es gibt keine Tierzucht ohne Selbstzucht.“14

Der Mensch muss sehr selbstbeherrscht sein, damit er überhaupt ein Tier züchten und zähmen kann.

Die zur Tierzucht notwendige seelische Grundhaltung wird also von Selbstzucht, Demut, Opferbereitschaft ge-prägt. All das kann aber nicht verordnet werden, sondern nur aus dem freien Entschluss des Menschen hervorge-hen. Das Grundlegende, auf das es bei der Tierhaltung wirklich ankommt, kann nicht per Gesetz geregelt wer-den.

Es kursiert noch eine andere Meinung: „Der Mensch ist der Parasit des Haustieres.“

Das wirft die Frage auf: Woher nimmt der Mensch das Recht ein Mitgeschöpf, ein Tier überhaupt zu nutzen? Sein Fleisch zu verzehren, seine Milch zu nehmen, es in einem beschränkten Raum zu halten?Mit der Zähmung eröffnet der Mensch dem Tier eine

14 Steiner, Rudolf: Register zur R. Steiner Gesamtausgabe, 4.Bände, Rudolf Steiner Verlag, Dornach,1998

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Welt, die sich außerhalb seines instinkthaften und trieb-haften Lebens befindet. Nur durch die Ermöglichung ei-ner anderen Ebene, einer Höherstufung des tierischen Wesens scheint der Mensch die Berechtigung zu haben, das Tier zu nutzen.Zitat von Saint Exupery aus dem kleinen Prinzen: „ Du bist zeitlebens verantwortlich für das, was du dir vertraut gemacht hast.“15

Das Folgende wird Zarathustra zugeschrieben: „ Wenn in dir gute Eigenschaften keimen, dann kannst du ein Tier zähmen. Dann kannst du ihm einweben deine gu-ten Eigenschaften. Denn wenn der Mensch die Natur so lässt, wie sie ist, treibt alles in Wildheit hinein.“

Lässt man Kuh und Kalb natürlich, gut versorgt, aber alleine aufwachsen, werden sie scheu, wild und unzu-gänglich. Sie müssen dann mit Gewalt gefangen oder geschossen werden. Somit würde sich auch der Mensch wieder zurückentwickeln zum Sammler und Jäger.

Rudolf Steiner: „Das Tier kann sich von selbst nicht hö-her entwickeln, es braucht den Menschen dazu.“16 Kon-kret bedeutet das Gesagte: Fellpflege von Hand, tägliche körperliche Kontaktaufnahme (vor allem mit den Jung-tieren), oftmaliges Ansprechen, Anlernen der Tiere zum Führen am Halfter und wenn möglich zur Zugarbeit, ei-gene Vatertierhaltung (Als erstes entsteht das Kalb im Kopf des Züchters oder der Züchterin, daher braucht er oder sie eine ganz konkrete Vorstellung dieses Kalbes. Zum Aussuchen eines Vatertiers genügt daher nicht der Besamungskatalog.)

15 Exupery,s.o.16 Steiner, Rudolf, geisteswissenschaftliche Grundlagen...

Für die Herdengröße ist der betreuende Mensch das Maß und nicht der Umsatz, die Wirtschaftlichkeit oder die Fläche.

Die einzelnen Herdenmitglieder müssen ihm so nahe sein, dass er alle mit Namen ansprechen kann und auch die Nachzucht kennt. Nachdem diese Fähigkeit unter-schiedlich ausgeprägt ist, kann man keine absolute Zah-lenobergrenze angeben. Es sollte sich aber nach all dem bisher Gesagten jede/r überlegen, ob Tierzucht in Her-den, in denen die Identifizierung nur mehr anhand von Nummern erfolgt, tier- und menschengerecht ist?

Ist ein Tier richtig gezähmt worden und mit seiner Bezugsperson eng vertraut, dann können sich die Um-gebungsbedingungen verändern und das Tier wird trotz-dem nicht sehr gestresst sein, solange dieser Mensch bei ihm ist.

In letzter Konsequenz verhält sich das auch so, wenn das Tier zur Schlachtung geführt wird. Es soll bis zur Betäubung von der vertrauten Bezugsperson begleitet werden.

Dr. Selinger wurde nicht müde die Bauern und Bäu-erinnen daran zu erinnern, dass der Mensch am Tier nichts tun oder auch lassen kann, was nicht früher oder später an ihnen selbst sichtbar und wirksam wird.

Anforderungen an den Stall

Betrachtet man eine Rinderherde auf der Weide, so er-kennt man, dass jede Kuh ihren ganz individuell großen „Sicherheitsraum“ beansprucht um sich wohlzufühlen. Ein Anbinden in einem Stallgebäude eines ähnlich groß-en Raumes mit den von der Kuh auf der Weide gewählten Ausweichdistanzen, ist aus finanziellen und vielerorts

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räumlichen Gründen nicht möglich.Die Anbindehaltung ermöglicht dem Einzeltier einen

geschützten Bereich, wo es Futter, Wasser, und einen Ruheplatz vorfindet. Deshalb bekennt sich die Deme-terbewegung auch nach wie vor zur, von einfühlsamen Bauern/Bäuerinnen gehandhabten Praxis der Anbinde-haltung, unter der Bedingung ausreichend breiter und langer, strohgepolsterter Stand- und Liegeplätze, mit einer Anbindung, die alle üblichen Bewegungsabläufe ohne Behinderung zulässt, weiters wöchentlich mehr-mals Auslauf auf Wiesenflächen im Winter und im Som-mer Tages- und Nachtweide.

„Ich wehre mich ganz entschieden gegen das Hinter-wäldler-Image, das man Bauern zukommen lässt, die nicht von Neuerungen, wie z.B. dem Laufstall begeistert sind. Denken Sie an eine Seilmannschaft, die in eine Wand einsteigt und wegen einer falsch gewählten Rou-te umkehren muss: Da ist dann plötzlich der Letzte am Seil der Erste der Mannschaft. Ich hoffe, Sie haben aus dem Gesagten und zwischen den Zeilen stehenden Un-gesagten herausgespürt, dass artgerechte Tierhaltung für den Demeterbauern und die Demeterbäuerin etwas anderes bedeutet als das Einhalten von Tierhaltungsmin-deststandards. Das, was aus dem freien Fühlen, Denken und Wollen der Menschen hervorgeht, sollte einfließen in eine dem Menschen gerecht werdende Haltung dem Tier gegenüber. Für uns Demeterbauern und -bäue-rinnen ist die Art und Weise des Umgangs mit dem Tier eine Bewusstseinsentwicklung, die man nicht mit Richt-linien steuern kann. Alle Änderungen in der bäuerlichen Kultur fanden aus einem neu gewonnenen Erkennen heraus statt und nicht aufgrund von Vorschriften. Denn alles Erzwungene wird über kurz oder lang unfruchtbar. Letztendlich geht es in unserem bäuerlichen Bemühen ja darum, aus dieser menschlichen Haltung dem Tier und der Erde gegenüber, Qualitäten in den Lebensmitteln zu

erzeugen, die den Menschen so ernähren, dass er in sei-nem Mensch-Sein gefördert wird.“17

Organismus Bauernhof

Zu diesem Themenkreis gehören in der biodynamischen Landwirtschaft natürlich auch die Kompostierung der tierischen Exkremente und die Umsetzungsförderung durch die biodynamischen Kompost- und Spritzprä-parate, Umfang, Vielfalt und Zucht der Haustierhal-tung, die Bedeutung der Kuh als zentrales Tier mittel-europäischer Landwirtschaft, die Notwendigkeit der Bienenhaltung und Fragen der Pflanzenzucht und der Bodenbearbeitung besprochen. Aber auch die Ver-mittlung der Erkenntnis, dass der Bauernhof nicht an den äußeren Grundgrenzen endet, sondern vor allem nach unten und oben im wahrsten Sinne des Wortes kosmische Dimensionen besitzt und welche Aus-wirkungen das auf Erde, Pflanze, Tier und Mensch mit sich bringt.

Die biodynamische Landbaumethode wurde aus der Anthroposophie heraus entwickelt. Anthroposophie bedeutet wörtlich „übersetzt“ Wissen (Lehre) vom oder über den Menschen.

Sie geht davon aus, dass das Wesentliche am Men-schen seine geistig-seelische Dimension ist: Sie nimmt einen innersten Geistes- und Seelenkern an, das den äu-ßeren Wahrnehmungsorganen verborgene Wesen des Menschen.

Ein entscheidender Faktor im ganzen landwirtschaft-lichen System kommt, soll aus dem landwirtschaftlichen Organismus eine landwirtschaftliche Individualität werden, aber dem Menschen zu.

17 Erian im Vortrag

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Biodynamische Betrachtungen

Grundsätzlich sollte man sich die Frage stellen, welche Art von Beruf der des Bauern, der Bäuerin ist?Produzierend oder dienstleistend ?

Die Tätigkeit des Bauern/der Bäuerin ist vor allem die Hege und Pflege des Lebens am Feld, auf der Wiese, im Wald, im Stall, im Haus, und ist damit eine vorwiegend soziale Tätigkeit.

Immer wenn in einem sozialen Beruf das wirtschaft-liche Element (die politische Forderung der letzten Jahre geht in die Richtung: „Der Bauer muss endlich Unter-nehmer werden.“) die Oberhand gewinnt, zieht sich ganz einfach das Leben zurück. Die ewig schöpferische Kraft, die immer wieder neues Leben schafft, ist daher nicht mit dem materiellen Ertragsdenken vereinbar. Natürlich lebt der Bauer finanziell vom Verkaufserlös dessen, was sein Betrieb an Erträgen hervorbringt. Die Schwierigkeit liegt im Maßhalten.

Walter Haim, ein Demeterbauer aus dem Allgäu hat es so ausgedrückt: „Je mehr der Bauer erzeugt, desto gerin-ger werden seine Erzeugnisse bewertet.“

Dieser mehr oder weniger soziale, demütige oder herr-schende, dem Leben ehrfurchtsvoll oder fordernd gegen-über stehende Mensch ist also das wesentliche Element, das darüber entscheidet, ob sich ein landwirtschaftlicher Betrieb höher und weiter entwickelt.

Persönlicher Eindruck und Würdigung

Die Begeisterung, mit der Wilhelm Erian das Thema in seinem Vortrag vermittelt hat, steckt an und reißt mit. Die aus dem Stegreif immer wieder eingeflossenen Erfahrungshinweise und praktischen Tipps und der lo-ckere, dynamische Vortrag suggerieren das Gefühl, als wäre es ein Beruf von müheloser Leichtigkeit. Wissend um die Realität bleibt doch der Eindruck von Freude und Zufriedenheit.

Wilhelm Erian hielt den Vortrag am 18. Dezember 2008 im Rahmen der Ringvorlesung

Der Vortrag, wurde bearbeitet von Regina Enzenhofer.

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Biodynamischer LandbauParasitenregulierung

Praktische Maßnahmen zur Parasitenregulierung Eine Methode empfohlen vom Tierarzt und Biodynamiker Dr. Leopold Selinger

Hannes Neuper

Die Ziege und das Schaf – beide etwa 8000 v. Chr. in Vorderasien domestiziert – gehören neben dem Hund (13000-7000 v. Chr. in Eurasien und Nordamerika) zu den ältesten Weggefährten des Menschen. Durch die Domestizierung dieser Tiere hat der Mensch die Verant-wortung für ihre Lebensbedingungen übernommen. Sol-len die Tiere gesund und fruchtbar bleiben, dann müssen diese Bedingungen auch mit den Bedürfnissen dieser Tiere übereinstimmen. Und dazu müssen wir die gefor-derten Bedingungen aus dem Wesen der betreffenden Tierart gewissermaßen herauslesen.

So sprechen wir in der biodynamischen Landwirt-schaft nicht von einer artgerechten, sondern von einer wesensgerechten Tierhaltung. Das Wesen eines Tieres lässt sich beschreiben als ein Zusammenspiel von Ana-tomie, Stoffwechsel, Erbgut und Embryologie, Verhalten und Seelenleben. Letzteres wird, weil nur schwer zu er-fassen, oft außer Acht gelassen. Eine Annäherung an dieses Wesen führt uns zu seiner Wildform. Hier finden wir erste Hinweise auf seinen Lebensraum und dessen Eigenheiten.

Schafe und Ziegen wurden in Vorderasien domesti-ziert. Sie wurden vorwiegend im Kargen gehalten, die Herden waren klein, Schafwolle war ein begehrtes und notwendiges Produkt.

Erkunden wir die Schafhaltung in Europa in den letz-ten Jahrhunderten, so finden wir die Schafe und Ziegen immer in kargen Landstrichen oder in Haltesituationen, wo die Tiere sich das Futter in unwegsamen, zum Teil

steinigen, auf jeden Fall aber kärglichen Weidebedin-gungen suchen mussten.

Gegenwärtige Situation

Auf der Suche nach Alternativen in der Landwirtschaft vor ca. 25-30 Jahren, kam nun bei uns die Schaf- und Zie-genhaltung auf Koppeln in Mode. Die Milch von Ziege und Schaf wird durch die ständig steigende Kuhmilchun-verträglichkeit zunehmend begehrter.

Die größte Herausforderung für den Stoffwechsel bei Ziege und Schaf ist die Beweidung von Fettwiesen. Die Ziege ist ein Feinschmecker – Kräuter, Blätter, Knospen und Rinden werden bevorzugt. Die wesensgemäße Zie-gennahrung entspricht mit ihren Wärmesubstanzen, wie ätherischen Ölen und Harzen sowie in ihrer großen Viel-falt blühender Pflanzen, der Sinneswelt dieser Tiere. Die Ziege ist überdies der ausgeprägteste Luftweider unter den Haustieren. Zwingt man sie, ausschließlich Gras vom Boden zum fressen, erweist sie sich als hochgradig anfällig für Parasiten.

Nach Dr. Selinger soll sich die Wiederkäuerfütterung am Bild der Pflanze orientieren.Eine Pflanze besteht aus: Wurzel, Stängel, Blatt und Blü-te Bereits 1923 weist Rudolf Steiner auf die Heilwirkung der Roten Rübe im Zusammenhang mit Darmwürmern hin.

Über den Zusammenhang von Wurm, Dunkelheit und Dumpfheit

Schafe und Ziegen, die auf Fettwiesen gehalten werden und da vorwiegend junges Gras fressen, nehmen zuviel unreifes Eiweiß auf. Ihre Verdauungsorgane können das nicht in der richtigen Weise verarbeiten. Dadurch werden

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Biodynamischer LandbauParasitenregulierung

Den Tieren blütenreiches Futter anbieten:

Es ist darauf zu achten, dass die Weiden reich sind an Blühendem. Dazu zählen auch blühende Gräser. Wei-ters sollen die Weiden von Hecken umgeben sein, damit die Schafe und Ziegen auch Blätter von Sträuchern und eventuell Sprossholz bekommen.

Die Weiden mit Hornmist- und Hornkieselspritzungen behandeln

Durch die Anwendung der beiden Spritzpräparate wer-den die Lebensprozesse im Boden und die Lichtprozesse in der Pflanze angeregt. Dr. Selinger sprach immer wie-der davon, dass wir unsere Weiden zu „Almen“ machen müssen. Wir wissen, dass die heilende Qualität der Al-men für unsere Tiere in der Lichtstärke ihrer Pflanzen liegt. Dieses Wissen sollte uns dazu führen, die „Licht-verhältnisse“ auf unseren Weiden zu überdenken.

Als letzte Möglichkeit, Licht in den Verdauungsraum

die kleinen Wiederkäuer mit ihrem sehr langen Darmsy-stem, welches ungefähr der 25 fachen Körperlänge ent-spricht, anfällig für Parasiten.

Durch die Aufnahme des zu unreifen Grases kommt es zu einer „dumpfen“ Atmosphäre im Verdauungsbe-reich. Damit wird die Bedingung geschaffen, in welcher der Wurm sich wohl fühlt.

Denn für den Wurm ist eine dunkle, dumpfe Umge-bung die natürliche, ideale Lebensbedingung. Es ist hilf-reich, sich vorzustellen wo die Heimat des Wurmes ist, welches Milieu er bevorzugt und welche Bedingungen ihn vertreiben.

Dazu brauchen wir nur beobachtend in unserer Um-welt leben. Was passiert mit einem Wurm, der sich zu lange im Sonnenlicht aufhält?

Über solche Fragestellungen kommen wir bald zu praktikablen Lösungen. Es wird dann einsehbar, dass eine Heilung und Besserung dadurch erreicht werden kann, dass wir Licht in diesen dunklen Bereich hinein-bringen. Dies können wir durch eine spezielle Ernährung der Tiere erreichen.

Dazu müssen wir uns aber zuerst fragen, wie wir über die Pflanzen Licht in die Verdauung bringen können.

Im biodynamischen Landbau werden in dieser Situation folgende Maßnahmen empfohlen:

• den Tieren blütenreiches Futter anbieten,• die Weiden mit Hornmist- und Hornkiesel- spritzungen behandeln und• den Tieren täglich kleine Mengen von Wurzelfrüchten zufüttern.

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Biodynamischer LandbauParasitenregulierung

parasitenbefallener Schafe und Ziegen zu bringen, bie-tet sich darin an, wenn den Tieren täglich kleine Mengen von Wurzelfrüchten zugefüttert werden.

Um diese Maßnahme verstehen zu können, müssen wir uns ein wenig an das Bildekräftewirken der Natur an-nähern.

Wir unterscheiden die Pflanzen nach ihrer Organbe-tonung. Die Karotten, Rüben und Rohnen sind Wurzel-früchte, weil ihr betontes Organ die Wurzel ist. Aus der Bildekräfteforschung wissen wir, dass die Karotte die Fähigkeit hat, das Sonnenlicht in ihre Wurzel hineinzu-verdichten. Und wieder ist es die unbefangene Beobach-tung, welche uns das gleiche sagt: Da ist einerseits die Farbe und andererseits die Strahlenstruktur, welche sich zeigt, wenn wir eine Karotte quer durchschneiden. Ähn-liche Verhältnisse finden wir in der weißfleischigen Rübe und in der Roten Rübe.1

Wenn wir nun diese Früchte an die Schafe und Ziegen verfüttern, werden in der Verdauung Lichtkräfte freige-setzt und es kommt zu einer Aufhellung der Atmosphä-re im Verdauungsraum. Auf diese Weise können wir mit Geduld und Konsequenz durch eine richtige Fütterung dem Wurm die Lebensgrundlagen im Darmbereich der betroffenen Tiere entziehen.

Es reicht die Gabe einer Karotte oder einer Roten Rübe pro Tier und Tag. Hat man diese Möglichkeit nicht, dann kann man im Winter eine Kur durchführen. Die Tiere be-kommen 28 Tage lang Rote Rüben gefüttert. Frau Maria Thun, die nun schon über Jahrzehnte Konstellationsfor-schung betreibt, wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass man für diese spezielle Anwendung der Roten Rübe, diese jeweils zwei Tage vor Vollmond säen, hacken und ernten sollte.2 Die Bearbeitung der Wurzel zur Voll-

1 Wertvolle Hinweise zum Wirken der Roten Rübe finden Sie bei:Pelikan, Wilhelm: „Heilpflanzenkunde“, Band 1, Philosophisch-anthroposophischer Verlag, Dornach, 19882 Frau Maria Thun gibt alljährlich „Die Aussaattage“ heraus. Diese

mondzeit schwächt die den Mondenrhythmen unterwor-fenen Reproduktionskräfte der Parasiten.

Verbindet man nun diese wesengerechte Fütterung mit einem guten Weidemanagement und eventuell so-gar mit einer Alpung der Tiere, so kann weitgehend auf Medikamente zur Entwurmung verzichtet werden.

Hannes Neuper hat diesen Vortrag bei den BIO AUSTRIA Bauerntagen 2009 gehalten.

Schriften beruhen auf ihrer Konstellationsforschung und geben wertvolle Hinweise auf günstige Sä-, Pflanz- und Hackzeitpunkte.

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Biodynamischer LandbauTierzucht

Tierzucht im geschlossenen Organismus einer LandwirtschaftLeopold Selinger

Ein wesentlich anderer Blick

In diesem Vortrag weist Dr. Selinger auf geisteswissen-schaftliche Zusammenhänge hin zwischen Mensch und Tier, welche sich bis hinein in die Physiologie und Ana-tomie zeigen. Praktische Aspekte der Tierhaltung – im Sinne von Haltungsanleitungen – werden in diesem Vor-trag nicht behandelt.Es sind Bilder und Fakten, welche den bäuerlichen Men-schen zum Nach-Denken bringen können. Es bleibt uns nicht erspart, diese Bilder selbst geistig zu einem Ganzen zusammenzufügen.

Tierhaltung

Tierzucht, Tierfütterung, Tierhaltung gehen als Tätig-keiten vom Menschen aus. In der Praxis enthält daher immer jeweils die eine Tätigkeit auch die beiden ande-ren. Sie stehen zueinander in einem ähnlichen Verhältnis dreigegliedert, wie die menschliche Erscheinung selber dreigliedrig organisiert erscheint in den Tätigkeiten, die sich über die Kopforganisation, die Brustorganisation, die Gliedmaßenorganisation vollziehen. Diese Tätigkeiten gehen vom Bewusstsein aus.Und dieses ist in Bezug auf die Landwirtschaft ein differenziertes. Im Bewusstsein des Menschen, vor allem des Land-wirtes, der Landwirtin entwickelte sich die Vorstellung: Landwirtschaft ist ein Gewerbe, welches zum Zwecke hat, durch Produktion von vegetabilischen und tie-rischen Substanzen Gewinn zu erzeugen oder Geld zu erwerben. 1

1 Vgl. Thaer, Albrecht Daniel: „Grundsätze der rationellen LW“

Verständlicherweise erstrebt heute ein fortschrittliche/r Landwirt/in den finanziell notwendig erscheinenden Ge-winn durch Leistungssteigerung. Er/sie läuft Gefahr, das Maß zu verlieren.

Der/die traditionelle Landwirt/in wiederum hält fest an Methoden, die sich in der Vergangenheit bewährt haben; er/sie läuft Gefahr, neue Ideen, wie sie die Entwickelung fordert, nicht oder nicht rechtzeitig zu ergreifen.

Der/die so genannte alternative Landwirt/in erkennt wohl die Gefahren beider Richtungen; rein naturwissen-schaftliche Erkenntnismöglichkeit vermag ihm/ihr aber nicht die nötige innere Sicherheit zu geben für ihr/sein Bemühen. Er/sie läuft Gefahr, idealistischen Vorstel-lungen zu sehr Raum zu geben. Naturgemäß bot sich dem/der fortschrittlichen Landwirt/in die Hühnerhal-tung an. Die Vogelnatur des Huhnes ist weitgehend bo-denunabhängig und schien deshalb geeignet für nahezu vollkommen klimatisierte, automatisierte Käfighaltung und komplettiertes Alleinfutter als Fertigfutterkonserve. Wirtschaftlich verlockend schien es dann, auch in der Kuhhaltung ebenso zu verfahren. Die Kuh aber ist weit-gehend bodenabhängig. Sie wurde bald zum Paradebei-spiel für symptomlose Sterilität, unspezifische Katarrhe und ihre Virusbegleitung, Spurenelementemangel und Wurmbefall. Eine Neuorientierung wurde notwendig, so genanntes biologisches Denken.

Notgedrungen lernen wir heute die Erde nicht mehr ansehen als ein Staubkorn im Weltall, sondern als eine Art lebendigen Organismus und den Menschen als ein geistiges Wesen, welches das Antlitz der Erde verändert. Es lässt seine Menschlichkeit einfließen in das Leben dieser Erde – freilich auch alles, was am Menschen des Menschen unwürdig erscheint.Anthroposophisch orientierte, das heißt vom Menschen ausgehende geisteswissenschaftliche Erkenntnis, sagt: Wenn der Mensch geboren wird, wird er durch den Tier-

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Biodynamischer LandbauTierzucht

kreis in den tierischen Kreis von Adler, Löwe und Kuh hi-nein geboren. Erblickt er so das Licht der Welt, vernimmt er den Lockruf des Dreigetiers, lernt ihr Wesen kennen. Durch die Zuneigung oder Abneigung, die er während seines Aufenthaltes in der Tierkreissphäre entwickelt, erfährt er seelisch-geistige Verwandtschaften. Im Inner-sten seiner Seele aber trägt er das Menschenbild mit sich, als sein Idealbild. Das will er im Dasein zwischen Geburt und Tod verlebendigen.

Je nachdem er im physischen Leben den Ruf der Tiere beantworten lernt, trägt er sein Menschenbild inten-siviert mit sich im Tode in die geistige Welt zurück. Er muss lernen, sich dem Tierischen zu entreißen, aus dem Tierischen herauszuwachsen, mit solchem Bestreben sein ganzes Wollen allmählich zu durchdringen, so dass es sein Wille wird.

Tierzucht, Tierfütterung, Tierhaltung sind die Mög-lichkeit, tierisches Blut so zu beeinflussen, dass Adel am Tier erscheinen, innerhalb der Arten sich verbreiten und durch Generationen höher entwickeln kann.

Es lautet der Lockruf der Tiere – es sind nach christ-licher Überlieferung die evangelischen Tiere – denen in der geistigen Welt gegenübersteht der Mensch als En-gelwesen:

„Die Adlerwesenheit selber ist es, die hörbar wird für das Unterbewusstsein des Menschen. Das ist der verlo-ckende Ruf:

Lerne mein Wesen erkennen! Ich gebe dir die Kraft, im eignen Haupte ein Weltenall zu schaffen.

So spricht der Adler.

Das ist der Ruf von oben, der heute die Menschen ver-einseitigen will.“2

„Und es gibt einen zweiten Lockruf. Das ist derjenige, der aus der mittleren Region kommt, da, wo die Kräfte des Kosmos die Löwennatur formen, da, wo die Kräfte des Kosmos aus dem Zusammenflusse von Sonne und Luft jenes Gleichmaß der Rhythmen, der Atmung und der Blutzirkulation bewirken, wie es die Löwennatur kon-stituiert.

Lerne mein Wesen erkennen!Ich gebe dir die Kraft,im Schein des Luftkreisesdas Weltenall zu verkörpern.

So spricht der Löwe.“3 Er repräsentiert die Mitte. Lerne mein Wesen erkennen!Ich gebe dir die KraftWaage, Meßlatte und Zahldem Weltenall zu entreißen.

So spricht die Kuh.“4

Auf der Erde muss der Mensch lernen zu antworten:

Ich muß lernen:O Kuh,deine Kraft aus der Sprache,die die Sterne mir offenbaren.

2 Steiner, Rudolf: „Der Mensch als Zusammenklang des schaffen- Steiner, Rudolf: „Der Mensch als Zusammenklang des schaffen-den, bildenden und gestaltenden Weltenwortes“; Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1993, S 333 ebenda S 344 ebenda S 35

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Biodynamischer LandbauTierzucht

dass er lernen muss den alles bestimmenden Materialis-mus zu überwinden, um das Maß und den Rhythmus zu finden, die ihn eigentlich erst befähigen, am Lebendigen zu arbeiten.

Will man wirklich die Erde im Sinne der Menschheits-entwickelung beleben, beseelen, durchgeistigen, wird es notwendig sein, gerade die Tierhaltung in der Land-wirtschaft zu orientieren am Bild der vier Wesensglieder, welche der Mensch ausgebildet hat:

Seinen physischen Leib,seinen Ätherleib,seinen Astralleib undsein Ich.

Der Empfindungsleib, die Empfindungsfähigkeit oder der Seelenleib des Menschen und der Seelenleib des Tieres, genauer gesagt der Tierarten, stehen in realem, das heißt geistigem Zusammenhang, besonders durch die Vorstellungen, Gefühle und Willensimpulse, die wir in den Schlaf hinein nehmen oder nach dem Tode in die geistige Welt einbringen.

Was sich vollzieht in unseren Einschlaf- und Aufwach-träumen, ist etwas, das sich vollzieht auf jener Bewusst-seinsstufe, die das Tier im Leben verkörpert.

Wir müssen nur lernen ein Tier bildhaft anzuschauen und dieses Bild bis in die anatomischen Tatsachen hinein zu verfolgen, die es sichtbar machen.

Ein Huhn zum Beispiel, bildet kein Zwerchfell aus, das die Körperhöhle in Brust- und Bauchraum scheidet. Ein Zwerchfell ist nur in Resten angedeutet am Rippenbo-gen. Der ganze Vogelkörper ist gleichsam ein Kopf, der Brust– und Bauchorgane in sich trägt.

Eine Kuh ist gleichsam ein Bauch, der seine Weisheit, seine ganze tierische Weisheit in der Dickdarmspirale

Das Zweite, wovon der Mensch sich sagen muß:

Ich muß lernen:O Löwe,deine Kraft aus der Sprache,die in Jahr und Tagder Umkreis in mir wirket.

Und das Dritte, was der Mensch lernen muß, ist:

O Adler,deine Kraft aus der Sprache,die das Erd-Entsprossene in mir erschafft.“5

So muss der Mensch seinen Dreispruch entgegenset-zen den einseitigen Lockrufen, jenen Dreispruch, dessen Sinn die Einseitigkeiten zum harmonischen Ausgleich bringen kann. Er muss lernen zur Kuh zu schauen, aber von der Kuh, nachdem er sie gründlich empfunden hat, aufzuschauen zu dem, was die Sprache der Sterne offen-bart. Er muss lernen aufzurichten den Blick zum Adler, und nachdem er die Natur des Adlers gründlich in sich empfunden hat, mit dem Blick, mit dem, was ihm die Natur des Adlers gegeben hat, hinunterzuschauen auf das, was in der Erde sprießt und sprosst und auch im Menschen in seiner Organisation wirkt von unten herauf. Und er muss lernen den Löwen so anzuschauen, dass ihm vom Löwen geoffenbart wird, was Wind und Wet-ter im Jahreslaufe in dem ganzen Erdenleben, in das der Mensch eingespannt ist, bewirken.6

Damit ist ausgesprochen, dass der Mensch lernen muss der Verführung (dem Lockruf) dem bloß intellek-tuellen, verstandesmäßigen Beurteilen zu widerstehen,5 ebenda S. 42.6 ebenda S. 43.

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Biodynamischer LandbauTierzucht

gipfeln lässt, das Wiederkäuen nahezu minutiös rhyth-misiert, an seinen Pulsschlägen ordnet.

Wir können in der Praxis erleben, wenn wir eine Herde betreuen – 30, 40 Jahre hindurch vielleicht – dass letzten Endes eine Kuhhaltung nicht gedeihen kann ohne ent-sprechende Hühnerhaltung und umgekehrt.

Es handelt sich ja darum, eine landwirtschaftliche In-dividualität einzurichten im Hinblick auf die kosmisch-qualitative Analyse, die sich vollzieht im Zusammenleben eines gewissen mit Pflanzen bewachsenen Gebietes mit dem, was an Tieren in diesen Gebieten lebt. Dem rich-tigen Maß an Kühen Pferden und anderen Tieren… Eine landwirtschaftliche Individualität wird ja zum lebendigen Spiegel für die Entwicklung einer menschlichen Individu-alität zur selbständigen Persönlichkeit.

Die Bildung warmen roten Blutes und einer knöcher-nen Wirbelsäule bietet die Möglichkeit äußere Kälte ak-tiv zu überwinden. Der Mensch ist nur wirklich gesund, wenn er eine mittlere Körpertemperatur von 36-37° C entwickeln und aufrecht erhalten kann. Ein Pferd ist ge-sund zwischen 37,5-38,5°, der Hund bei 37,5-39°, die Kuh bei 37,5-39,5°, die Katze bei 38-40°, das Schwein und das Schaf bei 38,5-40°, die Ziege bei 38,5-40,5°, das Huhn bei 40-43° und die Taube bei 41-44,1°C.

Die ganze Palette der engeren Haustiere ist für den Menschen ein richtiges Wärmeorgan, mit dem er hinein-wirkt in das Naturwachstum.

Müsste er selber diese Temperaturen entwickeln, wür-de er nicht mehr klar denken können, würde zuletzt in-nerlich wie verbrennen, im Fieber phantasieren.

Alles was der Mensch an fester Nahrung zu sich nimmt, muss in der Verdauung verflüssigt werden, so-dann gasförmig werden, flüchtig werden und zuletzt in körpereigene Wärme verwandelt werden. Diese ist ver-wandt mit der geistigen Wärmeentwicklung; aus ihr he-raus findet erst ein Neuaufbau statt.

Tierfütterung

Etwa um 1820 wurde die Fruchtfolge der Dreifelder-wirtschaft: Winterung-Sommerung-Brache erweitert und intensiviert durch die bewusste Eingliederung von Klee-anbau.

1868 verfügte der Staat die verbilligte Abgabe von Salz an die Landwirtschaft. In den letzten zweihundert Jahren wurde das Körpergewicht der Kuh ungefähr verdoppelt, die Milchmenge vervierfacht, die Lebenserwartung aber verringerte sich um ein Drittel.

Die Zuchtreife, das heißt Zuchtgebrauch, wurde im-mer näher an die Geschlechtsreife herangerückt.

Auch das Hühnereigewicht wurde auf das Doppelte gesteigert, die Legeleistung verdreifacht.

Die gesamte Haustierfütterung wurde – wie naturnot-wendig – immer mehr belastet durch Mineralstoffgaben, Vitamingaben, Hormongaben, vor allem aber durch notwendig erscheinende Antiparasitika. Spurenelemen-temangel wurde das Problem unserer Zeit.

Das Tier ist geistig anzusehen als ein Dunkelraum, erfüllt mit lebendiger, aber dumpfer Wärme, bedürftig des Lichtes. Licht kommt an das Tier heran durch Son-ne, Mond und Sterne. Ebenso durch die Zuneigung, die der Mensch den Tieren angedeihen lässt; vor allem aber durch die Pflanzen, die der Mensch an seine Haustiere verfüttert.

Salz macht Durst, Salz macht wasserschwer, salz-feuchte Luft macht Hunger.Wässrig gestautes organisches Gewebe ist schwieriger zu durchlichten, zu durchluften, zu durchwärmen, zu rhythmisieren. Rhythmisch geordneter Wechsel von Aufquellen und Entquellen, von Ödemisierung und Entwässerung organischen Gewebes ist die Grundlage aller Verdauungsprozesse, die Grundlage der Brunster-scheinungen, der Einleitung der Geburtsvorgänge, dem

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Biodynamischer LandbauTierzucht

Einsetzen der Laktation und ihrer Beendigung. Ist das harmonische Ineinandergreifen dieser Vorgänge im Or-ganismus gestört, entsteht in einzelnen Organen so et-was wie ein Eigensinn und ein Eigenwille gegenüber dem Gesamtorganismus.

Aber auch gegenüber einzelnen Organen können sich dieser Eigenwille und dieser Eigensinn bis zur Un-verträglichkeit steigern und ausarten in verschiedenste Allegien.

Die tierischen Verdauungskräfte entzünden sich an den verschiedenen Futterqualitäten für den grobstoff-lichen Abbau und Aufbau. Ein feinster, ganz intimer Stoffwechsel vollzieht sich über die Aufnahme und das Verarbeiten der Sinneswahrnehmungen, der Sinnesein-drücke. Feinster und gröbster Stoffwechsel bekommt seine elementare Ordnung über den Rhythmus von Ein- und Ausatmen – bis hinein in den Kreislauf.

Tierische Brunst können wir ansehen als physiolo-gische Entzündung, die sich staut und im Befruchtungs-vorgang ihre Lösung findet und in der Fortpflanzung zur Fruchtbildung führt.

Etwas abstrakt ausgedrückt: Die charakterisierenden Elemente der Entzündung sind:

• calor – Erwärmen bis Erhitzen• rubor – Röten bis Blasenbilden• dolor – empfindsam Werden bis zur Schmerzhaftigkeit• tumor – Schwellung mit der Neigung entweder zur Verhärtung oder zur Nekrose.

Aus der Beobachtung zweier Wisentherden – insge-samt 575 weibliche Tiere – welche in Wildparks gehalten wurden ohne weitere Beeinflussung des Menschen, erg-ab sich aus den während eines Jahreslaufes anfallenden Geburten die entsprechende Kurve für das Eintreten der

Konzeptionsbereitschaft der Tiere:

Die Grafik zeigt deutlich auf, dass zwei Aspekte in ihr enthalten sind: Die auffällige Spitze der Konzeptionsbe-reitschaft zeigt massiv eine Fortführung des Blühpro-zesses hinein in die Fruchtbarkeit.

Gleichzeitig ist dadurch der höchste Anteil der Ge-burten zu einem Zeitpunkt des Jahreslaufes angelegt, der ein gesichertes Überwintern der Jungtiere gewähr-leistet.Den Sprung von Natur zu Kultur dokumentiert die heutige Gepflogenheit, die Kühe zum größten Teil im April, Mai einer Konzeption zuzuführen. Nach einem Blick auf die Skizze ist dies jedoch exakt der Zeitpunkt, wo in der Natur signifikant die wenigsten Befruchtungen stattfinden. Die Frage muss erlaubt sein, ob durch die Hereinnahme als Haustier auch die Biologie solche Sprünge – ohne Schaden zu erleiden – vollziehen kann.

Diese Grafik macht deutlich, dass Fütterung mit Blü-hendem Einfluss ausübt auf die Reproduktionsvorgän-ge.

Man kann gut verstehen, dass der Lebensprozess der

Konzept�Geburt�

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Biodynamischer LandbauTierzucht

breitet, an der Sonne zum Blühen kommt und ihr Wachs-tum beendet, Frucht und Samen bildet.Die Kuh auf der Weide, in der Kuh das Verdauungssy-stem mit seinen Schleifen und der Dickdarmspirale und deren Umkehrpunkt.

Die aus der Verdauungskraft geformte, strukturierte Darmabsonderung, die zum Dünger wird und an die Wurzelregion der Pflanze herankommt, abermalig dem Wachstum Triebkraft vermittelnd.

Ein solches Bild vermag viele offenbare Geheimnisse an uns heranzutragen. Geisteswissenschaftliche For-schung vermittelt uns, dass wir heute in einer Kulturperi-ode leben, die eine Art Wiederholung der altägyptischen Kultur darstellt, diese wieder eine Art Wiederholung jener Zeit, in der Mensch- und Tierwesen sich aneinander zu entwickeln begonnen haben. Mysterienweisheit sprach davon, dass der gute Hirte über seine Herde wacht in allen Phasen des Lebens; sie nie sich selbst überlässt, immer seine Hand am Tier hält.

Pflanze – es ist ihr Wachstumsprozess auf der Erde – zum Urheilprozess für das Tier wird.

Es sind die metamorphosierten, potenzierten, dyna-misierten Empfindungskräfte, die sich ausdrücken in Hunger, Durst und Geschlechtlichkeit und zur Triebhaf-tigkeit werden, zur Leidenschaft sich steigern und ein-münden in Begierden. Was sich zwischen Epiphyse und Hypophyse staut und entladen kann, den Instinkt der Art stärken oder schwächen kann bis in Überempfind-lichkeit, Nervosität hinein, aber auch bis in Abartigkeit oder gar Verlust.

Die Sicherheit des Instinktes, der das Tier traumhaft sicher leitet, findet ihr physisches Korrelat in der Gehirn-sandbildung, derer die Gruppenseele des Tieres in ähn-licher Weise bedarf wie die Individualseele des einzelnen Menschen.

Für den Landwirt/ die Landwirtin ist es wichtig zu wissen, dass die Kuh nur das wissen kann, was sie ver-daut; dass sie eine Veranlagung in sich trägt, die ähnlich wirkt wie beim Menschen die Erinnerungskräfte. Die Kuh macht es freilich äußerlich, sie käut wieder, damit es ihr richtig in Fleisch und Blut übergehen kann. Sie braucht die Anregung zum Wiederkäuen, dann produziert sie Speichel, durch den sie in besonderer Weise die Erden-stoffe alkalisieren kann – Speichel: ph-Wert 8.

Für die Erde ist dieser Alkalisierungsprozess wichtig, und auch für den Züchter/ die Züchterin, denn der Weg zum reinen Blut beginnt zwischen Alkalität und Säue-rung. Er macht möglich, dass Eisen richtig in das Eiweiß des Blutes aufgenommen werden kann.

Wenn wir versuchen den geschlossenen Organismus zu überschauen und zu durchschauen, können wir uns folgende Bilder machen:Den Erdboden und die Pflanze, welche von diesem aus ins Licht der Sonne wächst, um der Festigkeit willen Wur-zeln bildet, sich als Blatt über die Erdoberfläche hin aus-

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Biodynamischer LandbauTierzucht

Heute, nahezu 2000 Jahre nach dem Mysterium von Golgotha können wir in neuer Weise lernen die Me-tamorphose zu erfassen, die sich vollzieht über den Menschwerdeprozess bis hinein in die physische Ausge-staltung tierischen und pflanzlichen Lebens, in welcher alle Organbildekräfte sich veranlagen im Bild der Knos-pe. In der Dickdarmspirale erfährt pflanzliches Wachs-tum seinen Umkehrpunkt in sich selber.

Tierzucht

Ein bäuerlicher Wahrspruch lautet:

Dürste, auf dass du wissest, was Wasser ist:hungere, auf dass du wissest, was Brot ist;opfere, auf dass du wissest was Blut ist;züchte, auf dass du wissest was Ordnung ist.

Aus einem solchen Bewusstsein heraus kann man ver-stehen lernen, dass dann, wenn der Mensch eine reine Vorstellung von seinem Zusammenhang mit dem Gei-stigen hat, er auch eine gesundende Ich-Vorstellung ent-wickelt. Macht sich der Mensch eine falsche Vorstellung von dem Geistigen, so wird das von Geschlecht zu Ge-schlecht weitergetragen und beginnt sich als Krankheit, als Siechtum zu äußern. Richtige Gedanken bewirken Gesundheit, falsche Gedanken bewirken Krankheit: „…das Physische wird gedeihen, wenn man an die richtige Vorstellung vom Geistigen anknüpft…“7.

Dem geübten Züchter muss ein Ideal vorschwe-ben, und dieses bildet das geistige Modell für seine wirkliche Zukunftsherde. Durch Training der Tiere in der Jugend wird erreicht Vollblütigkeit, Nervigkeit und

7 Steiner, Rudolf: Krankheitsformen und Krankheitsursachen, Vortrag, Berlin 10.-16.11.1908

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Biodynamischer LandbauTierzucht

insbesondere die Ausbildung des Herzens als Quelle der Lebensenergie. Herzfehler, die in der Jugend entstehen, können das ganze Leben nicht mehr geheilt werden. 8

Die Eigenschaften gerade der höheren Tiere zeigen in vielen Fällen keinen vollkommenen klaren Mendelismus, sondern unvollkommene Dominanz und unvollkom-mene Aufspaltung. Die Ursachen sind zu suchen in den zunehmend beschleunigten, d.h. in der embryonalen Entwicklung vorverlegten Differenzierungsvorgänge der Gewebs- und Organbildungen.

Mit den Hochleistungsrassen unserer Haustiere haben wir es heute zu tun mit einem Erbe aus der Vorstellungs- und Willenswelt unserer unmittelbaren Vorfahren.

Durch die Hinweise im Landwirtschaftlichen Kurs ist es heute möglich, aus sich änderndem Bewusstsein kon-kret das Haustierwesen zu beeinflussen. Wir müssen es freilich aus Einsicht wollen. Dazu wird es notwendig sein zu beachten,

dass Masttendenzen nicht Zuchtziele werden dürfen; son-dern Mast findet ihre Berechtigung an den Tieren, die von der eigentlichen höheren Entwicklung naturgemäß ausge-schieden werden;

dass Zuchtreife im Grunde verknüpft ist mit der Reife in der Zahnbildung; erst das vollkommen gehärtete Gebiss er-möglicht den notwendigen Homöopathisierungsprozess für Potenzierung und Dynamisierung der tierischen Verdauung; der einzelne Zahn ist das Bild einer Knospe, das fertige Ge-biss das Bild einer Blüte aus Marmor;

dass nicht der Boden die Pflanze hervorbringt, sondern die Pflanzen den Boden

(Entstehung der anorganischen Stoffe, v. Herzeele 1876, Preuss 1899, Dr. Hauschka 1946)

8 Pettera, Güterinspektor, Mähren, 1911

dass der Mensch zum Maß der Dinge wird, indem er sich bewusst durchchristet;

dass der Mensch das Maß in diesem Sinne an Pflanze und Tier heranbringt, sich mit dem Sonnenwesen durchdringt, welches alles auf der Erde in drei großen Rhythmen ordnet durch Lebenslauf, durch Jahreslauf, durch Tageslauf.

Was berechtigterweise in Zukunft auch in Zahlen be-rechnet werden kann, muss jetzt erweitert und vertieft werden, d.h. belebt werden durch ein „Bildhaft-Schauen-Lernen“. Denn eine „Art“ ist ihrem Wesen nach geistiger Natur, ist und bleibt naturgemäß äußerer, sinnlicher Be-obachtung verborgen, kann aber bildhaft immer klarer erfasst werden.

Wir sind heute natürlich noch weit vom Ziel entfernt, die Kuh, unser hauptsächliches Milch- und Düngertier edel gezüchtet zu haben, ähnlich wie zum Beispiel das Pferd durch den Araber. Aber es ist notwendig ein Ziel zu haben, denn Tierzucht, Erziehung, Zähmung des Tieres ist dasselbe, nur auf einer niederen Stufe, wie es auf einer höheren Stufe für den Menschen Erziehung, Selbsterzie-hung, Selbstzucht ist. Und gerade die Kuh hat mit dem Menschen gemeinsam, dass sich ihre Keimesentwick-lung neun Sonnenmonate oder zehn Mondenumläufe im Inneren der eigenen Körperwärme vollzieht.

Diesen Vortrag hat Dr. Selinger 1994 in Idriat gehal-ten.(Frau Selinger hat die Verwendung dieses Vortrages für diesen Sammelband erlaubt.)

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Biodynamischer LandbauDie Regionalwert AG

Die Regionalwert AG - BürgeraktiengesellschaftChristian Hiß

Christian Hiß führt mit einer historischen Betrachtung der umwälzenden ökonomischen und gesellschaftspo-litischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte hin zum Thema von Kooperationen in der Landwirtschaft. Er be-schreibt die Entwicklungen mit Bezug auf seinen Hof.

Geografisches und Geologisches

Eichstetten bei Freiburg im Breisgau liegt an der Burgun-dischen Pforte. Die Durchschnittstemperatur beträgt 9,6° C. Bis zu 30 m starke Lößschichten liegen auf vulka-nischer Unterlage. Das warme Klima begünstigt die vom Boden her gegebene Fruchtbarkeit. Das bildete auch die Voraussetzung, dass die landwirtschaftlichen Strukturen sich so kleinflächig entwickeln konnten und gleichzeitig lebensfähig waren.

1963 gab es in Eichstetten bei einer Gesamtgemar-kungsgröße von 1000 ha und bei 2000 Einwohner und Einwohnerinnen 300 Vollerwerbslandwirtschaften. Jeder Hof hatte einen Stall, Wein-, Gemüse- und Getreidebau.

Nach nur 40 Jahren existiert keiner dieser Ställe mehr. Der Weinbau wurde hoch gepuscht, der Ackerbau in die Ebene verlagert.

Eichstetten am Kaiserstuhl ist die Wiege des ökolo-gischen Landbaues in Deutschland

Die Entwicklung des ökologischen Landbaues in Deutschland ging von Eichstetten aus.

Eckdaten:

1953 stellt der Vater von Christian Hiß seinen Hof auf die biodynamische Bewirtschaftungsweise um. Er ist mit der Idee während seiner Gefangenschaft in England

bekannt geworden. 1960 gibt es im Ort bereits sieben Demeterbetriebe.1972 wird Bioland1 gegründet. Dr. Müller2 versucht den

Betrieb Hiß für die organisch-biologische Landwirtschaft zu gewinnen. Der Hof Hiß bleibt der biodynamischen Idee verbunden. Es kommt zur Spaltung im Dorf.

Die Hälfte der Demeterhöfe wechselt zur organisch- bi-ologischen Wirtschaftsform.

2005: 22% der Gemarkung werden ökologisch bewirt-schaftet. Im Vergleich: Bundesweit werden 4% ökolo-gisch bewirtschaftet.

Christian Hiß lernt konventionellen Gartenbau und baut anschließend eine eigene Gärtnerei auf; er und seine Frau betreiben die Gärtnerei auf biodynamischer Basis. Sie arbeiten mit dem elterlichen Hof zusammen.

Viele Themen, einerseits ökonomischer, andererseits sozialer Art drängen sich zunehmend ins Bewusstsein.

• Die Saatgutfrage – Mitarbeit am Aufbau der Saatgut-initiative Bingenheim.

• Die Frage der Beschäftigungsformen in der Land-wirtschaft – Ablehnung der Saisonarbeitskräfte, Versuch mit Fachkräften, Lehrlingen, Praktikanten und Praktikan-tinnen in einem geordneten Beschäftigungsverhältnis zu arbeiten.

• Pädagogik und Landwirtschaft – Gründung einer ge-meinnützigen Schulprojekte GmbH.

• Arbeitstherapien auf dem Hof – viele schwächere Menschen suchen sinnvolle und Orientierung gebende Arbeit auf Höfen.

• Verwertungsgedanke – Verwertung jener Produkte, die am Markt nicht verkauft werden konnten: Gründung einer Verwertungsküche.

• Energieproduktion – welche Möglichkeiten bieten sich an, am Hof Energie zu erzeugen.

1 Größter Bioverband in Deutschland2 Begründer der organisch biologischen Landwirtschaft

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Biodynamischer LandbauDie Regionalwert AG

Alle diese Aktivitäten sind enorm wichtig für die Land-wirtschaft. Sie können aber kaum von einem Familienbe-trieb getragen werden. Als Hauptprobleme stellen sich die Kapitallast und Un-terschiedlichkeit der Bereiche dar.

Unterschiedlichkeit der Bereiche

Damit die einzelnen Fachbereiche gut geführt wer-den können, braucht es eine gewisse Professionalität. Man kann nicht verlangen, dass ein guter Käser auch ein guter Pflanzenzüchter ist oder eine gute Gärtnerin eine perfekte Bäckerin. Diese Professionalität ruft nach einer guten Ausstattung des jeweiligen Bereiches. Durch diese gegenseitige Bedingung wird eine entsprechende finan-zielle Ausstattung nötig.

Das wirft die Frage nach der Bewältigung der Kapital-last auf.

Die oben angesprochenen vielseitigen Aufgaben der Landwirtschaft führen in die Gefahr der Verzettelung in vielen Bereichen. Der Kernbereich leidet darunter. Um wiederum die einzelnen Bereiche ordentlich auszustat-ten, braucht es Geld.

Diese grundsätzlichen Überlegungen, die Erkenntnis, dass ein Familienbetrieb dies nicht alles leisten kann, die Situation auf den Höfen und die Idee, den eigenen Kindern die Wahl offen zu halten, führten bei Christian Hiß zum Nachdenken und zur Suche nach geeigneten Rechtsformen.

Verschiedene Modelle wurden in Betracht gezogen:• ein gemeinnütziger Verein,• eine Genossenschaft,• eine Stiftung,• eine gemeinnützige Aktiengesellschaft.

Christian Hiß untersuchte diese Formen, die es möglich machen, einen Familienbetrieb in eine andere

Rechtsform überzuführen und eventuell mit anderen Hö-fen zusammenzuschließen. Keine der genannten Formen stimmte mit seinen Zielvorgaben vollends überein.

Diese Zielvorgaben waren:o Die Wertschöpfungskette sollte zur Gänze in der Re-

gion bleiben – Saatgut, Energie, Pädagogik, Handel, Ver-marktung, Verarbeitung – nach dem Motto: „Vom Acker bis auf den Teller“.

o Die Möglichkeit sollte geboten werden, dass sich die einzelnen Bereiche spezialisieren können.

o Es sollte eine Form sein, welche es dem Unterneh-men erlaubt, Betriebe in der Region zu kaufen und dann zu verpachten.

o Viele Bürger und Bürgerinnen in der Region sollten mit Hilfe dieser neuen Rechtsform in die Landwirtschaft eingebunden werden; die Beziehung sollte nicht nur mehr über Markt und Verbrauch gegeben sein.

o Den einzelnen Hofstellen sollte damit die Möglich-keit geboten werden, zu einem Ganzen zusammenzu-wachsen. Motto: „Jeder weiß von jedem.“

o Die Verantwortung für die Landwirtschaft sollte ver-teilt werden. Auch die Bürger und Bürgerinnen der Regi-on sollten diese mittragen.

Frühere Versuche, Kooperationen zu bilden, zum Bei-spiel über eine enge Zusammenarbeit mit den Verbrau-chern oder Verbraucherinnen, führten zwar oftmals zu tiefen Freundschaften, sicherten aber nicht das Überle-ben des Hofes. Es wurde klar: Wenn die Zielvorgaben erreicht werden sollen, muss beim Kapital angesetzt werden.Außerdem brauchen zielgerichtete Änderungsvorhaben reale Ansprechpartner, damit nicht zu viel beim from-men Wunsch: „Die Gesellschaft sollte…“ hängen bleibt.

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Biodynamischer LandbauDie Regionalwert AG

Und so endete die Suche nach einer Rechtsform 2005 in der Bildung der Regionalwert AG – Bürgeraktiengesellschaft.

Daten und Fakten:• Grundkapital 1.400.000.-• 320 Aktionäre und Aktionärinnen (Mindestaktieneintrag: 500.-)• Die AG sammelt Kapital, kauft neue Betriebe an und verpachtet sie an qualifizierte Pächter und Pächterinnen. Die Pachtkriterien werden zusammen mit den Aktionären und Aktionä-rinnen erstellt.• Christian Hiß führt die Geschäfte und bildet mit einem zweiten Vorstandsmitglied den Vorstand. Der Vorstand beruft die Hauptversammlung ein und erstellt den Geschäftsbericht.• Der Aufsichtsrat wurde vom Vorstand bestellt. (Späterhin soll er gewählt werden.)• Es gibt Aktionärstage. Das sind Informations-tage, an denen Aktionäre und Aktionärinnen die Höfe besichtigen und Fragen stellen können.• Ankauf von Höfen muss vom Aufsichtsrat genehmigt werden. • Die Rendite wird durch zwei unterschiedliche Berichte errechnet:

Einmal muss der betriebswirtschaftliche Bericht aus-gearbeitet werden, in welchem alle Geldflüsse dokumen-tiert sind. Gibt es einen monetären Gewinn, so wird er in diesem Bericht ausgewiesen. Aber die Rendite wird auch noch durch einen volkswirt-schaftlichen Bericht bestimmt: Anhand von 64 Indka-toren wird die sozial-ökologische Wertschöpfung erho-ben, welche über ein erfolgreiches Arbeiten entscheiden. Diese 64 Indikatoren reichen von der Frage, ob samen-

festes Saatgut verwendet wird, über die Energiebilanz, den Verzicht auf Saisonarbeitskräfte zugunsten fixer An-stellung, über Fragen nach belegten Ausbildungsplätzen bis hin zur Bodenfruchtbarkeit. Die Indikatoren geben Auskunft über die Ergebnisse in Bezug auf qualitative Werte, die Nachhaltigkeit, die Ressourcenschonung und so fort. Das führt zu einer intensiven Auseinanderset-zung zwischen den Aktionären und Aktionärinnen und den Bauern und Bäuerinnen. Christian Hiß meint, dass die jetzige Finanzkrise dem ganzen Unternehmen sehr förderlich ist, weil dadurch attraktiv wird, in soziale und regionale Werte zu investieren.

Er bringt ein anschauliches Beispiel aus dem Alltag, welches zeigt, wie sehr noch um gegenseitiges Verständ-nis gerungen werden muss:

Es wurde beschlossen, dass ein Stall gebaut werden soll. Nun musste aber unmittelbar neben dem Stall auch ein Wohnhaus gebaut werden, damit die Pächter und Pächterinnen dort leben können. Das warf viele Fra-gen für die Aktionäre und Aktionärinnen auf: Braucht es unbedingt eine Wohnstatt in unmittelbarer Umgebung zum Stall? Damit wurde eine ernste Problematik in der Tierhaltung angesprochen – die Beziehung Tier Mensch in der biodynamischen Landwirtschaft. Nach guter Dis-kussion wurde das Haus bewilligt. Aber es kamen Fra-gen nach den Standards auf. Wie muss ein Haus für eine Bauernfamilie ausgestattet sein? Welchen Luxus braucht eine Bauernfamilie? Könnte man da nicht einiges einspa-ren? Und plötzlich sind alle Beteiligten mit sozialen Fra-gen konfrontiert.

Auch bei der Festlegung der Pacht muss um gegen-seitiges Verständnis gerungen werden. Wie hoch soll die Pacht sein? Soll sie der ortsüblichen Pacht angepasst werden oder soll sie nach anderen Kriterien festgelegt werden? Die Pachthöhe ist letztendlich mitbestim-mend, ob es eine Rendite gibt. Eine Aktiengesellschaft

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Biodynamischer LandbauDie Regionalwert AG

ist kein ruhiger Hafen. Die Verständnisarbeit zwischen Aktionären und Aktionärinnen und Pächtern und Pächte-rinnen ist hier unerlässlich. Es wird dann funktionieren, wenn das Ziel, sinnvolle Landwirtschaft in der Region zu betreiben, immer im Blickpunkt bleibt und wenn die Indi-katoren zeigen, dass Landwirtschaft neben den rein mo-netären Werten noch andere Werte hervorbringen kann. In diesem Zusammenhang tauchen dann tief greifende Fragen auf. Was macht die Landwirtschaft wirklich? Sind Bodenfruchtbarkeit und Tierfruchtbarkeit die wirklichen Ziele? Samenfestigkeit beim Saatgut?

Plötzlich werden diese Fragen nun auch von Men-schen diskutiert, die mit der Landwirtschaft nichts zu tun hatten.

Was eine Sozialgemeinschaft entscheidet, hat durch die Auseinandersetzung mehr Substanz, wird eher durchgetragen. Auch der Weltagrarbericht aus 2006, an welchem 400 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gearbeitet haben, spricht für solche Modelle.

Es ist hilfreich, sich ins Bewusstsein zu rufen, dass der Anteil jener Menschen, die in der Landwirtschaft arbei-ten, rapid geschrumpft ist und wohl auch deswegen poli-tisch nicht mehr wirklich relevant ist.

In Deutschland waren 1800 noch 75% der Bevölke-rung in der Landwirtschaft tätig, 1900 waren es 45% und 2009 sind es 2,5%.

Relevant aber ist die Ernährungssicherheit. In diesem Zusammenhang wird schon von einer Landwirtschaft gesprochen, welche über Satelliten gesteuert wird, da-mit sichergestellt werden kann, dass jeder Quadratmeter landwirtschaftlicher Fläche effektiv genutzt wird.

Regionale Zusammenschlüsse erscheinen hier als wirk-lichkeitsnahe und sinnvolle Alternativen am Horizont.

Christian Hiß, Gärtnermeister, Demeterbauer, Vorstand der Regionalwert AGChristian Hiß hat diesen Vortrag am 22.März 2009 am Wegwartehof in Merkenbrechts gehalten.

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Biodynamischer Landbau

Biodynamischer Landbau als Antwort auf die Kultur- und Ökologiekrise in der Landwirtschaft

Waltraud Neuper

1996 gab Günter Rohrmoser, Sozialphilosoph an der Universität Stuttgart-Hohenheim, ein Buch heraus mit dem Titel: „Landwirtschaft in der Ökologie- und Kulturkrise“1. Da Landwirtschaft und Philosophie un-trennbar mit meinem Leben verbunden sind, hat diese Verknüpfung sofort viele Fragen ausgelöst:

- Was ist überhaupt eine Krise?•- Wie kommt jemand zu einer • solchen Aussage? •- Befindet sich die Landwirtschaft wirklich • in einer Krise? •- Wer oder was ist zu verstehen unter• „die Landwirtschaft“ und •- was haben wir zu verstehen unter einer • Kulturkrise oder Ökologiekrise in Bezug • auf die Landwirtschaft? •

•Der bewährte Blick in den Duden hilft bei der Klärung:Der Begriff Krise kann den Höhepunkt einer gefährlichen Entwicklung andeuten, oder Ausdruck sein für eine Ent-scheidungssituation beziehungsweise eine gefährliche Situation.2

Die „Landwirtschaft“ an sich gibt es nicht. Wir müs-sen uns entscheiden, ob wir mit Landwirtschaft jenes Arbeitsfeld meinen, auf welchem Menschen die Natur zur Produktion bestimmter Güter bearbeiten oder ob wir

1 Rohrmoser, Günter: „Landwirtschaft in der Ökologie- und Kulturkrise“, Gesellschaft für Kulturwissenschaft e.V., Bietigheim/Baden, 1996.2 Hrsg: Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion, „Duden“, Bd.5.Dudenverlag, Mannheim/Wien/Zürich, 1974.

jene Flächen meinen, welche mit Kulturpflanzen bebaut werden.

Für unseren Belang meinen wir die Gesamtheit der handwerklichen, technischen und sozialen Tätigkeiten, welche sich auf den Höfen zeigt zusammen mit ihren Auswirkungen auf die Natur, auf die betroffenen Men-schen und in weiterer Folge auf jene Menschen, welche die Produkte aus der Landwirtschaft als Nahrungsmittel konsumieren.

Was lässt die unermüdlichen Mahner nun an eine Kri-se denken? Ist gemeint, dass

- der bäuerliche Bevölkerungsanteil rapid schrumpft (in Ö 3,2%)- immer weniger Menschen ihre Zukunft in der Landwirtschaft sehen?- man so wenig in der Landwirtschaft verdient?- die Arbeit in der Landwirtschaft gesell- schaftlich keine hohe Wertschätzung findet?- damit einhergehend der soziale Status der bäuerlichen Gesellschaftsschicht niedrig und daher nicht erstrebenswert ist?- Werttragende Sozial- und Lebensformen verfallen?- die Lebensmittelqualität zu wünschen übrig lässt?- die Fruchtbarkeit im Boden, bei den Tieren und in den Pflanzen zurückgeht?- der Klimawandel bedrohliche Konsequenzen in Aussicht stellt?- viel zu viele Menschen nicht genug zu essen haben?- das Lebendige an sich durch einseitige tech- nische Entwicklungen bedroht ist?- es auf dem Saatgutsektor zur Monopolisierung kommen könnte?

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Biodynamischer Landbau

- der Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut, verbunden mit Vergaben von Patentrechten auf lebendige Organismen wie ein Damokles- schwert über der Landwirtschaft hängt?- bürokratische Reglementierungen Bauern bewegen könnten, die Landwirtschaft aufzugeben?- die Industrialisierung in der Landwirtschaft der Tendenz zu großflächigen Einheiten zum Durchbruch verhilft?- Anbau in unseren Lagen unrentabel wird, da in klimatischen und geologischen Gunstlagen und in Ländern mit weniger entwickelten Sozialstrukturen ökonomisch vorteilhafter produziert werden kann?- die Nahrungsmittelbranche zunehmen zum Objekt für Spekulationen auf dem undurchsichtigen Finanzmarkt wird?- von dort ausgehend mit den Preisen jongliert wird?- die ansteigende Produktion von Biosprit für Spekulationen auf dem Getreidesektor interessant wird?

Manche dieser Fragen und Vermutungen könnten wir in die apokalyptischen Prophezeiungen vom Untergang der Landwirtschaft einreihen. Rohrmoser führt Friedrich Engels und Friedrich Nietzsche an, welche die Margina-lisierung und Atomisierung der Landwirtschaft schon im 19. Jahrhundert vorausgesagt haben.3

Die meisten der oben angeführten Vermutungen stär-ken die Pessimisten, wonach es mit der Landwirtschaft

3 Vgl. Rohrmoser. Kapitel: „Ethische Verantwortung im Umgang mit der Natur“

auf jeden Fall bergab geht oder verschleiert ausgedrückt, dass sie sich im Transformationsstadium befindet. Sie nehmen den Qualitätsverlust ernst, unterhalten sich über den Klimawandel, schauen nachdenklich auf die Patentierung von Leben oder die Monopolisierung des Saatgutes. Aber im Großen und Ganzen meinen diese Pessimisten, dass dies eben die Entwicklung sei, gegen die man nichts unternehmen kann.

Von diesen Aussichten doch leicht beunruhigt schla-gen manche dann die Seiten im Internet auf, welche In-formationen über die Landwirtschaft in der EU bereithal-ten und lesen über die Lage der Bauern nach. Da ändert sich das Bild relativ schnell. Von „gut versorgten“ Bauern ist da die Rede, dass Klimaschutz und Ressourcenma-nagement in den besten Händen sind, dass Gentechnik den Hunger in der Welt eindämmen und dass die Land-wirtschaft politisch thematisiert wird und deshalb nichts zu fürchten habe. Gut abgesicherte Verträge regeln die Aktionen und Transaktionen in der Landwirtschaft.

Ob die Landwirtschaft sich in der Krise befindet ist demnach eine Frage des Standortes oder danach, ob man ein Apokalyptiker, ein Pessimist oder ein gut informierter Bürger ist.

Es ist klar: Auf diese Weise kommen wir zu keinem Ur-teil. Aber welches Kriterium könnten wir finden, damit eine sinnvolle Anschauung der Situation möglich wird?

Ich werde versuchen, solche Beurteilungskriterien an den zwei großen, weit in die Zukunft weisenden geisti-gen Impulsen, welche Rudolf Steiner 1924 gegeben hat, zu entwickeln.

1. Impuls:Rudolf Steiner führte die Teile der Landwirtschaft über in ein Ganzes

Um die wahre Dimension dieses Bewusstseinsschrit-tes verständlich machen zu können, muss ich ein wenig

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Biodynamischer Landbau

ausholen.Rudolf Steiner hat seinen Kurs genannt: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“

und Johannes Toegel hat es in der Ringvorlesung un-ternommen, über die drei Ebenen der Wirklichkeit einen Weg dorthin aufzuzeigen. Ich knüpfe an seine Ausfüh-rungen an, mit dem Hinweis auf unseren Begriff von Kultur.

Dieser leitet sich her vom lateinischen Begriff colere, colui, cultum, und beschreibt Kulturschaffende mensch-liche Fähigkeiten: Bauen, Pflegen, Wahren, Ausbilden, Sorge tragen, Veredeln, Achten und Ehren. Diese Fähig-keiten haben mit der Landwirtschaft in zweifacher Weise zu tun:

Sie sind vom Menschen in seiner Auseinander-setzung mit der Natur und mit dem Geistigen entwickelt worden.Im Grunde sind sie alle Ausprägungen eines sozialen Handelns. Jegliches verantwortungs-volle Handeln in der Landwirtschaft ruht in der einen oder anderen Form auf diesen Fähigkeiten auf.

Seit der Mensch – in der Sprache der Genesis4 - durch seine Verführbarkeit das Paradies verlassen musste, ver-lor er auch die bis dahin aufrechte Einheit mit der Natur. 5

Durch mühsames Sammeln und Jagen musste er sein Überleben sichern. Es ist soziologisch noch nicht aus-gehandelt, ob das Teilen der Beute mit der Gruppe der erste Schritt zum Verpflegen war, oder die Pflege und

4 Genesis 3,235 Heute klingt diese Einheit noch an in einer dunklen Sehnsucht, wenn Menschen vom Leben im „Einklang mit der Natur“ schwärmen; deshalb ist dieser Begriff auch so werbewirksam.

Ernährung der Kinder durch die Frauen.6

Ohne die Entwicklung des Sorge tragens füreinander innerhalb der Gruppen, hätte die Menschheit nicht über-leben können.

Zu gleicher Zeit treten jene Rituale und Opferhandlun-gen auf, welche über die Natur hinaus weisen. Wir finden diese Ansätze in allen Religionen wieder, als Fähigkeiten nennen wir sie Achten und Ehren.

Mit der Sesshaftwerdung – der großen landwirtschaft-lichen Revolution – beginnt der Mensch – wieder im Worte der christlichen Bibel – sich die Erde untertan zu machen. Auf der ökonomischen Ebene beginnt der Han-del, Märkte werden geschaffen, Herrschaftsstrukturen entstehen. Diese Phase ist wohl als Verdichtungsgesche-hen zu bezeichnen. Auf der materiellen Ebene erlernt der Mensch die Fähigkeit des Bauens und Bebauens; und des Veredelns. Es gelingt, aus Wildgräsern Getrei-de zu züchten. Bestimmte wilde Tiere werden ins Haus genommen.

In seinem geistigen Ausdruck war der Mensch hier noch ganz bestimmt von der Empfindungsseele. Er han-delte vornehmlich aus der Empfindung. Am Übergang zu der Zeit, die wir historisch schon einigermaßen gut überblicken – also die goetheschen 3000 Jahre – locker-te sich das enge Verhältnis Mensch-Natur weiter.

Die Natur wird zwar noch mythisch interpretiert und als organisch empfunden; aber dieses Verständnis be-ginnt sich allmählich zu verändern. Die Grundherrschaft kommt auf. Darauf kann gar nicht genug Augenmerk gelegt werden: Grund und Boden werden langsam ins Eigentum genommen – unter die Herrschaft eines Ein-zelnen oder Institution genommen.

Die Fähigkeit des Wahrens und Bewahrens entwickelt

6 Sorgo Gabriele: „Abendmahl in Teufels Küche“, Styria Verlag, 2006.

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Biodynamischer Landbau

sich über die Ebene des ursprünglichen Aufbewahrens hinaus.

Mit dem Übergang zur Neuzeit fängt der Mensch zu-nehmend an aus der Verstandesseele zu handeln. Das Naturverständnis verändert sich dahingehend, dass der Mensch sich emanzipiert von der Vor-stellung, dass die Natur die Schöpfung Gottes sei.

Das mechanistische Weltbild von Descartes (1596-1650) und Bacon (1561-1626) leitet die Ära des wissen-schaftlichen Strebens nach Beherrschung der Natur ein. Der Bereich des Ökonomischen gewinnt durch die stetig wachsende Bedeutung des Geldes an Aufmerksamkeit und Macht. In der Landwirtschaft kommt es zur Kapi-talisierung und Intensivierung. Mit der industriellen Re-volution wird der letzte Schritt der Objektivierung von Natur vollzogen:

Natur wird nun aufgefasst als zusammengesetzt aus Teilen, als Materie. In dieser Materie sind die einzelnen Teile durch kausale Funktionen miteinander verbunden. Die Vorstellung von der Natur als ein lebendiges Ganzes verblasst.

Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, kann man sagen: Im Verständnis des naturwissenschaftlichen Men-schen ist zu dieser Zeit die Natur zu einer stofflichen Ressource geworden. In der Forschung wird sie in immer kleinere Teile zerlegt. Über die Landwirtschaft werden die Gesetze der Industrie gestülpt, die Vorgänge werden au-tomatisiert, Technisierung und Intensivierung führen zur Atomisierung; Monokulturen entstehen. Arbeit wird zur Ware. Grund und Boden wird zu Spekulationsgut. Die In-dustrielle Revolution und der erstarkende Kapitalismus vollenden gewissermaßen diesen Prozess des Ausein-anderdriftens von Natur und Kultur. „Für Wissenschaft und Technik ist die Natur eine wertneutrale, vergegen-ständlichte Faktenwelt geworden“7, sagte Hans Jonas.

7 Jonas, Hans: „Das Prinzip Verantwortung“, Frankfurt, 1979

Dieser Vorgang wird auch in der Landwirtschaft sichtbar. Die Hofeinheiten werden aufgeteilt in Wirtschaftszweige, die Vielfalt fällt einer mechanischen Rationalisierung zum Opfer, das Hofganze zerfällt also in wirtschaftsrelevante Segmente.

Der Boden wird zum Standort der Pflanzen, Tierhal-tung wird zur Tierproduktion und Fruchtbarkeit zur Re-produktionsmöglichkeit. Diese Struktur der Landwirt-schaft hat sich seit damals nicht mehr verändert; nur der Technisierungs- und Automatisierungsgrad hat zu-genommen. Und die Dimensionen verlieren sich im rein materialistischen Wertmassstäben.

Das große Verdienst Rudolf Steiners

Rudolf Steiner hat in dieses Chaos der in ihre Teile zerbrechenden Landwirtschaft, in dieses atomistische Durch- und Nebeneinander einen geistigen Ordnungs-impuls gesetzt. Es ist seiner geisteswissenschaftlichen Forschung zu danken, dass es ihm gelungen ist, die Teile in einem funktionalen Kreislauf zusammen zu den-ken und damit Kosmos, Erde, Boden, Pflanze, Tier und Mensch bewusst zu verbinden.

Steiner gibt der Natur über seine goetheanistische Na-turbetrachtung, jenes Leben zurück, welches die Aufklä-rung ihr abgesprochen hat.

Damit setzt er einen Impuls, der die Voraussetzung schafft, die Landwirtschaft als organisches Ganzes er-fassen zu können.

In dieser Weise legte er den Grundstein für die biody-namische Landwirtschaft.

2. Impuls: Er hat mit großer geistiger Wahrnehmungsfähigkeit

auf die zerstörerische Kraft einer rein materialistischen Weltauffassung hingewiesen.

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Biodynamischer Landbau

„Und so kann sich heute auch schon der materiali-stische Landwirt, wenn er überhaupt nicht ganz dumpf dahinlebt, sondern etwas nachdenkt über die Dinge, die sich ja täglich oder wenigstens jährlich ergeben, unge-fähr ausrechnen, in wie viel Jahrzehnten die Produkte so degeneriert sein werden, dass sie noch im Laufe dieses Jahrhunderts nicht mehr zur Nahrung der Menschen die-nen können.

Also es handelt sich dabei durchaus um eineFrage, die im allereminentesten Sinne, ich möchte sagen,kosmisch- irdische Frage ist. Gerade bei der Landwirt-schaft zeigt es sich, dass aus dem Geiste heraus, Kräfte geholt werden müssen, die heute ganz unbekannt sind, und die nicht nur die Bedeutung haben, dass etwa die Landwirtschaft ein bisschen verbessert wird, sondern die Bedeutung haben, dass überhaupt das Leben der Men-schen – der Mensch muss ja von dem leben, was die Erde trägt – , eben weitergehen könne auf Erden, auch im physischen Sinne.“8

Steiner sieht die fatalen Konsequenzen eines rein materialistischen Handelns schon voraus. Er weist auf die Notwendigkeit hin, ein Bewusstsein zu entwickeln, sowohl von den Zusammenhängen zwischen Mensch und Natur, als auch zwischen Individuum und Gemein-schaft.

8 Steiner, Rudolf: „Landwirtschaftlicher Kurs“, S 12

Bis hinein ins zwanzigste Jahrhundert lebten die Menschen eingebunden in größere Zusammenhänge.

Gemeinschaften, welche von einer höheren Instanz geleitet wurden. Das bedeutet, dass die Regeln, nach denen die Menschen handelten, von einer übergeordneten Instanz vorgegebenwurden. Solche Instanzen finden wir bei allen Völkern und in allen Kulturen: die Mysterien, die Klöster, die Pharaonen-priester und so fort.

Das Ideal der Freiheit des Individuums

Durch die Individualisierung tritt der einzelne Mensch heraus aus diesen Gemeinschaften und Traditionen und beginnt sein Handeln zunehmend selbst zu bestimmen. Das bedeutet, dass er sich ein Bewusst-sein von seinem Tun erringen muss.Er ist aufgefordert, seine eigenen ethischen Maßstäbe zu finden.

Mit diesem Schritt in die eigene Freiheit kann er aber auch die Verantwortung für sein Handeln nicht mehr de-legieren. Jeder muss sein Handeln selbst prüfen, muss sich darüber Rechenschaft ablegen, ob es dem sozialen Miteinander auf diesem Planeten zuträglich ist. Darin sind alle Fragen nach Nachhaltigkeit, Umgang mit Res-sourcen, Verbindlichkeit im sozialen Miteinander, Solida-rität im Ökonomischen eingeschlossen.

Wir können einen Weg heraus aus der Krise nur fin-den, wenn wir bedenken, dass alle Kultur bestimmt ist

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Biodynamischer Landbau

durch unser Verhältnis zur Natur. Es geht darum ein neues Denken, ein neues Bewusstsein zu finden über dieses Verhältnis.

Verbunden mit den Anregungen und den Hinweisen im Landwirtschaftlichen Kurs können die angesproche-nen Kulturfähigkeiten helfen eine neue landwirtschaft-liche Kultur zu schaffen.

Verpflegen

Verpflegen ist wohl die tiefste Dimension der biodyna-mischen Landwirtschaft.

Hier geht es ganz essentiell um die Einstellung zum anderen Menschen. Die große Frage lautet: Welche Le-bensmittel bringe ich aus meiner Landwirtschaft hervor? Denke ich die Lebensmittel nur stofflich, beurteile ich sie ausschließlich nach Ergebnissen verschiedener Ana-lysen? Oder ist es mir ein Anliegen, Lebensmittel hervor-zubringen, welche den Menschen auch Nahrung sind für Seele und Geist?

Insofern ein Bauer/ eine Bäurin menschengerechte Lebensmittel herstellen will, muss er/sie sich mit „dem Menschen“ beschäftigen. Das bringt ihn/sie zum Nach-denken über die Dreigliederung des menschlichen Or-ganismus, über die Zusammenhänge von Krankheit und Gesundheit, über das Seelische und das Geistige, das Ätherische und das Ich-Bewusstsein hin zu den Tä-tigkeiten des Denkens, des Fühlens und des Wollens.

Dieses Nachdenken verbunden mit dem Wunsch lebenfördernde Nahrungsmittel herzustellen, führt zu einem behutsameren Umgang mit dem Lebendigen, mit der Natur. Ihre Wachstumsprozesse, ihre Rhythmen und Zyklen bis hin zur Reife rücken stärker ins Bewusstsein.

Bebauen

In der Entscheidung, wie der Boden gepflügt oder auch nicht gepflügt wird, drückt sich das Verständnis des Bauern für den Boden aus. Es wird sichtbar, ob er imstande ist, diesen Boden als lebendigen Organismus aufzufassen. Die Frage nach einem bodengerechten Be-bauen führt über das Umschichten der Erde hinaus direkt zur Kompostbereitung unter Hinzunahme der Kompost-präparate, zur Anwendung der Präparate Hornmist und Hornkiesel, zur Fruchtfolge und zu heilenden Maßnah-men mit speziellen Heilkräuter-Tee-Anwendungen. Auch die Konstellationsforschung wird ins Bewusstsein herein-genommen. Ein fragender, beobachtender Umgang mit dem Boden zwingt den Bauern/ die Bäurin zu überlegen, wie schwer die Maschinen sein dürfen, mit welchen er/sie das Feld bearbeitet, bei welchem Feuchtigkeitsgrad er/sie ins Feld hinein fährt. Er/sie beginnt eine Empfin-dung dafür auszubilden und langsam entwickelt er/sie in sich eine Bodenkultur.

Bewahren

Das Rätsel des Lebens und seiner Entstehung liegt trotz großer wissenschaftlicher Anstrengungen noch im-mer im Dunkeln. Wir können nur die Bedingungen schaf-fen, dass dieses Leben weiterleben kann. Dass auf den Feldern Pflanzen wachsen, Tiere sich vermehren.

Wir wissen aus vielen Berichten, wie ganze Landstri-che unfruchtbar gemacht werden (Abholzungen in den Regenwäldern und anschließender Raubbau, Verwü-stung, Erosionsschäden,…) und dass die Unfruchtbarkeit bei den Tieren zunimmt.

Das Bewahren der Möglichkeit des Lebendigen wird damit zur großen Aufgabe. Die Menschen in der biody-namischen Landwirtschaft sind herausgefordert, jene

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Biodynamischer Landbau

Zusammenhänge in den Naturreichen zu erfassen, die Leben ermöglichen. Bei den Pflanzen ist es die umfas-sende Frage der Züchtung, die Erhaltung und Pflege von samenfesten Sorten. Es bedarf der bewussten Hinwen-dung, der aufwändigen Auseinandersetzung und des Verzichts auf ein einseitiges, quantifizierendes Denken und Wollen. In diesem Fall schafft gerade dieser Verzicht Kultur. Die Opferung einer reinen Leistungsorientierung ist auch im Stall zu bringen. Die entsprechende Fütte-rung, die ernsteste Zuchtauswahl muss hier das Tun lei-ten. So auch die geistige Beschäftigung mit den Themen des Organismus und der Lebensprozesse. Die Übung, den Blick immer wieder aufs Ganze zu richten, wird zur täglichen Notwendigkeit.

Veredeln

Diese Fähigkeit ist in besonderer Weise mit der Bio-dynamik verbunden. Das Bestreben, das Lebendige bis

in die Lebensmittel hinein zu bergen und zu bewahren, zeichnet die Bemühungen in der biodynamischen Land-wirtschaft aus. Die Einsicht, dass EDEL MACHEN nicht auf Kosten des Lebendigen betrieben werden darf, ist hier schon weit entwickelt.

Veredeln bedeutet tendenziell das Verbessern bereits vorhandener Qualitäten. Damit ist auch die Zuchtarbeit angesprochen. Diesmal nicht im Sinne der Erhaltung der Lebensmöglichkeiten, sondern in der bewussten Auswahl bestimmter Zuchtmerkmale. In diesem Zusam-menhang ist die geistige Beschäftigung mit den Vorstel-lungen über Zucht von größter Bedeutung, damit die Auswahl nicht zur Manipulation wird.

In der Beschäftigung mit der Zucht sind höchste ethi-sche Wertmaßstäbe zu suchen. Die Frage nach dem Maßhalten – bei den Griechen eine der vier Kardinaltu-genden – spielt dabei eine große Rolle.

Veredeln enthält als Wortstamm „edel“ und dies verweist uns auf die ästhetische Dimension alles Seien-den. Darum darf bei der Zucht die ästhetische Dimensi-on, sowohl der Form als auch der Farbe und Größenver-hältnisse nach, niemals außer Acht gelassen werden. Im Bedenken und geistigen Bewegen dieser Einzelfaktoren und gesamtbildlichen Elemente bei Zuchtüberlegun-gen schulen wir als Menschen auch unsere eigene äs-thetische Urteilskraft. Wir lernen dabei, unsere intuitive Wahrnehmung zu erfassen.

Die Welt des Seienden ist nicht nur zu beurteilen nach Masse und Gewicht, sondern auch nach Schönheit und Proportion.

Achten

Von Kultur können wir nur sprechen, wenn mensch-liches Tun Ausdruck einer physischen, seelischen und

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geistigen Tätigkeit wird. Damit ist gemeint, dass wir als Menschen das rein instinktive Handeln übersteigen müssen, indem wir unsere seelischen und geistigen Di-mensionen aufrufen.

Vom Wortstamm her finden wir den Begriff achten noch in anderen Wörtern beachten, betrachten und be-obachten. Diese haben alle mit dem Schauen, dem Hin-schauen, dem inneren und äußeren Anschauen zu tun.

Es ist im Vortrag von Wilhelm Erian sehr schön beschrieben, wie im beobachtenden, betrachtenden

und beachtenden Hinschauen auf ein lebendiges Wesen Beziehung entsteht. Durch ein rein materielles Taxieren bleibt dieser Zugang verwehrt. Denn nur in dem Augen-blick, wo ich das Lebendige in diesem anderen Wesen erfasse, erkenne ich es als ein Mitgeschöpf und wird es eine Sehnsucht in mir auslösen, es näher kennen zu ler-nen. In diesem Kennenlernen zeigen sich die wesensge-mäßen Merkmale wie von selbst, durch die Hinwendung sehe ich als Mensch, was dieses andere Wesen – sei es Tier oder Pflanze oder Boden – braucht. Dies lässt in der Seele des Menschen eine Fähigkeit wachsen, welche wir mit Achten bezeichnen. Dieses Achten ist aber kein Soll-Gebot, wie wir es in den Religionen als Verhaltens-anleitung finden. Dieses Achten entwickelt sich im be-

achtenden und betrachtenden Beziehungsgeschehen im Seelischen des Menschen zu einem integralen Bestand-teil seiner Persönlichkeit. Es beinhaltet die Möglichkeit sich auf alles Lebendige auszuweiten. Das schafft auch ein Bewusstsein von der Ganzheit der Schöpfung.

Mit dieser Kulturfähigkeit verbunden ist die spirituelle Ausformung dieses Geschehens – das Ehren. Es zeigt von tiefem Verständnis, wenn ein Mensch für das je Vor-gefundene ein Gefühl der Dankbarkeit und des Ehrens entwickeln kann.

Rudolf Steiner zeigt in seinem Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ den Schulungsweg auf, welcher zu dieser Kulturfähigkeit führen kann.9

Mit diesen Ausführungen möchte ich einen Weg aufzeigen, wie wir als bewusst handelnde Individuen durch die Verwirklichung unserer Kultur-fähigkeiten und der Beachtung der Hinweise zur biodynamischen Landwirtschaft eine neue Kultur auf den Höfen entwickeln können.

Diesen Vortrag hielt Waltraud Neuper am 23.1.2009 im Rahmen der Ringvorlesung an der Universität für Boden-kultur in Wien.

9 Steiner, Rudolf: „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1982

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Biodynamischer Landbau

Epochale Paradies Vertreibung Seßhaftwerdung Mittelalter Neuzeit Industrielle RevolutionEnttwicklung Mensch ist Mensch bleiebt Mensch beginnt sich Verständnis von Natur Zunehmende Emanzi- Natur wird rein stofflich

ineins mit der verbunden mit der die Erde untertan zu teilweise noch my- pation des Menschen begriffen; Natur ist nicht Natur und dem Natur - stellt sich machen. thisch, aber schon von der Natur als mehr beseelt; Göttlichen, ihr aber objektiv Ganzheitliches, Übergang zur Auffas- Schöpfung. Entwick- Natur wird nicht mehr als Geistigen. gegenüber. mystisches Natur- sung der Natur als lung des mechanisti- lebendiges Ganzes ver-

(Gen3,23) verständnis ein Organismus schen Weltbildes. standen; Natur wird ge-Beherrschung der Na- dacht als Materie undtur als Ziel der Natur- Teilchen.wissenschaften.

Aspekte der Überleben sichern, Tauschhandel, Landwirtrschaft wird Technische Beherr- Gesetze der Industriali-Entwicklung Stillen der biologi- Märkte, zunehmend Medium schung der Natur sierung werden auf dieder Wirtschaft schen Bedürfnisse. Herrschaftsstrukturen der Politik. wird Thema. Landwirtschaft übertragen:

Hierarchien Grundherrschaft; Landwirtschaftl. TechnisierungEntwicklung Entwicklung Landwirtrschaftliche Produkte werden in Intensivierungder der Kulturfähig- Produkte werden Geld verwandelt. Automatisierung folgen.Kultur- keiten aus dem Verpflegen der Handelsgut. Akkumulation. Künstliche Verknappungfähigkeiten Sozialen Gruppe, der Bauen, Bebauen Beginn der Kapitali- zur Preis- und Marktge-

Gemeinschaft Veredeln Bewahren sierung der Land- staltung. Die Landwirt-Sorge Tragen Ausbilden wirtschaft, Intensi- schaft wird zur großen

vierung durch Technik Industrieanlage.und Düngung. Arbeit wird zur Ware.

Entwicklung derSeelenanteileNoch ganzunbewusst E N T W I C K L U N G D E S D E N K E N S A U S D E M T U N

Entwicklung von Naturverständnis, Kulturfähigkeiten und Aspekte von Wirtschaftlichkeit - (Tafelbild übertragen)

Achten und Ehren des Göttlichen in Ritualen

E M P F I N D U N G S S E E L E

V E R S T A N D E S S E E L E

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Biodynamischer LandbauAutorenliste

Autorenliste:

Florian Amlinger ist Diplom-Agraringenieur, Gründungs- und Vorstandsmitglied Europäisches Kompost Netzwerk (ECN/ORBIT e.V.) Vorsitzender des Fachnormenkomitees: „Biologische Abfallbehandlung und -verwertung“ des Österreichischen Normungs-instituts.

Markus Buchmann, Dr. lebt in Winterthur und arbeitet seit 14 Jahren als freier Mitarbeiter in der Getreide-züchtung Peter Kunz, einem Züchtungsunternehmen, das Weizen- und Dinkelsorten für biologischen und biologisch-dynamischen Anbau züchtet. Außerdem amtiert er als Vorstand im Verein für Bildekräfte-forschung. Er bearbeitet Forschungsprojekte im Bereich Lebensmittelqualität unter der speziellen Fragestellung: Was ist die besondere Qualität an Produkten aus biodynamischem Anbau?

Wilhelm Erian Ing., ist Demeterbauer in Kraindorf in Kärnten.

Reinhild Frech-Emmelmann ist Geschäftsführerin und Pflanzenzüchterin bei Fa. ReinSaat KG.

Oskar Grollegger: Seit 1977 Erhaltung von Getreide-Landsorten, Beobachtung von Phaseolus Populati-onen.

Bertold Heyden Dr.: Studium der Biochemie. Promotion: Grundlagenforschung in der Molekular-biologie, Max-Planck-Institut für Virus-forschung,Tübingen. 1974: drei Jahre Mitarbeit am C.G. Carus Institut, Niefern-Öschelbronn (Krebstherapie; Heilmittel aus der Mistel), Arbeitsgebiet: Goetheanistische

Botanik. 1977: zehn Jahre Lehrer für Biologie und Chemie an der Freien Waldorfschule am Bodensee, Überlingen-Rengoldshausen.1987: Gründung „Verein zur Förderung der Saatgutforschung im biologisch-dynamischen Landbau e.V.“ und des Keyserlingk-Institut (1988). Seitdem in Zusammenarbeit mit biologisch-dynamischen Bauern am Bodensee: Saatgutforschung und Getreidezüchtung (Weizen und Roggen) durch Auslese aus Hofsorten. Ab Herbst 2003: Anbau der neu selektierten Regionalsorten in Kooperation mit vier Bäckereien am Bodensee. Laufende Forschungsprojekte: (1) Bedeutung der Grannenbildung und (2) Züchtung und erste Anbauversuche mit einem Wildgetreide (Dasypyrum villosum).

Christian Hiß aus Freiburg im Breisgau ist Gärtnermeister, Gründer und Vorstandsmitglied derRegionalwert –AG.

Rudolf Keiblinger-Bartsch, Mag. leitet als Geschäftsführer die sozialtherapeutische Einrichtung„Lebensgemeinschaft Wurzerhof“.

Ursula Kothny: Geboren 1953 in Nürnberg; Besuch der dortigen Waldorfschule; Studium der Soziologie. Seit 1978 biodynamische Bäuerin in der Oststeiermark; Ausbildungen in Organisationsentwicklung, Biografie-arbeit, Gerontologie.Als Bäuerin setzt sie sich vor allem mit Fragen der fossilen Energienutzung auseinander. Wie wirkt der tägliche stundenlange Umgang mit Verbrennungsmotoren auf die Persönlichkeit und die individuelle Entwicklung?Welche sozialen, ökonomischen und organisatorischen Bedingungen sind notwendig, damit landwirtschaftliche Betriebe zu Oasen für geistige Entwicklung werden können und somit Lebens- und Arbeitsstätten für spirituelle Entfaltung?

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Biodynamischer LandbauAutorenliste

Hannes Neuper: Von 1983 bis 2006 Demeterlandwirtin der Steiermark. Vorstand der Demeter Produkte GmbH.

Waltraud Neuper, Mag. war Lehrerin, Demeterbäuerin, arbeitet mit am Aufbau einer Weiterbildung für biodynamische Lebensfelder.

Leopold Selinger, Dr. war Tierarzt in Kärnten und zählt zu jenem Menschenkreis, welcher den Österreichischen Demeterbund in Österreich aufbauen half. Er begleitete die Arbeitsgruppe Kärnten/Steiermark mit seinem Fachwissen als Tierarzt und mit seinem Verständnis von Anthroposophie.

Walter Sorms: Landwirtschaftsmeister, seit 1985 be-wirtschaftet er mit seiner Frau das Hofgut Rengolds-hausen am Bodensee.

Elisabeth Stöger, Dr., arbeitet als Tierärztin in Kärnten.Frau Dr. Stöger wurde 1965 in St. Pölten, NÖ. geboren. Studium der Veterinärmedizin in Wien, Promotion 1996. Seit 1996 tierärztlich tätig in Kärnten mit Schwerpunkt Wiederkäuer in verschiedenen Tierarztpraxen. Seit 1990 Beschäftigung mit Homöopathie und Phytotherapie, seit 1994 Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Anthroposophische Tiermedizin (IGAT). 2005-2008 Durchführung des Projektes „Wiederkäuer-gesundheit im Biolandbau“ mit Bestandsberatungen und -sanierungen und Fortbildung für Landwirte österreichweit

Johannes Toegel, Dr. Mag., Musiker, Theologe und Philosoph, lebt abwechselnd auf einem Kärntner Berg-bauernhof und in einer Einsiedelei im Himalaja. Ar-beitet zusammen mit einem tibetischen Meister seit mehr als 25 Jahren an der Verbindung von östlicher und westlicher Kultur und Spiritualität, Seminarleiter und

Meditationslehrer, Begründer und Leiter des Wisdom Science Project.

Johannes Zwiauer, Dr. Jahrgang 1922, war fast fünf Jahrzehnte Produktionsleiter und zuletzt phar-mazeutischer Geschäftsführer der Firma WELEDA Wien und in der Anthroposophischen medizinisch-pharmazeutischen Bewegung durch Vorträge, Se-minare und schriftliche Arbeiten bis heute tätig.