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M enschen mit Diabetischem Fußsyn- drom (DFS) leiden an einer Neuro- pathie, die zu Fehlstellungen und unphy- siologischen Belastungen führt und gleichzeitig warnende Schmerzen unter- drückt. So verlaufen die Überlastungen für die Betroffenen zu einem großen Teil unbemerkt. Eine schmerzbedingte Kom- pensation entfällt ebenfalls. Weitere Schäden sind durch äußere Einflüsse so- wie durch verzögerte Reparaturvorgänge bei hohen Blutzuckerwerten, peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) und weiteren Erkrankungen möglich. Die unphysiologischen plantaren Be- lastungen sind auch für den überwie- genden Teil der hohen Zahl an Rezidiven verantwortlich. Plantare Ulcera, bei denen die Neuropathie besonders relevant ist, neigen mehr zu Rezidiven als Läsionen außerhalb der belasteten Regionen. Die neuropathiebedingt überhöhte Belas- tung ist aber auch für sehr lange Verläu- fe bis zum Wundschluss und auch für Amputationen verantwortlich, da sie das Trauma bei jedem Schritt wiederholt. Dazu trägt bei, dass Betroffene thera- peutische Maßnahmen zur Begrenzung der Fehlbelastung nicht selten als sehr behindernd empfinden. Aus diesen Gründen ist es wesentlich für eine erfolgreiche Behandlung, die Ur- sachen der Fehlbelastung minutiös und differenziert aufzuspüren. So ist es sinn- voll, eine Abfolge von Standarduntersu- chungen einzuhalten, um relevante Störungen auf keinen Fall zu überse- hen – die wesentlichen Untersuchungen haben wir im Folgenden aufgeführt. De- tailliertere Untersuchungen haben wir nach dem Entitätenkonzept gegliedert, das Läsionen anhand der Lokalisation und dort vorherrschender Fehlbelastung klassifiziert (zum Entitätenkonzept vgl. auch Orthopädieschuhtechnik 11/2015, S. 28ff.). Bei bestimmten Lokalisationen sind jeweils spezifisch weiterführende Untersuchungen notwendig. Der Standard- Untersuchungsgang 1. Aufrufen des Patienten (stand up and go) Das Aufrufen des Patienten aus der War- tezone bietet eine später kaum reprodu- zierbare Gelegenheit, ihn zu beobachten, während er abgelenkt ist und sich nicht auf das Gehen konzentriert. Aufschlussreich sind dabei folgende Fragen: Wie schnell steht der Patient auf? Wie sicher ist er beim Aufstehen und beim anschließenden Gehen? Dies erlaubt Rückschlüsse auf die allgemeine Mobilität und Sturzgefahr. Geprüft werden kann dies auch mit dem Time-up-and-go-Test, bei dem der Patient aufsteht, drei Meter geht, sich umdreht, zurückgeht und sich wieder setzt. Ein Wert unter 10 Sekunden gilt dabei als sehr gut, 11-19 Sekunden als noch gut. Das Ergebnis ist auch ein Maß dafür, wieviel Laufleistung zu erwarten ist (Podsiadlo and Richardson 1991). Hier kann beobachtet werden, ob Besonder- heiten beim Gang bestehen, wie: – Ataktischer Gang: Ist der Gang unsi- cher, kurzschrittig, breitbeinig oder mit weit ausholenden, langen und sicheren Schritten? Ein unsicher gehender Mensch wird eine Schuhversorgung benötigen, die einen stabilen Stand be- günstigt. – Hinken: Ist der Gang unbeeinträchtigt oder liegt eine Asymmetrie der Bewe- gung vor? Dies kann vielfältige Ursa- chen haben: psychogenes Hinken, schmerzbedingtes Schonhinken, Ver- kürzungshinken, Durchblutungsstörun- gen (Claudicatio intermittens), Läh- mungshinken sowie Fehlstellungen in Hüfte, Knie oder Sprunggelenk. Hinken weist oft nicht direkt auf eine Erkran- kung hin, ist aber ein Hinweis, dem weiter nachgegangen werden muss. – Fußwinkel: Setzt der Patient mit leicht außenrotiertem Fuß auf (normal) oder mit stark außenrotiertem oder innen- rotiertem Fuß? Der „Fußwinkel“ ist oft mit Funktionsvarianten verbunden. So ist ein weiter Fußwinkel häufig mit ei- nem Plattfuß assoziiert. – Liegt ein „Steppergang“ vor, wie bei einer Insuffizienz der Fibularismusku- latur (Peronäusparese)? – Wird fast ausschließlich die Ferse belastet („Hackenläufer")? Dies weist auf eine Schwäche des Zugs an der Achillessehne hin. – Falls Patienten von Assistenten vorun- tersucht werden, ist es sinnvoll, wenn MEDIZIN & TECHNIK 24 ORTHOPÄDIESCHUHTECHNIK 12|17 Biomechanischer Untersuchungsgang für den diabetischen Fuß Unphysiologische Belastungen sind eine wesentliche Ursache für die Entstehung von Ulcera und Rezidiven am Diabetischen Fuß. Um die individuellen biomechanischen Problemstellungen des Fußes möglichst frühzeitig zu erkennen, empfiehlt es sich, eine Reihe von Untersuchungen regelhaft durchzuführen. VON DIRK HOCHLENERT, GERALD ENGELS UND JOHANNES BEIKE 1 Asymmetrie der entspannt hängen- den Füße. Der Patient stellte sich mit einem einseitigen Plattfuß rechts vor. Am entspannten und hängenden Fuß sieht man, dass sich der linke Fuß gut entspannt und nach plantar zeigt, während der rechte Fuß in einer rigiden Situation von fast 90 Grad verbleibt. Die Ursache hier ist, genauso wie die Ursache für den Plattfuß, eine Ver- knöcherung im Bereich des unteren Sprunggelenkes (subtalare Koalitio).

Biomechanischer Untersuchungsgang für den diabetischen Fuß

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Page 1: Biomechanischer Untersuchungsgang für den diabetischen Fuß

Menschen mit Diabetischem Fußsyn-drom (DFS) leiden an einer Neuro-

pathie, die zu Fehlstellungen und unphy-siologischen Belastungen führt undgleichzeitig warnende Schmerzen unter-drückt. So verlaufen die Überlastungenfür die Betroffenen zu einem großen Teilunbemerkt. Eine schmerzbedingte Kom-pensation entfällt ebenfalls. WeitereSchäden sind durch äußere Einflüsse so-wie durch verzögerte Reparaturvorgängebei hohen Blutzuckerwerten, periphererarterieller Verschlusskrankheit (pAVK)und weiteren Erkrankungen möglich.Die unphysiologischen plantaren Be-

lastungen sind auch für den überwie-genden Teil der hohen Zahl an Rezidivenverantwortlich. Plantare Ulcera, bei denendie Neuropathie besonders relevant ist,neigen mehr zu Rezidiven als Läsionenaußerhalb der belasteten Regionen. Dieneuropathiebedingt überhöhte Belas -tung ist aber auch für sehr lange Verläu-fe bis zum Wundschluss und auch fürAmputationen verantwortlich, da sie dasTrauma bei jedem Schritt wiederholt.Dazu trägt bei, dass Betroffene thera-peutische Maßnahmen zur Begrenzungder Fehlbelastung nicht selten als sehrbehindernd empfinden.Aus diesen Gründen ist es wesentlich

für eine erfolg reiche Behandlung, die Ur-

sachen der Fehlbelastung minutiös unddifferenziert aufzuspüren. So ist es sinn-voll, eine Abfolge von Standarduntersu-chungen einzuhalten, um relevanteStörungen auf keinen Fall zu überse-hen – die wesentlichen Untersuchungenhaben wir im Folgenden aufgeführt. De-tailliertere Untersuchungen haben wirnach dem Entitätenkonzept gegliedert,das Läsionen anhand der Lokalisationund dort vorherrschender Fehlbelastungklassifiziert (zum Entitätenkonzept vgl.auch Orthopädieschuhtechnik 11/2015,S. 28ff.). Bei bestimmten Lokalisationensind jeweils spezifisch weiterführendeUntersuchungen notwendig.

Der Standard-Untersuchungsgang1. Aufrufen des Patienten

(stand up and go)Das Aufrufen des Patienten aus der War-tezone bietet eine später kaum reprodu-zierbare Gelegenheit, ihn zu beobachten,während er abgelenkt ist und sich nichtauf das Gehen konzentriert. Aufschlussreich sind dabei folgende

Fragen: Wie schnell steht der Patientauf? Wie sicher ist er beim Aufstehenund beim anschließenden Gehen? Dieserlaubt Rückschlüsse auf die allgemeineMobilität und Sturzgefahr.

Geprüft werden kann dies auch mitdem Time-up-and-go-Test, bei dem derPatient aufsteht, drei Meter geht, sichumdreht, zurückgeht und sich wiedersetzt. Ein Wert unter 10 Sekunden giltdabei als sehr gut, 11-19 Sekunden alsnoch gut. Das Ergebnis ist auch ein Maßdafür, wieviel Laufleistung zu erwarten ist(Podsiadlo and Richardson 1991). Hierkann beobachtet werden, ob Besonder-heiten beim Gang bestehen, wie:– Ataktischer Gang: Ist der Gang unsi-cher, kurzschrittig, breitbeinig oder mitweit ausholenden, langen und sicherenSchritten? Ein unsicher gehenderMensch wird eine Schuhversorgungbenötigen, die einen stabilen Stand be-günstigt.– Hinken: Ist der Gang unbeeinträchtigtoder liegt eine Asymmetrie der Bewe-gung vor? Dies kann vielfältige Ursa-chen haben: psychogenes Hinken,schmerzbedingtes Schonhinken, Ver-kürzungshinken, Durchblutungsstörun-gen (Claudicatio intermittens), Läh-mungshinken sowie Fehlstellungen inHüfte, Knie oder Sprunggelenk. Hinkenweist oft nicht direkt auf eine Erkran-kung hin, ist aber ein Hinweis, demweiter nachgegangen werden muss.– Fußwinkel: Setzt der Patient mit leichtaußenrotiertem Fuß auf (normal) odermit stark außenrotiertem oder innen -rotiertem Fuß? Der „Fußwinkel“ ist oftmit Funktionsvarianten verbunden. Soist ein weiter Fußwinkel häufig mit ei-nem Plattfuß assoziiert.– Liegt ein „Steppergang“ vor, wie bei einer Insuffizienz der Fibularismusku-latur (Peronäusparese)?– Wird fast ausschließlich die Fersebelas tet („Hackenläufer")? Dies weistauf eine Schwäche des Zugs an derAchillessehne hin.– Falls Patienten von Assistenten vorun-tersucht werden, ist es sinnvoll, wenn

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Biomechanischer Untersuchungsgang für den diabetischen FußUnphysiologische Belastungen sind eine wesentliche Ursache für die Entstehung von Ulcera

und Rezidiven am Diabetischen Fuß. Um die individuellen biomechanischen Problemstellungen

des Fußes möglichst frühzeitig zu erkennen, empfiehlt es sich, eine Reihe von Untersuchungen

regelhaft durchzuführen.

VON DIRK HOCHLENERT, GERALD ENGELS UND JOHANNES BEIKE

1 Asymmetrie der entspannt hängen-den Füße. Der Patient stellte sich miteinem einseitigen Plattfuß rechts vor.Am entspannten und hängenden Fußsieht man, dass sich der linke Fuß gutentspannt und nach plantar zeigt,während der rechte Fuß in einer rigidenSituation von fast 90 Grad verbleibt.Die Ursache hier ist, genauso wie dieUrsache für den Plattfuß, eine Ver-knöcherung im Bereich des unterenSprunggelenkes (subtalare Koalitio).

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unbekannte Auffälligkeiten unspezi-fisch gekennzeichnet werden können,zum Beispiel als „weitere Anomalie“,wenn der Betroffene aus Sicht des Vor-untersuchers „komisch“ läuft.

2. Untersuchung im Sitzen In manchen Fällen kann es sinnvoll sein,einen Untersuchungsschritt durchzu-führen, bei dem die Betroffenen im Sitzenauf einer erhöhten Fläche (zum BeispielUntersuchungsliege) mit entspannt hän-genden Beinen und nackten Füßen („Hosenbein hoch“) untersucht werden.Hierbei wird insbesondere auf Seiten -differenzen geachtet (Abb. 1). War derGang unauffällig, so kann dieser Schrittentfallen.

3. Untersuchung im StehenDie Untersuchung im Stehen ist dagegenunerlässlich. Dabei werden Position undBewegung unter Last beurteilt. Die Posi-tion des Unterschenkels in der Beinachseist dabei wesentlich, so dass zumindestdie Beine bis oberhalb des Kniegelenksunbekleidet sein müssen („Hosenbeinhoch“). Idealerweise sind beide Beinevollständig unbekleidet. Beim ersten Auf-setzen der Füße nach Ausziehen vonSchuhen, Strümpfen und eventuell ande-ren Beinkleidern sind durch die Ablen-kung oft Bewegungen der Zehen erkenn-bar, die sich später vielleicht nicht mehrprovozieren lassen. Daher verdient dieserMoment besonders aufmerksame Beob-achtung.– Am stehenden Patienten wird beobach-tet, wie die Zehen balancieren. Werdenalle Zehen kraftvoll auf den Boden ge-presst? Werden Zehen dabei gekrallt?Wird die Kleinzehe mit der Außenseitenach plantar gedreht (Insuffizienz desM. quadratus plantae) oder die Großze-he mit ihrer medialen Seite?– Beim Stand „auf Zehenspitzen“ wirddas Balancieren unter diesen erschwer-ten Bedingungen bewertet.– Von hinten wird sodann eingeschätzt,wie die Ferse positioniert ist: Steht siesenkrecht und gerade unter dem Un-terschenkel oder ist sie invertiert oderevertiert?– Ist es möglich, den Vorfuß anzuhebenund nur auf der Ferse zu stehen? Ein sol-cher Hackenstand ist unmöglich bei einer Insuffizienz der Fibularismusku-latur (Peronäusparese) oder bei einerRuptur der Sehne des M. tibialis ante-rior.

– Es folgt eine Beurteilung der Fußform,die durch den Rückfuß bestimmt wird.Bestehen zum Beispiel Senk- und Platt-füße aufgrund einer Eversion (Valgisie-rung) der Ferse (ein Hinweis auf eineeventuelle Insuffizienz des M. tibialis-posterior)? Besteht ein Hohlfuß auf-grund einer Inversion (Varisierung) derFerse?– Bestehen besondere Fehlstellungen,zum Beispiel ein Metatarsus primuselevatus, ein Hallux valgus oder einSchneiderballen?– Gibt es andere Besonderheiten, wiezum Beispiel eine Haglund-Ferse?

4. Untersuchung im LiegenTrophik Im Liegen werden Nägel und Haut in ihrer Trophik beurteilt. Ist die Haut warm,geschmeidig und rosig oder finden sichHinweise für Erkrankungen wie eine pAVK (kühl, dünn, livide, haarlose Fuß-und Zehenrücken sowie atrophische Nä-gel)? Gibt es Hinweise auf eine Poly -neuropathie (warme, trockene, schuppigeund rissige Haut) oder auf Hauterkran-kungen, wie eine Psoriasis oder Mykosen?Die Haut wird dazu inspiziert und pal-piert, also mit Hilfe von Augen und Hän-den abgesucht.– Hat der Patient Ödeme an Fuß oder Un-terschenkel?– Wie fühlt sich die Haut an (Haptik) inBezug auf Temperatur, Turgor (Span-nungszustand: reduziert bei schlafferHaut, erhöht, zum Beispiel bei Ödemen)und Feuchtigkeit (normal/feucht/trocken)?

– Sind Muskeln kräftig oder oder redu-ziert (hypo- oder atroph)?

Hinweise auf ÜberlastungenUm Fehlbelastungen oder Überlastungenam Fuß zu erkennen, werden folgendeAspekte beurteilt:– Besteht eine homogene Auflastung derMetatarsalia oder finden sich Über las -tungszeichen, also Schwielen undWunden unter den Mittelfußköpfen?– Bestehen Überlastungszeichen im Sin-ne von Hyperkeratosen oder Wundenan den Zehen (Zehenrücken, Zehenkup-pen oder medial/lateral an den Zehen)?– Sind Nägel aufgebogen beziehungs-weise deformiert und weisen so auf dieEinbeziehung der Zehenkuppe in dieplantare Belas tungsfläche hin? Odersind Nägel dystrophisch wie bei Myko-sen (typischerweise sind dabei einzelneNägel unbetroffen) oder Psoriasis?

Beweglichkeit und KraftBeweglichkeit und Kraft werden in spezi-ellen Manövern untersucht. Zunächstgeht es um die Mobilität der Gelenke.– Beim Push-up-Test bringt der Untersu-cher mit Hilfe von Druck auf den Vorfußdie Fußsohle in eine Position von 90°und weniger im Verhältnis zur Körper-achse. Dadurch wird das Auftreten inTeilen reproduziert und Sehnen sowieFaszien der Fußsohle werden gestreckt(Abb. 2). Die Zehen werden plantarflek-tiert, zumindest solange die plantarenPlatten intakt sind. Sind diese über-dehnt/rupturiert oder werden die Ze-hen krampfhaft nach dorsal gezogen,

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2 Der Push-up-Test simuliert die Position der Zehen im Stand. Zum Ausschluss willkürlicherBewegungen wurde die Untersuchung bei einem anästhetisierten Patienten demonstriert.

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so entfällt diese Plantarflexion. Der Testist einfach und verschafft schnell einenÜberblick darüber, welche Position dieZehen im Stand annehmen könnten. Ersimuliert den Stand aber unvollständig,da der Einfluss des Körpergewichts aufdie Wölbungen fehlt, und ersetzt dieUntersuchung im Stehen nicht! – Danach wird die Dorsalextension desFußes passiv über die 90° hinaus auf80° oder weniger gebracht, um eineEinschränkung der Bewegung desSprunggelenks auszuschließen. Ein-schränkungen der Sprunggelenkbe-weglichkeit können durch arthrotischeVeränderungen oder Sehnenverkürzun-gen bedingt sein. Besonders relevant isthier die so genannte „Achillessehnen-

verkürzung“, bei der es sich bei genau-er Betrachtung um eine Verkürzung desWadenmuskelkomplexes handelt. – Bei der Überprüfung der Wadenmus-kelgruppe muss, wenn im Stand eineFersenvalgus-Fehlstellung aufgefallenist, die Ferse und damit der Rückfuß ineine Rektusposition gebracht werdenund der Vorfuß in Pronation. Ansonstenkönnte es passieren, dass sich der Fußbei Dorsalextension in Planovalgus-Fehlstellung deformiert und eine rele-vante Verkürzung der Wadenmuskel-gruppe „kompensiert“, die dadurchnicht mehr auffällt. – Der Silfverskjöld-Test unterscheidet, oballein der M. gastrocnemius verkürzt istoder ob sowohl M. gastrocnemius als

auch M. soleus verkürzt sind. Durch-führung: Am liegenden Patienten wirddie Ferse invertiert, so dass die Fußwur-zelgelenke verblocken. Der Fuß wird imSprunggelenk passiv maximal dorsalex-tendiert und konstant so angespannt.Nun wird der Patient aufgefordert, dasKnie zu beugen. Der M. gastrocnemiussetzt oberhalb des Knies am Femur anund wird dadurch entspannt. Wenn nurder M. gastrocnemius verkürzt ist, istjetzt eine vermehrte passive Dorsalex-tension des Fußes möglich undwährend das Knie langsam wieder ge-streckt wird, tritt die Spitzfußstellungim letzten Moment wieder auf. Wennaber auch der M. soleus verkürzt ist, isteine Dorsalextension auch bei gebeug-tem Knie nicht möglich (Abb. 3). – Bei dieser Untersuchung verschafft sichder Untersucher einen Überblick überdie Bewegungszusammenhänge in Un-terschenkel und Fuß. Sollte lediglichder M. gastrocnemius verkürzt sein, soist der korrigierende Eingriff, „Gastroc-nemius slide“ genannt, einfacher alsbei zusätzlicher Beteiligung des M. so-leus („Achilles Tendon Lengthening“).– Die Beweglichkeit der Zehen 2 – 5 wirdgeprüft. Beim Versuch, fehlgestellte Ze-hen zu begradigen, wird erkannt, obdiese Fehlstellungen fixiert oder flexibelsind. Flexible Zehenfehlstellungen kön-nen in der Regel durch sehnenchirurgi-sche Verfahren (z. B. Tenotomien) rela-tiv einfach korrigiert werden. FixierteFehlstellungen benötigen dagegen einedifferenzierte Beurteilung der Ursacheder Fixierung, die bei einer operativenKorrektur dann zuerst behoben werdenmuss. Außer bei einer knöchernenDurchbauung ist aber auch die Korrek-

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4a Zur Erkennung des funktionellen Hallux rigidus wird die Ferse in Rektusposition zumUnterschenkel gebracht und der Vorfuß pro-niert. In dieser Position des Fußes wird dieFähigkeit der Zehe zur Dorsalextension geprüft.

3 Silfverskjöld-Test: Bei einer reinen Verkürzung des M. gastrocnemius ist es nicht möglich, den Fuß bei gestrecktem Knie passiv dorsal zuextendieren. Die Dorsalextension wird aber möglich, wenn das Knie gebeugt wird. Wenn das Knie dann wieder langsam gestreckt wird, wirdder Fuß im letzten Moment durch den verkürzten M. gastrocnemius wieder plantarflektiert.

4b Besteht eine Pes-planovalgus-Fehlstel-lung, kommt es in Belastung zu einem funk-tionellen Hallux rigidus.

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tur einer fixierten Zehe in der Regelperkutan und ohne Fremdmaterialdurch ein „Kapsel-Release“ möglich.– Ein Hallux rigidus kann den Abrollvor-gang stark verändern und plantareÜberlastungen im Bereich des Inter-phalangealgelenkes der Großzehe ver-ursachen. Ist die Versteifung durch eine Arthrose des Grundgelenkes be-dingt, so kann das verdickte Gelenk oftschon in der Inspektion ausgemachtwerden. Es können aber auch zu kurzeSehnen für die Versteifung verantwort-lich sein. Wenn im Stand die medialeLängswölbung zu stark einsinkt, wirdder Verlauf der Sehnen in der Fußsohledadurch länger und die Sehne „relativ zukurz“. Die Sehnen und Bänder, die dieGroßzehe im Stand auf den Bodenpressen (Flexor hallucis longus, Flexorhallucis brevis und die Plantarfaszie)erlauben dann nicht mehr, dass dieGroßzehe nach dorsal ausweicht, wenndie Ferse während des Abrollvorgangsvom Boden abhebt. – Um einen solchen „funktionellen Halluxrigidus“ zu erkennen, bringt man dieFerse des Patienten in eine Rectusposi-tion zum Unterschenkel. Der Vorfußwird in eine Pronation gebracht. Beieinem funktionellen Hallux rigidus lässt sich die Großzehe in dieser Posi-tion dorsalextendieren (Abb 4a). Nunwird der Fuß in seine Fehlstellungzurückgebracht (planovalgus). Wennsich die Großzehe in dieser Positionnicht dorsalextendieren lässt, liegt ein„funktioneller Hallux rigidus“ vor. Die Position und Mobilität des ersten

Strahls sowie die Fähigkeit, den erstenund fünften Strahl auf den Boden zupressen, werden unter folgenden Ge-sichtspunkten geprüft: – Ist der erste Strahl fest oder hypermo-bil („hypermobiler erster Strahl“)? Umdies herauszufinden, wird der ersteStrahl in eine Hand genommen und dieanderen Strahle werden mit der ande-ren Hand fixiert (Abb. 5). Lässt sich dererste Strahl um mehr als etwa eine hal-be Schaftbreite nach dorsal und plantardurchbewegen, so wird der erste Strahldurch Bänder wenig gehalten. Der Haltwird dann von Muskeln übernommen.Schaffen diese es, klinische Überlas -tungszeichen zu verhindern, sprichtman von „Hyperlaxizität“ (nicht krank-haft), wenn nicht, von „Hypermobilität“(krankhaft).

– Wie gut die Muskulatur den erstenStrahl aktiv nach plantar und an dieanderen Strahle heranpressen („stabili-sieren“) kann, wird getestet, indemman den Betroffenen bittet, dieFußaußenseite hochzuziehen. Die Mit-arbeit des Betroffenen ist dafür not-wendig. Statt viel zu erklären ist esmanchmal einfacher, den 5. Strahl nachdorsal zu drücken und den Patienten zu bitten, ihn dort zu halten undwährend dessen die Stabilität des ers tenStrahles zu testen. Gelingt es dem Pa-tienten, den ersten Strahl zu stabilisie-ren (an den 2. Metatarsalknochen her-an und bodenwärts zu ziehen), so istdies die Kompensation der Hypermobi-lität durch die Sehen des M. fibularislongus (M. peroneus longus). DieseSehne setzt an der plantaren Basis desersten Strahles an und zieht den MTK 1nach plantar und lateral.– Der fünfte Stahl ist grundsätzlich sehrmobil und wird muskulär gehalten. DieKraft der Muskulatur am fünften Strahlkann getestet werden, indem man denfünften Strahl nach plantar bringt undden Patienten bittet, ihn dort zu halten.Nun versucht man, den fünften Strahlnach dorsal zu bewegen und bewertetdie „Gegenwehr“.

– Werden erster und fünfter Strahl nichtmehr kräftig nach plantar gedrückt,wirkt es so, als ob MTK 2 – 4 „durchge-treten“ wären. Es ist aber umgekehrt,MTK 1 und 5 stehen zu hoch (Abb. 6).

Zusatzuntersuchungen(bei bestimmten Entitäten)

Überlastungen unter den MetatarsaleknochenBei Überlastung unter MTK 1 oder MTK 5kann der Coleman-Block-Test wesentli-che Informationen zur notwendigen Kon-struktion der Einlage geben. Wenn imStand von hinten betrachtet die Fersenach innen gerichtet (varisiert) ist, wirdversucht, die Ferse wieder senkrecht aus-zurichten. Dazu wird der ganze Fuß er-höht, indem der Betroffene auf einemflachen Block steht. Nur der ers te Strahlwird neben den Block gesetzt und kanndeshalb nach unten ausweichen. Wennsich dabei die Ferse senkrecht ausrichtet,ist die Überlas tung von MTK 1 wie auchvon MTK 5 durch eine diagonale Außen-randerhöhung korrigierbar (Abb. 7).Bei Vorfußüberlastung (Läsionen un-

ter den MTK) ist der Test auf eine Ver-kürzung des Wadenmuskelkomplexesunerlässlich. Dieser kann durch den ein-

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5 Test der Mobilitätdes ersten Strahls.

6 Eine Schwäche derMuskulatur der Strahle1 und 5 führt zu einemBild, das oft als „durch-getretenes Quergewöl-be“ fehlgedeutet wird.

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fachen Versuch erfolgen, den Fuß ge-genüber dem Unterschenkel nach dorsalzu extendieren. Wenn dies nicht mehr zumindestens 10° möglich ist, wird dieFunktionseinschränkung relevant unddurch den Silfverskjöld-Test (siehe oben)weiter differenziert. Man kann diesenTest aber auch grundsätzlich durch-führen, um sich einen Überblick über Be-weglichkeit und Kraft im Fuß zu ver-schaffen.

NervenkompressionssyndromeBei Schmerzen im Vorfuß kann ein Mor-ton-Neurom gesucht werden, indem derVorfuß mit einer Hand umfasst und dieMetatarsalia gegeneinander gedrücktwerden. Gleichzeitig wird mit der anderenHand der Interdigitalraum komprimiert,was bei Vorliegen des Neuroms typischeSchmerzen und eventuell ein „Schnap-pen“ (Mulder-Klick-Test) auslöst.

Biomechanische Hinweise ausdem SchuhwerkEs ist sinnvoll, dem Schuhwerk des Pati-enten bei jeder Vorstellung Aufmerksam-keit zu widmen. Dabei ist es wichtig zubeurteilen, ob die Schuhe dem vorliegen-den Problem angemessen sind. Achtensollte man insbesondere auf– den Fußabdruck („Schweißspur“) imSchuh,– die Abnutzung der Sohlen,– Gebrauchsspuren an Einlagen.Zudem erhält man auf diese Weise

wertvolle Hinweise auf die Präferenzendes Betroffenen oder entdeckt schuh-fremde „Funde“ im Schuh, die zu Wundenam Fuß führen können.

Hinweise auf organisatorischeDurchführungserleichterungenDer Beginn mit Beobachtung des Auf -stehens kann in einem „geriatrischenAssess ment“ einsortiert werden. Das hatden Vorteil, auch zur Demenz Kenntnissezu erlangen, ein standardisiertes Verfah-ren zu haben und Diagnosen stellen zukönnen, die für die Budgetierung vonHeilmitteln relevant ist. Eine „Gang-störung nicht näher bezeichnet“, eine„Gangstörung beim älteren Menschen“oder eine „Gangstörung bei Ataxie“rechtfertigen einen langfristigen Heilmit-telbedarf. �

Der Biomechanische Untersuchungsgangbei Menschen mit Diabetischem Fußsyn-drom war Gegenstand mehrerer Vorträgeund Workshops beim 13. Nationalen Tref-fen Netzwerke Diabetischer Fuß in BonnSeptember 2017. Die Autoren danken denTeilnehmern für die zahlreichen Ideen undKommentare, die in diesem Artikel ein-fließen konnten. Wir danken Dr. Anna Trocha, Frau Meyer-Schmidtke und OSMPeter Brümmer für die Moderation derWorkshops und ihre inhaltlichen Beiträ-ge.

Literatur

Podsiadlo, D., and S. Richardson. 1991. The timed "Up & Go": a test of basic functionalmobility for frail elderly persons. J Am GeriatrSoc 39 (2):142-148.

Anschrift für die Verfasser: Dr. Dirk HochlenertCentrum für Diabetologie, Endoskopie und WundheilungMerheimer Str. 21750733 Köln

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7 Coleman-Block-Test: Stellt sichdie Ferse aus einer Varusposition ineine Rectus- oder leichte Valgus -position ein, wenn der erste Strahltiefergelegt wird, kann dieser Effektüber eine Einlage ausgeglichenwerden, die diesen Test berücksich-tigt. Dazu muss der erste Strahl imVergleich zu den MFK 2 – 5 etwa5 – 10 Millimeter selektiv tieferge-legt werden. Die genaue Tiefe mussangepasst werden – und zwar soviel wie möglich, um den Effekt optimal auszunutzen, aber ohne dieBequemlichkeit und das Gangbilddes Patienten zu beeinträchtigen

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