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Blickpunkt: Ostern australischen Krankenschwester Bronnie Ware „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“, zitiert. Fremdbestimmung, zu viel Arbeit, Verschweigen von Gefühlen, Vernachlässigung von Freundschaften und wenig Glücksmomente: „Diese Ver- säumnisse können mich lehren, wie ich mein Leben leben soll“, meint Kränzle. Solch eine Löffelliste hat Meier nicht. Die Ausbildung zum technischen Be- triebswirt hat er gemacht, den Motorrad- führerschein und den Segelschein. „Ich habe nichts aufgeschoben“, sagt er zufrie- den. Einst riet ihm der Arzt: „Gehen Sie heim und regeln Sie Ihre Angelegenhei- ten.“ Seitdem Meier Patientenverfügung, Bank- und Generalvollmacht unterschrie- ben hat, ist er beruhigt. „Jetzt bin ich vor- bereitet“, meint er. Angst habe er keine. Nicht alle reagieren auf den bevorstehen- den Tod so gefasst, weiß Dorothea Gölz- Most. Die evangelische Pfarrerin betreut das Hospiz als Seelsorgerin. Ihre Erfah- rung zeigt: „Die einen erzählen von einem Licht im Traum und von geliebten Ver- storbenen. Die anderen schieben den Tod weg und machen weiter wie bisher.“ Eini- ge Menschen vertrauten auf Gott oder würden mit ihm brechen, fühlten sich wütend oder akzeptierten ihr Schicksal, sehnten sich nach Erlösung im Tod oder trauerten um ihr verlorenes Leben. Entsprechend vielfältig sind die Jen- seitsvorstellungen von Gölz-Mosts Schützlingen. Sie reichen von der Über- zeugung, dass nach dem Tod Schluss ist, über die Neugier, ob noch etwas kommt, bis hin zum Glauben an Gott, das Paradies und ein Wiedersehen mit den Toten. Angst vor der Hölle haben laut Gölz-Most die wenigsten. Viele glauben an ein Wei- terleben, entweder in einer anderen Di- mension, in der Erinnerung Hinterbliebe- ner, in den Körpern der Nachfahren oder in Tieren und Pflanzen, die sich vom Kör- per ernähren, der wieder zu Erde gewor- den ist. Für Gölz-Most gilt es, „den Karfrei- tag auszuhalten in der Hoffnung auf Os- tern“. Hospiz-Bewohner Meier vertritt dage- gen eine säkulare Position. Er weiß nicht, was nach dem Tod kommt. An Himmel und Hölle glaubt er jedenfalls nicht mehr. Das tat er einst als Jugendlicher, als er noch der Neuapostolischen Kirche ange- hörte. Heute hält er dagegen: „Die Kirchen regieren mit Angst. Darum glaube ich nicht ans Bodenpersonal.“ Entsprechend konsequent fällt seine Entscheidung ge- gen Trauerfeier und Grab aus. „Ich werde meinen Körper der Universität Tübingen spenden“, kündigt er an. Dort hilft er Pro- fessoren und Studenten, die menschliche Anatomie besser zu verstehen. Deutsche Hospiz- und Palliativverband nicht einen Kanon von Glaubenswahr- heiten, sondern „ein psychisches Gesche- hen, in dem ein Mensch zu sich selbst kommt, in sich Kräfte findet und sich da- bei von einer Kraft, die er nicht selbst ist, getragen und geborgen weiß“. Auch die ehrenamtliche Mitarbeiterin Marie Kruse betont: „Wir hören zu. Wir kommentieren nicht.“ Von sich selbst be- hauptet die aufgeräumte, herzliche Frau: „Himmel und Hölle sind von Menschen gemachte Vorstellun- gen, die ich nicht tei- len kann. Wir haben die Aufgabe, im Dies- seits anständig mitei- nander umzugehen.“ Gleichzeitig würde sie niemals versuchen, je- manden von seinem Glauben abzubringen. An der Unterhal- tung mit schwer kranken Menschen schätzt Kruse die „intensive Nähe“. Und dass „die Beschäftigung mit dem Tod eine Quelle für Lebensfreude sein kann“. So merkwürdig das klingen mag, Heimleite- rin Kränzle schlägt in dieselbe Kerbe, wenn sie aus dem gleichnamigen Buch der Stimmung im Haus. Hell und freundlich sieht auch Meiers Zimmer aus. An der Wand hängen Fotos von Familie und Freunden. Bei ihren Besuchen haben sie ihm einen Plüschteddy mitgebracht, ei- nen Strauß bunter Tulpen und Schokoher- zen. „Wenn ich morgens schmerzfrei auf- wache und mit meinen Freunden What- sApp-Nachrichten austausche oder mit meiner Freundin telefoniere, ist das für mich ein Geschenk“, bekennt er. Gespräche bieten die Hospizmitarbeiter ebenfalls an – wenn gewünscht, auch über Tod und Jenseits. Die Einrichtung wird zwar von der evangeli- schen Kirche getra- gen, aber die Heimlei- terin Susanne Kränzle versichert: „Das Hos- piz steht allen Menschen offen, unabhän- gig von Nationalität, Herkunft, Konfessi- on, Lebensform, gesellschaftlicher Stel- lung und Weltanschauung.“ Kränzle spricht nicht von „Gott“, sondern von „Liebe, Kraft und Barmherzigkeit“. Sie sagt auch nicht „Religiosität“, sondern „Spiritualität“. Darunter versteht der muss mal sterben – ich halt ein paar Tage früher“, sagt Meier. Kein Bedauern schwingt in seiner Stimme mit, er stellt nur sachlich-nüchtern eine Tatsache fest. „Wichtig ist, was man in den Jahren macht“, ergänzt er. Diese Aussage ist bei Meier mehr als eine abgedroschene Post- kartenweisheit. Denn wie viel Zeit dem 50-Jährigen noch bleibt, weiß er nicht. „Vielleicht sterbe ich in einer Woche, viel- leicht lebe ich noch ein Jahr“, spekuliert er. „Keine Ahnung, was der Krebs mit mir macht.“ Aber für Mei- er gibt es ein Leben vor dem Tod und das ge- nießt er, so gut es geht. Die gemeinsamen Mahlzeiten geben sei- nem Tag den Takt vor. Dann läuft er über den braunen Parkettbo- den zum großen, runden Holztisch, an dem die Mitbewohner schon Platz ge- nommen haben. An den weiß getünchten Wänden hängen Bilder der Plochinger Textilkünstlerin Verena Könekamp in kräftigen, satten Farben; der Jenseits-Ver- weis in Gold bleibt symbolisch und damit unaufdringlich. Unerwartet heiter ist die K laus Meier (Name von der Redakti- on geändert) hat gute Tage erlebt und schlechte. Heute ist ein schlechter. Mühsam, mit unsicheren, klei- nen Trippelschritten läuft er die Kepler- straße in Esslingen entlang, schwer stützt er sich auf seinen Rollator, legt zwischen- durch Ruhepausen ein, um zu verschnau- fen. Einen Spaziergang am Tag hat der Physiotherapeut ihm empfohlen, um die Beinmuskeln zu trainieren. Für heute hat er sein Pensum geschafft und steuert zu- rück ins Hospiz. Seit drei Wochen ist die Einrichtung Meiers neues Zuhause. Ein dreiviertel Jahr zuvor ist er mit einem vermeintlich einfa- chen Husten zum Arzt gegangen; mit der Diagnose „Lungenkrebs“ hat er die Praxis wieder verlassen. Inzwischen hat der Krebs die Leber befallen, die Milz, die Lymphknoten, die Rückenwirbel, einfach alles. Während er erzählt, hat sich Meier auf seinem Bett ausgestreckt. Er muss sich erholen vom Spaziergang. Unter der schwarzen Jogginghose und dem weißen T-Shirt zeichnet sich sein schlanker Kör- per ab. Der Körper, den Meier mehreren Chemotherapien unterzogen hat. Um- sonst, der Krebs war stärker. Genauso wie seine sieben Mitbewoh- ner gilt Meier als unheilbar krank und wird im Hospiz palliativ versorgt, 24 Stun- den jeden Tag, sieben Tage die Woche. Cir- ca 100 Menschen sterben pro Jahr in der Einrichtung; im Schnitt bleiben sie dort drei Wochen. Innerhalb dieser Zeitspanne bemühen sich Hausärzte, Ärzte der Spezia- lisierten Ambulanten Palliativversorgung und 20 festangestellte Pflegefachkräfte nicht mehr länger um Heilung und Le- bensverlängerung, sondern um eine mög- lichst hohe Lebensqualität und die Linde- rung von Schmerzen. Dafür trägt Meier stets eine Pumpe bei sich, aus der rund um die Uhr Morphium und Ibuprofen in sei- ne Vene tropfen. „Das war wie ein Sechser im Lotto, dass ich hier ein Zimmer bekommen habe“, sagt Meier, und seine Freude klingt aufrich- tig. Was hätte er auch für Alternativen ge- habt? Zu Hause hätte ihn niemand pfle- gen können – die Mutter ist 80 Jahre alt, der Bruder wohnt in München und die Freundin in der Schweiz. Fürs Pflegeheim ist der 50-Jährige zu jung, und im Kran- kenhaus konnte man ihm nicht mehr hel- fen. Also ist er ins Hospiz gegangen. „Jeder W as nach dem Tod kommt, weiß nie- mand. Ist danach alles vorbei? Lebt die Seele weiter im Jenseits? Wird sie wiedergeboren im Körper eines anderen Menschen? Oder sogar als Tier? Die Ant- worten darauf unterscheiden sich teils stark in Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus. Über die Jenseitsvorstellungen der fünf Weltreligi- onen gibt die Eßlinger Zeitung einen Überblick . Christentum Die Christen glau- ben an die Auferste- hung nach dem Tod und das ewige Leben im Jenseits. Die Ge- währ dafür gibt Os- tern: Am Karfreitag wurde Jesus Chris- tus, Gottes Sohn, ge- kreuzigt und nahm die Sünden aller Men- schen auf sich. Nach seinem Tod wurde er begraben, am dritten Tag ist er auferstan- den und zu seinem Vater in den Himmel aufgefahren. Als messianischer Erlöser – dies im Un- terschied zu den anderen Weltreligionen – hat Christus allen Gläubigen den Weg zum ewigen Leben gebahnt. Allerdings müssen die Menschen dieses Angebot ak- tiv annehmen. Dies entscheidet letztlich darüber, ob sie der Erlösung teilhaftig wer- den oder nicht. Die traditionellen Vorstel- lungen von Himmel und Hölle als Bestim- mungen der gläubig-guten und der un- gläubig-verworfenen Seelen spiegeln die- sen Gegensatz. Im heutigen Christentum steht freilich der Glaube an die Liebe Got- tes auch zu den gescheiterten Menschen im Vordergrund. So werden Himmel und Hölle von vielen Christen nicht mehr als Orte aufgefasst, sondern als seelische Zu- stände der Gottesnähe und Gottferne. Judentum Im Judentum liegt der Fokus auf dem Diesseits und der le- benslangen Verbun- denheit mit Gott. Früher wurde davon ausgegangen, dass die Toten in die Un- terwelt gehen, wo die lebensspendende Gemeinschaft mit Gott erlischt. Später setzte sich unter per- sischem und griechischem Einfluss der Glaube an die leibliche Wiederauferste- hung der Toten bei der Ankunft des Messi- as durch. Auch heute noch glauben konservative und orthodoxe Juden an die Auferste- hung, Reformjuden dagegen an die Un- sterblichkeit der Seele, die unbefleckt von Geburt, Leben und Tod ohne den Körper zu Gott zurückkehrt. In einer dritten Vari- ante werden beide Lehrmeinungen ver- mischt zur Auffassung, dass die Seele den Tod des Menschen überdauert und bis zur messianischen Zeit weiterlebt, um sich schließlich mit dem Körper neu zu verei- nigen und leibhaftig aufzuerstehen. In der Kabbala, der jüdischen Mystik, ist die Wie- derverkörperung eine göttliche Bewäh- rungsstrafe und dient dazu, die Seele im neuen Körper der Vervollkommnung nä- herzubringen. Islam Muslime glauben an ein Leben nach dem Tod – in der Hoff- nung darauf, dann in Allahs Nähe zu sein. Der Tod wird aufgefasst als Über- tritt in eine andere Ebene des Lebens. Dabei trennt der Todesengel Izrail Körper und Seele voneinander. Die Seele eines Menschen, der im Leben Gutes getan hat, wird von dem Engel in die sieben Himmel zu Gott gebracht. Die Seele eines schlech- ten Menschen wird vom Engel nur bis zum ersten Himmel getragen, wo ihr der Zutritt verwehrt wird. Danach gelangen beide Seelen wieder zurück in ihre Körper und verweilen im Zwischenbereich (Bar- zach). Anschließend werden die Seelen vor ein vorläufiges Gericht gestellt. Dort befragen sie die zwei Engel Munkar und Nakir zu ihrem Glauben: Antworten die Seelen richtig, wird ihnen nach der Aufer- stehung ein Leben im Paradies in Aussicht gestellt. Antworten sie falsch, droht ihnen die Hölle. Die endgültige Entscheidung fällt beim Jüngsten Gericht. Dann werden die Toten aufgeweckt und ihre guten und schlech- ten Taten auf eine Waage gelegt. Anschlie- Schluss, aus, vorbei? ßend überqueren sie eine Brücke, die über die Hölle führt. Sie ist „dünner als ein Haar und schärfer als ein Schwert“, sagt der Pro- phet Mohammed. Die Ungläubigen und Sünder stürzen in die Hölle, die anderen gelangen ins Paradies. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland schreibt auf sei- ner Webseite „www.islam.de“ jedoch: „Wir glauben auch an die Barmherzigkeit Gottes. Jeder Diener Gottes kann der Stra- fe der Hölle entgehen, wenn er Gott auf- richtig und reuevoll um Vergebung seiner Fehltritte bittet.“ Buddhismus Die Buddhisten glauben an die Wie- dergeburt nach dem Tod. War ihr Leben von Begierde, Zorn und Verblendung gekennzeichnet, ge- langen sie als Höl- lenwesen, Tier, Dä- mon oder Gespenst zurück auf die Erde. Ein Gott, Halbgott oder Geist wird ein Buddhist im nächsten Leben, wenn sein Geist frei ist von grobem Verlangen. Das gelingt durch Meditation und Loslösung von allen irdischen Begierden. Je nach Karma, den positiven und negativen Ener- gien, irrt der Geist der Verstorbenen ver- wirrt und verängstigt umher, ehe er in den neuen Körper eintritt. Um ihm den Über- gang zu erleichtern, vollziehen Angehöri- ge in dieser Zeit Rituale für den Verstorbe- nen. Auf metaphysische Spekulationen bezüglich einer dem Menschen innewoh- nenden nicht-materiellen Substanz, die in all den Körpern dieselbe oder eine andere ist, verzichtet der Buddhismus. Da Leben – egal in welcher Form – immer bedingt und somit vergänglich ist, bleibt die vollkom- mene Erfüllung versagt, und das Leben gilt als leidvoll. Darum versucht der Bud- dhist, den Kreislauf der Wiedergeburten zu durchbrechen und ins Nirvana einzu- gehen. Dabei meint Nirvana keinen Ort, sondern einen Zustand, in dem alle menschlichen Wünsche und Sehnsüchte überwunden sind. Wörtlich übersetzt be- deutet Nirvana „Erlöschen“. Hinduismus Auch die Hindus glauben an die Rein- karnation. Dabei kehrt die unsterbli- che Seele nach dem Tod in einem ande- ren Lebewesen wie- der auf die Erde zu- rück. Jeder Hindu kann in seinem Dasein millionenfach wiedergeboren werden. Darum versucht er während seines Lebens, gute Taten zu vollbringen. Denn damit beeinflusst er sein Karma. Das Karma entscheidet darü- ber, in welcher Gestalt der Hindu wieder- geboren wird. Oder ob es ihm schließlich gelingt, den ewigen Kreislauf aus Leben, Tod und Wiedergeburt – Samsara genannt – zu durchbrechen und Moksha, Erlösung, zu erlangen. Dann, hofft er, vollkomme- nen Frieden zu erreichen und eins zu wer- den mit dem Göttlichen. Was kommt nach dem Tod? Jenseitsvorstellungen der Weltreligionen Von Miriam Steinrücken Den Tagen Leben geben: Pfleger Ralf Stepput sorgt dafür, dass die Hospiz-Bewohner gut versorgt sind. Foto: Bulgrin An Karfreitag auf Ostern hoffen Kreis Esslingen: Der Tod ist im Hospiz allgegenwärtig – So denken Mitarbeiter und Bewohner über Jenseits und Auferstehung Von Miriam Steinrücken » Jeder muss mal sterben – ich halt ein paar Tage früher. Wichtig ist, was man in den Jahren macht. Klaus Meier, Bewohner « » Das Hospiz steht allen Men- schen offen, unabhängig von Herkunft, Konfession und Le- bensform. Susanne Kränzle, Leiterin « 12 Eßlinger Zeitung Donnerstag, 29. März 2018 KREIS ESSLINGEN

Blickpunkt: Ostern An Karfreitag auf Ostern hoffen · 2018. 4. 6. · Gesprche bieten die Hospizmitarbeiter ebenfalls an ± wenn gewnscht, auch ber Tod und Jenseits. Die Einrichtung

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  • Blickpunkt: Ostern

    australischen Krankenschwester BronnieWare „5 Dinge, die Sterbende am meistenbereuen“,  zitiert.  Fremdbestimmung,  zuviel Arbeit, Verschweigen von Gefühlen,Vernachlässigung  von  Freundschaftenund wenig Glücksmomente: „Diese Versäumnisse können mich lehren, wie ichmein Leben leben soll“, meint Kränzle.

    Solch eine Löffelliste hat Meier nicht.Die  Ausbildung  zum  technischen  Betriebswirt hat er gemacht, den Motorradführerschein  und  den  Segelschein.  „Ichhabe nichts aufgeschoben“, sagt er zufrieden. Einst riet ihm der Arzt: „Gehen Sieheim und regeln Sie  Ihre Angelegenheiten.“ Seitdem Meier Patientenverfügung,Bank und Generalvollmacht unterschrieben hat, ist er beruhigt. „Jetzt bin ich vorbereitet“, meint er. Angst habe er keine.Nicht alle reagieren auf den bevorstehenden Tod so gefasst, weiß Dorothea GölzMost. Die evangelische Pfarrerin betreutdas  Hospiz  als  Seelsorgerin.  Ihre  Erfahrung zeigt: „Die einen erzählen von einemLicht  im Traum und von geliebten Verstorbenen. Die anderen schieben den Todweg und machen weiter wie bisher.“ Einige  Menschen  vertrauten  auf  Gott  oderwürden  mit  ihm  brechen,  fühlten  sichwütend  oder  akzeptierten  ihr  Schicksal,sehnten sich nach Erlösung im Tod odertrauerten um ihr verlorenes Leben.

    Entsprechend  vielfältig  sind  die  Jenseitsvorstellungen  von  GölzMostsSchützlingen. Sie  reichen von der Überzeugung, dass nach dem Tod Schluss ist,über die Neugier, ob noch etwas kommt,bis hin zum Glauben an Gott, das Paradiesund  ein  Wiedersehen  mit  den  Toten.Angst vor der Hölle haben laut GölzMostdie wenigsten. Viele glauben an ein Weiterleben,  entweder  in  einer  anderen Dimension, in der Erinnerung Hinterbliebener, in den Körpern der Nachfahren oderin Tieren und Pflanzen, die sich vom Körper ernähren, der wieder zu Erde geworden ist. Für GölzMost gilt es, „den Karfreitag auszuhalten in der Hoffnung auf Ostern“.

    HospizBewohner Meier vertritt dagegen eine säkulare Position. Er weiß nicht,was nach dem Tod kommt. An Himmelund Hölle glaubt er jedenfalls nicht mehr.Das  tat  er  einst  als  Jugendlicher,  als  ernoch der Neuapostolischen Kirche angehörte. Heute hält er dagegen: „Die Kirchenregieren  mit  Angst.  Darum  glaube  ichnicht ans Bodenpersonal.“ Entsprechendkonsequent  fällt  seine Entscheidung gegen Trauerfeier und Grab aus. „Ich werdemeinen Körper der Universität Tübingenspenden“, kündigt er an. Dort hilft er Professoren und Studenten, die menschlicheAnatomie besser zu verstehen.

    Deutsche  Hospiz  und  Palliativverbandnicht  einen  Kanon  von  Glaubenswahrheiten, sondern „ein psychisches Geschehen,  in  dem  ein  Mensch  zu  sich  selbstkommt, in sich Kräfte findet und sich dabei von einer Kraft, die er nicht selbst ist,getragen und geborgen weiß“.

    Auch die ehrenamtliche MitarbeiterinMarie Kruse betont: „Wir hören zu. Wirkommentieren nicht.“ Von sich selbst behauptet die aufgeräumte, herzliche Frau:

    „Himmel  und  Höllesind  von  Menschengemachte  Vorstellungen, die ich nicht teilen  kann.  Wir  habendie Aufgabe, im Diesseits anständig miteinander  umzugehen.“Gleichzeitig würde sieniemals versuchen, jemanden  von  seinem

    Glauben abzubringen. An der Unterhaltung  mit  schwer  kranken  Menschenschätzt Kruse die „intensive Nähe“. Unddass „die Beschäftigung mit dem Tod eineQuelle  für  Lebensfreude  sein  kann“.  Somerkwürdig das klingen mag, Heimleiterin  Kränzle  schlägt  in  dieselbe  Kerbe,wenn sie aus dem gleichnamigen Buch der

    Stimmung im Haus. Hell und freundlichsieht  auch  Meiers  Zimmer  aus.  An  derWand  hängen  Fotos  von  Familie  undFreunden. Bei ihren Besuchen haben sieihm  einen  Plüschteddy  mitgebracht,  einen Strauß bunter Tulpen und Schokoherzen. „Wenn ich morgens schmerzfrei aufwache und mit meinen Freunden WhatsAppNachrichten  austausche  oder  mitmeiner  Freundin  telefoniere,  ist  das  fürmich ein Geschenk“, bekennt er.

    Gespräche  bietendie Hospizmitarbeiterebenfalls  an  –  wenngewünscht, auch überTod und Jenseits. DieEinrichtung wird zwarvon  der  evangelischen  Kirche  getragen, aber die Heimleiterin Susanne Kränzleversichert:  „Das  Hospiz steht allen Menschen offen, unabhängig von Nationalität, Herkunft, Konfession,  Lebensform,  gesellschaftlicher  Stellung  und  Weltanschauung.“  Kränzlespricht  nicht  von  „Gott“,  sondern  von„Liebe,  Kraft  und  Barmherzigkeit“.  Siesagt  auch  nicht  „Religiosität“,  sondern„Spiritualität“.  Darunter  versteht  der

    muss mal sterben – ich halt ein paar Tagefrüher“,  sagt  Meier.  Kein  Bedauernschwingt  in  seiner Stimme mit,  er  stelltnur sachlichnüchtern eine Tatsache fest.„Wichtig  ist,  was  man  in  den  Jahrenmacht“, ergänzt er. Diese Aussage ist beiMeier mehr als eine abgedroschene Postkartenweisheit.  Denn  wie  viel  Zeit  dem50Jährigen  noch  bleibt,  weiß  er  nicht.„Vielleicht sterbe ich in einer Woche, vielleicht lebe ich noch ein Jahr“, spekuliert

    er.  „Keine  Ahnung,was der Krebs mit mirmacht.“ Aber für Meier gibt es ein Leben vordem Tod und das genießt er, so gut es geht.

    Die  gemeinsamenMahlzeiten geben seinem Tag den Takt vor.Dann läuft er über denbraunen  Parkettbo

    den  zum  großen,  runden  Holztisch,  andem  die  Mitbewohner  schon  Platz  genommen haben. An den weiß getünchtenWänden  hängen  Bilder  der  PlochingerTextilkünstlerin  Verena  Könekamp  inkräftigen, satten Farben; der JenseitsVerweis in Gold bleibt symbolisch und damitunaufdringlich. Unerwartet heiter ist die

    K laus Meier (Name von der Redaktion geändert) hat gute Tage erlebtund  schlechte.  Heute  ist  einschlechter. Mühsam, mit unsicheren, kleinen Trippelschritten  läuft  er die Keplerstraße in Esslingen entlang, schwer stützter sich auf seinen Rollator, legt zwischendurch Ruhepausen ein, um zu verschnaufen.  Einen  Spaziergang  am  Tag  hat  derPhysiotherapeut ihm empfohlen, um dieBeinmuskeln zu trainieren. Für heute hater sein Pensum geschafft und steuert zurück ins Hospiz.

    Seit  drei  Wochen  ist  die  EinrichtungMeiers neues Zuhause. Ein dreiviertel Jahrzuvor ist er mit einem vermeintlich einfachen Husten zum Arzt gegangen; mit derDiagnose „Lungenkrebs“ hat er die Praxiswieder  verlassen.  Inzwischen  hat  derKrebs  die  Leber  befallen,  die  Milz,  dieLymphknoten, die Rückenwirbel, einfachalles. Während er erzählt, hat sich Meierauf seinem Bett ausgestreckt. Er muss sicherholen  vom  Spaziergang.  Unter  derschwarzen Jogginghose und dem weißenTShirt zeichnet sich sein schlanker Körper ab. Der Körper, den Meier mehrerenChemotherapien  unterzogen  hat.  Umsonst, der Krebs war stärker.

    Genauso wie seine sieben Mitbewohner  gilt  Meier  als  unheilbar  krank  undwird im Hospiz palliativ versorgt, 24 Stunden jeden Tag, sieben Tage die Woche. Circa 100 Menschen sterben pro Jahr in derEinrichtung;  im Schnitt bleiben sie dortdrei Wochen. Innerhalb dieser Zeitspannebemühen sich Hausärzte, Ärzte der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgungund  20  festangestellte  Pflegefachkräftenicht  mehr  länger  um  Heilung  und  Lebensverlängerung, sondern um eine möglichst hohe Lebensqualität und die Linderung  von  Schmerzen.  Dafür  trägt  Meierstets  eine  Pumpe  beisich, aus der rund umdie  Uhr  Morphiumund Ibuprofen in seine Vene tropfen.

    „Das  war  wie  einSechser im Lotto, dassich  hier  ein  Zimmerbekommen  habe“,sagt Meier, und seineFreude klingt aufrichtig. Was hätte er auch für Alternativen gehabt? Zu Hause hätte ihn niemand pflegen können – die Mutter ist 80 Jahre alt,der  Bruder  wohnt  in  München  und  dieFreundin in der Schweiz. Fürs Pflegeheimist der 50Jährige zu jung, und im Krankenhaus konnte man ihm nicht mehr helfen. Also ist er ins Hospiz gegangen. „Jeder

    W as nach dem Tod kommt, weiß niemand.  Ist  danach  alles  vorbei?Lebt die Seele weiter im Jenseits? Wird siewiedergeboren  im Körper eines anderenMenschen? Oder sogar als Tier? Die Antworten  darauf  unterscheiden  sich  teilsstark  in  Christentum,  Judentum,  Islam,Buddhismus  und  Hinduismus.  Über  dieJenseitsvorstellungen der fünf Weltreligionen  gibt  die  Eßlinger  Zeitung  einenÜberblick .

    ChristentumDie  Christen  glauben an die Auferstehung nach dem Todund das ewige Lebenim Jenseits. Die Gewähr dafür gibt Ostern:  Am  Karfreitagwurde  Jesus  Christus, Gottes Sohn, ge

    kreuzigt und nahm die Sünden aller Menschen auf sich. Nach seinem Tod wurde erbegraben, am dritten Tag ist er auferstanden und zu seinem Vater in den Himmelaufgefahren.

    Als messianischer Erlöser – dies im Unterschied zu den anderen Weltreligionen –hat  Christus  allen  Gläubigen  den  Wegzum  ewigen  Leben  gebahnt.  Allerdingsmüssen die Menschen dieses Angebot aktiv annehmen. Dies entscheidet letztlichdarüber, ob sie der Erlösung teilhaftig werden oder nicht. Die traditionellen Vorstellungen von Himmel und Hölle als Bestim

    mungen  der  gläubigguten  und  der  ungläubigverworfenen Seelen spiegeln diesen Gegensatz. Im heutigen Christentumsteht freilich der Glaube an die Liebe Gottes auch zu den gescheiterten Menschenim Vordergrund. So werden Himmel undHölle von vielen Christen nicht mehr alsOrte aufgefasst, sondern als seelische Zustände der Gottesnähe und Gottferne. 

    JudentumIm  Judentum  liegtder  Fokus  auf  demDiesseits und der lebenslangen Verbundenheit  mit  Gott.Früher wurde davonausgegangen,  dassdie Toten in die Unterwelt  gehen,  wo

    die  lebensspendende  Gemeinschaft  mitGott erlischt. Später setzte sich unter persischem  und  griechischem  Einfluss  derGlaube  an  die  leibliche  Wiederauferstehung der Toten bei der Ankunft des Messias durch.

    Auch heute noch glauben konservativeund  orthodoxe  Juden  an  die  Auferstehung, Reformjuden dagegen an die Unsterblichkeit der Seele, die unbefleckt vonGeburt, Leben und Tod ohne den Körperzu Gott zurückkehrt. In einer dritten Variante  werden  beide  Lehrmeinungen  vermischt zur Auffassung, dass die Seele denTod des Menschen überdauert und bis zurmessianischen  Zeit  weiterlebt,  um  sichschließlich mit dem Körper neu zu vereinigen und leibhaftig aufzuerstehen. In der

    Kabbala, der jüdischen Mystik, ist die Wiederverkörperung  eine  göttliche  Bewährungsstrafe und dient dazu, die Seele imneuen Körper der Vervollkommnung näherzubringen.

    IslamMuslime glauben anein Leben nach demTod  –  in  der  Hoffnung  darauf,  dannin  Allahs  Nähe  zusein.  Der  Tod  wirdaufgefasst  als  Übertritt  in  eine  andereEbene  des  Lebens.

    Dabei trennt der Todesengel Izrail Körperund  Seele  voneinander.  Die  Seele  einesMenschen, der im Leben Gutes getan hat,wird von dem Engel in die sieben Himmelzu Gott gebracht. Die Seele eines schlechten  Menschen  wird  vom  Engel  nur  biszum ersten Himmel getragen, wo ihr derZutritt  verwehrt wird. Danach gelangenbeide Seelen wieder zurück in ihre Körperund verweilen im Zwischenbereich (Barzach).  Anschließend  werden  die  Seelenvor ein vorläufiges Gericht gestellt. Dortbefragen sie die zwei Engel Munkar undNakir zu ihrem Glauben: Antworten dieSeelen richtig, wird ihnen nach der Auferstehung ein Leben im Paradies in Aussichtgestellt. Antworten sie falsch, droht ihnendie Hölle.

    Die endgültige Entscheidung fällt beimJüngsten Gericht. Dann werden die Totenaufgeweckt und ihre guten und schlechten Taten auf eine Waage gelegt. Anschlie

    Schluss, aus, vorbei?

    ßend überqueren sie eine Brücke, die überdie Hölle führt. Sie ist „dünner als ein Haarund schärfer als ein Schwert“, sagt der Prophet Mohammed. Die Ungläubigen undSünder stürzen in die Hölle, die anderengelangen ins Paradies. Der Zentralrat derMuslime in Deutschland schreibt auf seiner  Webseite  „www.islam.de“  jedoch:„Wir glauben auch an die BarmherzigkeitGottes. Jeder Diener Gottes kann der Strafe der Hölle entgehen, wenn er Gott aufrichtig und reuevoll um Vergebung seinerFehltritte bittet.“

    BuddhismusDie  Buddhistenglauben an die Wiedergeburt nach demTod.  War  ihr  Lebenvon  Begierde,  Zornund  Verblendunggekennzeichnet, gelangen  sie  als  Höllenwesen,  Tier,  Dä

    mon oder Gespenst zurück auf die Erde.Ein  Gott,  Halbgott  oder  Geist  wird  einBuddhist im nächsten Leben, wenn seinGeist frei ist von grobem Verlangen. Dasgelingt durch Meditation und Loslösungvon  allen  irdischen  Begierden.  Je  nachKarma, den positiven und negativen Energien, irrt der Geist der Verstorbenen verwirrt und verängstigt umher, ehe er in denneuen Körper eintritt. Um ihm den Übergang zu erleichtern, vollziehen Angehörige in dieser Zeit Rituale für den Verstorbenen.  Auf  metaphysische  Spekulationenbezüglich einer dem Menschen innewoh

    nenden nichtmateriellen Substanz, die inall den Körpern dieselbe oder eine andereist, verzichtet der Buddhismus. Da Leben –egal in welcher Form – immer bedingt undsomit vergänglich ist, bleibt die vollkommene  Erfüllung  versagt,  und  das  Lebengilt als leidvoll. Darum versucht der Buddhist, den Kreislauf der Wiedergeburtenzu durchbrechen und ins Nirvana einzugehen. Dabei meint Nirvana keinen Ort,sondern  einen  Zustand,  in  dem  allemenschlichen Wünsche und Sehnsüchteüberwunden sind. Wörtlich übersetzt bedeutet Nirvana „Erlöschen“. 

    HinduismusAuch  die  Hindusglauben an die Reinkarnation.  Dabeikehrt  die  unsterbliche Seele nach demTod in einem anderen  Lebewesen  wieder auf die Erde zurück.  Jeder  Hindu

    kann  in  seinem  Dasein  millionenfachwiedergeboren werden. Darum versuchter während seines Lebens, gute Taten zuvollbringen.  Denn  damit  beeinflusst  ersein Karma. Das Karma entscheidet darüber, in welcher Gestalt der Hindu wiedergeboren wird. Oder ob es ihm schließlichgelingt, den ewigen Kreislauf aus Leben,Tod und Wiedergeburt – Samsara genannt– zu durchbrechen und Moksha, Erlösung,zu erlangen. Dann, hofft er, vollkommenen Frieden zu erreichen und eins zu werden mit dem Göttlichen. 

    Was kommt nach dem Tod? Jenseitsvorstellungen der Weltreligionen

    Von Miriam Steinrücken

    Den Tagen Leben geben: Pfleger Ralf Stepput sorgt dafür, dass die HospizBewohner gut versorgt sind. Foto: Bulgrin

    An Karfreitag auf Ostern hoffenKreis Esslingen: Der Tod ist im Hospiz allgegenwärtig – So denken Mitarbeiter und Bewohner über Jenseits und Auferstehung

    Von Miriam Steinrücken

    »Jeder muss mal sterben – ichhalt ein paar Tage früher. Wichtig ist, was man in denJahren macht.

    Klaus Meier, Bewohner «

    »Das Hospiz steht allen Menschen offen, unabhängig vonHerkunft, Konfession und Lebensform.

    Susanne Kränzle, Leiterin «

    12 Eßlinger Zeitung Donnerstag, 29. März 2018KREIS ESSLINGEN