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BAND 39 Kehrseite der Medaille Sportgroßereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung, Spekulation und dem Recht auf Stadt Von Dawid Danilo Bartelt

Böll-Stiftung: Kehrseite der Medaille ... · arbeitete er acht Jahre lang als Pressesprecher der deutschen Sektion von Amnesty International. Seit 2010 leitet er das Brasilienbüro

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BAND 39

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Von Dawid Danilo Bartelt

KEHRSEITE DER MEDAILLE

SCHRIFTEN ZUR DEMOKRATIE

BAND 39

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt Von Dawid Danilo Bartelt

Herausgegeben von der Heinrich-Boumlll-Stiftung

Kehrseite der Medaille Sportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt Band 39 der Reihe Demokratie Von Dawid Danilo Bartelt Herausgegeben von der Heinrich-Boumlll-Stiftung

Gestaltung feinkost Designnetzwerk C Mawrodiew (basierend auf Entwuumlrfen von State Design) Cover-Foto Das Stadion Maracana und Nachbarbauten (ua eine Schwimmanlage) in Rio de Janeiro [Erica Ramalho ndash wikimedia (cc BR by 30 httpscreativecommonsorglicensesby30brdeedde)] Druck Druckerei Arnold Groszligbeeren ISBN 978-3-86928-143-8

Bestelladresse Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstr 8 10117 Berlin T +49 30 28534-0 F +49 30 28534-109 E buchversandboellde W wwwboellde

Der Autor

Dawid Danilo Bartelt geboren 1963 studierte in Bochum Hamburg Recife (Brasilien) und Berlin wo er als Historiker uumlber den Canudos-Krieg 1897 im Nordosten Brasiliens promovierte Danach arbeitete er acht Jahre lang als Pressesprecher der deutschen Sektion von Amnesty International Seit 2010 leitet er das Brasilienbuumlro der Heinrich-Boumlll-Stiftung in Rio de Janeiro wo er mit seiner Familie auch lebt

Der Autor dankt Julia Ziesche Mara Natterer und Lando Daumlmmer fuumlr die hilfreiche Unterstuumltzung bei der Recherche Marc Guschal fuumlr Recherche und Durchsicht

Bildnachweise S 1011 Ninja Miacutedia ndash Flickr (cc by-nc-sa 20 httpscreativecommonsorglicensesby-nc-sa20) S 2021 Tacircnia Rego ndash AgBr (cc BR by 30 httpscreativecommonsorglicensesby30brdeedde) S 3031 Ninja Miacutedia ndash Flickr (cc by-nc-sa 20 httpscreativecommonsorglicensesby-nc-sa20)S 44 Ninja Miacutedia ndash Flickr (cc by-nc-sa 20 httpscreativecommonsorglicensesby-nc-sa20)

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Diese Publikation wird unter den Bedingungen einer Creative-Commons-Lizenz veroumlffentlicht httpcreativecommonsorglicensesby-nc-nd30de Eine elek tro nische Fassung kann her-

untergeladen werden Sie duumlrfen das Werk vervielfaumlltigen verbreiten und oumlffentlich zugaumlnglich machen Es gelten folgende Bedingungen Namensnennung Sie muumlssen den Namen des Autors Rechteinhabers in der von ihm festgelegten Weise nennen (wodurch aber nicht der Eindruck entstehen darf Sie oder die Nutzung des Werkes durch Sie wuumlrden entlohnt) Keine kommerzielle Nutzung Dieses Werk darf nicht fuumlr kommerzielle Zwecke verwendet werden Keine Bearbeitung Dieses Werk darf nicht bearbeitet oder in anderer Weise veraumlndert werden

INHALT

Vorwort 7

1 Sportereignisse als Mega -Events 9

2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro 13

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 27

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega -Events 37

5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega -Events 41

6 Mega -Events und Demokratie 46

(1) Deodoro (Hockey Centre Shooting Centre Deodoro Stadium Deodoro Aquatics CentreYouth Arena Mountain Bike Centre BMX Centre Whitewater Stadium Equestrian Centre)

(2) Maracanatilde (Maracanatilde Stadium Joatildeo Havelange Stadium Samboacutedromo Maracanatildezinho)(3) Copacabana (Lagoa Stadium Beach Volleyball Arena Fort Copacabana Marina da Gloacuteria)

(4a) Barra (Barra Olympic Park Rio Arena Aquatics Stadium Carioca Arena 1ndash3 Future ArenaTennis Centre Rio Velodrom Barra Aquatics Centre Riocentro Pavilion 2ndash4 6 Golf Course)

(4b) Barra (Pontal)

Olympische Spiele 2016 ndash Rio de Janeiro (Austragungszentren)

Quelle eigene Darstellung

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VORWORT

Reden wir Klartext Die hochfliegenden Versprechen welche Verbesserungen die Fuszligball-Weltmeisterschaft der Maumlnner 2014 den Menschen in Brasilien bringen sollte sind nicht eingehalten worden Im Gegenteil Die teuerste WM aller Zeiten hat dem Land nicht nur eine bittere sportliche Enttaumluschung beschert auch die oumlkonomischen und sozialen Kosten werden das Land noch langfristig beschaumlftigen

Mindestens 85 Mrd euro hat die Fuszligball-WM gekostet das ist mehr als das Doppelte der WM in Suumldafrika 2010 Rund 85 Prozent davon wurden anders als versprochen nicht mit privaten sondern mit oumlffentlichen Mitteln bzw Krediten finanziert Der positive volkswirtschaftliche Wachstumsimpuls hingegen blieb aus Das Wirtschaftswachstum fuumlr das ganze Jahr 2014 wird auf deutlich unter einem Prozent geschaumltzt Wie viel davon auf die WM zuruumlckzufuumlhren ist bleibt unklar

Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder davon bedroht gewesen Das Menschenrecht auf Wohnen wurde systematisch verletzt Der ver- sprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre er- wiesen Die Mittel flossen vor allem in den Aus- und Umbau der Flughaumlfen und der Anfahrtswege Die Mehrheit der Brasilianer innen hat nichts davon Die groszligen Pro-teste 2013 haben gezeigt was sie wirklich brauchen Schulen Kliniken einen funk- tionalen und funktionierenden Nahverkehr gerne nach laquoFIFA-Standardsraquo wie auf den Protestplakaten zu lesen war

Und nun Mit der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2016 hat Bra-silien eine neue Chance aus den Fehlern zu lernen und zu zeigen dass sportliche Mega-Events positive Impulse fuumlr die Allgemeinheit geben koumlnnen Auch hier sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn im Hafenviertel Busschnell- trassen laumlngere und neue Metrolinien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem Rios Gewaumlsser sollen sauberer werden Fuumlr die Guanabara-Bucht versprach die Stadt in ihrer Bewerbung mindestens 80 Prozent des Gewaumlssers zu reinigen Bei der Finanzierung soll der private Sektor einen wesentlichen Anteil uumlbernehmen

Sicherlich werden einige Fehler nicht wiederholt werden Die Flughaumlfen sind bereits gebaut die staumldtische Infrastruktur von Rio de Janeiro wo die olympischen Spiele stattfinden kann mit einigen Verbesserungen rechnen von denen auch die Bevoumllkerung profitieren kann Die vier neu zu bauenden Schnellbustrassen ver- binden naumlmlich nicht nur die wichtigen Sportstaumltten sondern auch verschiedene Stadtteile untereinander und mit dem Zentrum und dem Flughafen

Doch im Wesentlichen setzt Olympia fort was mit der WM begonnen hat die ndash in der Regel sozial schwache ndash Bevoumllkerung wird aus Stadtteilen verdraumlngt die zu- nehmend attraktiv fuumlr Unternehmer werden und Investoren nach Rio locken sollen V

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Das Olympische Dorf ist Teil des Plans den Westen der Stadt als Wohn- und Arbeitsort fuumlr die Elite zu erschlieszligen Der Investor des Olympischen Dorfs Carlos Carvalho nannte das Projekt laquoReine Inselraquo (Ilha Pura) Anders als zB im Suumlden Rios wo Favelas direkt zwischen den Wohnhaumlusern der einkommensstaumlrkeren Familien liegen wird es sich hier um ein exklusives Wohngebiet fuumlr die Elite han- deln Carvalho ist einer der Hauptgewinner dieses staumldtischen Strukturwandels Ihm gehoumlrt nicht nur der Grund und Boden auf dem das Olympische Dorf ent- steht Sobald die Athlet innen die neugebauten Apartments nach den Spielen nicht mehr nutzen und weitere Wohnbloumlcke auf dem Areal gebaut sind profitiert er als Hauptinvestor und Bauunternehmer auch vom Verkauf der Luxuswohnungen

Olympia ist sicherlich eine aufregende Sportveranstaltung aber verschaumlrft lei-der immer wieder soziale Ungleichheiten verletzt die Rechte der Bevoumllkerung ver- draumlngt sie schlieszligt sie aus Was bereits vor der WM begann geht nun weiter Die Polizei laquosammeltraquo Straszligenkinder und andere Obdachlose verstaumlrkt ein mehr Jugendliche kommen in Haft Sie alle sollen fuumlr die Tourist innen nicht sicht- bar sein Statt Ursachen fuumlr Armut und Gewalt zu bekaumlmpfen versperrt die Polizei seit neuestem jungen Maumlnnern die vermeintlich in Favelas leben und damit als moumlgliche Diebe gelten den Weg zu den oumlffentlichen Straumlnden der Stadt Busse aus aumlrmeren Vierteln fahren nicht mehr auf ihren uumlblichen Routen und werden fuumlr Kontrollen angehalten Die UNO forderte Brasilien Anfang Oktober 2015 auf die steigenden Zahlen auszligergesetzlicher Morde durch Polizist innen an Minder- jaumlhrigen aus einkommensschwachen Vierteln zu untersuchen

Von Beginn an begleitet das Brasilien-Buumlro der Heinrich-Boumlll-Stiftung die Vor- bereitungen und die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events kritisch Das tun wir gemeinsam mit unseren brasilianischen Partnerinnen und Partnern vor Ort Dabei wird deutlich dass die Ausrichtung solcher Groszligereignisse laumlngst ganz anderen Notwendigkeiten folgt als denen die der Sport vorgibt Mega-Events haben sich als Geschaumlftsmodell etabliert das dazu dient der Volkswirtschaft des Austragungslandes einen Vorteil zu verschaffen Der sportliche Wettkampf geraumlt gegenuumlber dem wirtschaftlichen Kampf um die beste Ausgangslage in einer globa- lisierten Welt ins Hintertreffen Verlierer dabei sind Demokratie und Menschen- rechte

Berlin im November 2015

Barbara Unmuumlszligig Ingrid Spiller Vorstand der Heinrich-Boumlll-Stiftung Referatsleiterin Lateinamerika

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1 Sportereignisse als Mega-Events

Der Praumlsident huumlpfte und weinte vor Freude Im Oktober 2009 gab das internationale Olympische Komitee der Bewerbung Brasiliens den Zuschlag fuumlr die Olympischen Sommerspiele 2016 Zwei Jahre vorher hatte sich Brasilien im Rennen um die Fuszlig-ball-Weltmeisterschaft 2014 durchgesetzt der kolumbianische Fuszligballverband hatte zuvor seine Bewerbung mit der Begruumlndung zuruumlckgezogen die Auflagen des inter-nationalen Fuszligballverbandes FIFA seien nicht zu bezahlen1 Luiz Inaacutecio Lula da Silva bezeichnete den Tag als den laquovielleicht wichtigsten meines Lebensraquo die Welt erkenne nun an laquodass Brasilien an der Reihe istraquo2 Es war die Kroumlnung einer achtjaumlhrigen Praumlsidentschaft an deren Ende Lula nach eigenen Angaben Brasilien nicht nur in eine Mittelschichtsgesellschaft verwandelt sondern Brasilien als siebtgroumlszligte Volks-wirtschaft der Erde Glaumlubiger des Internationalen Waumlhrungsfonds und Regional-hegemon mit Anspruch auf Mitsprache im Club der Weltmaumlchtigen etabliert hatte Der Economist brachte ein Brasilien-Spezial zum brasilianischen laquotake-offraquo auf dem Titelfoto startet die Christusstatue von Rio de Janeiro als Rakete durch steil nach oben3 Der internationale Bankenkollaps hatte die brasilianische Wirtschaft kaum beeintraumlchtigt im Jahr darauf wuchs sie um 75 Prozent

Genau in diesem Kontext standen die Bewerbungen Brasiliens um Fuszligball Welt- meisterschaft (WM) und Olympische Spiele Aumlhnlich wie die Olympischen Spiele 2008 in Peking stehen die sogenannten Mega-Events in Brasilien im Zeichen und im Kontext der neuen Rolle in Weltwirtschaft und Weltpolitik die Brasilien in Selbst- und Fremdwahrnehmung seit Jahrtausendbeginn zu uumlbernehmen begonnen hat Die Mega-Events sollen helfen diesen Prozess zu konsolidieren

Gut drei Jahre nach dem Olympia-Zuschlag waren die Zuwachsraten des Brutto-sozialproduktes (BSP) ebenso passeacute wie bei groszligen Bevoumllkerungsteilen die Geduld und Zuversicht Im Juni 2013 gingen voumlllig uumlberraschend sogar fuumlr den brasilia- nischen Geheimdienst Millionen Brasilianer auf die Straszlige und machten eine Rechnung auf Sie stellten die offiziell rund 8 Mrd Euro Ausgaben fuumlr die teuerste WM aller Zeiten der fortgesetzten Misere in den Bereichen gegenuumlber die das Fuumlhlen und Sehnen der Menschen unmittelbar bestimmen die Muumlhen ihres Alltags die eigene Gesundheit und die Zukunft ihrer Kinder Sie stellten fest dass sie immer mehr Zeit unter immer schlechteren Bedingungen im Nahverkehr verloren dass sich die Bildungskatastrophe im oumlffentlichen Grundschulwesen fortsetzte und ein jeder der allein auf das (im Prinzip lobenswerte universelle kostenlose aber

1 httpsrv-netdiariopopularcombr12_04_07p2703html2 httpesporteigcombrmais20091002lula+chora+pensava+que+nao+tinha+mais+moti-

vos+para+emocao+8725180html3 The Economist laquoBrazil takes offraquo 14112009

Public Viewing an der Copacabana in Rio waumlhrend der WM 2014

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chronisch unterversorgte) oumlffentliche Gesundheitswesen angewiesen war ein ernst-haftes Risiko fuumlr Leib und oft auch Leben einging Im September 2013 wiederholte der Economist sein Titelbild von 2009 nur dass die Christusrakete nun qualmend dem Abgrund entgegentaumelte Die Schlagzeile dieses Mal laquoHat Brasilien es ver- masselt raquo4

Die Nachfragen der Brasilianer und Brasilianerinnen an ihre Regierung waren berechtigt Denn die Ausgaben fuumlr Sport-Groszligereignisse haben sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht Einen Groszligteil der Ausgaben traumlgt der Staat mithin die Gemeinschaft der Steuerzahler Es geht also nicht um Spielverderben wenn bei Sportgroszligereignissen eine einfache Frage gestellt wird Wofuumlr und fuumlr wen ist dieses Ereignis Was ist der Spaszlig wert Und fuumlr wen ist es vielleicht gar nicht so spaszligig Denn wie auf dem gruumlnen Rasen gibt es auch in der Gesellschaft die das Ereignis ausrichtet Gewinner und Verlierer und die Folgen sind laquonachhaltigerraquo als jene Nachhaltigkeit die das Marketing verspricht Weil Mega-Events immer weniger nur punktuelle Ereignisse und immer mehr laumlngere politische soziale und oumlkono- mische Prozesse bedeuten werden diese Fragen von Mal zu Mal wichtiger Der vorliegende Text geht diesen Fragen anhand der Vorbereitungen auf die Olym- pischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro und der Bilanz der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach Er untersucht Kosten und Nutzen fuumlr Betroffene insbeson-dere fuumlr die an die sich auch der offizielle Diskurs wendet das Gros der staumldtischen Bevoumllkerung und identifiziert einige gesellschaftliche Folgen mit denen sich ver- mutlich auch zukuumlnftige Mega-Events auseinandersetzen muumlssen

In einer globalisierten Oumlkonomie sowie einem immer mehr vom Marketing abhaumlngigen Politikbetrieb haben Mega-Events eine wichtige Funktion Im welt- weiten Wettbewerb sollen sie vor allem Kapital generieren symbolisches wie wirt-schaftliches und finanzielles Mega-Events wie WM und Olympia so meine These sind erst in nachgeordneter Weise Sportereignisse Sie sind in erster Linie als be- sondere vielleicht einzigartige Geschaumlftsmodelle zu begreifen die transnationale Investitions- und Extraktionsprojekte in Stellung bringen Angesichts der Groumlszligen- ordnung der Projekte und der Akteure loumlsen sie soziale und oumlkonomische Pro-zesse von erheblicher Eingriffstiefe aus Die Eingriffe sind umso tiefer je groumlszliger die soziale Ungleichheit und je schwaumlcher die nationale Zivilgesellschaft ist

Nicht zuletzt deswegen treten Mega-Events dieses Zuschnitts so meine zweite These mit einer funktionierenden Demokratie in Konflikt Es ist daher auch aus einer Demokratie-Perspektive wichtig sich mit Mega-Events auseinanderzusetzen Indem sie immer auch als laquoTestraquo gelten fuumlr das naumlchste Ereignis sorgen sie fuumlr die Fortexistenz ihrer Art fuumlr den Fortfluss der Kapital- und Investitionsstroumlme Sie he- ben sich gleichsam im naumlchsten auf und das so zeigen die letzten Jahrzehnte immer auf einem laquohoumlherenraquo Niveau der Gewinne (vor allem fuumlr FIFA Olympische Komitees und groszlige Unternehmen der Baubranche) der Kosten (fuumlr die Gemein-schaft der Steuerzahler) und der sozialen Konsequenzen also die Lebenslage und Rechte von Menschen

4 The Economist laquoHas Brazil Blown It raquo 28092013

13

2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

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verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

17

Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

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OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

25

sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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KEHRSEITE DER MEDAILLE

SCHRIFTEN ZUR DEMOKRATIE

BAND 39

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt Von Dawid Danilo Bartelt

Herausgegeben von der Heinrich-Boumlll-Stiftung

Kehrseite der Medaille Sportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt Band 39 der Reihe Demokratie Von Dawid Danilo Bartelt Herausgegeben von der Heinrich-Boumlll-Stiftung

Gestaltung feinkost Designnetzwerk C Mawrodiew (basierend auf Entwuumlrfen von State Design) Cover-Foto Das Stadion Maracana und Nachbarbauten (ua eine Schwimmanlage) in Rio de Janeiro [Erica Ramalho ndash wikimedia (cc BR by 30 httpscreativecommonsorglicensesby30brdeedde)] Druck Druckerei Arnold Groszligbeeren ISBN 978-3-86928-143-8

Bestelladresse Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstr 8 10117 Berlin T +49 30 28534-0 F +49 30 28534-109 E buchversandboellde W wwwboellde

Der Autor

Dawid Danilo Bartelt geboren 1963 studierte in Bochum Hamburg Recife (Brasilien) und Berlin wo er als Historiker uumlber den Canudos-Krieg 1897 im Nordosten Brasiliens promovierte Danach arbeitete er acht Jahre lang als Pressesprecher der deutschen Sektion von Amnesty International Seit 2010 leitet er das Brasilienbuumlro der Heinrich-Boumlll-Stiftung in Rio de Janeiro wo er mit seiner Familie auch lebt

Der Autor dankt Julia Ziesche Mara Natterer und Lando Daumlmmer fuumlr die hilfreiche Unterstuumltzung bei der Recherche Marc Guschal fuumlr Recherche und Durchsicht

Bildnachweise S 1011 Ninja Miacutedia ndash Flickr (cc by-nc-sa 20 httpscreativecommonsorglicensesby-nc-sa20) S 2021 Tacircnia Rego ndash AgBr (cc BR by 30 httpscreativecommonsorglicensesby30brdeedde) S 3031 Ninja Miacutedia ndash Flickr (cc by-nc-sa 20 httpscreativecommonsorglicensesby-nc-sa20)S 44 Ninja Miacutedia ndash Flickr (cc by-nc-sa 20 httpscreativecommonsorglicensesby-nc-sa20)

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INHALT

Vorwort 7

1 Sportereignisse als Mega -Events 9

2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro 13

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 27

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega -Events 37

5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega -Events 41

6 Mega -Events und Demokratie 46

(1) Deodoro (Hockey Centre Shooting Centre Deodoro Stadium Deodoro Aquatics CentreYouth Arena Mountain Bike Centre BMX Centre Whitewater Stadium Equestrian Centre)

(2) Maracanatilde (Maracanatilde Stadium Joatildeo Havelange Stadium Samboacutedromo Maracanatildezinho)(3) Copacabana (Lagoa Stadium Beach Volleyball Arena Fort Copacabana Marina da Gloacuteria)

(4a) Barra (Barra Olympic Park Rio Arena Aquatics Stadium Carioca Arena 1ndash3 Future ArenaTennis Centre Rio Velodrom Barra Aquatics Centre Riocentro Pavilion 2ndash4 6 Golf Course)

(4b) Barra (Pontal)

Olympische Spiele 2016 ndash Rio de Janeiro (Austragungszentren)

Quelle eigene Darstellung

7

VORWORT

Reden wir Klartext Die hochfliegenden Versprechen welche Verbesserungen die Fuszligball-Weltmeisterschaft der Maumlnner 2014 den Menschen in Brasilien bringen sollte sind nicht eingehalten worden Im Gegenteil Die teuerste WM aller Zeiten hat dem Land nicht nur eine bittere sportliche Enttaumluschung beschert auch die oumlkonomischen und sozialen Kosten werden das Land noch langfristig beschaumlftigen

Mindestens 85 Mrd euro hat die Fuszligball-WM gekostet das ist mehr als das Doppelte der WM in Suumldafrika 2010 Rund 85 Prozent davon wurden anders als versprochen nicht mit privaten sondern mit oumlffentlichen Mitteln bzw Krediten finanziert Der positive volkswirtschaftliche Wachstumsimpuls hingegen blieb aus Das Wirtschaftswachstum fuumlr das ganze Jahr 2014 wird auf deutlich unter einem Prozent geschaumltzt Wie viel davon auf die WM zuruumlckzufuumlhren ist bleibt unklar

Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder davon bedroht gewesen Das Menschenrecht auf Wohnen wurde systematisch verletzt Der ver- sprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre er- wiesen Die Mittel flossen vor allem in den Aus- und Umbau der Flughaumlfen und der Anfahrtswege Die Mehrheit der Brasilianer innen hat nichts davon Die groszligen Pro-teste 2013 haben gezeigt was sie wirklich brauchen Schulen Kliniken einen funk- tionalen und funktionierenden Nahverkehr gerne nach laquoFIFA-Standardsraquo wie auf den Protestplakaten zu lesen war

Und nun Mit der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2016 hat Bra-silien eine neue Chance aus den Fehlern zu lernen und zu zeigen dass sportliche Mega-Events positive Impulse fuumlr die Allgemeinheit geben koumlnnen Auch hier sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn im Hafenviertel Busschnell- trassen laumlngere und neue Metrolinien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem Rios Gewaumlsser sollen sauberer werden Fuumlr die Guanabara-Bucht versprach die Stadt in ihrer Bewerbung mindestens 80 Prozent des Gewaumlssers zu reinigen Bei der Finanzierung soll der private Sektor einen wesentlichen Anteil uumlbernehmen

Sicherlich werden einige Fehler nicht wiederholt werden Die Flughaumlfen sind bereits gebaut die staumldtische Infrastruktur von Rio de Janeiro wo die olympischen Spiele stattfinden kann mit einigen Verbesserungen rechnen von denen auch die Bevoumllkerung profitieren kann Die vier neu zu bauenden Schnellbustrassen ver- binden naumlmlich nicht nur die wichtigen Sportstaumltten sondern auch verschiedene Stadtteile untereinander und mit dem Zentrum und dem Flughafen

Doch im Wesentlichen setzt Olympia fort was mit der WM begonnen hat die ndash in der Regel sozial schwache ndash Bevoumllkerung wird aus Stadtteilen verdraumlngt die zu- nehmend attraktiv fuumlr Unternehmer werden und Investoren nach Rio locken sollen V

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Das Olympische Dorf ist Teil des Plans den Westen der Stadt als Wohn- und Arbeitsort fuumlr die Elite zu erschlieszligen Der Investor des Olympischen Dorfs Carlos Carvalho nannte das Projekt laquoReine Inselraquo (Ilha Pura) Anders als zB im Suumlden Rios wo Favelas direkt zwischen den Wohnhaumlusern der einkommensstaumlrkeren Familien liegen wird es sich hier um ein exklusives Wohngebiet fuumlr die Elite han- deln Carvalho ist einer der Hauptgewinner dieses staumldtischen Strukturwandels Ihm gehoumlrt nicht nur der Grund und Boden auf dem das Olympische Dorf ent- steht Sobald die Athlet innen die neugebauten Apartments nach den Spielen nicht mehr nutzen und weitere Wohnbloumlcke auf dem Areal gebaut sind profitiert er als Hauptinvestor und Bauunternehmer auch vom Verkauf der Luxuswohnungen

Olympia ist sicherlich eine aufregende Sportveranstaltung aber verschaumlrft lei-der immer wieder soziale Ungleichheiten verletzt die Rechte der Bevoumllkerung ver- draumlngt sie schlieszligt sie aus Was bereits vor der WM begann geht nun weiter Die Polizei laquosammeltraquo Straszligenkinder und andere Obdachlose verstaumlrkt ein mehr Jugendliche kommen in Haft Sie alle sollen fuumlr die Tourist innen nicht sicht- bar sein Statt Ursachen fuumlr Armut und Gewalt zu bekaumlmpfen versperrt die Polizei seit neuestem jungen Maumlnnern die vermeintlich in Favelas leben und damit als moumlgliche Diebe gelten den Weg zu den oumlffentlichen Straumlnden der Stadt Busse aus aumlrmeren Vierteln fahren nicht mehr auf ihren uumlblichen Routen und werden fuumlr Kontrollen angehalten Die UNO forderte Brasilien Anfang Oktober 2015 auf die steigenden Zahlen auszligergesetzlicher Morde durch Polizist innen an Minder- jaumlhrigen aus einkommensschwachen Vierteln zu untersuchen

Von Beginn an begleitet das Brasilien-Buumlro der Heinrich-Boumlll-Stiftung die Vor- bereitungen und die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events kritisch Das tun wir gemeinsam mit unseren brasilianischen Partnerinnen und Partnern vor Ort Dabei wird deutlich dass die Ausrichtung solcher Groszligereignisse laumlngst ganz anderen Notwendigkeiten folgt als denen die der Sport vorgibt Mega-Events haben sich als Geschaumlftsmodell etabliert das dazu dient der Volkswirtschaft des Austragungslandes einen Vorteil zu verschaffen Der sportliche Wettkampf geraumlt gegenuumlber dem wirtschaftlichen Kampf um die beste Ausgangslage in einer globa- lisierten Welt ins Hintertreffen Verlierer dabei sind Demokratie und Menschen- rechte

Berlin im November 2015

Barbara Unmuumlszligig Ingrid Spiller Vorstand der Heinrich-Boumlll-Stiftung Referatsleiterin Lateinamerika

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1 Sportereignisse als Mega-Events

Der Praumlsident huumlpfte und weinte vor Freude Im Oktober 2009 gab das internationale Olympische Komitee der Bewerbung Brasiliens den Zuschlag fuumlr die Olympischen Sommerspiele 2016 Zwei Jahre vorher hatte sich Brasilien im Rennen um die Fuszlig-ball-Weltmeisterschaft 2014 durchgesetzt der kolumbianische Fuszligballverband hatte zuvor seine Bewerbung mit der Begruumlndung zuruumlckgezogen die Auflagen des inter-nationalen Fuszligballverbandes FIFA seien nicht zu bezahlen1 Luiz Inaacutecio Lula da Silva bezeichnete den Tag als den laquovielleicht wichtigsten meines Lebensraquo die Welt erkenne nun an laquodass Brasilien an der Reihe istraquo2 Es war die Kroumlnung einer achtjaumlhrigen Praumlsidentschaft an deren Ende Lula nach eigenen Angaben Brasilien nicht nur in eine Mittelschichtsgesellschaft verwandelt sondern Brasilien als siebtgroumlszligte Volks-wirtschaft der Erde Glaumlubiger des Internationalen Waumlhrungsfonds und Regional-hegemon mit Anspruch auf Mitsprache im Club der Weltmaumlchtigen etabliert hatte Der Economist brachte ein Brasilien-Spezial zum brasilianischen laquotake-offraquo auf dem Titelfoto startet die Christusstatue von Rio de Janeiro als Rakete durch steil nach oben3 Der internationale Bankenkollaps hatte die brasilianische Wirtschaft kaum beeintraumlchtigt im Jahr darauf wuchs sie um 75 Prozent

Genau in diesem Kontext standen die Bewerbungen Brasiliens um Fuszligball Welt- meisterschaft (WM) und Olympische Spiele Aumlhnlich wie die Olympischen Spiele 2008 in Peking stehen die sogenannten Mega-Events in Brasilien im Zeichen und im Kontext der neuen Rolle in Weltwirtschaft und Weltpolitik die Brasilien in Selbst- und Fremdwahrnehmung seit Jahrtausendbeginn zu uumlbernehmen begonnen hat Die Mega-Events sollen helfen diesen Prozess zu konsolidieren

Gut drei Jahre nach dem Olympia-Zuschlag waren die Zuwachsraten des Brutto-sozialproduktes (BSP) ebenso passeacute wie bei groszligen Bevoumllkerungsteilen die Geduld und Zuversicht Im Juni 2013 gingen voumlllig uumlberraschend sogar fuumlr den brasilia- nischen Geheimdienst Millionen Brasilianer auf die Straszlige und machten eine Rechnung auf Sie stellten die offiziell rund 8 Mrd Euro Ausgaben fuumlr die teuerste WM aller Zeiten der fortgesetzten Misere in den Bereichen gegenuumlber die das Fuumlhlen und Sehnen der Menschen unmittelbar bestimmen die Muumlhen ihres Alltags die eigene Gesundheit und die Zukunft ihrer Kinder Sie stellten fest dass sie immer mehr Zeit unter immer schlechteren Bedingungen im Nahverkehr verloren dass sich die Bildungskatastrophe im oumlffentlichen Grundschulwesen fortsetzte und ein jeder der allein auf das (im Prinzip lobenswerte universelle kostenlose aber

1 httpsrv-netdiariopopularcombr12_04_07p2703html2 httpesporteigcombrmais20091002lula+chora+pensava+que+nao+tinha+mais+moti-

vos+para+emocao+8725180html3 The Economist laquoBrazil takes offraquo 14112009

Public Viewing an der Copacabana in Rio waumlhrend der WM 2014

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chronisch unterversorgte) oumlffentliche Gesundheitswesen angewiesen war ein ernst-haftes Risiko fuumlr Leib und oft auch Leben einging Im September 2013 wiederholte der Economist sein Titelbild von 2009 nur dass die Christusrakete nun qualmend dem Abgrund entgegentaumelte Die Schlagzeile dieses Mal laquoHat Brasilien es ver- masselt raquo4

Die Nachfragen der Brasilianer und Brasilianerinnen an ihre Regierung waren berechtigt Denn die Ausgaben fuumlr Sport-Groszligereignisse haben sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht Einen Groszligteil der Ausgaben traumlgt der Staat mithin die Gemeinschaft der Steuerzahler Es geht also nicht um Spielverderben wenn bei Sportgroszligereignissen eine einfache Frage gestellt wird Wofuumlr und fuumlr wen ist dieses Ereignis Was ist der Spaszlig wert Und fuumlr wen ist es vielleicht gar nicht so spaszligig Denn wie auf dem gruumlnen Rasen gibt es auch in der Gesellschaft die das Ereignis ausrichtet Gewinner und Verlierer und die Folgen sind laquonachhaltigerraquo als jene Nachhaltigkeit die das Marketing verspricht Weil Mega-Events immer weniger nur punktuelle Ereignisse und immer mehr laumlngere politische soziale und oumlkono- mische Prozesse bedeuten werden diese Fragen von Mal zu Mal wichtiger Der vorliegende Text geht diesen Fragen anhand der Vorbereitungen auf die Olym- pischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro und der Bilanz der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach Er untersucht Kosten und Nutzen fuumlr Betroffene insbeson-dere fuumlr die an die sich auch der offizielle Diskurs wendet das Gros der staumldtischen Bevoumllkerung und identifiziert einige gesellschaftliche Folgen mit denen sich ver- mutlich auch zukuumlnftige Mega-Events auseinandersetzen muumlssen

In einer globalisierten Oumlkonomie sowie einem immer mehr vom Marketing abhaumlngigen Politikbetrieb haben Mega-Events eine wichtige Funktion Im welt- weiten Wettbewerb sollen sie vor allem Kapital generieren symbolisches wie wirt-schaftliches und finanzielles Mega-Events wie WM und Olympia so meine These sind erst in nachgeordneter Weise Sportereignisse Sie sind in erster Linie als be- sondere vielleicht einzigartige Geschaumlftsmodelle zu begreifen die transnationale Investitions- und Extraktionsprojekte in Stellung bringen Angesichts der Groumlszligen- ordnung der Projekte und der Akteure loumlsen sie soziale und oumlkonomische Pro-zesse von erheblicher Eingriffstiefe aus Die Eingriffe sind umso tiefer je groumlszliger die soziale Ungleichheit und je schwaumlcher die nationale Zivilgesellschaft ist

Nicht zuletzt deswegen treten Mega-Events dieses Zuschnitts so meine zweite These mit einer funktionierenden Demokratie in Konflikt Es ist daher auch aus einer Demokratie-Perspektive wichtig sich mit Mega-Events auseinanderzusetzen Indem sie immer auch als laquoTestraquo gelten fuumlr das naumlchste Ereignis sorgen sie fuumlr die Fortexistenz ihrer Art fuumlr den Fortfluss der Kapital- und Investitionsstroumlme Sie he- ben sich gleichsam im naumlchsten auf und das so zeigen die letzten Jahrzehnte immer auf einem laquohoumlherenraquo Niveau der Gewinne (vor allem fuumlr FIFA Olympische Komitees und groszlige Unternehmen der Baubranche) der Kosten (fuumlr die Gemein-schaft der Steuerzahler) und der sozialen Konsequenzen also die Lebenslage und Rechte von Menschen

4 The Economist laquoHas Brazil Blown It raquo 28092013

13

2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

15

verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

17

Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

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3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

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Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

39

Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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SCHRIFTEN ZUR DEMOKRATIE

BAND 39

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt Von Dawid Danilo Bartelt

Herausgegeben von der Heinrich-Boumlll-Stiftung

Kehrseite der Medaille Sportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt Band 39 der Reihe Demokratie Von Dawid Danilo Bartelt Herausgegeben von der Heinrich-Boumlll-Stiftung

Gestaltung feinkost Designnetzwerk C Mawrodiew (basierend auf Entwuumlrfen von State Design) Cover-Foto Das Stadion Maracana und Nachbarbauten (ua eine Schwimmanlage) in Rio de Janeiro [Erica Ramalho ndash wikimedia (cc BR by 30 httpscreativecommonsorglicensesby30brdeedde)] Druck Druckerei Arnold Groszligbeeren ISBN 978-3-86928-143-8

Bestelladresse Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstr 8 10117 Berlin T +49 30 28534-0 F +49 30 28534-109 E buchversandboellde W wwwboellde

Der Autor

Dawid Danilo Bartelt geboren 1963 studierte in Bochum Hamburg Recife (Brasilien) und Berlin wo er als Historiker uumlber den Canudos-Krieg 1897 im Nordosten Brasiliens promovierte Danach arbeitete er acht Jahre lang als Pressesprecher der deutschen Sektion von Amnesty International Seit 2010 leitet er das Brasilienbuumlro der Heinrich-Boumlll-Stiftung in Rio de Janeiro wo er mit seiner Familie auch lebt

Der Autor dankt Julia Ziesche Mara Natterer und Lando Daumlmmer fuumlr die hilfreiche Unterstuumltzung bei der Recherche Marc Guschal fuumlr Recherche und Durchsicht

Bildnachweise S 1011 Ninja Miacutedia ndash Flickr (cc by-nc-sa 20 httpscreativecommonsorglicensesby-nc-sa20) S 2021 Tacircnia Rego ndash AgBr (cc BR by 30 httpscreativecommonsorglicensesby30brdeedde) S 3031 Ninja Miacutedia ndash Flickr (cc by-nc-sa 20 httpscreativecommonsorglicensesby-nc-sa20)S 44 Ninja Miacutedia ndash Flickr (cc by-nc-sa 20 httpscreativecommonsorglicensesby-nc-sa20)

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INHALT

Vorwort 7

1 Sportereignisse als Mega -Events 9

2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro 13

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 27

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega -Events 37

5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega -Events 41

6 Mega -Events und Demokratie 46

(1) Deodoro (Hockey Centre Shooting Centre Deodoro Stadium Deodoro Aquatics CentreYouth Arena Mountain Bike Centre BMX Centre Whitewater Stadium Equestrian Centre)

(2) Maracanatilde (Maracanatilde Stadium Joatildeo Havelange Stadium Samboacutedromo Maracanatildezinho)(3) Copacabana (Lagoa Stadium Beach Volleyball Arena Fort Copacabana Marina da Gloacuteria)

(4a) Barra (Barra Olympic Park Rio Arena Aquatics Stadium Carioca Arena 1ndash3 Future ArenaTennis Centre Rio Velodrom Barra Aquatics Centre Riocentro Pavilion 2ndash4 6 Golf Course)

(4b) Barra (Pontal)

Olympische Spiele 2016 ndash Rio de Janeiro (Austragungszentren)

Quelle eigene Darstellung

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VORWORT

Reden wir Klartext Die hochfliegenden Versprechen welche Verbesserungen die Fuszligball-Weltmeisterschaft der Maumlnner 2014 den Menschen in Brasilien bringen sollte sind nicht eingehalten worden Im Gegenteil Die teuerste WM aller Zeiten hat dem Land nicht nur eine bittere sportliche Enttaumluschung beschert auch die oumlkonomischen und sozialen Kosten werden das Land noch langfristig beschaumlftigen

Mindestens 85 Mrd euro hat die Fuszligball-WM gekostet das ist mehr als das Doppelte der WM in Suumldafrika 2010 Rund 85 Prozent davon wurden anders als versprochen nicht mit privaten sondern mit oumlffentlichen Mitteln bzw Krediten finanziert Der positive volkswirtschaftliche Wachstumsimpuls hingegen blieb aus Das Wirtschaftswachstum fuumlr das ganze Jahr 2014 wird auf deutlich unter einem Prozent geschaumltzt Wie viel davon auf die WM zuruumlckzufuumlhren ist bleibt unklar

Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder davon bedroht gewesen Das Menschenrecht auf Wohnen wurde systematisch verletzt Der ver- sprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre er- wiesen Die Mittel flossen vor allem in den Aus- und Umbau der Flughaumlfen und der Anfahrtswege Die Mehrheit der Brasilianer innen hat nichts davon Die groszligen Pro-teste 2013 haben gezeigt was sie wirklich brauchen Schulen Kliniken einen funk- tionalen und funktionierenden Nahverkehr gerne nach laquoFIFA-Standardsraquo wie auf den Protestplakaten zu lesen war

Und nun Mit der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2016 hat Bra-silien eine neue Chance aus den Fehlern zu lernen und zu zeigen dass sportliche Mega-Events positive Impulse fuumlr die Allgemeinheit geben koumlnnen Auch hier sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn im Hafenviertel Busschnell- trassen laumlngere und neue Metrolinien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem Rios Gewaumlsser sollen sauberer werden Fuumlr die Guanabara-Bucht versprach die Stadt in ihrer Bewerbung mindestens 80 Prozent des Gewaumlssers zu reinigen Bei der Finanzierung soll der private Sektor einen wesentlichen Anteil uumlbernehmen

Sicherlich werden einige Fehler nicht wiederholt werden Die Flughaumlfen sind bereits gebaut die staumldtische Infrastruktur von Rio de Janeiro wo die olympischen Spiele stattfinden kann mit einigen Verbesserungen rechnen von denen auch die Bevoumllkerung profitieren kann Die vier neu zu bauenden Schnellbustrassen ver- binden naumlmlich nicht nur die wichtigen Sportstaumltten sondern auch verschiedene Stadtteile untereinander und mit dem Zentrum und dem Flughafen

Doch im Wesentlichen setzt Olympia fort was mit der WM begonnen hat die ndash in der Regel sozial schwache ndash Bevoumllkerung wird aus Stadtteilen verdraumlngt die zu- nehmend attraktiv fuumlr Unternehmer werden und Investoren nach Rio locken sollen V

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Das Olympische Dorf ist Teil des Plans den Westen der Stadt als Wohn- und Arbeitsort fuumlr die Elite zu erschlieszligen Der Investor des Olympischen Dorfs Carlos Carvalho nannte das Projekt laquoReine Inselraquo (Ilha Pura) Anders als zB im Suumlden Rios wo Favelas direkt zwischen den Wohnhaumlusern der einkommensstaumlrkeren Familien liegen wird es sich hier um ein exklusives Wohngebiet fuumlr die Elite han- deln Carvalho ist einer der Hauptgewinner dieses staumldtischen Strukturwandels Ihm gehoumlrt nicht nur der Grund und Boden auf dem das Olympische Dorf ent- steht Sobald die Athlet innen die neugebauten Apartments nach den Spielen nicht mehr nutzen und weitere Wohnbloumlcke auf dem Areal gebaut sind profitiert er als Hauptinvestor und Bauunternehmer auch vom Verkauf der Luxuswohnungen

Olympia ist sicherlich eine aufregende Sportveranstaltung aber verschaumlrft lei-der immer wieder soziale Ungleichheiten verletzt die Rechte der Bevoumllkerung ver- draumlngt sie schlieszligt sie aus Was bereits vor der WM begann geht nun weiter Die Polizei laquosammeltraquo Straszligenkinder und andere Obdachlose verstaumlrkt ein mehr Jugendliche kommen in Haft Sie alle sollen fuumlr die Tourist innen nicht sicht- bar sein Statt Ursachen fuumlr Armut und Gewalt zu bekaumlmpfen versperrt die Polizei seit neuestem jungen Maumlnnern die vermeintlich in Favelas leben und damit als moumlgliche Diebe gelten den Weg zu den oumlffentlichen Straumlnden der Stadt Busse aus aumlrmeren Vierteln fahren nicht mehr auf ihren uumlblichen Routen und werden fuumlr Kontrollen angehalten Die UNO forderte Brasilien Anfang Oktober 2015 auf die steigenden Zahlen auszligergesetzlicher Morde durch Polizist innen an Minder- jaumlhrigen aus einkommensschwachen Vierteln zu untersuchen

Von Beginn an begleitet das Brasilien-Buumlro der Heinrich-Boumlll-Stiftung die Vor- bereitungen und die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events kritisch Das tun wir gemeinsam mit unseren brasilianischen Partnerinnen und Partnern vor Ort Dabei wird deutlich dass die Ausrichtung solcher Groszligereignisse laumlngst ganz anderen Notwendigkeiten folgt als denen die der Sport vorgibt Mega-Events haben sich als Geschaumlftsmodell etabliert das dazu dient der Volkswirtschaft des Austragungslandes einen Vorteil zu verschaffen Der sportliche Wettkampf geraumlt gegenuumlber dem wirtschaftlichen Kampf um die beste Ausgangslage in einer globa- lisierten Welt ins Hintertreffen Verlierer dabei sind Demokratie und Menschen- rechte

Berlin im November 2015

Barbara Unmuumlszligig Ingrid Spiller Vorstand der Heinrich-Boumlll-Stiftung Referatsleiterin Lateinamerika

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1 Sportereignisse als Mega-Events

Der Praumlsident huumlpfte und weinte vor Freude Im Oktober 2009 gab das internationale Olympische Komitee der Bewerbung Brasiliens den Zuschlag fuumlr die Olympischen Sommerspiele 2016 Zwei Jahre vorher hatte sich Brasilien im Rennen um die Fuszlig-ball-Weltmeisterschaft 2014 durchgesetzt der kolumbianische Fuszligballverband hatte zuvor seine Bewerbung mit der Begruumlndung zuruumlckgezogen die Auflagen des inter-nationalen Fuszligballverbandes FIFA seien nicht zu bezahlen1 Luiz Inaacutecio Lula da Silva bezeichnete den Tag als den laquovielleicht wichtigsten meines Lebensraquo die Welt erkenne nun an laquodass Brasilien an der Reihe istraquo2 Es war die Kroumlnung einer achtjaumlhrigen Praumlsidentschaft an deren Ende Lula nach eigenen Angaben Brasilien nicht nur in eine Mittelschichtsgesellschaft verwandelt sondern Brasilien als siebtgroumlszligte Volks-wirtschaft der Erde Glaumlubiger des Internationalen Waumlhrungsfonds und Regional-hegemon mit Anspruch auf Mitsprache im Club der Weltmaumlchtigen etabliert hatte Der Economist brachte ein Brasilien-Spezial zum brasilianischen laquotake-offraquo auf dem Titelfoto startet die Christusstatue von Rio de Janeiro als Rakete durch steil nach oben3 Der internationale Bankenkollaps hatte die brasilianische Wirtschaft kaum beeintraumlchtigt im Jahr darauf wuchs sie um 75 Prozent

Genau in diesem Kontext standen die Bewerbungen Brasiliens um Fuszligball Welt- meisterschaft (WM) und Olympische Spiele Aumlhnlich wie die Olympischen Spiele 2008 in Peking stehen die sogenannten Mega-Events in Brasilien im Zeichen und im Kontext der neuen Rolle in Weltwirtschaft und Weltpolitik die Brasilien in Selbst- und Fremdwahrnehmung seit Jahrtausendbeginn zu uumlbernehmen begonnen hat Die Mega-Events sollen helfen diesen Prozess zu konsolidieren

Gut drei Jahre nach dem Olympia-Zuschlag waren die Zuwachsraten des Brutto-sozialproduktes (BSP) ebenso passeacute wie bei groszligen Bevoumllkerungsteilen die Geduld und Zuversicht Im Juni 2013 gingen voumlllig uumlberraschend sogar fuumlr den brasilia- nischen Geheimdienst Millionen Brasilianer auf die Straszlige und machten eine Rechnung auf Sie stellten die offiziell rund 8 Mrd Euro Ausgaben fuumlr die teuerste WM aller Zeiten der fortgesetzten Misere in den Bereichen gegenuumlber die das Fuumlhlen und Sehnen der Menschen unmittelbar bestimmen die Muumlhen ihres Alltags die eigene Gesundheit und die Zukunft ihrer Kinder Sie stellten fest dass sie immer mehr Zeit unter immer schlechteren Bedingungen im Nahverkehr verloren dass sich die Bildungskatastrophe im oumlffentlichen Grundschulwesen fortsetzte und ein jeder der allein auf das (im Prinzip lobenswerte universelle kostenlose aber

1 httpsrv-netdiariopopularcombr12_04_07p2703html2 httpesporteigcombrmais20091002lula+chora+pensava+que+nao+tinha+mais+moti-

vos+para+emocao+8725180html3 The Economist laquoBrazil takes offraquo 14112009

Public Viewing an der Copacabana in Rio waumlhrend der WM 2014

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chronisch unterversorgte) oumlffentliche Gesundheitswesen angewiesen war ein ernst-haftes Risiko fuumlr Leib und oft auch Leben einging Im September 2013 wiederholte der Economist sein Titelbild von 2009 nur dass die Christusrakete nun qualmend dem Abgrund entgegentaumelte Die Schlagzeile dieses Mal laquoHat Brasilien es ver- masselt raquo4

Die Nachfragen der Brasilianer und Brasilianerinnen an ihre Regierung waren berechtigt Denn die Ausgaben fuumlr Sport-Groszligereignisse haben sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht Einen Groszligteil der Ausgaben traumlgt der Staat mithin die Gemeinschaft der Steuerzahler Es geht also nicht um Spielverderben wenn bei Sportgroszligereignissen eine einfache Frage gestellt wird Wofuumlr und fuumlr wen ist dieses Ereignis Was ist der Spaszlig wert Und fuumlr wen ist es vielleicht gar nicht so spaszligig Denn wie auf dem gruumlnen Rasen gibt es auch in der Gesellschaft die das Ereignis ausrichtet Gewinner und Verlierer und die Folgen sind laquonachhaltigerraquo als jene Nachhaltigkeit die das Marketing verspricht Weil Mega-Events immer weniger nur punktuelle Ereignisse und immer mehr laumlngere politische soziale und oumlkono- mische Prozesse bedeuten werden diese Fragen von Mal zu Mal wichtiger Der vorliegende Text geht diesen Fragen anhand der Vorbereitungen auf die Olym- pischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro und der Bilanz der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach Er untersucht Kosten und Nutzen fuumlr Betroffene insbeson-dere fuumlr die an die sich auch der offizielle Diskurs wendet das Gros der staumldtischen Bevoumllkerung und identifiziert einige gesellschaftliche Folgen mit denen sich ver- mutlich auch zukuumlnftige Mega-Events auseinandersetzen muumlssen

In einer globalisierten Oumlkonomie sowie einem immer mehr vom Marketing abhaumlngigen Politikbetrieb haben Mega-Events eine wichtige Funktion Im welt- weiten Wettbewerb sollen sie vor allem Kapital generieren symbolisches wie wirt-schaftliches und finanzielles Mega-Events wie WM und Olympia so meine These sind erst in nachgeordneter Weise Sportereignisse Sie sind in erster Linie als be- sondere vielleicht einzigartige Geschaumlftsmodelle zu begreifen die transnationale Investitions- und Extraktionsprojekte in Stellung bringen Angesichts der Groumlszligen- ordnung der Projekte und der Akteure loumlsen sie soziale und oumlkonomische Pro-zesse von erheblicher Eingriffstiefe aus Die Eingriffe sind umso tiefer je groumlszliger die soziale Ungleichheit und je schwaumlcher die nationale Zivilgesellschaft ist

Nicht zuletzt deswegen treten Mega-Events dieses Zuschnitts so meine zweite These mit einer funktionierenden Demokratie in Konflikt Es ist daher auch aus einer Demokratie-Perspektive wichtig sich mit Mega-Events auseinanderzusetzen Indem sie immer auch als laquoTestraquo gelten fuumlr das naumlchste Ereignis sorgen sie fuumlr die Fortexistenz ihrer Art fuumlr den Fortfluss der Kapital- und Investitionsstroumlme Sie he- ben sich gleichsam im naumlchsten auf und das so zeigen die letzten Jahrzehnte immer auf einem laquohoumlherenraquo Niveau der Gewinne (vor allem fuumlr FIFA Olympische Komitees und groszlige Unternehmen der Baubranche) der Kosten (fuumlr die Gemein-schaft der Steuerzahler) und der sozialen Konsequenzen also die Lebenslage und Rechte von Menschen

4 The Economist laquoHas Brazil Blown It raquo 28092013

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2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

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verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

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Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

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Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

25

sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

35

Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

41

5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

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Kehrseite der Medaille Sportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt Band 39 der Reihe Demokratie Von Dawid Danilo Bartelt Herausgegeben von der Heinrich-Boumlll-Stiftung

Gestaltung feinkost Designnetzwerk C Mawrodiew (basierend auf Entwuumlrfen von State Design) Cover-Foto Das Stadion Maracana und Nachbarbauten (ua eine Schwimmanlage) in Rio de Janeiro [Erica Ramalho ndash wikimedia (cc BR by 30 httpscreativecommonsorglicensesby30brdeedde)] Druck Druckerei Arnold Groszligbeeren ISBN 978-3-86928-143-8

Bestelladresse Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstr 8 10117 Berlin T +49 30 28534-0 F +49 30 28534-109 E buchversandboellde W wwwboellde

Der Autor

Dawid Danilo Bartelt geboren 1963 studierte in Bochum Hamburg Recife (Brasilien) und Berlin wo er als Historiker uumlber den Canudos-Krieg 1897 im Nordosten Brasiliens promovierte Danach arbeitete er acht Jahre lang als Pressesprecher der deutschen Sektion von Amnesty International Seit 2010 leitet er das Brasilienbuumlro der Heinrich-Boumlll-Stiftung in Rio de Janeiro wo er mit seiner Familie auch lebt

Der Autor dankt Julia Ziesche Mara Natterer und Lando Daumlmmer fuumlr die hilfreiche Unterstuumltzung bei der Recherche Marc Guschal fuumlr Recherche und Durchsicht

Bildnachweise S 1011 Ninja Miacutedia ndash Flickr (cc by-nc-sa 20 httpscreativecommonsorglicensesby-nc-sa20) S 2021 Tacircnia Rego ndash AgBr (cc BR by 30 httpscreativecommonsorglicensesby30brdeedde) S 3031 Ninja Miacutedia ndash Flickr (cc by-nc-sa 20 httpscreativecommonsorglicensesby-nc-sa20)S 44 Ninja Miacutedia ndash Flickr (cc by-nc-sa 20 httpscreativecommonsorglicensesby-nc-sa20)

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INHALT

Vorwort 7

1 Sportereignisse als Mega -Events 9

2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro 13

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 27

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega -Events 37

5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega -Events 41

6 Mega -Events und Demokratie 46

(1) Deodoro (Hockey Centre Shooting Centre Deodoro Stadium Deodoro Aquatics CentreYouth Arena Mountain Bike Centre BMX Centre Whitewater Stadium Equestrian Centre)

(2) Maracanatilde (Maracanatilde Stadium Joatildeo Havelange Stadium Samboacutedromo Maracanatildezinho)(3) Copacabana (Lagoa Stadium Beach Volleyball Arena Fort Copacabana Marina da Gloacuteria)

(4a) Barra (Barra Olympic Park Rio Arena Aquatics Stadium Carioca Arena 1ndash3 Future ArenaTennis Centre Rio Velodrom Barra Aquatics Centre Riocentro Pavilion 2ndash4 6 Golf Course)

(4b) Barra (Pontal)

Olympische Spiele 2016 ndash Rio de Janeiro (Austragungszentren)

Quelle eigene Darstellung

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VORWORT

Reden wir Klartext Die hochfliegenden Versprechen welche Verbesserungen die Fuszligball-Weltmeisterschaft der Maumlnner 2014 den Menschen in Brasilien bringen sollte sind nicht eingehalten worden Im Gegenteil Die teuerste WM aller Zeiten hat dem Land nicht nur eine bittere sportliche Enttaumluschung beschert auch die oumlkonomischen und sozialen Kosten werden das Land noch langfristig beschaumlftigen

Mindestens 85 Mrd euro hat die Fuszligball-WM gekostet das ist mehr als das Doppelte der WM in Suumldafrika 2010 Rund 85 Prozent davon wurden anders als versprochen nicht mit privaten sondern mit oumlffentlichen Mitteln bzw Krediten finanziert Der positive volkswirtschaftliche Wachstumsimpuls hingegen blieb aus Das Wirtschaftswachstum fuumlr das ganze Jahr 2014 wird auf deutlich unter einem Prozent geschaumltzt Wie viel davon auf die WM zuruumlckzufuumlhren ist bleibt unklar

Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder davon bedroht gewesen Das Menschenrecht auf Wohnen wurde systematisch verletzt Der ver- sprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre er- wiesen Die Mittel flossen vor allem in den Aus- und Umbau der Flughaumlfen und der Anfahrtswege Die Mehrheit der Brasilianer innen hat nichts davon Die groszligen Pro-teste 2013 haben gezeigt was sie wirklich brauchen Schulen Kliniken einen funk- tionalen und funktionierenden Nahverkehr gerne nach laquoFIFA-Standardsraquo wie auf den Protestplakaten zu lesen war

Und nun Mit der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2016 hat Bra-silien eine neue Chance aus den Fehlern zu lernen und zu zeigen dass sportliche Mega-Events positive Impulse fuumlr die Allgemeinheit geben koumlnnen Auch hier sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn im Hafenviertel Busschnell- trassen laumlngere und neue Metrolinien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem Rios Gewaumlsser sollen sauberer werden Fuumlr die Guanabara-Bucht versprach die Stadt in ihrer Bewerbung mindestens 80 Prozent des Gewaumlssers zu reinigen Bei der Finanzierung soll der private Sektor einen wesentlichen Anteil uumlbernehmen

Sicherlich werden einige Fehler nicht wiederholt werden Die Flughaumlfen sind bereits gebaut die staumldtische Infrastruktur von Rio de Janeiro wo die olympischen Spiele stattfinden kann mit einigen Verbesserungen rechnen von denen auch die Bevoumllkerung profitieren kann Die vier neu zu bauenden Schnellbustrassen ver- binden naumlmlich nicht nur die wichtigen Sportstaumltten sondern auch verschiedene Stadtteile untereinander und mit dem Zentrum und dem Flughafen

Doch im Wesentlichen setzt Olympia fort was mit der WM begonnen hat die ndash in der Regel sozial schwache ndash Bevoumllkerung wird aus Stadtteilen verdraumlngt die zu- nehmend attraktiv fuumlr Unternehmer werden und Investoren nach Rio locken sollen V

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Das Olympische Dorf ist Teil des Plans den Westen der Stadt als Wohn- und Arbeitsort fuumlr die Elite zu erschlieszligen Der Investor des Olympischen Dorfs Carlos Carvalho nannte das Projekt laquoReine Inselraquo (Ilha Pura) Anders als zB im Suumlden Rios wo Favelas direkt zwischen den Wohnhaumlusern der einkommensstaumlrkeren Familien liegen wird es sich hier um ein exklusives Wohngebiet fuumlr die Elite han- deln Carvalho ist einer der Hauptgewinner dieses staumldtischen Strukturwandels Ihm gehoumlrt nicht nur der Grund und Boden auf dem das Olympische Dorf ent- steht Sobald die Athlet innen die neugebauten Apartments nach den Spielen nicht mehr nutzen und weitere Wohnbloumlcke auf dem Areal gebaut sind profitiert er als Hauptinvestor und Bauunternehmer auch vom Verkauf der Luxuswohnungen

Olympia ist sicherlich eine aufregende Sportveranstaltung aber verschaumlrft lei-der immer wieder soziale Ungleichheiten verletzt die Rechte der Bevoumllkerung ver- draumlngt sie schlieszligt sie aus Was bereits vor der WM begann geht nun weiter Die Polizei laquosammeltraquo Straszligenkinder und andere Obdachlose verstaumlrkt ein mehr Jugendliche kommen in Haft Sie alle sollen fuumlr die Tourist innen nicht sicht- bar sein Statt Ursachen fuumlr Armut und Gewalt zu bekaumlmpfen versperrt die Polizei seit neuestem jungen Maumlnnern die vermeintlich in Favelas leben und damit als moumlgliche Diebe gelten den Weg zu den oumlffentlichen Straumlnden der Stadt Busse aus aumlrmeren Vierteln fahren nicht mehr auf ihren uumlblichen Routen und werden fuumlr Kontrollen angehalten Die UNO forderte Brasilien Anfang Oktober 2015 auf die steigenden Zahlen auszligergesetzlicher Morde durch Polizist innen an Minder- jaumlhrigen aus einkommensschwachen Vierteln zu untersuchen

Von Beginn an begleitet das Brasilien-Buumlro der Heinrich-Boumlll-Stiftung die Vor- bereitungen und die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events kritisch Das tun wir gemeinsam mit unseren brasilianischen Partnerinnen und Partnern vor Ort Dabei wird deutlich dass die Ausrichtung solcher Groszligereignisse laumlngst ganz anderen Notwendigkeiten folgt als denen die der Sport vorgibt Mega-Events haben sich als Geschaumlftsmodell etabliert das dazu dient der Volkswirtschaft des Austragungslandes einen Vorteil zu verschaffen Der sportliche Wettkampf geraumlt gegenuumlber dem wirtschaftlichen Kampf um die beste Ausgangslage in einer globa- lisierten Welt ins Hintertreffen Verlierer dabei sind Demokratie und Menschen- rechte

Berlin im November 2015

Barbara Unmuumlszligig Ingrid Spiller Vorstand der Heinrich-Boumlll-Stiftung Referatsleiterin Lateinamerika

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1 Sportereignisse als Mega-Events

Der Praumlsident huumlpfte und weinte vor Freude Im Oktober 2009 gab das internationale Olympische Komitee der Bewerbung Brasiliens den Zuschlag fuumlr die Olympischen Sommerspiele 2016 Zwei Jahre vorher hatte sich Brasilien im Rennen um die Fuszlig-ball-Weltmeisterschaft 2014 durchgesetzt der kolumbianische Fuszligballverband hatte zuvor seine Bewerbung mit der Begruumlndung zuruumlckgezogen die Auflagen des inter-nationalen Fuszligballverbandes FIFA seien nicht zu bezahlen1 Luiz Inaacutecio Lula da Silva bezeichnete den Tag als den laquovielleicht wichtigsten meines Lebensraquo die Welt erkenne nun an laquodass Brasilien an der Reihe istraquo2 Es war die Kroumlnung einer achtjaumlhrigen Praumlsidentschaft an deren Ende Lula nach eigenen Angaben Brasilien nicht nur in eine Mittelschichtsgesellschaft verwandelt sondern Brasilien als siebtgroumlszligte Volks-wirtschaft der Erde Glaumlubiger des Internationalen Waumlhrungsfonds und Regional-hegemon mit Anspruch auf Mitsprache im Club der Weltmaumlchtigen etabliert hatte Der Economist brachte ein Brasilien-Spezial zum brasilianischen laquotake-offraquo auf dem Titelfoto startet die Christusstatue von Rio de Janeiro als Rakete durch steil nach oben3 Der internationale Bankenkollaps hatte die brasilianische Wirtschaft kaum beeintraumlchtigt im Jahr darauf wuchs sie um 75 Prozent

Genau in diesem Kontext standen die Bewerbungen Brasiliens um Fuszligball Welt- meisterschaft (WM) und Olympische Spiele Aumlhnlich wie die Olympischen Spiele 2008 in Peking stehen die sogenannten Mega-Events in Brasilien im Zeichen und im Kontext der neuen Rolle in Weltwirtschaft und Weltpolitik die Brasilien in Selbst- und Fremdwahrnehmung seit Jahrtausendbeginn zu uumlbernehmen begonnen hat Die Mega-Events sollen helfen diesen Prozess zu konsolidieren

Gut drei Jahre nach dem Olympia-Zuschlag waren die Zuwachsraten des Brutto-sozialproduktes (BSP) ebenso passeacute wie bei groszligen Bevoumllkerungsteilen die Geduld und Zuversicht Im Juni 2013 gingen voumlllig uumlberraschend sogar fuumlr den brasilia- nischen Geheimdienst Millionen Brasilianer auf die Straszlige und machten eine Rechnung auf Sie stellten die offiziell rund 8 Mrd Euro Ausgaben fuumlr die teuerste WM aller Zeiten der fortgesetzten Misere in den Bereichen gegenuumlber die das Fuumlhlen und Sehnen der Menschen unmittelbar bestimmen die Muumlhen ihres Alltags die eigene Gesundheit und die Zukunft ihrer Kinder Sie stellten fest dass sie immer mehr Zeit unter immer schlechteren Bedingungen im Nahverkehr verloren dass sich die Bildungskatastrophe im oumlffentlichen Grundschulwesen fortsetzte und ein jeder der allein auf das (im Prinzip lobenswerte universelle kostenlose aber

1 httpsrv-netdiariopopularcombr12_04_07p2703html2 httpesporteigcombrmais20091002lula+chora+pensava+que+nao+tinha+mais+moti-

vos+para+emocao+8725180html3 The Economist laquoBrazil takes offraquo 14112009

Public Viewing an der Copacabana in Rio waumlhrend der WM 2014

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chronisch unterversorgte) oumlffentliche Gesundheitswesen angewiesen war ein ernst-haftes Risiko fuumlr Leib und oft auch Leben einging Im September 2013 wiederholte der Economist sein Titelbild von 2009 nur dass die Christusrakete nun qualmend dem Abgrund entgegentaumelte Die Schlagzeile dieses Mal laquoHat Brasilien es ver- masselt raquo4

Die Nachfragen der Brasilianer und Brasilianerinnen an ihre Regierung waren berechtigt Denn die Ausgaben fuumlr Sport-Groszligereignisse haben sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht Einen Groszligteil der Ausgaben traumlgt der Staat mithin die Gemeinschaft der Steuerzahler Es geht also nicht um Spielverderben wenn bei Sportgroszligereignissen eine einfache Frage gestellt wird Wofuumlr und fuumlr wen ist dieses Ereignis Was ist der Spaszlig wert Und fuumlr wen ist es vielleicht gar nicht so spaszligig Denn wie auf dem gruumlnen Rasen gibt es auch in der Gesellschaft die das Ereignis ausrichtet Gewinner und Verlierer und die Folgen sind laquonachhaltigerraquo als jene Nachhaltigkeit die das Marketing verspricht Weil Mega-Events immer weniger nur punktuelle Ereignisse und immer mehr laumlngere politische soziale und oumlkono- mische Prozesse bedeuten werden diese Fragen von Mal zu Mal wichtiger Der vorliegende Text geht diesen Fragen anhand der Vorbereitungen auf die Olym- pischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro und der Bilanz der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach Er untersucht Kosten und Nutzen fuumlr Betroffene insbeson-dere fuumlr die an die sich auch der offizielle Diskurs wendet das Gros der staumldtischen Bevoumllkerung und identifiziert einige gesellschaftliche Folgen mit denen sich ver- mutlich auch zukuumlnftige Mega-Events auseinandersetzen muumlssen

In einer globalisierten Oumlkonomie sowie einem immer mehr vom Marketing abhaumlngigen Politikbetrieb haben Mega-Events eine wichtige Funktion Im welt- weiten Wettbewerb sollen sie vor allem Kapital generieren symbolisches wie wirt-schaftliches und finanzielles Mega-Events wie WM und Olympia so meine These sind erst in nachgeordneter Weise Sportereignisse Sie sind in erster Linie als be- sondere vielleicht einzigartige Geschaumlftsmodelle zu begreifen die transnationale Investitions- und Extraktionsprojekte in Stellung bringen Angesichts der Groumlszligen- ordnung der Projekte und der Akteure loumlsen sie soziale und oumlkonomische Pro-zesse von erheblicher Eingriffstiefe aus Die Eingriffe sind umso tiefer je groumlszliger die soziale Ungleichheit und je schwaumlcher die nationale Zivilgesellschaft ist

Nicht zuletzt deswegen treten Mega-Events dieses Zuschnitts so meine zweite These mit einer funktionierenden Demokratie in Konflikt Es ist daher auch aus einer Demokratie-Perspektive wichtig sich mit Mega-Events auseinanderzusetzen Indem sie immer auch als laquoTestraquo gelten fuumlr das naumlchste Ereignis sorgen sie fuumlr die Fortexistenz ihrer Art fuumlr den Fortfluss der Kapital- und Investitionsstroumlme Sie he- ben sich gleichsam im naumlchsten auf und das so zeigen die letzten Jahrzehnte immer auf einem laquohoumlherenraquo Niveau der Gewinne (vor allem fuumlr FIFA Olympische Komitees und groszlige Unternehmen der Baubranche) der Kosten (fuumlr die Gemein-schaft der Steuerzahler) und der sozialen Konsequenzen also die Lebenslage und Rechte von Menschen

4 The Economist laquoHas Brazil Blown It raquo 28092013

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2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

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verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

17

Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

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3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

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Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

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Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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INHALT

Vorwort 7

1 Sportereignisse als Mega -Events 9

2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro 13

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 27

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega -Events 37

5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega -Events 41

6 Mega -Events und Demokratie 46

(1) Deodoro (Hockey Centre Shooting Centre Deodoro Stadium Deodoro Aquatics CentreYouth Arena Mountain Bike Centre BMX Centre Whitewater Stadium Equestrian Centre)

(2) Maracanatilde (Maracanatilde Stadium Joatildeo Havelange Stadium Samboacutedromo Maracanatildezinho)(3) Copacabana (Lagoa Stadium Beach Volleyball Arena Fort Copacabana Marina da Gloacuteria)

(4a) Barra (Barra Olympic Park Rio Arena Aquatics Stadium Carioca Arena 1ndash3 Future ArenaTennis Centre Rio Velodrom Barra Aquatics Centre Riocentro Pavilion 2ndash4 6 Golf Course)

(4b) Barra (Pontal)

Olympische Spiele 2016 ndash Rio de Janeiro (Austragungszentren)

Quelle eigene Darstellung

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VORWORT

Reden wir Klartext Die hochfliegenden Versprechen welche Verbesserungen die Fuszligball-Weltmeisterschaft der Maumlnner 2014 den Menschen in Brasilien bringen sollte sind nicht eingehalten worden Im Gegenteil Die teuerste WM aller Zeiten hat dem Land nicht nur eine bittere sportliche Enttaumluschung beschert auch die oumlkonomischen und sozialen Kosten werden das Land noch langfristig beschaumlftigen

Mindestens 85 Mrd euro hat die Fuszligball-WM gekostet das ist mehr als das Doppelte der WM in Suumldafrika 2010 Rund 85 Prozent davon wurden anders als versprochen nicht mit privaten sondern mit oumlffentlichen Mitteln bzw Krediten finanziert Der positive volkswirtschaftliche Wachstumsimpuls hingegen blieb aus Das Wirtschaftswachstum fuumlr das ganze Jahr 2014 wird auf deutlich unter einem Prozent geschaumltzt Wie viel davon auf die WM zuruumlckzufuumlhren ist bleibt unklar

Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder davon bedroht gewesen Das Menschenrecht auf Wohnen wurde systematisch verletzt Der ver- sprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre er- wiesen Die Mittel flossen vor allem in den Aus- und Umbau der Flughaumlfen und der Anfahrtswege Die Mehrheit der Brasilianer innen hat nichts davon Die groszligen Pro-teste 2013 haben gezeigt was sie wirklich brauchen Schulen Kliniken einen funk- tionalen und funktionierenden Nahverkehr gerne nach laquoFIFA-Standardsraquo wie auf den Protestplakaten zu lesen war

Und nun Mit der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2016 hat Bra-silien eine neue Chance aus den Fehlern zu lernen und zu zeigen dass sportliche Mega-Events positive Impulse fuumlr die Allgemeinheit geben koumlnnen Auch hier sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn im Hafenviertel Busschnell- trassen laumlngere und neue Metrolinien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem Rios Gewaumlsser sollen sauberer werden Fuumlr die Guanabara-Bucht versprach die Stadt in ihrer Bewerbung mindestens 80 Prozent des Gewaumlssers zu reinigen Bei der Finanzierung soll der private Sektor einen wesentlichen Anteil uumlbernehmen

Sicherlich werden einige Fehler nicht wiederholt werden Die Flughaumlfen sind bereits gebaut die staumldtische Infrastruktur von Rio de Janeiro wo die olympischen Spiele stattfinden kann mit einigen Verbesserungen rechnen von denen auch die Bevoumllkerung profitieren kann Die vier neu zu bauenden Schnellbustrassen ver- binden naumlmlich nicht nur die wichtigen Sportstaumltten sondern auch verschiedene Stadtteile untereinander und mit dem Zentrum und dem Flughafen

Doch im Wesentlichen setzt Olympia fort was mit der WM begonnen hat die ndash in der Regel sozial schwache ndash Bevoumllkerung wird aus Stadtteilen verdraumlngt die zu- nehmend attraktiv fuumlr Unternehmer werden und Investoren nach Rio locken sollen V

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Das Olympische Dorf ist Teil des Plans den Westen der Stadt als Wohn- und Arbeitsort fuumlr die Elite zu erschlieszligen Der Investor des Olympischen Dorfs Carlos Carvalho nannte das Projekt laquoReine Inselraquo (Ilha Pura) Anders als zB im Suumlden Rios wo Favelas direkt zwischen den Wohnhaumlusern der einkommensstaumlrkeren Familien liegen wird es sich hier um ein exklusives Wohngebiet fuumlr die Elite han- deln Carvalho ist einer der Hauptgewinner dieses staumldtischen Strukturwandels Ihm gehoumlrt nicht nur der Grund und Boden auf dem das Olympische Dorf ent- steht Sobald die Athlet innen die neugebauten Apartments nach den Spielen nicht mehr nutzen und weitere Wohnbloumlcke auf dem Areal gebaut sind profitiert er als Hauptinvestor und Bauunternehmer auch vom Verkauf der Luxuswohnungen

Olympia ist sicherlich eine aufregende Sportveranstaltung aber verschaumlrft lei-der immer wieder soziale Ungleichheiten verletzt die Rechte der Bevoumllkerung ver- draumlngt sie schlieszligt sie aus Was bereits vor der WM begann geht nun weiter Die Polizei laquosammeltraquo Straszligenkinder und andere Obdachlose verstaumlrkt ein mehr Jugendliche kommen in Haft Sie alle sollen fuumlr die Tourist innen nicht sicht- bar sein Statt Ursachen fuumlr Armut und Gewalt zu bekaumlmpfen versperrt die Polizei seit neuestem jungen Maumlnnern die vermeintlich in Favelas leben und damit als moumlgliche Diebe gelten den Weg zu den oumlffentlichen Straumlnden der Stadt Busse aus aumlrmeren Vierteln fahren nicht mehr auf ihren uumlblichen Routen und werden fuumlr Kontrollen angehalten Die UNO forderte Brasilien Anfang Oktober 2015 auf die steigenden Zahlen auszligergesetzlicher Morde durch Polizist innen an Minder- jaumlhrigen aus einkommensschwachen Vierteln zu untersuchen

Von Beginn an begleitet das Brasilien-Buumlro der Heinrich-Boumlll-Stiftung die Vor- bereitungen und die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events kritisch Das tun wir gemeinsam mit unseren brasilianischen Partnerinnen und Partnern vor Ort Dabei wird deutlich dass die Ausrichtung solcher Groszligereignisse laumlngst ganz anderen Notwendigkeiten folgt als denen die der Sport vorgibt Mega-Events haben sich als Geschaumlftsmodell etabliert das dazu dient der Volkswirtschaft des Austragungslandes einen Vorteil zu verschaffen Der sportliche Wettkampf geraumlt gegenuumlber dem wirtschaftlichen Kampf um die beste Ausgangslage in einer globa- lisierten Welt ins Hintertreffen Verlierer dabei sind Demokratie und Menschen- rechte

Berlin im November 2015

Barbara Unmuumlszligig Ingrid Spiller Vorstand der Heinrich-Boumlll-Stiftung Referatsleiterin Lateinamerika

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1 Sportereignisse als Mega-Events

Der Praumlsident huumlpfte und weinte vor Freude Im Oktober 2009 gab das internationale Olympische Komitee der Bewerbung Brasiliens den Zuschlag fuumlr die Olympischen Sommerspiele 2016 Zwei Jahre vorher hatte sich Brasilien im Rennen um die Fuszlig-ball-Weltmeisterschaft 2014 durchgesetzt der kolumbianische Fuszligballverband hatte zuvor seine Bewerbung mit der Begruumlndung zuruumlckgezogen die Auflagen des inter-nationalen Fuszligballverbandes FIFA seien nicht zu bezahlen1 Luiz Inaacutecio Lula da Silva bezeichnete den Tag als den laquovielleicht wichtigsten meines Lebensraquo die Welt erkenne nun an laquodass Brasilien an der Reihe istraquo2 Es war die Kroumlnung einer achtjaumlhrigen Praumlsidentschaft an deren Ende Lula nach eigenen Angaben Brasilien nicht nur in eine Mittelschichtsgesellschaft verwandelt sondern Brasilien als siebtgroumlszligte Volks-wirtschaft der Erde Glaumlubiger des Internationalen Waumlhrungsfonds und Regional-hegemon mit Anspruch auf Mitsprache im Club der Weltmaumlchtigen etabliert hatte Der Economist brachte ein Brasilien-Spezial zum brasilianischen laquotake-offraquo auf dem Titelfoto startet die Christusstatue von Rio de Janeiro als Rakete durch steil nach oben3 Der internationale Bankenkollaps hatte die brasilianische Wirtschaft kaum beeintraumlchtigt im Jahr darauf wuchs sie um 75 Prozent

Genau in diesem Kontext standen die Bewerbungen Brasiliens um Fuszligball Welt- meisterschaft (WM) und Olympische Spiele Aumlhnlich wie die Olympischen Spiele 2008 in Peking stehen die sogenannten Mega-Events in Brasilien im Zeichen und im Kontext der neuen Rolle in Weltwirtschaft und Weltpolitik die Brasilien in Selbst- und Fremdwahrnehmung seit Jahrtausendbeginn zu uumlbernehmen begonnen hat Die Mega-Events sollen helfen diesen Prozess zu konsolidieren

Gut drei Jahre nach dem Olympia-Zuschlag waren die Zuwachsraten des Brutto-sozialproduktes (BSP) ebenso passeacute wie bei groszligen Bevoumllkerungsteilen die Geduld und Zuversicht Im Juni 2013 gingen voumlllig uumlberraschend sogar fuumlr den brasilia- nischen Geheimdienst Millionen Brasilianer auf die Straszlige und machten eine Rechnung auf Sie stellten die offiziell rund 8 Mrd Euro Ausgaben fuumlr die teuerste WM aller Zeiten der fortgesetzten Misere in den Bereichen gegenuumlber die das Fuumlhlen und Sehnen der Menschen unmittelbar bestimmen die Muumlhen ihres Alltags die eigene Gesundheit und die Zukunft ihrer Kinder Sie stellten fest dass sie immer mehr Zeit unter immer schlechteren Bedingungen im Nahverkehr verloren dass sich die Bildungskatastrophe im oumlffentlichen Grundschulwesen fortsetzte und ein jeder der allein auf das (im Prinzip lobenswerte universelle kostenlose aber

1 httpsrv-netdiariopopularcombr12_04_07p2703html2 httpesporteigcombrmais20091002lula+chora+pensava+que+nao+tinha+mais+moti-

vos+para+emocao+8725180html3 The Economist laquoBrazil takes offraquo 14112009

Public Viewing an der Copacabana in Rio waumlhrend der WM 2014

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chronisch unterversorgte) oumlffentliche Gesundheitswesen angewiesen war ein ernst-haftes Risiko fuumlr Leib und oft auch Leben einging Im September 2013 wiederholte der Economist sein Titelbild von 2009 nur dass die Christusrakete nun qualmend dem Abgrund entgegentaumelte Die Schlagzeile dieses Mal laquoHat Brasilien es ver- masselt raquo4

Die Nachfragen der Brasilianer und Brasilianerinnen an ihre Regierung waren berechtigt Denn die Ausgaben fuumlr Sport-Groszligereignisse haben sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht Einen Groszligteil der Ausgaben traumlgt der Staat mithin die Gemeinschaft der Steuerzahler Es geht also nicht um Spielverderben wenn bei Sportgroszligereignissen eine einfache Frage gestellt wird Wofuumlr und fuumlr wen ist dieses Ereignis Was ist der Spaszlig wert Und fuumlr wen ist es vielleicht gar nicht so spaszligig Denn wie auf dem gruumlnen Rasen gibt es auch in der Gesellschaft die das Ereignis ausrichtet Gewinner und Verlierer und die Folgen sind laquonachhaltigerraquo als jene Nachhaltigkeit die das Marketing verspricht Weil Mega-Events immer weniger nur punktuelle Ereignisse und immer mehr laumlngere politische soziale und oumlkono- mische Prozesse bedeuten werden diese Fragen von Mal zu Mal wichtiger Der vorliegende Text geht diesen Fragen anhand der Vorbereitungen auf die Olym- pischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro und der Bilanz der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach Er untersucht Kosten und Nutzen fuumlr Betroffene insbeson-dere fuumlr die an die sich auch der offizielle Diskurs wendet das Gros der staumldtischen Bevoumllkerung und identifiziert einige gesellschaftliche Folgen mit denen sich ver- mutlich auch zukuumlnftige Mega-Events auseinandersetzen muumlssen

In einer globalisierten Oumlkonomie sowie einem immer mehr vom Marketing abhaumlngigen Politikbetrieb haben Mega-Events eine wichtige Funktion Im welt- weiten Wettbewerb sollen sie vor allem Kapital generieren symbolisches wie wirt-schaftliches und finanzielles Mega-Events wie WM und Olympia so meine These sind erst in nachgeordneter Weise Sportereignisse Sie sind in erster Linie als be- sondere vielleicht einzigartige Geschaumlftsmodelle zu begreifen die transnationale Investitions- und Extraktionsprojekte in Stellung bringen Angesichts der Groumlszligen- ordnung der Projekte und der Akteure loumlsen sie soziale und oumlkonomische Pro-zesse von erheblicher Eingriffstiefe aus Die Eingriffe sind umso tiefer je groumlszliger die soziale Ungleichheit und je schwaumlcher die nationale Zivilgesellschaft ist

Nicht zuletzt deswegen treten Mega-Events dieses Zuschnitts so meine zweite These mit einer funktionierenden Demokratie in Konflikt Es ist daher auch aus einer Demokratie-Perspektive wichtig sich mit Mega-Events auseinanderzusetzen Indem sie immer auch als laquoTestraquo gelten fuumlr das naumlchste Ereignis sorgen sie fuumlr die Fortexistenz ihrer Art fuumlr den Fortfluss der Kapital- und Investitionsstroumlme Sie he- ben sich gleichsam im naumlchsten auf und das so zeigen die letzten Jahrzehnte immer auf einem laquohoumlherenraquo Niveau der Gewinne (vor allem fuumlr FIFA Olympische Komitees und groszlige Unternehmen der Baubranche) der Kosten (fuumlr die Gemein-schaft der Steuerzahler) und der sozialen Konsequenzen also die Lebenslage und Rechte von Menschen

4 The Economist laquoHas Brazil Blown It raquo 28092013

13

2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

15

verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

17

Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

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Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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(1) Deodoro (Hockey Centre Shooting Centre Deodoro Stadium Deodoro Aquatics CentreYouth Arena Mountain Bike Centre BMX Centre Whitewater Stadium Equestrian Centre)

(2) Maracanatilde (Maracanatilde Stadium Joatildeo Havelange Stadium Samboacutedromo Maracanatildezinho)(3) Copacabana (Lagoa Stadium Beach Volleyball Arena Fort Copacabana Marina da Gloacuteria)

(4a) Barra (Barra Olympic Park Rio Arena Aquatics Stadium Carioca Arena 1ndash3 Future ArenaTennis Centre Rio Velodrom Barra Aquatics Centre Riocentro Pavilion 2ndash4 6 Golf Course)

(4b) Barra (Pontal)

Olympische Spiele 2016 ndash Rio de Janeiro (Austragungszentren)

Quelle eigene Darstellung

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VORWORT

Reden wir Klartext Die hochfliegenden Versprechen welche Verbesserungen die Fuszligball-Weltmeisterschaft der Maumlnner 2014 den Menschen in Brasilien bringen sollte sind nicht eingehalten worden Im Gegenteil Die teuerste WM aller Zeiten hat dem Land nicht nur eine bittere sportliche Enttaumluschung beschert auch die oumlkonomischen und sozialen Kosten werden das Land noch langfristig beschaumlftigen

Mindestens 85 Mrd euro hat die Fuszligball-WM gekostet das ist mehr als das Doppelte der WM in Suumldafrika 2010 Rund 85 Prozent davon wurden anders als versprochen nicht mit privaten sondern mit oumlffentlichen Mitteln bzw Krediten finanziert Der positive volkswirtschaftliche Wachstumsimpuls hingegen blieb aus Das Wirtschaftswachstum fuumlr das ganze Jahr 2014 wird auf deutlich unter einem Prozent geschaumltzt Wie viel davon auf die WM zuruumlckzufuumlhren ist bleibt unklar

Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder davon bedroht gewesen Das Menschenrecht auf Wohnen wurde systematisch verletzt Der ver- sprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre er- wiesen Die Mittel flossen vor allem in den Aus- und Umbau der Flughaumlfen und der Anfahrtswege Die Mehrheit der Brasilianer innen hat nichts davon Die groszligen Pro-teste 2013 haben gezeigt was sie wirklich brauchen Schulen Kliniken einen funk- tionalen und funktionierenden Nahverkehr gerne nach laquoFIFA-Standardsraquo wie auf den Protestplakaten zu lesen war

Und nun Mit der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2016 hat Bra-silien eine neue Chance aus den Fehlern zu lernen und zu zeigen dass sportliche Mega-Events positive Impulse fuumlr die Allgemeinheit geben koumlnnen Auch hier sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn im Hafenviertel Busschnell- trassen laumlngere und neue Metrolinien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem Rios Gewaumlsser sollen sauberer werden Fuumlr die Guanabara-Bucht versprach die Stadt in ihrer Bewerbung mindestens 80 Prozent des Gewaumlssers zu reinigen Bei der Finanzierung soll der private Sektor einen wesentlichen Anteil uumlbernehmen

Sicherlich werden einige Fehler nicht wiederholt werden Die Flughaumlfen sind bereits gebaut die staumldtische Infrastruktur von Rio de Janeiro wo die olympischen Spiele stattfinden kann mit einigen Verbesserungen rechnen von denen auch die Bevoumllkerung profitieren kann Die vier neu zu bauenden Schnellbustrassen ver- binden naumlmlich nicht nur die wichtigen Sportstaumltten sondern auch verschiedene Stadtteile untereinander und mit dem Zentrum und dem Flughafen

Doch im Wesentlichen setzt Olympia fort was mit der WM begonnen hat die ndash in der Regel sozial schwache ndash Bevoumllkerung wird aus Stadtteilen verdraumlngt die zu- nehmend attraktiv fuumlr Unternehmer werden und Investoren nach Rio locken sollen V

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Das Olympische Dorf ist Teil des Plans den Westen der Stadt als Wohn- und Arbeitsort fuumlr die Elite zu erschlieszligen Der Investor des Olympischen Dorfs Carlos Carvalho nannte das Projekt laquoReine Inselraquo (Ilha Pura) Anders als zB im Suumlden Rios wo Favelas direkt zwischen den Wohnhaumlusern der einkommensstaumlrkeren Familien liegen wird es sich hier um ein exklusives Wohngebiet fuumlr die Elite han- deln Carvalho ist einer der Hauptgewinner dieses staumldtischen Strukturwandels Ihm gehoumlrt nicht nur der Grund und Boden auf dem das Olympische Dorf ent- steht Sobald die Athlet innen die neugebauten Apartments nach den Spielen nicht mehr nutzen und weitere Wohnbloumlcke auf dem Areal gebaut sind profitiert er als Hauptinvestor und Bauunternehmer auch vom Verkauf der Luxuswohnungen

Olympia ist sicherlich eine aufregende Sportveranstaltung aber verschaumlrft lei-der immer wieder soziale Ungleichheiten verletzt die Rechte der Bevoumllkerung ver- draumlngt sie schlieszligt sie aus Was bereits vor der WM begann geht nun weiter Die Polizei laquosammeltraquo Straszligenkinder und andere Obdachlose verstaumlrkt ein mehr Jugendliche kommen in Haft Sie alle sollen fuumlr die Tourist innen nicht sicht- bar sein Statt Ursachen fuumlr Armut und Gewalt zu bekaumlmpfen versperrt die Polizei seit neuestem jungen Maumlnnern die vermeintlich in Favelas leben und damit als moumlgliche Diebe gelten den Weg zu den oumlffentlichen Straumlnden der Stadt Busse aus aumlrmeren Vierteln fahren nicht mehr auf ihren uumlblichen Routen und werden fuumlr Kontrollen angehalten Die UNO forderte Brasilien Anfang Oktober 2015 auf die steigenden Zahlen auszligergesetzlicher Morde durch Polizist innen an Minder- jaumlhrigen aus einkommensschwachen Vierteln zu untersuchen

Von Beginn an begleitet das Brasilien-Buumlro der Heinrich-Boumlll-Stiftung die Vor- bereitungen und die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events kritisch Das tun wir gemeinsam mit unseren brasilianischen Partnerinnen und Partnern vor Ort Dabei wird deutlich dass die Ausrichtung solcher Groszligereignisse laumlngst ganz anderen Notwendigkeiten folgt als denen die der Sport vorgibt Mega-Events haben sich als Geschaumlftsmodell etabliert das dazu dient der Volkswirtschaft des Austragungslandes einen Vorteil zu verschaffen Der sportliche Wettkampf geraumlt gegenuumlber dem wirtschaftlichen Kampf um die beste Ausgangslage in einer globa- lisierten Welt ins Hintertreffen Verlierer dabei sind Demokratie und Menschen- rechte

Berlin im November 2015

Barbara Unmuumlszligig Ingrid Spiller Vorstand der Heinrich-Boumlll-Stiftung Referatsleiterin Lateinamerika

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1 Sportereignisse als Mega-Events

Der Praumlsident huumlpfte und weinte vor Freude Im Oktober 2009 gab das internationale Olympische Komitee der Bewerbung Brasiliens den Zuschlag fuumlr die Olympischen Sommerspiele 2016 Zwei Jahre vorher hatte sich Brasilien im Rennen um die Fuszlig-ball-Weltmeisterschaft 2014 durchgesetzt der kolumbianische Fuszligballverband hatte zuvor seine Bewerbung mit der Begruumlndung zuruumlckgezogen die Auflagen des inter-nationalen Fuszligballverbandes FIFA seien nicht zu bezahlen1 Luiz Inaacutecio Lula da Silva bezeichnete den Tag als den laquovielleicht wichtigsten meines Lebensraquo die Welt erkenne nun an laquodass Brasilien an der Reihe istraquo2 Es war die Kroumlnung einer achtjaumlhrigen Praumlsidentschaft an deren Ende Lula nach eigenen Angaben Brasilien nicht nur in eine Mittelschichtsgesellschaft verwandelt sondern Brasilien als siebtgroumlszligte Volks-wirtschaft der Erde Glaumlubiger des Internationalen Waumlhrungsfonds und Regional-hegemon mit Anspruch auf Mitsprache im Club der Weltmaumlchtigen etabliert hatte Der Economist brachte ein Brasilien-Spezial zum brasilianischen laquotake-offraquo auf dem Titelfoto startet die Christusstatue von Rio de Janeiro als Rakete durch steil nach oben3 Der internationale Bankenkollaps hatte die brasilianische Wirtschaft kaum beeintraumlchtigt im Jahr darauf wuchs sie um 75 Prozent

Genau in diesem Kontext standen die Bewerbungen Brasiliens um Fuszligball Welt- meisterschaft (WM) und Olympische Spiele Aumlhnlich wie die Olympischen Spiele 2008 in Peking stehen die sogenannten Mega-Events in Brasilien im Zeichen und im Kontext der neuen Rolle in Weltwirtschaft und Weltpolitik die Brasilien in Selbst- und Fremdwahrnehmung seit Jahrtausendbeginn zu uumlbernehmen begonnen hat Die Mega-Events sollen helfen diesen Prozess zu konsolidieren

Gut drei Jahre nach dem Olympia-Zuschlag waren die Zuwachsraten des Brutto-sozialproduktes (BSP) ebenso passeacute wie bei groszligen Bevoumllkerungsteilen die Geduld und Zuversicht Im Juni 2013 gingen voumlllig uumlberraschend sogar fuumlr den brasilia- nischen Geheimdienst Millionen Brasilianer auf die Straszlige und machten eine Rechnung auf Sie stellten die offiziell rund 8 Mrd Euro Ausgaben fuumlr die teuerste WM aller Zeiten der fortgesetzten Misere in den Bereichen gegenuumlber die das Fuumlhlen und Sehnen der Menschen unmittelbar bestimmen die Muumlhen ihres Alltags die eigene Gesundheit und die Zukunft ihrer Kinder Sie stellten fest dass sie immer mehr Zeit unter immer schlechteren Bedingungen im Nahverkehr verloren dass sich die Bildungskatastrophe im oumlffentlichen Grundschulwesen fortsetzte und ein jeder der allein auf das (im Prinzip lobenswerte universelle kostenlose aber

1 httpsrv-netdiariopopularcombr12_04_07p2703html2 httpesporteigcombrmais20091002lula+chora+pensava+que+nao+tinha+mais+moti-

vos+para+emocao+8725180html3 The Economist laquoBrazil takes offraquo 14112009

Public Viewing an der Copacabana in Rio waumlhrend der WM 2014

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chronisch unterversorgte) oumlffentliche Gesundheitswesen angewiesen war ein ernst-haftes Risiko fuumlr Leib und oft auch Leben einging Im September 2013 wiederholte der Economist sein Titelbild von 2009 nur dass die Christusrakete nun qualmend dem Abgrund entgegentaumelte Die Schlagzeile dieses Mal laquoHat Brasilien es ver- masselt raquo4

Die Nachfragen der Brasilianer und Brasilianerinnen an ihre Regierung waren berechtigt Denn die Ausgaben fuumlr Sport-Groszligereignisse haben sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht Einen Groszligteil der Ausgaben traumlgt der Staat mithin die Gemeinschaft der Steuerzahler Es geht also nicht um Spielverderben wenn bei Sportgroszligereignissen eine einfache Frage gestellt wird Wofuumlr und fuumlr wen ist dieses Ereignis Was ist der Spaszlig wert Und fuumlr wen ist es vielleicht gar nicht so spaszligig Denn wie auf dem gruumlnen Rasen gibt es auch in der Gesellschaft die das Ereignis ausrichtet Gewinner und Verlierer und die Folgen sind laquonachhaltigerraquo als jene Nachhaltigkeit die das Marketing verspricht Weil Mega-Events immer weniger nur punktuelle Ereignisse und immer mehr laumlngere politische soziale und oumlkono- mische Prozesse bedeuten werden diese Fragen von Mal zu Mal wichtiger Der vorliegende Text geht diesen Fragen anhand der Vorbereitungen auf die Olym- pischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro und der Bilanz der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach Er untersucht Kosten und Nutzen fuumlr Betroffene insbeson-dere fuumlr die an die sich auch der offizielle Diskurs wendet das Gros der staumldtischen Bevoumllkerung und identifiziert einige gesellschaftliche Folgen mit denen sich ver- mutlich auch zukuumlnftige Mega-Events auseinandersetzen muumlssen

In einer globalisierten Oumlkonomie sowie einem immer mehr vom Marketing abhaumlngigen Politikbetrieb haben Mega-Events eine wichtige Funktion Im welt- weiten Wettbewerb sollen sie vor allem Kapital generieren symbolisches wie wirt-schaftliches und finanzielles Mega-Events wie WM und Olympia so meine These sind erst in nachgeordneter Weise Sportereignisse Sie sind in erster Linie als be- sondere vielleicht einzigartige Geschaumlftsmodelle zu begreifen die transnationale Investitions- und Extraktionsprojekte in Stellung bringen Angesichts der Groumlszligen- ordnung der Projekte und der Akteure loumlsen sie soziale und oumlkonomische Pro-zesse von erheblicher Eingriffstiefe aus Die Eingriffe sind umso tiefer je groumlszliger die soziale Ungleichheit und je schwaumlcher die nationale Zivilgesellschaft ist

Nicht zuletzt deswegen treten Mega-Events dieses Zuschnitts so meine zweite These mit einer funktionierenden Demokratie in Konflikt Es ist daher auch aus einer Demokratie-Perspektive wichtig sich mit Mega-Events auseinanderzusetzen Indem sie immer auch als laquoTestraquo gelten fuumlr das naumlchste Ereignis sorgen sie fuumlr die Fortexistenz ihrer Art fuumlr den Fortfluss der Kapital- und Investitionsstroumlme Sie he- ben sich gleichsam im naumlchsten auf und das so zeigen die letzten Jahrzehnte immer auf einem laquohoumlherenraquo Niveau der Gewinne (vor allem fuumlr FIFA Olympische Komitees und groszlige Unternehmen der Baubranche) der Kosten (fuumlr die Gemein-schaft der Steuerzahler) und der sozialen Konsequenzen also die Lebenslage und Rechte von Menschen

4 The Economist laquoHas Brazil Blown It raquo 28092013

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2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

15

verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

17

Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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VORWORT

Reden wir Klartext Die hochfliegenden Versprechen welche Verbesserungen die Fuszligball-Weltmeisterschaft der Maumlnner 2014 den Menschen in Brasilien bringen sollte sind nicht eingehalten worden Im Gegenteil Die teuerste WM aller Zeiten hat dem Land nicht nur eine bittere sportliche Enttaumluschung beschert auch die oumlkonomischen und sozialen Kosten werden das Land noch langfristig beschaumlftigen

Mindestens 85 Mrd euro hat die Fuszligball-WM gekostet das ist mehr als das Doppelte der WM in Suumldafrika 2010 Rund 85 Prozent davon wurden anders als versprochen nicht mit privaten sondern mit oumlffentlichen Mitteln bzw Krediten finanziert Der positive volkswirtschaftliche Wachstumsimpuls hingegen blieb aus Das Wirtschaftswachstum fuumlr das ganze Jahr 2014 wird auf deutlich unter einem Prozent geschaumltzt Wie viel davon auf die WM zuruumlckzufuumlhren ist bleibt unklar

Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder davon bedroht gewesen Das Menschenrecht auf Wohnen wurde systematisch verletzt Der ver- sprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre er- wiesen Die Mittel flossen vor allem in den Aus- und Umbau der Flughaumlfen und der Anfahrtswege Die Mehrheit der Brasilianer innen hat nichts davon Die groszligen Pro-teste 2013 haben gezeigt was sie wirklich brauchen Schulen Kliniken einen funk- tionalen und funktionierenden Nahverkehr gerne nach laquoFIFA-Standardsraquo wie auf den Protestplakaten zu lesen war

Und nun Mit der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2016 hat Bra-silien eine neue Chance aus den Fehlern zu lernen und zu zeigen dass sportliche Mega-Events positive Impulse fuumlr die Allgemeinheit geben koumlnnen Auch hier sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn im Hafenviertel Busschnell- trassen laumlngere und neue Metrolinien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem Rios Gewaumlsser sollen sauberer werden Fuumlr die Guanabara-Bucht versprach die Stadt in ihrer Bewerbung mindestens 80 Prozent des Gewaumlssers zu reinigen Bei der Finanzierung soll der private Sektor einen wesentlichen Anteil uumlbernehmen

Sicherlich werden einige Fehler nicht wiederholt werden Die Flughaumlfen sind bereits gebaut die staumldtische Infrastruktur von Rio de Janeiro wo die olympischen Spiele stattfinden kann mit einigen Verbesserungen rechnen von denen auch die Bevoumllkerung profitieren kann Die vier neu zu bauenden Schnellbustrassen ver- binden naumlmlich nicht nur die wichtigen Sportstaumltten sondern auch verschiedene Stadtteile untereinander und mit dem Zentrum und dem Flughafen

Doch im Wesentlichen setzt Olympia fort was mit der WM begonnen hat die ndash in der Regel sozial schwache ndash Bevoumllkerung wird aus Stadtteilen verdraumlngt die zu- nehmend attraktiv fuumlr Unternehmer werden und Investoren nach Rio locken sollen V

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Das Olympische Dorf ist Teil des Plans den Westen der Stadt als Wohn- und Arbeitsort fuumlr die Elite zu erschlieszligen Der Investor des Olympischen Dorfs Carlos Carvalho nannte das Projekt laquoReine Inselraquo (Ilha Pura) Anders als zB im Suumlden Rios wo Favelas direkt zwischen den Wohnhaumlusern der einkommensstaumlrkeren Familien liegen wird es sich hier um ein exklusives Wohngebiet fuumlr die Elite han- deln Carvalho ist einer der Hauptgewinner dieses staumldtischen Strukturwandels Ihm gehoumlrt nicht nur der Grund und Boden auf dem das Olympische Dorf ent- steht Sobald die Athlet innen die neugebauten Apartments nach den Spielen nicht mehr nutzen und weitere Wohnbloumlcke auf dem Areal gebaut sind profitiert er als Hauptinvestor und Bauunternehmer auch vom Verkauf der Luxuswohnungen

Olympia ist sicherlich eine aufregende Sportveranstaltung aber verschaumlrft lei-der immer wieder soziale Ungleichheiten verletzt die Rechte der Bevoumllkerung ver- draumlngt sie schlieszligt sie aus Was bereits vor der WM begann geht nun weiter Die Polizei laquosammeltraquo Straszligenkinder und andere Obdachlose verstaumlrkt ein mehr Jugendliche kommen in Haft Sie alle sollen fuumlr die Tourist innen nicht sicht- bar sein Statt Ursachen fuumlr Armut und Gewalt zu bekaumlmpfen versperrt die Polizei seit neuestem jungen Maumlnnern die vermeintlich in Favelas leben und damit als moumlgliche Diebe gelten den Weg zu den oumlffentlichen Straumlnden der Stadt Busse aus aumlrmeren Vierteln fahren nicht mehr auf ihren uumlblichen Routen und werden fuumlr Kontrollen angehalten Die UNO forderte Brasilien Anfang Oktober 2015 auf die steigenden Zahlen auszligergesetzlicher Morde durch Polizist innen an Minder- jaumlhrigen aus einkommensschwachen Vierteln zu untersuchen

Von Beginn an begleitet das Brasilien-Buumlro der Heinrich-Boumlll-Stiftung die Vor- bereitungen und die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events kritisch Das tun wir gemeinsam mit unseren brasilianischen Partnerinnen und Partnern vor Ort Dabei wird deutlich dass die Ausrichtung solcher Groszligereignisse laumlngst ganz anderen Notwendigkeiten folgt als denen die der Sport vorgibt Mega-Events haben sich als Geschaumlftsmodell etabliert das dazu dient der Volkswirtschaft des Austragungslandes einen Vorteil zu verschaffen Der sportliche Wettkampf geraumlt gegenuumlber dem wirtschaftlichen Kampf um die beste Ausgangslage in einer globa- lisierten Welt ins Hintertreffen Verlierer dabei sind Demokratie und Menschen- rechte

Berlin im November 2015

Barbara Unmuumlszligig Ingrid Spiller Vorstand der Heinrich-Boumlll-Stiftung Referatsleiterin Lateinamerika

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1 Sportereignisse als Mega-Events

Der Praumlsident huumlpfte und weinte vor Freude Im Oktober 2009 gab das internationale Olympische Komitee der Bewerbung Brasiliens den Zuschlag fuumlr die Olympischen Sommerspiele 2016 Zwei Jahre vorher hatte sich Brasilien im Rennen um die Fuszlig-ball-Weltmeisterschaft 2014 durchgesetzt der kolumbianische Fuszligballverband hatte zuvor seine Bewerbung mit der Begruumlndung zuruumlckgezogen die Auflagen des inter-nationalen Fuszligballverbandes FIFA seien nicht zu bezahlen1 Luiz Inaacutecio Lula da Silva bezeichnete den Tag als den laquovielleicht wichtigsten meines Lebensraquo die Welt erkenne nun an laquodass Brasilien an der Reihe istraquo2 Es war die Kroumlnung einer achtjaumlhrigen Praumlsidentschaft an deren Ende Lula nach eigenen Angaben Brasilien nicht nur in eine Mittelschichtsgesellschaft verwandelt sondern Brasilien als siebtgroumlszligte Volks-wirtschaft der Erde Glaumlubiger des Internationalen Waumlhrungsfonds und Regional-hegemon mit Anspruch auf Mitsprache im Club der Weltmaumlchtigen etabliert hatte Der Economist brachte ein Brasilien-Spezial zum brasilianischen laquotake-offraquo auf dem Titelfoto startet die Christusstatue von Rio de Janeiro als Rakete durch steil nach oben3 Der internationale Bankenkollaps hatte die brasilianische Wirtschaft kaum beeintraumlchtigt im Jahr darauf wuchs sie um 75 Prozent

Genau in diesem Kontext standen die Bewerbungen Brasiliens um Fuszligball Welt- meisterschaft (WM) und Olympische Spiele Aumlhnlich wie die Olympischen Spiele 2008 in Peking stehen die sogenannten Mega-Events in Brasilien im Zeichen und im Kontext der neuen Rolle in Weltwirtschaft und Weltpolitik die Brasilien in Selbst- und Fremdwahrnehmung seit Jahrtausendbeginn zu uumlbernehmen begonnen hat Die Mega-Events sollen helfen diesen Prozess zu konsolidieren

Gut drei Jahre nach dem Olympia-Zuschlag waren die Zuwachsraten des Brutto-sozialproduktes (BSP) ebenso passeacute wie bei groszligen Bevoumllkerungsteilen die Geduld und Zuversicht Im Juni 2013 gingen voumlllig uumlberraschend sogar fuumlr den brasilia- nischen Geheimdienst Millionen Brasilianer auf die Straszlige und machten eine Rechnung auf Sie stellten die offiziell rund 8 Mrd Euro Ausgaben fuumlr die teuerste WM aller Zeiten der fortgesetzten Misere in den Bereichen gegenuumlber die das Fuumlhlen und Sehnen der Menschen unmittelbar bestimmen die Muumlhen ihres Alltags die eigene Gesundheit und die Zukunft ihrer Kinder Sie stellten fest dass sie immer mehr Zeit unter immer schlechteren Bedingungen im Nahverkehr verloren dass sich die Bildungskatastrophe im oumlffentlichen Grundschulwesen fortsetzte und ein jeder der allein auf das (im Prinzip lobenswerte universelle kostenlose aber

1 httpsrv-netdiariopopularcombr12_04_07p2703html2 httpesporteigcombrmais20091002lula+chora+pensava+que+nao+tinha+mais+moti-

vos+para+emocao+8725180html3 The Economist laquoBrazil takes offraquo 14112009

Public Viewing an der Copacabana in Rio waumlhrend der WM 2014

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chronisch unterversorgte) oumlffentliche Gesundheitswesen angewiesen war ein ernst-haftes Risiko fuumlr Leib und oft auch Leben einging Im September 2013 wiederholte der Economist sein Titelbild von 2009 nur dass die Christusrakete nun qualmend dem Abgrund entgegentaumelte Die Schlagzeile dieses Mal laquoHat Brasilien es ver- masselt raquo4

Die Nachfragen der Brasilianer und Brasilianerinnen an ihre Regierung waren berechtigt Denn die Ausgaben fuumlr Sport-Groszligereignisse haben sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht Einen Groszligteil der Ausgaben traumlgt der Staat mithin die Gemeinschaft der Steuerzahler Es geht also nicht um Spielverderben wenn bei Sportgroszligereignissen eine einfache Frage gestellt wird Wofuumlr und fuumlr wen ist dieses Ereignis Was ist der Spaszlig wert Und fuumlr wen ist es vielleicht gar nicht so spaszligig Denn wie auf dem gruumlnen Rasen gibt es auch in der Gesellschaft die das Ereignis ausrichtet Gewinner und Verlierer und die Folgen sind laquonachhaltigerraquo als jene Nachhaltigkeit die das Marketing verspricht Weil Mega-Events immer weniger nur punktuelle Ereignisse und immer mehr laumlngere politische soziale und oumlkono- mische Prozesse bedeuten werden diese Fragen von Mal zu Mal wichtiger Der vorliegende Text geht diesen Fragen anhand der Vorbereitungen auf die Olym- pischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro und der Bilanz der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach Er untersucht Kosten und Nutzen fuumlr Betroffene insbeson-dere fuumlr die an die sich auch der offizielle Diskurs wendet das Gros der staumldtischen Bevoumllkerung und identifiziert einige gesellschaftliche Folgen mit denen sich ver- mutlich auch zukuumlnftige Mega-Events auseinandersetzen muumlssen

In einer globalisierten Oumlkonomie sowie einem immer mehr vom Marketing abhaumlngigen Politikbetrieb haben Mega-Events eine wichtige Funktion Im welt- weiten Wettbewerb sollen sie vor allem Kapital generieren symbolisches wie wirt-schaftliches und finanzielles Mega-Events wie WM und Olympia so meine These sind erst in nachgeordneter Weise Sportereignisse Sie sind in erster Linie als be- sondere vielleicht einzigartige Geschaumlftsmodelle zu begreifen die transnationale Investitions- und Extraktionsprojekte in Stellung bringen Angesichts der Groumlszligen- ordnung der Projekte und der Akteure loumlsen sie soziale und oumlkonomische Pro-zesse von erheblicher Eingriffstiefe aus Die Eingriffe sind umso tiefer je groumlszliger die soziale Ungleichheit und je schwaumlcher die nationale Zivilgesellschaft ist

Nicht zuletzt deswegen treten Mega-Events dieses Zuschnitts so meine zweite These mit einer funktionierenden Demokratie in Konflikt Es ist daher auch aus einer Demokratie-Perspektive wichtig sich mit Mega-Events auseinanderzusetzen Indem sie immer auch als laquoTestraquo gelten fuumlr das naumlchste Ereignis sorgen sie fuumlr die Fortexistenz ihrer Art fuumlr den Fortfluss der Kapital- und Investitionsstroumlme Sie he- ben sich gleichsam im naumlchsten auf und das so zeigen die letzten Jahrzehnte immer auf einem laquohoumlherenraquo Niveau der Gewinne (vor allem fuumlr FIFA Olympische Komitees und groszlige Unternehmen der Baubranche) der Kosten (fuumlr die Gemein-schaft der Steuerzahler) und der sozialen Konsequenzen also die Lebenslage und Rechte von Menschen

4 The Economist laquoHas Brazil Blown It raquo 28092013

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2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

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verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

17

Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

25

sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Das Olympische Dorf ist Teil des Plans den Westen der Stadt als Wohn- und Arbeitsort fuumlr die Elite zu erschlieszligen Der Investor des Olympischen Dorfs Carlos Carvalho nannte das Projekt laquoReine Inselraquo (Ilha Pura) Anders als zB im Suumlden Rios wo Favelas direkt zwischen den Wohnhaumlusern der einkommensstaumlrkeren Familien liegen wird es sich hier um ein exklusives Wohngebiet fuumlr die Elite han- deln Carvalho ist einer der Hauptgewinner dieses staumldtischen Strukturwandels Ihm gehoumlrt nicht nur der Grund und Boden auf dem das Olympische Dorf ent- steht Sobald die Athlet innen die neugebauten Apartments nach den Spielen nicht mehr nutzen und weitere Wohnbloumlcke auf dem Areal gebaut sind profitiert er als Hauptinvestor und Bauunternehmer auch vom Verkauf der Luxuswohnungen

Olympia ist sicherlich eine aufregende Sportveranstaltung aber verschaumlrft lei-der immer wieder soziale Ungleichheiten verletzt die Rechte der Bevoumllkerung ver- draumlngt sie schlieszligt sie aus Was bereits vor der WM begann geht nun weiter Die Polizei laquosammeltraquo Straszligenkinder und andere Obdachlose verstaumlrkt ein mehr Jugendliche kommen in Haft Sie alle sollen fuumlr die Tourist innen nicht sicht- bar sein Statt Ursachen fuumlr Armut und Gewalt zu bekaumlmpfen versperrt die Polizei seit neuestem jungen Maumlnnern die vermeintlich in Favelas leben und damit als moumlgliche Diebe gelten den Weg zu den oumlffentlichen Straumlnden der Stadt Busse aus aumlrmeren Vierteln fahren nicht mehr auf ihren uumlblichen Routen und werden fuumlr Kontrollen angehalten Die UNO forderte Brasilien Anfang Oktober 2015 auf die steigenden Zahlen auszligergesetzlicher Morde durch Polizist innen an Minder- jaumlhrigen aus einkommensschwachen Vierteln zu untersuchen

Von Beginn an begleitet das Brasilien-Buumlro der Heinrich-Boumlll-Stiftung die Vor- bereitungen und die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events kritisch Das tun wir gemeinsam mit unseren brasilianischen Partnerinnen und Partnern vor Ort Dabei wird deutlich dass die Ausrichtung solcher Groszligereignisse laumlngst ganz anderen Notwendigkeiten folgt als denen die der Sport vorgibt Mega-Events haben sich als Geschaumlftsmodell etabliert das dazu dient der Volkswirtschaft des Austragungslandes einen Vorteil zu verschaffen Der sportliche Wettkampf geraumlt gegenuumlber dem wirtschaftlichen Kampf um die beste Ausgangslage in einer globa- lisierten Welt ins Hintertreffen Verlierer dabei sind Demokratie und Menschen- rechte

Berlin im November 2015

Barbara Unmuumlszligig Ingrid Spiller Vorstand der Heinrich-Boumlll-Stiftung Referatsleiterin Lateinamerika

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1 Sportereignisse als Mega-Events

Der Praumlsident huumlpfte und weinte vor Freude Im Oktober 2009 gab das internationale Olympische Komitee der Bewerbung Brasiliens den Zuschlag fuumlr die Olympischen Sommerspiele 2016 Zwei Jahre vorher hatte sich Brasilien im Rennen um die Fuszlig-ball-Weltmeisterschaft 2014 durchgesetzt der kolumbianische Fuszligballverband hatte zuvor seine Bewerbung mit der Begruumlndung zuruumlckgezogen die Auflagen des inter-nationalen Fuszligballverbandes FIFA seien nicht zu bezahlen1 Luiz Inaacutecio Lula da Silva bezeichnete den Tag als den laquovielleicht wichtigsten meines Lebensraquo die Welt erkenne nun an laquodass Brasilien an der Reihe istraquo2 Es war die Kroumlnung einer achtjaumlhrigen Praumlsidentschaft an deren Ende Lula nach eigenen Angaben Brasilien nicht nur in eine Mittelschichtsgesellschaft verwandelt sondern Brasilien als siebtgroumlszligte Volks-wirtschaft der Erde Glaumlubiger des Internationalen Waumlhrungsfonds und Regional-hegemon mit Anspruch auf Mitsprache im Club der Weltmaumlchtigen etabliert hatte Der Economist brachte ein Brasilien-Spezial zum brasilianischen laquotake-offraquo auf dem Titelfoto startet die Christusstatue von Rio de Janeiro als Rakete durch steil nach oben3 Der internationale Bankenkollaps hatte die brasilianische Wirtschaft kaum beeintraumlchtigt im Jahr darauf wuchs sie um 75 Prozent

Genau in diesem Kontext standen die Bewerbungen Brasiliens um Fuszligball Welt- meisterschaft (WM) und Olympische Spiele Aumlhnlich wie die Olympischen Spiele 2008 in Peking stehen die sogenannten Mega-Events in Brasilien im Zeichen und im Kontext der neuen Rolle in Weltwirtschaft und Weltpolitik die Brasilien in Selbst- und Fremdwahrnehmung seit Jahrtausendbeginn zu uumlbernehmen begonnen hat Die Mega-Events sollen helfen diesen Prozess zu konsolidieren

Gut drei Jahre nach dem Olympia-Zuschlag waren die Zuwachsraten des Brutto-sozialproduktes (BSP) ebenso passeacute wie bei groszligen Bevoumllkerungsteilen die Geduld und Zuversicht Im Juni 2013 gingen voumlllig uumlberraschend sogar fuumlr den brasilia- nischen Geheimdienst Millionen Brasilianer auf die Straszlige und machten eine Rechnung auf Sie stellten die offiziell rund 8 Mrd Euro Ausgaben fuumlr die teuerste WM aller Zeiten der fortgesetzten Misere in den Bereichen gegenuumlber die das Fuumlhlen und Sehnen der Menschen unmittelbar bestimmen die Muumlhen ihres Alltags die eigene Gesundheit und die Zukunft ihrer Kinder Sie stellten fest dass sie immer mehr Zeit unter immer schlechteren Bedingungen im Nahverkehr verloren dass sich die Bildungskatastrophe im oumlffentlichen Grundschulwesen fortsetzte und ein jeder der allein auf das (im Prinzip lobenswerte universelle kostenlose aber

1 httpsrv-netdiariopopularcombr12_04_07p2703html2 httpesporteigcombrmais20091002lula+chora+pensava+que+nao+tinha+mais+moti-

vos+para+emocao+8725180html3 The Economist laquoBrazil takes offraquo 14112009

Public Viewing an der Copacabana in Rio waumlhrend der WM 2014

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chronisch unterversorgte) oumlffentliche Gesundheitswesen angewiesen war ein ernst-haftes Risiko fuumlr Leib und oft auch Leben einging Im September 2013 wiederholte der Economist sein Titelbild von 2009 nur dass die Christusrakete nun qualmend dem Abgrund entgegentaumelte Die Schlagzeile dieses Mal laquoHat Brasilien es ver- masselt raquo4

Die Nachfragen der Brasilianer und Brasilianerinnen an ihre Regierung waren berechtigt Denn die Ausgaben fuumlr Sport-Groszligereignisse haben sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht Einen Groszligteil der Ausgaben traumlgt der Staat mithin die Gemeinschaft der Steuerzahler Es geht also nicht um Spielverderben wenn bei Sportgroszligereignissen eine einfache Frage gestellt wird Wofuumlr und fuumlr wen ist dieses Ereignis Was ist der Spaszlig wert Und fuumlr wen ist es vielleicht gar nicht so spaszligig Denn wie auf dem gruumlnen Rasen gibt es auch in der Gesellschaft die das Ereignis ausrichtet Gewinner und Verlierer und die Folgen sind laquonachhaltigerraquo als jene Nachhaltigkeit die das Marketing verspricht Weil Mega-Events immer weniger nur punktuelle Ereignisse und immer mehr laumlngere politische soziale und oumlkono- mische Prozesse bedeuten werden diese Fragen von Mal zu Mal wichtiger Der vorliegende Text geht diesen Fragen anhand der Vorbereitungen auf die Olym- pischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro und der Bilanz der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach Er untersucht Kosten und Nutzen fuumlr Betroffene insbeson-dere fuumlr die an die sich auch der offizielle Diskurs wendet das Gros der staumldtischen Bevoumllkerung und identifiziert einige gesellschaftliche Folgen mit denen sich ver- mutlich auch zukuumlnftige Mega-Events auseinandersetzen muumlssen

In einer globalisierten Oumlkonomie sowie einem immer mehr vom Marketing abhaumlngigen Politikbetrieb haben Mega-Events eine wichtige Funktion Im welt- weiten Wettbewerb sollen sie vor allem Kapital generieren symbolisches wie wirt-schaftliches und finanzielles Mega-Events wie WM und Olympia so meine These sind erst in nachgeordneter Weise Sportereignisse Sie sind in erster Linie als be- sondere vielleicht einzigartige Geschaumlftsmodelle zu begreifen die transnationale Investitions- und Extraktionsprojekte in Stellung bringen Angesichts der Groumlszligen- ordnung der Projekte und der Akteure loumlsen sie soziale und oumlkonomische Pro-zesse von erheblicher Eingriffstiefe aus Die Eingriffe sind umso tiefer je groumlszliger die soziale Ungleichheit und je schwaumlcher die nationale Zivilgesellschaft ist

Nicht zuletzt deswegen treten Mega-Events dieses Zuschnitts so meine zweite These mit einer funktionierenden Demokratie in Konflikt Es ist daher auch aus einer Demokratie-Perspektive wichtig sich mit Mega-Events auseinanderzusetzen Indem sie immer auch als laquoTestraquo gelten fuumlr das naumlchste Ereignis sorgen sie fuumlr die Fortexistenz ihrer Art fuumlr den Fortfluss der Kapital- und Investitionsstroumlme Sie he- ben sich gleichsam im naumlchsten auf und das so zeigen die letzten Jahrzehnte immer auf einem laquohoumlherenraquo Niveau der Gewinne (vor allem fuumlr FIFA Olympische Komitees und groszlige Unternehmen der Baubranche) der Kosten (fuumlr die Gemein-schaft der Steuerzahler) und der sozialen Konsequenzen also die Lebenslage und Rechte von Menschen

4 The Economist laquoHas Brazil Blown It raquo 28092013

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2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

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verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

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Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

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3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

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Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

39

Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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1 Sportereignisse als Mega-Events

Der Praumlsident huumlpfte und weinte vor Freude Im Oktober 2009 gab das internationale Olympische Komitee der Bewerbung Brasiliens den Zuschlag fuumlr die Olympischen Sommerspiele 2016 Zwei Jahre vorher hatte sich Brasilien im Rennen um die Fuszlig-ball-Weltmeisterschaft 2014 durchgesetzt der kolumbianische Fuszligballverband hatte zuvor seine Bewerbung mit der Begruumlndung zuruumlckgezogen die Auflagen des inter-nationalen Fuszligballverbandes FIFA seien nicht zu bezahlen1 Luiz Inaacutecio Lula da Silva bezeichnete den Tag als den laquovielleicht wichtigsten meines Lebensraquo die Welt erkenne nun an laquodass Brasilien an der Reihe istraquo2 Es war die Kroumlnung einer achtjaumlhrigen Praumlsidentschaft an deren Ende Lula nach eigenen Angaben Brasilien nicht nur in eine Mittelschichtsgesellschaft verwandelt sondern Brasilien als siebtgroumlszligte Volks-wirtschaft der Erde Glaumlubiger des Internationalen Waumlhrungsfonds und Regional-hegemon mit Anspruch auf Mitsprache im Club der Weltmaumlchtigen etabliert hatte Der Economist brachte ein Brasilien-Spezial zum brasilianischen laquotake-offraquo auf dem Titelfoto startet die Christusstatue von Rio de Janeiro als Rakete durch steil nach oben3 Der internationale Bankenkollaps hatte die brasilianische Wirtschaft kaum beeintraumlchtigt im Jahr darauf wuchs sie um 75 Prozent

Genau in diesem Kontext standen die Bewerbungen Brasiliens um Fuszligball Welt- meisterschaft (WM) und Olympische Spiele Aumlhnlich wie die Olympischen Spiele 2008 in Peking stehen die sogenannten Mega-Events in Brasilien im Zeichen und im Kontext der neuen Rolle in Weltwirtschaft und Weltpolitik die Brasilien in Selbst- und Fremdwahrnehmung seit Jahrtausendbeginn zu uumlbernehmen begonnen hat Die Mega-Events sollen helfen diesen Prozess zu konsolidieren

Gut drei Jahre nach dem Olympia-Zuschlag waren die Zuwachsraten des Brutto-sozialproduktes (BSP) ebenso passeacute wie bei groszligen Bevoumllkerungsteilen die Geduld und Zuversicht Im Juni 2013 gingen voumlllig uumlberraschend sogar fuumlr den brasilia- nischen Geheimdienst Millionen Brasilianer auf die Straszlige und machten eine Rechnung auf Sie stellten die offiziell rund 8 Mrd Euro Ausgaben fuumlr die teuerste WM aller Zeiten der fortgesetzten Misere in den Bereichen gegenuumlber die das Fuumlhlen und Sehnen der Menschen unmittelbar bestimmen die Muumlhen ihres Alltags die eigene Gesundheit und die Zukunft ihrer Kinder Sie stellten fest dass sie immer mehr Zeit unter immer schlechteren Bedingungen im Nahverkehr verloren dass sich die Bildungskatastrophe im oumlffentlichen Grundschulwesen fortsetzte und ein jeder der allein auf das (im Prinzip lobenswerte universelle kostenlose aber

1 httpsrv-netdiariopopularcombr12_04_07p2703html2 httpesporteigcombrmais20091002lula+chora+pensava+que+nao+tinha+mais+moti-

vos+para+emocao+8725180html3 The Economist laquoBrazil takes offraquo 14112009

Public Viewing an der Copacabana in Rio waumlhrend der WM 2014

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chronisch unterversorgte) oumlffentliche Gesundheitswesen angewiesen war ein ernst-haftes Risiko fuumlr Leib und oft auch Leben einging Im September 2013 wiederholte der Economist sein Titelbild von 2009 nur dass die Christusrakete nun qualmend dem Abgrund entgegentaumelte Die Schlagzeile dieses Mal laquoHat Brasilien es ver- masselt raquo4

Die Nachfragen der Brasilianer und Brasilianerinnen an ihre Regierung waren berechtigt Denn die Ausgaben fuumlr Sport-Groszligereignisse haben sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht Einen Groszligteil der Ausgaben traumlgt der Staat mithin die Gemeinschaft der Steuerzahler Es geht also nicht um Spielverderben wenn bei Sportgroszligereignissen eine einfache Frage gestellt wird Wofuumlr und fuumlr wen ist dieses Ereignis Was ist der Spaszlig wert Und fuumlr wen ist es vielleicht gar nicht so spaszligig Denn wie auf dem gruumlnen Rasen gibt es auch in der Gesellschaft die das Ereignis ausrichtet Gewinner und Verlierer und die Folgen sind laquonachhaltigerraquo als jene Nachhaltigkeit die das Marketing verspricht Weil Mega-Events immer weniger nur punktuelle Ereignisse und immer mehr laumlngere politische soziale und oumlkono- mische Prozesse bedeuten werden diese Fragen von Mal zu Mal wichtiger Der vorliegende Text geht diesen Fragen anhand der Vorbereitungen auf die Olym- pischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro und der Bilanz der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach Er untersucht Kosten und Nutzen fuumlr Betroffene insbeson-dere fuumlr die an die sich auch der offizielle Diskurs wendet das Gros der staumldtischen Bevoumllkerung und identifiziert einige gesellschaftliche Folgen mit denen sich ver- mutlich auch zukuumlnftige Mega-Events auseinandersetzen muumlssen

In einer globalisierten Oumlkonomie sowie einem immer mehr vom Marketing abhaumlngigen Politikbetrieb haben Mega-Events eine wichtige Funktion Im welt- weiten Wettbewerb sollen sie vor allem Kapital generieren symbolisches wie wirt-schaftliches und finanzielles Mega-Events wie WM und Olympia so meine These sind erst in nachgeordneter Weise Sportereignisse Sie sind in erster Linie als be- sondere vielleicht einzigartige Geschaumlftsmodelle zu begreifen die transnationale Investitions- und Extraktionsprojekte in Stellung bringen Angesichts der Groumlszligen- ordnung der Projekte und der Akteure loumlsen sie soziale und oumlkonomische Pro-zesse von erheblicher Eingriffstiefe aus Die Eingriffe sind umso tiefer je groumlszliger die soziale Ungleichheit und je schwaumlcher die nationale Zivilgesellschaft ist

Nicht zuletzt deswegen treten Mega-Events dieses Zuschnitts so meine zweite These mit einer funktionierenden Demokratie in Konflikt Es ist daher auch aus einer Demokratie-Perspektive wichtig sich mit Mega-Events auseinanderzusetzen Indem sie immer auch als laquoTestraquo gelten fuumlr das naumlchste Ereignis sorgen sie fuumlr die Fortexistenz ihrer Art fuumlr den Fortfluss der Kapital- und Investitionsstroumlme Sie he- ben sich gleichsam im naumlchsten auf und das so zeigen die letzten Jahrzehnte immer auf einem laquohoumlherenraquo Niveau der Gewinne (vor allem fuumlr FIFA Olympische Komitees und groszlige Unternehmen der Baubranche) der Kosten (fuumlr die Gemein-schaft der Steuerzahler) und der sozialen Konsequenzen also die Lebenslage und Rechte von Menschen

4 The Economist laquoHas Brazil Blown It raquo 28092013

13

2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

15

verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

17

Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

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Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Public Viewing an der Copacabana in Rio waumlhrend der WM 2014

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chronisch unterversorgte) oumlffentliche Gesundheitswesen angewiesen war ein ernst-haftes Risiko fuumlr Leib und oft auch Leben einging Im September 2013 wiederholte der Economist sein Titelbild von 2009 nur dass die Christusrakete nun qualmend dem Abgrund entgegentaumelte Die Schlagzeile dieses Mal laquoHat Brasilien es ver- masselt raquo4

Die Nachfragen der Brasilianer und Brasilianerinnen an ihre Regierung waren berechtigt Denn die Ausgaben fuumlr Sport-Groszligereignisse haben sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht Einen Groszligteil der Ausgaben traumlgt der Staat mithin die Gemeinschaft der Steuerzahler Es geht also nicht um Spielverderben wenn bei Sportgroszligereignissen eine einfache Frage gestellt wird Wofuumlr und fuumlr wen ist dieses Ereignis Was ist der Spaszlig wert Und fuumlr wen ist es vielleicht gar nicht so spaszligig Denn wie auf dem gruumlnen Rasen gibt es auch in der Gesellschaft die das Ereignis ausrichtet Gewinner und Verlierer und die Folgen sind laquonachhaltigerraquo als jene Nachhaltigkeit die das Marketing verspricht Weil Mega-Events immer weniger nur punktuelle Ereignisse und immer mehr laumlngere politische soziale und oumlkono- mische Prozesse bedeuten werden diese Fragen von Mal zu Mal wichtiger Der vorliegende Text geht diesen Fragen anhand der Vorbereitungen auf die Olym- pischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro und der Bilanz der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach Er untersucht Kosten und Nutzen fuumlr Betroffene insbeson-dere fuumlr die an die sich auch der offizielle Diskurs wendet das Gros der staumldtischen Bevoumllkerung und identifiziert einige gesellschaftliche Folgen mit denen sich ver- mutlich auch zukuumlnftige Mega-Events auseinandersetzen muumlssen

In einer globalisierten Oumlkonomie sowie einem immer mehr vom Marketing abhaumlngigen Politikbetrieb haben Mega-Events eine wichtige Funktion Im welt- weiten Wettbewerb sollen sie vor allem Kapital generieren symbolisches wie wirt-schaftliches und finanzielles Mega-Events wie WM und Olympia so meine These sind erst in nachgeordneter Weise Sportereignisse Sie sind in erster Linie als be- sondere vielleicht einzigartige Geschaumlftsmodelle zu begreifen die transnationale Investitions- und Extraktionsprojekte in Stellung bringen Angesichts der Groumlszligen- ordnung der Projekte und der Akteure loumlsen sie soziale und oumlkonomische Pro-zesse von erheblicher Eingriffstiefe aus Die Eingriffe sind umso tiefer je groumlszliger die soziale Ungleichheit und je schwaumlcher die nationale Zivilgesellschaft ist

Nicht zuletzt deswegen treten Mega-Events dieses Zuschnitts so meine zweite These mit einer funktionierenden Demokratie in Konflikt Es ist daher auch aus einer Demokratie-Perspektive wichtig sich mit Mega-Events auseinanderzusetzen Indem sie immer auch als laquoTestraquo gelten fuumlr das naumlchste Ereignis sorgen sie fuumlr die Fortexistenz ihrer Art fuumlr den Fortfluss der Kapital- und Investitionsstroumlme Sie he- ben sich gleichsam im naumlchsten auf und das so zeigen die letzten Jahrzehnte immer auf einem laquohoumlherenraquo Niveau der Gewinne (vor allem fuumlr FIFA Olympische Komitees und groszlige Unternehmen der Baubranche) der Kosten (fuumlr die Gemein-schaft der Steuerzahler) und der sozialen Konsequenzen also die Lebenslage und Rechte von Menschen

4 The Economist laquoHas Brazil Blown It raquo 28092013

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2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

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verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

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Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

25

sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

35

Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

39

Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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chronisch unterversorgte) oumlffentliche Gesundheitswesen angewiesen war ein ernst-haftes Risiko fuumlr Leib und oft auch Leben einging Im September 2013 wiederholte der Economist sein Titelbild von 2009 nur dass die Christusrakete nun qualmend dem Abgrund entgegentaumelte Die Schlagzeile dieses Mal laquoHat Brasilien es ver- masselt raquo4

Die Nachfragen der Brasilianer und Brasilianerinnen an ihre Regierung waren berechtigt Denn die Ausgaben fuumlr Sport-Groszligereignisse haben sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht Einen Groszligteil der Ausgaben traumlgt der Staat mithin die Gemeinschaft der Steuerzahler Es geht also nicht um Spielverderben wenn bei Sportgroszligereignissen eine einfache Frage gestellt wird Wofuumlr und fuumlr wen ist dieses Ereignis Was ist der Spaszlig wert Und fuumlr wen ist es vielleicht gar nicht so spaszligig Denn wie auf dem gruumlnen Rasen gibt es auch in der Gesellschaft die das Ereignis ausrichtet Gewinner und Verlierer und die Folgen sind laquonachhaltigerraquo als jene Nachhaltigkeit die das Marketing verspricht Weil Mega-Events immer weniger nur punktuelle Ereignisse und immer mehr laumlngere politische soziale und oumlkono- mische Prozesse bedeuten werden diese Fragen von Mal zu Mal wichtiger Der vorliegende Text geht diesen Fragen anhand der Vorbereitungen auf die Olym- pischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro und der Bilanz der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach Er untersucht Kosten und Nutzen fuumlr Betroffene insbeson-dere fuumlr die an die sich auch der offizielle Diskurs wendet das Gros der staumldtischen Bevoumllkerung und identifiziert einige gesellschaftliche Folgen mit denen sich ver- mutlich auch zukuumlnftige Mega-Events auseinandersetzen muumlssen

In einer globalisierten Oumlkonomie sowie einem immer mehr vom Marketing abhaumlngigen Politikbetrieb haben Mega-Events eine wichtige Funktion Im welt- weiten Wettbewerb sollen sie vor allem Kapital generieren symbolisches wie wirt-schaftliches und finanzielles Mega-Events wie WM und Olympia so meine These sind erst in nachgeordneter Weise Sportereignisse Sie sind in erster Linie als be- sondere vielleicht einzigartige Geschaumlftsmodelle zu begreifen die transnationale Investitions- und Extraktionsprojekte in Stellung bringen Angesichts der Groumlszligen- ordnung der Projekte und der Akteure loumlsen sie soziale und oumlkonomische Pro-zesse von erheblicher Eingriffstiefe aus Die Eingriffe sind umso tiefer je groumlszliger die soziale Ungleichheit und je schwaumlcher die nationale Zivilgesellschaft ist

Nicht zuletzt deswegen treten Mega-Events dieses Zuschnitts so meine zweite These mit einer funktionierenden Demokratie in Konflikt Es ist daher auch aus einer Demokratie-Perspektive wichtig sich mit Mega-Events auseinanderzusetzen Indem sie immer auch als laquoTestraquo gelten fuumlr das naumlchste Ereignis sorgen sie fuumlr die Fortexistenz ihrer Art fuumlr den Fortfluss der Kapital- und Investitionsstroumlme Sie he- ben sich gleichsam im naumlchsten auf und das so zeigen die letzten Jahrzehnte immer auf einem laquohoumlherenraquo Niveau der Gewinne (vor allem fuumlr FIFA Olympische Komitees und groszlige Unternehmen der Baubranche) der Kosten (fuumlr die Gemein-schaft der Steuerzahler) und der sozialen Konsequenzen also die Lebenslage und Rechte von Menschen

4 The Economist laquoHas Brazil Blown It raquo 28092013

13

2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

15

verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

17

Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

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Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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chronisch unterversorgte) oumlffentliche Gesundheitswesen angewiesen war ein ernst-haftes Risiko fuumlr Leib und oft auch Leben einging Im September 2013 wiederholte der Economist sein Titelbild von 2009 nur dass die Christusrakete nun qualmend dem Abgrund entgegentaumelte Die Schlagzeile dieses Mal laquoHat Brasilien es ver- masselt raquo4

Die Nachfragen der Brasilianer und Brasilianerinnen an ihre Regierung waren berechtigt Denn die Ausgaben fuumlr Sport-Groszligereignisse haben sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht Einen Groszligteil der Ausgaben traumlgt der Staat mithin die Gemeinschaft der Steuerzahler Es geht also nicht um Spielverderben wenn bei Sportgroszligereignissen eine einfache Frage gestellt wird Wofuumlr und fuumlr wen ist dieses Ereignis Was ist der Spaszlig wert Und fuumlr wen ist es vielleicht gar nicht so spaszligig Denn wie auf dem gruumlnen Rasen gibt es auch in der Gesellschaft die das Ereignis ausrichtet Gewinner und Verlierer und die Folgen sind laquonachhaltigerraquo als jene Nachhaltigkeit die das Marketing verspricht Weil Mega-Events immer weniger nur punktuelle Ereignisse und immer mehr laumlngere politische soziale und oumlkono- mische Prozesse bedeuten werden diese Fragen von Mal zu Mal wichtiger Der vorliegende Text geht diesen Fragen anhand der Vorbereitungen auf die Olym- pischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro und der Bilanz der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach Er untersucht Kosten und Nutzen fuumlr Betroffene insbeson-dere fuumlr die an die sich auch der offizielle Diskurs wendet das Gros der staumldtischen Bevoumllkerung und identifiziert einige gesellschaftliche Folgen mit denen sich ver- mutlich auch zukuumlnftige Mega-Events auseinandersetzen muumlssen

In einer globalisierten Oumlkonomie sowie einem immer mehr vom Marketing abhaumlngigen Politikbetrieb haben Mega-Events eine wichtige Funktion Im welt- weiten Wettbewerb sollen sie vor allem Kapital generieren symbolisches wie wirt-schaftliches und finanzielles Mega-Events wie WM und Olympia so meine These sind erst in nachgeordneter Weise Sportereignisse Sie sind in erster Linie als be- sondere vielleicht einzigartige Geschaumlftsmodelle zu begreifen die transnationale Investitions- und Extraktionsprojekte in Stellung bringen Angesichts der Groumlszligen- ordnung der Projekte und der Akteure loumlsen sie soziale und oumlkonomische Pro-zesse von erheblicher Eingriffstiefe aus Die Eingriffe sind umso tiefer je groumlszliger die soziale Ungleichheit und je schwaumlcher die nationale Zivilgesellschaft ist

Nicht zuletzt deswegen treten Mega-Events dieses Zuschnitts so meine zweite These mit einer funktionierenden Demokratie in Konflikt Es ist daher auch aus einer Demokratie-Perspektive wichtig sich mit Mega-Events auseinanderzusetzen Indem sie immer auch als laquoTestraquo gelten fuumlr das naumlchste Ereignis sorgen sie fuumlr die Fortexistenz ihrer Art fuumlr den Fortfluss der Kapital- und Investitionsstroumlme Sie he- ben sich gleichsam im naumlchsten auf und das so zeigen die letzten Jahrzehnte immer auf einem laquohoumlherenraquo Niveau der Gewinne (vor allem fuumlr FIFA Olympische Komitees und groszlige Unternehmen der Baubranche) der Kosten (fuumlr die Gemein-schaft der Steuerzahler) und der sozialen Konsequenzen also die Lebenslage und Rechte von Menschen

4 The Economist laquoHas Brazil Blown It raquo 28092013

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2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

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verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

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Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

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Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

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WM 2014 (offiziell)

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Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

25

sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

35

Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

39

Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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2 Nach der WM ist vor Olympia Die Vorbereitungen auf die Spiele 2016 in Rio de Janeiro

Als 1896 die alte Idee der Antike wiederauflebte und die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen befanden sich europaumlische aber auch lateinamerikanische Staaten in einem intensiven laquoNation Buildingraquo-Prozess Olympische Spiele ge- houmlren in den produktiven Reigen laquoersonnener Traditionenraquo mit der die imagi- naumlre Gemeinschaft namens Nation sozusagen dingfest gemacht werden soll5 Sport-Groszligereignisse haben seitdem hierin einen festen Platz in dem sie den Na- tionen den konkreten Ausdruck einer Mannschaft oder eines Teams geben das die imaginaumlre Gemeinschaft fasslich und fassbar repraumlsentiert und das stellver- tretend fuumlr sie in einen sportlichen Wettbewerb eintritt Kein Ereignis praumlgt diesen Gedanken houmlher und umfassender aus als die Olympischen Spiele Unter den Be- dingungen globalisierter elektronischer Massenkommunikation standardisierter Konsumgesellschaften und einer konsequenten Kommerzialisierung des Sports sind Olympische Spiele zugleich nationale und globale Ereignisse die auf inter- nationalen Maumlrkten operieren sich in Verhandlungen Konkurrenz und Koopera- tion zwischen nationalen Regierungen materialisieren und laquowichtige kulturelle und sogar moralische Raumlume besetzenraquo6

5 Roche Maurice S Mega-events and modernity revisited globalization and the case of Olym-pics In Sociological Review 2006 S 27ndash40 unter Bezug auf Eric Hobsbawms Wort von den laquoinvented traditionsraquo Den Begriff von der laquoimaginaumlren Gemeinschaftraquo hat Benedict Anderson mit seinem Buch Imagined Communities Reflections on the Origin and Spread of Nationalism gepraumlgt (1983)

6 Vgl Rustin Michael Sport Spectacle and Society Understanding the Olympics in Pointer Gavin McRury Ian Olympic cities 2012 and the remaking of London Farnham 2009 S 3ndash22 hier S 52

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

15

verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

17

Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Die laquoFestivalisierungraquo7 ist also ein Strategem des City-Marketing bzw umge- kehrt des Konzepts der unternehmerischen Stadt8 Zugleich aber ndash und das wird oft zu wenig beachtet ndash fuumlhrt sie zu tiefen Eingriffen in die gesellschaftlichen Bezie- hungen des Gemeinwesens Dies wird unter Akademikern schon laumlnger diskutiert zunehmend aber auch in der Oumlffentlichkeit In den letzten Jahren hat sich daher bei der Diskusssion um Sport-Groszligereignisse die Frage nach den (positiven) Aus- wirkungen fuumlr das gastgebende Land und seine Bevoumllkerung nach den laquoLegatenraquo (englisch legacies spanisch portugiesisch legados ) insbesondere in ihrer laquonach- haltigenraquo Form in den Vordergrund geschoben9 Es sind nicht zuletzt die Ausrich- tenden der Mega-Events selbst die dieses Argument prominent anbringen Regie- rungen und die von ihr beauftragten Unternehmen versichern der Bevoumllkerung dass sie ihr nicht nur eines der groszligen Weltfeste ins Land holen sondern sie davon auch oumlkonomisch und sozial profitiere Damit sind neben zusaumltzlich geschaffenen Arbeitsplaumltzen vor allem bleibende Verbesserungen in der Infrastruktur des oumlffent- lichen Raumes gemeint insbesondere im Nahverkehrswesen Der laquoVermaumlchtnisraquo- Diskurs ist fuumlr die Legitimitaumlt von Mega-Events also bedeutsam

Rio de Janeiro ndash eine Stadt konzipiert als laquoFenster zur Weltraquo

Die Olympischen Spiele finden in der Stadt Rio de Janeiro statt ndash einzige Ausnahme sind die Fuszligballwettkaumlmpfe der Maumlnner und Frauen die in weiteren fuumlnf Staumldten ausgetragen werden Fuumlr den oben angerissenen symbolpolitischen Kontext ist Rio die ideale Wahl Die Stadt hat in der brasilianischen Geschichte seit Jahrhun- derten den Portier gegeben ndash in einem herausgehobenen nationalsymbolischen Sinn Als Sitz der Kolonialverwaltung zeitweilig des portugiesischen Weltreiches des brasilianischen Kaiserreiches und bis 1960 Hauptstadt der Republik war Rio das laquoTor nach Brasilienraquo fuumlr alle die von auszligen kamen Rio war aber schon im- mer auch das laquoFenster zur Weltraquo also eine Praumlsentations- und Repraumlsentationsflauml- che in die andere Richtung In Rio wollte das brasilianische Kaiserreich (seit 1822) und die Republik (seit 1889) der Welt ihre Zivilisationsfaumlhigkeit unter Beweis stel-len Groszligangelegte Transformationen und die Ausrichtung von Groszligereignissen sind deswegen integral und funktional mit der Stadt- und Sozialgeschichte Rios

7 So schon 1993 die Soziologen Hartmut Haumluszligermann und Walter Siebel in dies (Hg) Festi-valisierung der Stadtpolitik Stadtentwicklung durch groszlige Projekte Opladen 1993 Siehe auch Steinbrink Malte Festifavelisation mega-events slums and strategic city-staging ndash the example of Rio de Janeiro in Die Erde 1442 (2013) S 129ndash145

8 Buszligler Phyllis Projektbezogene Stadtentwicklung in Rio de Janeiro Working Paper 2013ndash01 Universitaumlt zu Koumlln 2013 Zur Entwicklung Rio de Janeiros in ein Urban-Unternehmen siehe Vainer Carlos Cidade de exceccedilatildeo reflexotildees a partir do Rio de Janeiro XIV encontro Nacional da ANPUR Rio de Janeiro 2011 Verfuumlgbar unter httpbrboellorgpt-br20110810cidade-de-excecao-reflexoes-partir-do-rio-de-janeiro Zur internationalen Literatur zu laquourban entrepre-neurialismraquo uauml siehe den Uumlberblick bei Guilanotti Richard Klauser Francisco Introduction Security and Surveillance at Sport Mega Events in Urban Studies 48 (15) Nov 2011 S 3157ndash3168 hier 3159f

9 Siehe dazu Horne John Whannel Garry Understanding the Olympics Oxon New York 2012

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verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

17

Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

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Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

25

sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

35

Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

41

5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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verbunden 1919 richtete Brasilien in Rio die Suumldamerikanischen Fuszligball- meisterschaften aus ndash das erste internationale Sportereignis im Land Schon da- mals schlossen Banken Behoumlrden und der Einzelhandel am Tag des fuumlr Brasilien siegreichen Endspiels gegen Uruguay 1922 richtete Brasilien eine Weltausstellung aus in Rio de Janeiro Massensport eignet sich um nationale Identitaumlt und Ein- heitsgefuumlhl zu erzeugen ndash das erkannten brasilianische Politiker fruumlh aber niemand besser als Getuacutelio Vargas in den 1930er Jahren der erste brasilianische Praumlsident der Stadien fuumlr politische Ansprachen nutzte Brasilien erhielt den Zuschlag fuumlr die erste WM nach dem zweiten Weltkrieg Das ndash mit Abstand ndash groumlszligte Stadion der Welt entstand ndash natuumlrlich ndash in Rio de Janeiro Im Maracanatilde ging es 1950 im Endspiel wieder gegen Uruguay die 1 2 Niederlage stuumlrzte die Fuszligballnation zumindest bis zum 1 7 gegen Deutschland im Halbfinale 2014 in ihr schwerstes Trauma Das Maracanatilde aber geriet bald zur Ikone

Anders als die Industrie- und Handelsstadt Satildeo Paulo sind in Rio kaum noch groszlige Produktionsanlagen ansaumlssig Die Ansiedlung eines Stahlwerks von Thyssen Krupp im aumluszligersten Westen der Stadt ist die Ausnahme von der Regel und hat bisher weniger zu Gewerbesteuereinnahmen als zu gerichtlichen Auseinander- setzungen uumlber Umweltschaumldigungen gefuumlhrt Wenn sich die Staumldte als Dienst- leistungszentren wiedererfinden wollen gewaumlrtigen sie eine globale Konkurrenz Viele Dienste sind heute gleichsam ortlos leistbar ndash die Call Center belegen dies eindruumlcklich Festivalisierung uumlber Mega-Events stellt daher einen zusaumltzlichen potentiell Einkommen generierenden Standortfaktor im globalen Wettbewerb dar In den letzten 20 vor allem aber in den letzten zehn Jahren organisierte sich Rio de Janeiro als eine Stadt der Mega-Events 1992 hielt die UNO ihre erste groszlige Konferenz fuumlr Umwelt und Entwicklung in Rio ab Immer rascher dann die Ab- folge seit 2007 die Panamerikanischen Spiele 2007 die Welt-Militaumlrspiele 2011 2012 die zweite UN-Umweltkonferenz Rio+20 2013 Confederations Cup und Welt- jugendtage (Papstbesuch) WM 2014 Olympische Spiele 2016 Rios Stadtplaner denken die Zukunft der Stadt durchgaumlngig im Wettbewerb mit anderen Groszlig- staumldten und definieren vorrangig folgende Zielvorgaben Austragungsort fuumlr Sport- ereignisse mit hohen Ertraumlgen und groszlige Konferenzen Ansiedlung von Energie- unternehmen und technologischen Forschungszentren von audiovisueller Indus- trie und Telekommunikation Entwicklungszentrum fuumlr laquoSeniorenwirtschaftraquo ndash fuumlr die alternden Gesellschaften Europas aber ab 2030 auch Brasiliens und anderer lateinamerikanischer Gesellschaften Touristenzentrum Zentrum fuumlr Kreative und Startups Kulturmetropole des Cone Sul (span Cono Sur) Faktoren die sich auf einen etwaigen Nutzen fuumlr die Bevoumllkerung selbst bezoumlgen gar im Sinne einer zu- kunftsfaumlhigen Stadt fuumlr seine 11 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen sind nicht genannt10 Der Gedanke der laquoStadt im Wettbewerbraquo durchzieht die Stra- tegische Planung der Stadtverwaltung von Rio de Janeiro seit den 1990er Jahren

10 Oliveira Filho Luiz Chrysostomo de Giambiagi Fabio Perspectivas de uma Cidade em Transformaccedilatildeo in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o Poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 3ndash302

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

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Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

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Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

39

Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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die ja als Jahrzehnt einer internationalen liberalen Wende gelten Der Begriff fin- det sich auch durchgaumlngig in Papieren von Finanzierungsinstitutionen groszliger Infrastrukturprojekte wie Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank OECD oder UNDP11

Olympia als Vehikel der Inwertsetzung neuer Stadtgebiete

Die Massenproteste von 2013 in Brasilien waumlhrend des Confederation Cup dem laquoVorbereitungsturnierraquo fuumlr die Fuszligball-Weltmeisterschaft setzten die hohen oumlffent-lichen WM-Ausgaben und die geringen Leistungen des brasilianischen Staates in Schluumlsselbereichen wie Gesundheit und Bildung miteinander in Beziehung Dies machte es fuumlr die Verantwortlichen von Olympia 2016 noumltig zu demonstrieren dass die Spiele der Allgemeinheit vor Ort einen Nutzen bringen Noch noumltiger als vor der Fuszligball-WM da Olympia 2016 deutlich teurer werden wird

Strukturell sind beide Groszligereignisse aumlhnlich organisiert Der laquoEigentuumlmerraquo und Rechteinhaber ist das Internationale Olympische Komitee das direkt sowie durch das Nationale Olympische Komitee und durch eine eigens per Gesetz Nr 12396 vom 2132011 geschaffene laquoOumlffentliche Olympia-Behoumlrderaquo operiert Als Auflage des IOC arbeiten in der Behoumlrde Bund Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammen Leiter der Behoumlrde ist derzeit der General des Heeres Fernando Azevedo e Silva Der Kostenplan fuumlr Olympia 2016 hat drei getrennte Budgets

1 Der Haushalt des Organisationskomitees Rio 2016 deckt die Kosten fuumlr Aus- ruumlstung Unterbringung und Verpflegung der Sportlerinnen und Sportler Tech- nik Marketing und PR Zeremonielles sowie fuumlr die temporaumlren Bauten wie Tribuumlnen Das Geld soll aus den Einnahmen des Olympischen Komitees (Fern-sehrechte Eintrittskarten Werbung) aufgebracht werden

2 Die 56 Projekte der laquoVerantwortungs-Matrixraquo sind definiert als Vorhaben die ohne die Spiele nicht realisiert worden waumlren Sie umfassen vornehmlich den Bau der Sportstaumltten in den vier olympischen Zentren Copacabana Mara- canatilde Deodoro und Barra da Tijuca Verantwortlich fuumlr dieses Budget ist die Oumlffentliche Olympiabehoumlrde APO in der der Bund der Bundesstaat und die Stadt Rio de Janeiro zusammengeschlossen sind Die Mittel von 667 Mrd BRL (Brasilianischer Real Abk R$) sind Bundes- und private Gelder

3 246 Mrd R$ sind fuumlr den laquoVermaumlchtnis-Planraquo12 (Plano do Legado ) vorgesehen Er umfasst Projekte in den Bereichen Mobilitaumlt Verkehrsinfrastruktur Umwelt Stadterneuerung Soziale Entwicklung

Der Nahverkehr ist dabei der wichtigste Sektor Hierfuumlr wird ein Groszligteil der Kos- ten aufgewendet Hier haben sich auch die sozialen Konflikte konzentriert

11 Faulhaber Lucas Azevedo Lena Remoccedilotildees no Rio de Janeiro Oliacutempico Rio de Janeiro 2015 S 22 ff

12 laquoPlan fuumlr staatliche Politik ndash Vermaumlchtnis der Olympischen und Paraolympischen Spiele Rio 2016raquo

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Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

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OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

25

sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Tabelle 1 Kosten verschiedener Mega-Events

Ausgaben (in Mrd R $)

Ausgaben (in Mrd US-Dollar)

Olympia Rio 2016

Investitionen olympisches Komitee Rio

74013 211

Sportstaumltten 667 191

Plano Legado (Infrastruktur Umwelt Stadt- erneuerung ohne Flughaumlfen)

2460 703

Total 3867 110513

Olympia London 2012 1460

Olympia Rio 2016 (bei Bewerbung)

2880 146914

WM 2014 (offiziell)

2560 114815

Olympia in Rio wird vor allem in vier Gebieten stattfinden Maracanatilde im zent- rumsnahen Norden der Stadt Copacabana in der alten Suumldzone sowie vor allem Barra da Tijuca und Deodoro beide im Westen Das Gebiet des alten Hafens war urspruumlnglich auch einbezogen wurde aber spaumlter aus der Planung herausgenom- men Dennoch findet dort ein umfangreiches Investitionsprogramm statt ndash das Programm laquoWunderbarer Hafenraquo das aumlhnlich wie in US-amerikanischen und europaumlischen Staumldten von Baltimore bis Barcelona eine vernachlaumlssigte zent- rumsnahe Gegend mit einer Mischung aus Kulturstaumltten und gehobenem Wohn-raum laquorevitalisiertraquo In Rio de Janeiro geschieht dies mit erheblichen Subven- tionen der oumlffentlichen Hand fuumlr die Bauwirtschaft die uumlber die Luxusimmobilien in dann laquobester Lageraquo hohe Gewinne einfahren wird Verlierer sind auch hier die aumlrmeren Menschen die sich im Hafengebiet angesiedelt hatten als niemand sich dafuumlr interessierte und die nun vertrieben worden sind Die Straszligenbahn die dort gebaut wird nutzt ihnen jedenfalls nichts mehr

Durchaus von Nutzen fuumlr die allgemeine Bevoumllkerung sind die vier BRT-Tras- sen die verschiedene Teile des Westens ndash die Sportzentren Deodoro und Barra da Tijuca etwa ndash untereinander aber auch mit zentrumsnaumlheren Stadtteilen sowie dem

13 Fuumlr die Zahlen dieser Zeile und der kommenden 3 Zeilen gilt folgender Umrechnungskurs vom 15082015 1 USD = 350 R $

14 Umrechnungskurs 1 USD = 196 R $ Stichtag 07092007 dem offiziellen Bewerbungsdatum15 Umrechnungskurs 1 USD = 223 R $ Stichtag 12062014 Beginn der Fuszligball-Weltmeisterschaft

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

25

sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Flughafen verbinden Die verkehrspolitische Bedeutung ist zum Teil jedoch frag- lich da der Schwerpunkt auf die schneller und kostenguumlnstiger gebauten BRTs den mittel- und langfristig deutlich sinnvolleren Ausbau der bisher wenige Kilo-meter umfassenden U-Bahn weiter verzoumlgern wird Prioritaumlt beim U-Bahn-Ausbau erhielt ausgerechnet die Strecke entlang der teuren Strandviertel von Ipanema uumlber Gaacutevea Satildeo Conrado bis eben ins Olympiagebiet Barra da Tijuca Das wird immer- hin den zahlreichen Haus- und Kindermaumldchen zugute kommen die dort in den Apartments arbeiten die Bewohner und Bewohnerinnen selbst fahren aus Sicher-heits- Status- und Bequemlichkeitsgruumlnden im eigenen PKW Fraglich ist auch die Trassenfuumlhrung der BRT und dies nicht nur weil zB alle vier BRT nur an genau einer Station mit den vorhandenen U-Bahn-Linien verbunden sind Doch insge- samt kommen die BRT ohne Frage der Allgemeinheit zugute

In Barra und Deodoro den beiden Austragungskomplexen im Westen der Stadt entstehen zahlreiche neue Sportstaumltten Die brasilianische Olympiabehoumlrde hat offenbar von den Briten sowie den heftigen Debatten der juumlngeren Vergangen- heit gelernt Ihren Angaben zufolge sind einige Sportstaumltten ndash wie etwa die Zu- kunftsarena im Olympischen Park wo die Handball- und bei den Paralympics die Goalball-Spiele ausgetragen werden ndash demontabel und werden nach den Spielen abgebaut Groszlige Teile des Olympischen Parks sollen als Olympisches Trainingszentrum dem nationalen Spitzensport zugute kommen ndash hier besteht in der Tat groszliger Bedarf Andere Installationen sollen zu Schulen umgewidmet werden Nicht frei von unfreiwilligem Zynismus in einem der weiterhin einkom- menungleichsten Laumlnder der Erde ist die Ankuumlndigung der heftig umstrittene olympische Golfplatz soll hernach der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich sein und Golf als Sportart in Brasilien populaumlr machen16

Gleichzeitig wird dem Phaumlnomen nicht gerecht wer nur auf die Sportstaumltten schaut Ihr Bau fuumlgt sich ein in ein gigantisches Stadtveraumlnderungsprojekt dessen Nutznieszliger und Geschaumldigte nicht unter den Athlethen und Athletinnen sind Der Westen der Stadt Rio de Janeiro eroumlffnet Weiten die den meisten Besuchern und Besucherinnen und auch den meisten Bewohner und Bewohnerinnen des Kernbereichs der Stadt kaum bewusst sind Den noumlrdlichen Westen ndash Jacarapeguaacute Deodoro Santa Cruz ndash bilden groszlige Siedlungsgebiete die ganz uumlberwiegend von Arbeitern und Arbeiterinnen und anderen gering verdienenden Menschen be- wohnt werden Der Suumlden des Westens am Strand oder strandnah gelegen bil- det das Viertel Barra da Tijuca wegen seiner Struktur aus breiten mehrspurigen Schnellstraszligen gut ausgestatteten Apartments in Hochhausagglomerationen und Shopping Malls auch Neu-Miami genannt Das riesige Areal war fast gaumlnzlich in der Hand weniger Groszligeigner die es mit Unterstuumltzung der Stadtpolitik seit den 1970er Jahren systematisch und unter groszligen Gewinnen als laquoNeue Suumldzoneraquo fuumlr die gut verdienende Mittelschicht erschlossen In der zwischen Meer und Felsen- ketten begrenzten alten Suumldzone Rios gab es keinen Platz mehr die Quadrat- meterpreise houmlrten nicht auf zu steigen Es lockte moderner Komfort zu moderaten

16 Siehe dazu die offizielle Olympiaseite wwwrio2016combr

19

Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

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3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

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Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

39

Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Preisen und ein favelafreies Umfeld Fuumlr Stadtentwicklung unter immobilien- wirtschaftlichen Vorzeichen sowie fuumlr staumldtisches Marketing steht Barra da Tijuca seit Anbeginn Das Gebiet sollte bereits die Weltausstellung von 1972 beherbergen Schon bei der Olympiabewerbung 2004 unter Buumlrgermeister Cesar Maia (1993ndash96) war Barra da Tijuca als Austragungszentrum vorgesehen Die Panamerikanischen Spiele 2007 gaben dann den Testfall fuumlr einen vollzogenen Uumlbergang in der Stadt- planung von der an oumlffentlichem Interesse ausgerichteten funktionalen Moderne zur Konzeption der Stadt als wettbewerbsorientiertes Unternehmen bzw als Ware Dahinter standen drei Ziele Verstaumlrkung vorhandener dynamischer Zentren (Suumld- zone) Revitalisierung heruntergekommener Zentren (Hafengebiet in der Stadtmitte Projekt laquoWunderbarer Hafenraquo) Schaffung eines neuen Zentrums in Barra da Tijuca17

Modernitaumlt und Exklusivitaumlt fuumlr eine neue Elite ohne stoumlrende Armensied- lungen Kernbereich eines neuen Rio de Janeiro ndash das ist die Stadtentwicklungs- philosophie etwa des groumlszligten der Groszliggrundbesitzer Carlos Carvalho Besitzer des Konzerns Carvalho Hosken die den Olympischen Park und das Olympische Dorf baut Beide Olympiaprojekte sind mit dem Bau von Luxuswohnungen verbun- den ndash ganz anders als in London 2012 wo der Olympische Park das herunter- gekommene East End wiederbeleben sollte und relativ preisguumlnstige Wohnungen hinterlieszlig18

Das Konzept eines neuen Rio in Barra da Tijuca im Sinne von Carvalho wurde konsequent umgesetzt auch gegen Widerstand Am heftigsten und laumlngsten wehrte sich die Siedlung Vila Autoacutedromo so genannt weil sie am Rand einer stillge- legten Autorennstrecke liegt Vila Autoacutedromo ist keine laquoillegaleraquo Siedlung keine laquofavelaraquo Sie wurde vor Jahrzehnten von der Stadtverwaltung selbst fuumlr geraumlumte Favelabewohner und -bewohnerinnen aus dem Stadtzentrum angelegt die auf die damals gruumlne Wiese weit entfernt vom Stadtzentrum abgeschoben wurden und eine Besitzgarantie erhielten Im Zuge der Olympiavorbereitungen ist ihr Gebiet ploumltzlich hochinteressant geworden fuumlr die Investition in den Bau hochpreisiger Wohnanlagen und Hotels am Rand des Olympischen Parks der auf dem Gelaumlnde der Rennstrecke entsteht Ganz im Sinne des fuumlr alle Staumldte mit mehr als 20000 Einwohnern geltenden Stadt-Statuts erarbeiteten Experten des Instituts fuumlr Stadt- und Regionalplanung und -forschung der Bundesuniversitaumlt Rio de Janeiro zusammen mit den Einwohnern und Einwohnerinnen der Vila Autoacutedromo einen alternativen Entwicklungsplan Dieser garantiert den Erhalt der Siedlung ihre Mo- dernisierung und Umweltsanierung sieht Freizeit- und soziale Einrichtungen vor

17 Siehe Castro Demian Garcia et al O Projeto Oliacutempico da Cidade do Rio de Janeiro reflexotildees sobre os impactos dos megaeventos esportivos na perspectiva do direito agrave cidade in Dos Santos Junior Orlando Gaffney Christopher Ribeiro Luiz Cesar de Queiroz (Hg) Brasil Os Impactos da Copa do Mundo 2014 e das Olimpiacuteadas 2016 Rio de Janeiro 2015 S 409ndash435 hier S 410 Mit der Rolle von Barra da Tijuca im Olympischen Projekt beschaumlftigt sich die noch unveroumlf-fentlichte Masterarbeit von Renato Cosentino Vianna Guimaratildees Barra da Tijuca e o Projeto Oliacutempico A cidade do capital Rio de Janeiro 2015

18 wwwtheguardiancomsport2015aug04rio-olympic-games-2016-property-developer-car-los-carvalho-barra2

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

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3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

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Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

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Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Baustelle der TransCarioca Die Schnellbustrasse verbindet Rios internationalen Flughafen und Barra da Tijuca einen der olympischen Veranstaltungsorte

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

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OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

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3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

23

OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

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3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Die Bauvorhaben fuumlr die Spiele sind in dem Plan beruumlcksichtigt Zudem ist er nach Berechnungen des Universitaumltsinstituts billiger als der Investitionsplan der Stadt19 Der Plan gewann Ende 2013 den Urban Age Award der Alfred-Herrhausen-Stiftung der Deutschen Bank

Die Stadtverwaltung sicherte zwischenzeitlich den Erhalt der Vila zu hat aber mittlerweile mehr als 50 Prozent der Siedlung abgerissen Ein Teil der Bewohner-schaft bekam neugebaute Ersatzwohnungen in der Naumlhe zugewiesen Eine Reihe von Anwohnern und Anwohnerinnen erhielten zum Teil sehr hohe Abfindungen und zogen aus Ihre Haumluser lieszligen die Behoumlrden sofort abreiszligen Wer aber der Raumlumung widerstand und sich oumlffentlich fuumlr den Erhalt der Siedlung einsetzte dem kippten die Behoumlrden den Schutt des aufgegebenen Nachbarhauses so unmit-telbar vor die Haustuumlr dass der Zugang zur eigenen Wohnstatt kaum noch moumlg-lich war Die klassische laquoTeile und herrscheraquo-Strategie war darin erfolgreich die einst geeinte Bewohnerschaft zu spalten schaffte es aber nicht alle zur Aufgabe zu bewegen Zuletzt wurden die Verbliebenen aus uumlbergeordnetem laquooumlffentlichen Inte-resseraquo zwangsgeraumlumt Als die Stadt den Bewohnern und Bewohnerinnen Bleibe- garantie und Besitztitel gab lag Vila Autoacutedromo noch an der Peripherie auf wert- losem Grund ohne Anschluss an staumldtische Infrastruktur Das hat sich grundlegend geaumlndert und daher war die Inwertsetzung letztlich mehr wert als die Bleibegarantie

Die Ingenieure der Mega-Events Das korporative Geflecht

Neben FIFA und IOC sind eine uumlberschaubare Anzahl groszliger Baufirmen die Haupt- nutznieszliger der megaeventbezogenen Groszligprojekte Zu nennen sind insbesondere vier der laquofuumlnf Schwesternraquo Odebrecht Andrade Gutierrez OAS und Camargo Cor- recirca (Nummer 5 ist Queiroz Galvatildeo) Der Rufname verweist auf die kartellartige Ver- flechtung und Vorgehensweise dieser multinationalen brasilianischen Konzerne bei Ausschreibungen Bei praktisch allen groszligen Infrastrukturprojekten die die Stadt Rio de Janeiro in den letzten Jahren vergeben hat sind jeweils mindestens zwei der vier Firmen direkt oder indirekt beteiligt oft in einem Konsortium verbunden20 Zehn Groszligvorhaben fuumlr WM und Olympia in Rio im Gesamtwert von 10 Mrd Euro21 wurden und werden von den vier Schwestern durchgefuumlhrt22 Zuschlaumlge fuumlr die 12 WM-Stadienerhielten insgesamt 12 Firmen23 Nur drei da- von waren an mehr als einem Stadion beteiligt naumlmlich drei der laquoSchwesternraquo

19 httpscomitepopulariofileswordpresscom201208planopopularvilaautodromopdf20 Pinto Joatildeo Roberto Lopes Donos do Rio in Brasil de Fato 10072013 abrufbar unter

wwwbrasildefatocombrnode13506 Belisaacuterio Adriano Um Jogo para Poucos A Puacuteblica 30062014 abrufbar unter httpapublicaorg201406um-jogo-para-poucos

21 Die brasilianische Waumlhrung Real unterliegt in den letzten Jahren nicht unerheblichen Schwan-kungen gegenuumlber Dollar und Euro Wir haben hier den Kurs waumlhrend der WM zugrundegelegt der sich um die 300 Reais fuumlr 1 Euro bewegte Genau ein Jahr nach WM-Beginn lag der Kurs bei 351 R $ 1 euro

22 Belisaacuterio Jogo para Poucos23 Andrade Gutierrez Andrade Mendonccedila Construcap Egesa Engevix Hap Mendes Junior OAS

Odebrecht Queiroz Galvatildeo Santa Baacuterbara e Via Engenharia

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OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

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3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

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Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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OAS (Natal Salvador) Odebrecht (Recife Rio de Janeiro Salvador Satildeo Paulo) und Andrade Gutierrez (Brasiacutelia Manaus Porto Alegre und Rio de Janeiro)24 Welche Ausmaszlige die Verflechtung von (Bau-) Wirtschaft Staat und Politik annehmen und zu welchen Verlusten fuumlr die Allgemeinheit sie fuumlhren kann beleuchtet seit Ende 2014 der Skandal um Betrug und Vorteilsnahme bei Milliardenausschreibun- gen des halbstaatlichen Erdoumllriesen Petrobraacutes Erstmals in der brasilianischen Ge- schichte wurden die Praumlsidenten von gleich fuumlnf groszligen Bau- und Mischkonzernen (OAS Queiroz Galvao Camargo Correcirca UTC Iesa) wegen des Verdachts auf Be- stechungszahlungen in mehrfacher Millionenhoumlhe in Untersuchungshaft genom-men einige Monate spaumlter kam noch der Vorsitzende von Andrade Gutierrez hin- zu der im Juli 2015 formell unter Anklage gestellt wurde Die Baufirmen sind mit Abstand die groumlszligten Spender fuumlr Politiker und Parteien die hier genannten spen- deten 2014 zusammen mehr als 30 Millionen Euro fuumlr die beiden Praumlsidentschafts-kandidaten Dilma Rousseff und Aeacutecio Neves25 Ohne das groszlige Geld sind Wahl-kaumlmpfe fuumlr brasilianische Politiker bis hinunter auf die Kommunalebene nicht mehr zu finanzieren Die Gewaumlhlten aber sind ab dem ersten Tag ihren Gebern vielfach verpflichtet So findet das Modell-Stadt-Unternehmen seinen Ausdruck auch im Parteienfinanzierungssystem

Rudern gegen die Mikroben Der politische Oumlkoskandal der Bucht von Guanabara

Umweltschutz wird in offiziellen Verlautbarungen der WM-Organisatoren groszlig- geschrieben Die Spiele sollen laquonachhaltig seinraquo Konkret heiszligt das zum Bei-spiel kein illegal geschlagenes Holz zu verwenden und die Goldmedaillen aus Alt- metall zu fertigen Das Essen fuumlr die Athleten und Athletinnen ndash 14 Millionen Mahl- zeiten am Tag ndash soll aus oumlkologischem Anbau kleiner und mittlerer Bauernhoumlfe stammen und keine Pflanzenschutzmittel enthalten ndash im Land des Weltmeisters im Verbrauch von Pestiziden rund sieben Liter pro Einwohner im Jahr eine gar nicht so leicht einzuloumlsende Vorgabe26 Auch Produzenten stehen nicht aus- reichend zur Verfuumlgung zwar kommen immer noch rund zwei Drittel aller Lebensmittel in Brasilien aus kleinbaumluerlicher Produktion und Agraroumlkologie hat eine lange Tradition im Land doch das mit Milliardenkrediten ausgestattete Agrobusiness verdraumlngt diese Bauern und Baumluerinnen weiter

Schlagzeilen machte aber zunaumlchst der Bau eines neuen Olympischen Golf- platzes ndash die zwei vorhandenen genuumlgten den Anforderungen nicht Dafuumlr erlieszlig die Stadtverwaltung eigens eine Verordnung die es erlaubte das Umweltschutzge-

24 wwwdiarioliberdadeorgbrasilresenhas40115-cartel-de-empreiteiras-na-copa-mais-um-alerta-da-C3A1frica-do-sul-para-o-brasilhtml

25 httpnoticiasuolcombrpoliticaultimas-noticias20141125empreiteiras-da-lava-jato-doaram-r-988-mi-a-campanhas-de-dilma-e-aeciohtm

26 Kreutzmann Susann Zwischen Nachhaltigkeit und Pestiziden Auf der Suche nach den Gruuml-nen Olympischen Spielen in Der Standard 362015 httpderstandardat2000016740863Auf-der-Suche-nach-den-gruenen-Olympischen-Spielen2

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

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3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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biet Marapendi (Stadtteil Barra da Tijuca) zu verkleinern Die Baufirma RJZ Cyrela erhielt zusaumltzlich die Genehmigung auf dem geschuumltzten Gebiet 23 Luxusgebaumlude mit je 22 Stockwerken zu bauen Weniger Schlagzeilen machte dass fuumlr den Bau der BRT-Strecke Transoliacutempica zwischen den Stadtvierteln Deodoro und Recreio dos Bandeirantes 20 Hektar Atlantischer Regenwald gerodet wurden Die laquomata atlacircnticaraquo zaumlhlt zu den meistgefaumlhrdeten Biomen auf der Erde Die Stadtverwal- tung versprach 40 Hektar an anderer Stelle aufzuforsten27

Zum versprochenen laquoVermaumlchtnisraquo Olympias in Rio gehoumlrt auch eine ebenso oumlkologische wie kulturhistorische Vordringlichkeit Die Saumluberung der Bucht von Guanabara (sowie der ebenfalls verseuchten Lagunen in Barra da Tijuca und Jaca- repaguaacute)

Die Einfahrt in die Bucht von Guanabara ist Pflichtbeschreibung fuumlr alle Be- richte europaumlischer und nordamerikanischer Brasilienreisender im 18 und 19 Jahrhundert Das Ensemble von Gebirge Wasser und einer noch kleinen weiszligen Kolonialstadt bot eine weltweit kolportierte Natur-Erfahrung ersten Erhabenheits- Ranges Die Sklaven leerten die Nachttoumlpfe ihrer Herren natuumlrlich direkt in die Bucht doch mit der Industrialisierung seit den 1940er und dem starken Bevoumllke-rungswachstum des Groszligraums Rio de Janeiro vor allem seit den 1960er Jahren verschaumlrfte sich das Problem erheblich Die Behoumlrden blieben jahrzehntelang untaumltig Heute flieszligen Abwaumlsser von zehn Millionen Menschen und 12000 Indus- trieanlagen aus Rio de Janeiro und weiteren 14 Anrainergemeinden in die Bucht bzw in die in die Bucht muumlndenden 35 Fluumlsse Jede Sekunde muss das Wasser der Guanabara 18000 Liter gaumlnzlich unbehandelte Abwaumlsser aufnehmen Auf der Oberflaumlche des bakteriell verseuchten Wassers schaukeln unkalkulierbare Men-gen von Muumlll Ganz aumlhnlich sind die Zustaumlnde in den Lagunen von Barra da Tijuca Jacarepaguaacute und in der Suumldzone der Stadt Rio de Janeiro Auf der Lagune Rodrigo de Freitas sollen 2016 die olympischen Ruder- in der Bucht die Segelwettbewerbe stattfinden

Die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 machte die Weltoumlffentlichkeit kurzfristig auf diesen politischen Oumlko- oder oumlkologischen Politskandal aufmerk-sam Der Bundesstaat Rio de Janeiro legte daraufhin 1994 ein erstes Programm zur Saumluberung der Guanabara-Bucht (PDBG) auf Daruumlber wurden nach Angaben des Rechnungshofs des Bundesstaates von 2006 zufolge in den 12 Jahren Laufzeit ins- gesamt 117 Mrd USD oder 107 Mrd Euro aufgewendet Ziele des Programms waren Saumluberung der Bucht v a durch Abwasseraufbereitung Trinkwasserversor-gung Muumlllentsorgung Der Groszligteil des Geldes ging in den Bau von Klaumlranlagen Das Problem Die meisten von ihnen sind nicht in Betrieb aus einem schlich-ten Grund Es fehlen die Zuleitungen Dh so unglaublich es klingt Man hat mit Geldern des Bundes sowie Krediten von der Interamerikanischen Entwicklungs- bank und der japanischen Agentur fuumlr Internationale Zusammenarbeit Klaumlranlagen gebaut aber offenbar weder verabredet noch dafuumlr gesorgt dass die zustaumlndigen Kommunen sowie der Bundesstaat Rio de Janeiro Zuleitungen und ein ent-

27 PACS Rio 2016 de Gastos 2 (Mai 2015) S 3

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

27

3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

29

Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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sprechendes Kanalisationsnetz zur Verfuumlgung stellten Die Folge Noch 2008 bei der Olympiabewerbung wurden nur 20 Prozent der Abwaumlsser geklaumlrt in die Bucht geleitet 80 Prozent ungeklaumlrt 2013 bewilligte die Regierung ein weiteres Pro- gramm ausgestattet mit 215 Millionen Euro Heute sind nach offiziellen Angaben zwar 66 Prozent aller Haushalte der Region an Kanalisation angeschlossen doch ebenfalls 66 Prozent aller Abwaumlsser (von 66 Millionen Menschen) landen unge- klaumlrt in der Bucht da nur 34 Prozent der Haushalte an eine Kanalisation ange- schlossen sind die auch in einer Klaumlranlage endet28 Heute ist ein Teil dieser Anlagen halb verrottet und nicht mehr funktionstuumlchtig Nicht einmal fertig ge- baut wurden ndash ebenfalls mit Geldern des Programms zur Reinigung der Guana- bara-Bucht (Programa de Despoluiccedilatildeo da Baiacutea de Guanabara PDGB) ndash Muumllldepo- nien und Muumlllverbrennungsanlagen in den Groszligstaumldten Niteroacutei und Satildeo Gonccedilalo sowie der Gemeinde Mageacute Sie sind heute zu riesigen irregulaumlren Muumlllkippen ver- kommen29

Das brasilianische Olympische Organisationskomitee hatte versprochen bis zum Beginn der Spiele die laufende Verunreinigung um 80 Prozent zu mindern30 Es gibt nicht viele Menschen in der Stadt die daran ernsthaft glauben ndash trotz der Ankuumlndigung einer ganzen Reihe von landes- und bundesstaatlichen Program- men31 Zu einschlaumlgig sind die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zu gering die Fortschritte in der langen Zeit Fortschritte gab es bei der Muumlllbehandlung ndash ein weiteres oumlkologisches Groszligproblem der Bucht Groszlige offene Muumllldeponien von denen aus tonnenweise Muumlll in die Bucht geschwemmt wurde sind geschlos-sen vier groszlige Muumlllbehandlungszentren entstanden seit 200832 Eher tragikomisch mutet dagegen an dass die Landesregierung einige schwimmende Barrieren und 10 kleine laquoOumlkobarkassenraquo zu Wasser lieszlig auf denen Freiwillige den Muumlll aus dem Wasser fischen sollen ndash bei 346 kmsup2 ist das allenfalls als PR-Aktion zu werten33

In den letzten zwei Jahren haben auslaumlndische Olympiateilnehmer wie der daumlnische Bronzemedaillengewinner von 2012 Allan Norregaard auf Testbesuch in Rio die Zustaumlnde der Gewaumlsser heftig kritisiert laquoUnfair und gefaumlhrlichraquo sei es die Segler in die Bucht zu schicken in 20 Jahren Segelwettbewerb habe er keinen so verdreckten Ort gesehen sagte Norregaard Der britische Ruderverband sagte

28 Ramos Marilene Kelman Jerson Os compromissos oliacutempicos e o legado para o saneamento ambiental da cidade e da Baiacutea da Guanabara in Fabio Giambiagi (Hg) Depois dos Jogos Pensando o Rio para o poacutes 2016 Rio de Janeiro 2015 S 103ndash116 hier S 105

29 httpogloboglobocomriosucata-publica-obras-de-80-milhoes-jogadas-no-lixo-1371665230 Mitte Juli 2014 kuumlndigte der Gouverneur des Bundesstaates Luiz Pezatildeo an die Vorgabe sei bis

2016 nicht zu erreichen sondern erst bis 201831 Eine Uumlbersicht bei Ramos Kelman (2015) aaO S 112ff Das Programm zur Sanierung der

Anrainerkommunen der Guanabara-Bucht wird mit 13 Mrd R$ ausgestattet die zum Teil mit Krediten der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert werden

32 Ebd S 108f Souza Luiz Gabriel Rodrigues et al O lixo o esgoto na Baiacutea de Guanabara e os programas de despoluiccedilatildeo a miacutedia versus os dados in Foacuterum Ambiental 102 (2014) S 183ndash198

33 httpolimpiadasuolcombrnoticias20150315por-que-nao-da-certo-a-limpeza-da-baia-de-guanabara-para-a-rio-2016htm2

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

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3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

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Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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nach Ankunft in Rio und Ortsbesichtigung die geplanten Trainings auf der Lagune ab und verbot seinen Athleten sogar jegliches Bad im Meer34

Waumlhrend die Zahl der Programme sich umgekehrt proportional zu den Ergeb- nissen verhaumllt kann man die Veraumlnderungen in der Bucht infolge der erdoumllver- arbeitenden Industrie als durchgreifend werten Der petrochemische Komplex in Duque de Caxias auf der Suumldseite der Bucht produziert seit den 1960er Jahren Erdoumllderivate Ein weitere Groszligraffinerie (Complexo Petroquiacutemico do Rio de Janeiro Comperj) in Itaboraiacute im Norden der Bucht ist seit Jahren in Bau Auf der Bucht draumlngen sich schon jetzt die Oumll- und Gastanker dazu Bohrinseln die hier gewar-tet werden Inmitten der Bucht sind schwimmende Terminals installiert worden Unzureichende und unter politischem Druck verabreichte Umweltgenehmi- gungen haben die sozio-oumlkologischen Schaumlden allenfalls gemindert die Comperj verursachen wird und bereits verursacht darunter die Zerstoumlrung von Mangro- venwaumllder Ablagerungen von giftigen petrochemischen Ruumlckstaumlnden (Grund-) Wasserverseuchung Reduzierung des Fischbestands Itaboraiacute grenzt an das Um- weltschutzreservat der Bucht genannt Aacuterea de Proteccedilatildeo Ambiental Guapimirim Comperj bedroht nicht nur dieses wichtige Reservat sondern auch 31 Schutzge- biete des Atlantischen Regenwaldmosaiks

Die Zuleitungsrohre bis zu den Raffinerien verlaufen knapp unter der Wasser- oberflaumlche Den Fischern gegenuumlber ndash es gibt tatsaumlchlich noch Fisch und Fischer in der Bucht von Guanabara ndash erklaumlrte der Erdoumllkonzern Petrobraacutes diese Teile der Bucht kurzerhand zum Sperrgebiet In ihrer ohnehin kaumlrglichen Existenz bedroht organisierten sich die Fischer etwa in der Vereinigung der Maumlnner und Frauen des Meeres (AHOMAR) in der Gemeinde Mageacute und protestierten oumlffentlich und juris- tisch dagegen dass ihnen ihre Fischgruumlnde und damit ihre Lebensgrundlage ge- nommen wurde Die Regierung lieszlig den Protest z T gewaltsam unterdruumlcken unter anderem zerschoss die Militaumlrpolizei von Hubschraubern aus die Fischerboote Seit 2010 wurden bereits vier der engagierten Fischer ermordet AHOMAR-Sprecher Alexandre Anderson erhielt mehrfach Todesdrohungen und uumlberlebte bereits zwei Anschlaumlge Seit 2009 lebt er mit seiner Frau Daize Menezes mit 24-stuumlndiger Polizeieskorte bzw versteckt in einem Zeugenschutzprogramm35

34 httpesportesterracombrjogos-olimpicos2016sede-da-vela-no-rio-2016-baia-de-guan-abara-convive-com-esgoto-e-criticas8efcf54fe1de2410VgnVCM20000099cceb0aRCRDhtml httpexameabrilcombrbrasilnoticiasremadores-olimpicos-britanicos-evitam-agua-polui-da-no-rio

35 Siehe Faustino Cristiane Furtado Fabrina Induacutestria do Petroacuteleo e Conflitos Ambientais na Baia da Guanabara o caso do Comperj Relatoria do Direito Humano ao Meio Ambiente Rio de Janeiro 2013 FAPP-BG (Hg) 50 anos de Refinaria Duque de Caxias e a expansatildeo da induacutestria petroliacutefera no Brasil conflitos socioambientais no Rio de Janeiro e desafios para o paiacutes na era do preacute-sal Rio de Janeiro 2013 sowie diverse Berichte zu AHOMAR auf der website wwwglobalorgbr

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3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

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Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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3 Vor der WM ist vor Olympia Die WM in Brasilien und die Parallelen zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro

Dieses Kapitel zieht eine Bilanz der Fuszligball-WM 2014 unter der Perspektive des Nutzens fuumlr die Allgemeinheit sowie der Garantie oder Verletzung von Rechten der Bevoumllkerung Diese Bilanz hat eine direkte Beziehung zu den Olympischen Spielen Zum einen zeigt sie Muster der Kostenproduktion und -verschleierung auf die auf andere Groszligereignisse anwendbar sind und auch fuumlr Olympia zu- treffen Beispiele sind spezifische Steuerbefreiungen sowie Ausnahmeregime die mit speziellen Gesetzen (WM-Gesetz Olympiagesetz) abgesichert werden und ver- deckte Kosten fuumlr die Gemeinwesen verursachen Zum anderen waren vor allem in Rio de Janeiro die Veraumlnderungen des staumldtischen Raums seit 2010 und ihre sozialen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Regel auf die WM wie auf die Olympischen Spiele bezogen WM und Olympia sind in eins zu betrachten

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Den Angaben des Transparenzportals der brasilianischen Regierung zufolge waren fuumlr die WM insgesamt Ausgaben von rund 256 Mrd brasilianischen Reais (R$) oder 85 Mrd Euro vorgesehen Das macht sie bereits zur teuersten Weltmeis- terschaft aller Zeiten Die WM in Suumldafrika kostete mindestens 4 Mrd Euro in Deutschland wurden fuumlr die WM 2006 3 Mrd Euro verausgabt Praumlsident da Silva versprach 2007 die WM werde eine WM der Privatwirtschaft doch tatsaumlchlich trug der private Sektor lediglich 147 Prozent der Ausgaben alles andere waren oumlffentliche Mittel bzw Kredite Bei den Infrastrukturinvestitionen fuumlr die Olym- pischen Spiele (derzeit 246 Mrd R$) sollen 43 Prozent privat finanziert werden

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

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Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

39

Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Tabelle 2 Offizielle Kosten der Fuszligball-Weltmeisterschaft 2014 36

Sektor Ausgaben (in Mrd R $)

Flughaumlfen 6281

Kommunikation 0007

Tourismus 0180

Stadien 8005

Temporaumlre Strukturen (Confed Cup)

0209

Oumlffentlicher Nahverkehr 8025

Andere Dienstleistungen (Monitoring Freiwilligen Programm)

0041

Haumlfen 0609

Oumlffentliche Sicherheit 1879

Telekommunikation 0405

Total R $ 25641

Total USD 13355

Stadien

Fuumlr die Fuszligballweltmeisterschaft entstand ein Drittel der Gesamtkosten durch den Neu- und Umbau der insgesamt 12 Stadien Gegenuumlber dem bei der FIFA ein- gereichten Kostenvoranschlag von 2007 stiegen die Baukosten um 263 Prozent auf rund 8 Mrd R$ oder 27 Mrd Euro im Vergleich zum korrigierten offiziellen Kostenplan von Dezember 2010 gingen die Kosten immerhin noch um 42 Prozent in die Houmlhe37

Die FIFA hat betont dass es eine Entscheidung der brasilianischen Regie-rung war in 12 Staumldten zu spielen ihr WM-Konzept sehe ein Minimum von acht

36 Portal da Transparecircncia Controladoria-Geral da Uniatildeo (CGU) wwwportaltransparenciagovbrcopa2014empreendimentosinvestimentosseammenu=2ampassunto=tema

37 Das ist mehr als die Kosten fuumlr den Stadienbau in Deutschland 2006 und Suumldafrika 2010 zusammen httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolcusto-das-obras-dos-estadios-da-copa-do-mundo-salta-263-em-seis-anos1140010 httpplacarabrilcombrmateriacustos-dos-estadios-da-copa-de-2014-ficaram-42-maiores-que-o-previsto

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Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Stadien vor38 Praumlsident Lula da Silva zog anfaumlnglich sogar 17 Stadien in Betracht Diese Entscheidung zog handfeste Kosten fuumlr die Allgemeinheit nach sich Min-destens vier Stadien sind als sogenannte laquoWeiszlige Elefantenraquo zu betrachten fuumlr die kein adaumlquater und kostendeckender Bedarf nach der WM besteht In Brasiacutelia Cuiabaacute Natal und Manaus spielt kein Fuszligballverein in einer houmlheren Profiliga In Manaus gehen im Schnitt 500 Zuschauer zu den Spielen die Einnahmen liegen im Schnitt bei gut 4000 R$ pro Spiel39 Im aggressiven tropischen Klima hat die Stadt Manaus nun ein Stadion mit 44000 Sitzplaumltzen zu unterhalten Die Bau- kosten lagen bei 757 Mio R$ 242 Mio mehr als im offiziellen Kostenplan Wie auch das Nationalstadion in der Hauptstadt Brasiacutelia richtet Manaus nun zuweilen Spitzenspiele der Ersten Liga zwischen Mannschaften aus Rio de Janeiro und Satildeo Paulo aus aber damit und mit gelegentlichen Rockkonzerten traumlgt sich das Stadion wirtschaftlich nicht Ein Jahr nach der WM operierten acht der 12 Stadien mit Verlusten die sich allein 2014 auf 42 Millionen Euro beliefen Das neue Natio- nalstadion in Brasiacutelia kostet 200000 Euro Unterhalt im Monat auch die Vermie- tung von Raumlumen an Organe des Bundesdistrikts hat nicht verhindern koumlnnen das bis Ende 2014 bereits 12 Mio Euro Defizit aufgelaufen waren40

Selbst im legendaumlren Maracanatilde-Stadion in Rio de Janeiro finden die meis-ten Spiele vor halb- bis dreiviertelleeren Raumlngen statt Das einst groumlszligte Stadion der Welt in das einmal ein Zehntel der gesamten Stadtbevoumllkerung hineinpasste und zuweilen auch hinging ist heute lediglich eine FIFA-Event-Arena wie alle anderen auch Niemand hat etwas gegen mehr Sicherheit Doch das neue Konzept zeigt wie der Spitzensport sich laquoeventisiertraquo und an seinen alten Unterstuumltzern vorbei- zieht Es zielt eher auf ein zahlungskraumlftiges Publikum das Fuszligballspiele als kon- sumierbares Happening begreift und feiert in den VIP-Lounges mit Catering und Bedienung am Platz eine klassenuumlbergreifende Fankultur zu Tode die uumlber Jahr-zehnte typisch war fuumlr Rio

Verdeckte Kosten

Zu den offiziellen kommen verdeckte Kosten fuumlr das brasilianische Gemeinwesen So ist die FIFA gemaumlszlig des Gesetzes 12350 2010 von den eigentlich faumllligen Im- portsteuern Steuern auf Industrieprodukte sowie Einkommens- und Umsatzsteuer fuumlr juristische und physische Personen befreit Ihre Einnahmen aus Weltmeis- terschaften haben sich ebenfalls kontinuierlich gesteigert sie lagen im Zeitraum 2003ndash2006 bei rund 1 Mrd Euro 2007ndash2010 bei rund 3 Mrd Euro41 und erreich- ten fuumlr 2011ndash2014 die neue Rekordsumme von 572 Mrd US-Dollar also gut

38 wwwfifacommmdocumenttournamentcompetition02363263faq_en_neutralpdf39 wwwweltdesportfussballwm-2014article116947831Brasilien-baut-das-absurdeste-WM-

Stadion-der-Welthtml40 Ergebnisse einer Erhebung der Tageszeitung Folha de Satildeo Paulo 12062015 S B641 wwwhandelsblattcomfussball-fifa-wm-in-suedafrika-beschert-fifa-rekordumsatz3912516

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

33

Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

35

Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

41

5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Protest waumlhrend der WM Demonstrierende und Polizei in Belo Horizonte

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

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Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

39

Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

43

Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

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Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

37

4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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5 Mrd Euro42 Den Steuerausfall schaumltzt die brasilianische Bundesfinanzbehoumlrde auf knapp 559 Mio R$ rund 167 Mio Euro43 Die Steuerbefreiungen fuumlr Olympia 2016 werden uumlbrigens sechs Mal houmlher liegen als die fuumlr die FIFA naumlmlich bei 125 Mrd Euro44

Fuumlr WM-bezogene Auftraumlge erhielten die genannten Unternehmen v a der Bau-branche besonders zinsguumlnstige Kredite von staatlichen Banken (die dieses Geld zu Marktzinsen am Kapitalmarkt aufnehmen dh die Unternehmen werden durch eine erhoumlhte Staatsverschuldung subventioniert) sowie Steuererleichterungen Nach Schaumltzungen des brasilianischen Rechnungshofes gingen dem brasilianischen Fiskus hier 329 Mio R$ (110 Mio Euro) verloren45

Deutlich erhoumlhte Ausgaben fuumlr Sicherheit ndash zusaumltzliche Arbeitstage fuumlr Polizei Heer und Feuerwehr die Anschaffung von nichttoumldlichen Waffen und Munition wie Traumlnengas (siehe dazu mehr in Kapitel 5) verursachen ebenso indirekte Kosten wie temporaumlre Einrichtungen fuumlr das Groszligereignis46

Schlieszliglich haben auch die zahlreichen Feiertage erhebliche Kosten verursacht An Spieltagen in ihren Staumldten verordneten die Stadtverwaltungen halbe oder ganze Sonderfeiertage um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren Hinzu kommt die landesweite Tradition den Beschaumlftigten halbe oder ganze Tage freizugeben wenn die brasilianische Nationalmannschaft spielt Die Summe der ausgefallenen Arbeitsstunden reduzierten das Bruttosozialprodukt und konterkarierten zumin- dest teilweise etwaige Zugewinne durch die WM

Ausnahmeregime

Ein Teil dieser indirekten Kosten resultierte aus dem multiplen Regime von Aus- nahmeregelungen mit dem die verantwortlichen Sportverbaumlnde (FIFA IOC) und die nationalen Regierungen die Spiele absichern Dieses Regime tritt in Konkurrenz und nicht selten in Widerspruch mit geltenden nationalen Gesetzen Fuumlr die Mega- Events in Brasilien wurden mit dem WM-Gesetz (Nr 12263 2012) und dem Olym- piagesetz (12035 2009) zwei Regelwerke erlassen Verantwortlich ist die brasilia-nische Regierung allerdings sind die Gesetze eine Bedingung des Ausschreibers

42 Schaumltzung der Wirtschaftspruumlfungsgesellschaft BDO siehe httpesportesestadaocombrnoticiasfutebolfifa-deve-arrecadar-r-10-bilhoes-com-a-copa-do-mundo-de-20141012697 die sich mit deutschen Zeitungsberichten deckt wwwhandelsblattcom1-6-milliarden-euro-ge-winn-fifa-feiert-rekord-wm10255290html FIFA-Finanzbericht 2014 httpdefifacommmdocumentaffederationadministration02568039fr2014webde_germanpdf

43 wwwnoticiasfiscaiscombr20120916fifa-ganha-isencao-de-mais-de-meio-bilhao-de-reais-para-realizar-acopa

44 httpolimpiadasuolcombrnoticiasredacao20121129aprovada-pela-camara-isen-cao-de-impostos-a-empresas-contratadas-para-as-olimpiadas-do-riohtm

45 httpcopadomundouolcombrnoticiasredacao20140116entre-investimento-e-renun-cia-governo-coloca-r-750-mi-em-estadios-da-copahtm

46 wwwboelldede20140603wm-fuer-wen-die-kosten-der-fussball-weltmeisterschaft-2014

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Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

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Keine WM ohne WM-Gesetz keine Spiele ohne Olympiagesetz47 Spezielle Institu- tionen wie das im Bundesjustizministerium geschaffene Auszligerordentliche Sekreta-riat fuumlr Sicherheit der Groszligereignisse unterstuumltzen die Umsetzung der Ausnahme- gesetzgebung

Das WM-Gesetz wurde zum Teil heftig diskutiert da es die Souveraumlnitaumlt Brasiliens einschraumlnkte und parallele Rechtssysteme einfuumlhrte die mit dem geltenden mehr-fach in Konflikt traten So ist Alkoholausschank in Fuszligballstadien per Bundesgesetz sinnvollerweise im ganzen Land verboten Das WM-Gesetz aber erlaubte den Verkauf des Sponsor-Bieres in den WM-Stadien Rund um die Stadien galt eine Sperrzone von zwei Kilometern Radius In diesem Gebiet entschied die FIFA wer Handel treiben durfte und wer nicht Straszligenhaumlndler brauchten eine Lizenz der FIFA und durften nur Produkte der Sponsoren verkaufen Sie sind die vielleicht groumlszligte Berufsgruppe der informellen Wirtschaft in der immer noch rund 44 Prozent der erwerbsfaumlhigen Bevoumllkerung beschaumlftigt sind48 Groszligereignisse haben daher exis-tenzsichernde Bedeutung fuumlr Millionen von brasilianischen Familien Die Regelung verletzte das Recht auf Arbeit und das Recht auf Freizuumlgigkeit fuumlr diese Menschen das ihnen sowohl die brasilianische Verfassung als auch der von Brasilien ratifi- zierte UN-Sozialpakt garantiert Bekannt wurde der Fall der laquobaianasraquo ndash schwarze afro-brasilianische Haumlndlerinnen in traditionellen weiszligen Gewaumlndern in Salvador da Bahia die den lokaltypischen Imbiss Acarajeacute verkaufen und ihre Staumlnde in und rund um das Stadion verlassen sollten und sich teilerfolgreich dagegen wehrten Auch andernorts organisierten sich Straszligenhaumlndler und konnten kleinere Aus- nahmeregelungen von der Ausnahmeregelung der FIFA erwirken49

Besonders deutlich wird die Konzeption von Mega-Events als Geschaumlftsmodell von besonderer Eingriffstiefe in den Marketingregelungen die die FIFA verlangt und die im Gesetz 12263 festgeschrieben sind ndash aumlhnlich wie sie schon fuumlr Suumld- afrika und Deutschland galten Die Weltmeisterschaft ist danach kein Volksfest kein allgemeines Kulturgut sondern privatisiert als kommerzielle Marke der FIFA Ihr allein steht der Gebrauch aller mit der WM verbundenen Symbole sowie des Begriffs laquoFuszligball-Weltmeisterschaftraquo zu wer mit diesen Symbolen und Begriffen arbeiten (Medien) oder werben (zB Einzelhandel) will muss das Recht dafuumlr bei der FIFA kaufen Zuwiderhandlungen konstituieren Straftatbestaumlnde die mit bis zu einem Jahr Haft zu ahnden sind Nach Auffassung von Juristen und Juristinnen werden hierdurch das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung und freie Initiative (Artikel 5 und 170 der brasilianischen Verfassung) verletzt

47 Siehe hierzu und dem Folgenden ausfuumlhrlich die Studie Justiccedila Global PACS Na Sombra dos Mega-Eventos Exceccedilatildeo e Apropriaccedilatildeo Privada Rio de Janeiro Juni 2012 abrufbar unter httpbrboellorgsitesdefaultfilesdownloadsNa_Sombra_dos_Megaeventos_FINAL_maiorpdf

48 wwwvalorcombrbrasil2919914pais-ainda-tem-442-milhoes-de-trabalhadores-informais-estima-o-ibge

49 httpapublicaorgwp-contentuploads2012041-publicacao_SN_small_pt_001pdf wwwcopa2014govbrpt-brnoticia360-ambulantes-serao-cadastrados-para-trabalhar-na-area-ex-terna-da-fan-fest-em-fortaleza Siehe auch De Paula Marilene The 2014 World Cup in Brazil Its Legacy and Challenges Zuumlrich 2014 S 7f wwwsolidarchdataseiten88A238F7Study_World_Cup_Brazilpdf3

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

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Die laquoDifferenzierte Ausschreibungsregelungraquo (Gesetz 12462 2011) setzt fuumlr Aus-schreibungen im Zusammenhang mit WM und Olympia die geltenden Gesetzes- regelungen auszliger Kraft So kann die Ausschreibung auf ein spezielles Produkt oder eine konkrete Firma beschraumlnkt sein Eine Baumaszlignahme kann ohne Projekt- Exposeacute genehmigt werden Bei laquointegrierter Vertragsnahmeraquo ist die ausfuumlhrende Firma selbst verantwortlich Veranschlagte Gesamtkosten koumlnnen als geheim ein- gestuft werden Tritt der guumlnstigste Anbieter zuruumlck kann der zweitguumlnstigte den Bau zu dem von ihm angebotenen Preis (und nicht wie sonst vorgeschrieben zum Preis des niedrigsten Gebots) durchfuumlhren

Ein weiteres Gesetz (12348 2010) erlaubte Kommunen fuumlr Infrastrukturmaszlig-nahmen im Zusammenhang mit der WM Schulden aufzunehmen deren Betrag houmlher als ihre Nettoeinnahmen sind Das trieb die Nettoverschuldung einiger Kommunen in die Houmlhe oder fuumlhrte zu Ausgabenkuumlrzungen in sozial wichtigen Bereichen Im Jahr 2012 beantragte der Buumlrgermeister von Belo Horizonte beim Obersten Gerichtshof die vorlaumlufige Aussetzung der Bestimmung des Rahmen- gesetzes der Stadt von 1990 die ein Minimum von 30 Prozent des Haushaltes fuumlr Erziehung und Bildung festschreibt Grund Die hohen Ausgaben der Stadt fuumlr die WM

Der volkswirtschaftliche Nutzen

Die Erwartungen waren allgemein gering aber die WM verlief erstaunlich rei- bungslos Die vielen zusaumltzlichen Feiertage milderten das uumlbliche Verkehrschaos die improvisierten Strukturen der Flughaumlfen ndash von denen keiner fertig renoviert war zum Anpfiff der WM ndash hielten stand Die noch so eindrucksvolle Protest- bewegung vom Vorjahr trat waumlhrend der Spiele nicht mehr in Erscheinung Es blieb insgesamt friedlich Kleinkriminalitaumlt gegen Touristen hielt sich im Rahmen Glaubt man den Umfragen die Medien unter auslaumlndischen WM-Besuchern durch-fuumlhrten war die groszlige Mehrheit zufrieden Die Euphorie vieler Brasilianer und Brasilianerinnen hatte sich vor der WM in Grenzen gehalten Dennoch feierten sie mit zumindest bis zu dem Tag an dem die brasilianische Mannschaft im eigenen Land das Halbfinale gegen Deutschland mit 1 7 verlor und damit die WM 2014 historisch konnotierte

Aber nicht nur der Tourismus die ganze Volkswirtschaft sollte kraumlftig profi- tieren versprachen Regierung und serioumlse Unterstuumltzende Im Jahr 2010 veroumlffent-lichten zwei renommierte Institutionen die Unternehmensberatung Ernst amp Young und der brasilianische Thinktank Fundaccedilatildeo Getuacutelio Vargas eine Studie nach der die WM pro Jahr 36 Millionen neue Arbeitsplaumltze in Brasilien schaffen und der Wirtschaft 142 Mrd R$ Investitionen sowie dem Land bis 2010 jaumlhrlich 3 Millionen zusaumltzliche Touristen zufuumlhren wuumlrde50

50 Ernst amp Young Brasil Sustentaacutevel Impactos socio-econocircmicos da Copa do Mundo 2014 Satildeo Paulo 2010 httpfgvprojetosfgvbrsitesfgvprojetosfgvbrfilesestudo_9pdf

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Eine ebenfalls 2010 vom brasilianischen Sportministerium in Auftrag gegebene Studie versprach Investitionen in Infrastruktur von 33 Mrd R$ zusaumltzliche Ein- nahmen im Tourismus von 94 Mrd 330000 dauerhafte und 380000 zeitweilige Jobs sowie eine Erhoumlhung des Steueraufkommens um 168 Mrd R$51 Eine juumln-gere Studie des Tourismusministeriums nannte eine Million neue Jobs Das waumlren immerhin 15 Prozent der 48 Millionen Stellen die die Regierung Rousseff ge- schaffen hat seit 2010 Brasilien habe 30 Mrd R$ Investitionen erhalten was etwa 06 Prozent des BSP entspricht52

Nach Regierungsangaben sind 24500 zusaumltzliche Jobs im Baugewerbe ent- standen alle gebunden an die zusaumltzlichen Baumaszlignahmen mithin temporaumlr Die Hotelauslastung lag insgesamt waumlhrend der WM bei maumlszligigen 61 Prozent und in mehreren WM-Staumldten deutlich unter dem Erwarteten53 Nach Bundespolizei- angaben kamen zur WM rund 700000 Auslaumlnder ins Land Es wird aber oft uumlber- sehen dass gleichzeitig andere potentielle Touristen eben aufgrund der WM auf eine Brasilienreise im WM-Jahr verzichten Das galt insbesondere fuumlr inlaumlndische Reisende von denen der brasilianische Tourismus vor allem lebt Im Juli 2014 gaben brasilianische Touristen im Ausland die Rekordsumme von 125 Mrd USD aus und damit rund 90 Mio USD mehr als die auslaumlndischen Fuszligballtouristen im selben Zeitraum nach Brasilien brachten54

Studien sind bekanntermaszligen selten objektiv und so ist es auch kein Zufall dass diese Studien von Regierungs- oder regierungsnahen Institutionen beauftragt wurden Der Wahrheit naumlher kommt wohl was Volkswirte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg herausgefunden haben Die WM in Brasilien so Berenberg habe einen laquoverschwindend geringenraquo Effekt auf das Wachstum gehabt Nachhaltige Wachstumseffekte seien ein laquoTrugschlussraquo55 Und damit steht die WM in Brasilien keineswegs alleine Zahlreiche Studien ha- ben nachgewiesen dass Sport-Groszligereignisse volkswirtschaftlich keine oder kaum positiven Effekte zeitigen laquoMega-projects notoriously suffer heavy cost overruns often fail to deliver the supposed benefits and regularly provoke financial crisesraquo

51 Ministeacuterio do Esporte Impactos econocircmicos da realizaccedilatildeo da Copa 2014 no Brasil Brasilia 31032010

52 www1folhauolcombrpoder2014071485486-copa-do-mundo-injeta-r-30-bilhoes-na-economia-brasileira-diz-fipeshtml Die Studie selbst war im Netz nicht zu finden auch nicht auf der Seite des ausfuumlhrenden Forschungsinstituts (wwwfipeorgbr)

53 httpfohbcombrpdfFOHB_panorama_ocupacao_copa_2014pdf wwwrevistahoteiscombrhotelaria-comemora-legado-da-copa-do-mundo-de-2014

54 De Paula 2014 World Cup S 1055 wwwfaznetaktuellwirtschaftkonjunkturneue-studie-kein-wm-aufschwung-fuer-brasi-

lien-12937584html3 V

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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fassen die Experten John und Margaret Gold ihre Analyse von Mega-Events der letz- ten Jahrzehnte zusammen56

Das Wirtschaftswachstum fiel 2014 aus es erreichte offiziell genau 01 Prozent Die WM kann also keinen nennenswerten wachstumsfoumlrdernden Effekt erbracht haben Ebensowenig ging die Zahl der Arbeitslosen zuruumlck die versprochenen Mil- lionen Jobs uumlber die WM hinaus gab es nicht

Im oumlffentlichen Nahverkehr wichen Planungen und Durchfuumlhrungen stark voneinander ab Dabei hatte gerade die unhaltbare Situation im oumlffentlichen Nahverkehr zu den Protesten im Juni 2013 gefuumlhrt Die Stadien wurden irgendwie fertig aber mehr als die Haumllfte der fuumlr die WM vorgesehenen Verkehrsprojekte ndash Straszligen Straszligenbahnen U-Bahnen ndash kam nicht zustande57 Der Nutzen redu- ziert sich weiter dadurch dass er eher abgeleitet entsteht Die meisten Verkehrs- projekte verbinden Flughaumlfen Stadtzentren und Sportstaumltten miteinander und kommen der Bevoumllkerung eher zufaumlllig zugute statt gezielt auf die Anbindung bevoumllkerungsstarker vernachlaumlssigter Stadtgebiete zu setzen Wie oben gezeigt wird der Westen der Stadt nach den Olympischen Spielen besser an zentralere Stadtteile angebunden sein Die Millionen Pendler im Norden und Nordosten des Groszligraums Rio der Baixada Fluminense bleiben aber weiter auf voumlllig marode und unzulaumlngliche Vorortzuumlge angewiesen In anderen WM-Staumldten sind die Verhaumlltnisse aumlhnlich Die houmlchste Autodichte nicht nur aller WM-Staumldte sondern aller brasilianischen Staumldte uumlberhaupt weist uumlbrigens Curitiba auf einst Modellstadt des oumlffentlichen Nahverkehrs in Brasilien die bereits in den 1970er Jahren ein BRT-System einfuumlhrte Dort kommen heute weniger als zwei (18) Bewohner auf ein Auto58

56 Gold John Gold Margaret Olympic Cities Regeneration City Rebranding and Changin Urban Agendas in Geography Compass 2 1 (2008) S 300ndash318 hier S 313 S dazu Flyvbjerg B Bruzelius N Rothengatter W Megaprojects and risk an anatomy of ambition Cambridge 2003 Gold John Gold Margaret (Hg) Olympic Cities City Agendas Planning and the Worlds Games 1896ndash2016 New York 2011

57 Fuumlr Analysen in den einzelnen WM-Staumldten siehe die entsprechenden Texte in Orlando Junior Gaffney Ribeiro Impactos da Copa e das Olimpiacuteadas aaO insbes S 219ndash482

58 httpexameabrilcombrbrasilnoticiascuritiba-e-capital-com-mais-carros-por-pessoa-veja-ranking

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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4 Die sozialen laquoKostenraquo der Mega-Events

Sportstaumltten und Trassen fuumlr Nahverkehrsprojekte machen einen Groszligteil des Bau- volumens fuumlr Groszligereignisse aus Vor allem fuumlr sie muumlssen Haumluser und ganze Sied- lungen weichen Zwangsraumlumungen sind immer problematisch und doch nicht grundsaumltzlich eine Menschenrechtsverletzung Nach Schaumltzungen die die 12 WM- Volkskomitees zusammengetragen haben sind in Brasilien allerdings 250000 Menschen bis zur WM von Zwangsraumlumung betroffen gewesen Verlaumlssliche offi- zielle Zahlen gibt es nicht zumal vielerorts Stadtverwaltungen einen Zusam- menhang mit den Mega-Events leugnen und gerne auf Sicherheitsmaszlignahmen verweisen ndash oft Erdrutschgefahr an den steilen Haumlngen an denen viele wohnungs- suchende laquoworking poor raquo ihre informellen Siedlungen errichten Die Gefahr be- steht wenn auch nicht immer unbedingt dort wo die Verwaltungen sie erblicken Und oft gibt es Alternativen zur Zwangsraumlumung

Die Stadtverwaltung von Rio spricht von 20299 geraumlumten Familien zwischen 2009 und 2013 Offiziell werden aber nur 2038 davon der WM zugerechnet59 Das Volkskomitee Rio zaumlhlt dagegen bezogen auf die WM- und Olympiavorbereitungen 4772 geraumlumte und 4916 von Raumlumung bedrohte Familien60 Von den vier gro-szligen Straszligentrassen mit gesonderter Busspur (Bus Rapid Transit BRT) sind bisher die Transcarioca (von Barra da Tijuca zum internationalen Flughafen) und die Transoeste fertiggestellt Fuumlr die Transoliacutempica die Barra da Tijuca mit den noch zu bauenden olympischen Sportzentren in Deodoro im Norden verbinden wird sollen mindestens 1042 Haumluser weichen 876 waren allein in der Siedlung Vila Uniatildeo de Curicica vorgesehen doch dann war es moumlglich die Trassenfuumlhrung zu aumlndern Nun sollen nur noch 191 Familien umgesiedelt werden61 Dies geschah nur auf Druck der Bewohner und Bewohnerinnen und das verweist auf einen entscheidenden Punkt zur Beurteilung von Zwangsraumlumungen Zunaumlchst muss natuumlrlich eine Rechtsgrundlage gegeben sein Liegt ein laquooumlffentliches Interesseraquo vor darf der Staat grundsaumltzlich Menschen aus ihren Wohnungen entfernen die der Umsetzung des oumlffentlichen Interesses entgegenstehen Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise Sowohl in der internationalen Rechtssprechung insbesondere

59 Hier zitiert nach Rolnik Raquel Apresentaccedilatildeo in FaulhaberAzevedo aaO S 15ndash19 hier S 16 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

60 Comitecirc Popular da Copa e Olimpiacuteados do Rio de Janeiro Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Rio de Janeiro Junho de 2014 S 21

61 PACS Rio 2016 de gastos Nr 1 (Maumlrz 2015) S 34 D

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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durch den (von Brasilien ratifizierten) UN-Sozialpakt (Internationalen Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte) von 1966 als auch uumlber die brasiliani-sche Verfassung und das Stadt-Statut ist das Recht auf Wohnen als Menschenrecht garantiert und sind Verfahren fuumlr Zwangsraumlumungen festgeschrieben Die wich- tigsten Prinzipien sind

1 Die Betroffenen muumlssen rechtzeitig und umfassend informiert werden2 Sie muumlssen in den Prozess von Anfang an einbezogen und angehoumlrt werden3 Sie muumlssen angemessenen Ersatzwohnraum angeboten bekommen oder ange-

messen entschaumldigt werden 4 Wenn irgendwie moumlglich sollen sich die Ersatzwohnungen in unmittelbarer Naumlhe

der geraumlumten Wohnung befinden5 In erreichbarer Naumlhe der neuen Wohnstaumltten muumlssen sich Einrichtungen der

Verkehrsinfrastruktur oumlffentlicher Dienste und Kultur befinden Strom- Was- ser- und Gasanschluumlsse muumlssen verfuumlgbar sein62

Diese Prinzipien haben die Stadtverwaltungen Brasiliens nahezu systematisch ver-letzt Menschen traten eines Morgens vor ihre Tuumlr und fanden uumlberrascht an ihre Fassade geschrieben die Groszliglettern SMH und eine Nummer Anfaumlnglich wussten sie die Zeichen nicht zu deuten SMH steht fuumlr Staumldtische Wohnungsbaubehoumlrde (Secretaria Municipal de Habitaccedilatildeo) Diese markierte mit einer Nummer die zum Abbruch vorgesehenen Haumluser ndash eine Information weniger fuumlr die Familien als fuumlr die Baggerfahrer die schon am naumlchsten Tag anruumlcken konnten Massive oumlf- fentliche Proteste die auch international Aufmerksamkeit erregten sorgten dafuumlr dass diese Praxis seltener wurde Ungebrochen ist die Praxis Einwohner und Ein- wohnerinnen unter Druck zu setzen eine vorgeschlagene Entschaumldigung anzu- nehmen und unverzuumlglich auszuziehen Die Behoumlrden haben dabei Unterstuumltzung durch das historische Versaumlumnis des Staates die Besitzverhaumlltnisse in gewachse-nen informellen Siedlungen zu regeln Menschen die Jahrzehnte in einem eigenen muumlhsam errichteten Heim wohnen haben keinen Besitztitel und deshalb keine Rechtssicherheit Die Favela Metrocirc-Mangueira nahe dem Fuszligballstadion Maracanatilde der Providecircncia-Huumlgel und die Vila Autodrocircmo sind nur drei Beispiele fuumlr eine laquoTeile und Herrscheraquo-Politik der Verwaltung Diese schuumlchtert viele Bewohner und Bewohnerinnen ein bietet aber einzelnen gezielt hohe Abfindungen an Da- durch durchloumlchert sie den kollektiven Widerstand und zwingt die anderen zur Aufgabe sowie dazu weit niedrigere Entschaumldigungen und Wiederansiedlungsan- gebote in entfernten Stadtteilen anzunehmen Nach dem Abriss der ersten Haumlu- ser im August 2010 zugunsten von Parkplaumltzen und einer Straszligenuumlberfuumlhrung zum Stadion wurden die ersten 107 von insgesamt 700 Familien der Favela Metrocirc- Mangueira ohne Verhandlungen aus ihren Haumlusern geholt und in ein Sozial- wohnungsbauprojekt etwa 50 Kilometer vom Maracanatilde entfernt eingewiesen

62 Eine gute Zusammenfassung findet sich bei Mara Natterer und Lando Daumlmmer Rechtskonform oder illegal Siehe unter wwwboelldede20140420rechtskonform-oder-illegal

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Nach Protesten der verbleibenden Einwohnerschaft die international wahrgenom- men wurden bot die Stadtverwaltung eine rechtskonforme Loumlsung an den Um- zug in Siedlungen ganz in der Naumlhe Fuumlr einen Teil der alten Bewohner und Be- wohnerinnen ist die Lage allerdings weiterhin ungeklaumlrt63

Derweil entsteht unweit der aumlltesten Favela Brasiliens auf dem Providecircncia- Huumlgel im Zentrum der Stadt im alten Hafengebiet ein neues Viertel genannt laquoWunderbarer Hafenraquo Das Projekt war urspruumlnglich Teil des Olympia-Projekts das Hafenviertel sollte die Schiedsrichter sowie das Medienzentrum beherbergen 2014 ruumlckte die Stadtverwaltung davon ab64 Das Projekt reduzierte sich auf seinen Kernnutzen der Inwertsetzung eines zentral gelegenen urbanen Raums

Es ist sinnvoll dekadente staumldtische Territorien wiederzubeleben und fuumlr die Stadtbevoumllkerung attraktiv zu machen Die Frage ist wie die Verantwortlichen mit den ansaumlszligigen Bewohnern und Bewohnerinnen und dem Gedanken der sozi- alen und funktionalen Mischung des Raumes umgehen

Zur laquourbanen Integrationraquo der Siedlung baute die Stadt fuumlr 25 Mio Euro eine Seilbahn Sie verbindet den Huumlgel ua mit dem nahe gelegenen Hauptbahnhof Doch wie Buumlrgermeister Paes selbst erklaumlrte soll sie vor allem die touristische Qualitaumlt des Hafenprojekts erhoumlhen 832 Haumluser sollten urspruumlnglich fuumlr die Seilbahn weichen Wieder einmal waren erst lautstarke Proteste noumltig bis die Be- voumllkerung uumlberhaupt ordentlich informiert und zumindest partiell einbezogen wurden ndash zu einem Zeitpunkt als die Bagger schon auf dem Huumlgel standen Der verkehrstechnische Nutzen wird nicht zuletzt angesichts der hohen Kosten von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen in Frage gestellt65 Die Viertel entlang des alten Hafens waren von der Stadtverwaltung jahrzehntelang vernachlaumlssigt wor-den 40000 Menschen meist mit wenig Einkommen lebten dort als die Stadt das Gebiet ploumltzlich zum Olympiaareal erklaumlrte und analog internationaler Vorbilder (von Baltimore bis Barcelona) als Investitionsobjekt fuumlr internationales Kapital aus- schrieb und einer Valorisierungsstrategie unterstellte die ua Hotels Shopping Center Luxuswohnungen Buumlrogebaumlude und einen Anleger fuumlr Kreuzfahrtschiffe vorsieht66

Raumlumungen wie sie hier fuumlr Rio de Janeiro beschrieben sind fanden im gan-zen Land statt67 Offiziell sind dabei 10804 Privatwohnungen bzw 35635 Perso-nen zwangsgeraumlumt worden Neben Rio de Janeiro waren Schwerpunkte Porto

63 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees dos Direitos Humanos no Brasil 3 Aufl 2014 S 37 Siehe auch Faulhaber Azevedo aaO Remoccedilotildees S 37 ff

64 httpextraglobocomnoticiasrioporto-maravilha-devera-deixar-de-fazer-parte-do-proje-to-olimpico-11877422html

65 httprioonwatchorgbrp=1175166 Siehe dazu Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Rio de Janeiro 2014

S 41ndash45 Foacuterum Comunitaacuterio do Porto Relatoacuterio de Violaccedilatildeo de Direitos e Reivindicaccedilotildees Mai 2011

67 Siehe dazu ausfuumlhrlich Dossiecircr Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 19ndash464

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

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Alegre Fortaleza 68 und Recife Der nationale Zusammenschluss der WM-Volks- komitees ANCOP die in allen Spielorten eng mit den betroffenen Siedlungen zusammenarbeiten zweifelt die offiziellen erst kurz vor dem Endspiel der WM veroumlffentlichten Daten an und vermutet dass die Regierung zahlreiche Bau- projekte ausgelassen hat die zumindest indirekt der WM zuzurechnen seien Die ANCOP schaumltzt dass 250000 Menschen direkt entweder von Raumlumungen be- troffen oder von ihnen bedroht sind69

68 wwwsecretariageralgovbrnoticias2014julhogilberto-carvalho-faz-coletiva-sobre-de-mocracia-e-grandes-eventoscopa_2014_desapropriacoes-final-1pdf

69 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 41f

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

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Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

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5 Friede den Huumltten Die Sicherheitsstrategie (im Dienst) der Mega-Events

Ende 2009 richtete die Militaumlrpolizei von Rio de Janeiro in der Favela Santa Marta die erste laquoBefriedungseinheit der Polizeiraquo (Unidade de Poliacutecia Pacificadora UPP) ein Die Stadt setzte damit auf ein neues Sicherheitskonzept Uumlblich war dass schwer bewaffnete Spezialeinheiten kursorisch in die dichtbesiedelten Favelas einfielen und sich ndash fuumlr die mutmaszliglichen Drogenhaumlndler wie fuumlr Unbeteiligte oft toumldliche ndash Feuergefechte lieferten Nun werden die Favelas laquozuruumlckerobertraquo und dann dauerhaft mit einer Polizeieinheit besetzt Die Polizei gibt die Be- setzungsaktion vorab oumlffentlich bekannt Tatsaumlchlich ziehen die Drogenhaumlndler zumeist vorher ab ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt

Das Ende der Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel bzw zwischen konkurrierenden Gruppen hat die Sicherheit und Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung erheblich gesteigert und muss daher begruumlszligt werden Dagegen hat sich die jahr- hundertelange Einstellung und Praxis der Polizei gegenuumlber der aumlrmeren und zumeist schwarzen Bevoumllkerung nicht uumlber Nacht geaumlndert Schwer bewaffnet patrouillieren die Polizisten und Polizistinnen durch die engen Gassen Anwoh-ner und Anwohnerinnen klagen uumlber Willkuumlr Demuumltigungen unautorisierte Haus- durchsuchungen Leibesvisitationen sowie Entscheidungen die das soziale und kulturelle Leben in der Favela einschraumlnken Bei allen zaghaften Versuchen buumlrger- polizeiliche Elemente in den UPPs einzufuumlhren Im Kern und ihrem Wesen nach sind sie leider nichts anderes als ein militaumlrisches Besatzungsregime das den Bewohnern und Bewohnerinnen nur eingeschraumlnkte Rechte zugesteht Sie mildern die Logik der innerstaumldtischen Kriegsfuumlhrung gegen Favelas ab brechen sie aber nicht auf Da die vorgesehenen begleitenden Sozial- und Ausbildungsprogramme (laquoUPP Socialraquo) zu wenig Mittel erhalten und zudem nur sporadisch implementiert wurden ist das UPP-Projekt in der Praxis auf die erste Phase die der militaumlrischen Besetzung reduziert worden70

Der Favela und ihren Einwohnern und Einwohnerinnen hat es nicht den his-torisch uumlberfaumllligen Genuss voller Staatsbuumlrgerrechte gebracht Die UPPs haben auch nicht zur Regulierung der unsicheren Besitzverhaumlltnisse gefuumlhrt ndash eine der Hauptforderungen der Favela-Bevoumllkerung seit jeher und umso dringender als dass

70 Siehe dazu ausfuumlhrlich die erste empirische Studie zu UPPs Cano Ignacio Borges Doriam Ribeiro Eduardo Os Donos do Morro Rio de Janeiro 20145

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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pazifizierte Favelas vor allem in Innenstadtbereichen sich massiver Gentrifizierung ausgesetzt sehen

In fuumlnf Jahren sind 38 UPPs eingerichtet worden die mit 9543 Polizistinnen und Polizisten insgesamt 264 Favelas kontrollieren sollen Vor allem die zuerst eingerichteten UPPs konzentrieren sich in Stadtgebieten wo sich a ) Olympische Sportstaumltten befinden oder befinden werden b ) Hotels und touristisch relevante Zonen befinden bzw in groumlszligerem Stil entwickelt werden wie im alten Hafen- viertel c ) Mittel- und Oberschichten wohnen

Jenseits der offenen Frage ob die kostspieligen UPPs tatsaumlchlich uumlber 2016 hinaus fortgefuumlhrt werden wird deutlich Die UPPs sind nicht nur Kern einer revidierten Sicherheitsstrategie fuumlr die Stadt sondern integraler Teil des Projekts einer privatisierten Stadt im Wettbewerb Sie sichern die oumlffentlichen und vor al- lem privaten Investitionen im Zuge des Geschaumlftsmodells Mega-Event ab und ga- rantieren damit zuallererst dass das Geschaumlftsmodell auch in die Praxis umgesetzt werden kann Sicherheit hat auf der Kriterienliste fuumlr potentielle Investoren einen Spitzenplatz

Natuumlrlich muss ein Gastland fuumlr die Sicherheit der Sportler und Sportlerinnen sowie der Besucher und Besucherinnen sorgen Angesichts der Gewaltdaten und -raten in allen Kategorien vom Taschendiebstahl bis zum Mord die sich im welt- weiten Vergleich im oberen Drittel bewegen war Sicherheit von Anfang an ein prioritaumlres Thema zwischen brasilianischen Verantwortlichen und der FIFA bzw dem IOC Eine gute Vorbereitung sowie Praumlventivmaszlignahmen waren dringend erforderlich Sicherheitsstrategien fuumlr und bei Mega-Events haben aber nachhal- tige Auswirkungen im Ausrichterland fuumlr die Zeit nach den Spielen laquoSport Mega Events have entered a new phase of development and growth and their securi- tization provides perhaps the most striking illustration of that transformationraquo urteilen die Experten Guilanotti und Klauser71

Als Legate verbleiben oft eine gestiegene Privatisierung und Militarisierung der oumlffentlichen Sicherheitspolitik und verschaumlrfte Gesetze Dazu kommen auch neue und mehr Sicherheitstechnologien wie flaumlchendeckende Uumlberwachungs- netze (CCTV) des oumlffentlichen Raumes in all ihrer daten- und buumlrgerrechtlichen Ambivalenz etwa hinsichtlich der laquoSaumluberungraquo oumlffentlicher Raumlume von laquouner- wuumlnschtenraquo Personen wie Obdachlosen72 Zur WM brachten Abgeordnete den Entwurf fuumlr ein Antiterrorgesetz ein das ua den Tatbestand laquoTerrorismus gegen Sachenraquo vorsieht Die Gesetzgeber schraumlnkten auszligerdem das bisher sehr liberale Demonstrationsrecht ein ua indem sie ein Vermummungsverbot einfuumlhrten

In demokratischen Gemeinswesen ist fuumlr oumlffentliche Sicherheit vor allen an- deren die Polizei zustaumlndig In Brasilien sind allerdings Teile der Polizei ein Sicher-heitsrisiko Einer weithin akzeptierten These des brasilianischen Soziologen Michel Misse zufolge stehen Drogenhandel Polizei und politische Eliten in laquogefaumlhrlichen

71 Guilanotti Richard Klauser Francisco Security Governance and Sport Mega-events Toward an Interdisciplinary Research Agenda in Journal of Sport and Social Issues 34 (I) 2010 S 49ndash61 hier S 58

72 Ebd und Guilanotti Klauser Security and Surveillance

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

exercito-da-regiao-devem-atuar-na-copahtml5 Fr

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Verbindungenraquo Sie begegnen sich in einer Wirtschaft in der Korruption die Waumlh- rung ist und in welcher der Drogenhandel die anderen Gruppen fuumlr laquopolitische Guumlterraquo wie Waffen aus Polizei- und Armeebestaumlnden Garantie des Drogenhan-dels in bestimmten Territorien Eliminierung von Konkurrenten Unterstuumltzung bei Geldwaumlsche Zugaumlnge in die formelle Oumlkonomie anwaltliche Dienstleistungen oder politische Kontakte bezahlt73 Die brasilianische Polizei privatisiert oumlffent- liche Sicherheit und verkauft sie auf illegalen Maumlrkten Doch die FIFA und Behoumlr- den waren verstaumlndlicherweise nicht an einer Diskussion interessiert inwiefern die spezifischen Schwaumlchen des brasilianischen Staates insbesondere die militarisierte und systemisch korrupte Polizei Teil des Problems sei und ihre Aufruumlstung sich fuumlr die sozialen Gewaltverhaumlltnisse nachteilig auswirken koumlnnte Und Brasiliens Poli- zei ruumlstetete auf Fuumlr die WM standen 117 Mrd R$ rund 400 Mio Euro zur Verfuuml- gung Angeschafft wurden ua vier Drohnen aus Israel 27 Roboter wie sie auch in Afghanistan und Irak zur Bombenentschaumlrfung zum Einsatz kommen 270000 Traumlnen- und Pfeffergasgranaten 263000 Magazine mit Gummikugeln sowie 30 Panzer aus Bestaumlnden der deutschen Bundeswehr74

Im Verlauf des Jahres 2014 nahmen Angriffe auf Einrichtungen von UPP sowie der auch toumldliche Schusswaffengebrauch von Polizisten in UPPs deutlich zu Bis- her sind 14 Polizisten in UPPs gewaltsam zu Tode gekommen gleichzeitig hat die Polizei in UPPs mindestens 40 Menschen erschossen75 Das Modell der UPP be- findet sich in einer schweren Krise Hinzu kommt dass in peripheren Gebieten vor allem im Groszligraum Rio (Baixada Fluminense) alle Gewaltziffern kraumlftig ange- stiegen sind ndash dorthin hat sich ein Teil des verdraumlngten Drogenhandels und die mit ihm verbundene Gewalt verlagert Polizeiintern ist die UPP unbeliebt die An- reize dort zu arbeiten sind zu gering die Reputation schlecht76 Ohne eine umfas-sende Polizeireform die die Kriegslogik durchbricht Polizistinnen und Poli- zisten besser bezahlt und die Ausbildung strukturell mit Blick auf Buumlrgerorientie- rung Lebens- und Menschenrechtsschutz veraumlndert werden die UPPs selbst unter der Perspektive eines Generationenprojekts nicht die noumltigen positiven Effekte er- zielen koumlnnen

In der Gegenbewegung zu diesen Uumlberlegungen setzte die brasilianische Regie-rung waumlhrend der WM Soldaten ein die fuumlr Polizeiaufgaben uumlberhaupt nicht aus- gebildet sind Die Streitkraumlfte mobilisierten fuumlr die WM 57000 Soldaten davon 21000 in Reserve77 Allein der Favela-Komplex Mareacute fuumlr jeden Besucher und jede Besucherin sichtbar an der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt gelegen

73 Misse Michel Mercados ilegais redes de proteccedilatildeo e organizaccedilatildeo do crime no Rio de Janeiro in Estudos Avanccedilados 21 (61) 2007 S 139ndash157 ders Crime e violecircncia no Brasil contemporacirc-neo estudos de sociologia do crime e da violecircncia urbana Rio de Janeiro 2006

74 Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 12175 wwwestadaocombrinfograficospms-mortos-em-upp-no-rio-de-janeiro261009htm

httpglobalorgbrarquivonoticiassobre-violacoes-de-direitos-em-favelas-com-upp76 Siehe Cano et al Donos do Morro aaO S 144ff77 wwwjornalnhcombr_conteudo201405noticiasregiao44592-efetivo-de-900-soldados-do-

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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Ruhe nach 22 Uhr Die Polizei loumlst ein Straszligenfest nach einem WM-Spiel in Satildeo Paulo auf

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

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(bzw nach Errichtung einer laquoLaumlrmschutzwandraquo weniger sichtbar78 ) wurde im April 2014 von 3000 Soldaten besetzt die die noumltige Erfahrung fuumlr diesen Einsatz ua im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben erwarben Die Besetzung wurde auf Dezember 2014 und noch einmal bis April 2015 verlaumlngert Nach einem Jahr erst zogen die Soldaten aus dem Stadtteil mitten in Rio de Janeiro ab

Noch effektiver als die Favelas militaumlrisch zu sichern ist sie umzuwidmen Das ist in Favelas der strandnahen Suumldzone der Stadt im Gange Die UPPs sichern den Einzug der formalen Oumlkonomie Banken eroumlffnen Filialen Elektritizitaumltsunter- nehmen entfernen die Kabel die sich Strom von der Straszlige abzweigten verlegen regulaumlre Leitungen und stellen den Bewohnern und Bewohnerinnen regulaumlre Rechnungen genauso verfahren die Kabelfernsehgesellschaften und das Wasser-werk Durch Vidigal durch Cantagalo durch Babilocircnia und Chapeacuteu Mangueira ndash alles Favelas mit Meeresblick ndash ziehen Herren mit Geldkoffern die bar bezahlen Unter den uumlberschaubaren Aktivitaumlten die das Sozialprogramm UPP Sozial ent- faltet findet sich keine Rechts- und Investitionsberatung fuumlr Anwohner und An- wohnerinnen die oft weder Erfahrung auf diesem Gebiet noch ein Bankkonto haben und meist nur wenig lesen und schreiben koumlnnen Einen formellen Eigen-tumstitel haben sie nicht moumlglicherweise muss die Mutter operiert werden und dann packt jemand 30000 Euro in bar auf den Tisch Exponentiell steigende Mieten vertreiben diejenigen die zur Miete wohnen was in einigen Favelas einen Groszlig- teil der Bevoumllkerung betrifft

Dass die Proteste waumlhrend der WM verstummten und auch in den Wochen davor keinem Vergleich mit dem Vorjahr standhielten hatte auch bewegungs- interne Gruumlnde Nicht zuletzt aber griff die massive Kriminalisierungsstrategie von Behoumlrden und Medien seit Jahresende 2013 Aktivisten und Aktivistinnen kriti-sche Abgeordnete und Journalisten und Journalistinnen wurden in groszligen Medien sowie von Regierungsverantwortlichen pauschal als Unruhestifter und Krawall-macher denunziert Die Kampagne nahm hetzjagdaumlhnliche Zuumlge an als bei einer Demonstration ein Kameramann durch einen fehlgeworfenen Feuerwerkskoumlrper so schwer am Kopf verletzt wurde dass er Tage spaumlter verstarb Am Vorabend des WM-Endspiels nahm die Polizei in Rio 19 Aktivisten und Aktivistinnen unter Vor-lage von ndash wie sich spaumlter herausstellte ndash zu duumlnnen Indizien in Praumlventivhaft79 Das hohe Sicherheitsaufgebot trug sicher dazu bei Kriminalitaumlt und Gewalt in den WM-relevanten Stadtgebieten zu senken uumlberzog aber gleichzeitig viele brasili- anische Staatsbuumlrger und -buumlrgerinnen und ihre Wohnviertel mit einem weiteren der vielen Ausnahmeregime und einem durch Militarisierung gesteigerten Gewaltverhaumlltnis sie befanden sich waumlhrend der WM gleichsam kollektiv in Beugehaft

78 Neben den Raumlumungen eine Form des Unsichtbarmachens von Favelas Eine weitere Variante ist Favelas auf Stadtplaumlnen oder werbenden Stadtansichten wegzulassen zeitweilig zB bei Google Maps siehe dazu Steinbrink Festifavelisation aaO

79 Siehe Dossiecirc Megaeventos e Violaccedilotildees de Direitos Humanos no Brasil 2014 S 129ff5 Fr

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

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hundertjaumlhrige Geschichte der Repression hinter sich Die megaeventisierte Stadt gibt das Instrument der (Zwangs-) Raumlumung nicht auf hat aber erkannt dass fuumlr zentral bzw in unmittelbarer Nachbarschaft laquobessererraquo Wohngegen-den gelegene Favelas eine Strategie indirekter Raumlumung effektiver sein kann Die Gentrifizierung ist in den Favelas der Suumldzone mit Haumlnden zu greifen Sie entflicht die besondere Topographie die Rios Suumldzone mit der vertikal organi-sierten unmittelbaren Nachbarschaft von laquoHuumlgel und Asphaltraquo aufweist und die jene soziale Durchmischung einloumlste (wenn auch auf zuweilen absurde Weise) die Stadtsoziologen fordern Nun verziehen auch in Rio die Armen an die Peripherie und Rio bewegt sich hin zur regulaumlren sozio-spatialen Segregation wie sie fuumlr so viele Groszligstaumldte in ungleichen Gesellschaften kennzeichnend und typisch ist Das alte Zentrum-Peripherie-Modell ndash von jeg- licher Stadtplanung die den Namen verdient verurteilt ndash wird in Rio schein- bar nun endlich durchgesetzt

Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

ISBN 978-3-86928-143-8

DEMOKRATIEBAND 39

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6 Mega-Events und Demokratie

Beobachter der Mega-Events weisen auf zwei wichtige Trends hin Mega-Events werden immer gigantischer was den Kapital- und organisatorischen Einsatz an- geht Und sie finden zunehmend in Laumlndern des Suumldens speziell in den soge- nannten Schwellenlaumlndern statt80 Diese sind im Vergleich zu den alten Indus- triestaaten nicht immer aber oft von groumlszligerer sozialer Ungleichheit houmlheren Gewaltraten geringerer staatlicher Effektivitaumlt luumlckenhafter Rechtsstaatlichkeit und mehr Korruption gepraumlgt Diese Gemengelage fuumlhrt dazu dass die Effekte des Modells laquoMega-Eventsraquo tief in das soziale Gefuumlge eingreifen Wichtige Effekte lassen sich am Beispiel Brasilien wie folgt zusammenfassen

1 Die Logik des laquoStadt-Unternehmensraquo setzt sich gegen eine Orientierung an Stadt als partizipativem sozio-kulturellem Gemeinwesen Handlungsraum fuumlr unter-schiedliche menschliche Beduumlrfnisse und der Verhandlung kollektiver Interes- sen durch auch dort wo ein laquoRecht auf Stadtraquo kodifiziert ist81

2 Damit wird in der Stadtentwicklungspolitik das Prinzip des Tauschwerts uumlber den Gebrauchswert das Investitionsprinzip uumlber das Rechtsprinzip das private uumlber das allgemeine Interesse die Asymmetrie uumlber die Symmetrie gestellt

3 An den einschneidenden Stadtveraumlnderungsmaszlignahmen den Schnitten Rup- turen und Reorganisationen des oumlffentlichen Raumes wird die (betroffene) Be- voumllkerung wenig bis gar nicht beteiligt

80 Steinbrink Festifavelisation aaO S 129 2010 etwa richtete Indien die Commonwealth Games China die EXPO und Brasilien die Fuszligballweltmeisterschaft aus

81 Die Diskussion um das laquoRecht auf Stadtraquo geht auf den franzoumlsischen Soziologen Henri Lefebvre zuruumlck Lefebvre beschrieb die soziooumlkonomische Segregation in den Staumldten der 1960er Jahre und formulierte angesichts der Benachteiligung breiter Bevoumllkerungsschichten ein laquoRecht auf die Stadtraquo im Sinne der kollektiven Verstaumlndigung uumlber und Teilhabe an den Qualitaumlten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft Letztlich geht es um die Frage Wem gehoumlrt die Stadt und welchen Zwecken dient sie Dieses Verstaumlndnis hat sich in den brasilianischen Stadtstatuten niedergeschlagen die in Brasilien fuumlr Staumldte ab 20000 Einwohner und Einwoh-nerinnen gelten Die Grundvorstellung ist in den ersten beiden der 16 Allgemeinen Grundsaumltze zu finden laquo(I) Garantie des Rechts auf nachhaltige Staumldte verstanden als das Recht auf urba-nes Land auf Wohnung auf oumlkologische Sanierung staumldtische Infrastruktur Transport und staumldtische Dienstleistungen auf Arbeit und Freizeit fuumlr heutige und zukuumlnftige Generationen (II) Demokratische Verwaltung durch Partizipation der Bevoumllkerung und ihrer repraumlsentativen Vereinigungen in der Formulierung Ausfuumlhrung und Begleitung der Plaumlne Programme und Projekte staumldtischer Entwicklungraquo S Cacircmara dos Deputados Estatuto da Cidade 2ed Brasiacutelia 2009 zugaumlnglich unter httpbdcamaragovbr

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4 Die Kosten werden sozialisiert die Gewinne privatisiert WM und Olympia in Brasilien sind mehrheitlich durch die oumlffentliche Hand finanziert die Gewinne sind groumlszligtenteils steuerfrei bzw -reduziert Die oumlffentlichen Haushalte bleiben auf Schulden und unproduktiven Kosten wie der Instandhaltung nicht benouml- tigter Groszligstadien (Weiszlige Elefanten) sitzen In den Haushalten fuumlr die Bevoumll- kerungsmehrheit besonders relevanter Politikbereiche wie Soziales oder Ver- kehr tun sich groszlige Luumlcken auf

5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

83 httpextraglobocomnoticiasriobrts-registraram-22-mortes-desde-inicio-da-operacao-com-media-de-uma-por-mes-13837418html

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Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

Heinrich-Boumlll-Stiftung Schumannstraszlige 8 10177 Berlin Die gruumlne politische Stiftung 030 28 53 40 infoboellde wwwboellde

Kehrseite der MedailleSportgroszligereignisse in Brasilien zwischen Fehlplanung Spekulation und dem Recht auf Stadt

Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

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5 Die oft versprochenen Investitionen in Breiten- oder Schulsporteinrichtungen fallen wie in Brasilien oft gering aus ndash in Brasilien zuletzt derart gering dass die FIFA sich nach der WM genoumltigt sah nachzulegen

6 Im Primaumlrbereich positiver Legate fuumlr die Bevoumllkerungsmehrheit dem oumlffent-lichen Nahverkehr ist mehr als die Haumllfte der Projekte abgesagt oder nicht fertiggestellt worden Realisierte Projekte priorisieren schnelle und billigere aber weniger zukunftsfaumlhige bzw verkehrstechnisch sinnvolle Loumlsungen und deutlich unsichere82 Schnellbustrassen auf denen Busse trotzdem nur langsam vorankommen statt eine schnellere sauberere und sichere U-Bahn die deut- lich mehr Menschen befoumlrdern kann So geschieht es auch in Rio de Janeiro wo die U-Bahn seit 1979 ganze 41 Kilometer Strecke fertiggestellt hat Auf den zwei bisher fertiggestellten BRT-Trassen sind nach zwei Jahren Betrieb bereits 22 Menschen getoumltet worden83 In der Mehrheit folgen die neuen Verkehrstras-sen der Logik der Mega-Events und kommen der Bevoumllkerung eher kollateral als geplant zugute Auch zu den Spielen 2016 wird die Bucht von Guanabara hochgradig durch Muumlll und Abwaumlsser verseucht sein trotz einer Vielzahl von Programmen die der Bund und der Staat Rio de Janeiro durchgefuumlhrt haben oder haben werden

7 Die Umsetzung der Verkehrsprojekte sowie die Inwertsetzung neuer bisher peripherer Stadtviertel wie das alte Hafenviertel in Rio haben hohe soziale Kosten durch illegale Zwangsraumlumungen soziale Saumluberungen und die Mili- tarisierung des oumlffentlichen Raumes Teil der Vorbereitung auf die Mega-Events sind sogenannte Ordnungs-Schocks fuumlr die eigene paramilitaumlrische Einheiten (Guarda Municipal) geschaffen wurden die soziale Kontrolle des inwertgesetz- ten Raumes ausuumlben und gegen Straszligenkinder Straszligenhaumlndler und -haumlndler- innen sowie Obdachlose vorgehen

8 Raumlumliche Ungleichheiten verschaumlrfen sich und damit die Aufteilung des Stadtgebietes in Licht- und Schattenraumlume fluide und verstopfte schnelle und langsame Herrschafts- und Gehorsamsraumlume sowie in Raumlume effek- tiver und virtueller Staatsbuumlrgerlichkeit Brasilianische Favelas haben eine gut

82 Trotz einer eigenen Fahrspur kamen auf der BRT Transoeste in zwei Jahren bei 45 Unfaumlllen 20 Menschen ums Leben 159 wurden verletzt Durch Busse der BRT Transcarioca star-ben in nur drei Monaten zwei Menschen verletzt wurden bei zehn Unfaumlllen 29 Menschen Siehe httptransurbpassblogspotcombr201410transoeste-e-transcarioca-somam-55html Zahlen von Oktober 2014

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Ermutigend fuumlr die Zukunft der brasilianischen Demokratie wirkten die Proteste vom Juni 2013 Sie waren ein spontanes Ereignis und lassen sich nicht auf Befehl kopieren Doch fuumlr das kollektive Bewusstsein der jungen Generationen Brasiliens wirkt nach dass Hundertausende ihrer Vertreter und Vertreterinnen ein Zeichen gesetzt haben Ein demokratisches aber von Ungleichheit und historischen Defi- ziten im oumlffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen gepraumlgtes Gemeinwesen muss es nicht hinnehmen wenn mehr als acht Milliarden Euro fuumlr eine Welt- meisterschaft ausgegeben werden eine Regierung von Groszligmacht redet und gleich-zeitig elementare staatliche Dienstleistungen nicht sichergestellt sind

Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

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Die FIFA selbst hat erkannt dass Mega-Events und Demokratie Vereinbarungs-schwierigkeiten haben FIFA-Vizegeneralsekretaumlr Jeacuterocircme Valcke ndash mittlerweile auch ins Blickfeld der US-amerikanischen Ermittlungen zur Korruption bei der FIFA geruumlckt ndash sagte im April 2013 noch vor den Protesten dass ihm bzw der FIFA die politische Struktur in Brasilien Probleme bereitet habe laquoEs gibt verschiedene Personen Bewegungen und Interessen und es ist durchaus schwierig in diesem Rahmen eine WM zu organisierenraquo sagte Valcke laquoManchmal ist weniger Demo- kratie bei der Planung einer WM besser Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt vielleicht wie Putin sie 2018 hat ist es fuumlr uns Organi- satoren leichter als etwa in Laumlndern wie Deutschland in denen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden mussraquo84

84 Nach einer Meldung des Sportinformationsdienstes vom 24042013 siehe wwwtzdesportfussballfifa-generalsekretaer-valcke-will-weniger-demokratie-wm-planung-zr-2871693html

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Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

Der Essay von Dawid Danilo Bartelt analysiert die Auswirkungen der beiden sportlichen Mega-Events en Detail Dabei wird deut-lich dass Sportgroszligereignisse sich als Geschaumlftsmodell etabliert haben Verlierer sind dabei oft die sozial Schwachen und die Menschenrechte

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Die Bilanz der letzten Fuszligball-WM in Brasilien ist ernuumlchternd Mindestens 85 Mrd Euro hat das Sportgroszligereignis das Land gekostet doch der positive volkswirtschaftliche Wachstums- impuls blieb aus Die sozialen Kosten dagegen sind hoch Je nach Schaumltzung sind bis zu einer Viertelmillion Menschen von einer Zwangsraumlumung betroffen oder bedroht gewesen Der versprochene Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat sich groumlszligtenteils als Chimaumlre erwiesen

Nun kommen die Olympischen Sommerspiele und die Paralympics nach Rio de Janeiro und auch diesmal sind die Versprechen verlockend eine neue Straszligenbahn Busschnelltrassen Metro- linien ein flaumlchendeckendes Abwassersystem

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