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Diplomarbeit für den Abschluss in Körperzentrierter Psychotherapie IKP (Typ A) Borderline-Persönlichkeitsstörung Entwicklung eines Therapiekonzeptes der Körperzentrierten Psychotherapie IKP unter Berücksichtigung von Diagnostik, Ätiologie- und Therapiekonzepten eingereicht am Institut für Körperzentrierte Psychotherapie IKP Kanzleistrasse 17, 8004 Zürich Zürich, den 28. April 2007 Diana Maag Sabine Gerber Neugrütstrasse 10 Hans-Hässig-Strasse 3 9542 Münchwilen 5000 Aarau

Borderline-Persönlichkeitsstörung · Diplomarbeit für den Abschluss in Körperzentrierter Psychotherapie IKP (Typ A) Borderline-Persönlichkeitsstörung Entwicklung eines Therapiekonzeptes

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Diplomarbeit für den Abschluss in Körperzentrierter Psychotherapie IKP (Typ A)

Borderline-Persönlichkeitsstörung

Entwicklung eines Therapiekonzeptes der Körperzentrierten Psychotherapie IKP

unter Berücksichtigung von Diagnostik, Ätiologie- und Therapiekonzepten

eingereicht am Institut für Körperzentrierte Psychotherapie IKP Kanzleistrasse 17, 8004 Zürich

Zürich, den 28. April 2007

Diana Maag Sabine Gerber Neugrütstrasse 10 Hans-Hässig-Strasse 3 9542 Münchwilen 5000 Aarau

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1. Vorwort Erfahrungsgemäss machen viele Ärzte und Psychotherapeuten einen grossen Bogen um das Krankheitsbild „Borderline“. Borderline-Patienten gelten in Fachkreisen als schwierige, fordernde, schwer behandelbare und kaum greifbare Menschen. Es heisst, dass drei Borderliner einen Therapeuten bereits schon an seine psychischen Belastungsgrenzen bringen. Psychohygiene und Supervision haben deshalb bei der BPS-Therapie einen besonderen Stellenwert. Was aber viele vergessen, ist, dass Borderline-Betroffene uns mit ihrer Komplexität, Individualität und speziellen Art, wie kaum eine andere psychische Erkrankung, in den therapeutischen Genzen und Möglichkeiten herausfordern, uns so viele Erfahrungsreichtümer bringen und zu therapeutischem Wachstum anregen. Wenn wir sie ein Stück auf ihrem Lebensweg begleiten dürfen und sie in ihrer Individualität ernst nehmen, können wir viel von ihnen lernen. Das bedeutet, dass wir von festgeschriebenen und fixen Therapiekonzepten (z.B. Therapie-Manualen) und starrem Wissen über BPS Abstand nehmen und einen Paradigmenwechsel zur phänomenologischen, ganzheitlich-integrativen Sichtweise vollziehen müssen. Jeder Mensch verfügt über eigene Selbstheilungskräfte und ist Experte seiner selbst. Er bringt bereits das Wissen über die eigene Heilung mit in die Therapie. Als Therapeutinnen haben wir die Aufgabe, im Wahrnehmen und Erkennen dieses an die Oberfläche des Bewusstseins zu bringen, zu reaktivieren, zu fördern und zu verstärken. Damit werden dem Klienten in einem integrativen Prozess verdeckte Teile seiner Selbst wieder zugänglich gemacht, stehen der Ganzheitlichkeit, dem Wachstum und Entfaltung seiner Persönlichkeit wieder zur Verfügung und können zukünftig als Ressourcen genutzt werden. Dies entspricht unserer humanistischen Grundhaltung und hat uns für das Verständnis unserer Borderline-Patienten in der Praxis stark geholfen und dazu motiviert, immer wieder nach individuell angepassten Interventionen zu suchen. Wir möchten an dieser Stelle einer Borderline-Betroffenen – es handelt sich um die junge Frau vom Fall-Beispiel 1 (s. Kap. 8.1) – das Wort übergeben. Denn wer kann besser beschreiben, was BPS ist, als eine Betroffene selbst? Sie stellte uns das Vorwort ihrer Matura-Arbeit zur Veröffentlichung zur Verügung und wir bedanken uns ganz herzlich bei ihr. Vorwort zur Matura-Arbeit von C.R. (2007):

Was ist Borderline? Es ist das Schwanken zwischen zwei Extremen, dem Guten und dem Bösen, dem Leben wollen und dem nicht mehr Leben wollen, zwischen Schmerz und Euphorie. Es sind Symptome die jeder Mensch kennt, einfach nicht in diesem Ausmass, sie können nicht mehr nachvollziehen was vorgeht. Leben mit Borderline ist ein Leben auf der Überholspur, es ist die Flucht vor der Realität. Die Gedanken rasen durch den Kopf, es sind viel zu viele um sie überhaupt noch ausdrücken zu können, der Bezug zu sich selbst geht verloren und wird auf gewaltsame Weise wiederhergestellt. Manchmal wird der Schmerz uner-träglich und das Leben auch, doch niemand lässt dich gehen, immer wieder entrinnst du dem Tod, jedes Mal knapper. Doch wieso? Für was? Der Zyklus beginnt immer wieder neu. Viele Fachpersonen sind überfordert, können die widersprüchlichen Gedankenvorgänge, von denen ich weiss, dass sie widersprüchlich sind, nicht erfasse. Sie machen es manchmal nur noch

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schlimmer und lassen mich spüren, dass ich anders bin. In meiner Welt wird gekotzt, geschnitten, getrunken bis zu Besinnungslosigkeit, beim Aufwachen ist die Welt immer noch gleich schlimm wie vorher. Borderline ist für mich, die extreme Suche nach dem Sinn im Leben, dem Er-tragen all dieser Schmerzen. Borderline gänzlich zu erfassen ist viel zu kom-plex, denn Borderline ist ungleich Borderline und auch die Betroffenen unter-scheiden sich teils gänzlich. Wir wollen nicht in Schubladen gesteckt werden, sondern wir sind eigentlich tief im Innern noch zu normal um als krank zu gel-ten. Nun da ich noch am Leben bin und wieder zur Schule gehe, könnte man sagen ich bin geheilt, aber ich denke Borderline ist nicht unbedingt heilbar, es ist eine Persönlichkeit, wie ein Charakterzug der bleibt, mit positiven, wie auch negati-ven Seiten. Ich kenne viele, die heute ihr Leben meistern können, aber unge-fähr dieselbe Zahl hat es auch nicht geschafft. Es sind Erfahrungen die prägen und mich zu der Person machen, die ich heute bin. Und wenn mich jemand fragen würde, was ich lieber hätte, normal zu sein oder Borderline? Würde ich sagen Borderline, weil man so auch die Komplexität der Welt erfährt und es einfach Erfahrungen sind, die ich nicht missen möchte.

Ähnliche Erfahrungen in der therapeutischen Arbeit mit Borderline-Klienten und der gemeinsame Austausch über mögliche Interventionen haben uns zu der vorliegenden Diplomarbeit motiviert. Bis heute existiert zudem keine spezifische Literatur der Körperzentrierten Psychotherapie IKP zum Thema BPS. Daher hatten wir die Idee, ein BPS-Therapiekonzept der Körperzentrierten Psychotherapie IKP, das zugleich Leitlinie und therapeutischen Freiraum bietet, selbst zu entwickeln. Ein weiteres Interesse am Thema BPS resultierte zudem aus persönlichen Erfahrungen mit „Borderlinern“. Eine der Verfasserinnen erlebte eine mehrjährige Beziehung zu einem Mann mit BPS. Die Auseinandersetzung mit dem Thema BPS führte bei ihr im Nachhinein zu einem heilsamen Verständnis und einer weiteren Verarbeitung dieser als sehr schwierig und zum Teil auch traumatisch erlebten Beziehung. Im Nachhinein stellten wir zudem fest, dass in der Vergangenheit vermutlich schon Klienten mit einer BPS zu uns in der ambulanten Psychotherapie waren, ohne dass wir es wussten oder erkannten. Dies hatte einerseits damit zu tun, dass diesen andere Krankheitsbilder diagnostiziert wurden und andererseits fehlte uns damals das entsprechende Wissen und die Erfahrung mit BPS. Für unsere Entscheidung, gemeinsam eine Diplomarbeit zu verfassen, sind wir noch heute dankbar und froh. Unsere Zusammenarbeit erlebten wir als sehr fruchtbar, harmonisch und lehrreich. Wir konnten gegenseitig von unserem Wissen, unseren Erfahrungen und Ideen profitieren, was zu einer gewinnbringenden Synergie beim Verfassen unserer Diplomarbeit geführt hat. Es war uns von Anfang an ein grosses Anliegen, die Diplomarbeit wirklich gemeinsam zu schreiben. Dies bedeutete für uns, in ständigem Kontakt und Austausch zu bleiben, das Geschriebene fortlauend zu besprechen und gegenseitig zu ergänzen. Wir möchten uns ganz herzlich für die emotionale und fachliche Unterstützung bedanken, die wir von unserem persönlichen Umfeld und IKP-Fachleuten erhalten haben. Valentin Rupp und Walter Lendi, danken wir für die emotionale Unterstützung, die Geduld mit uns und die Zeit, in der sie auf uns verzichteten und uns arbeiten liessen. Valentin Rupp danken wir zusätzlich für seine Hilfe in „Computerdingen“ (Formatieren etc.). Unseren Supervisorinnen, Lehrtherapeuten und Ausbildnern vom Institut für Körperzentrierte Psychotherapie IKP verdanken wir eine langjährige Ausbildung, Begleitung, Persönlichkeitsentfaltung und Entwicklung zu Psychotherapeutinnen. Roland Gerber danken

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wir für seine Hilfe bezüglich Rechtschreibung, Grammatik und Feedback eines Nicht-Fachmannes im Bereich Psychotherapie. Nun sind wir sehr stolz auf unsere Diplomarbeit. Unser enormes Engagement, die Motivation und das Interesse am Thema BPS, haben sich gelohnt. Bereits vor der Zusammenarbeit an der Diplomarbeit pflegten wir nicht nur den fachlichen Kontakt, sondern hatten auch schon die Idee und Motivation, intensiver zusammenzuarbeiten. Mittlerweile ist eine Freundschaft entstanden und ein Entschluss zu weiteren gemeinsamen Projekten. Aarau, Münchwilen und Zürich, im April 2007 Sabine Gerber & Diana Maag

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Inhaltsverzeichnis 1. Vorwort ............................................ ............................................................ 2

2. Einleitung ......................................... ........................................................... 9

THEORETISCHER TEIL.......................................................................................... 12

3. Begegnung im Zwischenreich: Annäherung an das Krank heitsbild.... 12

3.1 Allgemeines zum Begriff „Persönlichkeitsstörung“...................................... 12 3.1.1 Persönlichkeitsstörungen: Klinische Forschung und Praxis........................ 12 3.1.2. „Gesunde“ Persönlichkeit und „gestörte“ Persönlichkeit ............................. 13 3.1.3. Zum Begriff „Persönlichkeitsstörung“ .......................................................... 14 3.1.4. Die Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen.............................................. 15 3.1.5. Modelle der Entstehung von Persönlichkeitsstörungen .............................. 15 3.1.6. Therapiemodelle von Persönlichkeitsstörungen ......................................... 16 3.2. Borderline-Störung: Abgrenzung und Begriffe ............................................ 17 3.2.1. Historische Entwicklung des Begriffs „Borderline“ ...................................... 17 3.2.2. Historische Konzepte der „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ ................... 18 4. Diagnostik und Klassifikation der Borderline-Persön lichkeitsstörung22

4.1 Auf dem Weg zur Diagnose „Borderline-Persönlichkeitsstörung“: Definitionen und Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen nach den Diagnosesystemen ICD und DSM, inkl. einer kritischen Würdigung der Diagnosesysteme ....................................................................................... 22 4.2 Diagnostik und Klassifikation der Borderline-Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV .............................................................................................. 27 4.3. Diagnostik und Klassifikation der Borderline-Persönlichkeitsstörung

nach ICD-10................................................................................................ 28 4.4 Borderline-Persönlichkeitsstörung in den modernen Klassifikationssytemen im Überblick........................................................... 29 4.5 Symptomatik der Borderline-Persönlichkeitsstörung .................................. 30 5. Prävalenz, Verlauf und Prognose, körperliche und ps ychiatrische

Komorbiditäten der Borderlinestörung............. ...................................... 36

5.1. Prävalenz, Verlauf und Prognose ............................................................... 36 5.2. Psychiatrische Komorbidität und Differentialdiagnostik .............................. 38 5.2.1. Borderline-Persönlichkeitsstörung und andere psychische Erkrankungen .38 5.2.2 Borderline-Persönlichkeitsstörung und andere Persönlichkeitsstörungen .44 6. Ätiologie: Ausgewählte Entstehungsmodelle zur

Borderline-Persönlichkeitsstörung................ ......................................... 48

6.1. Biologischer, genetischer und neurobiologischer Ansatz............................ 50 6.2. Psychodynamische und psychoanalytische Ansätze.................................. 51 6.3. Bindungstheoretische und interpersonale Ansätze..................................... 54 6.4 Bio-psycho-soziale Ansätze........................................................................ 57

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6.4.1 Das dialektisch-behaviorale Entstehungsmodell nach M. Linehan („Diathese-Stress-Modell“, von Linehan abgeleitet).................................... 58 6.4.2 Das neobehaviorale Entstehungsmodell..................................................... 61 7. Ausgewählte resp. gängige Therapiekonzepte ......... ............................. 63

7.1. Psychoanalyse: Übertragungsfokussiertes Therapiekonzept TFP.............. 63 7.1.1 Theoretischer Hintergrund und Therapiesetting.......................................... 63 7.1.2 Die 3 Säulen der Therapieprinzipien........................................................... 65 7.1.3 Therapieverlauf und Therapiephasen ......................................................... 67 7.1.4 Wirksamkeitsüberprüfung ........................................................................... 71 7.2 Verhaltenstherapie: Dialektisch-Behaviorale Therapie DBT ....................... 72 7.2.1 Allgemeine Aspekte der DBT-Therapie und Therapiesetting...................... 72 7.2.2 Haltung des Therapeuten ........................................................................... 76 7.2.3 Die Therapiestrategien der DBT ................................................................. 77 7.2.4 Therapieverlauf und Therapiephasen ......................................................... 78 7.2.5 Wirksamkeitsüberprüfung ........................................................................... 79 7.3 Psychodynamisch imaginative Traumatherapie PITT bei traumatisierten Patienten mit BPS....................................................................................... 80 7.4 Körperorientierte Psychotherapie der BPS ................................................. 83 7.4.1 Körpertherapie und Körperpsychotherapie ................................................. 83 7.4.2 Forschung und Studien der Körperpsychotherapie..................................... 84 7.4.3 Behandlungsmöglichkeiten der BPS mit Körperorientierter Psychotherapie ........................................................................................... 85 7.4.3.2 Körperorientierte Psychotherapie bei traumatisierten Borderline-Patienten92 7.4.4 Körperorientierte Psychotherapie der BPS im stationären Setting.............. 93 8. Fallbeispiele „Borderline-Persönlichkeitsstörung“

aus eigener Therapietätigkeit .................... .............................................. 96

8.1. Fallbeispiel 1: Borderline-Persönlichkeitsstörung (DSM-IV, ICD-10) .......... 96 8.2. Fallbeispiel 2: Borderline-Persönlichkeitsstörung (DSM-IV),

Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung, impulsiver Typus (ICD-10) ... 108 8.3. Erkenntnisse für die Therapiekonzeption BPS der

Körperzentrierten Psychotherapie IKP...................................................... 117

9. Beitrag der Körperzentrierten Psychotherapie IKP fü r ein

ganzheitlich-integratives Therapiekonzept der Bor derline-

Persönlichkeitsstörung ............................ .............................................. 120

9.1. Erkenntnisse aus Theorie und Praxis (Kap. 1 – 8).................................... 120 9.2. Allgemeines Entstehungs- und Therapiekonzept IKP anhand des Anthropologischen Würfelmodells IKP...................................................... 123 9.3. Bestätigung des ressourcenorientierten Ganzheitstherapiekonzepts IKP und dessen Relevanz für die BPS durch aktuelle Forschungen ............... 124 9.4. Ein ganzheitlich-integratives Therapiekonzept IKP für die BPS................ 130 9.4.1. Individuelle Therapieplanung und Festlegen von Therapieschwerpunkten............................................................................ 135 9.4.2. Individuelles ganzheitlich-integratives Therapiemodell IKP der BPS ........ 135 9.4.2.1. Therapieprinzipien .................................................................................... 137

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9.4.2.2. Therapieschwerpunkte /Therapiephasen.................................................. 140 9.4.3.3 BPS-spezifische Techniken und Interventionen ......................................... 147 10. Zusammenfassung und Ausblick....................... ................................... 153

Literaturverzeichnis ................................................................................................ 155 Weblinks................................................................................................................. 168

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Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen APA American Press Association BPS Borderline-Persönlichkeitsstörung DBT Dialektisch-Behaviorale Therapie DSM diagnostical and statistical manual of mental disorders HA Hausaufgaben ICD International Classification of Mental an Behavioural Disorders,

Internationale Klassifikation psychischer Störungen IKP Institut für Körperzentrierte Psychotherapie KBT Konzentrative Bewegungstherapie Pat. Patient PITT psychodynamisch-integrative Traumatherapie PS Persönlichkeitsstörung PTSD/PTSB Posttraumatic stress disorder, Posttraumatische

Belastungsstörung TFP Transference-Focused-Psychotherapy,

Übertragungsfokussierte Psychodynamische Psychotherapie Th. Therapeutin VAKO Sinneskanäle: visuell, akustisch-auditiv, kinästhetisch,

olfaktorisch WHO World Health Organization, Weltgesundheitsorgansation

Synonym verwendete Begriffe Körperzentrierte Psychotherapie IKP = Ganzheitspsychotherapie IKP = IKP-Ansatz Körperpsychotherapie = körperorientierte oder körperbezogene Psychotherapie

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2. Einleitung Aufgrund unserer Recherche bestehender Diplomarbeiten haben wir festgestellt, dass die störungsspezifische Erarbeitung von Therapiemodellen auf der Basis der ganzheitsorientierten Psychotherapie IKP weitgehend fehlt. Über das Thema Borderline-Persönlichkeitsstörung wurde am IKP noch gar nie geschrieben. Allein das wäre schon Grund genug gewesen, das Thema Borderline-Persönlichkeitsstörungen aufzugreifen. Leider ist es aber auch eine traurige Tatsache, dass wir Therapeuten im ambulanten Setting immer häufiger mit „Borderline-Patienten“ konfrontiert werden. Für eine Einarbeitung in die doch sehr umfassende Persönlichkeitsstörung und für ein auf den ganzheitsorientierten Therapieansatz IKP störungsspezifisch ausgerichtetes Vorgehen bleibt da für den einzelnen Therapeuten häufig keine Zeit. Denn Patienten mit BPS fordern uns ab der ersten Therapiestunde an wie kaum eine andere psychische Störung zum psychotherapeutisch schnellen Handeln. Unsere Arbeit soll hier zumindest partiell gesehen einerseits praktische Hilfestellung für die Körperzentrierten Psychotherapeuten IKP bei der Behandlung der BPS bieten, andererseits aber auch eine Motivation zur Erweiterung des bisherigen Therapieblickwinkels der BPS für andere Therapierichtungen sein. In diesem Bestreben galt es, ausgehend vom heutigen Forschungsstand über BPS, sich umfangreiches Grundlagenwissen zu erarbeiten und eine Reihe wichtiger Forschungsergebnisse und Faktoren zu beachten. Kapitel 3 stellt eine Einführung in die Thematik von Persönlichkeitsstörungen im Allgemeinen dar. Schon allein die therapierichtungsspezifisch bestehenden Fronten in der Begriffsdiskussion über „Persönlichkeitsstörungen“ zeigen die herrschenden Uneinigkeiten und Widersprüche auf, die sich auch lange in der Begrifflichkeit der „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ widerspiegelten und die auch heute noch existieren. Kapitel 4 und 5 beinhalten Fragen zur Diagnostik: wie die Diagnose „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ entstanden ist, was die Diagnose BPS nach verschiedenen Klassifikationssystemen bedeutet (ICD-10, DSM-lV), differentialdiagnostische Erwägungen und Komorbiditätsfragen. Besondere Aufmerksamkeit wird hier auf die Vielfalt der Symptome und ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen gelegt. Die wichtigste Botschaft für Therapeuten liegt hier darin, dass wir den BPS-Patienten einen grossen Gefallen tun, wenn wir die Diagnose erkennen und sie (wie auch die Familie) darüber aufklären können. Im Kapitel 6 werden verschiedene Ätiologiemodelle zur BPS vorgestellt. Entstehungstheorien der BPS bilden unbestritten eine wichtige Grundlage für das Therapieverständnis. Von den vorgestellten Modellen, die von biologisch/genetischen zu psychodynamischen und kognitiv-verhaltenstherapeutischen reichen, identifizieren wir uns mit einer multifaktoriellen Betrachtung - unter besonderer Berücksichtigung der Bindungstheorie. Kapitel 7 ist den zum jetzigen Zeitpunkt im ambulanten und stationären Setting etabliertesten BPS-Therapiekonzepten gewidmet: der Übertragungsfokussierten Therapie (TFP) psychoanalytischer Herkunft und der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) aus der Verhaltenstherapie. Beide vernachlässigen mehr oder weniger stark die körperorientierte Ebene. V.a. die Dialektische Verhaltenstherapie ist in kurzer Zeit zu der am meisten spezifisch auf die BPS ausgerichteten und empirisch fundierten Behandlung geworden. Auf der Basis der Verhaltenstherapie arbeitet die DBT zusätzlich mit Modulen der Achtsamkeit. Für Körperzentrierte Pychotherapeuten IKP hat dies an sich keinen „Neuigkeitswert“, da

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Achtsamkeit, VAKO-Wahrnehmung, Sensory Awareness etc. ohnehin wichtige Bestandteile einer Therapie sind. Allein ein Therapiekonzept für die BPS fehlt, das genügend Freiraum für individuelle Anpassung und trotzdem wegleitenden Charakter für die BPS-Behandlung aufweist. Die psychodynamisch-imaginative Traumatherapie PITT wird neben ihrem hohen Bekanntheitsgrad für die Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung PTSD auch bei der Behandlung von traumatisierten BPS-Patienten eingesetzt. Als reine Traumatherapie hat die PITT für die Behandlung von BPS-Patienten jedoch nur einen eingeschränkten Nutzen und es handelt sich auch nicht um eine für die BPS spezifisch entwickelte und erforschte Behandlungsform. Da der IKP-Ansatz auch imaginative Techniken einsetzt, methodenintegrierend mit Techniken aus der PITT arbeitet und diese weiterentwickelt hat, haben wir der PITT auch einen Beitrag gewidmet. Unsere Hoffnung, aus den Reihen der körperbezogenen Psychotherapieansätze auf BPS-Therapiekonzepte zu stossen, wurde jäh enttäuscht. Es bestehen wohl interessante Ansätze, körperbezogene Interventionen für die BPS und Einzelfallbeschreibungen, BPS-Konzepte fehlen hingegen praktisch ausnahmslos. Dieses Ergebnis hat uns umsomehr in unserem Vorhaben gestärkt, ein störungsspezifisches Therapiekonzept für die BPS basierend auf der ganzheitsorientierten Psychotherapie IKP zu erarbeiten. Eigene Praxiserfahrungen mit BPS-Klienten – wie sie in Kapitel 8 geschildert sind - haben uns dabei wertvolle Hinweise für die Entwicklung eines integrativen BPS-Konzepts IKP gegeben. Das nun in Kapitel 9 vorliegende Therapiekonzept IKP für die BPS ist so ausgestaltet, dass es den Paradigmen, Prinzipien und Modellen der ganzheitsorientierten Psychotherapie IKP nach Maurer gerecht wird. Ihm liegt eine phänomenologische und störungsspezifische Sicht zu Grunde, was ein auf den BPS-Patienten ausgerichtetes individuelles Therapievorgehen ermöglicht. Es waren unsere BPS-Klienten, die immer wieder diesen individuellen Blickwinkel in die Therapie hereingebracht haben über Aussagen wie „Jeder BPS-Patient ist anders. Sie können doch nicht alle in einen Topf werfen.“ (siehe auch Anhang). Im Blickfeld der Konzeptbetrachtung standen insbesondere Therapieprinzipien, Therapieschwerpunkte und –phasen bei der BPS sowie ein umfangreiches Angebot von Interventionsmöglichkeiten nach dem IKP-Ansatz. Grundsätzlich versteht sich diese Diplomarbeit in ihrer Anlage als eine Basisarbeit für weiterführende Studien, v.a. bezüglich Interventionen. Das erarbeitete Therapiekonzept IKP für die BPS soll zudem zukünftig eine Erprobung und Bewährung in der Praxis finden. Es geht also kurz gesagt darum, bisherige Literatur, Forschung und Informationen zur BPS erstmals geschlossen in einem integrativen BPS-Therapiekonzept nach dem IKP-Ansatz zu verarbeiten und zu einem neuen Ganzen zusammenzufassen. Den Abschluss bildet in Kap. 11 ein Ausblick auf ein weites noch unbearbeitetes Forschungsfeld und auf mögliche Forschungsthemen, vorwiegend betreffend körperpsychotherapeutischer Ansätze zur Behandlung der BPS. An dieser Stelle sei noch bemerkt: Um das Lesen zu erleichtern, haben wir einheitliche Bezeichnungen und Begrifflichkeiten verwendet.

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Was die weibliche und männliche Sprachform in dieser Arbeit anbelangt, haben wir bewusst auf konsequente Ausschreibung beider Geschlechter verzichtet, damit der Text nicht zu schwerfällig wurde. Wo nur eine Schreibform verwendet wird, wie z.B. „der BPS-Patient“ oder „der Therapeut“, meint sie stillschweigend auch das andere Geschlecht. Zudem haben wir ein Glossar erstellt, das dem Leser Klarheit über synonym verwendete Begriffe, Bezeichnungen und Abkürzungen verschafft. So wird z.B. die Borderline-Persönlichkeitsstörung durchgängig mit BPS abgekürzt. (s. Verzeichnis der Abkürzungen)

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THEORETISCHER TEIL 3. Begegnung im Zwischenreich: Annäherung an das

Krankheitsbild Als Annäherung an das Krankheitsbild der BPS wird in diesem Kapitel auf die Definitionen, Abgrenzungen und geschichtlichen Entwicklungen der Begriffe „Persönlichkeit“, „Persönlichkeitsstörung“, „Borderline“ und „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ eingegangen. Prävalenz, Ätiologie- und Therapiemodelle von Persönlichkeitsstörungen werden kurz erwähnt.

3.1 Allgemeines zum Begriff „Persönlichkeitsstörung “ Inhalt dieses Kapitels ist die klinische Forschung und Praxis der Persönlichkeitsstörungen, die Definition von Persönlichkeit und „gestörter Persönlichkeit“, die geschichtliche Entwicklung des Begriffs Persönlichkeitsstörung, deren Prävalenz, Ätiologie- und Therapie-Modelle.

3.1.1 Persönlichkeitsstörungen: Klinische Forschung und Praxis Persönlichkeitsstörungen stehen seit vielen Jahren ausdrücklich im Mittelpunkt des Interesses der klinischen Forschung und Praxis. Traditionell galten die Persönlichkeitsstörungen als schwer behandelbar. In Verbindung mit einem allgemeinen Bedeutungszuwachs der modernen psychiatrischen Diagnosesysteme in den 1980er Jahren sind sie verstärkt in den Vordergrund gerückt. Mittlerweile sind sie ein fester Bestandteil der klinischen Kategorien und sind auf dem Weg, den alten Begriff der Neurose zu verdrängen. Es kam in der Folge zu einem wahren Boom von Publikationen durch dieses weltweit beobachtbare Interesse an Persönlichkeitsstörungen. Der Wissensstand nahm beständig zu und führte zu kontinuierlichen Veränderungen und Aktualisierungen im Bereich der Störungskonzepte sowie der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Im Begriff der Persönlichkeitsstörung werden bis heute die Fronten zwischen den Therapieschulen sichtbar und verdeutlicht sich auch die wechselseitige Abwertung. Insbesondere die Verhaltenstherapeuten haben sich bis vor wenigen Jahren vehement gegen diese Diagnose gesträubt und sie immer wieder in Zweifel gezogen. Neuerdings ist eine andere Entwicklung feststellbar: An die Stelle der früher gegebenen Zuständigkeit eines Therapieansatzes tritt zunehmend die differentielle Indikation. Im Sinne des Leitgedankens der Komplementarität sollen mithilfe störungsspezifischer Ätiologiemodelle eine Kombination unterschiedlicher Vorgehensweisen der psychotherapeutischen Ansätze begründet

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ausgedacht und realisiert werden. Dies führt zu einem Paradigmenwechsel weg von den herkömmlichen schulenspezifischen Psychotherapieans ätzen hin zu zunehmend störungsspezifischen und schulenübergreifenden Ther apiekonzepten , die in der Praxis und Forschung angewandt und evaluiert werden können. Daher nimmt die Publikation von schulenübergreifenden und störungsspezifischen Sammelbänden im Bereich der Persönlichkeitsstörungen (z.B. Dammann & Janssen, 2001; Giernalczyk, 2005; Merod, 2005; Sass & Herpetz, 1999; Fiedler, 2000) laufend zu. Den verschiedenen Therapieansätzen der Persönlichkeitsstörungen ist gemeinsam, dass sie sich auf die Störungen im Beziehungsverhalten konzentrieren und damit die äussere Realität ebenso stark wie die innere Wirklichkeit der Klienten mit einbeziehen.

3.1.2. „Gesunde“ Persönlichkeit und „gestörte“ Pers önlichkeit Unter der Persönlichkeit eines Menschen versteht man die individuelle Konstellation seiner Eigenschaften, seine unverwechselbare Art, wahrzunehmen, zu denken, zu fühlen, zu empfinden und Beziehungen zu gestalten. Die Persönlichkeitsentwicklung resultiert aus dem Zusammenspiel von genetisch-biologischen Voraussetzungen mit psychosozialen und physikalischen Umgebungsbedingungen. Nach heutiger Auffassung stellt die Persönlichkeitsentwicklung und –reifung einen über das ganze Leben andauernden Prozess dar. Die Persönlichkeit eines Menschen ist ein tief greifendes und dennoch flexibles Muster des Erlebens und Verhaltens. Die Persönlichkeit ermöglicht es dem Menschen, sich auf der einen Seite kontinuierlich und vorhersagbar zu definieren, und auf der anderen Seite garantiert sie eine gewisse Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an neue Situationen und Veränderungen der Umwelt. Leidet ein Mensch unter einer Persönlichkeitsstörung , so fehlt ihm in einem gewissen Ausmass gerade diese Flexibilität. Das inhaltliche Kernstück einer jeden Persönlichkeitsstörung ist die Unflexibilität und Rigidität, gekennzeichnet durch umfassende, überdauernde und unflexible Muste r des Verhaltens und Erlebens . Dies führt zu einer mangelhaften Anpassung an gesellschaftliche Anforderungen, persönlichem Leid und Beeinträchtigungen in fast allen Bereichen des persönlichen Lebens. Es besteht somit ein besonderer Widerspruch zu den modernen gesellschaftlichen Anforderungen an Flexibilität und Beweglichkeit. Die Abweichungen von der Durchschnittsnorm zeigen sich insbesondere in den psychischen Funktionen Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in den Beziehungen zu anderen. Normabweichend ist dabei nicht so sehr die Qualität der einzelnen Merkmale des Verhaltens und Erlebens, sondern vielmehr deren Akzentuierung, die Ausprägung und vor allem die Dominanz, was sich sowohl in mangelnder sozialer Anpassung als auch in subjektiven Beschwerden ausdrückt. Menschen mit Persönlichkeitsstörungen haben eine andere Sicht der Welt und einen anderen Umgang mit ihr. Aus dieser Sicht der Welt resultieren verschiedene Handlungsweisen, die das persönliche Leid immer wieder hervorrufen und aufrechterhalten. Dies zeigt sich nicht nur auf der symptomatischen Ebene, sondern in vielen Interaktionen und Verhaltensweisen. Diese veränderte Weltsicht entspricht dem der Persönlichkeitsstörung zugrunde liegenden Satz: „So bin ich halt“, der in den Diagnoseschemata auch als Ich-Syntonie bezeichnet wird und der ein Grundpfeiler in der Definition von Persönlichkeitsstörungen darstellt. Persönliche Eigenarten werden als ich-synton, als zu sich gehörend wahrgenommen, so dass das Leid sich nicht selten erst an den Folgen der starren Interaktionsmuster und nicht an ihnen selbst festmacht. Aus psychoanalytischer Sicht , dem konzeptuellen Ansatz Kernbergs (Etzersdorfer et al., 2005; Kernberg, Dulz & Sachsse, 2000) folgend, setzt sich Persönlichkeit aus dem Temperament, dem Charakter und dem Über-Ich zusammen. Unter Temperament

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verstehen die Psychoanalytiker hauptsächlich genetisch und konstitutionell bedingte Dispositionen für Reaktionen, vor allem im affektiven Bereich. Unter Charakter verstehen sie Verhaltensmanifestationen der Ich-Identität als Ausdruck einer Integration von Selbst- und Objektbildern, die zu einem Gefühl von Kohärenz und zu Fähigkeiten wie Ich-Stärke führen. Das Über-Ich schliesslich mit seinen primitiven oder reiferen Entwicklungsmöglichkeiten stellt den Bewertungsmassstab der Persönlichkeit dar. Dementsprechend nennen sie es Persönlichkeitsstörung , wenn schwer wiegende Störungen im Bereich von Temperament und/oder Charakter und/oder Über-Ich-Bildung vorliegen.

3.1.3. Zum Begriff „Persönlichkeitsstörung“ In der psychiatrischen Tradition wurden psychische Erkrankungen nach deren angenommener Ätiologie in einem Klassifikationssystem eingeteilt. Man unterschied drei Gruppen von Erkrankungen, die Kurt Schneider (1987, 1. Aufl. 1923) zum sog. triadischen System weiterentwickelte. Entsprechend der triadischen Einteilung unterschied man psychogene Störungen, organische Psychosen und endogene Psychosen. Persönlichkeitsstörungen wurden den psychogenen Störungen zugeordnet. Die Persönlichkeitsstörungen wurden als „abnorme Persönlichkeiten“ oder „Psychopathien“ bezeichnet. Von Kurt Schneider (1987) stammt die folgende Definition: „Psychopathische Persönlichkeiten sind solche abnorme Persönlichkeiten, die unter ihrer Abnormität leiden oder unter deren Abnormität die Gesellschaft leidet“. Die modernen Klassifikationssysteme psychischer Erkrank ungen , das ICD-10 (Dilling, Mombour & Schmidt, 2004) und das DSM-IV (APA, 1994; Sass, 1996), haben sich weitgehend von dieser ätiologisch orientierten Klassifikation abgewandt und das triadische System abgelöst. Sie erstellen eine Krankheitssystematik im Wesentlichen anhand phänomenologischer Kriterien , wie z.B. Symptomatik, Verlauf und Schweregrad. Weitere gebräuchliche Termini waren die diskriminierenden Begriffe „moralischer Schwachsinn“ , „sozialer Parasitismus“ und „Anethopathie“. Im angloamerikanischen Raum war über lange Zeit der Begriff der „Soziopathie“ gebräuchlich. Der mit der „Psychopathie“ verwandte Begriff der „Charakterneurose“ stammt aus der psychoanalytischen Tradition, die eine pathologische Persönlichkeitsakzentuierung durch das Vorherrschen eines bestimmten Triebs, dessen Abwehr oder Hemmung erklärt. Bestimmte Eigenschaften der Persönlichkeit werden als durch unbewusste Konflikte in der Kindheit entstandene Reaktionsbildungen auf verdrängte Wünsche aufgefasst. Es handelt sich um eine strukturelle Störung der Persönlichkeit, um eine Reifungs- und Entwicklungsstörung, zurückgehend auf bestimmte Phasen der frühkindlichen Entwicklung. Unter all diesen verschiedenen Termini bestehen Überschneidungen. Sie werden nicht völlig deckungsgleich verwendet. Ihre Bezeichnungen stammen aus verschiedenen theoretischen Konzepten. Problematisch an all diesen Begriffen war und ist eine einseitig auf die Defizite des Betroffenen ausgerichtete Sichtweise.

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Auch der Begriff „Persönlichkeitsstörung“, welcher die Bezeichnungen „Psychopathie“ und „Charakterneurose“ ersetzt hat, beinhaltet immer noch die Gefahr der Stigmatisierung. So wird die Person, mit der interaktionelle Schwierigkeiten bestehen, welche „schwierige“ oder „andersartige“ Verhaltensweisen oder Einstellungen aufweist, als „gestörte Person“ bezeichnet und somit einseitig als „Störungsursache“ bewertet. Die Begriffe „Psychopathie“ und „Charakterneurose“ enthalten eine ätiologische Hypothese über die Entstehung von Persönlichkeitsstörungen, währenddem der Begriff „Persönlichkeitsstörung“ ätiologiefrei und rein beschreibend ist. Das Konzept der Persönlichkeitsstörungen wird von vielen Autoren (z.B. Frauenknecht & Lieb, 2005; Kernberg, 2000; Merod, 2005a, 2005b) kritisiert und sogar grundsätzlich in Frage gestellt (Lieb, 1998). Vor allem die erheblichen Probleme in der genauen Diagnostik und Abgrenzung der Persönlichkeitsstörungen werden vielfach kritisiert. In den Kapiteln 4.1 und 5 wird ausführlich darauf eingegangen.

3.1.4. Die Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen Wegen unterschiedlicher Definitionen, Populationen und eingesetzter Messinstrumente differieren die Prävalenzraten epidemiologischer Untersuchungen teilweise erheblich. Man kann aber davon ausgehen, dass Persönlichkeitsstörungen zu den häufigsten psychischen Störungen gehören. Verschiedene Studien kommen zusammengefasst zu den Ergebnissen, dass etwa 3 – 18% der Normalbevölkerung unter Persönlichkeitsstörungen leiden und die Verteilung über Männer und Frauen etwa gleich hoch ist. In psychiatrischen Kliniken ergibt sich je nach Diagnoseschema und Untersuchungsmethodik das Bild, dass ca. 40 – 60% Prozent des Klientels die Diagnose Persönlichkeitsstörung (bei Mehrfachdiagnosen) erhalten. In der forensischen Psychiatrie beträgt ihr Anteil zwischen 70 – 90%. Die Angaben zu den Häufigkeiten von Persönlichkeitsstörungen stammen aus Bronisch, 2005; Dittmann et al., 2002; Frauenknecht & Lieb 2005; Giernalczyk, 2005; Merod, 2005b.

3.1.5. Modelle der Entstehung von Persönlichkeitsst örungen Es bestehen keine allgemein akzeptierten Modellvorstellungen zur Entstehung von Persönlickeitsstörungen mit hinreichend empirischer Evidenz (Bronisch, 2005; Dittmann, Ermer & Stieglitz, 2002; Frauenknecht & Lieb, 2005; Merod, 2005a, 2005b). Stattdessen konkurrieren verschiedene biologische und psychologische Modellvorstellungen. Lange Zeit standen in der Psychiatriegeschichte statische Auffassungen von der Persönlichkeit als weitgehend unveränderliche, genetisch bedingte Konstante, und besonders von Sigmund Freud und seinen Schülern herausgearbeitete dynamische Aspekte, denen zufolge wesentliche Elemente der Persönlichkeitsstruktur als Reaktion auf Umwelteinflüsse und soziale Bedingungen vor allem in der Kindheit erworben werden, unvereinbar gegenüber. Ein modernes Konzept von Persönlichkeit und ein zukünftiges Forschungsgebiet zur Ätiopathogenese von Persönlichkeitsstörungen wird ein multifaktorielles,

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multikonditionales und multikausales, nach dem Vorb ild des Bio-Psycho-Sozialen Ansatzes , sein, mit Berührungspunkten zwischen medizinischer, neurobiologischer und psychologischer Forschung. Damit können die bisherigen und zukünftige Forschungsergebnisse zusammengeführt und integriert werden und es kann zu einem fruchtbaren Zusammenspiel der verschiedenen Disziplinen kommen (Dittmann et al., 2002; Fiedler, 2001; Frauenknecht & Lieb, 2005; Merod 2005a, 2005b). Einige wichtige Entstehungsmodelle der Persönlichkeitsstörungen werden hier kurz erwähnt, ohne weiter darauf einzugehen, mit dem Verweis auf weiterführende Literatur. Einige dieser Modelle werden im Kap. 6 über die Entstehungsmodelle für die BPS detailliert beschrieben: • Klinische Forschung: Diathese-Stressmodell / Vulnerabilitäts-Stress-Modell (in Bronisch,

2005; Merod, 2005a) • Psychoanalytische und psychodynamische Konzepte: z.B. Objektbeziehungstheorie

(Kernberg, Dulz & Sachsse, 2000) • Kognitiv-lerntheoretische Modelle: z.B. Kognitive Schemata (Beck, Freeman, Pretzer,

Davis, Fleming, Ottaviano, Beck, Simon, Padesky, Meyer & Trexler, 1993) • Genetische und neurobiologische Ansätze: z.B. Schematherapie (Young, Klosko &

Weishaar, 2003), weiterführende Literatur (Bronisch, 2005; Frauenknecht & Lieb, 2005) • Interpersonelle Ansätze: z.B. Circumplexmodelle (in Bronisch, 2005), weiterführende

Literatur (Frauenknecht & Lieb, 2005) • Soziologische Modelle: weiterführende Literatur (Bronisch, 2005)

3.1.6. Therapiemodelle von Persönlichkeitsstörungen Die psychologischen Modelle zur Entstehung von Persönlichkeitsstörungen bildeten oft die Grundlage für die Entwicklung therapeutischer Interventionsprogramme. Nach den oben erwähnten statischen und dynamischen Auffassungen und den therapieschulenorientierten Grabenkriegen (Kap. 3.1.1 und 3.1.5) ist gegenwärtig eine realistischere und pragmatischere therapeutische Haltung zu beobachten, die durch Methodenvielfalt, schulenübergreifende und integrat ive Konzepte gekennzeichnet ist (Bronisch, 2005; Dittmann et al., 2002; Fiedler, 2001; Frauenknecht & Lieb, 2005; Merod, 2005a, 2005b; Sass & Herpetz, 1999). Einige wichtige Therapiemodelle der Persönlichkeitsstörungen werden hier kurz erwähnt, ohne weiter darauf einzugehen, mit dem Verweis auf weiterführende Literatur. Einige dieser Modelle werden im Kap. 7 über die Therapiemodelle für die BPS detailliert beschrieben: • Ansätze der (kognitiven) Verhaltenstherapie: Schema-Fokus-Therapie (Young et al.,

2003), kognitiv-interpersonelle Therapie (Safran & Zindel, 1990), kognitive „Appraisal“-Therapie (Wessler, Hankin & Stern, 2001)), kognitive Therapie (Beck et al., 1993) (weiterführende Literatur: Dittmann et al., 2002; Ecker, 2000)

• Psychoanalytische Therapien: Veränderung der Persönlichkeitsstruktur als Therapieziel (weiterführende Literatur: Etzersdorfer et al., 2005; Kernberg, 2000)

• Interpersoneller Ansatz: SASB(Structural Analysis of Social Behavior)-basierende rekonstruktive Lerntherapie (Benjamin, 2001)

• Pharmakotherapie: (weiterführende Literatur: Frauenknecht & Lieb, 2005)

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3.2. Borderline-Störung: Abgrenzung und Begriffe Dieses Kapitel beschreibt die historischen Entwicklungen der Begriff „Borderline“ und „Borderline-Persönlichkeitsstörung“.

3.2.1. Historische Entwicklung des Begriffs „Border line“ Der Begriff „Borderland “ wurde erstmals 1907 in einem Vortrag von Hughes (1884, zit. nach Herpertz & Sass, 2000) erwähnt. Für neurotische und psychotische Randformen fand der Begriff „Borderline “ oder „Borderland“ auch Anwendung bei Rosse (1890, zit. nach Herpertz & Sass, 2000) und Clark (1919, zit. nach Herpertz & Sass, 2000). Rosse verwendete zur Illustration den Begriff „schwarz-weiss“ und Clark hielt eine spezifische Behandlung für angebracht. Freud (1925) benutzte zwar den Begriff „Borderline“ nicht explizit, allerdings würden wohl viele der von Freud beschriebenen hysterischen Persönlichkeitsstörungen heute als Borderline-Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert werden. Bei Reich (1933) und Fenichel (1931) findet sich der Begriff „Borderline“ (beide zit. nach Eckert, Dubs & Makowski, 2000). Als nosologischer Begriff wurde „Borderline“ umfassend erstmals 1938 von dem Psychoanalytiker Adolph Stern (zit. nach Herpertz & Sass, 2000) verwendet, der hiermit Patienten bezeichnete, die sowohl neurotische als auch psychotische Merkmale aufwiesen. Solche Patienten konnten mit den damaligen psychoanalytischen Techniken nicht zufrieden stellend behandelt werden. Stern arbeitete dabei besonders das Charakteristikum der Borderline-Persönlichkeit heraus, im Analytiker ein gutes und allmächtiges Objekt zu sehen, das sich abrupt in ein feindliches verwandelte, sobald der Analytiker nicht vollständig den Erwartungen des Patienten entsprach. Der Begriff „Borderline“ wird leider in der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse in unterschiedlicher Bedeutung, teils auch unscharf und inflationär verwendet. In seiner allgemeinen Bedeutung beschreibt er eine psychische Störung, die zwischen Neurose und Psychose angesiedelt ist. Als Diagnose wird „Borderline-Syndrom“ häufig für unklare Fälle missbraucht.

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3.2.2. Historische Konzepte der „Borderline-Persönl ichkeitsstörung“ Die BPS gilt eher als neumodische Erscheinung. Das mag für die Etablierung des Störungsbildes in den aktuellen Diagnoseschlüsseln stimmen, nicht aber für die Beobachtung und Beschreibung von spezifischen Verhaltensweisen von Menschen, die heute möglicherweise die Diagnose einer BPS erhalten würden. Bereits 1681 beschrieb der englische Arzt Thomas Sydenham (*1624-1689†) hysterische Patienten, die durch Launenhaftigkeit gekennzeichnet waren, „…sie würden ohne jedes Mass jene lieben, die sie alsbald ohne jeden Grund hassen würden“ (zit. nach Eckert et al., 2000, S. 271). Nach Herpertz & Sass (2000) lassen sich vier Entwicklungslinien hin zum heutigen Konzept der BPS unterscheiden, die abhängig von konkreten Forschungsergebnissen, aber auch von allgemeinen Paradigmenwechseln in der psychiatrischen Nosologie in zeitlicher Folge nacheinander oder auch parallel verliefen. Abbildung 1 zeigt diese Entwicklungslinien auf. Auf der Störungsebene unterscheiden sich diese vier Entwicklungslinien wie folgt: BPS als: A) subschizophrene Störung B) subaffektive Störung C) Impulskontrollstörung D) Posttraumatische Belastungsstörung Impulsives Irresein (Kraepelin 1904)

latente Schizophrenie Erregbare und Instabile Triebmenschen (Bleuler 1911) (Kraepelin 1905) (Kraepelin 1909) pseudoneurotische Schizophrenie stimmungslabiler Psychopath explosibler Psychopath (Hoch 1949) (K. Schneider 1923) (K. Schneider 1923) Schizotype Persönlichkeitsstörung——DSM-III/IV——Borderline-Persönlichkeitsstörung Schizotype Störung ICD-10 emotional instabile Persönlichkeitsstörung

• Impulsiver Typus • Borderline-Typus

Abb. 1. Vorläufer des Konzeptes der Borderline-Persönlichkeitsstörung (Herpertz & Sass, 2000, S. 115) Die unter A) – D) erwähnten Autoren sind zitiert nach Herpertz & Sass (2000, S.115-119).

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A) BPS als subschizophrene Störung Kraepelin, Autor mehrerer deutscher Psychiatrie-Lehrbücher, bezeichnete 1904 die „Psychopathien“ als ein Zwischengebiet von seelischen Zuständen und persönlichen Eigentümlichkeiten. Bleuler sprach von „latenter Schizophrenie“ zur Bezeichnung von merkwürdigen, exzentrischen und sonderlingshaften Menschen. Auch andere, der latenten Schizophrenie verwandte Begriffe, wie z.B. „ambulatorische“ (Zillborg, 1941), „abortive“ (Mayer, 1950), „subklinische“ (Petersen, 1954) oder „pseudopsychopathische“ (Dunaif & Hoch, 1955) Schizophrenie vertreten die Auffassung von einem Übergangsbereich zwischen den „abnormen Persönlichkeiten“ und den Schizophrenien. Hoch & Polantin (1949) verwendeten den Begriff „pseudoneurotische Schizophrenie“ als eine untypische Form der Schizophrenie mit spezifischen diagnostischen Merkmalen. Kety, Rosenthal et al. (1968) prägten den Begriff des „schizophrenen Spektrums“ und das Konzept der „Borderline-Schizophrenie“. Alle diese Konzepte eines „Borderline-Syndroms“ kommen zu der Einschätzung, bei Borderline-Patienten handle es sich eigentlich um „Schizophrene im Gewand der Neurose“ (Herpertz & Sass, 2000, S.116). Sie betreffen den Übergangsbereich zu den Schizophrenien und sind Vorläufer der „Schizotypischen Persönlichkeitsstörung“ des DSM-III/IV-Konzeptes oder der „Schizotypen Störung“ nach ICD-10. Diese diagnostische Kategorie ist beim ICD-10 als eine Unterform der schizophrenen Erkrankungen aufgeführt. B) BPS als subaffektive Störung Die zweite Entwicklungslinie sieht die BPS im Gegensatz zur ersten im Grenzgebiet zu den affektiven Erkrankungen und beschreibt Persönlichkeiten mit labilen, rasch und unvermittelt wechselnden Stimmungslagen oder auch leichter Erregbarkeit. Bonet (1684) nannte es „Folie maniaco-mélancolique“, Falret (1854) „Folie circulaire“. Kraepelin (1896) ordnete andauernde „konstitutionelle“ Verstimmungen und das „impulsive Irresein“ den sogenannten „psychopathischen Zuständen“ zu. Konstitutionelle Verstimmungen erachtete er als „Verdünnungsformen der manisch-depressiven Erkrankung“. Akiskal (1981, 1992) und andere zeitgenössische Autoren orientieren sich an dieser Konzeption Kraepelins und sprechen von der BPS als „zyklothymes Temperament“ und setzen sie in einen biologischen Zusammenhang mit bipolaren affektiven Störungen. Kraepelin nahm 1913 konzeptuelle Veränderungen vor, erweiterte das Konzept der „psychopathischen Persönlichkeiten“ und ordnete nun auch Persönlichkeiten mit andauernden Auslenkungen der Stimmungs- und Antriebslage in diese Kategorie ein. Dazu gehörten „die Erregbaren, die Instabilen, die Streitsüchtigen und die Triebmenschen“. Dysfunktionale Persönlichkeitszüge verstand er weniger als Krankheitssymptome denn als ein Problem der sozialen Abweichung. Schneider (1923) sprach von „stimmungslabilen Psychopathen“ (Schneider, 1987) und nahm vor allem charakterliche Beschreibungen vor. Von den „stimmungslabilen und

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explosiblen Psychopathen“ (Schneider, 1987) führt die Entwicklungslinie weiter bis zu den heutigen modernen Klassifikationssystemen, zur „emotional instabilen Persönlichkeitsstörung“ nach ICD-10 und der „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ nach DSM-IV (s. Tab. 2 und 3). Der Wandel des Borderline-Konzeptes von einer subschizophrenen zu einer subaffektiven Erkrankung setzte sich Ende der 1970er Jahre fort. Es kam zu einer Neubewertung affektiver Störungen und zur Konzeptualisierung der BPS als eine „affektive Spektrumserkrankung“ (z.B. Gunderson, 2005). Es kam zu einem neuerlichen Wandel im Verständnis dieses Störungsbildes. Ein zunächst angenommener kausaler Zusammenhang zwischen den affektiven Störungen und der BPS wurde angesichts neuerer Familienuntersuchungen wieder infrage gestellt. In der genauen Analyse der Symptomatik der affektiven Merkmale fand man einige Unterschiede zwischen den affektiven Störungen und der BPS (s. Kap. 5.2.1). C) BPS als Impulskontrollstörung In den letzten Jahren wurde zunehmend eine Störung der Impulskontrolle als zentrales Merkmal der BPS diskutiert (z.B. Gunderson, 2005, s. Kap. 4), da sich bei Patienten mit einer BPS die andauernde Neigung zu verschiedenen Formen autodestruktiver Impulshandlungen zeigte. Dieses Konzept geht auf alte Konzepte der Willensstörung zurück, wie z.B. die „fureur sans délir“ nach Matthey (1816), die „Monomanie-Theorie“ von Esquirol (1810) oder das „impulsive Irresein“ nach Kraepelin (1896), welches er auch den „psychopathischen Zuständen“ (s.o., 1909-1915), und innerhalb dieser der Kategorie der sogenannten „Triebmenschen“ zuordnete. Das impulsive Verhalten wurde wie auch die Stimmungslabilität und Unstetigkeit (s.o.) weniger unter dem Gesichtspunkt der psychopathologischen Symptome als unter dem Gesichtspunkt der Dissozialität behandelt. Manifestationen einer Impulskontrollstörung sind in erster Linie selbst- wie auch fremdschädigende Verhaltensweisen. Versteht man Impulsivität über die reine Verhaltensebene hinaus allgemeiner als eine persönlichkeitseigene Tendenz, auf Reize plötzlich und heftig zu reagieren, so ist es nahe liegender, „…die affektive Instabilität von BPS-Patienten als Ausdruck eines erhöhten impulsiven Antriebs denn als Manifestation einer affektiven Erkrankung aufzufassen“ (Herpertz & Sass, 2000, S.119). Das Konzept der BPS als Impulskontrollstörung wurde zudem durch Familienuntersuchungen (z.B. Gunderson, 2005) gestützt. Einzelne Persönlichkeitsmerkmale, z.B. die Impulsivität, unterliegen demnach einem genetischen Einfluss (s. Kap. 6). Impulsive Verhaltensweisen bei der BPS werden aufgrund einiger inzwischen vorliegender empirischer Daten als Persönlichkeitsdisposition, d.h. als krisenhafte Zuspitzungen einer überdauernden impulsiven Verhaltensbereitschaft angesehen werden. Somit sind sie also nicht auf einzelne Ereignisse beschränkt.

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D) BPS als Posttraumatische Belastungsstörung Die Posttraumatische Belastungsstörung wurde erstmals im DSM-III (1980) als offizielle Störungskategorie eingeführt. Sie rührte insbesondere aus Beobachtungen von Veteranen des Vietnamkriegs. Seither ist eine Diskussion wegen möglichen konzeptuellen Überlappungen der Posttraumatischen Belastungsstörung und der BPS im Gange (Kap. 5.2.1). Es geht dabei vor allem um phänomenologische Ähnlichkeiten zwischen den Diagnosekategorien und die Bedeutung von Traumata in der Kindheit von Borderline-Patienten (Kernberg, 1997; Merod 2005b; Reddemann, 2001; Rohde-Dachser, 1995; Sachsse, 1995; Schneider und Dulz, 1993). Inzwischen besteht eine hohe Übereinstimmung darin, dass das klinische Erscheinungsbild der BPS zum Teil von den Folgen kindlicher traumatischer Erfahrungen geprägt ist. Traumata sind jedoch weder spezifisch noch ausreichend für die Diagnose einer BPS. Sie kommen auch bei anderen psychiatrischen Erkrankungen gehäuft vor und es gibt Menschen mit der Diagnose einer BPS, welche nicht über gravierende umschriebene traumatische Erfahrungen in ihrer Kindheit berichten. Auf heute gängige Entstehungsmodelle der BPS wird im Kap. 6 detailliert eingegangen.

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4. Diagnostik und Klassifikation der Borderline-Persönlichkeitsstörung

In diesem Kapitel wird ausführlich auf die Diagnostik und Klassifikation der BPS eingegangen. Zuerst wird der Weg zur Diagnose BPS, dann die Diagnostik anhand der modernen Klassifikationssysteme und schliesslich die Symptomatik der BPS differenziert beschrieben.

4.1 Auf dem Weg zur Diagnose „Borderline-Persönlich keitsstörung“: Definitionen und Diagnostik von Persönlichkeitsstör ungen nach den Diagnosesystemen ICD und DSM, inkl. einer kritische n Würdigung der Diagnosesysteme

Die heute gängigen psychiatrischen Diagnosesysteme bieten viele Vorteile, haben aber auch Nachteile, welche vielfach kritisiert wurden. Bei der Beschreibung der historischen Entwicklung der beiden wichtigsten, international anerkannten, psychiatrischen Diagnosesysteme, dem „Diagnostical and statistical manual of mental disorders“, kurz DSM, der American Psychiatric Association (APA) (1952, 1968, 1980, 1987; Sass, 1996) und der „International classification of social diseases“, kurz ICD, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (Degwitz et al., 1980; Dilling et al., 2004) wird daher eine kritische Würdigung dieser Diagnosesysteme vorgenommen. Um die Diagnose einer BPS stellen zu können, müssen zuerst die allgemeinen diagnostischen Kriterien für die spezifischen Persö nlichkeitsstörungen nach ICD-10 (Dilling et al., 2004) oder DSM-IV (Sass, 1996) erfüllt sein (s. Tab. 1). In einem zweiten diagnostischen Schritt müssen dann die spezifischen zusätzlichen Kriterien für die Untergruppe der BPS vorhanden sein (s. Tab. 2 und 3). Im Folgenden werden die Schritte auf dem Weg zu dieser Diagnose detailliert beschrieben. Die stetig häufiger und beliebter werdende Diagnose der Persönlichkeitsstörung ist ein Spiegel unserer Gesellschaft mit ihren Normen und immer höheren Erwartungen an die Anpassungs- und Veränderungsfähigkeiten des Menschen. Viele Definitionen von Persönlichkeitsstörungen betonen die Abweichung von der kulturellen Norm. Damit sind sie selbst normativ. Die kulturelle und gesellschaftliche Umgebung befindet sich in einem stetigen Wandel und wird situativ und personenabhängig jeweils unterschiedlich definiert. Somit ist die Diagnose der Persönlichkeitsstörung selbst ein interaktives Geschehen und sagt nicht nur etwas über den Diagnostizierten, sondern auch über das Wertesystem des Diagnostikers aus. Psychiatrische Kategorisierungen bieten immer die G efahr der Stigmatisierung und Etikettierung . Bei einer Betrachtung der Definitionen von Persönlichkeitsstörungen nach dem „Diagnoseschlüssel und Glossar psychiatrischer Krankheiten“ (ICD-9) (Degwitz, Helmchen, Kockott & Mombour, 1980) wird möglicherweise verständlich, warum dieses Konzept so viele Kritiker hatte und abgelehnt wurde.

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Definition der Persönlichkeitsstörungen nach ICD-9 301 Persönlichkeitsstörungen (Psychopathien, Charak terneurosen) Personen mit tief verwurzeltem Fehlverhalten, das im Allgemeinen zur Zeit der Adoleszenz oder früher erkennbar wird, die meiste Zeit während des Erwachsenenalters besteht, obwohl es häufig im mittleren und höheren Lebensalter weniger deutlich wird. Die Persönlichkeit ist abnorm entweder hinsichtlich der Ausgeglichenheit ihrer Komponenten, deren Qualität und Ausdrucksformen oder hinsichtlich des Gesamtbildes. Unter dieser Abnormität oder Psychopathie leidet der Patient oder andere haben darunter zu leiden, und es ergeben sich nachteilige Folgen für das Individuum oder die Gesellschaft. Hierzu gehören auch sog. Psychopathien. … (Degwitz et al., 1980, S.54f.) Diese Definition weist viele diskriminierende und stigmatisierende Begriffe auf. Die Kritik an dieser Definition hat sich auf die Definitionen nach DSM-III (APA, 1980), DSM-III-R (APA, 1987), DSM-IV (APA, 1994; Sass, 1996) und ICD-10 (Dilling et al., 2004) ausgewirkt. In Tab. 1 werden die Konzeptualisierungen nach ICD-10 und DSM-IV dargestellt. Tab. 1. Definition von Persönlichkeitsstörungen nach ICD-10 und DSM-IV

ICD-10 DSM-IV F60

Spezifische Persönlichkeitsstörungen

Spezifische Persönlichkeitsstörungen Hier liegt eine schwere Störung der charakterlichen Konstitution und des Verhaltens vor, die mehrere Bereiche der Persönlichkeit betrifft. Sie geht meist mit persönlichen und sozialen Beeinträchtigungen einher. Persönlichkeitsstörungen treten häufig erstmals in der Kindheit oder in der Adoleszenz in Erscheinung und manifestieren sich endgültig im Erwachsenenalter. Daher ist die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung vor dem Alter von 16 oder 17 Jahren wahrscheinlich unangemessen.

Persönlichkeitsstörungen müssen von Persönlichkeitszügen, die nicht die Schwelle einer Persönlichkeitsstörung erreichen, unterschieden werden. Persönlichkeitszüge werden nur dann als Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, wenn sie unflexibel, unangepasst und überdauernd sind und in bedeutsamer Weise funktionelle Beeinträchtigungen oder subjektives Leid verursachen.

Diagnostische Leitlinien: Die Zustandsbilder sind nicht direkt auf beträchtlichere Hirnschädigungen oder –krankheiten oder auf eine andere psychiatrische Störung zurückzuführen und erfüllen die folgenden Kriterien: 1. Deutliche Unausgeglichenheit in den

Einstellungen und im Verhalten in mehreren Funktionsbereichen wie Affektivität, Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmen und Denken sowie in den Beziehungen zu anderen.

2. Das auffällige Verhaltensmuster ist andauernd und gleichförmig und nicht auf Episoden psychischer Krankheiten begrenzt.

3. Das auffällige Verhaltensmuster ist tief greifend und in vielen persönlichen und sozialen Situationen eindeutig unpassend.

4. Die Störungen beginnen immer in der

Allgemeine diagnostische Kriterien einer Persönlichkeitsstörung: A Ein überdauerndes Muster von innerem

Erleben und Verhalten, das merklich von den Erwartungen der soziokulturellen Umgebung abweicht. Diese Muster manifestiert sich in mindestens 2 der folgenden Bereiche: 1) Affektivität (also die Variationsbreite, die

Intensität, die Labilität und Angemessenheit emotionaler Reaktionen)

2) Kognitionen (also die Art, sch selbst, andere Menschen und Ereignisse wahrzunehmen und zu interpretieren)

3) Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen

4) Impulskontrolle B Das überdauernde Muster ist unflexibel und

tief greifend in einem weiten Bereich persönlicher und sozialer Situationen.

C Das überdauernde Muster führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder

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Kindheit oder Jugend und manifestieren sich auf Dauer im Erwachsenenalter.

5. Die Störung führt zu deutlichem subjektiven Leiden, manchmal jedoch erst im späteren Verlauf.

6. Die Störung ist meistens mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden.

Für die Diagnose der meisten Untergruppen müssen mindestens drei der jeweils genannten Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen. In unterschiedlichen Kulturen müssen unter Umständen besondere Kriterien in Hinsicht auf soziale Normen, Regeln und Verpflichtungen entwickelt werden.

Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

D Das Muster ist stabil und lang dauernd und sein Beginn zumindest bis in die Adoleszenz oder ins frühe Erwachsenenalter zurückzuverfolgen.

E Das überdauernde Muster lässt sich nicht besser als Manifestation oder Folge einer anderen psychischen Störung erklären.

F Das überdauernde Muster geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Drogen, Medikamente) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors (z.B. Hirnverletzung) zurück.

Es fand ein grundlegender Wandel in der Diagnostik statt mit zahlreichen Veränderungen und Präzisierungen. Die neueren Definitionen sind zwar nicht mehr in dem Masse diskriminierend, wie es in der ICD-9 der Fall war, dennoch werden sie weiterhin kritisiert. Gleichzeitig stellen sie jedoch eine Basis zur Erfassung dieser Störungsbilder und für die wissenschaftliche Forschung dar und bieten somit gleichzeitig eine gute Diskussionsgrundlage zur Auseinandersetzung. In den Diagnosesystemen DSM-IV und ICD-10 wurden neue Ordnungsstrukturen eingeführt. Eine davon ist die Prototypenperspektive , d.h. die Prototypenbeurteilung der Persönlichkeitsstörungen, die typologischen Systematisierungen. Diese bringt folgende Neuerungen und Anforderungen mit sich: • Die Diagnosekriterien sind polythetisch angelegt, d.h., dass eine Person jeweils nur ein

Teil der Kriterien für eine Diagnosevorgabe erfüllen muss. • Es werden polythetische Merkmale benannt, die für das jeweilige Störungsbild als

besondere Markierungspunkte gelten • Akzeptanz von Mehrfachdiagnosen bei einer Person • Die Kriterien werden qualitativ gewichtet und ermöglichen eine Einschätzung der

Störungsschwere Der Schwerpunkt der Diagnostik wird auf interpersonelle Verhaltensmerkmale gelegt. Anhand von konkreten Indikatoren und Verhaltensweisen werden die persönlichen Probleme und Schwierigkeiten von Patienten beurteilt. Auf einen Gesamteindruck wird verzichtet. In der ICD-10 lassen sich acht spezifische Persönlichkeitsstörungen unterscheiden. Das DSM-IV unterscheidet zehn verschiedene Persönlichkeitsstörungen und teilt sie aufgrund beobachtbarer Ähnlichkeiten in drei Gruppen (Cluster) ein. Kritisiert an ICD-10 und DSM-IV werden vor allem die noch sehr hohen Überlappungen bei den Definitionen der verschiedenen Persönlichke itsstörungen . Die Symptome verschiedener Störungen können sich stark überschneiden und erschweren ihre Unterscheidung. Diese mangelnde Trennschärfe wurde insbesondere von Otto Kernberg (in Etzersdorfer et al., 2005; Kernberg, Dulz & Sachsse, 2000), dem bedeutendsten Vertreter des psychoanalytischen Verständnisses von Persönlichkeitsstörungen, kritisiert. Er hat aus diesem Grund den Begriff der Borderline-Persönlichkeitsorganisation (BPO) eingeführt,

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indem er alle Persönlichkeitsstörungen wiederum in die Persönlichkeitsorganisation überführte. Sein Lösungsversuch, alles unter einen, noch dazu doppelt verwendeten Oberbegriff (Namensgleichheit Borderline-Persönlichkeitsorganisation vs. Borderline-Persönlichkeitsstörung) zu fassen, hat nicht gerade zur Klärung, sondern eher zur Verwirrung beigetragen. Durch die Einführung dieses Begriffs legte Kernberg ein psychodynamisches Konzept vor, indem er die Störungen durch bestimmte Kriterien charakterisiert, die beim Funktionieren auf einem bestimmten psychischen Niveau vorherrschen. Er betrachtet die Symptombildung nicht mehr allein unter dem Gesichtspunkt der Konfliktverarbeitung, sondern auch unter dem Aspekt, auf welcher psychischen Funktionsebene die jeweils gestörte Persönlichkeit funktioniert . Er ordnet die Persönlichkeitsstörungen also nach dem Schweregrad der Störung der Persönlichkeitsorganisation . Zwischen dem höheren Niveau der Neurose und dem tieferen der Psychose ordnet er die BPS auf einem mittleren, später auch auf einem mittleren und niederen, psychischen Funktionsniveau ein. Die leichtesten und „reifsten“ Persönlichkeitsstörungen sind auf dem höheren Strukturniveau der neurotischen Persönlichkeitsorganisation angesiedelt. Das mittlere Strukturniveau wird auch als Niveau der Frühstörungsmanifestation beschrieben. Die schwersten Persönlichkeitsstörungen befinden sich auf dem niederen Strukturniveau der Borderline-Persönlichkeitsorganisation. Generell ist kritisch festzuhalten, dass das psychodynamische Konstrukt von Persönlichkeitsstörungen noch immer von einer „gestörten Persönlichkeit“ ausgeht. Dadurch unterscheiden sich psychodynamische Theorien und Interventionen bei Menschen mit „Persönlichkeitsstörungen“ grundlegend von verhaltenstherapeutischen, aber auch von den Konzepten der heute gängigen Diagnoseinstrumenten ICD-10 und DSM-IV. In dem in der Verhaltenstherapie angewendeten Konzept der Interaktionsstörung handelt es sich um eine sinnhafte, wenn auch rigide Verhaltensweise einer P erson, die verändert werden soll – und nicht die gesamte Persönlichkeit . Das oftmals seltsam und befremdlich wirkende Verhalten wird als subjektiv sinnhafte Anpassungs- und Überlebensstrategie in speziellen Sozialisationskon texten verstanden und gewürdigt. Dies entspricht auch der ressourcenorientierten Sichtweise der Körperzentrierten Psychotherapie IKP (s. Kap. 9). Trotz der Fortschritte durch die Einführung operationalisierter Diagnostik, vor allem der stark verbesserten Reliabilität von Persönlichkeitsstörungsdiagnosen, sind nach Merod noch viele Probleme ungelöst: • Die mangelnde Validität der Diagnose • Die ungenügende empirische Fundierung der Kriterienauswahl und der

Schwellenwerte für die spezifischen Persönlichkeitsstörungen • Die hohe innere Komorbidität zwischen einzelnen Persönlichkeitsstörungen • Die unklare Abgrenzung zu klinischen Syndromen (…) • Die Konfundierung von Persönlichkeitsstörungen und klinischen Syndromen (…) • Die stigmatisierende Sichtweise des Persönlichkeitskonzeptes

(2005a, S. 43) Auf diese Kritikpunkte wird nicht weiter eingegangen und auf weiterführende Literatur verwiesen (z.B. Bronisch, 2005; Merod, 2005a, 2005b). Im Gegensatz zum kategorialen Konzept in der psychiatrischen Diagnostik steht die psychologische Tradition der differentiellen Psychologie, die im Bereich der Diagnostik von Persönlichkeitseigenschaften meist einem dimensionalen Modell folgt. Das heisst, dass bei Personen von einem Kontinuum von Eigenschaften, Einstellungen und Verhaltensweisen ausgegangen wird, nicht aber von qualitativen Sprüngen oder einer Unterscheidung von „gestört“ versus „nicht gestört“. Es existieren mehrere dimensionale Modelle von Persönlichkeitsstörungen (weiterführende Literatur: Bronisch, 2005a). Dimensionale Modelle bieten eine Möglichkeit, um von der stigmatisierenden Sprache und

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der Defizitorientierung des kategorialen Konzeptes hin zu einer wertschätzenden Sprache zu gelangen. Zur Erfassung von ICD-10/DSM-IV-Persönlichkeitsstörungen werden zusätzlich mehrere Diagnostikinstrumente verwendet, nämlich Selbstbeurteilungsfragebogen, Checklisten sowie strukturierte und standardisierte Interviews. Eine Zusammenstellung dieser Instrumente findet sich in Bronisch (2005, S.1606).

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4.2 Diagnostik und Klassifikation der Borderline-Pe rsönlichkeitsstörung nach DSM-IV

Die American Psychiatric Association APA entwickelte seit 1952 das Klassifikationssystem „Diagnostical and statistical manual of mental disorders“, kurz DSM (APA 1952, 1968, 1980, 1994; Sass, 1996). Der Entwicklung vom DSM-I (1952) bis zur aktuellen Version des DSM-IV (Ersterscheinung 1994) folgend, wird die BPS erstmals 1980 im DSM-III (APA, 1980) konzipiert. Vorläuferkonzepte waren im DSM-I „der aggressive Typ der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung“ (APA, 1952), sowie „die Explosible/Epileptioide Persönlichkeitsstörung“ nach DSM-II (APA, 1968). Seit der Erstbeschreibung im DSM-III ist die BPS keinem grundsätzlichen Konzeptionswandel mehr unterworfen gewesen. Im DSM-IV (APA, 1994; Sass, 1996) wurden die ursprünglich acht Merkmale des DSM-III und DSM-III-R (APA, 1987) um ein Item ergänzt, das als „vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome“ formuliert wird. Die reaktive Natur dieser Symptome im Zusammenhang mit interpersonellen Stressoren ist ein wichtiges abgrenzendes Unterscheidungsmerkmal von schizophrenieverdächtigen Symptomen. Tab. 2. Diagnostik und Klassifikation der Borderline-Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV (Sass, 1996)

Ein tief greifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und manifestiert sich in den verschiedenen Lebensbereichen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: (1) Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches und vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden.

Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.

(2) Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.

(3) Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.

(4) Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Aktivitäten (Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Fressanfälle“).

(5) Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder –drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.

(6) Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung. (z.B. hochgradige episodische Dysphorie, Erregbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmung gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).

(7) Chronisches Gefühl der Leere. (8) Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z.B. häufige

Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen). (9) Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere

dissoziative Symptome.

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4.3. Diagnostik und Klassifikation der Borderline-P ersönlichkeitsstörung nach ICD-10

Im Unterschied zu dem amerikanischen Klassifikationssystem DSM der APA stellt der „Borderline-Typus“ nach ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation WHO (Dittmann et al., 2004) eine von zwei Subformen der „emotional instabilen Persönlichkeitsstörung“ dar. Im Gegensatz zu den anderen spezifischen Persönlichkeitsstörungen gibt es für diese zwei Subtypen keine expliziten Kriterien. Bei deutlicher inhaltlicher Ähnlichkeit mit den „erregbaren Psychopathen“ nach ICD-9 (Degwitz et al., 1980) wurde der Borderline-Typus erst 1991, in einem relativ späten Stadium der Entwürfe, eingeführt. Tab. 3. Emotional instabile Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 (Dittmann et al., 2004)

F60.3 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung Eine Persönlichkeitsstörung mit deutlicher Tendenz, impulsiv zu handeln ohne Berücksichtigung von Konsequenzen, und mit wechselnder instabiler Stimmung. Die Fähigkeit, vorauszuplanen, ist gering und Ausbrüche intensiven Ärgers können zu oft gewalttätigem und explosiblem Verhalten führen; dieses Verhalten wird leicht ausgelöst, wenn impulsive Handlungen von anderen kritisiert oder behindert werden. Zwei Erscheinungsformen dieser Persönlichkeitsstörung können näher beschrieben werden, bei beiden finden sich Impulsivität und mangelnde Selbstkontrolle. F60.30 impulsiver Typus F60.31 Borderline-Typus Die wesentlichen Charakterzüge sind emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle. Ausbrüche von gewalttätigem und bedrohlichem Verhalten sind häufig, vor allem bei Kritik durch andere.

Einige Kennzeichen emotionaler Instabilität sind vorhanden, zusätzlich sind oft das eigene Selbstbild, Ziele und „innere Präferenzen“ (einschliesslich der sexuellen) unklar und gestört. Meist besteht ein chronisches Gefühl innerer Leere. Die Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen kann zu wiederholten emotionalen Krisen führen mit übermässigen Anstrengungen, nicht verlassen zu werden, und mit Suiziddrohungen oder selbstschädigenden Handlungen (diese können auch ohne deutlichen Auslöser vorkommen).

Dazugehörige Begriffe: - aggressive Persönlichkeit(sstörung) - reizbare (explosible)

Persönlichkeit(sstörung)

Dazugehöriger Begriff: - Borderline Persönlichkeit(sstörung)

Ausschluss: - dissoziale Persönlichkeit(sstörung) (F60.2)

Beim impulsiven Typus steht im Vergleich zum Borderline-Typus die mangelhafte Impulskontrolle und Affektsteuerung und die leichte Erregbarkeit mit Tendenz zu aggressiven Ausbrüchen mehr im Vordergrund. Beim impulsiven Typus besteht die Grundtendenz, die Aggressionen eher nach aussen auszuleben, während sich beim Borderline-Typus die Aggressionen eher gegen sich selbst richten. Es gibt jedoch Überschneidungen. Eine solche Differenzierung von zwei Subtypen erscheint problematisch, da es sich bei der Beschreibung doch eher um unterschiedliche, insbesondere auch geschlechtsspezifische Ausdrucksformen einer zugrunde liegenden impulsiven und emotional instabilen Persönlichkeit handelt.

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Zusätzlich zu den offiziellen Kriterien für die Diagnosestellung der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus nach ICD-10 gibt es noch die folgenden Forschungskriterien des ICD-10 (Dilling, Mombour, Schmidt & Schulte-Markwort, 2000, Tab. 4): Tab. 4. Forschungskriterien „Emotional instabile Persönlichkeitsstörung“ vom „Borderline-Typus“ nach ICD-10 (Dilling et al., 2000)

Mindestens drei der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen vorliegen: • Deutliche Tendenz unerwartet oder ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln • Deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen. Vor allem dann, wenn impulsive

Handlungen getadelt oder unterbunden werden • Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt mit Unfähigkeit zur Kontrolle explosiblen

Verhaltens • Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden • unbeständige und unberechenbare Stimmung Zusätzlich müssen mindestens zwei der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen: • Störungen und Unsicherheiten bezüglich Selbstbild, Zielen und „inneren Präferenzen“

(einschliesslich sexueller) • Neigung sich in intensive aber instabile Beziehungen einzulassen, oft mit der Folge von

emotionalen Krisen • Übertriebene Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden • Wiederholt Drohungen oder Handlungen mit Selbstbeschädigung • Anhaltende Gefühle von Leere

4.4 Borderline-Persönlichkeitsstörung in den modern en Klassifikationssytemen im Überblick

Ein Vergleich moderner Klassifikationssysteme in der Typologie der BPS und deren Vorläufer, angefangen mit Kurt Schneider (1987) über ICD-9 (Degwitz et al., 1980) und ICD-10 (Dittmann et al., 2004) bis hin zu DSM-III/DSM-III-R (APA, 1980, 1987) und DSM-IV (Sass, 1996), zeigt die Tab. 5. Tab. 5. Typologien von Borderline-Persönlichkeitsstörung

Cluster DSM

DSM-IV DSM-III/ DSM-III-R

ICD-10 ICD-9 K. Schneider

B Borderline-PS

Borderline-PS

Emotional instabile PS • Impulsiver

Typus • Borderline-

Typus

Antisoziale PS Erregbarer Psychopath

Explosible PS

Beim DSM-IV und ICD-10 wird bei der Diagnostik nicht auf theoretische, tiefenpsychologische oder andere Konstrukte und Ätiologiemodelle eingegangen, sondern sie basiert auf beobachtbaren Verhaltensmerkmalen (s. Kap. 3.1.3). Trotz weitreichender Überlappungen mit der BPS nach DSM-IV finden sich beim Borderline-Typus nach ICD-10 inhaltlich auch eindeutige Abweichungen. In der ICD-10 steht die Impulsivität im Mittelpunkt der diagnostischen Krit erien . Sie wird nicht nur in Form

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konkreter, dysfunktionaler, auto- oder fremdaggressiver Verhaltensweisen aufgezählt, sondern darüber hinausgehend als Planlosigkeit beschrieben, als Unfähigkeit, auf nahe liegende Ziele zugunsten zukünftiger Belohnungsreize zu verzichten, sowie die Neigung, aversive Verhaltenskonsequenzen nicht zu antizipieren. Weitere Unterschiede liegen darin, dass Hinweise auf dissoziative oder paranoide Erlebnisweisen in der ICD-10 gänzlich fehlen, Leeregefühle und Verlassenheitsängste nur in den Forschungskriterien erwähnt werden. Im ICD-10 findet sich zudem neben dem Borderline-Typus der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung noch ein zweiter Typus, der „impulsive Typus“ (s.o.). Obwohl Unterschiede zwischen den beiden Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV in einigen Details des Merkmalskataloges geblieben sind, hat die rege Beschäftigung mit der BPS in den letzten Jahren zu einer Störungsbeschreibung geführt, welche eine international anerkannte, einheitliche diagnostische Sprache und Grundlage für Forschungstätigkeiten auf dem Gebiet der Ätiologie und der Therapie ermöglichen. Aus dem früheren „Sammeltopf“ für schwierige Patienten und unklare Fälle, der verwirrenden Restkategorie des Borderline-Syndroms, ist inzwischen eine der empirisch am besten belegten Persönlichkeitsstörungskategorie n der aktuellen Klassifikationssysteme geworden. Die spezifischen Merkmale der BPS beschreiben ein hinreichend abgrenzbares und im Verlauf relativ stabiles Störungsprofil, welches aber auf der phänomenologischen Ebene leider viele Überlappungen mit anderen Störungsbildern (s. Kap. 5) aufweist. Diagnostikinstrumente zur Erfassung der BPS Diagnostikinstrumente sind zusätzliche Hilfsmittel für die Diagnosestellung einer BPS. Es gibt strukturierte klinische Interviews, wie z.B. die IPDE (International Personality Disorder Examination) und speziell für die BPS das DIB-R (Diagnostisches Interview für das Borderline-Syndrom – revidierte Fassung) und das Borderline-Persönlichkeitsinventar (weiterführende Literatur: Bronisch 2005).

4.5 Symptomatik der Borderline-Persönlichkeitsstöru ng Die Symptomatik der BPS ist durch die Diagnosesysteme DSM-IV und ICD-10 bereits ausführlich beschrieben worden(s. Tab. 2 - 4, Kap. 4.2 und 4.3). Die Krankheitssymptome lassen sich in mehrere Bereiche von Symptomkomplexen aufteilen. Im Folgenden wird detailliert darauf eingegangen. Die diagnostischen Kriterien im DSM-IV (s. Tab. 2) enthalten nach Frauenknecht & Lieb (2005) die folgenden vier Bereiche: • Affektivität (Kriterien 6, 7 und 8) • Impulsivität (Kriterien 4 und 5) • Kognition (Kriterien 3 und 9) • Interpersoneller Bereich (Kriterien 1 und 2). Frauenknecht & Lieb (2005), Linehan (1996) und viele weitere Kliniker und Theoretiker verschiedenster Therapieschulrichtungen sehen im Zentrum der Symptomatik der BPS eine gestörte Affektregulation. Weitere Hauptmerkmale sind die Impulsivität sowie Instabilität des

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Identitätserlebens und zwischenmenschlicher Beziehungen, was sich in Form von Spannungszuständen, Selbstverletzungen, rezidivierender Suizidalität oder aggressiven Durchbrüchen äussert. Herpertz & Sass (2000, S. 121-123) teilen dieselben Kriterien ebenfalls in vier Symptomkomplexe: • Affektive Instabilität • Impulshandlungen • Identitätsstörung • Dissoziative oder (pseudo)psychotische Symptome Zentrale Charakteristika der BPS sind nach Möller et al. (2005, S.1611): • Emotionale Instabilität • Impulsivität • Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen Diese gängigen Einteilungen wichtiger Symptomkomplexe der BPS sind sich sehr ähnlich. Auf die einzelnen Bereiche wird in der Folge detailliert eingegangen. Affektive Instabilität Die affektive Instabilität wird definiert als schnell wechselnde Veränderungen der emotionalen Befindlichkeit mit Rückkehr zur Ausgangslage, meistens im Zusammenhang mit Lebensereignissen wie z.B. Trennung, enttäuschte Erwartungen und Kritik. Sie ist eine ausgeprägte Reaktivität der Stimmung in bestimmten situativen Kontexten. Typische Auslöser sind reale oder angenommene Erfahrungen von Verlassenwerden und Zurückweisung. Daneben wird aber auch zwischenmenschliche Nähe oft als bedrohlich erlebt. Fiedler (2000) führt diese typischen Auslösesituationen auf eine ungelöste Ambivalenz zwischen Bedürfnissen nach Bindung und einer gegenläufigen Sorge um Autonomieverlust zurück. Die gestörte Affektregulation äussert sich wie folgt: • Hohe affektive Reagibilität: Niedrige Reizschwelle für die Auslösung emotionaler

Reaktionen, also eine hohe Sensibilität gegenüber schon niederschwelligen Reizen • hohe Affektintensität, hoher Erregungsgrad • Neigung zu abrupt wechselnden Stimmungen und Affekten: plötzlich aufschiessend,

kurzwellig, extrem (z.B. intensive Missgestimmtheit, Irritierbarkeit oder Angst) • Stimmungen und Gefühle können nebeneinander als überwältigendes „Gefühlschaos“

auftreten • Verlängerte Dauer bis zum Abklingen der Gefühlsreaktionen (über mehrere Tage) • Grosse Schwierigkeiten, verschiedene Gefühlsqualitäten (z.B. Traurigkeit,

Unzufriedenheit, Wut, Ärger, Stolz, Zufriedenheit) differenziert wahrzunehmen. • Unangemessener, intensiver Ärger oder Kontrollverlust bei Ärger (z.B. häufige

Zornesausbrüche, andauerndes Gefühl von Ärger, wiederkehrende körperliche Auseinandersetzungen)

Die Zornausbrüche stehen in ihrer Intensität in keinem Verhältnis zu den auslösenden Ereignissen, basieren vielmehr auf einer massiven Angst vor Enttäuschung und dem Verlassenwerden. Qualitativ herrschen nach Herpertz & Sass (2000) dysphorische, ängstliche und ärgerliche Affekte vor. Daneben ist häufig ein quälendes chronisches Gefühl der inneren Leere („Taubheit“, Langeweile) und Depressivität vorhanden. Diese werden sehr intensiv, oft

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verbunden mit körperlichen Empfindungen (z.B. Druck im Kopf, Spannungen im Bauch) erlebt. Impulsivität Anstelle der differenzierten Wahrnehmung von unterschiedlichen Gefühlsqualitäten (s.o.), insbesondere anstelle „negativer“ Emotionen, werden quälende, lang anhaltende Spannungszustände erlebt und berichtet. Spannung wird demnach „…als Synonym für aversive emotionale Erregungsprozesse benutzt…“ (Stiglmayr, Mohse, Behm, Auckenthaler & Bohus, 2005, S.550). Hierzu zählt nach Stiglmayr et al. (2005) eine als unangenehm erlebte körperliche Erregung (z.B. Zustand von innerer Unruhe und Nervosität), ein gesteigertes motorisches Verhalten sowie kognitive Prozesse im Sinne eines Hyper- als auch Hypoarousals. Die kognitiven Inhalte drücken einen Zustand der Belastung aus. Entsprechend den Kennzeichen einer Störung der Affektregulation (s.o.) schildern Menschen mit einer BPS, dass die Spannung meist aus unersichtlichen Gründen schnell ansteigt und in der Regel nur sehr langsam wieder zu ihrem Ausgangsniveau zurückkehrt. Solche Spannungsanstiege werden meist mehrmals pro Tag erlebt. Befunde aus den Studien von Stiglmayr et al. (2005) mit weiblichen Patientengruppen konnten diese Schilderungen hinsichtlich des Verlaufs von Spannungszuständen belegen: Patientinnen mit einer BPS leiden im Vergleich zu Patientinnen mit einer Depression bzw. Dysthymie, Patientinnen mit ausgewählten Angststörungen oder psychisch gesunden Kontrollprobandinnen an einem generell erhöhten, subjektiv als aversiv erlebten Spannungsniveau. Weiterhin konnte festgestellt werden, dass es bei allen genannten Patientinnengruppen im Vergleich zu den gesunden Kontrollprobandinnen häufiger zu Spannungszuständen kommt und die Spannung bei Borderline-Patientinnen im Vergleich zu allen anderen untersuchten Gruppen deutlich schneller ansteigt. Schliesslich bleibt die aversive Spannung bei den Patientinnengruppen über einen längeren Zeitraum bestehen und baut sich damit langsamer wieder ab als bei der gesunden Kontrollprobandinnen. Patientinnen mit einer Borderline-Störung erzielen gemäss den Studien von Stiglmayr et al. (2005) in fast allen fraglichen Parametern die höchsten Werte im Vergleich zu den anderen untersuchten Patientinnengruppen und den gesunden Kontrollprobandinnnen. Viele Menschen mit einer BPS „lernen“, dass sie die Spannungszustände durch selbstverletzende Handlungen (wie z.B. Schnitt-, Stich-, Beiss-, Kratzverletzungen an Gliedmassen, Rumpf und Genitalien, Brennen, Schlagen mit dem Kopf gegen die Wand) unterbrechen und beenden können, und setzen diese Verhaltensweisen regelmässig zur Spannungsregulation ein. Diese Impulshandlungen führen eine prompte Entlastung herbei, die ihrerseits von einer kurzfristigen Stimmungserhebung gefolgt ist. Später treten dann häufig Gefühle von Schuld; Scham oder Versagung auf. Suizidgedanken und –handlungen sind im Zusammenhang mit emotionaler Spannung oder intensiven Gefühlen von Schuld und Scham häufig. Dieses Spannungsreduktionsmodell von Selbstverletzungsverhalten wird inzwischen allgemein akzeptiert (z.B. Frauenknecht & Lieb, 2005; Herpertz & Sass, 2000; Stiglmayr et al., 2005). Selbstverletzendes Verhalten findet nicht nur zum Spannungsabbau, sondern auch zur Selbstbestrafung (bei verborgenem oder offenem Selbsthass), sowie bei Dissoziation (s.u.), um „sich selbst wieder zu spüren“, statt. Nicht selten werden hochriskante Verhaltensweisen (wie z.B. das Balancieren auf Brückengeländern, das Sitzen auf Bahnschienen oder Rasen im Strassenverkehr) zur „Kompensation“ von Ohnmachtsgefühlen eingesetzt. Ebenfalls zur Emotionsregulation dienen weitere dysfunktionale Muster , wie z.B. Alkohol-, Drogen- und

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Medikamentenmissbrauch, Störungen des Essverhaltens („Fressanfälle“ mit und ohne selbstinduziertes Erbrechen, anorektische Episoden), impulshaftes, inadäquates Geldausgeben und Ladendiebstähle. Weitere mögliche Probleme auf der Verhaltensebene sind ein promiskuitives, riskantes Sexualleben und Zwangshandlungen. Nebst diesen genannten selbstschädigenden Verhaltensweisen , kommen auch fremdschädigende Handlungen , wie z.B. aggressive Durchbrüche, in Form von Wutausbrüchen und körperlichen Auseinandersetzungen, vor. Die Impulsivität steht in engem Zusammenhang mit weiteren anderen Symptomen. Sie kann z.B. aus den Frustrationen einer gestörten Beziehung entstehen, Ausdruck von Stimmungsschwankungen oder Zornesausbrüchen sein oder ein Versuch, die Gefühle von Einsamkeit oder Trennungsangst zu betäuben. Besonders typisch für Menschen mit einer BPS sind über die Lebenszeit hinweg wechselnde Muster dieser genannten impulsiven Verhaltensweisen. Viele versuchen, ihre Impulse zurückzuhalten bzw. zu unterdrücken. Diese Kontrollversuche sind allerdings wenig ausdifferenziert und flexibel. Dies führt nach Herpertz & Sass (2000) zu einem „…unberechenbaren Wechsel zwischen angespanntem Zurückhalten von affektiven Regungen und Impulsen auf der einen Seite und plötzlichen Affekt- und Verhaltensdurchbrüchen auf der anderen Seite“ (S. 121). Dissoziative und (pseudo)psychotische Symptome Stresssituationen gehen nicht selten mit vorübergehenden dissoziativen Phänomenen (z.B. kindliche und dissoziative Amnesien, d.h. Gedächtnislücken, die in ihrem Ausmass und ihrer Vollständigkeit variieren und die sich auf die Person wesentlichen Erinnerungen oder Lebensabschnitte oder ein aktuelles traumatisierendes Ereignis beziehen), einer Analgesie (verringertes Schmerzempfinden), anderen Körperwahrnehmungsstörungen oder paranoiden Verkennungen einher. Bei paranoiden Vorstellungen werden z.B. die Welt oder einzelne Menschen als schlecht und als Bedrohung empfunden. Dissoziative Symptome werden bei Menschen mit einer BPS häufig durch subjektiv als aversiv erlebte Spannungszustände (s.o.) ausgelöst. Stiglmayr et al. (2005) konnten in ihren Studien (s.o.) einen klinisch relevanten Zusammenhang zwischen Dissoziat ion und Spannung nachweisen. In allen vier von ihnen untersuchten Gruppen (Patientinnen mit einer BPS, Patientinnen mit einer Depression bzw. Dysthymie, Patientinnen mit ausgewählten Angststörungen und gesunde Kontrollprobandinnen) findet sich ein bedeutsamer positiver Zusammenhang zwischen den als aversiv erlebten Spannungszuständen und dem Ausmass an dissoziativer Symptomatik. Borderline-Patientinnen erzielten sowohl hinsichtlich der Spannungszustände (s.o.) wie auch hinsichtlich der dissoziativen Zustände die höchsten Werte. Dissoziative Phänomene treten den Daten zufolge niemals ohne Spannungszustände auf. Dissoziation bedeutet, dass die Fähigkeit zur bewussten Beeinflussung und Kontrolle für bestimmte psychische oder körperliche Bereiche gestört ist, d.h., bestimmte Gedächtnisinhalte, Körperwahrnehmungen oder –bewegungen sind vom „normalen“ Bewusstsein abgespalten und können nicht mehr in das eigene Erleben oder die aktuellen Erfahrungen integriert werden. „Flash-backs“, d.h. das Gefühl, ein Ereignis tatsächlich noch einmal zu durchleben, welche sich auf frühere traumatische Erlebnisse beziehen, können bis zu mehreren Tagen anhalten

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und mit Pseudohalluzinationen , d.h. halluzinatorischen Erlebnissen, die auch als solche identifiziert werden (=Ich-dyston), einhergehen. Häufig sind auch Episoden von Derealisationserlebnissen . Dabei erscheinen Personen, Gegenstände und Umgebung unwirklich, fremdartig oder auch räumlich verändert. Dadurch wirkt die Umwelt z.B. unvertraut, sonderbar oder gespenstisch (z.B. „Alles ist so weit weg“, Ich sehe alles wie durch einen Schleier“, „Gegenstände erscheinen grösser oder kleiner“, „Das Essen schmeckt plötzlich so fade“) (AMDP, 2000, S.110). Es kann zu kurzfristigen psychotischen Dekompensationen kommen (Dittmann et al, 2002, S.188). Im Unterschied zu der „schizotypischen Persönlichkeitsstörung“(DSM-IV)/“schizotypen Störung“(ICD-10) und der schizophrenen Erkrankungen ist die paranoide Symptomatik von kurzer Dauer, tritt in einem affektiv hoch geladenen Kontext auf und ist inhaltlich auf nahe Bezugspersonen, zu denen eine konflikthafte Beziehung besteht, bezogen. Zudem sind die Sinnestäuschungen meist von pseudohalluzinatorischem Charakter (s.o.). Identitätsstörung Eine mangelnde Zukunftsorientierung und Lebensplanung stellen sich als weitere Probleme der Menschen mit einer BPS dar, die auch mit dem Aufbau der Selbstidentität zusammenhängen. Diese äussern sich z.B. mit häufigen Stellenwechseln und Ausbildungsabbrüchen, wie auch mit wahllosen Kontakten mit unterschiedlichen sozialen Bezugsgruppen. Episoden von Derealisations- (s.o.) und Depersonalisationserleben sind häufig. Beim Depersonalisationserleben handelt es sich um eine „Störung des Einheitserlebens einer Person im Augenblick oder der Identität in der Zeit des Lebenslaufs. Die Person kommt sich selbst fremd, unwirklich, unmittelbar verändert, als oder wie ein anderer und/oder uneinheitlich vor“ (AMDP, 2000, S.111). Viele Menschen mit einer BPS schildern das anhaltende Gefühl, nicht zu wissen, wer sie wirklich seien. Diese Störung des Identitätserlebens bezieht sich auch auf das Erleben des eigenen Körpers, das zumeist als negativ beschrieben wird. Sie können ihren Körper als leblos, losgelöst oder anormal empfinden. Manchmal erleben die Betreffenden, wie sie sich aus ihrem Körper entfernen und sich mit Abstand selbst betrachten. Sie haben häufig das Gefühl, „anders„ zu sein als die anderen Menschen und nicht wirklich zu dieser Welt zu gehören. Diese ausgeprägte Instabilität des Selbstbildes und der Selbstwahrneh mung kann auch Aspekte der Geschlechtsidentität mit einbeziehen und sich dann als Wechsel zwischen hetero- und homosexueller Partnerwahl oder auch als transsexuelle Strebungen manifestieren. Die andauernde Identitätsstörung kann sich auf vielen verschieden Gebieten äussern. Nebst den genannten Bereichen langfristige Ziele, Berufswahl, Selbstbild und sexuelle Orientierung, betrifft es auch das Wertesystem und die Art der gewünschten Partner und Freunde. Menschen mit einer BPS akzeptieren ihre Eigenschaften, wie z.B: Intelligenz und Attraktivität, nicht als konstantes Gut, sondern als Eigenschaften, die immer wieder neu verdient werden und im Vergleich mit anderen beurteilt werden müssen. Das Selbstwertgefühl und die Fähigkeit zur Selbstachtung basieren bei ihnen deshalb nicht auf in der Vergangenheit erbrachten Leistungen, sondern auf aktuelle (Miss-)Erfolgserlebnisse und Feedback durch andere.

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Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehunge n Entsprechend turbulent und konflikthaft gestalten sich die Beziehungen von Menschen mit einer BPS. Sie gehen häufig intensive, aber unbeständige Beziehungen ein. Die Beziehungen sind geprägt von raschen Wechseln zwischen Annäherung und abrupter Distanzierung (Störung der Nähe-Distanz-Regulation), zwischen Idealisierung und Entwertung und der wiederholten Demonstration von Hilflosigkeit („Ich bin schwach und hilflos“) und Leiden („passive Aktivität“). Das Muster der Spaltung zeigt sich vor allem in der Dichotomie des Denkens , d.h. dem sogenannten „Schwarz-Weiss-Denken“, das innerhalb eines Kontinuums keine Mittelwerte zulässt. Das Denken der Betroffenen ist wesentlich von „entweder-oder“, „schwarz-oder-weiss“, „nur gut“ oder „nur böse“, „alles-oder-nichts“, geprägt, was in Beziehungen vor allem bewirkt, dass diese Haltung ins jeweilige Gegenteil umschlagen kann. Menschen können so nicht als reale Personen mit gleichzeitig guten und schlechten Eigenschaften erlebt werden. Eine Synthese zu „sowohl-als-auch“ oder „alles zugleich“ ist ihnen nicht möglich . Die Störung der Nähe-Distanz-Regulation und das Muster der Spaltung zeigt sich wie folgt: Der „Borderliner“ entwickelt eine Abhängigkeit zum Partner und idealisiert ihn, solange er seine Bedürfnisse befriedigt. Erfährt er Zurückweisung oder Enttäuschung, verfällt er ins andere Extrem, wertet den Partner ab, ohne sich jedoch von ihm trennen zu können. Die Betroffenen schwanken zwischen vorwurfsvollen Angriffen und Klammerverhalten. Sie sind schnell enttäuscht und erbost, wenn andere ihre Erwartungen nicht erfüllen, bleiben aber trotzdem intensiv an sie gebunden. Einige Borderlinekranke demütigen die Personen, die sie lieben, wünschen sich aber gleichzeitig, dass die jeweilige Person bleibt („Ich hasse dich – verlass mich nicht“). Es fällt ihnen schwer, Nähe zuzulassen, auch wenn sie ständig danach suchen. So leben sie in einem ständigen Dilemma, indem sie schnelle und intensive Nähe brauchen und suchen, die sie aber, wenn sie sie erhalten, nicht ertragen können. Die Angst, verlassen zu werden , steht oft in Beziehung mit eigenen, traumatischen Erfahrungen in der Kindheit. Unter allen Umständen soll in gegenwärtigen Beziehungen ein tatsächliches oder imaginäres Verlassenwerden durch eine Bezugsperson oder Alleinesein vermieden werden. Diese Angst motiviert die Betroffenen zu verzweifelten Bemühungen, ein Verlassenwerden zu verhindern. Dann kann es zu einer Eskalation von manipulierenden Verhaltensweisen („schwach und hilflos“) mit der Neigung zu Hypochondrie, Masochismus, Selbstverletzungen, Suiziddrohungen und –versuchen kommen. Dementsprechend erleben sie einen Mangel an tragfähigen, stabilen und verlässlichen Beziehungen und ihr Wunsch nach absoluter Nähe und Zuwendung führt zu einem Gefühl der Überforderung bei ihren Bezugspersonen. Nahestehende Personen fühlen sich unter Druck gesetzt. Es kann zu schädlichen Beziehungen führen mit Gewalt- und Missbrauchserlebnissen bis hin zur völligen Selbstaufgabe. Dies gibt dem ohnehin bestehenden Gefühl „anders“ zu sein als andere Menschen und „nicht zu dieser Welt zu gehören“ (s.o.) zusätzlich Nahrung. Werden sie trotz ihrer Bemühungen verlassen, durchleben sie meist emotionale Krisen, in deren Verlauf es zu einer Verschlimmerung der beschriebenen Krankheitssymptome kommen kann. Als weitere Symptome kommen auch häufig Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafstörungen) und Alpträume vor (Frauenknecht & Lieb, 2005). Wie die Grade der Störung selbst, sind auch die Symptome höchst unterschiedlich. Jeder Betroffene hat ein eigenes Belastungsbild. Die Symptome können bei den Betroffenen auch gegenteilig ausgeprägt sein.

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5. Prävalenz, Verlauf und Prognose, körperliche und psychiatrische Komorbiditäten der Borderlinestörung

Das folgende Kapitel ist den fachspezifischen Erkenntnissen hinsichtlich Prävalenz, Verlauf der BPS und den prognostischen Gesichtspunkten gewidmet. Da BPS sehr häufig zusammen mit anderen körperlichen und psychischen Erkrankungen und auch Persönlichkeitsstörungen auftritt, erhalten Themen der Komorbiditäten und differentialdiagnostische Überlegungen besonderen Stellenwert.

5.1. Prävalenz, Verlauf und Prognose Prävalenz benennt die statistische Grösse der Häufigkeit einer Krankheit zu einem bestimmten Zeitpunkt. Eindeutige wissenschaftlich gesicherte Zahlen gibt es zur Prävalenz von Borderline Erkrankung nicht. Das liegt weitgehend daran, dass der grössere Teil der Bevölkerung nicht fachliche Hilfe sucht und daher nicht erfasst ist. Studien, obwohl in verschiedenen Ländern durchgeführt, bewegen sich in einer Prävalenz mit relativ kleiner Schwankungsbreite von 1.1 – 2%. • Nach DSM lV 1994 (APA, 1994; Sass, 1996) ca. 2% • Nach Swartz, George und Winfield (1990) bei einer Stichprobe von 4000 Personen nach

DIB (Diagnostisches Interview für das Borderline-Syndrom): 1.8% • Nach Widinger und Weissmann, die 1991 eine Analyse aller ihnen vorliegenden

epidemiologischen Daten vornahmen: 1.1 – 1.8% • Die Prävalenz der BPS wird in den USA mit 1.0 – 1.8% angegeben. Das Verhaltensmuster bei der Borderline-Störung konnte bisher überall in der Welt gefunden werden. Die Erkrankung wird überwiegend bei Frauen (70-75%) am häufigsten im Alter von 15 bis 25 Jahren diagnostiziert. Basierend auf einer Vergleichsstudie von 12 Studien im ambulanten Bereich und 15 Studien im stationären Setting konnte das Auftreten von BPS bei ca. 17% (Meridianwert) bei ambulanten und ca. 28% (=Meridianwert) bei stationären psychiatrischen Patienten festgestellt werden (vgl. Kröger, 2002). Auffallend sind eine hohe Suizidrate von 5-10% und eine Selbstverletzungsrate von 69-80% (zusammenfassend Jerschke et al., 1998; Grüttert, 2000; Rothenhäusler et al., 1999). Es gibt Hinweise dafür, dass das höchste Suizidrisiko zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr liegt (Bronisch, 1997). Borderliner tendieren zu einem Leben in der Stadt. Ca. 20% der erwachsenen Patienten leben mit einem Partner zusammen. Während der Schulabschluss im Normbereich liegt, gehen nur ca. 20% einer Vollzeitbeschäftigung nach. Unter den Berufsbezeichnungen finden sich in erster Linie Sozialberufe wie Krankenschwestern, Altenpfleger/-innen und Erzieher/-innen (Bohus, 2002). Der Verlauf der BPS ist unterschiedlich, was sich auch in der Literatur über die Therapie der Störung niederschlägt. Die größte Übereinstimmung bei den meisten Betroffenen dürfte jedoch im Beginn chronischer Instabilität im frühen Erwachsenenalter - gefolgt von Episoden schwerer affektiver und impulsiver Unkontrolliertheit - bestehen. Ebenso häufen sich Inanspruchnahmen des Gesundheitssystems aus Gründen, die im Zusammenhang mit der oben erwähnten Symptomatik (s. auch Kap. 4.5) stehen. In psychiatrischen Kliniken der

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Schweiz ist es mehrheitlich üblich, die Diagnose BPS erst ab 18 Jahren zu stellen, da bis dahin die Persönlichkeit eines Menschen noch starken Entwicklungen unterliegt. Das weist auf die Schwierigkeit der Diagnosestellung von BPS in der Adoleszenz hin. Mit fortschreitendem Alter nimmt die Intensität der Störung meist ab, sodass viele Betroffene ab dem 30. und 40 Lebensjahr eine grössere Stabilität sowohl in ihren Beziehungen als auch im Beruf erreichen. Dies zeigen verschiedenste Langzeitvergleichsstudien (s. McGlashan, 2001; Stone, Hurt & Stone, 1987). Unbehandelt muss der Krankheitsverlauf als eher ungünstig betrachtet werden (Frauenknecht & Lieb, 2005; Bohus, 2002). Die Gefahren ergeben sich für Borderline-Persönlichkeiten aus ihrer Instabilität gekoppelt mit Phasen von emotionalem Kontrollverlust, dem zusätzlich häufigen Alkohol-/Drogenmissbrauch und Essstörungen und ihrer Neigung zu selbstschädigendem Verhalten. Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen erschweren die Behandlung für beide Seiten, und es kommt häufig zu mehrfachem Therapeutenwechsel. Die Chance auf eine völlige Heilung der BPS ist eher gering. Eine positive Prognose ist gemäss Zanarini (2003) umso schlechter bei: • BPS mit Alter über 25 Jahre • Hospitalisierungen in der Vorgeschichte • Missbrauch in der Vorgeschichte • Substanzmissbrauch in der Familie • BPS-Komorbidität mit Affektiven Störungen • BPS-Komorbidität mit Posttraumatischen Belastungsstörungen • Cluster C Persönlichkeitsstörungen Neuere Studien liefern positive Hinweise dafür, dass deutlich höhere Heilungschancen bei BPS anzunehmen sind als vor einigen Jahren noch geglaubt. Zwei Untersuchungen (Grilo et al., 2004; Zanarini et al., 2003) konnten zeigen, dass 6-Jahres-Katamnesen bzw. 2 Jahres-Katamnesen (bei Grilo et al.) überraschend hohe Remissionsraten (basierend auf DSM-lV-Kriterien) aufweisen. So erfüllen 2 Jahre nach der Diagnose nur noch 60% der Betroffenen die DSM-lV-Kriterien, nach 4 Jahren 50% und nach 6 Jahren noch 33%. Die Rückfallraten sind mit jeweils 6% sehr gering. Vor allem die dysfunktionalen Verhaltensmuster wie auch Selbstverletzung und Suizidversuche scheinen sich zu reduzieren. Zudem werden Annahmen geäussert, dass bei rund 10 % der Borderline-Persönlichkeiten die Störung im Laufe der Zeit so weit zurückgeht, dass die Diagnose Borderline nicht mehr zutrifft, obwohl die meisten Betroffenen nach wie vor Symptome einer leichten Persönlichkeitsstörung zeigen.

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5.2. Psychiatrische Komorbidität und Differentialdi agnostik

5.2.1. Borderline-Persönlichkeitsstörung und andere psychische Erkrankun-gen

Wie wir bereits in vorhergehenden Kapiteln (Kap. 3.2.2, Kap. 4) gesehen haben, hat die BPS viele Gesichter. Sie ist sehr heterogen. Die eine BPS mit den typischen, immer gleich erscheinenden Symptomen und Beschwerden gibt es nicht. Daraus resultieren Abgrenzungsschwierigkeiten der BPS zu anderen psychischen Krankheitsbildern, was auch unter Fachleuten – selbst in stationären Institutionen – häufig zu „Fehl“diagnosen und folglich zu ungeeigneten Therapieplänen führen. Zudem wird die Differentialdiagnose dadurch erschwert. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen die Erfahrung, dass die Trennschärfe der Diagnosekriterien der einzelnen Störungsbilder zu gering ist, während die Komorbidität der BPS mit anderen psychischen Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen sehr hoch sind (vgl. zu Stuart et al., 1998; Zanarini et al., 1998, Kap. 4.1). Gemäss Gunderson (2005) sind die Überschneidungsraten bei einer höheren Stufe der Versorgung sogar noch höher als bei einer ambulanten Behandlung. Komorbid zur BPS finden sich häufig affektive Erkrankungen, Angsterkrankungen, Essstörungen, und Substanzmissbrauch. Leider schwanken die Komorbiditätsraten verschiedener Studien sehr stark, abhängig davon, in welchen Institutionen diese durchgeführt und welches Komorbiditätskonzept diesen zu Grunde gelegt worden sind. Die zu Hilfenahme mehrerer Quellen gemäss. Gunderson (2005) erlaubt einen vereinfachten Überblick über die Komorbiditäten von BPS, verzichtet aber auf epidemiologische Stichproben, die sich verallgemeinern lassen.

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Tab. 6. Geschätztes gleichzeitiges Auftreten von BPS und anderen Diagnosen

Diagnose Prozentualer Anteil von BPS mit anderen Diagnosen

Depression 50 Dysthymia 70 Bipolar ll Störung 10 Bipolar l Störung 5 Essstörung 25 Bulimie 20 Anorexie 5 Adipositas 5 Posttraumatische Belastungsstörung

30

Substanzmissbrauch 35 Ausschliesslich Alkohol 25 Somatisierung 5 Narzisstische Persönlichkeitsstörung

25

Antisoziale Belastungsstörung

25

Quelle: Die Schätzungen basieren auf den folgenden Übersichtsartikeln: Dolan et al. (im Druck), Fyer et al. (1988), Gunderson und Sabo (1993), Gunderson et al. (1991, 1993, 1999), Herzog et al. (1992), Hudziak et al. (1996), McGlashan et al. (im Druck), Stern et al. (1993), Tyrer et al. (1997), Zanarini et al. (1998a, 1998b). Alle sind zit. nach Gunderson (2005, S. 63). Die Daten ermutigen wenig, zumal wenn man bedenkt, dass die Komorbidität von Depression, Angst, Essstörungen und Sucht mit Persönlichkeitsstörungen in Bezug auf den Behandlungsausgang einen schlechteren Verlauf und Ausgang aufweisen als bei Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen. (vgl. Reich & Vasile, 1993). BPS und affektive Störungen Die meisten Borderline-Patienten weisen Kriterien der Majoren Depression, der Dysthymia oder beiden auf. Einige Studien liefern erste Versuche, das depressive Erleben der Borderline-Patienten von anderen depressiven Patienten zu unterscheiden (Kurtz & Morey, 1998; Westen et al., 1992). Diese sehen hinter dem entwertenden, impulsiven, von stets instabilen Beziehungen frustrierten Verhalten der Borderline-Persönlichkeit vorwiegend ein Selbsterleben geprägt von Wut, Einsamkeit, Leere und primitiven Schuldgefühlen (s. Kap. 4.5). Demgegenüber steht der besorgte, unsichere Depressive mit einer emotionalen Grundstimmung der Hoffnungslosigkeit und des Versagens. Die Diagnoseentscheidung kann jedoch dann schwierig sein, wenn ein Patient mit Merkmalen einer Majoren Depression in Zusammenhang mit einer belastenden Beziehung zu suizidalen Impulsen oder Handlungen greift. Da stellt sich die Frage, ob die Suizidalität des Patienten als Kommunikationsmittel eingesetzt wurde, um den Wunsch nach Kontakt durchzusetzen (Borderline-Dynamik, Kap. 4.5) oder ob sie durch Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit motiviert war. Ein weiterer Hinweis für eine Borderlinethematik zeigt sich, wenn Patienten mit Merkmalen der Majoren Depression nur mässig auf Antidepressiva ansprechen und im stationären Aufenthalt wegen vermehrter Kontaktzuwendung eine überaus rasche Besserung zeigen.

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• Auch die Ähnlichkeit zwischen den Bipolaren Störungen und BPS ist nicht von der

Hand zu weisen, vor allem aus phänomenologischer Sicht (s. Kap. 3.2.1). Stimmungslabilität und Impulsivität sowie häufig instabile Beziehungen und unangemessene Wut gehören zu beiden Krankheitsbildern. Eine Möglichkeit zur Unterscheidung bietet die Reaktionsbildung auf Konfrontationen und Deutungen (Bolton & Gunderson, 1996). Patienten mit BPS werden manchmal auf konstruktive Weise reagieren, manchmal gar nicht. Sie werden jedoch immer emotional und empfindlich im zwischenmenschlichen Bereich reagieren. Sie werden glauben, dass viel auf dem Spiel steht, entweder ihre eigene Selbstachtung oder die Glaubwürdigkeit des Therapeuten. Patienten mit Bipolar ll-Störungen (Wechsel von depressiven und hypomanischen Epi-soden) lassen sich nicht stören. Sie werden so weitermachen, als hätte keine Intervention stattgefunden – indem sie entweder überhaupt nicht reagieren, das Thema wechseln oder rationalisieren. Sie verhalten sich bei zwischenmenschlichen Konflikten autonom, eher oberflächlich und mit mangelnder Tiefe.

BPS und Angststörungen Angst (bis Panik) – auf obiger Tabelle nicht aufgeführt – ist ein zentrales Phänomen der BPS (Kap. 4). Meist handelt es sich um eine frei flottierende, diffuse Angst, die sich bedrohlich über die ganze Existenz des Patienten ausdehnt (generalisierte Angst ) und sich bis zur Panik steigern kann. Noch immer existieren unterschiedliche Meinungen in der Fachwelt darüber, ob Angst ein zentrales Symptom der BPS (postuliert von Dulz & Schneider, 1996; Kernberg, 1975) oder als eine nicht durchgängige Angst, die in Variationen von generalisierter Angst über isolierte Angstattacken (Panik) hin zu einer Vielzahl phobischer Störungen auftreten kann (Gunderson & Singer, 1975). Diese Differenzen sind Produkt von historisch bedingten unterschiedlichen Borderlinekonzepten (s. Kap. 3.2.2) und es verwundert nicht, dass bei dem Einfluss, den Gunderson und seine Arbeitsgruppe auf die Formulierungen der Borderline-Persönlichkeitsstörungen im DSM-lll und DSM-lV hatten, Ängste nicht mehr als durchgehende Leitsymptomatik auftreten. Das Problem ist dadurch aber noch nicht gelöst: Haben Borderline-Patienten nun durchgängig Angst oder nicht? Die Literaturrecherche zeigt, dass Angst bei Borderline-Patienten in allen Variationen und Stärken zu beobachten ist. Inhaltlich geht es dabei um folgende Themen (s. Hoffmann, 2001). • Kontrollverlustangst:

Angst vor Überwältigung durch konflikthafte Impulse und Vorstellungen • Trennungsangst:

Angst vor dem Alleinsein, das eine unbewusste Gleichsetzung von Verlassenheit darstellt

• Regressionsangst: Angst , den erreichten Ich-Status zu verlieren

• Angst vor Selbstverlust • Angst vor einem phantasierten Verschlungenwerden Diese Ängste aber sind eindeutig zeitlich limitiert. Dem Beobachter erscheint es, dass die Ängste phasenweise da sind, dann wieder für eine Zeit lang „verschwinden“. Doch nicht nach aussen zum Ausdruck gebrachte Angst muss noch nicht Angstabsenz bedeuten. Selbst Kernberg et al. (2001) bestätigen, dass Borderline-Patienten aufgrund ihrer partiell leistungsfähigen Ich-Strukturen durchaus in der Lage sind, eine nennenswerte Menge von Angst zu bewältigen. Zum Teil geschieht dies durch besondere Abwehrleistungen wie z.B.

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Affektverdrängung. Auch Dulz und Schneider (1996) betonen, dass hinter einer scheinbar unverletzlichen Fassade bei Borderline-Patienten sehr viel Angst spürbar ist, die aber aus Befürchtung vor Verletzung nicht gegenüber andern gezeigt wird. Das mag die Aufklärung für die Widersprüche in der Phänomenbeschreibung sein. In der Psychodynamik sind Personen mit einer BPS in dieser Hinsicht ständig mit der Abwehr von Ängsten beschäftigt, die über weite Strecken hinweg auch erfolgreich ist. Wenn die Ängste aber durchbrechen, können sie vielgestaltig und unterschiedlicher Intensität sein. BPS und Essstörungen Essstörungen als Merkmale der Störung zum impulsiven selbstschädigenden Verhalten begleiten sehr häufig die BPS (Kap. 4). Meist ist es die Bulimie , die gleichzeitig auftritt. Bulimiker sind weniger zielgerichteter und ausdauernder in ihren persönlichen Einschränkungen als Menschen mit Anorexie. (s. Böhme-Bloem, 2001; Skodol, Oldham et al., 1993). Mit ihren Essstörungen bringen Borderliner mit Bulimie den Spaltungsmechanismus von asketischem Hungern (Verzicht auf eigene Bedürfnisse) und unkontrolliertem aggressivem In-Sich-Hineinstopfen nach aussen. Nach Fressattacken folgt tiefe Scham und Strafe, die zu Abführbemühungen, erneutem Hungern und/oder zu impulsiven Wiederholungen autodestruktiver Handlung führt. Bei der BPS kann sich das Essen aber auch zur Sucht entwickeln. Mit übermässigem Essen wird dann der Versuch unternommen, den Gefühlen der Leere und des Zurückgewiesen-Werdens zu entrinnen. Vor allem bei Frauen mit einer BPS kommt solches Essverhalten häufig phasenweise vor, was zu ständig schwankendem Gewicht führt (vgl. Niklewski, 2003). Durch eine Studie von Sansone et al. (1995) wurde auch ein Zusammenhang zwischen übergewichtigen Patienten mit BPS und sexuellem Missbrauch in der Vorgeschichte nachgewiesen. Es ist wichtig, das Hungern bei Borderlinern auch als Ausdruck eines intrapsychischen und interpersonalen Konflikts zu betrachten. Mit der Essstörung wird die Verantwortung über sich und das eigene Leben an andere delegiert. Bei den nahen Bezugspersonen (meist die Mutter) wird Sorge ausgelöst, die Zuwendung verspricht, ohne dass man sich den Wunsch nach Abhängigkeit eingestehen muss. Und worin unterscheiden sich nun Patienten mit Essstörungen von Borderline-Patienten mit Essstörungen? Nach Gunderson (2005) sind Impulsivität und Dysfunktion verbunden mit instabilen Familienverhältnissen die Kennzeichen für Essstörungen bei Borderline-Patienten. Patienten mit Essstörungen ohne BPS haben Vorgeschichten ohne markante Familienprobleme, jedoch mit Themen absoluten Unabhängigkeitsstrebens und hoher Leistungserwartung. BPS und Substanzenmissbrauch Jede Persönlichkeitsstörung erhöht die individuelle Vulnerabilität für eine Suchtentwicklung. Durch Gefühle der inneren Leere und des Alleinseins sind Borderliner besonders anfällig für Drogen – insbesondere Alkohol (s. Kap. 4.5). Driessen und Hill (1998) wiesen einen ausgeprägten Zusammenhang zwischen Alkoholismus und den Persönlichkeitsdimensionen insbesondere der Borderline-Störung sowie der Antisozialen Persönlichkeitsstörung nach. Alkohol vermittelt kurzfristige Glücksgefühle aber auch Spannungserleichterung (Plakun, 1996; Soloff, Lis et al., 1994, Kap. 4.5). Letzteres kann auch als „Selbstmedikations-Versuch“ betrachtet werden, um endlich etwas zur Ruhe zu kommen. Aus eigener

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Praxiserfahrung konnten wir feststellen, dass bei Borderline-Patienten der Substanzenmissbrauch episodischen und impulsiven Charakter hat (also selten zur Suchtentwicklung führt) und dass die Art der Substanz eher unwichtig ist. (vgl. Nace, 1989) Der Behandlung von Substanzenmissbrauch bei schwerer Abhängigkeit bei Personen mit BPS kommt prioritäre Bedeutung zu, denn komorbider Substanzmissbrauch vergrössert nachweisbar die Wahrscheinlichkeit eines Suizids und verschlechtert die Gesamtprognose (vgl. Gunderson, 2005) Differentialdiagnostisch anspruchsvoll sind Patienten mit Substanzenmissbrauch und unglücklichen, impulsiven, selbstgefährdenden Beziehungen. Hier ist häufig eine längere Beobachtungszeit notwendig, bis der Therapeut entscheiden kann, ob eine BPS vorliegt oder eine primär substanzeninduzierte Störung, die für derart drastische Auswirkungen auf das Beziehungsverhalten verantwortlich ist. BPS und Posttraumatische Belastungsstörung Viele Untersuchungen zeigen, dass bis zu 50% der Borderline-Patienten auch die diagnostischen Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung erfüllen (s. u.). Neben allgemeinen Hinweisen auf die Bedeutung einer Inzest-Problematik für die Entstehung der BPS (Kernberg, 1997; Merod 2005b; Reddemann, 2001, 2006; Rohde-Dachser, 1995; Sachsse, 1995; Schneider und Dulz, 1993) gibt es etliche – fast ausschliesslich nicht aus dem deutschsprachigem Raum stammende – Untersuchungen, die empirisch hohe Raten von Kindheitstraumatisierungen bei Borderline-Patienten gefunden haben. Diese Erkenntnisse führen zu der Frage, wie eng eine Borderline-Störung mit einer traumatischen Erfahrung verbunden ist (s. Kap. 3.2.2). Geht es bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) und der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) wirklich um voneinander abgrenzbare Störungen? Dies lässt sich bejahen, denn nicht jeder Borderline-Patient hat in der Kindheit ein schweres Trauma erlitten und umgekehrt führen schwere Traumatisierungen auch zu anderen Störungen. Folglich müssen zur Traumatisierung weitere ätiologisch bedeutsame Faktoren hinzukommen, damit eine BPS entsteht (s. Kap. 3.2.2, Kap. 6). Dennoch ist die Abgrenzungsfrage für die Therapieplanung bedeutend, insbesondere dann, wenn ein sich selbst verletzender Patient eine bedeutsame Traumatisierung in der Entwicklungsgeschichte aufweist. Da gilt es zu überlegen, ob das Trauma genug Erklärung für die emotionalen und Verhaltens-Probleme des Patienten generiert (PTSD) oder ob das Trauma Folge einer schon vorher bestehenden Entwicklungsproblematik war (BPS) (s. auch Kap. 7.3). Traumaspezialisten sind sich heute weitgehend einig, dass PTSD vor allem dann diagnostiziert werden soll, wenn Flashbacks und anhaltende dissoziative Zustände durchlebt werden und das Verhalten der Betroffenen durch Scheu und Bindungsangst geprägt ist. Derartig belastende Traumastörungen sind zwingend in den Mittelpunkt der Behandlungen zu stellen wie Reddemann (Reddemann, 2001, 2006; Reddemann & Sachsse, 1999, Kap. 7.3) dies fordert: Trauma first! Haben die Patienten jedoch das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Schutz und verleihen ihrem Ärger Ausdruck, wenn sie verletzt werden, dann waren die Traumatisierungen wahrscheinlich weniger dominant, und es ist besser von einer Borderline-Störung auszugehen. Die Zusammenhänge zwischen BPS und Posttraumatischen Belastungsstörungen sind komplex. Zusammenfassend kann gemäss Gunderson (2005) festgehalten werden:

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• Missbrauch prädisponiert Kinder zu einer Reihe von schweren psychischen Störungen, einschliesslich BPS.

• Erwachsene Patienten mit BPS gefährden sich aufgrund ihrer Rücksichtslosigkeit und emotionalen Tendenz zu Überreaktion eine PTSP zu entwickeln.

• Eine emotionale Entfremdung von den Eltern ist eine Bedingung für die BPS. Missbrauchsvorfälle wirken weitaus traumatisierender als bei bestehender Entfremdung von den Bezugspersonen, als wenn Kinder sich auf die Eltern verlassen können und die traumatischen Vorfälle besprechen können.

• Wenn auch in der Kindheit von Borderline-Patienten verstärkt traumatische Erlebnisse zu finden sind, so können auch andere psycho-soziale Faktoren ein Kind so belasten, das es eine Borderline-Störung ausbildet.

Nebst oben aufgeführten Komorbiditäten können bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen auch somatoforme Störungen, Zwangsstörungen und die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) komorbid beobachtet werden, die hier aber nicht weiter erläutert werden (weiterführende Literatur: ADHS, Zwangsstörungen).

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5.2.2 Borderline-Persönlichkeitsstörung und andere Persönlichkeitsstörungen

Die BPS kann isoliert auftreten (Reinform), sehr häufig aber kombiniert mit anderen Persönlichkeitsstörungen. • Nach Fiedler (1994) besteht eine hohe Komorbidität der Persönlichkeitsstörungen

untereinander und daher gibt es kaum eine Person, die, wenn eine solche diagnostiziert wurde, nicht zugleich die Kriterien mindestens einer anderen erfüllt

• Bei 80% der ambulant behandelten Borderline-Patienten wurde mindestens eine weitere Persönlichkeitsstörung diagnostiziert (Sipos & Schweiger, 2003; zit. nach Merod, 2005b, S. 672)

• Bei den Studien von Stuart et al.(1998) korreliert die BPS signifikant mit allen anderen Persönlichkeitsstörungen

Daraus wird deutlich, dass Personen mit einer BPS eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besitzen, eine weitere Persönlichkeitsstörung auszubilden. Betrachtet man das Auftreten einer BPS mit anderen Persönlichkeitsstörungen differenzierter, so zeigt sich, dass Borderline-Patienten häufiger zusätzlich eine Persönlichkeitsstörung der Cluster C und A (gemäss DSM-lV) entwickeln. Im Vordergrund stehen dabei nach Bohus (2002, S.12) und Zanarini et al. (1998) folgende:

• Dependente Persönlichkeitsstörung (50%) • Selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung (40%) • Paranoide Persönlichkeitsstörung (ca. 40%) • Antisoziale Persönlichkeitsstörung (25%) • Histrionische Persönlichkeitsstörung (15%)

Auch fand sich bei der Komorbidität mit anderen Persönlichkeitsstörungen ein geschlechtsspezifischer Unterschied: Männer erfüllen häufiger die Kriterien der antisozialen, aber auch narzisstischen und paranoiden Persönlichkeitsstörungen (= v.a. Cluster B und A nach DSM-lV). Bei Frauen stehen vorwiegend Störungen aus dem Cluster C, nämlich selbstunsicher-vermeidende und dependente Persönlichkeitsstörungen quantitativ im Vordergrund (Sipos & Schweiger, 2003, zit. nach Merod, 2005b, S. 672). Differentialdiagnostische Abgrenzungsschwierigkeiten zur BPS ergeben sich insbesondere dann, wenn die komorbide Persönlichkeitsstörung der gleichen Hauptgruppe - nämlich Cluster B: „dramatisch, emotional, launisch“ nach DSM-lV – zugeordnet ist. Dies betrifft die Dissoziale Persönlichkeitsstörung, die Narzisstische und die Histrionische Persönlichkeitsstörung. Darauf soll im Folgenden kurz eingegangen werden.

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Tab. 7. Hauptgruppen spezifischer Persönlichkeitsstörungen und deren charakteristische Muster inneren Erlebens und Verhaltens nach DSM-lV (Frauenknecht & Lieb, 2005, S. 297)

Hauptgruppen spezifischer Persönlichkeitsstörungen nach DSM-lV

Cluster Diagnose Charakteristika A “sonderbar, seltsam, exzentrisch“

Paranoide PS Schizoide PS Schizotypische PS

B “dramatisch, emotional, launisch“

Dissoziale PS Borderline-PS Narzisstische PS Histrionische PS

Missachtung und Verletzung der Rechte anderer Instabilität zw.menschlicher Beziehungen, des Selbstbildes und der Affektivität, Impulsivität Gefühl der Grossartigkeit, Bedürfnis nach Bewunderung, „Selbstverherrlichung“, mangelnde Empathie Übermässige Emotionalität, Expressivität, Aufmerksamkeit-heischendes Verhalten

C “ängstlich“

Ängstlich-vermeidende PS Dependente PS Zwanghafte PS

BPS und Dissoziale Persönlichkeitsstörung Patienten mit BPS wie auch Dissozialer Persönlichkeitsstörung sehen sich den gleichen Schwierigkeiten gegenüber, nämlich dass ihre mangelhafte Spannungstoleranz zu einem impulsiven, schädigenden Verhalten führen – mit einem Unterschied: Personen mit BPS sind von eher introvertierter Feindseligkeit in Form von Selbstschädigung (s. Kap. 4) und diejenigen der Dissozialen Persönlichkeitsstörung von mehr nach aussen gerichteter Feindseligkeit. Ausbeuterische und kalte Umgangsweise mit anderen Menschen bis zu delinquentem Verhalten, geringe Frustrationstoleranz und fehlendes Schuldbewusstsein sind die Hauptmerkmale der Dissozialen Persönlichkeitsstörung. Mangelnde Empathie und verdeckte Versuche der Manipulationen und Lügen führen häufig zu wechselnden Beziehungen. Im Vergleich zu BPS-Patienten kreist das manipulative Verhalten bei Menschen mit Dissozialer Persönlichkeitsstörung nicht um Zuwendung (s. Kap. 4.5), sondern eher um Profit, Macht und materiellem Gewinn (vgl. Frauenknecht & Lieb, 2005). Zusätzlich erschwerend zur Therapiebeziehungsgestaltung ist deren geringe Behandlungsmotivation, die entweder durch eine passive Erwartung oder eine unverhohlene Ablehnung zum Ausdruck gebracht wird. Ein diagnostisches Dilemma hingegen ergibt sich dann, wenn ein Patient, der sich prototypisch für eine BPS verhält, ein Verhalten berechnender Täuschung und gewalttätiger Ausbrüche aufweist. Ebenfalls ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten, wenn eine wiederholt gewalttätige und zwischenmenschlich unverantwortliche Person immer wieder suizidal und intensiv von der eigenen „Schlechtigkeit“ überzeugt ist, die aber aus dem Bewusstsein zu verdrängen sucht.

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Diese Frage ist häufig auch dann nicht leichter zu klären, wenn die Anamnese erhoben wird, denn bei beiden Störungen sind Erfahrungen der Vernachlässigung, Missbrauch und Entfremdung häufig vorzufinden. (Zanarini et al., 1989). Auch Gemeinsamkeiten, wie geringe Verbindlichkeit und Gewissenhaftigkeit, legen den Gedanken nahe, dass die beiden Diagnosen weitgehend zusammenhängende Formen einer psychopathologischen Syndromatik darstellen. Eindeutige Ergebnisse aus wissenschaftlichen Studien bleiben aber abzuwarten. Therapeutisch hat die diagnostische Unterscheidung der beiden Störungen wichtige Bedeutung. Fälschlicherweise einen BPS-Patienten mit der Diagnose Dissoziale Persönlichkeitsstörung zu belegen heisst, einen möglicherweise behandelbaren und bindungswilligen Patienten auf eine Minimaltherapie zu beschränken. BPS und Narzisstische Persönlichkeitsstörung Beide Typen von Persönlichkeitsstörungen leben rastlos in innerpsychischer Isolation. Ihnen fehlt die Einfühlung in andere, und in ihren Beziehungen haben selbstsüchtige Bedürfnisse grossen Stellenwert. Sie reagieren entweder wütend oder selbstzerstörerisch auf Kritik und Zurückweisung anderer gekoppelt mit einer unangemessenen Anspruchshaltung. Dennoch gibt es in ihrem Verhalten und Erleben wesentliche Unterschiede: 1. Die Motivation des Narzissten besteht in der Suche nach Ruhm und Ansehen, während

beim Borderline-Patienten diese im Verlangen nach Bindung liegt. 2. Der Narzisst zeigt sich nach aussen als übermässig selbstbewusst und grandios, im

Verborgenen jedoch schambeladen und unsicher; Personen mit BPS fühlen sich minderwertig gegenüber anderen. (Akhtar, 2001) Während die Personen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung einen Eindruck von Selbstgenügsamkeit und von einem Fehlen von Bedürfnissen nach Liebe und Zuneigung vermitteln, wirkt die Borderline-Persönlichkeit im Gegensatz dazu abhängig, verzweifelt nach menschlichem Kontakt suchend (s. Kap. 4.5), und weinerlich bleibt sie dann in dieser Bedürftigkeit verharren.

3. Personen mit BPS erleben Zurückweisung als Verlassen-Werden, das Ängste auslöst (s. Kap. 4.5). Kritik ist für sie deshalb unerträglich, denn das, was sich nur auf einen bestimmten Aspekt bezieht, wird zum Urteil für die ganze Person verallgemeinert. Sie fühlen sich dann als ganze Person schlecht und nicht akzeptiert. Menschen mit Narzisstischer Persönlichkeitsstörung erleben Zurückweisung als Demütigung und Verletzung ihres Grandiositätsdenkens, was Gefühle der Scham, der Unterlegenheit und des verletzten Stolzes auslöst. Man könnte vermuten, dass die Wut, Feindseligkeit und der Ärger bei BPS vielmehr fehlgesteuert oder mangelhaft beherrschter sind, während bei narzisstischer Persönlichkeitsstörung diese Gefühle Ausdruck einer Kränkung eines sehr fragilen Selbsts darstellen.

4. Auch fehlt dem Narzissten die chronisch offene Wut des typischen Borderline-Patienten (Gunderson & Singer 1975). Während der Narzisst in seiner Wut scharf mit stark eingeschränkter Perspektive argumentiert (Kohut, 1972), reagiert der Borderline-Patient unter den gleichen Bedingungen aufgeregt, unlogisch und chaotisch.

5. Die Erwartung, zu besonderen Zuwendungen und Privilegien berechtigt zu sein, haben Narzisst wie Borderliner. Bei ersterem erfolgt dies aus seiner Einbildung der Einzigartigkeit, bei Borderline-Patienten entstammt dieses Verlangen dem Gefühl, viel gelitten zu haben und deshalb mehr zu brauchen.

6. Auch aus therapeutischer Behandlungssicht kann die Unterscheidung beider Typen bedeutend sein. Narzisstische Persönlichkeitsstörungen brauchen in der Therapie dosierte Frustrationen mit dem Ziel der Bindungskorrektur. Menschen mit BPS benötigen

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ebenfalls korrigierendes Bindungsverhalten, zusätzlich aber auch medikamentöse und sozial-rehabilitative Massnahmen.

BPS und Histrionische Persönlichkeitsstörung Borderline-Persönlichkeiten verstehen wie Menschen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung in ihrem Aufmerksamkeitsstreben sich „in Szene zu setzen“ und durch eine übertriebene Emotionalität, theatralisches Verhalten und plötzlichem Stimmungswechsel aufzufallen. Um im Mittelpunkt zu sein, können sie charmant, übertrieben attraktiv und verführerisch erscheinen. Im Gegensatz dazu fehlen Personen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung weitgehend die Autodestruktivität des Borderliners, die chronischen Gefühle der Leere und Einsamkeit und die wütenden Beziehungsabbrüche.

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6. Ätiologie: Ausgewählte Entstehungsmodelle zur Bo rderline-Persönlichkeitsstörung

Die Ätiologie der BPS ist nur teilweise verstanden. Wie bei den meisten anderen psychiatrischen Erkrankungen auch wird nach dem heutigen Wissensstand von einer multifaktoriellen oder multikonditionalen Entstehung der BPS ausgegangen. Dies bedeutet, dass hinsichtlich dispositioneller, auslösender, fördernder und chronifizierender Bedingungen genetisch/neurobiologische, psychologische und soziale Teilfaktoren berücksichtigt werden müssen (s. Kap. 4.5). Abbildung 2 zeigt das komplexe Zusammenspiel mehrerer Faktoren bei der Ätiologie der BPS. Abb. 2. Pathogenetische Faktoren in der Entstehung der BPS (Frauenknecht & Lieb, 2005, S. 309)

3) SpezifischeEntwicklungs-

bedingungen oder Traumatisierung in der

Kindheit

1)

Genetische Faktoren

2) Emotionale Instabilität

Impulsivität

4) Erlernte

dysfunktionale Verhaltensweisen als mangelnde Copingstrategien und zur Spannungsregulation bei

intensiver Affektgenerierung, z.B. selbstverletzendes Verhalten,

Suizidalität Ergebnis:

Intrapsychische und interaktionelle chronifizierte Störungen und

psychosoziale Konflikte

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1. Ein Faktor der Entstehung können genetische und neurobiologische Faktoren sein,

bedingt auch durch pränatale Einflüsse wie ungünstige Bedingungen in der Schwanger-schaft: Alkohol- oder Drogenkonsum der Mutter, Erkrankungen, die mit einer Medika-menteneinnahme einhergehen oder psychiatrische Vorerkrankungen in der Familie. Auf biologischer Ebene gilt ein genetischer Einfluss für die Entwicklung affektiver Labilität, Impulsivität und insbesondere dissoziative Zustände als gesichert (Frauenknecht & Lieb, 2005).

2. Bildgebende Verfahren ergaben Hinweise für Funktionsstörungen im frontalen Cortex, in

der Amygdala und dem Hippocampus, die mit der emotionalen Instabilität und dem Hyperarousal in Verbindung gebracht werden. Es ist jedoch noch ungeklärt, ob diese Funktionsstörungen als genetisch bedingt, als Folge der Traumatisierung oder als neu-robiologisches Korrelat der BPS zu verstehen sind (Frauenknecht & Lieb, 2005).

3. Einen dritten Faktor bilden psychosoziale Risikofaktoren sowie eine familiäre

Belastung durch psychische Störungen Psychosoziale Risikofaktoren sowie eine familiäre Belastung mit psychischen Störungen, die offensichtlich zu pathologischen Familieninteraktionen führen, spielen für die Pathogenese der BPS eine bedeutsame Rolle. Als psychosoziale Risikofaktoren für die Entwicklung der BPS werden weibliches Geschlecht bzw. Sozialisation eine frühe Traumatisierung (durch körperliche Gewalt, sexuellen Missbrauch oder Vernachlässigung durch primäre Bezugspersonen) sowie das Erleben von Gewalt im Erwachsenenalter genannt (Frauenknecht & Lieb, 2005). Auch das Fehlen einer zweiten Bezugsperson, die Schutz und Geborgenheit bietet und die Wahrnehmungen und Empfindungen des Betreffenden bestätigt, soll von wesentlicher Bedeutung sein (Frauenknecht & Lieb, 2005). Forschungsergebnisse lassen vermuten, dass aufgrund einzelner oder multipler Traumata, insbesondere in Kindheit und Jugend, gestörte Persönlichkeitsentwicklungen bis hin zu Persönlichkeitsstörungen sehr wahrscheinlich sind (Herman, Perry & van der Kolk, 1989, zit. nach Bronisch, 2005; Johnson, Cohen, Chen, Kasen & Brook, 2006). Eine Reihe von Studien konnte den Nachweis erbringen, dass Patienten mit einer BPS im Vergleich zu anderen Patienten mit Persönlichkeitsstörungen signifikant häufiger in ihrer Kindheit sexuellen Missbrauch, körperlichen Missbrauch, schwere körperliche Vernachlässigung und körperliche Gewalt in der Familie erfahren hatten (Herman et al., 1989; Paris, Zweig-Frank, & Guzder, 1994, beide zit. nach Bronisch, 2005, S. 1613; Paris & Zweig-Frank, 1992; Paris, 2000). Ebenfalls wurden in der Vorgeschichte von Borderline-Patienten gehäuft frühe Trennungen und Verluste berichtet. Schliesslich fanden sich signifikant gehäuft Probleme im Bindungsverhalten zwischen Eltern und Kindern in Borderline-Familien (Paris et al., 1994, zit. nach Bronisch, 2005; Paris et al., 1992; Paris, 2000).

4. Alle genannten biologischen und psychosozialen Variablen wirken zusammen. Dies führt

zu einer Störung des assoziativen Lernens und zur Entwicklung dysfunktionaler Grundannahmen und Schemata (z.B. „Ich bin ein schlechter Mensch“ � Schuldgefüh-le). Dadurch ist eine adäquate Interpretation psychosozialer Situationen erschwert (z.B. „Ich habe eine schlechte Behandlung verdient“), was zu entsprechenden inadäquaten Copingstrategien (z.B. Selbstverletzung, Fressanfälle, Demonstration von Hilflosigkeit) führt. Diese Bewältigungsstrategien führen kurzfristig zu einer Linderung des subjektiven Leidens, langfristig aber zu weiterer psychischer Labilisierung (z.B. Rückzug von Be-zugspersonen wegen Überforderung durch den Patienten). Die dysfunktionalen Sche-mata und Verhaltensweisen verhindern ausserdem, dass positive, adäquate Lernerfah-rungen gemacht und frühere traumatische Erlebnisse verarbeitet und relativiert werden können. So wird die Welt als bedrohlich erlebt und es herrscht ein allgemeines Misstrau-en gegenüber anderen Menschen.

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Auf genannte Faktoren, die die Entwicklung der BPS beeinflussen und gegebenenfalls sogar fördern können, werden wir im Folgenden detaillierter eingehen (s. auch Kap. 4.5), indem wichtige ätiologische Erklärungsansätze verschiedener Psychotherapieschulen präsentiert werden. Dabei beleuchtet der biologisch/genetische/neurobiologische Ansatz vorwiegend angeborene oder durch Frühschädigungen bedingte Prädispositionen für die Entstehung einer BPS, während psychodynamische und bindungstheroretische Ansätze die entwicklungsgeschichtlichen Einflussfaktoren v.a. in der Kind-Bezugsperson-Dynamik fokussiert. Bio-psycho-soziale Ätiologiemodelle erweitern das Blickfeld, um die systemische, mulitfaktorielle und lerntheroretische, mulitfaktorielle Kompnente.

6.1. Biologischer, genetischer und neurobiologische r Ansatz Das biologische Modell von Persönlichkeitsstörungen zentriert sich auf biogenetische und embryonale sowie frühkindliche biologische Faktoren, die Verhalten, Emotion und Kognition prägen und formen. Von der genetischen Seite her geht es vorwiegend um die angeborenen Eigenschaften des Menschen. Exogene Faktoren wie Geburtsschädigungen, Infektionen etc. werden aber auch miteinbezogen, die prä-, peri- und postnatal auftreten können und ein noch in Entwicklung befindliches Gehirn möglicherweise umfassend schädigen. Im Folgenden soll der Fokus vor allem auf die genetischen und neurobiologischen Befunde hinsichtlich der BPS gelegt werden. Bei der BPS wurden nach Dittmann et al. (2002) Hinweise für eine starke genetische Mitverursachung gefunden. Vor allem bezüglich Entwicklung affektiver Labilität, Impulsivität und insbesondere dissoziativer Zustände gilt ein genetischer Einfluss als gesichert (Frauenknecht & Lieb, 2005). So zeigten Zwillingsstudien , dass die Konkordanzraten bei eineiigen Zwillingen fast viermal so hoch waren als bei zweieiigen Zwillingen (55% bzw. 14%) (Bohus, 2002, S.13). Auch Resultate aus früheren Untersuchungen (Livesley, Jang, Jackson & Vernon, 1993) bei gesunden Zwillingspaaren, die eine genetische Disposition für Verhaltens- und Erlebensdimensionen wie Labilität, Identitätsprobleme, Narzissmus und Impulsivität fanden, weisen auf genetische Faktoren bei der BPS hin. Demgegenüber konnten Familienuntersuchungen (Baron, Gruen, Asnis & Lord., 1985; Links, Steiner & Huxley, 1988; und weitere), die der Frage nachgingen, ob die Störung von einer Generation zur nächsten weitergereicht wird, bis jetzt keine signifikanten und einheitlichen Ergebnisse liefern. Das liegt auch weitgehend daran, dass die Untersuchungen sehr unterschiedlich angelegt waren, die Definition von BPS zum Teil stark variierten und die Informationen nicht von den Verwandten direkt, sondern von den Borderline-Patienten stammten. Obwohl Erblichkeitsanalysen auf die Bedeutung genetischer Faktoren verweisen, können sie kaum Aussagen über die eigentliche Struktur dieser genetischen Einflüsse machen. Es fehlen Informationen darüber, ob es ein einziger genetischer Faktor ist oder ob es mehrere sind, die zur Borderline-Pathologie beitragen. Auch bleibt noch weitgehend ungeklärt, ob die genetischen Einflüsse, die mit einem Merkmal in Verbindung gebracht werden (z.B. Affektlabilität), spezifisch sind für dieses eine Merkmal oder aber für andere Merkmale der BPS verantwortlich sind. Verschiedene Studien an Zwillingen (Jang et al., 2002; Livesley et al., 1998, beide zit. nach Remmel, Kernberg, Vollmoeller & Strauss, 2006) lassen erste

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Vermutungen zu, dass es zwei genetische Wirkfaktoren auf das emotionale Dysregulations-Cluster (Ängstlichkeit, Unterwürfigkeit, Identitätsprobleme, soziales Vermeidungsverhalten, Aufsässigkeit, Affektlabilität, kognitive Dysregulation, Bindungsunsicherheit, Narzissmus, Misstrauen) der BPS gibt: Zum einen ist da ein genetischer Faktor, der alle Borderline-Merkmale des Clusters beeinflusst. Zum andern gibt es spezifisch genetische Faktoren, die auf die spezifisch primären Persönlichkeitszüge einwirken. Diese Befunde sprechen für eine komplexe genetische Architektur der BPS, die es zukünftig noch weiter zu erforschen gilt. Als weiterer biologisch/neurobiologischer Einflussfaktor wird eine „beeinträchtigte Funktionsweise der Frontallappen“ des Gehirns (Davison & Neale, 2002, S. 462) in Betracht gezogen, da diese evtl. das impulsive Verhalten beeinflussen. In den letzten Jahren wurde damit begonnen, die funktionelle und topographische Anatomie von Hirnarealen bei der BPS eingehender zu untersuchen – vor allem diejenigen, denen eine Bedeutung für die Auslösung und Regulation von Affekten zugemessen wird. Erste bildgebende Untersuchungen fanden bei Borderline-Patienten Hinweise auf Störungen im präfrontalen Cortex sowie der Amygdala und dem Hippokampus. Dem präfrontalen Cortex wird eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Amygdala sowie der Kontrolle von konditionierten Furchtreaktionen zugewiesen (Quirk, Russo, Baron & Lebron, 2000). Mittlerweile zeigen weitere Forschungen, dass chronischer Stress oder erhebliche Verwahrlosungserlebnisse in der Kindheit zu einer Beeinträchtigung neurobiologischer Reifungsprozesse (vor allem in den limbischen Strukturen) und damit zu kognitiven und emotionalen Störungen führen können (Bohus, 2002, S. 14). Auch wurde die Annahme, dass ein zu niedriger Spiegel des Neurotransmitters Serotonin mit Impulsivität zusammenhängt (Lesch, Bengel, Heils, Sabol, Greenberg, Petri, Benjamin, Müller, Hamer & Murphy, 1996) insofern bestätigt, als dass die Wut bei Borderline-Patienten abnahm, wenn ihnen ein Medikament zur Erhöhung des Serotoninspiegels verabreicht wurde. Dies betrifft sowohl Autoaggression (wie bei Suizidversuchen), als auch Fremdaggression (Wutausbrüche oder Gewalt). Dies lässt zunehmend den Schluss zu, dass die bei der BPS vorliegende impulsive Aggression zum Teil vererbbar ist (Torgersen, 1994, zit. nach Koenigsberg & Siever, 2001, S. 207) Das neurobiologische Verständnis der BPS bedeutet auch therapeutische Konsequenzen. Es kann besseren und spezifischeren Pharmakotherapien den Weg weisen und das Einfüh-lungsvermögen des Therapeuten in die spezifischen Probleme des Patienten erhöhen.

6.2. Psychodynamische und psychoanalytische Ansätze Die gemeinsame Grundannahme der psychodynamischen und psychoanalytischen Konzep-te ist eine strukturelle Ich-Störung von Borderline-Patienten, wobei sich in den unterschiedli-chen Ansätzen die historische Entwicklung der psychoanalytischen Konstrukte widerspie-gelt. Die wichtigsten Anstösse zum Verstehen der strukturellen Defizite bei Borderline-Patienten stammen von Kernberg (1979), der seit 40 Jahren sein übertragungsfokussiertes Borderline-Konzept basierend auf Studien und Praxiserfahrungen laufend erweitert hat. Wei-tere Theorien von Melanie Klein (*1882 – 1960†, weiterführende Literatur: Bott Spillius, 2002) und das Entwicklungsphasen-Modell von Margaret Mahler (*1897 – 1985†, Mahler, Pine & Bergman, 1993) haben zusätzliche Erkenntnisse für die Erklärung der BPS geliefert.

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Im Folgenden sollen vorwiegend das Kernberg’sche Konzept vorgestellt werden, da es die weiteste Verbreitung in Deutschland gefunden hat. Es fokussiert vor allem die Objektbezie-hungstheorie als Erklärung. Demnach geht die BPS auf frühe inadäquate Interaktionserfah-rungen und ein Übermass an Aggression zurück, die den gesunden Narzissmus stören und sich auf die Entwicklung des Ichs und Über-Ichs auswirken. Dadurch kommt es zu schwers-ten Selbstwert- und Identitätsproblemen. Nach Kernberg (1979) leiden die Borderline-Patienten an 1. einer Identitätsdiffusion (=ich-strukturelle Störung) 2. an manifestierten primitiven Abwehrfunktionen (insbesondere die Spaltung) und 3. in einem unterschiedlichen Ausmass an einer Über-Ich-Verzerrung , die in der psycho-

analytischen Betrachtung bei einer spezifischen Untergruppe dieser Patienten - bei Nar-zissmus und Antisozialer Persönlichkeitsstörung - besonders ausgeprägt ist.

Identitätsdiffusion Bei der Identitätsdiffusion von Borderline-Patienten verweist Kernberg (1979) auf die spezifi-sche Pathologie der Selbst- und Objektbeziehungs-Entwicklung in der Kindheit hin. Folge davon sind schwere Verzerrungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen – insbeson-dere in intimen Beziehungen – ,ebenso ein Mangel an konstanter Zielausrichtung im Beruf, Unsicherheit und Richtungslosigkeit in vielen Lebensbereichen. Nach Kernberg lässt sich die Entwicklung von Objektbeziehungen den bestimmten Entwick-lungsstufen (zwischen 0 und 3. Lebensjahr) zuordnen, in denen das Kind allmählich lernt, sich als autonomes Individuum in einer Welt von einander getrennten Objekten zu begreifen. Störungen in diesem Entwicklungsprozess können zu einer BPS im späteren Erwachsenen-alter führen. Laut Kernberg (1979) kann das Neugeborene nicht zwischen Subjekt und Objekt (Dinge und Menschen) unterscheiden. Es erlebt sich und Objekte als eine positive Einheit (bei ausrei-chender mütterlicher Versorgung), aber auch als eine negative Einheit bei Frustrationen und Abwesenheit von primären Bezugspersonen. Beide Einheiten sind voneinander getrennt. Dabei ordnet das Kind seine Erfahrungen mit den Objekten primär nach Qualitäten „lustvoll“ und „unlustvoll“ bzw. „gut“ und „böse“. Die Spaltung beider „guter“ und „böser“ Einheiten ist also nach Kernberg der erste Versuch des Menschen, seine widersprüchlichen Erfahrungen mit der Umwelt zu ordnen. (2.-6. Lebensmonat; gemäss Mahler, 1993, in der symbiotischen Phase ablaufend). In einem nächsten Entwicklungsschritt (6.-12. Lebensmonat) beginnt das Kind allmählich zwischen sich und der Umwelt zu unterscheiden, bis das kindliche Selbst sich zwischen dem 18. und 36. Lebensmonat vollständig von den Objekten trennt (nach Mahler, 1993: „Trennungs- und Individuationsphase“). Bei einer normalen Entwicklung ge-lingt dann mit 3 Jahren die Zusammenführung der „guten“ und „bösen“ Teileinheiten in ein einigermassen realistisches Selbstbild mit „guten“ und „bösen“ Einheiten. Ab diesem Punkt kann das Kind auch ein Objekt ambivalent erleben, d.h. das Kind weiss jetzt, dass ein Ob-jekt sowohl „gut“ wie „böse“ sein kann, d.h. dass eine geliebte Bezugsperson nicht vollkom-men ist und auch negative Eigenschaften haben kann. Zu diesem Zeitpunkt haben sich die Persönlichkeitsinstanzen vollständig ausgebildet (Ich/Es/Über-Ich), so dass die Verdrängung möglich wird. Borderline-Patienten durchlaufen gemäss diesem Konzept die ersten Stufen der Entwick-lung von Objektbeziehungen „normal“. Die Wendung hin zum Pathologischen erfolgt da, wo die Zusammenführung von „guten“ und „bösen“ Teileinheiten nicht mehr vollzogen werden kann, weil die „böse“ Einheit mit soviel Aggressivität ausgestattet wird, dass die „gute“ von der Wucht der Aggression ausgelöscht und vernichtet würde, träfen beide zusammen. Diese

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Katastrophe wird mit dem Aufrechterhalten des Abwehrmechanismus der Spaltung verhin-dert. Primitive Abwehrfunktionen und Realitätsbezug Grundsätzlich besteht gemäss Kernberg (1979) ein primärer Mangel an Verdrängungsfähig-keit, so dass die zu verdrängenden Inhalte vom Ich des Kindes nicht effektiv ins Unbewusste verdrängt werden können. Daraus folgt, dass die abzuwehrenden Inhalte bewusstseinsfähig bleiben und auf äussere und innere Reize ins Bewusstsein des Patienten übertreten können Somit steht das Ich des Borderline-Patienten vor dem Problem, wie es sich vor der Wahr-nehmung von Unerwünschtem schützt. Prinzipiell bedeutet dies, dass Denkbares (z.B: ag-gressive Gedanken) nicht gedacht und Wahrnehmbares (z.B. Aggressionen gegen das Kind bei traumatisierenden Übergriffen) nicht wahrgenommen werden dürfen. Deshalb neigen die Borderline-Patienten auch dazu, die Wahrnehmungs- und Denkfunktionen im Konfliktbereich auszuschalten (siehe dazu „Mentalisierungsstörungen“ im Kap. 6.3). Das gleiche gilt auch für die Realitätsprüfung. Wenn ein Reiz eine Gefahr für das Ich dar-stellt, wird er nicht wahrgenommen. Die Realität wird nur noch zerstückelt gesehen; Zu-sammengehöriges wird aus dem Zusammenhang gerissen, d.h. „dissoziiert“ (vor allem auch bei Traumatas) oder „gespalten“. Nach Kernberg (1979) ist Spaltung ein aktiver und früh eingeübter Abwehrmechanismus, um das Erlebnis der Ambivalenz zu verhindern und um Ich-Zustände mit entgegengesetzter Gefühlsqualität streng voneinander getrennt gehalten werden. Die Spaltung dient also dazu, ein schützendes idealisiertes Objekt zu bewahren. Warum das „Böse“ mit soviel Aggressivi-tät besetzt wird, erklärt Kernberg mit einer angeborenen gesteigerten Aggression der Bor-derline-Patienten. Mit dem Begriff der „Spaltung“ greift Kernberg somit die kleinianische Spaltungslehre in „nur gute“ und „nur böse“ polarisierte Formen von Selbst und Objekt auf. Weitere zentrale Abwehrformen von Borderline-Persönlichkeiten sind nach Kernberg (1979): • Projektion: Für das Ich unakzeptable eigene Züge werden verleugnet und anderen

zugeschrieben.

• Projektive Identifikation: Die manipulative Verwicklung mit dem Projektionsträger wird fortgesetzt und erhält somit alle unannehmbaren Charakteristika

• Überidealisierung und Entwertung: Gute Eigenschaften bei anderen werden über-bewertet. Bei der idealisierten Person werden Unvollkommenheiten nicht toleriert. Das Gegenstück ist die völlige Entwertung.

• Verleugnung: Unabhängige durch die Spaltung entstandene Bewusstseinsteile, die sich zeigen, werden verleugnet.

• Ominpotenz: Aufgeblähtes Grössen-Selbst, das in Beziehung zu herabgesetzten und entwerteten Repräsentanzen von anderen steht.

Der Wechsel zwischen extremer Idealisierung und Abwertung in den zwischenmenschlichen Beziehungen der Borderline-Persönlichkeiten ist somit die Folge der gestörten Entwicklung der Objektbeziehungen und der damit verbundenen primitiven Abwehrfunktionen. Das „Gu-te“ und das „Böse“ können nicht gleichzeitig in einer Person vereint sein. Sie ist entweder nur „schwarz“ oder „weiss“. Wenn es zutrifft, dass im Zentrum der BPS vor allem die Integration der gespaltenen positi-ven und negativen Selbst- und Objektbilder steht, dann müsste das Ziel der psychothera-

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peutischen Behandlung darin bestehen, Borderline-Patienten das Erlebnis der Ambivalenz zu ermöglichen, um sie in die letzte Stufe der Entwicklung der Objektbeziehungen zu über-führen. Über-Ich-Verzerrung Ein weiteres Strukturmerkmal sieht Kernberg (1979) in der nicht gelungenen Integration des Über-Ichs. Meist ist das Über-Ich nicht an spätere realistisch-fordernde und verbietende As-pekte der Eltern orientiert, sondern an sadistische Über-Ich-Vorläufer aus der Frühzeit der Entwicklung. Aufgrund des Fortbestehens intensiver Aggressionen aus der frühen Entwick-lung werden Vater und Mutter potenziell gefährlich. In der ödipalen Phase verschärft sich die Wutproblematik aus Sicht der Triebentwicklung, da dann prägenitale, aggressive Impulse mit sexuellen aufeinanderprallen. In den meisten Fällen misslingt der Versuch, von der ora-len Wut wegzukommen. Obwohl die psychoanalytischen Ansätze die BPS nur aus einer psychodynamischen Per-spektive erklären und andere Wirkfaktoren eher vernachlässigen, liefern sie wichtige Ziele für die BPS-Therapie. In erster Linie weist sie auf einen notwendigen Brückenschlag zwi-schen den abgespaltenen Persönlichkeitsanteilen, auf die Einführung des Realitätsprinzips sowie die Förderung der Reflexions- und Mentalisierungsfähigkeit hin.

6.3. Bindungstheoretische und interpersonale Ansätz e Die Bindungstheorie basiert auf den Arbeiten von John Bowlby (1975) und beschäftigt sich mit dem Bindungsverhalten des Kindes, wie es in der Ursprungsfamilie erlebt und erfahren wurde, und dessen Auswirkung auf seine spätere Persönlichkeitsentwicklung und dem sozi-alen Bindungsverhalten als Erwachsener. Der Ansatz basiert auf entwicklungspsychologi-schen, ethologischen und systemtheoretischen Vorstellungen. Im Jahre 1948 in einem Be-richt über heimatlose Kinder in Europa nach dem 2. Weltkrieg verfasst, postulierte Bowlby die Bindung zwischen Säugling und primär Mutter als einen natürlichen Prozess und als universelles menschliches Bedürfnis nach engen emotionalen Beziehungen, der weder von Sexualität noch vom Bedürfnis nach Nahrung beeinflusst würde. Dies brachte ihm lange Zeit das Unverständnis der psychoanalytischen Richtung ein, da er damit wesentliche Dogmen der Psychoanalyse in Frage stellte. Unterdessen wurden die bindungstheoretischen Gedan-ken durch Schüler von Bowlby (vor allem Mary Ainsworth, *1913 – 1999†) erweitert und im klinischen Kontext sowie schulenübergreifend aufgenommen und weiterentwickelt. (s. Strauss, Kächele & Buchheim, 2002) Aus der Bindungstheorie und deren Weiterentwicklung lassen sich für die BPS folgende relevanten Erkenntnisse anführen: 1. Die Beziehung zur primären Bindungsperson ist seit Geburt durch die Suche nach Nähe

gekennzeichnet, die durch Trennung, Bedrohung und Krankheit und Erschöpfung akti-viert wird. Dem gegenüber steht das Explorationsverhaltenssystem, das dem Kind dazu verhilft, sich von der Bezugsperson zu entfernen und eigene Erfahrungen in und mit der Umwelt zu machen (Bowlby, 1997).

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Je nach Reaktionen, die ein Kind auf sein Bindungsverhalten durch die primäre Bezugsper-son erfährt, werden qualitativ unterschiedliche Bindungsmuster zu anderen Bindungsperso-nen ausgebildet (Ainsworth, Blehar, Waters & Wall, 1978, zit. nach Remmel et al., 2006, S. 47). und als Erwartungen „abgespeichert“. 2. Ainsworth und ihrer Arbeitsgruppe gelang es drei Muster von Bindungsverhalten zu diffe-

renzieren. Das vierte Muster der „desorganisierten/desorientierten Bindung“ wurde durch Main & Solomon (1986) später ergänzt.

1. Sichere Bindung : Das Kind kann positive und negative Gefühle bei Stressfaktoren

(wie z.B. Trennung) zeigen und wendet sich nach Beruhigung wieder dem Spiel, also der Exploration zu.

2. Unsicher-vermeidende Bindung : Kontaktvermeidung, unterdrückt negative Gefühle auf Verhaltensebene, ignoriert Bindungsperson nach Wiedervereinigung.

3. Unsicher-ambivalente Bindung: ausgeprägte Affektreaktionen (Angst, Wut), Stress und schlechte Beruhigung, wenn Bezugsperson sich entfernt, sucht gleichzeitig aber Kontakt du Nähe bei gleichzeitiger Abwendung von der Bezugsperson bei Wieder-annäherung.

4. Desorganisierte/desorientierte Bindung: verfügt bei Trennung über keine Verar-beitungsstrategien, kann weder Nähe herstellen noch Ablenkung suchen.

Bei den unsicheren Bindungen herrscht im weiteren Lebenslauf eine gewisse Vulne-rabilität in der dysfunktionellen Affektregulation (Magai, 1999, zit. nach Buchheim, 2005), während bei der Desorganisation Kinder wie auch Erwachsene mit einer hö-heren Wahrscheinlichkeit psychopathologische Entwicklung vorweisen (Lyons-Ruth & Jacobvitz, 1999, zit. nach Buchheim, 2005).

3. Jeder Mensch hat überdauernde Bilder, die die verinnerlichten Beziehungserfahrungen

repräsentieren. Diese nennt Bowlby „inner working models“ (1975). Sie enthalten affekti-ve und kognitive Komponenten. Diese Modelle beinhalten Vorstellungen der Person selbst, der Bindungspersonen und den Beziehungen und werden so fortan im Bezie-hungsverhalten reproduziert. Das Bindungsverhalten von früher wird also auch in neuen sozialen Beziehungen beibehalten. Dies würde die Ambivalenz der Borderliner von ge-suchter Nähe und darauffolgender Distanzierung besser erklären.

In der Vorgeschichte von Borderline-Patienten werden gehäuft frühe Trennungen und Verluste berichtet. Studien mit Borderline-Patienten deuten darauf hin, dass die Patienten überproportional häufig eine verstrickte Bindungsrepräsentation (=unsicher-ambivalente Bindung) aufweisen, und ein ebenso überdurchschnittlicher Prozentsatz fiel in die Kategorie „ungelöstes Trauma“ (Fonagy, Leigh, Steele, Steele, Kennedy, Mattoon, Target & Gerber 1996; Patrick, Hobson, Castle, Howard & Maughan, 1994). Ebenso wird angenommen (s. Fonagy, Target & Gergely, 2000), dass Borderline-Patienten vor dem Hintergrund früher traumatischer, äusserst instabiler Bindungserfahrungen mit ihren Bezugspersonen nicht die Fähigkeit erlangt haben, polare Affektzustände zu integrieren – was für die Entwicklung ei-ner stabilen, sicheren Bindungsbeziehung notwendig wäre. Das Beibehalten von „inner working models“ bis ins Erwachsenenalter liefert möglicherweise eine Erklärung für das ambivalente Beziehungsverhalten der Borderline-Personen von Nähe und Distanz. Zudem weisen Ross, Lamott und Pfäfflin (2002) darauf hin, dass ebenfalls das Reflexions-vermögen „gehemmt“ oder „verfälscht“ werden kann, wenn die wichtigen Bindungsfiguren in der Kindheit wenig empathisch und feinfühlig gewesen waren. Daraus ableitend wird die Borderline-Störung auch als eine Mentalisierungsstörung verstanden. Mentalisierungsfähig-keit bedeutet hier die Fähigkeit, Bewusstseinszustände von anderen oder eigene zu erken-

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nen und kognitiv wie affektiv interpretieren zu können. Ohne diese fehlt die Grundlage für eine Abschätzung der Konsequenzen eines Verhaltens und für ein Verantwortungsgefühl bezüglich des eigenen Handelns. Das Denken des Kindes wird durch das Denken der primären Bezugsperson im Entstehen mitgeformt. Fehlt den Bezugspersonen genügend Mentalisierungsfähigkeit (,weil sie selbst geängstigt, zu sehr mit sich beschäftigt oder traumatisiert sind usw.) unterbleibt diese Ent-wicklung oder bleibt rudimentär. Das Denken, Fühlen, Handeln des anderen kann somit nicht reflektiert werden; d.h. auch der andere kann als Objekt innerlich nicht repräsentiert werden und bleibt somit wie ein fremdartiger, bedrohlicher „alien other“ (nach Fonagy, 1991) präsent. Aus dieser Perspektive lässt sich das instabile Identitätsgefühl von Borderline-Patienten aufgrund instabiler ambivalenter Repräsentanzen von sich und anderen Objekten erklären, die sie entweder idealisieren oder ärgerlich anklagen. Nach Fonagy et al. (2000) haben die-se Patienten schematische, rigide Vorstellungen von anderen, die nicht reflektiert werden, weil das „Mentalisieren“ zu bedrohlich wäre. Insbesondere bei Borderline-Patienten mit traumatisierenden Bezugspersonen in der Vergangenheit haben die Mentalisierungsfähig-keit selbst blockiert, um weiter mit der sie misshandelnden Person existieren zu können (Fonagy et al., 2000). Die Neigung von Borderline-Personen zur Impulsivität sehen Fonagy et al. (2000) ebenfalls als Folge eines unterentwickelten (abgewehrten) Bewusstseins von inneren Zuständen (in Bezug auf sich selbst und andere Personen). Interessant ist aus dieser Perspektive, die therapeutischen Massnahmen abzuleiten. Aufga-be des Therapeuten müsste es demnach sein, den internalisierenden Schritt des Objektes dadurch nachzuholen, dass er den Patienten mitteilt, was in deren Inneren vorgeht (Fonagy, 1991). Zudem soll der Patient den Therapeuten als denkendes und fühlendes Wesen „echt“ wahrnehmen, um Selbst- und Objektrepräsentanzen integrieren zu können. Beide Prinzipien bilden eine wichtige Grundlage des TFP-Ansatzes. (siehe Kapitel 7.1. Psychoanalyse: Übertragungsfokussiertes Therapiekonzept TFP) Kurz erwähnt soll in diesem Zusammenhang ein interessanter interpersonaler Ansatz von Benjamin (2001) werden, der zukünftig an Bedeutung gewinnen dürfte. Mittels der von ihr entwickelten Strukturanalyse (SASB) beschreibt sie typische intrapsychische und interper-sonelle Muster von Persönlichkeitsstörungen auf einer Zuneigungsdimension (Liebe – Hass, von feindselig bis freundlich zugeneigt), einer Statusdimension (Unterscheidung – Verstri-ckung, Autonomie – Kontrolle) sowie hinsichtlich dreier Aufmerksamkeistfoki (Andere, Selbst, Introjekt). Pathologische Muster werden nach Benjamin gemäss Konditionierungs-prinzipien in früheren Bindungen erlernt. Die SASB-basierende Therapie zielt darauf ab, den Patienten erfahrbar zu machen, dass die pathologischen Muster vor dem Hintergrund bio-grafischer Erfahrungen Sinn machen. Letztendlich soll dem Betroffenen ermöglicht werden, sich – häufig in einem Weitere Erforschungen des Zusammenhanges von interpersonalen Eigenschaften und Problemen mit spezifischen Bindungserfahrungen, könnten sich zudem dazu eignen, Per-sönlichkeitsmerkmale und –störungen genauer zu beschreiben und letztendlich auch Per-sönlichkeitsstörungen besser zu differenzieren.

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6.4 Bio-psycho-soziale Ansätze Die wohl bekanntesten und heutzutage in der Therapie genutzten Entstehungsmodelle basieren auf bio-psycho-soziale Ansätzen („Biopsychosoziales Modell“ nach Engel, 1977, 1980) Sie stellen den Versuch dar, verschiedene Ursachen für psychische Störungen in einem integrativen Konzept zu vereinen. Dittmann et al. (2002) unterscheiden dabei biosoziale Lerntheorien, kognitionstheoretische Ansätze und das Vulnerabilitäts-Stress-Modell. Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell (Synonym: Diathese-Stress-Modell) geht von einer genetischen Vulnerabilität aus und erklärt, warum Patienten, konfrontiert mit denselben Stressoren, unterschiedliche psychische Störungen entwickeln. (Cloninger, 1999). Vulnerabilität bedeutet Verwundbarkeit und Verletzlichkeit, Diathese entspricht dem deutschen Begriff Krankheitsbereitschaft. Vulnerabilität lässt sich nicht direkt „messen“ oder beobachten, denn sie ist als theoretisches Konstrukt gedacht und kann durch Wahrscheinlichkeitsaussagen über beobachtbare oder rekonstruierbare Personen- oder Lebensdaten bestimmt und dann näherungsweise quantifiziert werden. Dieses ursprünglich für die schizophrenen Störungen konzipierte Modell ist zwischenzeitlich auch auf andere Störungsgruppen ausgeweitet und zum Teil modifiziert worden. Die Erkrankung an einer BPS geht nach dieser Modellvorstellung auf eine erhöhte Vulnerabilität (Krankheitsbereitschaft) zurück. Diese Vulnerabilität macht die Person dann besonders empfindlich, labil und verletzlich gegenüber sozialen Anforderungen und Stress(situationen). Die erhöhte Vulnerabilität wird auf eine genetische Disposition und/oder frühe Traumatisierungen zurückgeführt. So ist die Vulnerabilität einerseits abhängig von einer diathetischen Prädisposition, wobei unter Diathese das ungünstige Zusammenwirken von Erbeinflüssen und/oder von prä-, peri- oder postnatalen Traumata verstanden wird, die dann als diathetische Vulnerabilität die weitere Persönlichkeitsentwicklung präformiert. Andererseits wird die Vulnerabilität bestimmt durch eine psychosoziale Überformung der Diathese. Als Bedingungen einer solchen psychosozialen Prädisposition werden ungünstige wie günstige familiäre, erzieherische und soziale Einflüsse auf die frühkindliche Persönlichkeitsentwicklung beschrieben und untersucht. Dabei scheinen Misshandlungen, Inzesterfahrungen, Gewalttätigkeit und kriminelle Handlungen der Eltern eine besondere Rolle zu spielen (Giernalczyk, 2005; Merod, 2005a). Im Grunde geht dieses Modell von der Interaktion bestimmter Dispositionen der Person und belastender Sozialisationserfahrungen aus. Durch diese Konzeption wird die Borderline-Persönlichkeitsstörung als interpersonelles Problem verstehbar. Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell fasst die Borderline-Persönlichkeitsstörung vorrangig als Störung im zwischenmenschlichen Beziehungsverhalten auf und stellt sie in Zusammenhang mit sozialen Konflikten, Krisen und deren Extremisierungen (=Stress). Besondere Verhaltensweisen der Person werden unter dieser Perspektive als individuelle Reaktionen auf belastende Anforderungen verstanden und können sogar als persönliche Kompetenz, auf Krisensituationen zu reagieren, interpretiert werden. Sie lassen sich damit auch als Teil eines Bemühens begreifen, geenüber diesen Belastungen und Krisen zu bestehen und/oder die eigene Vulnerabilität zu schützen. Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell ermöglicht „unangepasstes Verhalten“ als einen Selbstschutz der Person zu verstehen. der oft von den Bezugspersonen so nicht nachvollzogen werden kann. Viele der von den Betroffenen gewählten zwischenmenschlichen Verhaltensweisen sind für die Bezugspersonen gar nicht als Vulnerabilitätsschutz verstehbar. Zu diesen Verhaltensweisen gehören nach Merod (2005a) Rückzug aus sozialen Beziehungen, fehlendes Einfühlungsvermögen, spontane

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Emotionsdysregulation

Invalidierende Umwelt

Emotionale Verletzbarkeit • niedrige Schwelle für emotionale Reaktionen • überschiessende Affekte • verlangsamter Rückgang zur emotionalen Baseline

Kognitive Instabilität

Instabile interpersonelle Beziehungen

Behaviorale Instabilität

Instabile Identität

Rollenfluktuationen oder aggressive Abwehr sozialer Anforderungen. Indem diese vielmehr als Verletzungen interpersoneller Umgangsformen interpretiert werden, erzeugen sie gerade deshalb jene Ablehnung, Kritik und Feindseligkeit, von denen sich die Betroffenen zu schützen suchen. Das Ausmass der Störung hängt also auch davon ab, ob und wie die Betroffenen bei ihren Angehörigen oder Mitmenschen Verständnis, Akzeptanz und sozialen Rückhalt finden. (Fiedler, 2000; Merod, 2005a).

6.4.1 Das dialektisch-behaviorale Entstehungsmodell nach M. Linehan („Diathese-Stress-Modell“, von Linehan abgeleitet)

Der dialektisch-behaviorale Ansatz beruht auf biosozialen Theorien (Linehan, 1996) und vertritt das Diathese-Stress-Modell (s. Kap. 6.4). Unterdessen ergänzt Linehan die ursprüng-liche Sicht um die kognitive Theorie und übernimmt somit die Sicht des neurobehavioralen Entstehungsmodells. Nach Linehan (1996) liegt das Kernphänomen der Borderline-Störung in der Dysfunktion des emotionsregulierenden Systems, die als Folge biologischer Unregel-mässigkeiten in Kombination mit bestimmten Umweltbedingungen (Linehan bezeichnete sie als „invalidierende Umgebung“) entsteht. Folgende Abbildung veranschaulicht dies.

Abb. 3. Ätiologische Aspekte der Borderline-Symptomatik nach Linehan (1996) Die emotionale Fehlregulation lässt sich auf eine hohe emotionale Verletzbarkeit (Vulne-rabilität) und eine Unfähigkeit, Gefühle zu steuern , zurückführen (s. Kap. 4.5). Diese beschriebene emotionale Verletzlichkeit wird in diesem Erklärungsansatz nicht als eine „Störung“ im eigentlichen Sinne betrachtet, die man behandeln oder beseitigen muss, sondern wird als Faktor betrachtet, den man nicht verändern kann.

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Diese Veranlagung besteht sehr wahrscheinlich bereits von Geburt an als eine biologische Prädisposition, die bewirkt, dass die Schwelle für die Aktivierung der limbischen Strukturen bei Borderline-Patienten niedriger ist (s. Kap. 6.1). Die neuronalen Strukturen, die mit emotionalem Verhalten verbunden sind, werden aber auch von Umwelterfahrungen eines Menschen beeinflusst. Die Beziehung zwischen trau-matischen Umweltereignissen (z.B. sexueller Missbrauch) und der Regulierung der Emotio-nen ist im Fall der BPS besonders augenfällig. (Deneke, 1999, s. Kap. 4.5) Eine „gute Übereinstimmung“ oder eine „schlechte Übereinstimmung“ zwischen dem Kind und der Umwelt ist nach Linehan (1996) von grundlegender Bedeutung für das Verständnis des späteren Verhaltens. Im Falle einer „schlechten Übereinstimmung“ spricht Linehan von einer „invalidierenden Umgebung“, die die Entwicklung des Kindes beeinträchtigt und eine Borderline-Störung fördern kann. In einer invalidierenden Umgebung wird auf das Mitteilen von persönlichen (meist auch ne-gativen) Erfahrungen und Gefühlen in unangemessener Weise reagiert. Das Mitteilen wird demnach nicht ernst genommen, sondern stattdessen häufig bestraft und/oder ignoriert. Damit wird der betreffenden Person signalisiert, dass sowohl die Beschreibung als auch die Analyse ihrer Erfahrungen falsch sind, insbesondere hinsichtlich dessen, was sie fühlen, denken und wie sie handeln. Zu invalidierenden Erfahrungen zählt Linehan (1996) als extremstes Beispiel den sexuellen Missbrauch und die körperliche Misshandlung. Weitere prototypisch invalidierende Erfah-rungen sind u.a. fehlende oder nicht-kongruente Imitation des emotionalen Ausdruckverhal-tens des Kleinkindes (s. Bindungsmuster, Kap. 6.3). Wie lernt ein Kind überhaupt, was Angst, Wut oder Trauer ist? Wie lernt es Kontrolle über Gefühle? Es sind in der Regel die Eltern, die ihrem Kind mitteilen, welche Emotion es gera-de erlebt. Wenn ein Kind sich vor einem Fremden fürchtet, teilen ihm die Eltern mit, dass es keine Angst zu haben braucht, beruhigen es, indem sie den Abstand zur Person vergrössern oder das Kind hochnehmen, um ihm Sicherheit zu vermitteln. Sie geben ihm Zeit, um sich an die Situation zu gewöhnen und die Angst langsam zu verlieren. Wenn ein Kind sich lauthals ärgert, weil das Spiel zu Ende ist und das Zubettgehen bevor-steht, können die Eltern dieses Verhalten entsprechend als Ärger einordnen. Sie verstehen, warum sich das Kind ärgert, und versuchen, es abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen, damit es sich beruhigt. Die Eltern interpretieren also den Gesichtsausdruck des Kindes, sein Verhalten und die Si-tuation, in der das Ganze stattgefunden hat als für das Kind ärgerliche Situation und geben entsprechend Rückmeldungen bzw. bieten Methoden an, wie man mit diesen Gefühlen um-gehen kann. Als Eltern sind sie natürlich gleichzeitig auch die wichtigsten Vorbilder im Um-gang mit Gefühlen („Lernen am Modell“, Bandura, 1976). Allerdings gibt es häufig Familiensituationen, in denen die Eltern selbst sehr belastet oder psychisch beeinträchtigt sind und aus diesen Gründen nicht oder nicht angemessen auf kindliche Gefühle eingehen. Das passiert bereits in „gesunden“ Familien häufig. Umso schwieriger ist die Situation, wenn Eltern ein Kind mit einer intensiven Emotionalität erzie-hen. Hier reagieren die Eltern oder Bezugspersonen häufig mit Unverständnis. Linehan (1996) benennt hierzu insbesondere drei Arten von Familienstrukturen, die bei ei-nem Kind mit emotionaler Dysregulation zur Entwicklung einer Borderline-Symptomatik bei-tragen können. Dies sind:

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• Die chaotische Familie mit emotionaler und physischer Vernachlässigung • Die perfekte Familie mit fehlender Toleranz von negativen Gefühlsäusserungen seitens

des Kindes • Die kontrollierende Familie , die das Verhalten des Kindes dergestalt formt, dass es

den Vorstellungen der Familie anstatt den kurz- und langfristigen Bedürfnissen des Kin-des entspricht.

Wenn Eltern die Gefühle ihrer Kinder nicht mehr einordnen können, teilen sie ihnen verbal oder nonverbal mit: „Ich verstehe nicht, warum du so reagierst. Ich habe keine Ahnung, was in dir vorgeht.“ Sie erklären somit die Gefühle ihrer Kinder für ungültig, sie „invalidieren“ sie. Beispiele für invalidierende Rückmeldungen an die Kinder (und später auch an die Erwach-sene) gibt es viele: • „Reiss dich zusammen“ • „Wage es ja nicht zu weinen“ • „Du bist wieder einmal völlig hysterisch.“ • „Du solltest mir eigentlich dankbar sein, dass ich dich unterstütze.“ Reaktionen dieser Art gibt es immer wieder in jeder Familie. Wenn jedoch Kinder eine sehr starke emotionale Verletzlichkeit besitzen, deshalb häufig Schwierigkeiten in ihrer Gefühls-regulation haben, und dann auch noch sehr häufig Unverständnis für ihre Reaktionen ern-ten, kann dies nachhaltige Konsequenzen haben. Am bedeutsamsten erscheinen hier nach Linehan (1996) • Schwierigkeiten in der Benennung und Kontrolle von Gefühlen • Defizite in der Fähigkeit, unangenehme Situationen zu ertragen und realistische Erwar-

tungen aufzubauen • Mangelndes Vertrauen in die eigenen emotionalen und kognitiven Reaktionen • Entwicklung extremer Gefühlsäusserungen und Probleme als einzige Möglichkeit, eine

unterstützende Reaktion der Umwelt zu provozieren Dies führt zu Instabilitäten auf kognitiver und Verhaltens-Ebene sowie in der Ich-Struktur (Identität) und belastet die interpersonellen Beziehungen. So kommt es, dass sich ein System von einer Interaktion zwischen einem etwas verletzba-ren Kind und einer leicht invalidierenden Familie hin zu einer Interaktion zwischen sehr emp-findlichen, verletzbaren und sich gegenseitig invalidierenden Personen entwickeln kann.

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Störung der Affektregulation

(hohe Grundspannung) (starke Auslenkung)

Hohe Dissoziationsneigung

Löschungsresistenz

Dysfunktionale Grundannahmen

inkompatible Schemata

Frühere Traumata Neurobiologische Prädispositionen

Rückgriff auf dysfunktionale Bewältigungsstrategien (Selbstschädigung)

6.4.2 Das neobehaviorale Entstehungsmodell Neobehaviorale Störungsansätze beruhen auf drei Paradigmen: der Lerntheorie, der kogni-tiven Theorie und der Neurobiologie. Beck et al. (1993) stellen besonders starre und nicht flexibel nutzbaren kognitiven Schemata auf der Basis einer gegebenen Vulnerabilität ins Zentrum ihrer Erklärung der BPS.

Abb.4. Das neurobehaviorale Entstehungsmodell (Bohus & Schmahl, 2001) Das neurobehaviorale Entstehungsmodell ist ebenfalls ein integratives, auf dem Diathese-Stress-Modell basierender Ansatz. Es postuliert, dass sich über ein Zusammenwirken von neurobiologischen Faktoren mit psychosozialen Variablen dysfunktionale kognitiv-emotionale Schemata und Grundannahmen (z.B. „Ich bin ein schlechter Mensch“, verbun-den mit Schuldgefühlen) entwickeln (s. Abb. 2 „Pathogenetische Wirkfaktoren der Entste-hung von BPS“ nach Frauenknecht & Lieb, 2005). Die Einflussgrössen frühere Traumata und neurobiologische Prädispositionen wirken ver-stärkend auf die Störung der Affektregulation (d.h. es tritt sehr schnell eine sehr heftige emo-tionale Reaktion auf, die nur langsam wieder abklingt, s. Kap. 4.5). Dies wiederum führt zu einer hohen Dissoziationsneigung und beeinträchtigt das assoziative Lernen , sowie die Verknüpfung neuer und alter Erfahrungen. Diese sog. „Störung des kontextabhängigen Ler-nens“ (Bohus, 2002, S. 15) führt dazu, dass widersprüchliche „dysfunktionale Grundannah-men“ erlernt und angewendet werden. Dies führt meist zu einer realitätsfernen, inadäquaten Interpretation einer Situation (z.B. „Ich habe es verdient, dass sie mich so schlecht behan-

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deln.“) und einer ebenso inadäquaten Bewältigungsstrategie (z.B. Demonstration von Hilflo-sigkeit, Selbstverletzung, Fressanfälle, s. Kap. 4.5). Die dysfunktionalen Problemlösestrategien erbringen zwar eine vorübergehende Linderung des subjektiven Leidens, mittel- oder langfristig fördern sie jedoch die weitere psychische Labilisierung (z.B. depressive Syndrome durch gestörtes Essverhalten, Rückzug von Bezugspersonen wegen „Überlastung“ durch den Betroffenen). Frauenknecht und Lieb (2005, S. 309) weisen zudem darauf hin: „Die dysfunktionalen Schemata und Muster verhindern …, dass positive, adäquate Lernerfahrungen gemacht werden und frühere traumatische Erlebnisse verarbeitet und relativiert werden können.“ Daraus entsteht ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber anderen Menschen, und die Welt wird als bedrohlich und unberechenbar taxiert.

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7. Ausgewählte resp. gängige Therapiekonzepte Therapieansätze zur BPS gibt es zahlreiche. Wir beschränken uns im Folgenden auf diejenigen, die aufgrund langjährigen Erfahrungen und Studien wichtige therapierelevante Erkenntnisse liefern, auf einem Ätiologiekonzept aufbauen und für das Therapiekonzept IKP von besonderer Relevanz sein können. Darunter fallen die „Übertragungsfokussierte Therapie TFP“ aus der psychoanalytischen Therapierichtung mit besonderer Berücksichtigung des psychodynamischen Vorgehens und die verhaltenstheraputisch ausgerichtete „Dialektisch-Behaviorale Therapie DBT“ mit ihrer durchdachten und bereits sehr gut ausformulierten Therapiekonzeption. Von besonderem Interesse war die Suche nach BPS-Therapiekonzepten der Körperpsychotherapie. Aber auch die „Psychodynamisch imaginative Traumatherapie PITT“ der BPS liefert wertvolle Konzeptideen für die BPS-Behandlung.

7.1. Psychoanalyse: Übertragungsfokussiertes Therap iekonzept TFP

7.1.1 Theoretischer Hintergrund und Therapiesetting Die Übertragungsfokussierte Psychodynamische Psychotherapie (engl. Transference-Focused-Psychotherapy, TFP) stellt basierend auf dem objektbeziehungstheoretischen Verständnis der Persönlichkeitsstörungen von Otto F. Kernberg ein manualisiertes störungsspezifisches Behandlungskonzept dar. Ein erstes Behandlungskonzept erschien 1989 (Kernberg, Selzer, Koenigsberg, Carr & Applebaum, 1989). Zum Indikationsgebiet der TFP gehören gemäss Kernbergs Konzeption nicht ausschliesslich „emotional instabile Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typus“, sondern auch Schizoide PS, Schizotypische PS, Paranoide PS, Histrionische PS, Narzisstische PS, Antisoziale und Abhängige PS (s. Kernberg-Modell, Kap. 4.1) Der TFP-Therapieansatz hat sich in einem langjährigen wissenschaftlichen und klinisch-therapeutischen Prozess entwickelt. Er arbeitet mit den psychoanalytischen Techniken der Klärung, Konfrontation und Deutung unbewusster biografischer Objektbeziehungen, die sich in der Übertragung und Gegenübertragung der therapeutischen Beziehung im Hier und Jetzt manifestieren. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Affekte früherer internalisierter Beziehungsmuster gespeichert sind und symbolisch immer wieder hergestellt werden und als aktuelle Realität erlebt werden. Der Therapeut stellt sich somit als Übertragungsobjekt zur Verfügung, damit die vom Patienten abgespaltenen Selbstanteile (Wut, Selbstaggression) im Setting reinszeniert und von ihm als solche erkannt werden können. Das Fokussieren auf die Übertragung verlangt vom Therapeuten, sich konstant zu fragen: • Warum sagt der Patient mir das zu eben diesem Zeitpunkt? • Und was macht der Patient gerade mit mir?

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Um sich diesen Fragen zuzuwenden, muss er seine Gegenübertragung, das heisst seine eigenen inneren Reaktionen auf den Patienten, ebenso wie die primitiven Abwehrmechanismen mitberücksichtigen. Bewusstmachen und Erkennen der getrennten Selbst-Objekt-Dyaden ermöglicht nach TFP-Ansicht das Aufsteigen in eine höhere funktionelle Stufe. Das heisst im Mittelpunkt der Therapiearbeit steht die Beziehungsstörung des Patienten mit dem Ziel, über Analyse der Übertragung und einem anschliessenden Erkenntnisprozess des Patienten dessen strukturelle Ich-Schwäche zu korrigieren. Der TFP-Therapieansatz wendet hiermit im Gegensatz zur Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) (s. Kap. 7.2) keine supportiven Elemente (Ratschläge geben, Ermutigen) an. Das TFP-Verfahren ist hauptsächlich für Einzelbehandlungen im ambulanten Bereich konzipiert worden, kann aber auch als Methode im stationären Setting angewandt werden (Martius, Merod & Lettner, 2003). Da das Konzept aber gewisse Ansprüche an den Grad der Selbsterfahrung und den tiefenpsychologischen Kenntnisstand stellt, kann es nicht ohne weiteres wie bei der DBT (s. Bohus, 2002) auf allen therapeutischen Ebenen eingesetzt werden. Auch wurde 1998 von Kernberg ein gruppentherapeutisches Konzept entwickelt. Dessen Anwendungserfahrungen zeigen, dass sich im Gruppenprozess die inszenierten und abgewehrten Objekt-Beziehungs-Dyaden offensichtlich gut benennen und vermitteln lassen, und dass ein reflexiver Prozess in der Borderline-Gruppe so in Gang gesetzt werden kann (siehe Unterschied zu DBT).

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7.1.2 Die 3 Säulen der Therapieprinzipien Die TFP zeichnet sich dadurch aus, dass sie in Form eines lern- und lehrbaren Manuals aufgebaut ist, das insbesondere auch die schwierige Anfangsphase der Therapie und Krisensituationen berücksichtigt. Dieses Manual sieht (wie auch die DBT) ein hierarchisches Vorgehen vor, insbesondere in Bezug auf. therapiegefährdendes Verhalten – will aber nicht als eine starre Anleitung „von Stunde zu Stunde“ verstanden werden, sondern beschreibt die wesentlichen Prinzipien des Verfahrens. Ziel ist es, die Basiselemente der TFP für die gesamte Behandlung, die einzelnen Therapiestunden und Interventionen flexibel und doch konsequent zu gestalten. Die TFP basiert auf drei grundlegenden Elementen/Säulen, die als „roter Faden“ der TFP gelten: Tab. 8. Die drei Säulen der TFP

Elemente/Säulen der TFP Bezieht sich auf: Inhalt

Strategische Prinzipien gesamte Therapie Ziel 1: Definition der dominierenden Objektbeziehung Ziel 2: Beobachten/Deuten der Rollenwechsel des Patienten Ziel 3: Beobachten/Deuten von Verbindungen zw. Objektbeziehungen Ziel 4: Integrieren der gespaltenen Teilobjekte

Taktisches Vorgehen einzelne Sitzung 1. Auswahl eines Hauptthemas unter Berücksichtigung von Notfällen (Suizid, Fremdgefährdung)

2. Schutz des therapeutischen Rahmens 3. Technische Neutralität des Therapeuten 4. Intervenieren auf Grundlage einer

gemeinsamen geteilten Realität 5. Analyse ausgeprägter negativer (entwertender)

und positiver (idealisierender) Aspekte der Übertragung

6. Systematische Analyse unreifer Abwehrmechanismen in der Übertragung

7. Kontinuierliche Beachtung der Gegenübertragung und Integration der Erkenntnisse in den Deutungen

Interventionstechniken therapeutischen Moment

1. Klärung 2. Konfrontation 3. Deutung

Vgl. Dammann, G., Buchheim, P., Clarkin, J.F. & Kernberg, O.F. (2001), Martius (2005) Strategische Prinzipien Um die dominierenden Objektbeziehungsmuster erkennen zu können, versucht der TFP-Therapeut das oft verwirrende und verworrene Informationsmaterial des Borderline-Patienten von Gefühlen, Wünschen, Befürchtungen zu sammeln, um das Auftreten von „Rollen“ besser zu verstehen. Die mit dem Auftauchen von intensiven Affekten schnell

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wechselnden Rollen der Borderline-Patienten (von Opfer zu Täter, von der wehrlosen zur aggressiven Person, von der idealisierenden zur entwertenden Person) führen den Therapeuten zu den inneren Repräsentanten und dominierenden Objektbeziehungen des Patienten. Sobald die „Rollen“ ausreichend klar sind, versucht er diese so zu benennen, damit der Patient die Verbindung zwischen seinen Affekten und den beteiligten Selbst- und Objektbeziehungen kennenlernt. Zum Beispiel: „Als Sie mir gerade beschrieben haben, dass Sie so unter Druck waren, dass nur das Schneiden Ihnen helfen konnte, fiel mir auf, dass Sie gleichzeitig gelächelt haben. Wie erklären Sie sich das?“ Die Reaktionen des Patienten darauf sind für den Therapeuten für das weitere Vorgehen und die Interaktion entscheidend. Eine Abwehr/Leugnung von unterschiedlichen Rollen kann zu einer weiteren Verstärkung führen, während die Einsicht in abgespaltene Teile der Psyche eine „gemeinsame Realität“ zwischen Therapeut und Patient erschafft und die Integration abgespaltener Teile möglich macht. Die Integration von dissoziierten positiven und negativen Sichtweisen von sich und anderen erfolgt während der Therapie durch die ständige Aufdeckung dieser Aspekte im Hier und Jetzt. Das Zusammenbringen von „nur guten“ und „nur bösen“ Seiten braucht zunächst Monate, später nur noch Wochen und Tage. Der Erkennensprozess beim Patienten kann gemäss TFP also nur in der realen Beziehung zum Therapeuten erfolgen. Das stellt für den Therapeuten eine hohe Herausforderung dar, weil an ihm Übertragungsprozesse ablaufen, die wiederum eine Gefahr von Gegenübertragungen in sich bergen. Deshalb sind regelmässige (wöchentliche bis 14-tägliche) Supervisionen in der Gruppe für den Therapeuten ein Muss. Die Supervision wird von einem mit dem Verfahren vertrauten Psychoanalytiker geleitet, ist aber durchaus auch eine Art Intervision, da die meisten Teilnehmenden klinisch erfahren sind. Für die Supervision werden in der Regel Video- oder Tonbandaufnahmen der Sitzungen mit den jeweiligen Patienten verwendet. Taktisches Vorgehen Die sieben Regeln zum taktischen Vorgehen der TFP-Behandlung sollen den Therapeuten darin unterstützen, seine Interventionen innerhalb einer Therapiesitzung zu strukturieren und zielorientiert anzuwenden. In erster Linie soll die Haltung des Therapeuten von der Aufmerksamkeit geprägt sein, welche Abweichungen von einer „normalen“ zwischenmenschlichen Interaktion zwischen ihm und dem Patienten vorliegen und welche Ursachen dies in der Objektbeziehungswelt des Patienten haben könnte. Obwohl sich das Vorgehen eindeutig an die psychoanalytische Behandlungsmethode orientiert, verändert sie diese (anlehnend an andere Konzepte, wie z.B. die DBT) aber in einigen Punkten. Dies gilt für 1. die Festlegung der Themen, die vorrangig behandelt werden müssen 2. das Setzen von Grenzen gegenüber Verhaltensweisen des Patienten (bei neurotischen

Patienten häufig nicht nötig) 3. den Umgang mit der technischen Neutralität (im Setting und des Therapeuten) Bezüglich der Themen, die bearbeitet werden, gibt es eine Prioritätenliste, unter der zu finden ist: • Suizid- und Morddrohungen • Gefährdungen für eine Fortsetzung der Therapie (finanzielle Schwierigkeiten, Wünsche,

Sitzungsfrequenz zu reduzieren) • Unehrlichkeit oder absichtliches Verschweigen von Informationen • Verletzungen des Therapievertrages (z.B. Anrufe gegen Absprachen)

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• Agieren während den Sitzungen (Sachbeschädigung in der Praxis, Schreien und Wutausbrüche)

• Agieren zwischen den Therapiesitzungen (manipulative Notfallsituationen) • Ausweichen auf emotional nicht bedeutsame oder triviale Themen Alle anderen Themen können erst vertieft werden, wenn bezüglich obiger Punkte Klarheit herrscht. Dies wird mit dem Patient besprochen und vereinbart. Grundsätzlich bestimmt der Patient die Tagesordnung. Davon kann aber dann abgewichen werden, wenn dysfunktionale Verhaltensweisen die Therapie gefährden. Zeigt sich, dass der Patient die Vereinbarungen nicht einhält, werden die Gründe dafür geklärt (z.B Unehrlichkeit wegen Therapieabwehr usw.). Je nachdem folgen (vorher besprochene) Sanktionen, eine Vertragsänderung oder ein Therapieabbruch verbunden mit dem Vorschlag einer anderen Behandlung. Die therapeutische Haltung der Neutralität ist ein kontroverses Thema. Bei Borderline-Patienten scheint es uns schwierig, das Verständnis für die positiven und negativen Seiten zu wahren. Insbesondere aggressive und feindselige Verhaltensweisen des Patienten können den Therapeuten darin fordern, gleichzeitig Verständnis für das Auftreten und die Ursachen zeigen und eventuell auch strikte Grenzsetzungen in der Therapie vornehmen zu müssen. Interventionen Die Techniken des Verfahrens beinhalten die technisch neutralen psychoanalytischen Prinzipien der Klärung, Konfrontation und Deutung. • Die Klärung hilft festzustellen, wie weit der Patient die Dinge, über die er spricht, selbst

verstehen kann und auch differenzieren lernt. Ein Beispiel ist: „Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, dass sie eine „ganz normale Erziehung“ hatten?“

• Bei der Konfrontation wird Widersprüchliches und Konflikthaftes taktvoll dem Patienten mitgeteilt, damit er Diskrepanzen zwischen den drei in der TFP genutzten Kommunikationskanälen (verbalen, nonverbalen und Übertragung/ Gegenübertragung) erfahren kann.

• Die Deutung erfolgt im Hier und Jetzt und ist vorwiegend auf die Therapeuten-Patienten-Beziehung ausgerichtet Sie dient dem Bewusstmachen von noch unbewusst wirksamen Objektbeziehungen. Sie sollen vom Therapeuten klar formuliert sein, rasch erfolgen und angemessen mitgeteilt werden.

7.1.3 Therapieverlauf und Therapiephasen TFP als eine mehrjährige Therapie geht wie die meisten therapeutischen Behandlungen davon aus, dass sich die Therapie in eine Anfangs-, eine mittlere und eine Abschlussphase einteilen lässt. Diese drei Phasen sind dabei weniger strikt zeitlich begrenzt als vielmehr durch ein Vorherrschen spezifischer Themen und Vorgehensweisen bestimmt.

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Entscheidender Pfeiler für die TFP-Therapie ist hingegen die Vorphase vor eigentlichem Therapiebeginn. Darin werden nebst diagnostischen Abklärungen die Therapievertragsvereinbarungen definiert, mit denen der Patient einverstanden sein muss. TFP unterschiedet also: • Vorphase: Diagnostik und Therapievertrag • Frühe Therapiephase • Mittlere Therapiephase • Schlussphase der Behandlung Vorphase: Diagnostik und Therapievertrag Eine Besonderheit der TFP – wie schon erwähnt – ist die Vorphase der Behandlung. In der sorgfältigen Diagnostik werden nebst der ICD10- und/oder DSM-lV-Klassifikation zusätzlich die Untersuchung der psychodynamischen Struktur des Patienten mit Hilfe des „strukturellen Interviews“ (Kernberg, 1981) vorgenommen. Es nimmt eine Mittelstellung zwischen einem psychiatrischen Interview und einem psychoanalytisch-psychodynamischen Erstinterview ein (Buchheim, Cierpka, Kächele & Jimenez, 1987). Im Laufe der Zeit wurde es zum „Structured Interview of Personality Organization“ (STIPO) von Clarkin (2003, zit. nach Buchheim, Kernberg, Clarkin, Yeomans & Doering, 2006) weiterentwickelt. Die Beurteilung der Persönlichkeit erstreckt sich in diesem Interview mit 100 Einzelitems auf 7 Dimensionen: • Identität: Engagement, Selbstwahrnehmung, Objektwahrnehmung • Objektbeziehungen: zwischenmenschliche Beziehungen, Partnerschaften und

Sexualität, inneres Arbeitsmodell von Beziehungen • Primitive Abwehr • Coping/Rigidität • Aggression: selbstgerichtete Aggression, fremdgerichtete Aggression • Wertvorstellungen • Realitätsprüfung, Wahrnehmungsverzerrungen Ein weiterer Schwerpunkt des Interesses liegt auf früheren Episoden oder Phasen von Suizidalität oder selbstschädigendem Verhalten, sowie auf Gründen des Scheiterns früherer Behandlungen. Informationen münden in den Therapievertrag, der über 1- 5 Sitzungen hinweg vor dem Therapiebeginn verhandelt wird und die Rechten und Pflichten von Patient und Therapeut festlegt. Dieser muss nicht schriftlich fixiert werden; es genügt, wenn beide Seiten (Therapeut und Patient) über Verantwortlichkeiten und mögliche Konsequenzen bei Nichteinhalten Bescheid wissen. Tab. 9. Reziproke Verantwortlichkeit von Patient und Therapeut in TFP aus: Clarkin, Yeomans & Kernberg, 2001b)

Die Verantwortlichkeiten des Patienten sind:

• Erscheinen zu den Sitzungen und Mitarbeit in der Therapie • Klare finanzielle Regelung • Bemühen, Gedanken und Gefühle frei und ohne Einschränkungen mitzuteilen

Die Verantwortlichkeiten des Therapeuten sind:

• Einhalten der vereinbarten Termine (bei Ausfällen Ersatztermin anbieten, Telefonregelungen)

• Dem Patienten helfen, sich selbst und tiefere Anteile seiner Persönlichkeit und seiner Probleme zu verstehen

• Klären der Grenzen seines therapeutischen Engagements

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Die Therapievereinbarungen haben aber auch weitere Funktionen: • Sie prüfen die Motivation, Fähigkeit und Bereitschaft von Patient und Therapeut,

sich auf eine länger dauernde intensive Therapie einzulassen • Aufzeigen von Einschränkungen (soziale Probleme, Suchtverhalten, sexuelle

Dysfunktionen) • Richtigstellen von Erwartungen und Möglichkeiten in der Therapie • Einblick in das psychodynamische Geschehen des Patienten, was die Einschätzung

für mögliche Schwierigkeiten im Übertragungsprozess erleichtert • Minimierung des sekundären Krankheitsgewinns des Patienten, um den

Widerstand deutlicher zu machen • Kanalisierung des Therapieablaufs gibt dem Therapeuten gewissen Schutz und

Sicherheit • Vorgehen bei Krisenfällen besprechen • Möglichkeiten werden eröffnet, zusätzlich notwendige Elemente in die Therapie

einzubauen wie Selbsthilfegruppe, Zusatztherapie z.B. bei Alkoholmissbrauch, Essstörungen, Drogenscreening, Gewichtskontrollen etc.

Die Therapievereinbarungen enthalten somit allgemeine aber auch individuelle Elemente. Aus ihnen resultiert der Entscheid, ob die Therapie zustande kommt oder nicht. Wichtig ist hier zu erwähnen, dass bei der TFP sowohl Patient wie auch Therapeut sich auf die Therapie einlassen können. Dazu muss der Therapeut seinen persönlichen Widerständen nachgehen und seine volle Zustimmung zur Therapie geben. Vertragsbrüche, die in häufigen Fällen vom Patienten angekündigt werden, werden bei der TFP sofort gedeutet. Denn Übertragung ist gemäss TFP immer reale Vergangenheit, imaginäre Vergangenheit und Abwehr von beidem. Kommt es zu einem Vertragsbruch, so erfolgt zunächst eine detaillierte Analyse der Situation, die dazu geführt hat. Gegen den doch sehr detaillierten Therapievertrag lässt sich der Einwand von mangelnder Zieloffenheit im Therapieablauf einbringen. Wird der Patient durch die Therapievereinbarung nicht zu sehr durch Reglementierungen über das, was in der Therapie geschehen darf oder nicht, eingeschränkt? Die TFP hält hier entgegen, dass Patient und Therapeut gemeinsam die Spielregeln bestimmen, und dass Vertragsveränderungen bei Eintreten gewisser Ereignisse immer wieder vorgenommen werden könnten. Leider vergisst man häufig, dass der Patient in einer psychischen Notlage zur Therapie kommt. Da er Hilfe braucht, wird er den Vereinbarungen erstmals zustimmen. Andererseits zeigen eigene Erfahrungen, dass gewisse Punkte vor dem Therapiebeginn bei Borderline-Patienten (anders als bei neurotischen Personen) unbedingt geklärt werden müssen. Welche Abklärungen uns im Rahmen des IKP-Ansatzes als wichtig erscheinen, wird im Kapitel 9 näher erläutert. Frühe Therapiephase Nach der Kontraktphase wird sich die Behandlung am Anfang auf die Beachtung der für den Patienten typischen Problembereiche konzentrieren, d.h. auf die mit negativen Affekten beladenen Themen und Interaktionen, die zwischen Therapeut und Patient auftauchen. Durch Klärung vager Informationen und Konfrontation von Widersprüchlichem werden die Deutungen vorbereitet. Ziel dieser Phase ist die borderline-spezifischen Symptome zu reduzieren. Die Abnahme von Angst, Depression, Suizidalität, von impulsivem und

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selbstschädigendem Verhalten sind positive Veränderungen, die aus der ersten Phase resultieren sollten. Mittlere Therapiephase Die mittlere Therapiephase beginnt nach der TFP dann, wenn das turbulente Ausagieren des Beginns seltener wird. Sie dient dazu, die dominierenden Übertragungsbeziehungen weiter zu analysieren und ihren unbewussten Gehalt deutlicher herauszuarbeiten. Konflikte und Affekte, die aufgrund von früheren Misshandlungen und Missbrauch um primitiven Hass und Neid kreisen, nehmen in dieser Therapiephase zu und werden nun mit dem Borderline-Patienten dyadisch bearbeitet. Aufgrund ihres theoretischen Konzeptes bietet die TFP auch für diese besondere Interventionen an. Veränderungen in der mittleren Phase zeigen sich in den folgenden Bereichen: • Therapieausbrüche sind kein Thema mehr • Verstehen der hauptsächlichen Übertragungsmuster • Ängste und Depression können in der Therapiesitzung durch Deutung aufgelöst werden • Selbstdestruktives Verhalten ausserhalb der Therapie persistiert • Das Selbstkonzept wird klarer Schlussphase der Behandlung Durch vermehrt eingesetzte Deutungen soll eine Stabilisierung der Affekte und ihre adäquate Regulierung in zwischenmenschlichen Beziehungen erreicht werden, weiterhin eine Verbesserung der Reflexionstätigkeit und der Konfliktfähigkeit. Die TFP-Behandlung wird zunehmend einer psychoanalytisch orientierten Therapie gleichen. D.h. der Therapeut muss weniger aktiv sein und die Schweigepausen können vom Patienten aufgrund der grösseren Ich-Stärke besser akzeptiert werden. Veränderungen in dieser Phase sollten sich in folgenden Merkmalen zeigen: • Vertiefte affektive Beziehung des Patienten zum Therapeuten • Integration und Reifung der affektiven Reaktionen • Integration von abgespaltenen Objektbeziehungen • Aufrechterhaltung von Beziehungen • Neue Interessengebiete und Verpflichtungen • Fähigkeit zu Selbstreflexion über gegenwärtige und vergangene Erlebnisse Ein günstiger Zeitpunkt für die Beendigung der Therapie sieht die TFP, wenn es zu einer Auflösung der Symptome, zu einem signifikanten Persönlichkeitswandel und zum Erreichen der Therapieziele gekommen ist.

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7.1.4 Wirksamkeitsüberprüfung Bisher wurden mehrere Studie hinsichtlich Behandlungserfolgs der psychodynamischen Verfahren und der TFP durchgeführt. Die Wirksamkeit der Behandlungstechnik wurde für das ambulante Setting nachgewiesen (Clarkin et al., 2001a) und auch im stationären Rahmen wurden erste positive Effekte festgestellt (Martius, Merod & Lettner, 2003). Die neuste und interessanteste Vergleichsstudie wurde von Clarkin, Levy, Lenzenweger und Kernberg (2004) durchgeführt, in welcher die Wirksamkeit von TFP mit einem aktiven kognitiv-behavioralen Verfahren (DBT) und einer supportiven Psychotherapie geprüft wurde. Insgesamt zeigen bisherige Daten, dass die TFP eine wirksame Behandlung darstellt. Dazu ein Zitat von Buchheim et al. (2006):

Vorläufige Analysen konnten nach Abschluss der 12-monatigen Behandlung in den 3 Therapiearmen mit je 30 Patienten bereits an einigen für den Therapieprozess und für Veränderungsmechanismen relevanten Daten zu „Attachment“, „Coherence“ und Insgesamt zeigen bisherige Daten, dass TFP eine wirksame Behandlung für „Reflective Function“ (RF) durchgeführt werden (Levy u. Clarkin, im Druck). Während sie die Masse für „Attachment“ und für „Coherence“ in allen 3 Gruppen signifikant besserten, nahm nur in der TFP-Gruppe die Fähigkeit zur „Reflective Function (RF) auffallend signifikant zu – ein Befund, der auf eine Verbesserung des Strukturniveaus der Borderline-Persönlichkeitsorganisation BPO hinweist.“ (S. 238)

Diese Ergebnisse ermöglichen einen Brückenschlag zu den Erkenntnissen von gehemm-ten/blockierten Reflexionsfähigkeiten bei Borderline-Patienten als Folge von emotional unzu-reichender Bindungerfahrung in der Kindheit (siehe Kapitel 6.3.). Offenbar zeigt die TFP-Methode v.a. auf kognitiver Ebene ihre Wirksamkeit bei der Behandlung von BPS. Allerdings muss an dieser Stelle aber auch auf die Einschränkungen der TFP-Anwendung verwiesen werden (Dammann, Buchheim, Clarkin & Kernberg, 2001b): • Die TFP-Therapie erfordert eine gewisse Intelligenz, aber auch eine gute kognitive Auf-

fassungsgabe. Nur dann können die z.T. komplexen Deutungen aufgefasst werden. Suchtmittelfreiheit (von Alkohol, Benzodiazepinen, illegalen Drogen) ist deshalb Bedin-gung. Zahlreiche BPS-Patienten können diese Anforderungen nicht erfüllen.

• Einige BPS-Patienten weisen z.T. so starke antisoziale oder narzisstische Züge auf, dass sie auch durch Deutungen nicht in der Lage sind, ihre Regression, ihre Projektio-nen und Externalisierungen aufzugeben. Das verunmöglicht einen Perspektivenwechsel.

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7.2 Verhaltenstherapie: Dialektisch-Behaviorale The rapie DBT

7.2.1 Allgemeine Aspekte der DBT-Therapie und Thera piesetting Wie bereits im Kap. 6.4.1 erläutert, liegt der DBT das Diathese-Stress-Modell zugrunde, das die BPS durch ein Zusammenwirken früher Traumatisierung, Vernachlässigung und einer neurobiologischen Disposition (Störung der Affektregulation) erklärt. Bei der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) der BPS handelt es sich um eine Therapie-form, die seit mehr als 10 Jahren von Marsha Linehan auf der Basis der Verhaltenstherapie entwickelt wird. Linehan hat vor allem mit chronisch selbstverletzenden und/oder suizidalen Patienten gearbeitet. In ihrem Manual ergänzt sie die kognitive Verhaltenstherapie um Ele-mente aus humanistischen Therapieverfahren und Hypnotherapie. Die Therapie wird von einer Lebenseinstellung getragen, die dem Zen-Buddhismus entlehnt ist. Entgegen dem TFP-Ansatz (und anderen Therapieansätzen) geht Linehan nicht davon aus, dass eine Verbesserung der Lebensqualität bei Borderlinern ausschliesslich über eine Ver-änderung der Persönlichkeitsstruktur erreicht werden kann. Sie unternimmt mit dem DBT-Ansatz einen doppelten Perspektivenwechsel: 1. Für Linehan (1996) ist eine Veränderung nur möglich, wenn das aktuelle Verhalten als

sinnhaft für den Patienten gewürdigt wird und dies dem Patienten auch mitgeteilt wird (Akzeptanzprinzip).

2. Eine Verbesserung der Lebensqualität hat zum Ziel, zu erfolgreichen Veränderungsver-suchen zu motivieren und nicht die Ich-Struktur des Patienten zu verändern. Obwohl aus mulitfaktorieller Sicht anzunehmen ist, dass bei positiven Therapieresultaten sich auch diese mitverändert. Am Beispiel der Suizidalität heisst dies, dass nicht die Haltung „Wäre mein Leben le-benswert, müsste ich nicht an Selbstmord denken“, sondern „erst, wenn Selbstmord nicht mehr eine Antwort auf Krisen ist, kann ich weitreichendere Veränderung erzielen“ die Intervention bestimmt.

Die DBT wurde als ambulante Therapieform entwickelt, ist aber unterdessen auch in der stationären Anwendung mit einer angepassten Konzeptänderung – auch in der Schweiz, z.B. in den Psychiatrischen Kliniken Littenheid, Meisenberg und Kilchberg - sehr beliebt. Nicht zuletzt deshalb, weil Untersuchungen eine deutliche Reduzierung in Bezug auf Hospi-talisierungsdauer im Vergleich zu anderen Standardtherapien nachgewiesen hat (weiteres in Kap. 7.2.5. Wirksamkeitsüberprüfung). Ausser der Bereitschaft an der Therapie teilzunehmen, müssen die Patienten keine Voraus-setzungen erfüllen. Kontraindikationen sind bislang keine bekannt. Das Therapiekonzept ist nicht linear organisiert, sondern orientiert sich an Prinzipien und Regeln. „Während die meisten Manuale zur störungsspezifischen Behandlung von mono-symptomatischen Störungsbildern, wie etwa von Zwangsstörungen oder Panikstörungen, die Reihenfolge und Inhalte der jeweiligen Sitzungen vorgeben, orientiert sich die DBT an den Verhaltensmustern, welche die Patientin zeigt, und strukturiert die jeweiligen Inhalte und Methoden an Hand von Entscheidungsregeln“ (Bohus, 2002, S. 18). Obwohl die DBT auch

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manualisierte Therapiemanuale herbeizieht, besteht eher ein freieres modales Vorgehen, das dem Therapeuten erlaubt, bedarfsgerecht Methoden, wie z.B. Expositionsverfahren, kognitive Umstrukturierung oder Problemlösen, anzuwenden. Die DBT besteht im wesentlichen aus den vier Therapiebausteinen Einzeltherapie, Fertig-keitstraining in der Gruppe, Telefonkontakt im Notfall und regelmässige Intervision bzw. Su-pervision des Therapeuten. Die Behandlung findet in einer gleichzeitigen Anwendung von ambulanter Einzel- und Gruppentherapie statt. Tab.10. Strukturelemente der DBT nach Linehan (1996)

1. Ambulante Psychotherapie in Einzelsitzungen - Dauer: zunächst 1 Jahr (verlängerbar) - Frequenz: 1-2x wöchentlich (bis zu 2 Std.) - nach 4 versäumten Sitzungen in Folge: Abbruch

2. Fertigkeitstraining in Gruppensitzungen - Voraussetzung: Einzeltherapie - Dauer: 1 Jahr - Frequenz: 1x wöchentlich à 2-2½ Stunden

3. Unterstützende Gruppentherapie im Anschluss an absolviertes Fertigkeitstraining - offene Gruppen, fakultativ - bei Weiterführung der Einzeltherapie über 1 Jahr

4. Telefonische Beratungen und Konsultationen - gemäss Therapievertrag (auch Internet/E-mail) - nie innerhalb 24 Std. nach selbstschädigendem Verhalten oder Suizidversuch

5. Fallsupervisionssitzungen des Therapeuten - obligatorisch 1x wöchentlich - gesamtes DBT-Team (Therapeut, Ärzte, Pflege- personal, Sozialarbeiter)

6. Unterstützende Behandlungen - Selbsthilfegruppen/Sozialrehabilitation - medikamentöse Behandlungen

Einzeltherapie In der Einzeltherapie werden die Problembereiche hierarchisch im Sinne der Dringlichkeit geordnet. An oberster Stelle stehen suizidales und parasuizidales Verhalten, gefolgt von therapiegefährdendem Verhalten, Beeinträchtigungen der Lebensqualität und der Verbesse-rung von Verhaltenfertigkeiten. Die Problemfelder werden in dieser Reihenfolge bearbeitet. Wenn notwendig, wird sofort auf eine höhere Ebene zurückgegangen. Der Einzeltherapeut versucht eine Balance zwischen Validierungs- (Verstehen und Wert-schätzen des Problems) und Veränderungsstrategien (=“dialektische Strategie“, Linehan, 1996). Grundlage ist eine tragfähige therapeutische Beziehung. Die Patienten führen eine Tagebuchkarte, in die Medikamenteneinnahme, Spannungszu-stände, Drogenkonsum und dysfunktionale Verhaltensweisen einzutragen sind. Durch Verhaltensanalysen sollen die Betroffenen Einsicht in den Spannungsaufbau erhalten und lernen, das im Fertigkeitstraining Gelernte in Handlungspläne einzubauen. Nach selbst-verletzendem Verhalten oder Suizidversuchen werden die Patienten gebeten, solche Analy-sen selbst anzufertigen.

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Voraussetzung für die eventuelle Bearbeitung eines Traumas in einem zweiten Therapieab-schnitt ist, dass die Patienten gelernt haben, emotionale Krisen, Spannungszustände und Dissoziationen selbst durch die gelernten Fertigkeiten zu regulieren. Die Traumabearbeitung ist in der DBT selbst bisher wenig ausgearbeitet. Fertigkeitstraining in der Gruppe „Das Fertigkeitstraining ist der Ton, aus dem Einzeltherapeut und Patient eine Figur model-lieren können“ (Linehan, 1996). Damit ist gemeint, dass die in der Gruppe gelernten Fertig-keiten in der Einzeltherapie in die erarbeiteten Verhaltensanalysen und Handlungspläne eingebaut und zu einem sinnvollen Ganzen verbunden werden. Die Gruppe wird meist von zwei Therapeuten geleitet. Das Fertigkeitstraining hat Workshop-Charakter, Gruppendynamik wird nur soweit, wie notwendig, thematisiert. Der Schwerpunkt liegt auf dem Lernen und Einüben von Fertigkeiten. Interaktionelle Probleme werden DBT-mässig durch das Anwenden von Fertigkeiten gelöst. Kritik und Anregungen seitens der Teilnehmenden sind ausdrücklich erwünscht; eine experimentell-partnerschaftliche Atmo-sphäre soll entstehen (Bohus & Höschel, 1996). Das Fertigkeitstraining erstreckt sich üblicherweise über den Ablauf eines Jahres mit wö-chentlichem Setting von ca. 90 Minuten und besteht aus vier Modulen: 1. Innere Achtsamkeit 2. Zwischenmenschliche Fertigkeiten 3. Umgang mit Gefühlen 4. Stresstoleranz Für jedes Modul sollten etwa 8 Sitzungen veranschlagt werden (Bohus, 2002). Etliche stati-onäre Institutionen erhöhen die Zahl bis zu 12 Sitzungen Im Modul „Innere Achtsamkeit “ lernen die Patienten die Skills „Wahrnehmen“, „Beschrei-ben“, „Teilnehmen“, sowie ein nicht bewertendes, konzentriertes und wirkungsvolles Denken und Handeln. Hier sind unschwer die Einflüsse des Zen zu entdecken. Ziel ist, Bewusstheit im Alltag zu erreichen und mehr Steuerungsmöglichkeiten über sich selbst zu bekommen. Teilnahme und Distanz, Gefühl und Verstand sollen miteinander in Einklang gebracht wer-den. Im Modul „Zwischenmenschliche Fertigkeiten “ werden die Basis-Skills „Orientieren auf ein Ziel“, „Orientierung auf die Selbstachtung“ und die „Orientierung auf die Beziehung“ ver-mittelt. Faktoren, die die soziale Kompetenz beeinträchtigen und solche, die sie fördern, werden identifiziert. Förderliche Selbstaussagen werden erarbeitet. Ziel ist, dass die Patien-ten auf eigenen Wünschen, Zielen und Meinungen bestehen können und dabei sowohl von anderen Menschen respektiert werden, als auch die eigene Selbstachtung aufrechterhalten. Im Programmteil „Umgang mit Gefühlen “ wird vermittelt, dass Gefühle (auch solche, die als angenehm erlebt werden) eine Funktion und eine Bedeutung haben. Fertigkeiten wie: Beobachten, Beschreiben, Verstehen von Gefühlen, Verwundbarkeit verringern, Schritte in Richtung angenehmer Gefühle, emotionales Leiden loslassen und dem Gefühl entgegenge-setzt handeln, werden besprochen und geübt. Dies dient dazu, die Gefühle in ihren Bedeu-tungen und Auswirkungen verstehen und akzeptieren zu lernen. Das Vertrauen in die eigene Gefühlswelt soll erhöht werden.

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Im Stresstoleranzmodul lernen Borderline-PatientenInnen neue Überlebensstrategien, um Krisen auszuhalten und Spannung zu reduzieren. Angewandte Techniken sind: • Sich durch starke sensorische Reize ablenken (z.B. Eiswürfel, Chili) • Pro und Contra-Abwägungen (welche Argumente sprechen für selbstverletzendes Ver-

halten, welche dagegen) • Methoden zum besseren Akzeptieren der Realität (z.B. den Augenblick verändern über

Phantasie, Vorstellungskraft, Meditation, Entspannung) • Atemübungen • Übung des leichten Lächelns und • Achtsamkeitsfokussierung. Ein weiteres Ziel ist, zu lernen, unangenehme Ereignisse und Gefühle zu ertragen, wenn sich die Situation nicht verändern lässt. Zusätzlich werden die Patienten angeleitet, sich einen individuellen Notfallkoffer einzurich-ten, in dem wichtige Utensilien für Stresstoleranz-Skills aufbewahrt werden. Kärtchen, auf denen die hilfreichsten Fertigkeiten einzutragen sind, sollten die Patienten bei sich tragen. Sie erhalten ausserdem Formulare, auf denen die gelernten Skills eingetragen sind und pro-tokollieren, wie erfolgreich sie einzelne Fertigkeiten angewendet haben. Wenn die BPS-Patienten häufig hintereinander nicht am Gruppentraining teilnehmen, wer-den sie üblicherweise von der Therapie ausgeschlossen. Die unterstützende Gruppentherapie (Punkt 3 auf Tab. 10) wird optional nach Ablauf des Behandlungsjahres durchgeführt, wenn Therapeut und Patient vereinbart haben, die Einzel-therapie fortzusetzen oder als weiterführendes, lockeres Betreuungsangebot im Anschluss an die Standard-DBT. Telefonkontakt Patienten können in suizidalen Krisen oder bevor sie sich selbst verletzen, ihre Therapeuten anrufen. Die telefonische Erreichbarkeit muss mit den Therapeuten vorher geklärt werden und richtet sich auch nach den Grenzen der Therapeuten. Die Telefongespräche sollen nach bestimmten Regeln ablaufen. Der Patient berichtet, warum er sich in der Krise befindet und welche Fertigkeiten er bereits ausprobiert hat. Beide besprechen Fertigkeiten, die der Patient dann einsetzen soll. Dazu ist hilfreich, wenn der Patient gelernte Fertigkeiten benen-nen kann. Verletzt sich der Patient selbst oder begeht er einen Suizidversuch, sollte dies nicht durch vermehrte Zuwendung verstärkt werden. Ziel ist, dass die Patienten im Nachhinein Verhal-tensanalysen dieser Situation anfertigen. Intervision/Supervision Die Einzel- und Gruppentherapeuten treffen sich regelmässig, um sich über die gemeinsa-men Patienten auszutauschen und sich gegenseitig zu beraten.

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7.2.2 Haltung des Therapeuten Neben strukturellen Aspekten (Einbindung in Gruppen- und Einzeltherapie) spielt die thera-peutische Haltung, wie sie von Linehan in den „therapeutischen Grundannahmen“ (Tab. 11) formuliert wurde, eine entscheidende Rolle. Dabei fällt auf, dass sie sich hier dem humanis-tischen Gedankenmodell anlehnt. Tab.11. Therapeutische Grundannahmen nach Linehan (1996, zit. nach Bohus, 2002, S. 19)

• Jedes Verhalten der Patientinnen macht im subjektiven Kontext Sinn. Sie versuchen, das Beste aus ihrer gegenwärtig verheerenden Situation zu machen. Es liegt daher in der Aufgabe des Therapeuten, die jeweiligen Auslöser, Schemata und Konsequen-zen herauszuarbeiten.

• Borderline-Patientinnen wollen sich verbessern.

• Borderline-Patientinnen müssen sich stärker anstrengen, härter arbeiten und stärker motiviert sein, um sich zu verändern, dies ist ungerecht.

• Borderline-Patientinnen haben ihre Probleme in der Regel nicht alle selbst verur-sacht, sie müssen sie aber selber lösen.

• Das Leben suizidaler Borderline-Patientinnen ist so, wie es gegenwärtig gelebt wird, in der Regel unerträglich.

• Borderline-Patientinnen müssen in fast allen relevanten Dimensionen neues Verhal-ten lernen.

• Patientinnen können in der DBT nicht versagen.

• Therapeuten, die mit Borderline-Patientinnen arbeiten, brauchen Unterstützung.

Neben einem Wechsel zwischen Validierung (Akzeptanz) und Veränderung, je nach Thera-pieverlauf, bestimmt radikale Echtheit die Haltung des Therapeuten. Die DBT verfügt über zwei radikale Kommunikationsstile: reziproke Kommunikation und konfrontierende Scho-nungslosigkeit. Bei der reziproken Kommunikation geht es um den Austausch zwischen Therapeut und Pa-tient. Der Therapeut bedient sich strategischer Selbstoffenbarungen und spiegelt dem Pati-enten Engagement und Echtheit der eigenen Haltung wider. Unter Einsatz der konfrontierenden Schonungslosigkeit versucht der Therapeut, den Stil des Patienten durch sachliche und nüchterne Äusserungen zu kontrastieren. So gewinnt er die Aufmerksamkeit des Patienten, verschiebt dessen Affektlage und geht das Problem so di-rekt wie möglich an: „Was meinen Sie damit, Sie wollen sich umbringen? - Ich dachte, Sie hätten gesagt, das Sie die Therapie nicht abbrechen wollen?“ (vgl. Comtois, Cochran & Li-nehan, 2000, S.591).

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7.2.3 Die Therapiestrategien der DBT In der DBT unterscheidet Linehan (1996) drei Strategien: • Validierungsstrategie • Änderungsstrategien • Dialektische Strategie Validierungsstrategie Validierung oder Akzeptanz wird in der DBT als Wahrnehmung der Realität und der Stärken wie auch Schwächen des Patienten so, wie sie sind, verstanden. Validierung ist notwendig, um die in der Behandlung geforderten Änderungen ausgleichen zu können und um gegen die Selbst-Invalidierungen des Patienten wirken zu können. Ein alleiniger Fokus auf die Änderungen suizidaler Verhaltensweisen wird vom Patienten oft als Nichtachtung des emotionalen Schmerzes und einer erneuten Invalidierung seiner selbst erlebt. Zur Vermittlung der Akzeptanz bedient sich die DBT sieben Techniken: 1. Zuhören und Wahrnehmen 2. Spiegeln 3. Artikulation des Unausgesprochenen 4. Bestätigung bezogen auf zugrundeliegende Ursachen, d.h. der Therapeut versucht,

Verhalten und deren Ursachen in kausale Verknüpfungen zu bringen, die dem Patienten zuvor nicht ersichtlich waren

5. Bestätigung bezogen auf aktuelle Situationen oder normale Verhaltensweisen, z.B „Das ist doch ganz normal, dass Sie sich so fühlen. Jedem anderen würde es auch so gehen“

6. Radikale Echtheit 7. Achtsamkeit Ànderungsstrategien Da die Validierung den Patienten in seinem Selbstvertrauen stärkt, werden so die notwendigen motivationalen Ressourcen auf Veränderung mobilisiert. Den sieben Validierungsstrategien stehen sieben Änderungsstrategien gegenüber: 1. Aufklärung: Genaue Information über das Wie und Warum einer bestimmten Intervention 2. Selbstmonitoring: Selbstberichtstagebücher über Verhalten und Reaktion zur

Einsichtgewinnung 3. Verhaltens- und Lösungsanalyse: Erarbeiten von genauen Verhaltensketten für alle

Verhaltensweisen, die dem Therapieziel entgegenstehen. 4. Kompetenztraining: mittels Verstärkung und Rollenspielen Fertigkeiten erweitern 5. Kognitive Umstrukturierung: Identifikation und Restrukturierung typischer Denkfehler 6. Management von (störenden) Einflussfaktoren 7. Expositionsstrategien: Handlungstendenzen und expressive Tendenzen blockieren ler-

nen

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Dialektische Strategien Die Philosophie Hegels (vgl. Kunzmann, Burkhard & Wiedmann, 2005, S. 214-216) fasst Dialektik als Gesetzmässigkeit auf, die der Natur des Denkens selbst zugrunde liegt. Erkenntnis wird nach dialektischer Sichtweise in drei Schritten gewonnen: These � Antithese � Synthese Die Synthese hebt These und Antithese auf und führt so zu einem neuen Begriff, der als Resultat die Bedeutungsmerkmale der beiden vorherigen enthält. Die in der psychoanalytischen Theorie als Spaltung beschriebene Neigung der Borderline-Patienten (s. Kap. 7.1 und 4.5) begreift Linehan (1996) als Bestreben, an Gegensätzlichkeiten, d.h. entweder These oder Antithese, festzuhalten, als Unfähigkeit, sich auf eine Synthese hin zu bewegen. Im Sinne dieses dialektischen Prozesses wechselt der Therapeut je nach Notwendigkeit zwischen Validierungs- und Änderungsstrategien hin und her. Ein zentraler Punkt in der Behandlung von Borderlinern ist die rasche Erfahrung des Therapeuten, dass eine alleinige Akzeptanz des Patienten nicht weiterhilft. Der Therapeut soll den Patienten durch Anwendung der dialektischen Denkweise zur Aufgabe von Entweder-oder-Standpunkten und zur Annahme von Sowohl-als-auch-Positionen bewegen. Zur Umsetzung verwendet der Therapeut Metaphern und Paradoxone, die als Lehrbeispiele dienen und die Suche nach alternativen Wahrnehmungsperspektiven anregen. Metaphern können Analogien, Anekdoten, Parabeln, Märchen oder Geschichten sein, die dem Patien-ten ein neues Denken über seine Problematik ermöglicht und neue Verhaltensweisen auf-zeigen kann. Paradoxone, die im Zen-Buddhismus, zur Entwicklung von Weisheit und Weitsicht verwendet werden, sind scheinbar widersprüchliche Sätze, die scheinbar unlösbar sind: „Jeder Tag ist ein guter Tag und das Leben ist voller Leiden“.

7.2.4 Therapieverlauf und Therapiephasen Über eine hierarchisierte Behandlungsstruktur versucht die DBT, bislang unkontrollierte Prozesse sowohl für den Patienten wie auch für den Therapeuten berechenbar zu machen. Die gesamte Therapie im ambulanten Setting (ca. 1 Jahr dauernd) untergliedert sich in die Vorbereitungsphase und zwei Behandlungsphasen mit unterschiedlichen Zielen: 1. Vorbereitungsphase: Aufklärung und Einverständni s • Aufklärung über das Störungsbild • Klärung der gemeinsamen Behandlungsziele • Klärung der Behandlungsfoki und Methoden der DBT • Behandlungsvertrag, Non-Suizid-Vertrag • Verhaltensanalyse des letzten Suizidversuchs • Verhaltensanalyse des letzten Therapieabbruchs

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2. Schwere Probleme auf der Verhaltensebene • Verbesserung der Überlebensstrategien (Umgang mit suizidalen Krisen) • Verbesserung der Therapie-Compliance (Umgang mit Verhaltensmustern, die die

Fortsetzung oder den Fortschritt der Therapie verhindern) • Verbesserung der Lebensqualität (Umgang mit Verhaltensmustern, durch die die

emotionale Balance schwer gestört wird) • Verbesserung von Verhaltensfertigkeiten (skills) 3. Probleme mit emotionalen Erfahrungen • Abbau von dysfunktionalen Schemata • Verbesserung von Symptomen, die im Rahmen eines Posttraumatischen Stress-

Syndroms auftreten • Innerhalb der Therapiephasen sind die zu bearbeitenden Problembereiche hierarchisch geordnet. Wann immer ein höher geordneter Problembereich auftritt, z.B. Suizidalität oder Parasuizidalität, muss dieser bearbeitet werden.

7.2.5 Wirksamkeitsüberprüfung Was den derzeitigen Stand der empirischen Überprüfung der Wirksamkeit der DBT anbe-langt, so kann mittlerweile die Überlegenheit gegenüber unspezifischen tiefenpsychologi-schen Ansätzen als gut belegt gesehen werden. Eine vergleichende Studie mit der Übertra-gungsfokussierten Psychotherapie TFP wird derzeit noch in Stockholm und in New York durchgeführt (Bohus & Höschel, 2006). Eine kontrollierte randomisierte Studie zur Wirksamkeit von DBT wurde im Jahr 2000 von Linehan und ihren Mitarbeitenden (Remmel et al., 2006) durchgeführt. Sie fanden nach 4 Monaten eine signifikante Überlegenheit hinsichtlich: • Abnahme der Selbstschädigung, • des medizinischen Risiko der Selbstverletzungen, • der stationären Behandlungstage sowie • der Verbesserungen der sozialen Integration.

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7.3 Psychodynamisch imaginative Traumatherapie PITT bei traumatisierten Patienten mit BPS

Früheren Traumata kommt im Sinne des multifaktoriellen Vulnerabilitätsmodells (s. Kap. 6.4) eine wesentliche pathogenetische Rolle bei der Entstehun g einer BPS zu. Wie bereits erwähnt (Kap. 3.2.2, Kap. 5.2.1), genügt Traumatisierung alleine nicht, um die BPS äthiopathogenetisch zu erklären. Schwertraumatisierte weisen oft keine, kaum traumatisierte Patienten dagegen manchmal schwere Borderline-Störungen auf. Zudem stellt sich die Frage, ob die Traumatisierung nicht selbst bereits das Symptom einer basal gestörten familiären Situation ist (Kap. 5.2.1). Obwohl die BPS auch Elemente einer (chronisch, komplexen) Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) aufweisen kann und eine hohe Komorbidität zwischen diesen beiden Störungen besteht (s. Kap. 5.2.1), wird deshalb von einer zu frühen oder einseitigen Fokussierung auf die Traumatisierungen der Vergangenheit gewarnt (Dammann, 2001; Reddemann, 2001, 2006). Zum einen können Expositionen zu einer erheblichen Labilisierung führen, zum anderen hat die Traumatisierung in aller Regel zu deutlichen interpersonellen und mit Ambivalenzen (auch dem Täter gegenüber) einhergehenden intrapsychischen und interpersonellen Dynamiken geführt. Diese lassen sich nicht alleine durch eine Exposition auflösen. Eine subtile traumatheoretische Integrationsarbeit erfordert die Fähigkeit, mit der intrapsychischen Dynamik umgehen zu können. Der Wunsch vieler Borderline-Patienten, eine vorhandene oder vermutete Traumatisierung aufzudecken, muss deshalb (zumindest zunächst) zurückgewiesen, aber in seinem Übertragungsangebot verstanden werden. Erfahrene Therapeuten, die von einem traumaorientierten Standpunkt aus mit (meist hochdissoziativen) Borderline-Patienten arbeiten, fokussieren daher in der Regel nicht primär das Trauma etwa im Sinne einer Exposition, sondern arbeiten integrierend mit den verschiedenen (dissoziierten) Anteilen (Teilobjektr epräsentanzen, „alters“), die in ihrer Bedeutung (auch unter Abwehraspekten), affektiv verstanden und angesprochen werden. Der bekannteste Behandlungsansatz ist die Psychodynamisch Imaginative Trauma Therapie PITT der BPS nach Luise Reddemann (Reddemann 2001, 2006; Reddemann & Sachsse, 1999). Er konzentriert sich in erster Linie auf die Behandlung der komplexen posttraumatischen Störung und ist daher geeignet für Borderline-Patienten, bei denen Symptome der PTSD-Störung im Vordergrund stehen (Kap. 5.2.1). Dies sind vor allem Alpträume und Flashbacks (auch als Körperflashbacks) und dissoziative Symptome (s. Kap. 4.5). Luise Reddemann entwickelte von 1985 – 2003 gemeinsam mit ihrem Behandlungsteam in der Klinik für Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin des Ev. Johannes-Krankenhauses in Bielefeld (Deutschland) das Bielefelder Behandlungskonzept, den Einsatz imaginativer Techniken bei der Behandlung von traumatisierten Menschen und die PITT. Seit 1994 wurde das Konzept durch den fachlichen Austausch mit Ulrich Sachsse (Reddemann & Sachsse, 1999) präzisiert. Es handelt sich um einen integrativen Behandlungsansatz . PITT integriert Elemente von angewandter Psychoanalyse mit solchen aus der kognitiven Verhaltenstherapie und imaginativen Verfahren sowie Prinzipien der Achtsamkeitsmeditation. Auch psychoedukative Interventionen spielen eine Rolle. Leitend ist das Konzept der Selbstregulation und Selbstheilung.

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In der PITT wird über das Medium einer hilfreichen Beziehung (zwischen Therapeut und Patient) vor allem die Selbstbeziehung betont und mittels Imagination angeregt, diese neu zu gestalten und seelische Wunden damit einer Heilung zuzuführen. Imagination wird als Vorstellung oder Vorstellungskraft über alle inneren Sinneserfahrungen verstanden. Reddemann (2001, 2006) bezeichnet die Imagination als die älteste Art des Heilens. Schwere unbewältigte Traumatisierungen hinterlassen funktionelle neurophysiologische Veränderungen (Aktivierung des Stressverarbeitungssystems, herabgesetzte Reizschwelle für Triggerreize, schnelle physiologische Übererregung (hyperarousal) bei Stress, Dünnhäutigkeit, Reizbarkeit). Triggerreize lösen innere traumatische Bilder aus, so dass traumatische Erfahrungen wieder und wieder erlebt werden. So wie jedoch diese „schlechten“ Bilder psychophysiologisch hochwirksam sind, sind nach Reddemann (2001, 2006) „gute“ Bilder ebenso wirksam. Diese werden mithilfe von imaginativen Techniken aufgebaut. Bei der PITT ist die Betrachtung des Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehens von zentraler Bedeutung. Es wird dann allerdings eher dazu genutzt, die Patienten zu einem veränderten imaginativen Umgang mit sich selbst anzuregen, aber auf die psychoanalytische Technik der Deutung wird auch nicht gänzlich verzichtet. Mitgefühl und Trost, aber auch Anerkennung des geschehenen Unrechts werden im Umgang des erwachsenen Selbst mit den jüngeren Teilen stark betont. Zentral ist das Konzept der „inneren Bühne“, die zu einem gemeinsamen imaginären Raum wird, auf dem die Patienten gegebenenfalls angeregt und unterstützt durch die Therapeutin „spielen“ können. Dadurch werden sie handlungsfähiger. „Beidäugiges Sehen“, das heisst das Sehen der Stärken und auch der Probleme ist ein Grundsatz der PITT. Es wird davon ausgegangen, dass die Betroffenen über selbstregulative Selbstheilungskräfte verfügen. Es ist die Aufgabe des Therapeuten, diese zu fördern. Dies bedeutet z.B. die Übernahme von „Hilfs-Ich-Funktionen“ im Sinne von Ermutigung, die eigenen selbstregulativen Kräfte aufzuspüren und zu nutzen. Therapiephasen und imaginative Techniken Die PITT unterteilt sich in drei Phasen: 1. Die Stabilisierungsphase 2. Die Traumaexposition 3. Die Phase der Integration und des Trauerns (Abschlussphase) In der Stabilisierungsphase geht es darum, den scheinbar unkontrollierbaren inneren Bildern gesteuerte, kontrollierte, nur gute Imaginationen entgegenzusetzen. Es geht um das Schaffen einer guten inneren Welt im Rahmen einer unterstützenden therapeutischen Beziehung. Dabei wird mit einer Reihe von Imaginationsübungen gearbeitet: • „Gegenbilder“ (Beim Auftauchen eines negativen Bildes das Gegenteil davon entstehen

und erleben lassen) • „Der innere sichere Ort“ (als eine Art gutes, nicht persönliches inneres Objekt, mit der

Erfahrung von absoluter Sicherheit und Geborgenheit) • „Die inneren Helfer“ (als Repräsentanten guter innerer Objekte, die Halt und Trost

vermitteln) • „Die Tresor- oder Safe-Übung“ (zum „Wegpacken“ im Sinne einer bewussten

Verdrängung von traumatischem und anderem belastenden Material) • andere dissoziative Techniken: „das Übertünchen von Bildern“, „Das Übertönen von

Geräuschen“

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• „Das innere Team“ (s. auch Schulz von Thun, 1998) (Kontakt zu anderen (unbewussten) Selbstanteilen aufbauen und als Unterstützung bei der Klärung von Alltagsfragen nutzen)

• „Arbeit mit dem inneren Kind“ (s. auch Bradshaw, 2000; Chopich & Paul, 2003) • „Die konfliktfreie innere Zone“ (Hartmann, 1960, zit. nach Reddemann, 2001, S.157) In der Traumaexposition werden die traumatischen Intrusionen (=Einbrüche von traumatischem Material in den Alltag) und Flashbacks (s. Kap. 4.5) gezielt, aber dosiert, das heisst Schritt für Schritt, und gesteuert aufgesucht. Dabei werden gezielt imaginative Dissoziationstechniken eingesetzt: • „Screentechnik“ (Das Geschehen auf einer Leinwand ablaufen lassen mithilfe einer

Fernbedienung, einem Regler für Emotionen) • „Depersonalisationstechniken“ (Den eigenen Körper verlassen und von oben und

aussen betrachten, was geschieht)

Es soll dabei zu einer Traumasynthese , das heisst einer Synthese von Gefühlen, Bildern und Körpersensationen, führen. Zu jeder Zeit der Aufarbeitung des traumatischen Materials können die Selbsttröstungstechniken aus der Stabilisierungsphase angewendet werden. Die dritte Therapiephase ist eine Phase der Integration und des Trauerns. Es kommt zu einer Neuorientierung. Vorteile von PITT Die Ebene der Imagination ist sehr geeignet, den Körper in die therapeutische Arbeit miteinzubeziehen, ohne dass der Körper berührt werden muss., was gerade für Menschen, welche in zwischenmenschlichen Beziehungen traumatisiert wurden, oft ein Problem darstellen würde. Andererseits ist der Körper der Ort der Traumatisierung. Achtsames Wahrnehmen des Körpers und der Körperbedürfnisse wird daher fortwährend angeregt, die Auswirkungen von Vorstellungen auf den Körper und sein Befinden sind unmittelbar wahrnehmbar und helfen den Betroffenen, sich bewusst und aktiv auf funktionalere und heilsamere Vorstellungen einzulassen. Im Behandlungsansatz von Reddemann werden die Coping-Strategien von Traumatisierten und von Patienten mit einer BPS, nämlich Spaltung und Dissoziation, als Ressourcen aufgefasst und beim Einsatz von imaginativen Techniken genutzt. Behandelt man die traumatogenen Elemente der Störung, führt dies nach Reddemann (2001, 2006) zu einer raschen Beruhigung beim Patienten und zu einem ruhigeren Klima innerhalb der Therapiesitzungen. Kontraindikationen von PITT Redemann (2001, 2006) nennt folgende Kontraindikationen: • Klienten, welche die imaginative Arbeit – aus welchen Gründen auch immer – ablehnen • Klienten, die eine lange, haltende Beziehung brauchen und in der therapeutischen

Beziehung regredieren wollen • Klienten, die ihre Traumata ohne Dissoziationen verarbeiten und über ein hohes Mass

an Ich-Stärke verfügen

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7.4 Körperorientierte Psychotherapie der BPS In diesem Kapitel geht es um Konzepte der Körperorientierten Psychotherapie zur Behandlung der BPS. Zuerst wird die Unterscheidung der Begriffe „Körpertherapie“ und „Körperpsychotherapie“ erklärt, dann wird auf die Forschung und Studien der Körperpsychotherapie eingegangen und schliesslich werden Behandlungsmöglichkeiten von BPS mit Körperorientierter Psychotherapie im ambulanten und stationären Setting beschrieben.

7.4.1 Körpertherapie und Körperpsychotherapie Der Begriff Körpertherapie weist auf Defizite in der Körperorientierung der Psychotherapie hin. Er hat überwiegend einen psychoanalytischen Theoriehintergrund mit Weiterentwicklung in verschiedene eigene Körpertherapieverfahren und legt den Aufmerksamkeitsfokus verstärkt auf das leibliche Empfinden. Die Bezeichnung Körperpsychotherapie hingegen betont die enge Verbindung zwischen Sprache und Körpererleben. Anstelle dieser zwei Termini spricht man heute vermehrt von körperbezogener oder körperorientierter Psychothera pie . Während Vertreter körpertherapeutischer Verfahren eher zu einer Überbewertung der Körperarbeit im Vergleich zum Gespräch neigen, ist es bei den Vertretern verbaler Psychotherapieverfahren genau umgekehrt. Integrative Konzepte der körperbezogenen Psychotherapierichtungen (z.B. Maurer, 1993, 1998, 1999, 2002; Petzold, 2003) lösen diese Polarisierung auf. In der körperbezogenen/körperorientierten Psychotherapie wird auf die Wichtigkeit und Unverzichtbarkeit von Arbeit an und mit dem Körper (Berührung, Wahrnehmung der Haltung, der Bewegung, der Gestik und der Mimik) hingewiesen. „Sie unterscheidet sich von rein verbalen Psychotherapiemethoden … dadurch, dass sie frühes Material [Hervorhebung der Verf.], welches im Körper gespeichert ist, durch Körperinterventionen bewusst machen [Hervorhebung der Verf.] kann“ (Bolen, 2006, S. 13). In der nahezu unbestimmbaren Vielfalt theoretischer und praxisbezogener Literatur (s. Geuter, 2006) gibt es multimethodale Ansätze (z.B. körperorientierte Psychotherapie als eine Methode in der stationären Psychotherapie) und integrative Ansätze zwischen einzelnen Körpertherapiemethoden. Körperpsychotherapien beeindrucken mit ihrer Vielfalt und Kreativität in Bezug auf die therapeutische Praxis, wie z.B der Variationsbreite der Interventionstechniken und der Tiefe der emotionalen und körperlichen Erfahrungen und Veränderungen, die diese ermöglichen (Marlock, & Weiss, 2006; Schrauth, 2001). Demgegenüber bestechen verbale Psychotherapierichtungen mit der Treffsicherheit ihrer Begrifflichkeiten, der Differenziertheit der Theorien, die diese aufgestellt haben und immer weiterentwickeln. Bisher fehlen spezifisch körperorientierte Therapieansätze für di e Behandlung der BPS, die es in Zukunft zu entwickeln gilt. Michels (2005) nennt drei mögliche Ansätze:

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1. die Tiefenpsychologische Körpertherapie von Krens und Krens (2003), die sich

hauptsächlich an der Bindungstheorie der prä- und perinatalen Psychologie und der Selbstpsychologie orientiert

2. die Analytische Bewegungs- und Tanztherapie ABT von Trautmann-Voigt (2003), die das Konzept der analytischen Tanztherapie von Siegel (1986) mit der Säuglingsforschung von Stern (1992) und Lichtenberg (1998) sowie mit weiteren Forschungen der präverbalen Entwicklung verknüpft.

3. Mehr auf den Aspekt der Trauma-Therapie konzipiert ist der körperpsychotherapeutische Ansatz nach Madert (2003). Alle genannten Autoren sind zitiert nach Michels (2005, S. 206) und Geuter (2006, S. 27).

7.4.2 Forschung und Studien der Körperpsychotherapi e Einer grossen Anzahl an qualitativen Arbeiten , Artikeln und Buchveröffentlichungen zur Körperpsychotherapie steht erst eine kleine Zahl von empirischen Arbeiten gegenüber. Bisher gibt es eine Fülle von Methodenbeschreibungen und Falldarstellungen der Körperpsychotherapie, also eine eher „entdeckungsorientierte“ Forschung. Der Mangel an Forschung beruht vor allem darauf, dass die körperorientierten Psychotherapieschulen in der Regel nicht im akademischen Umfeld entwickelt wurden. Da in diesem Umfeld Körperlichkeit und Emotionalität wenig thematisiert wurden, hatten sich viele Gründer dieser Therapieverfahren enttäuscht von den Universitäten abgewandt und nach eigenen Wegen gesucht, was sich zum Teil auch in deutlichen antiakademischen Haltungen und Äusserungen niederschlug. Auch heute sind nur wenige Körperpsychotherapeuten an den Universitäten tätig. Einem grossen prozessualen, oft intuitiven Wissen um das „richtige“, hilfreiche Umgehen mit Patienten („Know-how“) steht ein geringes deklaratives Wissen („Know-what“) gegenüber. Wahrscheinlich haben sich auch deshalb bislang so wenige Körperpsychotherapeuten der empirischen Forschung gewidmet, weil sie mehr am „Know-how“ interessiert sind. Langfristig sollte es aber zu einem fruchtbaren Austausch und einer Integration zwischen „Know-how“ und „Know-what“ kommen. Dieser Trend zeigt sich im deutschsprachigen Raum seit den 1990er Jahren, ausgelöst durch die Auseinandersetzungen um die Psychotherapeutengesetze sowie um die Anerkennungsprozeduren (Bsp. Schweizerische Charta für Psychotherapie). Eine weitere methodische Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass sich ein Kontrollgruppenvergleich als schwer durchführbar und ethisch kaum vertretbar zeigt. Man müsste eine störungsgleiche Kontrollgruppe aus einem gleichen Grundkollektiv rekrutieren und diese dann auf eine Warteliste (für eine Therapie) setzen. Kontrollgruppenstudien sind im stationären Setting eher möglich, im ambulanten Bereich jedoch kaum durchführbar. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, Patientengruppen, die mit verschiedenen Therapieformen behandelt werden, zu vergleichen. Auch da steht man vor diversen Schwierigkeiten. So können zum Beispiel die psychosozialen Belastungsfaktoren der Kontrollgruppe zu unterschiedlich sein oder die Kontrollgruppe erweist sich „gesünder“/“normaler“ als die behandelte Gruppe. Bei bestehenden Studien der Körperpsychotherapie fehlen vor allem längere, prospektive Studien mit Kontrollen und Katamnesen. Zudem beziehen sich diese im Wesentlichen nach Remmel, Kernberg, Vollmoeller & Strauss, B. (2006) auf psychologische Parameter (Symptomatik, Persönlichkeitsentwicklung) und erfassen kaum je das Körpererleben.

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Eine Ausnahme zeigen die empirischen Untersuchungen von Yvonne Maurer (z.B. 1976, 1978, 1993, 1998, 1999, 2002). Als Folge des Defizits des Einbezugs des Körperlichen und aufgrund der fehlenden Bekanntheit des Körperlichen als spezifisch wirksame körperpsychotherapeutische Elemente innerhalb der Psychotherapie (s.o.) wählte Maurer (1975) für den von ihr begründeten Psychotherapieansatz den Begriff Körperzentrierte Psychotherapie . Dieses neue Grundelement des Körperzentrierten begründete sie in der Folge wissenschaftlich durch empirische Untersuchungen zum Körpererleben und zum Einbezug des Körpers in Therapie und Psychotherapie (weiterführende Literatur: Maurer, 1999). Heute wird anstelle der Bezeichnung Körperzentrierte Psychotherapie IKP vermehrt von Ganzheitspsychotherapie IKP gesprochen (s. Kap.9). Von 1953-1978 zeigten viele empirische Studien zum Körpererleben, dass neurotisch und psychotisch Kranke signifikant erhöhte Körpererlebn isstörungen im Vergleich mit gesunden Probanden aufweisen (weiterführende Literatur: Maurer, 2000). Die Untersuchung von Maurer (1978) zeigte kein getrenntes, sondern ein einheitliches Erleben im psychischen und körperlichen Bereich (sowohl bei psychisch kranken wie auch bei gesunden Probanden). Psychisch kranke Menschen erlebten sich im psychisch-physischen Symptomkomplex signifikant unwohler als Gesunde. Daraus folgt, dass „…jegliches psychisches Erleben durch Veränderung des körperlic hen Erlebens verändert werden kann “ (Maurer, 1987, S. 51), was wiederum für den Einsatz einer körperorientierten/körperbezogenen Psychotherapie gegenüber einer rein verbalen Psychotherapie spricht. Wilke (2000) bestätigt dies und findet das Fokussieren der Aufmerksamkeit von Patient und Therapeut auf den Körperausdruck und auf das Körpererleben therapeutisch ausgesprochen fruchtbar bei Patienten mit schwerwiegenden Körperbildstörungen. Menschen mit einer BPS, welche diese Symptomatik aufweisen (s. Kap. 4), sollten daher sehr gut auf eine körperbezogene Psychotherapie ansprechen. Viele Erkenntnisse der neueren Säuglingsforschung zeigen nach Wilke (2000) eine enge Verknüpfung der Entwicklung der Selbstvorstellung, des Selbstbildes, mit der Entstehung des Körperbildes. Diese ist das Ergebnis eines interaktiven Entwicklungsprozesses zwischen dem Säugling bzw. Kleinkind und seinen Beziehungspersonen (s. Kap. 6.3). Betrachtet man die BPS als „frühe Störung“ (s. Kap. 6.3, Kap. 7.4.3.1), ist auch hier wieder eine körperorientierte Psychotherapie indiziert. Unsere Recherchen zeigten, dass störungsspezifische Studien und die differenzierte Erforschung dessen, was genau durch körperpsychotherapeutische Interventionen und Prozesse passiert, weitgehend fehlen. Auch unsere Literatursuche nach empirischen Studien im Bereich der Körperpsychotherapie zur Behandlung der BPS blieb erfolglos.

7.4.3 Behandlungsmöglichkeiten der BPS mit Körperor ientierter Psychotherapie

Dieses Kapitel beinhaltet die Behandlungsmöglichkleiten der BPS mit Körperorientierter Psychotherapie. Die BPS wird einerseits als frühe Störung behandelt z.B. durch die Methoden der Emotionale Reintegration und KBT. Dabei steht die Bewusstmachung von „frühem Material“ durch Körperinterventionen im Vordergrund. Andererseits bietet die Körperorientierte Psychotherapie eine Behandlungsmöglichkeit für traumatisierte BPS-Patienten an.

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7.4.3.1 BPS: frühe Störung, Störung der weichen Str ukturen Bereits Freud (1923, zit. nach Maurer, 1999) betonte die Wichtigkeit des Körpers als Grundlage des Ichs, vor allem als ein Mittel zum Aufbau psychischer Strukturen in der frühen Kindheit . Das Ich als ein zunächst hauptsächlich körperliches Ich bildet sich nach Freud (1923) aus körperlichen Sensationen (vor allem von der Körperoberfläche herrührend). Auch in der späteren psychoanalytischen Literatur wird der Körper als Gehilfe des Ich-Aufbaus gesehen. Maurer (1993, 1998, 1999, 2002) betont die Wichtigkeit des Körpers für die Ich-Struktur für die gesamte Lebens dauer eines Menschen als fundamentale Ressource für Erwachsene bzw. für das Menschsein schlechthin. Die Körperzentrierte Psychotherapie IKP nach Maurer ist ein ressourcenorientierter Ansatz und arbeitet mit dem Körper als Ressource– nebst Ressourcen in anderen Dimensionen (s. Lebens-/Seinsdimensionen des „Anthropologischen Würfelmodells“ nach Maurer, 1993, 1998, 1999, 2002, s. Kap. 9.2) - ressourcenreaktivierend und ressourcenaufbauend. Freud meinte, psychische Störungen würden aus einer übermässigen Besetzung des Körpers mit Libido (=Hyperkathexis) entstehen. Dies konnte Maurer (1976) widerlegen und vertritt, wie bereits Federn (1956), die Meinung, dass psychische Störungen eher durch eine Unterbesetzung des Körpers (=Hypokathexis) ent stehen . Demnach wären vor allem ein psychoanalytisches Setting, aber auch andere rein verbale Behandlungsansätze zur Behandlung psychischer Störungen kontraindiziert, weil dabei die Unterbesetzung des Körpers beibehalten oder sogar noch weiter fixiert und verstärkt wird. Für eine erfolgreiche Psychotherapie spricht demnach eine körperbezogene/körperorientierte Psychotherapie, welche zu einer ausgeglichenen (d.h. weder über- noch unterbesetzten) Körperbesetzung über eine Aktivierung des Körpererlebens, der Körperwahrnehmung und des Körpersensibilisierungsprozesses führt. In der geschichtlichen Entwicklung der Körperpsychotherapie zeigt sich in den Anfängen das Bestreben, durch körperliche Interventionen (Bewegung, Haltung, Druck auf Muskelaximalpunkte, Massagen etc.) die autonome Selbstregulation bei psycho-physischen Störungen wieder in Gang zu bringen . Wilhelm Reich (*1897 – 1957†), der eigentliche Begründer der Körperpsychotherapie, befasste sich als erster Psychoanalytiker eingehend mit der BPS, die er damals „triebhaften Charakter“ nannte (s. Kap. 3.2.1). Für Patienten, welche keine stabile Ich-Struktur hatten und daher zur verbal-assoziativen Arbeit nicht in der Lage waren, suchte Reich nach einer Behandlungstechnik. Als Folge chronifizierter Abwehrvorgänge bildeten sich nach seinen Beobachtungen charakterliche Haltungen, der sogenannte Charakterpanzer , aus, die oft mit Körperhaltungen einhergingen. Er fand bei neurotischen Patienten im Körper ein System von Energieblockaden , die den freien Fluss der Energie und damit auch der Gefühle verhinderten und begann in der Folge, mit seinen Händen an den Muskelspannungen seiner Patienten zu arbeiten (Reich, 1933). Im Zustand der Krankheit sind nach diesem theoretischen Hintergrund die rhythmisch pulsierenden Prozesse des vegetativen oder autonomen Nervensystems (Sympathikus – Parasympathikus) blockiert, worauf sich die Patienten chronisch in einem erhöhten Spannungszustand befinden und nicht fähig sind, diese Spannung zu entladen. Diese Blockierungen führen beim Patienten zu einem Verlust eines Teils seiner Mobilität im Sinne des freien Ausdrucks seiner Gefühle durch Haltung, Bewegung, Gestik und Mimik, als auch eines Teils seiner Motilität (=des unwillkürlichen spontanen Energieflusses der Muskeln). Reich sprach vom sogenannten Muskelpanzer . Durch Arbeit am Körper sollen in der Körperpsychotherapie diese einschränkenden muskulären Blockaden resp. Spannungszustände gelöst werden. Dabei kann es zum Auftreten von tiefen Gefühlen kommen, welche subjektiv als ein lustvolles Strömen spürbar und objektiv als eine Pulsationswelle, die den ganzen Körper durchläuft, beobachtbar sind. Reich nannte dieses ungehinderte Pulsieren zuerst Orgasmusreflex , später Lebensreflex .

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Lowen (1986), sprach von Freisetzung der gehemmten Lebensenergie („Libido“ als allgemeine psychische Energie) als Ziel der Bioenergetik und Biodynamik. Lowen versteht den Körper als Organ der Abwehr von Affekten und versucht diese (z.B. durch biodynamische Massagen) aufzuspüren und aufzulösen. Es kommt dabei nicht zu einem explosionsartigen Ausbruch lange gestauter Emotionen, sondern zu spontanen Gefühlsentladungen mit authentischem Charakter in der Entspannungsphase (Gefühle des Schmelzens). Bereits Bodaella (1977), Begründer der Schule für Biosynthese, und vor allem Bolen (2006) weisen darauf hin, dass Personen „mit frühen Störungen oder weichen Struktu ren“, also z.B. Personen mit einer BPS, „bei konfrontativen Berührungen abspalten und depersonalisieren“ (S. 20). Daher ist ein „Angriff“ auf den Muskelpanzer (z.B. Lowen, 1986; Reich, 1933), oder anders ausgedrückt, eine Arbeit an den „harten Strukturen “, bei Borderline-Patienten kontraindiziert. Reich waren dazumals nur die „harten Strukturen“ vertraut, also Charakterstrukturen, die einen Muskelpanzer als Abwehr aufgebaut hatten. Seine Techniken entwickelte er zur Auflösung dieses Panzers. Davis (1988), ein amerikanischer Körperpsychotherapeut, bezeichnete als Erster die frühen Störungen als „soft structures“ , also weiche Strukturen. Menschen mit weichen Charakterstrukturen haben nicht das Problem, ihre Gefühle zu äussern. Sie werden geradezu von ihnen überschwemmt. Daher geht es in der Therapie darum, diese Emotionen halten zu können und gemeinsam mit dem Therapeuten zu verarbeiten. Dazu braucht es keine dynamische Stimulation, sondern das sogenannte Containing , also innerhalb der therapeutischen Beziehung Sicherheit, Schutz, Grenzen und Unterstützung. Boyesen (Boyesen & Boyesen, 1977), Begründerin der Biodynamik, beschäftigte sich in der Folge mit dem visceralen System und ging davon aus, dass sich ungelöste Konflikte als latente dynamische Anspannung der Eingeweide (Viscera) manifestieren und Gefühle im Inneren des Körpers festgehalten werden. Boyesen (Boyesen & Boyesen, 1977) fand heraus, dass bei Menschen mit einer BPS die Skelettmuskulatur ni cht hyperton, sondern hypoton ist und diese somit keine klassischen Muskelpanzer-Strukturen zeigen. Dies bestätigt die Ergebnisse der Studie von Maurer (1976) zur Hypokathexis bei psychischen Störungen . In der Folge spricht Boyesen von Gewebepanzerungen . Sie arbeitete zuerst mit sanften Massagen, die Darmbewegungen (Psychoperistaltik) erzeugen und zu einer Entladung der gestauten Energie im Darm führen und später (1990er Jahre) mit weiteren Techniken, um gestaute Energie zu entladen, indem sie nur mit der Aura der Patienten arbeitete, ohne diese direkt zu berühren. In der phänomenologischen Beschreibung von Borderline-Patienten in der Konzentrativen Bewegungstherapie KBT (s.u.) weist Franz (2006) jedoch darauf hin, dass sich bei Borderline-Patienten auf der Ebene der Körperhaltungen und im Bewegungsv erhalten eine Palette von Extremen findet. Die einen Extreme sieht sie eher in Verbindung mit Depression, die andern mit Aggression. Im Bewegungsverhalten zeigt sich ein Spannungsbogen von Antriebsarmut und Zögerlichkeit, mitunter mit Bruch und ohne Übergänge bis zum Gehetzt- und Getrieben-Sein. Es kommt zu raschem Wechsel von hohem, angespanntem Muskeltonus , begleitet von gut durchbluteter Haut, bis zur plötzlichen Erschlaffung sowohl des Muskeltonus als auch der Haut. Diese Extreme und raschen Wechsel auf der körperlichen Dimension entsprechen den Extremen und raschen Wechseln in anderen Bereichen der Symptomatik der BPS und verweisen vor allem auch auf die Spannungszustände bei der BPS (s. Kap. 4, Kap. 4.5). Nach Franz (2006) haben also Menschen mit BPS nicht grundsätzlich eine hypotone Skelettmuskulatur. Zu Muskelpanzerungen kommt es aufgrund dieser Erkenntnisse dadurch nicht, weil Borderline-Patienten im Muskeltonus von einem Extrem ins andere wechseln, also nicht chronifizieren.

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Im Folgenden stellen wir zwei Ansätze der körperorientierten Psychotherapie von frühen Störungen (z.B. BPS) vor: die emotionale Reintegration nach Bolen (2006) und die Konzentrative Bewegungstherapie KBT nach Gindler (zit. nach Becker, 1988). Emotionale Reintegration nach Bolen Bolen (2006), der Begründer der Emotionalen Reintegration , ursprünglich klassisch reichianisch ausgebildet, suchte nach einer körperorientierten Methode, die nicht Stress als Methode einsetzt (wie bei Lowen, 1986 und Reich, 1933) und dennoch an die tiefen Emotionen heranführt. Er entwickelte eine körperorientierte Herangehensweise an „ungepanzerte Störungen“ in Form von Gelenksarbeit . Bolen (2006) begründet die frühen Störungen als weiche Strukturen wie folgt:

Es scheint, dass erst um das zweite Lebensjahr der Körper imstande ist, als Abwehr mit der quer gestreiften Skelettmuskulatur zu reagieren. Das heisst, frühe Störungen haben keinen muskulären Panzer als Abwehr aufgebaut. Lediglich tief im Kern, um die Wirbelsäule herum und im Nacken gibt es chronische Spannungen. (S. 40)

Die Gelenksarbeit nach Bolen (2006) findet meist im Liegen auf einem Massagetisch statt. Der Patient behält seine Kleider an und hat die Knie in der Regel aufgestellt (� Bauch entspannt, Muskelentladungen über die Oberschenkel, mit Fusssohlen Kontakt zur Unterlage, dadurch Erdung und Gefühl von Sicherheit). Der Therapeut sitzt auf der rechten Seite des Patienten. Wenn dieser den Therapeuten anblicken will, schaut er nach rechts unten. Beobachtungen von Bandler und Grinder (2001) ergaben, dass diese Augenstellung das kinästhetische System, also die Körperempfindungen stimuliert. Der Therapeut führt langsame, weiche Bewegungen in den Gelenken aus. Patient und Therapeut achten gemeinsam auf eintretenden Widerstand in der Bewegung oder auf entstehende Stopps. Auffinden von feinen Gelenksblockierungen oder Widerständen sind das Ziel dieser Suche. Zunächst bleibt der Patient passiv in seiner Bewegung, nur beobachtend und empfindend. Um den Patienten nicht zu überfordern (� Abspaltung) und um ein Adaptionsphänomen zu verhindern, wird nie zu lange in einer Position oder bei einem Thema stehen geblieben, sondern der Therapeut geht davon weg und kehrt wieder zurück. Dann fragt der Therapeut den Patienten nach, ob Intentionen zu einem Bewegungsimpuls spürbar sind. Nach dessen Mitteilung wird der Patient ermutigt, diesen Bewegungsimpuls auszuführen. Sind keine Bewegungsimpulse spürbar, aber für den Therapeuten offensichtlich, regt er den Patienten dazu an, probeweise eine von ihm vorgeschlagene Bewegung auszuführen. In den Bewegungswiderständen innerhalb der passiven Bewegungen in den Gelenken sind nach Bolen (2006) Erinnerungen an Themen, letztlich auch an früheste Traumata gespeichert. Jedes Gelenk korreliert mit bestimmten Körperteilen und dort lokalisierten Gefühlen. Das Handgelenk, um ein Beispiel zu nennen, bezieht sich nach Bodaella (1991) und Bolen (2006) auf das Halssegment und den Nacken. Handgelenksblockierungen finden sich oft bei frühen Störungen , die in der Tiefe der Nackenmuskulatur, am Schädelansatz deutliche Spannungen haben. Diese verhindern das Strömen in die Peripherie. Dadurch sind die Hände und Finger kalt. Die Energie wird im Körperinneren festgehalten. Die Therapiesitzung endet mit Aufsitzen, Überprüfung der neuen Empfindung und Nachbesprechung des Erlebten. Im Sitzen und Stehen wird gearbeitet, wenn es darum geht, Wut auszudrücken oder wenn der Patient ungewollt durch das Hinlegen in eine tiefe Regression hineinrutscht und Probleme damit hat, wieder herauszukommen, wie es bei Menschen mit weichen Strukturen häufig vorkommen kann.

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Bewusstmachung von „frühem Material“ durch Körperin terventionen Bolen (2006, S. 13) bezeichnet unser Gehirn als einen „Biocomputer“, auf dem „etwa bis zum vierten Lebensjahr … von den Erziehungspersonen, meistens den Eltern, Programme installiert“ werden, wogegen sich das Kind „nicht wehren“ kann. „Erst nach dem vierten Lebensjahr, wenn nach dem Abschluss der Hirnreifung die Persönlichkeitsbildung ein neues Stadium erreicht hat, kann es dagegen Widerstand leisten“, jedoch oft nur indirekt. Da unser kognitives Gedächtnis nur etwa bis zum dritten Lebe nsjahr zurückreicht, entzieht sich, was vorher geschah, unserer Erinnerung. Geschehnisse vor dem dritten Lebensjahr sind wohl im Körpergedächtnis gespeichert, aber nicht im kognitiven Gedächtnis und somit auch nicht in Form von sprachlichen Codes . Daher können sie auch nicht durch rein verbale Interventionen abgerufen werden. Dies betrifft also auch die oben genannten Eingaben oder Introjekte. Negative Auswirkungen gibt es dann, wenn diese Eingaben nicht der Natur des Kindes entsprechen und wenn die Eltern das Kind nicht als eigene Persönlichkeit erkennen, indem sie z.B. ihre Projektionen auf das Kind richten. Die schädlichen Auswirkungen hängen vor allem von dem Ausmass und der Intensität der dem Wesen des Kindes nicht adäquaten Erziehungsprogrammen ab (s. Kap. 6.3). Schwierigkeiten in Entscheidungsfindungsprozessen zeigen sich häufig aufgrund einer fehlenden Balance zwischen Gefühl und Verstand. Was vom Verstand her als logisch, richtig und korrekt erscheint, jedoch nicht in Balance zu den Gefühlen steht, entspricht nach Bolen (2006) Reaktionen auf ein unbewusstes, der verbalen Erinnerung nicht zugängliches „Programm“ und nicht einer eigenen Überzeugung. Durch körperbezogene/körperorientierte Interventionen ist es möglich, an diese Programme aus unserer frühen und frühesten Kindheit heranzuko mmen und sie auf ihren früheren Sinn zu überprüfen, um gegebenenfalls anders handeln zu können. Die Möglichkeit, über das Körpergedächtnis Unbewusstes bewusst zu ma chen , geht bereits bis in die 1960er Jahre zurück, z.B. auf die Untersuchungen des Einsatzes von „Body-Ego-Technique “ in der stationären Behandlung von chronisch-schizophrenen Patienten von May, Wexler, Salkin & Schoop (1963, zit. nach Maurer, 1999). In der „Body-Ego-Technique“ geht es darum, „…verlorene körperliche Gedächtnisspuren von Emotionen zu reaktivieren und sich dadurch auch allfällige Verlusttraumatas von früheren Bezugspersonen wieder bewusst zu machen“ (Maurer, 1999, S. 15). May et al. ging es um die gefühlsmässige Erfahrung mit bestimmten Körperhaltungen und Bewegungen, die der normalen kindlichen Entwicklung entsprechen (z.B. werfen, schlagen, stampfen, liebkosen). Solche Body-Ego-Techniken werden auch in der Körperzentrierten Psychotherapie IKP eingesetzt (s. Kap. 9) Das unter ungünstigen Bedingungen erworbene, limitierende, und damit psychotherapeutisch relevante Wissen des Körperselbst soll aufgedeckt, in seinen Facetten und Auswirkungen erlebt und durchgearbeitet werden. Erfahrungen, die dieses Wissen erweitern und den Leib neu informieren, sind eine wichtige Grundlage für therapeutische Veränderung. Als einen Zugangsweg und Voraussetzung zur Änderung psychischer Strukturen nennen auch Remmel et al. (2006) körperliche Erfahrungen, die häufig besonders stark mit Affekten verbunden sind. Sie scheinen „besonders da wirksam zu sein, wo es um defizitäre und maladaptive Entwicklungen im Bereich früher Beziehu ngen geht“ (Remmel et al., 2006, S. 403), wie die Entstehung der BPS zeigt (s. Kap. 6.3) Janov (1984) betont in seiner Primärtherapie ebenfalls die Wichtigkeit körperlicher Mobilisierung, um vom Fühlen und vom Körper abgespaltene frühkindliche Erfahrungen, vor allem sogenannte Urerlebnisse primärer Szenen, dem Erleben wieder zugänglich zu machen.

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Die Körperorientierte Psychotherapie bietet eine zielführende und manchmal den Weg abkürzende Methode, um an den sogenannten Urschmerz (=frühe seelische Schmerzen, die immer auch mit körperlichen Schmerzen einhergehen, (s.o. „einheitliches Erleben im psychischen und körperlichen Bereich“, Maurer, 1978) heranzukommen. Auch für Wilke (2000) ist körperorientierte Psychotherapie gegenüber einer rein verbalen Psychotherapie besonders für Patienten indiziert, deren sprachliche Symbolisierungsfähigkeit eingeschränkt ist. Behandlung von BPS mit Konzentrativer Bewegungsther apie KBT Auch die Konzentrative Bewegungstherapie KBT nach Gindler (*1885 – 1961†, zit. nach Becker, 1988), ein tiefenpsychologisch fundiertes Verfahren, nutzt die oben genannten Erkenntnisse und setzt die Körperbewegung und Körperwahrnehmung als Zugangswege zu früheren Erinnerungen und Entwicklung neuer Erlebnisse und Erfahrungen ein. Bewegung intensiviert inneres Erleben, verändert Stimmungen, fördert Erinnerungen und Assoziationen. In der KBT sind in einem vorsprachlichen Ausdrucksbereich Reinszenierungen von frühkindlichem Geschehen möglich, einerseits in der Übertragung auf Mitpatienten in den KBT-Gruppen und zum Therapeuten andererseits, aber auch in der Beziehung zum Raum und zu unbelebten Objekten (Übergangsobjekten), die in diesem Raum vorhanden sind. Im klinischen Setting wird die KBT fast immer mit einer verbalen (Einzel- oder Gruppen-)Psychotherapie kombiniert, um das Erlebte sprachlich auszuformulieren. Zusätzlich können kreative und imaginative Verfahren für die weitere Umformung und Ausgestaltung des Prozesses hilfreich sein (s. „mulimethodale Ansätze“, Kap. 7.4.1). Wilke (2000) empfiehlt die KBT unter anderem zur Behandlung von frühen und schweren Störungen und von Patienten mit Körperschemastörungen, unter den Bedingungen, dass „es dem Therapeuten gelingt, in der Gruppe die notwendigen Stützungen zu geben, Abgrenzungsvorgänge zu fördern, wenn sie sinnvoll sind, und die Realitätswahrnehmung der Gruppenteilnehmer zu fördern“ (Wilke, 2000, S. 287). Franz (2006) nennt in der KBT-Arbeit mit Borderline-Patienten folgende Grundlagen: • Bei gefahrenvollen Veränderungen der Realität des Patienten auf Vereinbarungen im

Therapievertrag (z.B. Regelverstösse, Hilfeplan bei Selbst- und Fremdgefährdung) hinweisen

• Bei Lösungsversuchen Hilfe zur Selbsthilfe geben • Auf Abwehrmechanismen achten • Förderung von konstruktiv aggressivem Verhalten beim Patienten, indem seine

aggressiven Äusserungen an- und ernst genommen werden und ihnen nicht ausgewichen wird. Adäquate Reaktionen und Bestehen auf Einhaltung von Regeln des Therapievertrages, sowie das Offenhalten als Liebes- und Hassobjekt (in einer Person).

• Arbeiten mit Gegensätzen (z.B. Gegenstände, Berührungen, Tempo). Dabei die Zwischenräume betonen und erfahrbar machen.

• Aktive Grenzsetzung • Konfrontation mit verleugneten Inhalten und Abwehrm assnahmen • Aufspüren und Bestätigen von Ressourcen • Ich-stützend und Ich-stärkend arbeiten • Entwicklung einer besseren Frustrationstoleranz • Integrative Arbeit an der Konstitution des Körperschemas und Körperbildes.

Ausdifferenzierung der Körperwahrnehmung zur Selbstwahrnehmung als Einheit • Beendigung der KBT-Stunde im Hier- und Jetzt Franz (2006) hat bei den Überlegungen zum Therapieverlauf die KBT-Arbeit für die Behandlung von Borderline-Patienten modifiziert. Sie beschreibt ihre Vorgehensweise

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anhand eines Fallbeispiels mit einer Borderline-Patientin: Den Fokus setzt sie vom Hier und Jetzt, also von der Oberfläche, zur Tiefe hin zu arbeiten. Der Behandlungseinstieg findet über reale Botschaften, Erfahrungen und Handlungen statt. Es wird mit offenen Augen gearbeitet. Zu Beginn werden der Raum und seine Gegenstände über die Sinneskanäle kennen gelernt. Im weiteren Verlauf geht es um den Körper im Raum (z.B. im Raum gehen, sitzen, liegen, stehen; Körpermasse im Verhältnis zu Raum- und Platzmassen). Das Ziel ist eine Verbesserung des Realitätsbezuges durch Wahrnehmungsförderung mit verbaler Bestätigung. Dann werden via Körperwahrnehmungen frühere Beziehungen wieder belebt und bearbeitet. Dabei sollen korrigierende Erfahrungen erlebt und durch Verbalisation verstanden werden. Passive Körperarbeit im Liegen führt zu regressiven Situationen. Dabei übernimmt die Therapeutin sowohl die „holding function“ als auch eine Hilfs-Ich-Funktion und es kann zu einer positiven Mutterübertragung kommen. Autonomieregungen der Patientin in Form von Äusserungen von Bedürfnissen und Wahrnehmungen werden gefördert. Frühes Erleben wird in einer Zwischenstufe zum Gespräch gestaltet, z.B. mit Ton modelliert, gemalt oder es werden Gegenstände in die Darstellung miteinbezogen. In der darauf folgenden Zeit wurden Zwischenräume zum Thema (z.B. Erfahrungen von Annähern und Abstandhalten in der Beziehung zwischen Patientin und Therapeutin; Körperinnenräume wahrnehmen). Durch vermehrte Hinzunahme von Gegenständen wurden Symbolisierungsprozesse in Gang gesetzt (Gegenstände als Symbol, Identifikations- und/oder Projektionsobjekt bzw. als Ding ins Handeln miteinbezogen). Innere Aggressionen traten nach aussen in die Beziehung zwischen Patientin und Therapeutin durch das Auftreten einer inneren hämischen und quälenden Stimme. Diese innere Stimme wurde als inneres Objekt aufgefasst, dessen Funktion in dem Widerstand gegenüber Veränderung besteht. Trennungs- und Verselbständigungsprozesse wurden am Ende der Therapie zum Thema und mit aktiver Körperarbeit gefördert (Spüren der Festigkeit des Bodens; wahrnehmen und fühlen von Kraft und Aktivität im Stehen und Gehen; nehmen, loslassen und neuergreifen von Gegenständen). Es lassen sich anhand dieses BPS-Fallbeispieles von Franz (2006) folgende Therapiephasen in der KBT-Arbeit unterscheiden: 1. Vertrauensphase : Wahrnehmung und Wahrnehmungsfunktionen, Raumerleben 2. Phase der Regression : Ganzheitsgefühle über Körperangebote erfahrbar machen 3. Konflikt- und Übungsphase : a) Partnerarbeit: Abgrenzung und „Für-sich-einstehen-

können“ durch Rückmeldungen während des Tuns in Ich-Aussageform und b) Umgang mit Materialen � Differenzierung von Selbst- und Objektbildern. Arbeit mit Symbolen � Fähigkeit zur Abstraktion, Erkennen und Distanzierung.

4. Trennungsphase : Wiederholung von Angeboten, Trennungsthemen und –inhalte anschauen.

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7.4.3.2 Körperorientierte Psychotherapie bei trauma tisierten Borderline-Patienten Traumatisierungen können bereits bei der Geburt oder sogar schon intrauterin (Bsp. Depressive Schwangere � zu wenig Serotonin vorhanden � gelangt durch die Placenta über die Nabelschnur zum Kind � Embryo erfährt und übernimmt auf biochemischem Weg Gefühle der Mutter) geschehen. Die frühesten erlittenen Traumata sind in unserem Organismus gespeichert, nicht aber in verbalen Mustern. Ergebnisse der neuropsychologischen Forschung weisen darauf hin, dass traumatische Erfahrungen so tief ins Affektive und Vegetative hineinreichen und über das limbische System fixiert sind, dass sie durch primär kognitive und verbal orientierte Verfahren der Psychotherapie nicht zugänglich sind. Frühe und früheste Traumata können durch Körperinterventionen wieder bewusst gemacht werden und die Patienten erinnern dabei keine Bilder oder konkrete logische Zusammenhänge, sondern starke Gefühle und körperliche Empfindungen. Bereits der Psychoanalytiker Ferenczi (*1873 – 1933†) vertrat 1928 die Ansicht, dass es durchaus sinnvoll sei, Patienten, die intensiven infantilen Traumatisierungen ausgesetzt waren, auch zu berühren, wenn dies Halt und Struktur gebe und somit dem therapeutischen Prozess förderlich sei. Es gehe darum, emotionale Mangelzustände durch eine mütterlich getönte Zuwendung auszugleichen und die Patienten dadurch emotional zu stabilisieren. Viele Autoren (Bolen, 2006; Papousek & Papousek, 1998; Petzold, 1993, 2003) weisen darauf hin, dass sich Schädigungen der frühen Lebensphase natürlich potenziell stark auf alle Bereiche der Entwicklung auswirken, weil der Säugling und das Kleinkind Abwehr gar nicht oder nur rudimentär (nur Abspaltung als eine passive Folge von Traumafolgen zur Verfügung) entwickelt haben, dass jedoch auch die Kompensationsmöglichkeiten erheblich sind. So muss eine traumatisch verlaufene frühe Lebenszeit nicht zwangsläufig automatisch zu späteren psychischen Schädigungen führen. Daher kann man die BPS, die zu den frühen Störungen oder Schädigungen gezählt wird, nur verstehen, wenn man sie als Störung begreift, die sich in einem ganzen Leben entwickelt hat „als Kette solcher Negativ-Erfahrungen [,die] im gesamten Lebenslauf nicht abgerissen ist“ (Petzold, 1993, S. 20ff.). Im Erwachsenenalter Traumatisierte spalten oft die traumatischen Geschehnisse ab. Die Abspaltung als primärer Abwehrmechanismus beim Säugling steht uns – neben vielen weiteren Abwehrmechanismen - in der Not als Erster zur Verfügung. Die seelischen und körperlichen Schmerzen bleiben im Organismus - im linken Nukleus Amygdale, einem Teil des limbischen Systems – gespeichert und die traumatischen Erlebnisse werden bei bestimmten Auslösern aufs Neue getriggert. Viele Autoren (Bolen, 2006; Petzold & Orth, 1990; Van der Kolk, Bessel, McFarlane, Alexander & Weisaeth, 2000) berichten, dass man durch rein verbale Psychotherapie alleine nicht an dieses Geschehen herankommt, wohl aber durch gezielte körperorientierte Techniken. Körperorientierte Psychotherapie vermag also Traumata früher und frühester Kindheit wieder zu erinnern, um sie der Verarbeitung zugänglich zu machen, ebenso Folgen von Schocktraumatas im Erwachsenenalter. Im Unterschied zu einer lediglichen Wiederholung (die eine neuerliche Traumatisierung bedeuten würde) geschieht das Wiedererleben diesmal innerhalb der sicheren therapeutischen Beziehung. Der Therapeut repräsentiert die Gegenwart, die Sicherheit, den Schutz und das Kraftpotential des Erwachsenen. Ausserdem sollen innerhalb des Wiedererlebens auch die abgespaltenen oder verdrängten Emotionen erlebt werden und zugleich auch die dazugehörige körperliche Empfindung. Wenn auf allen diesen Ebenen gleichzeitig das Trauma wieder bzw. erstmals vollständig erlebt werden kann, also eine Verknüpfung geschieht, ist Heilung möglich.

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7.4.4 Körperorientierte Psychotherapie der BPS im s tationären Setting Auch heute noch wird zwischen entweder rein verbalen Behandlungen (Psychotherapie im engeren Sinne) oder reinen Körpertherapien unterschieden, was einer Trennung zwischen Geist/Psyche und Körper entspricht. Im stationären Bereich ist es weit verbreitet, dass derselbe Patient einerseits „psychisch-geistig“ und andererseits „körperlich“ von jeweils unterschiedlichen Personen behandelt wird. Körpertherapien sind zwar im stationären Bereich vielerorts gut etabliert, werden aber oft nur als (weniger wichtiger) Zusatz zu psychotherapeutischen Verfahren eingesetzt, ausgeführt von Sportlehrern mit Zusatzausbildung, Physiotherapeuten oder Atemtherapeuten. Es handelt sich dabei um Behandlungsverfahren mit meist pädagogischem Ansatz, wie z.B. die Feldenkrais-Methode, Atem-, Bewegungs- und Sporttherapien. Als anerkannte Methoden der Psychotherapie und am meisten angewandte körperorientierte Verfahren nennen Remmel et al. (2006) die Konzentrative Bewegungstherapie KBT (s.o.), die Bioenergetik und die Funktionelle Entspannung. Leider wird so die Chance verpasst, dass eine integrierte Behandlung durch ein und dieselbe Therapeutin die bessere Integration der beiden Lebensbereiche eröffnet (Maurer, 1999). Die Körperpsychotherapie hat zumindest in der klinisch-stationären Therapie psychosomatischer Störungen und Erkrankungen immer mehr Anerkennung erlangt, währenddem ihr Einsatz und ihre Effizienz in der Therapie von Persönlichkeitsstörungen eher in Frage gestellt wird. Das hat nach Michels (2005) vor allem damit zu tun, dass die bisher entwickelten körperpsychotherapeutischen Methoden in der Therapie von Persönlichkeitsstörungen deutlich an ihre Grenzen stossen. Denn genauso wie die verbal orientierte Psychotherapie der BPS benötigt auch die Körperpsychotherapie entsprechend differenzielle Konzepte für die BPS. In unseren Recherchen fanden wir zumindest einen Behandlungsansatz für Patienten mit ich-strukturellen Störungen/Defiziten und von Persönlichkeitsstörungen, der auch für BPS-Patienten im stationären Umfeld anwendbar ist: die Strukturelle Körperpsychotherapie nach Michels (2005). Die Strukturelle Körperpsychotherapie bei Persönlic hkeitsstörungen Die Strukturelle Körperpsychotherapie wurde von Alois Michels (2005) entwickelt, um eine Körperpsychotherapie-Methode darzustellen, die speziell für die Therapie von Patienten mit ich-strukturellen Störungen oder Defiziten konzipiert wurde. Sie ist das Ergebnis seiner Erfahrungen mit Körperpsychotherapie bei der Behandlung von Patienten mit ich-strukturellen Störungen/Defiziten und mit Persönlic hkeitsstörungen im klinisch-stationären Bereich über zwei Jahrzehnte. Der Begriff Struktur wird in der Strukturellen Körperpsychotherapie nach der Struktur-Theorie der Integrativen Therapie (Rahm, Otte, Bosse & Ruhe-Hollenbach, 1993) verwendet. Struktur bezeichnet „den Bauplan von Beziehungen, die zwischen den Elementen und Subsystemen eines übergeordneten Gesamtsystems bestehen, sowie die Installierung dieser Beziehungen“ (Michels, 2005, S. 210). Dabei ist Struktur etwas enorm Dynamisches, das sich ständig entwickelt und verändert und durch Austauschprozesse eines Systems mit seiner Umwelt entsteht. Die strukturelle Körperpsychotherapie zielt auf die Installierung oder Restaurierung von Strukturen , „weil die Arbeit an und mit der Struktur den Menschen tiefer erfasst, berührt und

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verändert, als dies in der Vermittlung und Bereitstellung von Fähigkeiten der Fall ist…“ (Michels, 2005, S. 210). Michels geht von einem komplementären „kreuzmodalen“ Therapiekonzept aus, d.h. von einer Kombination verbaler Psychotherapie und Körperpsychotherapie (evtl. unter Einbeziehung von Kunsttherapie) in der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen. Die Strukturelle Körperpsychotherapie beruht auf vier anthropologischen Basiskonzepten. Eines davon ist das Korrespondenz-Konzept der Integrativen Therapie (Rahm et al., 1993). Der Begriff Korrespondenz bezeichnet in der Integrativen Therapie die fundamentale Tatsache, dass wir ständig in Beziehung zu unserer Umwelt und zu unseren Mitmenschen stehen, und wir uns ohne diese Korrespondenz weder entwickeln noch überleben könnten (s. auch Kap. 9). Diese Korrespondenz existiert vom Beginn unserer Entwicklung, d.h. von der Zeugung an, und wird mit der Methode der Strukturellen Körperpsychotherapie spürbar, erlebbar, nacherlebbar gemacht. Sowohl die Säuglingsforschung (Stern, 1992) als auch die Hirnforschung bestätigen dieses Korrespondenz-Konzept. Die Säuglingsforschung weist nach, dass ein Säugling sich die genetisch angelegte Korrespondenz mit der Lebenswelt nach und nach in seinem Ich-Bewusstsein selbst anzueignen beginnt (Stern, 1992). Michels betont v.a. die Wichtigkeit eines differenziellen Struktur-Modells für die präverbale Entwicklungsphase in der Therapie von Persönlichkeitsstörungen. Im Konzept der Strukturellen Körperpsychotherapie werden zwölf allgemeine neuronal-mentale Strukturen der Selbst-Entwicklung definiert und nach vier Entwicklungsstufen differenziert. Diese Strukturen haben ihre theoretische Fundierung in den anthropologischen Konzepten (s.o.), sowie in den Ergebnissen der Säuglings- und Hirnforschung. In der Strukturellen Körperpsychotherapie werden nebst dem Körper auch die Raum- und die Zeitdimension miteinbezogen. Die wichtigsten Therapiephasen und entsprechende Therapietechniken der Strukturellen Körperpsychotherapie sind: • Verankerung

Verankerungsstufe 1: Beispiel einer Praxisanleitung: Wahrnehmung der Unterlage, auf der der Patient sitzt � wenn stabile Konzentration auf Unterlage möglich, Unterlage = Ankerpunkt � Konzentration kurzfristig auf einen anderen Punkt � Rückkehr zum Ankerpunkt Unterlage � wenn Konzentration auf den Ankerpunkt sofort wieder da ist = Verankerung strukturell stabil. Verankerungsstufe 1 entspricht einer taktilen Verankerung. Bei ich-strukturell schwer geschädigten Patienten kann es bereits auf dieser Stufe zu ersten massiven Reaktionen wie Panikgefühlen und anderen heftigen Gefühlszuständen kommen, welche häufig Ausdruck einer inneren Verzweiflung sind. Der Therapeut leistet dann viel Übersetzungsarbeit und erklärt dem Patienten, dass es darum gehe, diese zuvor oft verdrängten Gefühlszustände erst einmal bewusst wahrzunehmen und verstehen zu lernen. Verankerungsstufe 2: zusätzlich zur taktilen Verankerung eine visuelle Verankerung (einen Gegenstand visuell stabil speichern) und deren Verbindung miteinander. Verankerungsstufe 3: Integration der Verankerung in den Lebensalltag = Aktualitätstraining (Training im Hier und Jetzt)

• Integration des primären Körperschemas (Positionssc hema) Wahrnehmung der Körperpositionen (Sitzen, Stehen, Vierfüsslerstand, Gehen, Liegen) -� Kontakt zu spezifischen Körperpositionen herstellen können

• Integration der drei Ebenen: Gedanken – Gefühle – K örper Technik der „3-Ebenen-Wahrnehmung“ � sichere und stabile Wahrnehmung der vielfältigen unterschiedlichsten Empfindungen und Eindrücke innerhalb dieser drei Ebenen

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• Der Boden, der Raum, die Strecke – die Repräsentanz en einer gelungenen Integration aller wichtigen Strukturen der frühen Z eit im Körper Der Boden – das Symbol für das Ja zum Leben � Sätze: „Ich bleibe hier“, „Ich nehme teil“, „Ich mische mit“ Der Raum – Symbol für den objektgestützten inneren Halt � Ressourcen, stabile Strukturen oder Fähigkeiten in sich entdecken Die Strecke – Symbol für die innere Beziehung zu einer überschaubaren nahen Zukunft � Verantwortung für sich und die eigene Zukunft übernehmen

• Integration des sekundären Körperschemas (Raumschem a) Sekundäres Körperschema = Fähigkeit, den eigenen Körper propriozeptiv, kinästhetisch und optisch-visuell – als Ganzes und im Bezug zum eigenen Körper – stabil wahrnehmen zu können

In der Therapie folgt Schritt auf Schritt in der oben genannten Reihenfolge, jeweils auf dem Erreichen von Stabilität der vorhergehenden Strukturen aufbauend. Dies erfordert ein zunehmendes Mass an Komplexität und Integrationsleistung, d.h. innerhalb einer Übung werden mehrere strukturelle Leistungen und Fähigkeiten angeleitet und hintereinander abgerufen. Wenn eine Struktur stabil integriert ist, d.h. dem betreffenden Menschen innerlich gehört und er über diese Handlung verfügen und sie steuern kann – beginnt anschliessend nicht selten eine Phase von längerer Stagnation, bis die Inangriffnahme der jeweils nächsten Struktur möglich ist. In der Strukturellen Körperpsychotherapie kommt es zu einer Integration basaler Ich-Strukturen und schliesst mit der Integrationsarbeit des sekundären Körperschemas ab. Ziel auf der letzten Stufe ist, Situationen von damals so authentisch wie möglich, mit all ihren Aspekten und Facetten wahrzunehmen und anzuerkennen, um schliesslich mit den jetzt zur Verfügung stehenden Ich-Strukturen und Ich-Kräften sich das zu nehmen, was zur Verfügung steht, und das loszulassen, was nicht zur Verfügung steht. Es geht also um die Integration biografischer Quellen und Ursachen von Pathogenese und Salutogenese.

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EMPIRISCHER TEIL 8. Fallbeispiele „Borderline-Persönlichkeitsstörung “ aus eigener

Therapietätigkeit

8.1. Fallbeispiel 1: Borderline-Persönlichkeitsstör ung (DSM-IV, ICD-10) Psychiatrisches Erstgespräch Basierend auf dem Erstgespräch mit Frau T. Börries am 17. 11. 2005 wurde durch sie folgendes Beschwerdebild erhoben: Aktuelle Situation / Beschwerden: Die Pat. C.R. (17 Jahre alt) berichtet, seit Monaten immer wieder unter Stimmungsschwankungen zu leiden. Seit ca. 6 Monaten sei der Antrieb deutlich reduziert, sie weine häufig, habe an nichts mehr Spass. In der Vorgeschichte sei die Scheidung der Eltern eine sehr schwierige Zeit gewesen. Die Patientin lebt nun allein mit der Mutter, welche in der Vorgeschichte unter Burnout-Symptomen gelitten hat. C.R. gibt an, dass sie in letzter Zeit häufig in der Schule gefehlt habe, nun auch Probleme wegen den Absenzen habe. Zum Reit- und Gesangsunterricht gehe sie auch nicht mehr häufig, mit Kollegen sei sie seltener unterwegs. Ihre Mutter sei ihre beste Freundin, weitere Vertrauenspersonen gebe es nicht. Weiters berichtete die Patientin C.R., dass ihr Essverhalten gestört sei. So esse sie zeitweise grosse Mengen, wenn die Mutter nicht zu Hause sei, erbreche aber alles wieder provoziert. Gemeinsame Essen mit der Mutter gebe es kaum, jeder esse, wann und wie er wolle. Erwartungen der Patientin: Stimmungsstabilisierung und Orientierungshilfe Besonderes: In der Familie gab es wohl väterlicher- wie mütterlicherseits mehrere Suizide. In emotional belastenden Situationen greift der Vater häufiger zu dosiertem Alkoholkonsum. Die Patientin hat Angst, an Depressionen zu leiden. Diagnose: Probleme in der primären Bezugsgruppe, einschliesslich familiärer Umstände (ICD 10: Z63) Ungeeignete Ernährungsweise und Essgewohnheiten (ICD 10: Z72.4) Differentialdiagnose: Bulimia nervosa (ICD 10: F50.2) Anmerkung: Aus der Sicht von T. Börries ist die Diagnose einer depressiven Störung aktuell nicht sicher zu stellen, aber nicht auszuschliessen. Medikation: keine Die Patientin C.R. wurde für eine ambulante Psychotherapie an D. Maag delegiert.

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Ergänzende Informationen aus dem Psychotherapeutisc hen Erstgespräch (19. 11. 2005) • Patientin kommt aus eigenem Anlass, weil sie das Gefühl hat, „es stimme mit ihr etwas

nicht mehr“. • C.R. spricht von Panikattacken, extremer Nervosität und Spannungszuständen, die sie

in der Schule immer öfters überfallen. Gründe dafür kann sie nicht finden. • Wiederholt mehrfache Ausgrenzungssituationen in der Schule erlebt. • Therapierfahrung: einige Stunden Familienpsychotherapie im Alter von 10 Jahren • Akzentuierung zur Trichotillomanie (F63.3) • Erster Verdacht auf emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus

(ICD-10: F60.31) Psychopathologischer Befund aufgrund des psychiatri schen Erstgesprächs und aufgrunnd der ersten psychotherapeutischen Sitzung 17-jährige, bewusstseinsklare und wache Patientin mit erhaltener Orientierung in allen Qualitäten. Konzentration, Aufmerksamkeit und Auffassung scheinen unauffällig zu sein. Das Langzeitgedächtnis zeigt sich – soweit beurteilbar – als nicht beeinträchtigt. Im formalen Gedankengang zeigt sich C.R. geordnet, aber leicht verlangsamt. Äusserungen sind logisch und nachvollziehbar. Inhaltlich keine Anzeichen für Wahngeschehen und Zwänge. Denken stark von negativen Gedanken und passiven Sterbenswünschen geprägt. Ich-Störungen (Entfremdungserlebnisse) sowohl Sinnestäuschungen werden verneint, hingegen Schwierigkeiten in der Abgrenzung von Meinungen anderer und leichte Beeinflussung durch Kollegen und Bezugspersonen. Affektiver Rapport kommt gut zustande. Die Patientin erscheint traurig und ratlos zu sein. Hinweise auf Affektlabilität zur weiteren Beobachtung: In Beziehung zur Mutter starke Affektambivalenzen und schnelle Affektwechsel von Gereiztheit und Wutäusserungen einerseits und kindlicher Dankbarkeit „Ohne meine Mutter hätte ich niemanden“ andererseits (Liebe vs. Hass). Anzeichen von Parathymie bei Diskussionen über passive Todeswünsche. Grundstimmung depressiv. Interessensverlust, Freudlosigkeit, Grübeln, Einschlaf- und Durchschlafstörungen. Antrieb wie auch die Psychomotorik mittelgradig reduziert. Von Selbst- und Fremdschädigungsgedanken distanziert sich die Patientin. Wirkung / erster Eindruck der Patientin Ca. 1.70 m gross, vorsichtig, zurückhaltendes und beobachtendes Verhalten, Wirkung verstärkt durch Haltung: „eingefallener Oberkörper“, gerundeter Rücken, vorfallende Schultern, leicht nach vorne geneigter Kopf (hypotone Muskelspannung). Flache Brustatmung. Ungleiche Körpergewichtsverteilung (immer auf rechtem Bein stehend), nach innen fallende Knie, eher unsicherer Gang (anfangs 2005: zweite Knieooperation). Krallt sich mit Zehen an den Boden fest. Geringe Introspektionsfähigkeit, rationale und intelligenzmässige Überbetonung, fehlender emotionaler Ausdruck. Verzerrtes und häufig wechselndes Körperbild („fühle mich so dick wie ein Elefant“.) Als Th. grosse Bedenken, da keine Erfahrung in der Therapie von Jugendlichen. Eindruck, dass C.R. Verbündete gegen ihre Mutter sucht. Ganzheitsdiagnostik: Salutogramme und Pathogramme d er sechs Lebensdimensionen des anthropologischen Würfelmodel ls IKP • Psychisch-geistige Dimension Hohe Intelligenz. Hoher Eigenverantwortlichkeitsanspruch („Ich brauche niemanden. Wollte als Kind immer für mich selbst schauen.“), Hilfe von aussen wird erst in Notfällen eingeholt. Seit 2005 ständige Grübeleien v.a. über Position in der Klasse. Unkonzentriertheit in der Schule und immer häufiger werdende Angstzustände (körperliche Auswirkungen: Atemnot, Zittern an Händen) und räumliches Einengungsgefühl, wenn sie eingeengt zwischen zwei

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Schulkollegen dem Unterricht folgen muss. Häufig betrübte, niedergeschlagene, depressive Stimmung und negative Gedankengänge. Emotionale Stimmungsschwankungen. Eigene Bedürfnisse und Meinungen hinter einer Maske „der lieben Tochter resp. Kollegin“ versteckt. Affektlabilität. Stark kontrollierender Über-Ich-Anteil. Selbstentwertung und –ablehnung hinsichtlich Aussehen und Verhalten, Über-Idealisierung anderer weiblicher Schulkolleginnen (verzerrte Selbst-/Fremdbildwahrnehmung). Selbstbestrafungsmechanismus über Fressattacken. Mangelhafter Gefühlsausdruck sowie fehlende Introspektionsfähigkeit, Lebensfreude und Hoffnung. Hobbies: Sologesang im Einzelunterricht, Musik hören • Körperliche Dimension Schon seit Kindheit mässige sportliche Betätigung (Aerobic, Reiten). Wegen mehrfachen Knieoperationen und lockeren Bändern ist Schonhaltung entstanden. Reiten bis vor einem halben Jahr (vor Symptomentwicklung) als grosse Leidenschaft, aber vernachlässigt, weil C.R. das vertraute Reitpferd mit anderen Mädchen teilen musste. Zur Rehabilitation nach den Knieperationen Krafttraining im Fitnessstudio, nur mit mässigem Engagement. In der Therapie fällt auf, dass sich die Patientin gerne zu Musik bewegt, wenn auch mit eher steifer Körperhaltung. Körperbild und Körperbezug ist sehr distanziert und verzerrt, die Selbstwahrnehmung reduziert. Von der Mutter und der Grossmutter mütterlicherseits wurde ihr stets vorgehalten, zu dick zu sein. Das seit ihrem 11. Lebensjahr. Regt sich häufig über die rigiden Überzeugungen von Mutter und Grosseltern mütterlicherseits auf, wagt aber nicht zu widersprechen. Zweimal wöchentlich stattfindende „Fressanfälle“ (mit provoziertem Erbrechen). Unausgewogene Ernährung: wenig Gemüse und Früchte. Alkoholkonsum im Ausgang. Körperliche Selbstverletzungen verneint. • Beziehungsmässige-soziale Dimension Gefühl der Nähe seit Kleinkindalter immer schon auf den Vater (47, Informatiker) gerichtet. Zur Mutter (47, Informatikerin) - seit C.R. denken mag - eher distanzierteres Verhältnis. C.R. empfindet sich nicht als ein Wunschkind. Als der 2 Jahre jüngere Bruder geboren wurde, wurde dieser schon bald der „Liebling“ der Mutter. Bruder war immer das „Mami-Titti“, was C.R. aber nicht ausgesprochen störte, weil der Vater ihre Hauptbezugsperson war. Von ihm erhielt C.R. primär Zuwendung. Diese Dyadenspaltung (Mutter-Sohn und Vater-Tochter) erhielt mit elterlichen Problemen, Trennung und Wegzug des Vaters (Patientin war ca. 12 Jahre alt) eine jähe Wende. Beziehungsprobleme mit der Mutter verschärften sich akut. Wunsch zum Vater zu ziehen wurde ihr wegen den engen Wohnverhältnissen verweigert. C.R. trägt seither noch immer das Gefühl der Verlassenheit, des „Ausgestossen- und Abgelehnt-Werdens“ in sich. Unterdessen gute und enge Beziehung zum Bruder. Erfahrungen mit Schulkollegen wurden sehr stark negativ gefärbt. Wegen ihrer „intellektuellen Überbegabung“ konnte C.R. zweimal die eine Klasse überspringen, was ihr im Klassenverbund jeweils einen Sonderstatus als „Liebling der Lehrer“ einbrachte. Von der Klasse wurde sie gehänselt und als „Streberin“ ausgeschlossen. Auch in der altersmässigen Entwicklung (Pubertät, Sexualreife) gaben ihr die Schulkollegen zu verstehen, „falsch am Platz zu sein“. Zu Therapiebeginn Besuch des letzten Jahres vor Gymnasialabschluss in Zürich. Ein bis zwei gute Freunde – meist männliche Schulkollegen. Gute Freundinnen wechseln häufiger. Kurze Beziehung von ca. 1½ Monaten zu einem Mitschüler, im Frühjahr 2005 Trennung gegen Willen von C.R.. Erlebtes Wiederaufflackern der alten Wunde der Einsamkeit (die sie in Familie erlebt hatte), Schuldgefühle und Wut, weil der Ex-Freund die Trennungsgründe nicht mitgeteilt hatte. Beziehung der Eltern zu deren Herkunftsfamilie: Die Mutter der Patientin hat ein nahes Verhältnis zu ihren Eltern und lässt sich bei vielen Entscheidungen durch diese beraten – aus Angst etwas falsch zu machen. Auch grosser Einfluss der Grosseltern in Erziehungsfragen und Verhaltensprinzipien. C.R. wirft ihrer

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Mutter deswegen Unselbstständigkeit und Unbeständigkeit in ihrer Meinungsbildung vor. In der Familie der Mutter hatte es bereits zwei Suizide gegeben. Vater von C.R. lebt seit sieben Jahren mit seiner neuen Partnerin zusammen, die ihrerseits zwei Kindern aus vorheriger Beziehung eingebracht hat. Ein Kind aus gemeinsamer Partnerschaft. Abwehrmechanismen 1. Projektion von aggressiven und wütenden Selbstanteilen insbesondere gegenüber der

Mutter. („Meine Mutter nörgelt ständig an mir rum, nichts ist recht an mir. Sie schreit mich dann an, wenn ich wieder ein Paar Schuhe gekauft habe. Nur weil sie unzufrieden ist mit ihrem Leben und selbstunsicher. Ich kann eine solche Mutter nicht akzeptieren.“).

2. Retroflektorische Kompensationshandlungen (Fressanfälle, Alkohol) bei häufigem Allleinsein und bei Verlassenheitsängsten („Ich bin an allem Schuld. Mich kann man nicht lieb haben. Immer enttäusche ich Menschen, die ich gern habe.“).

• Dimension des Raumes Nimmt von der Körperhaltung her wenig Raum für sich in Anspruch (verschränkte Arme und Beine). Bei Verlassenheitsängsten werden aggressive Wutausbrüche und Heul“attacken“ gezeigt, die gegen die Mutter gerichtet sind. Nachträglich intensiver Wunsch nach verschmelzender Nähe. Seit Kindergartenalter Gefühl, keinen Raum zur Verfügung zu haben, in dem C.R sich geborgen und aufgehoben fühlen kann. Trennung vom Vater war das einschneidende Erlebnis „verlassen und allein“ zu sein, ein Gefühl, der (Raum-)Enge, des „Sich-Klein-machen-müssens“ begleitet sie seither immer. In dem Dreiecksverhältnis – Patientin, Mutter und Bruder – übernahm Patientin die Rolle der Rebellin, des Störefrieds und ging so immer mehr auf Distanz. Persönlicher Freiraum wird zu Hause als einengend unter den rigiden Richtlinien und Double-Bind-Anforderungen der Mutter erlebt, hinzu kommt der Druck des engen „Schul- und Prüfungsplans“ vor der Matura. Panikattacken v.a. in der Schule und im Zug (agoraphobische Tendenzen). Seit dem Beziehungsabbruch durch Freund Rückzug vom sozialen Kollegenumfeld (aus Scham und Selbstentwertung), erlebt dadurch immer mehr ein „Sich-Rausbewegen-aus-der-Welt“ und eine Sinnlosigkeit sowie Lebensmüdigkeit. Gegenüber Schulkollegen häufiges Gefühl, sich nicht einbringen zu können; was zur Folge hat, dass sie von diesen missverstanden und in ihrer wahren Persönlichkeit nicht erkannt wird, was sehr belastend für C.R. ist. • Dimension der Zeit Wenig Freizeitaktivitäten. Starke Zeitbelastung durch bevorstehende Maturaprüfung („stehe unter Prüfungsdruck, obwohl ich gute Noten habe“). Passive Nutzung der persönlichen Freizeit: Fernsehschauen, Modejournale anschauen, auf dem Bett liegen und grübeln. Fehlendes Gefühl der Entspannung. Keinerlei Zukunftsvisionen – weder beruflich noch privat. Häufiges Gefühl, sich in einem zeitlosen Raum zu bewegen. • Spirituelle Dimension Kann sich nicht erinnern, sich je geborgen und eingebettet in einem grösseren Ganzen gefühlt zu haben trotz einigermassen „schöner Kindheit“. Sinnfrage und Lebensmüdigkeit bewegt sie seit einigen Jahren, seit 2005 sogar sehr stark.

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Krankheitsentstehung: mulitfaktorielle und mulitdim ensionale Entstehungsgeschichte anhand der 3-Phasen-Theorie d er Symptomentstehung (Maurer, 1999, S. 72) Im Frühling 2005 trennt sich der Freund von der Pat. � erlebt die Trennung vom Freund als verletzendes Zurückgewiesenwerden � Schuld- / Insuffizienzgefühle � Scham � Angst vor Spott durch die Mitschüler � „Sich-Klein-Machen“ und sozialer Rückzug � stark erhöhter Muskeltonus des Körpers � gestörter Atemrhythmus (flache Brustatmung) � Angst- und Panikentwicklung während den Schulstunden � fehlende Entspannung in der Freizeit � nächtliche Einschlaf-/Durchschlafschwierigkeiten sowie Albträume � Müdigkeit während des Tages � Unkonzentriertheit, Gedankenabschweifen, Grübeleien und Passivität � Vernachlässigung persönlicher Ressourcen � Verlust von zukunftsgerichtetem Handeln � Kraft-/Energielosigkeit � Stillstand, Gefühl des Gefangenseins in einer Leere � Ohnmacht � Freudlosigkeit, Interessensverlust � Lebensüberdruss. C.R’s Schamgefühle führen zu einer weiteren Verstärkung der Selbstentwertungsspirale � Selbstbestrafung durch übermässige Fressanfälle und Alkoholkonsum � Hilflosigkeit � Scham � Selbstentwertung etc. Das durch den sozialen Rückzug bedingte häufige Alleinsein reaktiviert und verstärkt Denkschematas der Kindheit („Ich hab alles im Griff“. „Ich bin die Starke und muss meine Probleme alleine in den Griff bekommen“) � Verstärkte Eigenkontrolle (Über-Ich), um Selbstbilderhaltung nach aussen zu bewahren � Verdrängung und Abspaltung unangenehmer Gefühle � Ablenkung durch Aktivitätshektik, um Gefühle nicht spüren zu müssen � Nervosität, innere Unruhe � hohe Spannungszustände � erlebte Lebensqualität sinkt � Überschwemmtwerden von aversiven Emotionen (Impulsivität) � Kontrollverlust � Fressanfälle, Alkoholkonsum � Scham � Sinnlosigkeit usw. Die oben genannte Dynamik von Einflüssen ist nicht abschliessend zu verstehen. Ebenso wenig darf nicht daraus interpretiert werden, dass eine lineare Ursache-Wirkungsbeeinflussung von Faktoren besteht, sondern die Einflussfaktoren aller Lebensdimensionen wirken wechselseitig und mutlifaktoriell aufeinander. Therapievorgehen Therapiestrategie, -planung und -ziele über den ges amten Therapieverlauf Der Tatbestand, dass C.R. bereits nach den ersten zwei Therapiestunden (die auf eine Ressourcenaktivierung und in erster Linie zum Beziehungsaufbau und erster Symptomerleichterung genutzt werden sollte) , aus eigenem Wunsch wegen akuten Suizidgedanken und starken emotionalen Anspannungen hospitalisiert werden wollte und der nachfolgend bestätigte Verdacht auf emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus (ICD-10: F60.31) gab dem Therapieplan und -vorgehen eine andere Wende. Aufgrunddessen wurden folgende Therapieschwerpunkte gewählt: 1. Aufbau einer vertrauensvollen Therapiebeziehung (nach C. Rogers), die zu den

defizitären Erfahrungen immer wieder korrektive Erfahrungen ermöglicht: Als Teil davon Psychoedukation für C.R. und deren Eltern über die Probleme, Symptomatik, Ursachen, Zusammenhänge, Therapiemöglichkeiten und –erfolge bei BPS. Ziele: Informationstransfer, Vermittlung von Gefühlen des Verständnisses und Ausblick. Besondere Beachtung der Abhängigkeitsentwicklung gegenüber der Therapeutin.

2. Therapiebündnis: Bedürfnisse, Erwartungen an die Therapie, Möglichkeiten, Bedingungen und Grenzen der Psychotherapie aufzeigen, „gemeinsame Spielregeln“ zw. Th. und Patient festlegen, Setting, Therapieauftrag und –ziele.

3. Schriftliche Verträge und Abmachungen bezüglich suizidaler Krisen (Vorgehen, Verantwortlichkeiten, Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Vereinbarungen).

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4. Bulimie und Alkoholkonsum: Schweregrad (Häufigkeit des Erbrechens resp. Alkoholkonsums, Alkoholmenge; Trinkertyp), Dynamik, Kontrollfähigkeit durch die Patientin resp. Eltern? Entscheid bezüglich externer Hilfe von Fachpersonen: Behandlung der Essstörung? Alkoholentzug?

5. Aktivierung bestehender Ressourcen (Förderung neuer Ressourcen) sowie bewältigungsorientierte Kompetenzentwicklung zu den Themen „affektiver Spannungsabbau, Stressbewältigung, Umgang mit impulsivem Verhalten“.

6. Panikdynamik: Psychoedukation „Angstkreislauf“, Erkennen des Panikmechanismus (Auslöser, Ursprung, Nutzen, Botschaft), Verändern der bisherigen „Dynamik“, Aufbau von Veränderungskompetenzen.

7. Aufarbeitung von verdrängten Gefühlen (Trauer, Wut, Angst) in Beziehungsproblemen (Ex-Freund, Familie), bisherige Beziehungsmuster (inkl. Denkschematas) in Realität überprüfen (Rollenspiele, Gestaltarbeit, Familienstellen), unterschiedliche Gefühlsqualitäten erspüren lernen (Sensory Awareness), Arbeit an emotionalem Gefühlsausdruck nach aussen, Aufbau neuer Beziehungsmuster.

8. Bearbeitung von „unbewussten“ prägenden defizitären Erfahrungen aus der Lebensgeschichte (Übertragungen, Spaltung, Projektionen, vermitteln korrektiver Beziehungserfahrung) und Integration von bedürftigen/abgespaltenen Persönlichkeitsanteilen.

Im weiteren Therapieverlauf haben sich die Schwerpunkte der Zielsetzungen mit wachsender Kompetenz der Patientin und Integration von Erfahrungen aus der Psychotherapie verändert. 9. Selbstbild und Selbstwertstärkung: Formgebende und stärkende Grounding- und

körperliche Ausdrucks-Übungen, Selbstbehauptungsübungen (adäquate Abgrenzung, Widerstand und Nein-Sagen lernen), realistische Überprüfung weiblicher Vorbilder.

10. Wertearbeit: meine persönlichen Werte und Meinungen. 11. Berufliche Zukunftsplanung. Therapieverlauf Erstgespräch vom 29.11.2005: s. oben, Therapieziele, Bedürfnisse, Erwartungen an die Therapie, Setting. 2. Sitzung: Panikattacken von C.R. stehen im Vordergrund. Erklären des Angst-Kreislaufes, Abklopfübung und durchführen von einer Groundingübung (Fuss-Boden-Wahrnehmungsübung), Atemübung (Umstellen von Brust- auf Vollatmung), kognitive Ablenkungsmethoden (abwechslungsweise die Finger halten und von 1000 rückwärts zählen u.w.). Liste erstellen, besprechen, wann und wie die Übungen im Alltag eingesetzt werden können. C.R. ist sichtlich erleichtert, nun auf die Attacken und Angstzustände reagieren zu können. HA: Abklopfübung und Anwenden der gelernten Interventionen während den Angstzuständen und Panikattacken, Reaktionen darauf schriftlich festhalten. Hospitalisation (PUK) vom 09.12.05 – 13.12.05 auf eigenen Wunsch, Gründe waren akute Suizidgedanken und starke emotionale Anspannung wegen distanziertem Verhalten durch den Ex-Freund, C.R. will nicht mehr zu Hause bleiben, sondern „aussteigen“. C.R. veranlasst ihre Mutter mit Th. Kontakt aufzunehmen, Organisation eines stationären Therapieplatzes durch Th. (in Absprache mit C.R. und Mutter). 3. Sitzung: Therapiespielregeln und Psychoedukation Patientin – ruhig, gelöst, souverän wirkend - erscheint mit der Mutter. Mutter: verängstigt, besorgt, nervös, hilflos. Enttäuschter Austritt aus der PUK auf eigenen Wunsch („hat mir dort nicht gefallen“, „Ärzte haben sich nicht um mich gekümmert“, „stricken kann ich auch zu Hause“). Trotzige und anklagende Forderungshaltung, Macht-Ohnmachtsverhältnis zw. Tochter und Mutter. Mitteilung des Diagnoseverdachts „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ durch Th. und Psychoedukation. Einholen von Therapieerwartungen der Mutter.

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Th. erzählt eine Geschichte (Metapher), die C.R’s paradoxes Verhalten von Hilfe suchen und diese gleichzeitig zurückstossen aufzeigt. Erläutern von Bedingungen, Spielregeln und Grenzen der Therapiehilfestellung durch Th.. HA: Pro oder Contra-Entscheid für Therapie fällen. Patientin teilt Th. telefonisch mit, die Therapie bei ihr unter besprochenen Spielregeln weiterführen zu wollen. 4. Sitzung: C.R. äussert, gerne zur Therapie zu kommen, ist froh, dass Th. ihr in der letzten Sitzung Grenzen gesetzt hat, braucht Grenzen und eine klare Linie, was Eltern nicht können, Abwertende Bemerkungen über die Mutter � Gefahr der Idealisierung der Th. Reframingarbeit: Was hat meine Mutter schon für mich gemacht � Wertschätzung Informationserhebung bezüglich Schweregrad von Bulimie und Alkoholkonsum: Seit den letzten zwei Monaten 2-3 mal wöchentlich unregelmässiger Alkoholkonsum (in Dosis von ca. 2.5 dl Bier oder 1 dl Vodka tgl.) zur Spannungsreduktion. Wiederholte Alkoholintoxikation unter Kollegen (1x im Quartal), Fressanfälle mit selbstinduziertem Erbrechen durchschnittlich zweimal wöchentlich, seit ca.4 Monaten) � Entscheid in Absprache mit T. Börries: keine stationäre Behandlung wegen Alkohol oder Bulimie momentan indiziert oder sinnvoll. HA: Liste zur Kontrolle von Alkoholkonsum und Fressanfälle führen sowie Auslöser/-situationen beobachten. 5. Sitzung: Suizidvertrag, Vorgehensklärung bei nächster suizid aler Krise Besprechen der Listen (s. HA). Selbstbeobachtungsförderung � Achtsamkeitsübung VAKO („was nehme ich über meine verschiedenen Sinneskanäle wahr..“) � Shiften von Innen- und Aussenperspektivenwahrnehmung. Obwohl Panikattacken dank den Übungen rückläufig sind, hat C.R. Angst vor der unbeherrschbaren Wirkung der emotionalen Spannungszustände. Verlassenheitsängste, Einsamkeit, häufiges Alleinsein. Erweiterung der Liste von Übungen gegen Panikattacken. Aushandeln eines Suizidvertrags von Patientin verweigert, hingegen schriftliche Vereinbarung von Verhaltensspielregeln bei einem evt. nächsten Suizidversuch möglich. Erarbeiten des Vorgehens bei einer nächsten Krise (Kontaktmöglichkeiten, Erstellen von Notfalladressliste, Rolle und Aufgabe der Th., Informationspflicht vor einer Suizidhandlung). HA: weiteres Anwenden von Übungen gegen die Panikattacken. Liste zur Panikbewältigung wird als hilfreich empfunden. 6. Sitzung: Umgang mit starken Affekten, Impulshandlungen (bewältigungsorientiert) C.R. leidet an stark wechselnden Erregungszuständen, ist hilflos, traurig, hoffnungslos. Arbeit an der emotionalen Spannungskurve: Auslöser, Häufigkeit einer hohen Spannung, bisher erfolglose Bewältigungsversuche, Frühwarnzeichen, Ressourcenerarbeitung für einen besseren Umgang mit Spannung, Erarbeiten eines Notfallkoffers, Prinzip des Schiftens erklärt. HA: tägliches Aufzeichnen von Spannungskurve, Erfahrungen sammeln mit erarbeiteten Ressourcen. 7. Sitzung: C.R. fühlt sich stärker, da einige Methoden zum Spannungsabbau teilweise greifen – ist erleichtert. Stark erlebter zeitlicher Druck in der Schule, Selbstentwertung („Du bist langweiliger als andere. Du kannst nichts.“). Erarbeitung der Ressourcen-Ist-Situation mittels Dimensionen-Diagramm: Pat. ist betroffen, so wenige Ressourcen zu nutzen. Primär möchte sie diejenigen Ressourcen aktivieren, die ihre extremen emotionalen Anspannungen reduzieren. Erarbeitet werden vergangene und aktuelle „Verwöhnungs-Momente“. Zudem nimmt sich C.R. vor, wieder Reitstunden zu nehmen. HA: C.R. bekommt von der Therapeutin ein Tagebuch geschenkt. Vorschlage seitens Th., alle belastenden Gedanken, die zum Grübeln veranlassen, schriftlich äussern. 8. Sitzung: Grounding, Abgrenzungsübung C.R. kommt verzweifelt, hilflos und hasserfüllt in die Therapie. Ihr Ex-Freund, in den sie immer noch so verliebt ist, hat sie vor anderen wieder „blossgestellt“ und ihre frühere Beziehung entwertet. Gedanken rotieren, wenig Körpergefühl. Angesprochen auf ihre in den Boden gekrallten Zehen, erzählt sie vom Gefühl, als ob ihr der Boden unter den Füssen weggezogen würde und sie kaum atmen könne. Atemübung, Grouding-Übung „Baum“ und anschliessende Abgrenzungsarbeit mit dem Seil, Patientin geht mit einem deutlich besseren Gefühl des Entspanntseins, zweifelt aber diesen Zustand allein herbeiführen zu können.

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HA: Baumübung anwenden versuchen Hospitalisation und stationärer Aufenthalt vom 15.01 - 15.02.2006: Verzweiflung, Gefühl des Ungeliebt- und Alleinseins, Versuch der Gefühlsverdrängung � Suizidversuch mit Tablettencocktail. Einmonatiger stationärer Aufenthalt in der geschlossenen Abteilung der Psych. Privatklinik Kilchberg, Bestätigung des Verdachts auf BPS durch Diagnosestellung der Ärzte. Nichteinhaltung der Krisenvereinbarung, Th. wird durch Mutter informiert, nach einer Woche SMS- und telefonischer Kontakt mit Pat.; C.R. lehnt Besuche von Mutter ab, bittet um Besuch von Th.; Besuch bei C.R. und Gespräch mit den Ärzten. Während des stationären Aufenthalts erstmals massive Selbstverletzungen durch Ritzen, Sich-selber-schneiden (Imitationsverhalten von Mitpatienten, negatives Lernen am Modell). Tagebuch wird ständiger Begleiter von C.R. Bisher unbeteiligter uninteressierter Vater wird auf Anliegen der Th. einbezogen und aufgeklärt (Wiederanbindung an frühere Bezugsperson). Gemeinsames Gespräch mit den Eltern und der Patientin bezüglich des weiteren Schulbesuchs und der Information an die Lehrerschaft. C.R. möchte ein Schuljahr aussetzen, um im Feb. 2006 in Littenheid eine ambulante Borderlinebehandlung zu beginnen. Therapiesitzungen von Mitte bis Ende Februar 2006: Praktische Lebensbewältigung bis zum geplanten Aufenthalt in Littenheid (April 2006) • Zeitlupen-Rekonstruktion über den Anlass der suizidalen Krise bis zur Einlieferung;

Erarbeiten der Gefühlszustände kurz vor der suizidalen Krise (Alleinsein, Streitigkeiten mit der Mutter verursachen starke Affektreaktionen, fehlende Grenzsetzung durch Mutter � fehlende Verhaltens-Leitplanken � Verunsicherung, fehlendes Schutzgefühl � Wut gegenüber Mutter � Verdrängung von Aggression � Selbstaggression („Es geschieht mir recht, dass mich niemand liebt“ � Fressattacken � Einsamkeit). Ressourcenerarbeitung zur Förderung positiver Geborgenheits- und Zusammengehörigkeitsgefühlen: Wiederanbindung an „nährende“ und v.a. soziale Ressourcen (Eincremen nach der Dusche usw., Spaziergänge, mehr Aktivitäten mit dem Vater und dem Bruder, mehr Freunde nach Hause einladen, Grossmutter (die Ressourcenperson) väterlicherseits und Onkel mütterlicherseits besuchen. HA: Tagebuch schreiben. Beobachten und tägliches Aufzeichnen der Spannungskurve. Fokus: welche Ressourcen bringen mir Wohlgefühl?

• Familiensitzung: Besprechung der Tagesstruktur und Umfeldgestaltung (Wohnsituation, sozialer Kontakt) von C.R. bis zum Aufenthalt in Littenheid, Kommunikationsgestaltung zwischen Mutter, Vater, Tochter insbesonders über die Spannungszustände und den Alkoholkonsum. Gemeinsam erarbeitete Ausgangsregelungen, Konsequenzen bei Nichteinhaltung von Vereinbarungen. Ziel: Eltern helfen, die Rolle der stärkenden Verantwortungsträger zu übernehmen. Befindlichkeitsrunde in der Familie, Üben von verbalem Gefühlsausdruck. Vereinbarung: Vater wird bis Eintritt in Littenheid morgens in der Wohnung der Mutter arbeiten, damit C.R. Gesellschaft hat. HA: Umsetzen der vereinbarten Regelungen und Befindlichkeitsaustausch in der Familie (2x wöchentlich, abends).

März 2006: Förderung der Kommunikation unterschiedlicher Gefüh le/Bedürfnisse Förderung des eigenen Sicherheitsgefühls • C.R. wirkt entspannter, geregelter und strukturierter Tagesablauf empfindet sie als

hilfreich. Selten Panikattacken im Zug, Alkoholkonsum und Bulimie stark rückgängig. Ambivalenz zum Vater (Nähe vs. Distanz), geniesst aber seine Aufmerksamkeit. Setzt grosse Hoffnung auf die DBT-Therapie in Littenheid. Langsame Körperabtastübung (Auffinden von Wohlfühlorten des Körpers). Vater-Tochter-Beziehung: früher – heute im Vergleich, Wünsche für die zukünftige Beziehung ausformulieren. HA: Wünsche im Gespräch mit dem Vater formulieren.

• C.R. konnte sich gegenüber Vater nicht äussern, traurig darüber. „Sicherer Ort-Übung“ installieren. HA: Tägliches Wiederaufsuchen des sicheren Ortes.

• Erneut hohe Impulsivität wegen Auseinandersetzungen mit den Eltern. C.R. fühlt sich „eingesperrt“, bevormundet, fühlt sich unfähig, ihr Befinden in Worte zu fassen und ist

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deshalb hilflos. Selbstverletzung („Ritzen“). Gestaltarbeit „Leerer Stuhl“ mit dem Thema „Selbstverletzung“: Selbstverletzung in der Funktion der Selbstbestrafung („bin selber Schuld, dass ich anders bin als andere“) und des Sich-Selbst-Spürens, Ausdruck des Bedürfnisses ernst genommen zu werden. Suche nach anderen alternativen Ausdrucksstrategien: an die Eltern einen Befindlichkeitsbrief oder ein E-Mail schreiben, Farbpunkte (schwarz: „mir geht es schlecht“, blau: „mir geht es weder schlecht noch gut“ (neutral), rot: „mir geht es gut“). HA: Eltern über die Bedeutung der Farbpunkte informieren und gemeinsam anwenden (Farbpunkte am Kühlschrank anbringen, so dass Eltern Befindlichkeit von C.R. erkennen können).

• Befindlichkeitsfarbpunkte werden zu Hause angewendet, Erleichterung von C.R. • Tymografisches Festhalten der momentanen Gefühlsbefindlichkeit (rechte Seite des

bemalten Blattes ist schwarz, linke Seite ist farbig, Wand dazwischen). Diskussion, wie Wand in Alltagssituationen durchbrochen werden könnte. HA: Zu Hause häufiger ein momentanes Befindlichkeitsbild malen; Bilder in die nächste Sitzung mitnehmen, sicherer Ort täglich aufsuchen.

• Besprechen der zu Hause gemalten Bilder: welche Gefühle stehen hinter diesen Bildern? Persönlicher Umgang mit diesen Gefühlen? Wie geht man in der Familie mit genannten Gefühlen um? Wann, in welchen Situationen treten sie auf? Wie gehen sie weg? Persönliche Bewältigung von negativ erlebten Gefühlen? HA: Sicherer Ort häufiger besuchen

• Malen eines gewünschten Gefühlsbefindlichkeits-Sollbildes (Thymografie). Verstärken mittels Skulturierung. Intrakorporeller Dialog zw. Ist- und Soll-Zustand, Erarbeiten einer Mittelposition: welche Gefühle sollen meine Befindlichkeit zukünftig prägen? Wie kann ich die gewünschten Gefühle verstärken? Mit welchen Massnahmen, Aktivitäten, Körperhaltungen etc. in meinem Alltag integrieren etc.? Wo, wann anwenden? HA: Umsetzung der erarbeiteten Aktivitäten und Massnahmen, um eigene Gefühle besser steuern zu lernen

• C.R. beginnt erstmals gegenüber der Th. ihre Anliegen aktiv zu äussern, woran in der Therapie gearbeitet werden soll. Stolz, dass sie gegenüber Kollegen ihre Meinung vertreten konnte � fühlt sich sicherer. Emotionspanorama und Ausdrucksüben von versch. Emotionen. Rollenspiel „Förderung des emotionalen Ausdrucks“: Varianten erproben, um eigene Bedürfnisse zu äussern, Unterscheidungsfähigkeit von Gefühlen stärken, Würdigung aller Gefühle („Sie gehören alle zu mir und bekommen ihren Platz in meinem Körper“). HA: Üben, eigene Gefühle wahrnehmen, unterscheiden und willkommen zu heissen. Im Kontakt mit sich selbst bleiben.

April 2006: 3½ wöchiger Aufenthalt in der stationären „Borderline-Abteilung“ der Psych. Klinik Littenheid, häufiger sms-Kontakt mit Th., Therapieabbruch und überstürztes unerlaubtes Verlassen der Klinik. • Th. setzt Bedingung für Weiterführung der Therapie: Durchführung eines offiziellen

Austrittsgesprächs von C.R. mit den Eltern und den Ärzten. • C.R. erscheint beschämt, beklagt sich über das mangelnde Einfühlungsvermögen der

Ärzte in Littenheid, über das Unverständnis ihrer Mutter („Die kommen alle nicht draus“), Opferhaltung. Imagination und Gestaltdialog: C.R., die die Therapie in Littenheid beendet hat spricht mit C.R., die die Therapie abgebrochen hat. Innerer Persönlichkeitsanteil „Rebell“ wehrt sich gegen das „Bevormundetwerden“, Gefühl des „Abgeschobenwerdens“ vs. „braves Mädchen“. Bedauert Entscheid nicht, allein von Skillstraining konnte sie zu wenig profitieren. Vereinbarung: Anmeldung an Skillsgruppe in der Psych. Klinik Kilchberg.

Mai 2006: Zweiter Suizidversuch am 04.05.2006 mit Tabletten. Einlieferung in die Klinik Wetzikon mit anschliessendem Aufenthalt in der geschlossenen Abteilung der Psych. Klinik Kilchberg, Austritt am 12. 05. 2006. In dieser Zeit hat C.R. die Übung des sicheren Ortes weitergeübt und relativ gut verankert. Starker Lebensimpuls bei Klinikaustritt („Jetzt ist Schluss. Ich will leben, nicht sterben“). C.R. besucht weiter das Skillstraining in Kilchberg.

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Ab Mitte Mai 2006: Stabilisierung und nochmaliges Aufarbeiten der Suiz idauslöser mittels Maltechnik • C.R. kann die emotionalen Zustände ihrer Suizidversuche mit Hilfe ihrer gemalten Bilder

erstmals sehr differenziert beschreiben: Den Suizidversuchen gehen jeweils Phasen voraus, in der C.R. mit hohem Tempo von einer Aktivität in die andere flüchtet, als Verdrängung unangenehmer Gefühle. Fühlt sich dann wie in einer dichten Kugel, emotionslos, „körperlos“, unnahbar, egoistisch bis plötzlich ohne Vorzeichen Gefühle der Einsamkeit, der Überforderung und des Alleinseins über sie hereinbrechen, denen sie sich dann heillos ausgeliefert fühlt. Gemeinsame Erarbeitung von Verhaltensänderungen, um der Einsamkeit, der Überforderung frühzeitig Grenzen zu setzen: HA: Frühwarnsignale erkennen lernen und sich darin üben.

• C.R. hat sich seit letzter Sitzung eingehend mit den Einsamkeitsgefühlen beschäftigt. Arbeit mit dem inneren Kind: Ursprung der Einsamkeit, Reinszenierung der Ursprungssituation, Bedürftigkeit des kleinen Kindes („Was braucht es?“), Recall-and-Change, Kind an den sicheren Ort bringen. HA: inneres Kind umsorgen und besuchen.

• C.R. kommt zufrieden, lebendiger in die Sitzung. Wünscht aus der Skills-Gruppe in Kilchberg auszutreten, da sie nicht mehr profitieren könnte (Bevorzugung von persönlichen Themen einzelner anstelle von relevanten Gruppenthemen: „Im Training ist es mir langweilig – lerne nichts Neues“). Entscheid in Absprache mit zuständigem Skillsgruppenleiter: Austritt von C.R.. Pat. beschäftigt sich eingehend mit ihrer Kindheit. Aufstellung der Familiensituation vor der Scheidung der Eltern: „Platz der kleinen C.R. in der Familie“? Zwei Koalitionen werden sichtbar: Vater und C.R. einerseits, Mutter und jüngerer Bruder andererseits. C.R. übernimmt als „Lieblingskind“ des Vaters teilweise Position der Mutter, „Vergötterung“ des Vaters und Ablehnung der Mutter. Aufstellung der Familiensituation nach der Scheidung: Wut und Trauer über den unangekündigten Wegzug des Vaters sowie Verantwortungs- und Schuldgefühle gegenüber der Mutter. Erarbeiten eines idealen Platzes für C.R. heute. Befreiung aus der „Triangulierungsposition“ zwischen Vater und Mutter. Wie kann der neue Platz von C.R. eingenommen werden? Mit welchem Verhalten, welchen Äusserungen? HA: Erstellen einer Liste „Was brauche ich um meine neue Position einnehmen zu können?

Juni 2006: Integration abgespaltener Gefühle, Förderung der Ei genverantwortung • Aggressive Übertragungssituation auf Th. veranlasst das Thema Wut aufzugreifen. „Wut

darüber, von der Familie wie ein kleines Kind behandelt zu werden, habe keinen Freiraum: Abgrenzung des eigenen Raumes mit dem Seil und Nein-Stampfübung. Nachfolgend Körper-Arbeit: Partner-Wegstossübung, immer wenn C.R’s eigene Grenzen übertreten werden. Diskussion von Alltagssituationen, in denen eigene Grenzen mehr geschützt werden sollen, und wie das geschehen könnte. HA: für den eigenen Raum sorgen.

• Vorgängiges Telefon: C.R. wünscht in der nächsten Sitzung mit der Mutter zu kommen. C.R. verschafft sich zu Hause immer mehr „Platz“, verteidigt ihre Meinungen und Ansichten, was zu zahlreichen Streitigkeiten mit ihrer Mutter führt, Wutausbrüche häufen sich. In der Sitzung werden nach Feedback-Kommunikationsregeln die verschiedenen Standpunkte gesammelt und Kompromisslösungen gesucht und vereinbart, die für C.R. und die Mutter akzeptabel sind. HA: Lösungen des Zusammenlebens im Alltag gemeinsam umsetzen.

• Standortgespräch mit C.R. und Mutter: Umsetzungserfolg der erarbeiteten Lösungen für das gemeinsame Zusammenleben. Eigener Raumanspruch und Mut zur Verantwortungsübernahme steigt.

• Streiteskalation zu Hause mit der Mutter. C.R. äussert telefonisch unter Tränen den dringenden Wunsch eines Wohnortswechsels. Telefonischer Kontakt mit der Mutter: Mutter ist erschöpft, wünscht auch eine Änderung der Wohnsituation.

• C.R. erscheint mit Tatendrang in die nächste Sitzung. Gemeinsame Erarbeitung von Ideen und Vorschlägen zur Wohnsituationsänderung. C.R. holt aktiv Informationen über betreutes Wohnen ein.

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• Besprechung mit der ganzen Familie. C.R. erfüllt die therapeutische Aufgabe, ihre Wünsche nach externen Wohnmöglichkeiten gegenüber ihrer Familie zu vertreten mit grossen Ängsten, aber erfolgreich. Zustimmung der Familie und Besprechung des weiteren Vorgehens.

Juli 2006: Aktivierung sozialer Hilfssysteme, um Wohnsituation von C.R. zu ändern. • Einbezug des jugendpsychiatrischen Dienstes durch Th. in Absprache mit den Eltern:

Gesuch für Unterstützung an die Gemeinde Richterswil. Gemeinsame Gespräche mit dem jugendpsychiatrischen Dienst, Besuche von zwei betreuten Wohngemeinschaften zusammen mit C.R. in Zürich.

• Betreute Wohngemeinschaften lösen bei C.R. weitere Einsamkeitsängste aus: beim nochmaligen Durcharbeiten von Ressourcenplätzen wird der Wohnort der Grossmutter väterlicherseits genannt. Diskussion über Möglichkeiten eines Wohnortswechsels zur Grossmutter.

• Nachfolgende Besprechungen mit der Familie sowie mit der Grossmutter führen im Juli 06 zum Umzug von C.R. zur Grossmutter, wo sich C.R. im Landleben umgeben von vielen Haustieren (2 Hunde, Katzen, Esel) sofort wohlfühlt.

• August 2006: Zustand. Beginn der Schule Der Wohnortswechsel zur Grossmutter bringt weitere Verbesserung des Krankheits-zustandes von C.R.. Keine Panikattacken mehr, Alkoholkonsum und Fressanfälle stark reduziert. C.R. möchte ihr letztes Maturajahr abschliessen. Gespräche Th., C.R. und Vater mit Lehrern. Schulstart im August 06 erfolgreich.

Weiterführende Sitzungsthemen bis März 2007 im Kurzüberblick Aufgrund der langen Therapiedauer werden ab August 06 die Sitzungsthemen zusammenfassend grob aufgeführt. • Arbeit an Zukunftsvisionen, Ziele, Hoffnungen: Imaginationsarbeit: Begegnung mit sich

selbst in der Zukunft • Erarbeiten und Festigung persönlicher Werthaltungen: Auswahl neuer Freunde nach

C.R.’s Werthaltungen • Verzerrtes Körperbild: passive und aktive Körperarbeit, um Körperkontakt zu stärken, • Spiegelarbeit, Förderung der Körperbeweglichkeit (Arbeit mit Tanz und Stimme) • Auflösen von Spaltungsmechanismen: z.B. Intrakorporeller Dialog mit ambivalenten • Gefühlen und Gedanken, Pro und Kontra-Betrachtungen in Gestaltarbeiten. • Ideale und Vorbilder: erstrebenswerte „Frauen- und Mutterbilder“, Imagination:

Begegnung mit der Ur-Mutter, Verinnerlichung der idealen Eltern usw. Medikation Anfangs keine Medikation, ab Dez. 2005 Temesta gegen Panikattacken, ab Feb. 2006 Se-roquel100 und Fluctine20 Therapieerfolg: Vergleich zum Therapiebeginn Die Patientin ist heute emotional stabilisiert. Normales Essverhalten, zeitweilig vereinzelt noch hoher Alkoholkonsum im Ausgang mit Kollegen. Spannungszustände nur in extremen Stresssituationen. C.R. absolvierte das letzte Gymnasialjahr ohne Panikattacken und konnte sich gut in die neue Klasse integrieren. Sie hat enorm an Selbstständigkeit und Autonomie gewonnen. C.R. kann jetzt sogar allein mit einer Freundin urlaubsmässig ohne Abstürze oder Probleme verreisen, bleibt aber in dieser Zeit aus eigenem Wunsch in Abwesenheit per sms mit der Therapeutin in Kontakt. Therapieunterstützung bis Ende August 2007 (1x monatlich) als Rückversicherung von Schutz und Hilfe. Ab September 07: Beginn des Hochschulstudiums in Kunst und Journalismus. Sie bleibt bis auf weiteres bei ihrer Grossmutter wohnhaft. Für die Th. wichtige Lernerfahrungen: • Verhindern der Überidealisierung der Th.: Ansprechen von eigenen Schwächen der Th., • Wertschätzung und periodischer Einbezug der Eltern in die Therapiesitzungen.

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• Alle Gefühle, die Pat. mit ihrem Verhalten auslöst, müssen seitens Th. transparent • gemacht und verbalisiert werden: „Das macht mich im Moment wütend, dass du wieder

versuchst, andere Leute zu manipulieren“. „Ich bin nicht sicher, ob ich dich weiter therapieren möchte, wenn du die Vereinbarungen nicht einhältst. Das muss ich mir bis zur nächsten Sitzung noch einmal überlegen“.)

• Bei C.R. war der pädagogische Anteil ein wichtiger Bestandteil der Psychotherapie: v.a. die Vorbildfunktion gegenüber C.R. und ihren Eltern betreffend konstruktiver und transparenter Grenzsetzung kostete die Th. oft einiges an Energie.

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8.2. Fallbeispiel 2: Borderline-Persönlichkeitsstör ung (DSM-IV), Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung, impulsi ver Typus (ICD-10)

Psychiatrisches Erstgespräch Psychiatrisches Erstgespräch geführt von Frau Dr. med. Tatjana Börries am 30.08.2005 mit Herrn A.S. Aktuelle Situation / Beschwerden Der Patient A.S. berichtet, schon seit Jahren unter der gleichen Problematik zu leiden: Er habe früher auch schon Psychotherapien gehabt. Er sei Perfektionist, was auch zu Zwangshandlungen führe. Er erwarte Perfektionismus auch von anderen. Die Fehler von anderen Menschen könne er nicht akzeptieren. Sie machten ihn „verrückt“ und er werde dann aggressiv. Er ärgere sich sehr über seine Aggressionen und schlage sich dann selbst auf den Kopf. Kritik könne er nur schlecht aushalten. Immer seien die anderen schuld, was seine Beziehungen zu anderen sehr erschwere. Seit ca. 5 Jahren habe sich dies zunehmend verschlimmert. Nun habe sich seine Partnerin, obwohl sie Psychologin sei, von ihm getrennt. Er wohne noch bis Okt. mit ihr zusammen, dann beziehe er eine eigene Wohnung. Er habe Angst vor dem Alleinsein und vor dem Alleinewohnen. Er habe auch Probleme im Job bekommen, da er einem Fahrgast gegenüber laut geworden sei. Stimmungsschwankungen (z.T. von Minute zu Minute wechselnd) würden ihn quälen. Daher wolle er nun unbedingt diese Probleme angehen. Er befürchte sonst eine Depression. Er komme mit seinem Leben nicht mehr zurecht und habe jetzt ab und zu Suizidgedanken. Erwartungen des Patienten Besserer Umgang mit Emotionen, mehr Ausgeglichenheit Beziehung zum Vater soll auch Thema sein Besonderes Eltern sind geschieden. Zu Mutter guten Kontakt. Vater lehnt Kontakt zu ihm ab. Vater war sehr gewalttätig. Pat. war als Kind in einer Kleinklasse, im Kinderheim und in der Kinderpsychiatrie, da so verhaltensauffällig (aggressiv) und in der Schule nicht mehr tragbar. Diagnose V.a. Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus (ICD10: F60.30) Aktuell Anpassungsstörung mit gemischter Störung der Gefühle und Sozialverhalten (F43.25) Ergänzende Informationen aus dem Patientendatenblatt vom 30.08.2005 Zivilstand: ledig, Religion/Konfession: reformiert. Über wen kamen sie zu uns? Ex-Freundin. Frühere Psychotherapien oder Beratungen? Ja und vor ca. 3 Jahren Aufenthalt im KIZ. Nehmen Sie zurzeit Medikamente? Nein. Beruf: Lokomotivführer. Name und Beruf der Eltern? Keine Angaben. Geschwister: 1 Schwester, 36jährig. Der Patient A.S. wurde an Sabine Gerber für eine ambulante Psychotherapie delegiert und nebst dem schriftlichen Bericht auch noch zusätzlich mündlich von T. Börries informiert.

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Zusätzliche Informationen aus dem Psychotherapeutis chen Erstgespräch (28.09.2005) • A.S. war vorherige Woche vorübergehend akut suizidal. Grund: schlaflose Nacht gehabt,

weil herausgefunden, dass (Ex)Freundin ihn betrogen hat und seine Briefe an sie ungeöffnet fortgeworfen hat. Daraufhin Gang in den Wald, mit der Absicht, sich dort umzubringen. Dort plötzlich eine Wärme und Zuversicht verspürt. Ein Zeichen von Gott erhalten. Seither Gefühl, Gott wieder näher zu sein. Danach Heimkehr und diverse vergebliche Versuche, telefonisch Hilfe zu erhalten (Sekretariat IKP, Telefon an mich, KIZ, etc.). Widerstände und Weigerung, auf eine Combox zu sprechen. Schliesslich Pfarrer, eine wichtige Vertrauensperson, erreicht, getroffen, mit langem Gespräch. Später auch langes Telefonat mit Mutter.

• 3 schwere Krisen im Leben gehabt. 1. Krise: 1995, 24jährig, als seine damalige Freundin ermordet worden ist. 2. Krise: 2001, als eine 5jährige Beziehung zu Ende ging. 3. Krise: jetzt, seit seine letzte Freundin, C., die Beziehung mit ihm beendet hat.

• KIZ: 2001, Eintritt ins KIZ nach Beziehungsende (s.o.) • Unmittelbar danach psychologischer Eignungstest zum Lokomotivführer („mit

Auszeichnung bestanden“). Aus 1000 Bewerbern ausgewählt worden. Danach Ausbildung zum Lokomotivführer. Kindheitstraum in Erfüllung gegangen.

• Seit fünf Jahren zunehmende Verschlimmerung seiner Problematik (zwanghafter Fokus auf Negatives, Perfektionismus, Aggressivität, s.o.)

• Frühere Psychotherapieerfahrungen: ausführliche Abklärungsphasen und Therapien in Kindheit. Nach KIZ-Aufenthalt bei Psychiaterin. Nach 2 Monaten Therapie abgebrochen („Chemie stimmte nicht, sich unverstanden gefühlt“)

• Diagnose in Kindheit: ADHS (kann A.S. bis heute nicht akzeptieren) • Erachtet jetzige Krise als Chance zur Veränderung: „Ich muss mich jetzt ändern“. • Wunsch nach Körperzentrierter Psychotherapie. Daher und auch auf Empfehlung seiner

Exfreundin hat er sich bei uns angemeldet. Psychopathologischer Befund aufgrund des psychiatri schen Erstgespräches und aufgrund der ersten psychotherapeutischen Sitzung 34jähriger, sportlich gekleideter, Berndeutsch sprechender, sehr mitteilsamer Patient. Psychischer Befund: Bewusstsein, Orientierung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, formales Denken o.B. Zwanghafter Fokus auf die Fehler von anderen Menschen. Keine psychotischen Symptome. Ängstlich in Bezug auf das Alleineleben, Alleinsein. Insuffizienzgefühle („Kann Wissen nicht umsetzen.“). Ambivalente Gefühle gegenüber Exfreundin (Liebe/Hass, Idealisierung/Entwertung). Affektlabilität, rasche Stimmungswechsel. Affektinkontinenz in Bezug auf Aggressionen. Antrieb, Psychomotorik o.B. Kein Hinweis auf circadiane Besonderheiten. Aggressivität (Aggressionstendenzen, Aggressionshandlungen). Vorübergehende akute Suizidalität vor Therapiebeginn und aktuell ab und zu Suizidgedanken. Selbstbeschädigungen (sich auf Kopf schlagen). Somatischer Befund: Schlaf- und Vigilanzstörung (Verkürzung der Schlafdauer, Müdigkeit) Wirkung / erster Eindruck des Patienten Grosses Erschrecken zu Beginn wegen Schilderung von Beinahe-Suizidversuch und Unverständnis gegenüber Weigerung, nicht einmal in grösster Not auf eine Combox zu sprechen. Macht sympathischen Eindruck (v.a. wegen Berndeutsch). Sportlich und fit wirkend (sportliche Kleidung und Figur, entsprechende Körperspannung und -haltung). Hohes Kontrollbedürfnis (Gefühl nach Sitzung: „Er musste die Kontrolle über die Sitzung haben und er hat bestimmt, was läuft.“). Sehr intelligent. Gefühl: „Er weiss viel mehr als ich. Kann ich seine hohen Erwartungen und Ansprüche erfüllen?“ Emotional sehr gut spürbar. Hohe Introspektionsfähigkeit. Keine Suizidalität mehr, im Gegenteil: grosse Zuversicht spürbar. Bedenken bezüglich Übertragung der Exfreundin = Psychologin auf mich, ebenfalls Frau, Psychologin und im selben Alter.

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Aussagen über Befindlichkeit nach erster Sitzung: „Fühle mich gelöst, glücklich, bin voller Freude. Ein wenig skeptisch bezüglich Erreichbarkeit der gewünschten Therapieziele und auch Angst vor Veränderung und vor dem, was kommen mag. Ich muss mich jetzt ändern und erachte diese Krise als Chance. Therapieraum ist sehr schön, riecht sehr gut, wirkt esoterisch. Sie sind mir sympathisch. Daher habe ich Ihnen schon viel anvertraut.“ Ganzheitsdiagnostik: Salutogramme und Pathogramme d er sechs Lebensdimensionen des anthropologischen Würfelmodel ls IKP • Psychisch-geistige Dimension Perfektionist. Enorm hoher Leistungsanspruch („Muss mir durch Leistung etwas verdienen. Bin geizig. Kann nicht geniessen“.) Zu hohe Erwartungen an sich (� Entscheidungsschwierigkeiten, Blockierung) und andere. Projektive, zwanghafte Selbst- und Fremdwahrnehmung. Grosses Wissen, v.a. auch psychologisches (Lesen, Kurse, Aus- und Weiterbildungen). Wünsche nach Universitätsstudium in den Bereichen Biologie, Meeresbiologie. Schreibt viel (v.a. während KIZ-Aufenthalt). Singen als Hobby. Hohe Intelligenz: Lesen als Hobby. Übermässig entwickeltes Über-Ich. Selbstwertproblematik, Insuffizienzgefühle („Kann Wissen nicht umsetzen“, „Ich muss mich ändern.“, Selbstvorwürfe, „Ich muss…“, fehlende Selbstliebe). Affektlabilität. Impulsivität. Aggressions-Problematik. Hohe Introversionsfähigkeit. Sehr guter Analytiker. Weiss, was er braucht und hat klare Ziele. • Beziehungsmässig-soziale Dimension Beruflicher Werdegang: Primarschullehrer, danach diverse Jobs: Nachtwache in einem Kinderheim, Koch, Bürojob in der Bildungsdirektion etc., dann Kindheitstraum Lokomotivführer erfüllt (Ausbildung und Anstellung seit 2001). Mehrmalige Verwarnungen und Beanstandungen am Arbeitsplatz wegen inadäquaten aggressiven Äusserungen. Mehrere langjährige Beziehungen: jeweils von den Frauen verlassen worden, danach jeweils akute Krisen. Unerfüllter Kinderwunsch, jetzt sehr aktuell. Letzte Freundin war schwanger, dann Abort. Aktuell via Partnervermittlung (Internet) auf der Suche nach einer neuen Freundin. Langjährige gute Freundin, seine Traumfrau, möchte keine Beziehung mit ihm. Guter Freundeskreis, jedoch belastet durch Persönlichkeitsveränderung von A.S. in den letzten fünf Jahren. Eishockey-Schiedsrichter, spielt selbst Eishockey in Club. Gute Beziehung zu Mutter und Schwester. Schwester zurzeit depressiv. Gewalttätiger Vater gegenüber allen Familienmitgliedern während Kindheit von A.S.. Flucht der Mutter mit den Kindern ins Frauenhaus. A.S. hätte gerne Kontakt zum Vater, doch dieser lehnt es ab. Hobbies: diverse Sportarten in Gruppen und in Clubs, Kochen (Einladungen zum Essen), Psychologie-Kurse besuchen, Teilnahme in theologischer Gruppe, von einem Pfarrer geleitet, der eine wichtige Vertrauensperson für A.S. ist. Abwehrmassnahmen: Projektion (Die anderen sind schuld. Ständig Fehler bei anderen sehen und ganze Aufmerksamkeit zwanghaft darauf richten.) und Retroflektion (Selbstvorwürfe wegen Aggression auf andere, dann zur Selbstbestrafung sich auf den Kopf schlagen, Suizidalität). In Kindheit gedemütigtes, geschlagenes, ungeliebtes Kind wendet nun die Aggressionen gegen sich selbst (Vater-Täter-Introjekt, Identifikation mit dem Aggressor). Extremer Wechsel von Projektion und Retroflektion. Retroflektion als Reaktion auf Projektion. Abspaltung (Trennung von Gefühlsteil und rationalem, kontrollierendem Persönlichkeitsanteil, kein Sowohl-als-auch möglich). Verdrängung von Wahrnehmungen, Bedürfnissen. Hat Kaninchen als Haustiere A.S. vermutet Auslöser seiner jetzigen Problematik in der Kindheit und möchte ausdrücklich mit seinem inneren Kind arbeiten („Ich muss für mein inneres Kind sorgen“.). „Erst, wenn ich

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Liebe für mich selbst empfinden kann, kann ich andere lieben“. A.S. lehnt jedoch im Gegensatz zum psychiatrischen Erstgespräch ein Angehen der Vater-Problematik strikt ab. • Körperliche Dimension Treibt viel Sport. Sportlich durchtrainierter Körper. Macht Wellness. Sauna. Muskeltonus: gut verteilte Spannung der verschiedenen Muskelgruppen. Hohe Fitness. Schlafprobleme (schläft viel zu wenig). Müdigkeit. Ernährung wichtig (Kochen als Hobby). Fehlende Balance des vegetativen Nervensystems: Sympathikotonie. In den letzten Jahren Achtsamkeit gegenüber Körpererleben vernachlässigt bis hin zur Verdrängung von VAKO-Wahrnehmung. Körperhaltung: extremer Wechsel zwischen Vorwärts- (Hinweis auf Projektor) und Rückwärtsneigung (Hinweis auf Retroflektor), jeweils adäquat zu verbal geäusserten Inhalten. Medikamente: nimmt ab und zu Jarsin und Kava (Selbstmedikation). • Spirituell-transzendente Dimension Reformiert. Sehr gläubig. Auf der Suche nach mehr Nähe zu Gott, „Gott gibt mir Prüfungen auf“. „Möchte Zugang zu meiner Seele finden“. Betet täglich zu Gott und bittet um Kraft (=Kraftquelle). Pfarrer als Vertrauensperson. „Zeichen von Gott erhalten“. Teilnahme an theologischen Gruppentreffen (theologische Literatur, Philosophieren, Befindlichkeiten austauschen). Sinn im Leben: Traumjob ausüben dürfen, Sehnsucht nach Beziehung mit Frau und eigenen Kindern, Gott nahe sein. Macht Zuhause geführte Meditationsreisen (CDs, Bücher). • Dimension des Raumes Praktisch ständig unterwegs, d.h. kaum Zuhause. Zügelt im Okt. 05 aus gemeinsamer Wohnung mit Ex-Freundin in eine andere Mietwohnung. Angst vor dem Alleinewohnen. Sehr an Umweltthemen interessiert (Wunsch nach Meeresbiologie-Studium). Durch seinen Beruf tagtäglich durch die ganze Schweiz fahrend unterwegs. Mutter in Bern, Schwester in Genf. Familien-Ferienwohnung im Berner Oberland. Evtl. in naher Zukunft eigene Ferienwohnung im Tessin. Sporttreiben in der Natur (Wandern, Spaziergänge, Wintersport). Nimmt innerhalb Therapiesitzung viel Raum ein. Schenkt Umgebung (Therapeutin, Therapieraum) Beachtung. Interesse an Biologie, speziell Meeresbiologie. • Dimension der Zeit Ganze Freizeit verplant (unmittelbare Zukunft). Ständig was los (intensives Handeln im Hier-und-Jetzt). Gefühl, zu wenig „freie“ (unverplante) Zeit für sich zu haben. Zu wenig Zeit seiner Ex-Freundin gewidmet (daher auseinander gelebt). Leidet unter zu hohem Arbeitspensum und Schichtarbeit. Aktuell auch sehr vergangenheitsorientiert (Liebeskummer, was ist mit uns geschehen?). Schnelle Wechsel in der Zeitorientierung. Jetzt Kinder haben „müssen“, ideales Alter, nachher zu spät. Krankheitsentstehung: multifaktorielle und multidim ensionale Entstehungsgeschichte anhand der 3-Phasen-Theorie d er Entstehung psychischer Erkrankungen (Maurer, 1999, S. 72) Leistungsorientierung � Entwicklung eines extremen Aktionismus � ganze Freizeit verplant, keine „freie“ Zeit mehr haben, kaum mehr Zuhause sein, extrem viel los haben, zu wenig schlafen � Müdigkeit � Gereiztheit, Aggressivität � körperliche Anspannung, oberflächliche Atmung, erhöhte Aktivierung des sympathischen Nervensystems (Adrenalinausschüttung), zu wenig Entspannung � zunehmender Verlust des Kontaktes zu sich selbst: eigenen Bedürfnissen keine Beachtung mehr schenken bis hin zu nicht mehr wahrnehmen. Körper nur noch über sportliche Betätigungen und Müdigkeit wahrnehmen � auf „Zeichen“ (Bsp. Anzeichen einer Verschlechterung der Beziehung zu Freundin) nicht mehr achten. Verdrängung � Spaltung von Gefühls- und rationalem Persönlichkeitsanteil. Abspaltung von und Kontrollzwang gegenüber Gefühlsanteil führt zu Impulsivität (Kontrollverlust gegenüber Gefühlsanteil) in Form von aggressiven Durchbrüchen (verbale Beschimpfungen) und Stimmungsschwankungen und als Folge davon Selbstbestrafung

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mittels autoaggressivem Verhalten und Selbstvorwürfen. Durch Verzicht auf Leben von Gefühlsanteil auf andere Menschen kalt, egoistisch, rücksichtslos wirkend � negative Folgen im sozialem Umfeld: Beziehungsprobleme, Probleme am Arbeitsplatz, sich im Freundeskreis unbeliebt machen � Erreichung und Aufrechterhaltung von Lebenszielen ist zunehmend gefährdet (drohender Verlust des Traumjobs, Einsamkeitsgefühl als Single, unerfüllter Kinderwunsch, Verbindung zu Gott verlieren) Eigene Ressourcen vernachlässigen � Ressourcen verkümmern und können nicht mehr genutzt werden � die einseitige Lebensweise führt zu einer Fixierung, fehlender Balance der Lebensdimensionen, Verlust von Flexibilität und Differenziertheit � Zunehmende Entstehung und Verschlimmerung von Krankheitssymptomen innerhalb der letzten 5 Jahre (s.o. Psychopathologischer Befund) � Vernetzung und weiterer Ausbau der Störungen auf allen Seinsdimensionen. Erfolgte Umstrukturierung in den verschiedenen Lebensdimensionen � Zahlreiche Selbstheilungsversuche führen nicht zu einer Verbesserung des Zustandes. Professionelle Hilfe ist dringend notwendig und wird von sich aus in Anspruch genommen. Die oben genannte Dynamik von Einflüssen ist nicht abschliessend zu verstehen. Es besteht keine lineare Ursache-Wirkungsbeeinflussung von Faktoren, sondern die Einflussfaktoren aller Lebensdimensionen wirken wechselseitig und mutlifaktoriell aufeinander. Die Pfeile signalisieren eine Folge- oder Wechselwirkung. Bsp. Leistungsorientierung � Entwicklung eines extremen Aktionismus bedeutet, dass die Leistungsorientierung zu der Entwicklung eines extremen Aktionismus beigetragen/geführt hat und diese beiden in Zusammenhang miteinander stehen. Persönlichkeitsanteile Der Gefühlsteil/ der verletzliche Teil Extrem feinfühlig, sensibel, einfühlsam, differenziert, verletzbar. Andere verwöhnen, „in den Himmel heben“. Emotional sehr präsent. =bedürftiges, verletztes inneres Kind =verletzbarer, einsamer, Hilfe suchender Teil

↕ Kontrolle haben müssen, Leistungsorientierung, stark sein müssen, Perfektionist, überstrenges Über-Ich Völlig rational, gefühlsmässig sehr „kalt“, egoistisch, rücksichtslos A.S. investiert alles in Richtung Kontrolle. Ist sein Revier, „Heimvorteil“. Sehr unterhaltsamer Teil (gestaltet die Therapiesitzungen sehr unterhaltsam). Kontrolle zugleich Stärke und Schwäche (Impulsivität als erlebte Kontrollverluste). Spaltung, extreme Wechsel. A.S. leidet sehr darunter. Wünscht sich ein Sowohl-als-auch, ein Dazwischen, Flexibilität. Therapievorgehen Erste strategische Überlegungen, Therapieplanung un d –ziele beim Therapiebeginn 1. Aufbau einer vertrauensvollen Therapeuten-Klienten-Beziehung (Klient soll sich gut

aufgehoben, wohl, geborgen, sicher, verstanden, unterstützt fühlen. Therapeutin würdigt seine Ressourcen und bisherigen „Überlebens“-Strategien. Klient spürt Engagement, Wohlwollen, Echtheit und Akzeptanz der Therapeutin. Achtsamkeit auf Übertragung – Gegenübertragung)

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2. Arbeitsbündnis gemeinsam formulieren: Erwartungen, Wünsche, Bedürfnisse an Therapie und Therapeutin, Definition und Bedingungen von Psychotherapie. Bisherige Therapieerfahrungen. Setting, Therapieauftrag und -ziele besprechen und festlegen.

3. Aggressionsproblematik: a) Verhinderung von und Umgang mit Suizidalität (bewältigungs-, ressourcen- und klärungsorientiertes Vorgehen). Entlastungsmöglichkeiten. b) Adäquater Umgang mit Aggressionen, Impulsivität (s.o.).

4. Ressourcenreaktivierung und Förderung neuer Ressourcen 5. Beziehungsthematik: Verarbeitung der letzten Beziehung (Trauerprozess, „offene

Gestalten“ schliessen), Beziehungsmuster in Herkunftsfamilie und mit Freundinnen (klärungsorientiert), zukünftige Beziehungen (Veränderung des „alten“ Beziehungsmusters, „neues“ Muster aufbauen, die „ideale“ Beziehung/Frau: Wünsche, Bedürfnisse, Erwartungen)

6. Integration von abgespaltenen Persönlichkeitsanteilen / vom „Entweder-oder“ zum „Sowohl-als-auch“ (Psychoedukation, gestalttherapeutische Techniken, imaginative Techniken, Arbeit mit dem inneren Kind, Vater-Introjekt (Familienprägungen und Agency-Modell � Über-Ich, Perfektionismus, Aggressionsproblematik), Arbeit mit dem „inneren Team“)

7. Zwischen Therapiesitzungen Hausaufgaben 8. Information bezüglich zeitlichem Verlauf der Psychotherapie: infolge Schwangerschaft

der Therapeutin und Schwangerschafts-/Mutterschaftsurlaub ab Februar 2006 weitere Optionen besprechen (ab Februar 2006 vorübergehender Wechsel zu anderer Therapeutin, Therapiepause bis zur Rückkehr von mir oder Therapieabschluss). Daher auch realistische Therapieziele für diese Zeitspanne formulieren und sehr auf deren Umsetzung und Erreichung achten.

Weitere, daraus resultierende Therapiestrategie/-pl anung, therapeutische Haltung in Bezug auf die spezifischen Persönlichkeitsanteile v on A.S.: A.S. braucht Wertschätzung, Unterstützung und Fürsorge im Gefühlsteil. Therapeutin: „Sie gestalten die Therapiesitzungen sehr unterhaltsam.“ A.S. in seiner Kompetenz bestätigen und würdigen. „Aber da ist noch ein anderer Persönlichkeitsanteil da, der ebenso kompetent ist: der Gefühlsteil, der Verletzliche. - Und das freut mich“. – „Lassen Sie das Gesagte auf sich wirken, ohne eine Antwort zu geben“. – „Ein sehr verletzbarer, einsamer, Hilfe suchender Teil. Der soll auch seinen Platz erhalten. Hier.“ – „Was ist jetzt bei Ihnen? Was hat das bewirkt?“. A.S. soll sich in seinem Kern erkannt vorkommen. „Wir gehen zusammen auf die Suche nach dem inneren Kind.“ – „Sie müssen mir nichts vorspielen. Sie dürfen ganz sich selbst sein“. Jeweils am Ende der Sitzungen fragen: „Wie geht’s jetzt dem inneren Kind?“ Im Therapiebericht vorkommende Aufzählungen (1., 2., 3., …) beziehen sich auf die vorgebrachten Themen/Inhalte und deren Reihenfolge im Sitzungsverlauf. Therapiebericht 2. Sitzung: A.S. ist sehr müde. Wegen zu hohen Erwartungen und Leistungsanspruch über seine Grenzen gegangen. 1. Verarbeitung von Trennungsschmerz (gegenseitige Vorwürfe, unerfüllte Bedürfnisse. Emotional sehr präsent. 2. Zügeltermin: sich sehr aufgeregt wegen Fehlern von anderen � deswegen Selbstvorwürfe. Prozesshafter Verlauf von Aggressions-Muster: Idealanspruch („Es muss alles perfekt klappen. Fehler dürfen nicht passieren.“) � Zwanghafter Fokus auf Negatives, auf Fehler von anderen � sich aufregen, nerven, aggressiv werden, Spannungszustand � Die anderen sind schuld � gegenüber anderen verbal aggressiv werden � durch Abreaktion kurzfristige Erleichterung � Schuldgefühle, Selbstvorwürfe, Selbstbestrafung � negative Reaktionen der anderen mit negativen Folgen für ihn (z.B. drohender Verlust von Arbeitsplatz). 3. Gemeinsame Erarbeitung von adäquaterem Umgang mit Aggressionen und Verminderung von Auftreten von Aggressionen. Erstellen einer Liste: „Bewältigungsmöglichkeiten von Wut/Aggressionen“ (z.B. intra- und interdimensionales Shiften, Nutzung von Ressourcen). Therapieplanung:

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Liste immer dabei haben. Erarbeitetes in kleinen Schritten im Alltag umsetzen, Neues ausprobieren und auswerten. 4. HA: Liste umsetzen. Worst-case-Szenarien erwarten als Gegenteil zum Idealanspruch (Wie ist es dann?). Idee: Kurs in Autogenem Training 3. Sitzung: Liste nicht gebraucht. Grund: sich nie aufgeregt. Gelassen, ruhig. 1. Rachegedanken, -impulse gegenüber Ex. � Gestaltdialog mit Kissen (pro/kontra Rache). Entscheidung: es sein lassen und abschliessen, weg von Vergangenheitsorientierung. 2. Verhinderung von Kontrollverlust, Impulsivität durch in Kontakt mit sich selbst sein und bleiben können. Weg von Aussenorientierung, hin zur Innenorientierung. A.S. formuliert seine Ideen dazu und übt alles in Sitzung. Bewältigungs-Liste aufschreiben. Techniken:. Sensory Awareness, Körperzentrierte IKP-Erfahrungsübungen, Imagination, aktives Shiften. A.S. verfügt über eine enorme Wahrnehmungs-, Introversions- und Imaginationsfähigkeit. 4. Sammlung von Ressourcen: Reaktivierung. Therapieplanung: als Ressourcen würdigen und wiederholt nutzen. 4. Sitzung: Sehr müde (Schichtarbeit, zu wenig Schlaf, tagsüber nicht schlafen können) � Reizbarkeit. Coping/HA: Ressourcenaktivierung (Wellness, Sauna, Spaziergänge, Entspannung). Leidet unter Polarisierung und Spaltung von seinen Persönlichkeitsanteilen (s.o.). Während Sitzung beide sehr präsent. 5. Sitzung: Sieht schlecht aus. Sit. bei Arbeit: sich furchtbar aufgeregt. Liste nicht umsetzen können. 1. Zusätzliche Informationen zur Aggressions-Dynamik: Fremdaggression („Ihr seid nicht o.k.“) � Wendung gegen sich selbst („Ich bin nicht o.k.“) � Trauer, Einsamkeitsgefühl, Sehnsucht nach Liebe, Trost, Beziehung. („Niemand hat mich gern“) � Todessehnsucht. („Ruhe von allem. Nichts mehr müssen“). A.S. weint beim Erzählen. 2. Überarbeitet, keine Energie mehr, überfordert. In neuer Wohnung nicht Zuhause, eine Baustelle (Erwartung: perfekte Wohnung). Coping: mit Plüschtier geschmust („Inneres Kind in die Arme genommen“. 3. Quälender, lähmender Perfektionismus, Leistungsanspruch. 4. Bedürfnis: Th. soll ihm Mut machen. Angebot: bei akuter Krise Th. telefonieren dürfen. Schriftl. Vereinbarung betreffend Verhalten bei akuter Krise. 5. Information bzgl. Persönlichkeitsanteile. Abmachung Therapieplanung: mit Gefühlsteil arbeiten (Arbeit mit dem inneren Kind). 6. Kindheits-Anamnese, Prägungen: Vater („Ein Knabe weint nicht. Muss stark sein“.) Fehlende Vater-Liebe. Agency-Modell: „So werden wie Vater, dann Liebe.“ Hat nicht funktioniert. Folge: Positive Beachtung in Aussenwelt gesucht. Verhaltensauffälligkeit, ADHS, führte zumindest zu negativer Beachtung. HA: (Therapie)Tagebuch, Bedürfnis nach Schreiben als Ressource nutzen. Plüschtier knuddeln. Gefühlsteil war in Sitzung sehr präsent. 6. Sitzung: Besserung dank aktivem Shiften, guten sozialen Kontakten („Die anderen sind an meinem Wohl interessiert, mögen mich“). Pflege von Spirituellem. Nutzung der Ressourcen in allen Bereichen. Freude auf Zukunft, Auftrieb. Pflege von innerem Kind (Plüschtier). In Kinofilm geweint („Umarmung von innerem Kind mit Mutter“). Übung: aktive Imagination „Begegnung mit dem inneren Kind“. 8j. Kind. HA: Begegnungen mit dem inneren Kind. 7. Sitzung: Gute Woche gehabt. Freude an Arbeit. Ressourcen gelebt. Genussfähigkeit entwickelt. Keine Aggressionen. 1. Verarbeitung von letzter Beziehung. Traum-Arbeit. 2. Beziehungserwartungen: unrealistische, unerfüllbare Erwartungen � Misserfolg � Versager 3. Grossmutter war wichtige Vertrauensperson. Jetzt sein Schutzengel. 4. Muster: Gefühlsteil nimmt sehr viel wahr � Kontrollierender, rationaler Teil übernimmt Führung und Mitteilung � auf andere „kalt“ und unecht wirken � Selbstvorwürfe. Funktion: Rationaler Teil übernimmt zum Schutz des verletzbaren Gefühlsteils (erfahrene Verletzungen in Kindheit) die Führung (Technik: Gestaltdialog). Übung: adäquate Mitteilung von Wahrnehmungen. Einübung des Erfahrenen via Rollenspiel. Therapieziel: Weg von diesen Extremen. Mehr Flexibilität. Das Dazwischen leben können. HA: Umsetzung im Alltag (im Kommunikations-Kurs üben, Ich-Botschaften) 8. Sitzung: Gefühlsteil vernachlässigt � Schlaflosigkeit � Liebeskummer, Schmerz � alles im Tagebuch niedergeschrieben � Beruhigung. 1. Liest 16seitigen Brief an Ex vor. „Ich bin an allem schuld“, aber auch andere Ich-Botschaften. Weint dabei heftig, schluchzt � über aufgekommene Gefühle überrascht� „Hier möglich. Fühle mich geschützt. Hier darf und

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kann ich Gefühlsseite zeigen“ � „Brief abschicken?“ Entscheidung/HA: mit Ex Kontakt aufnehmen, ob sie das möchte. Falls nein: Ritual mit Brief (evtl. verbrennen?). 2. Gefühlsteil: Trauerprozess, versch. Gefühle zulassen, Verarbeitung, sich Zeit geben � rationaler Teil: möglichst schnell darüber hinwegkommen. Es ist abgeschlossen. Sich zusammenreissen. Neue Beziehung eingehen. 3. „Ich bin schuld“ � „Du bist schuld“� „Es braucht immer zwei dazu“. Techniken: Gestaltdialoge 9. Sitzung: Zu viel los, zu viel wollen � Stress, Druck, Blockierung � Entscheidungs- und Handlungsunfähigkeit � Selbstvorwürfe. HA: Plan erstellen. Agenda-Einträge. Prioritäten setzen. Streichliste. Zeit für sich einplanen. Zeit für Gefühlsteil einplanen. HA: Imagination „über Berg von Arbeit fliegen“ 2. Wie geht’s innerem Kind? „Hat Angst. Sorgt sich um den Erwachsenen. Sehr kompetent: weiss, was der Erwachsene braucht.“ Gewinn für beide: Inneres Kind wird beachtet, gehört, ernst genommen und Erwachsener lernt von ihm. Inneres Kind als Ressource. 10. Sitzung: HA nicht gemacht. Dauernd müde wegen zuviel Arbeit und Aktionismus in Freizeit. Keine „freie“ Zeit. Erfolgserlebnis: Umsetzung von Sowohl-als-auch gelungen. Gleichzeitiges Vorhandensein von Schuldzuweisung und Selbstvorwürfen gegenüber Ex in Gruppe (Kurs) ausdrücken können � positive Feedbacks erhalten. HA: s. 9. Sitzung 11. Sitzung/ Telefon: Termin am Vorabend abgesagt. Grund: Entscheidung für eine Ski-Tour mit Kollegen. 15-minütiges Telefon. Inhalt: Information zu weiteren Ereignissen betreffend Ferienwohnung im Tessin. Steckt in Schwierigkeiten, ist sehr gestresst (bewältigungsorientiert: adäquate Reaktion und Verhalten, Umgang mit Gefühlen). A.S.:„Jetzt Lösung des Problems gefunden“. 12. Sitzung: HA gemacht: in sich „hineingeschaut“, was wichtig ist und dadurch besser gelungen, Prioritäten zu setzen. Neu: Wichtiges in Agenda geschrieben. Erkenntnis: noch viel freier Platz = freie Zeit. Th.: „Inneres Kind?“ A.S.:„Kommt zu kurz. Ist aber geduldig. Wünscht sich Ruhe für A., damit er wieder Zeit findet“. Leidet unter Hektik, Lärm und Kälte (Alltag, Zürich). Übung: Wohlfühlort/ Sicherer Ort. Traumfrau, Mutter und 3j. Knabe anwesend. Schutz und Sicherheit durch Gott. – Abklopf-Übung (ganz ins Hier-und-Jetzt) zurückkommen notwendig. Imaginations- und Introversionsfähigkeit als überragende Ressourcen! Vermutlich gleichzeitig innerem Kind begegnet und Vision vom zukünftigen Glück (Traumfrau und Kind). HA: nach Bedarf/Wunsch an inneren sicheren Wohlfühlort gehen 13. Sitzung: Neujahr im Ferienhaus mit Mutter und deren Mann verbracht. 1. Mann von Mutter? - A.S.: Mann als Spiegel seiner selbst: alles negativ, pessimistisch. „Hätte mich so weiterentwickeln können. Zum Glück anderen Weg eingeschlagen!“ 2. Verarbeitung vom Liebeskummer: „Gute“ Seite in mir � Verletzte Seite. Übung: gestalttherapeutischer Dialog mit Kissen. Gute Seite: Wünscht Ex alles Gute. Grosszügige Friedensangebote und Angebote, alles gütlich abzuschliessen. Ihr an Weihnachten Geschenk gebracht � Verletzte Seite: Von ihr gekränkt, verletzt worden. Grosse Wut auf sie. Rachegelüste. Kleinkrieg. Vor Gericht gehen und für Recht kämpfen. Vorwürfe an sie. Ihr nur das Schlechteste wünschen. – Extreme Wechsel dieser Extrempositionen. Fortsetzung Übung (gestalttherapeutisch, Kissen): Beide Varianten durchspielen. Was tut ihm gut? Was dient seinem Wohl am meisten? – Lösung (drittes Kissen, neue Variante), Kompromiss. Einen Monat lang abwarten, nichts unternehmen. Wenn von ihr nichts kommt, ihr einen Brief schreiben: Ich-Botschaften („Fühle mich traurig, verletzt, enttäuscht. Hätte es gerne im Guten bereinigt. Schade. Für mich ist es nun abgeschlossen.“). 3. Liebe für R. (langjährige gute Freundin, Traumfrau, unerreichbar): Tut weh, kaum zum Aushalten. – Gefühle in Th.-Sitzung zulassen und Umgang damit (bewältigungsorientiert). Wechsel auf rationalen Persönlichkeitsanteil: viele Warum-Fragen. Wunsch nach Klärung, Antworten Harmonie, Verständnis. Mühe mit Akzeptanz von Realität. Ideal nicht erreichbar. – Gestaltgebet von Fritz Perls mitgegeben. - Während ganzer Sitzung in sehr gutem Kontakt mit Gefühlen und Verstand. Keine extremen und abrupten Wechsel mehr, sondern Sowohl-als-auch. Sehr guter Prozess am Laufen. 14. Sitzung: Für Psychologie-Kurse angemeldet. Viele „Frauengeschichten“ laufen parallel: 1. Brief an Ex abgeschickt: Angebot, alles zu regeln mit Frist. Keine bewertenden

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Formulierungen, Ich-Botschaften. Keine Rachegelüste mehr. Akzeptanz der Situation. 2. Viele Gedanken an unerreichbare (Traum)Frau (s.o.). 3. Umgang mit neuen Bekanntschaften und Erwartungen an sie. Viele Kontakte mit anderen Frauen (Kontaktanzeigen, Singles-Parties). 4. Angst bezüglich Aufgabe von „Arbeit an sich selbst“ und Rückfall. Lösung: Anmeldung für Kurse. Teilnahme an Gruppen. Äussere Strukturen als Motivator. Wichtig: Theorie und Erfahrung verbinden. 15. Sitzung: 1. Hin und Her-Verhalten von Ex (Angebote und Rückzieher). Reaktion von A.S.: Spaziergang, dort heftige Gefühlsschübe, Trauer, Wut, Hass. - „Diese Gefühle sind o.k., dürfen sein“. - Fokus auf Schönes richten (Schöne Natur, neue Frauenkontakte). – Th.: Lob, Würdigung von seinem Coping. 2. Erlebnis mit Frau: Flirt. Wie weiter? Gestalttherapeutisch Varianten durchspielen. 3. Übung: Inneres Team (gestalttherapeutisch) a)Perfektionist = Oberhaupt. Bestimmt über die anderen Anteile. Richter. Bewerter. Mehr wert, wichtiger als die anderen. Funktion: Beschützer (vor Chaos, existentiell). Antrieb, Motor. Erledigt Dinge. Qualität. Beruflicher Erfolg. Gerechtigkeitssinn. b)der Vernünftige/Verständnisvolle: „Du bist o.k.“ und c)das innere Kind. � Lösung: Der erwachsene A. ist das Oberhaupt über sein „inneres Team“. Alle gleichwertig. Ein Team. Gemeinsam Lösungen finden. HA: Inneres Team 16. Sitzung: Therapieabschluss. Zusammenfassung des Therapieverlaufs und gegenseitiges Feedback über therapeutische Beziehung. Positives Feedback an Therapeutin. Wie weiter? Kurse besuchen (z.B. Autogenes Training), Weiterbildung in Psychologie, theologische Gruppe mit Pfarrer fortsetzen, Arbeit mit dem inneren Kind fortsetzen. Wichtig: nicht nur neues Wissen ansammeln, sondern mit sich in Kontakt bleiben, Integration von Persönlichkeitsanteilen beachten, v.a. Gefühlsanteil weiter stärken. Bei akuter Krise „Notfallliste“ ausführen und sich bei unserer Ärztin melden. Sich nach Bedarf wieder bei mir melden. Es mal alleine schaffen und sich bewähren, d.h. ohne Impulse durch Therapie auskommen. Schöner und stimmiger Abschluss. Verabschiedung. Therapieabschluss 1 psychiatrisches Erstgespräch, 15 Sitzungen Einzel-Psychotherapie (à 60 – 90 Minuten), 1 telefonische Besprechung (eine Therapiesitzung abgesagt, dafür kurzes psychotherapeutisches Gespräch via Telefon). Erfolgreicher Therapieabschluss nach gegenseitigem Einvernehmen. Option, dass sich A.S. nach Babypause der Therapeutin wieder meldet, über dazwischen liegende Zeit berichtet und nach Bedarf Therapie wieder fortsetzt. Therapieerfolge Trotz begrenzter Zeit und nur 15 Sitzungen Erreichung der Therapieziele. Hilfreich waren dabei 1. die enorme Wahrnehmungs-, Introversions- und Imaginationsfähigkeit von Herrn S., 2. das Verfügen über viele Ressourcen auf allen Lebensdimensionen, 3. die hohe Therapiemotivation und Umsetzung von Erlerntem und Erfahrenem im Alltag (Hausaufgaben), 4. Bei Herrn S. konnte auf einem hohen Niveau eingestiegen und gearbeitet werden (s.1.). 5. Der parallel stattfindende Besuch von Psychologie-Kursen und der theologischen Gruppe. 6. Aufarbeitung und Verarbeitung der schwierigen Kindheit in früheren Therapieerfahrungen. Der allerwichtigste Faktor und Beitrag zum Therapieerfolg war jedoch die tragfähige therapeutische Beziehung. Ohne diese wären 1. – 6. nicht möglich gewesen. Als Therapeutin war ich häufig als Vorbild gefordert. Schwierig war es v.a. dann, wenn ich Grenzen setzen musste, nämlich dann, wenn ich das Gefühl hatte, dass A.S. mir gegenüber distanzlos wird, indem er mich über mein Privatleben und meine Schwangerschaft ausfragen wollte. Da Herr S. ausdrücklich nicht mit seiner Vater-Problematik und Kindheitserlebnissen arbeiten wollte, respektierte ich dies, so gut es ging und überliess es Herrn S., die Sitzungsinhalte nach seinen aktuellen Bedürfnissen zu gestalten. Mit diesen Themen und ohne meinen beginnenden Urlaub hätte die Therapie sicher noch mehrere Sitzungen gedauert.

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Beilage Brief von A.S., Januar 2007: Liebe Frau Gerber Ich wünsche Ihnen, Ihrem Kind und Mann alles Gute für das neue Jahr. Ich danke Ihnen nochmals für die wertvollen und hilfreichen Psychotherapiesitzungen mit Ihnen. In der Zwischenzeit habe ich eine tolle Frau kennen gelernt und auch eine schwere Schulterverletzung hinter mir. Mir geht’s psychisch sehr gut, da ich von dieser Frau sehr viel Liebe erfahren darf und ihr auch schenken kann. Wir beide spüren eine Seelenverwandtschaft. Ich wünsche Ihnen auch viel Liebe, Lebensfreude und den Mut und die Kraft, Träume zu verwirklichen. Liebe Grüsse, A.S.

8.3. Erkenntnisse für die Therapiekonzeption BPS de r Körperzentrierten Psychotherapie IKP

1. Psychoedukation:

Informationen betreffend BPS (Symptomatik, Ätiologiekonzepte, Behandlungsmöglichkeiten und Heilungschancen) müssen ein wesentlicher Therapiebestandteil sein, v.a., wenn beim Klienten eine starke Ich-Fragmentierung vorliegt und quälende Fragen und Leidensdruck hinsichtlich der Einordnung seiner Befindlichkeit/Erkrankung bestehen. Bei Jugendlichen sind Eltern sinnvollerweise hierfür miteinzubeziehen. Ausnahmen bilden Eltern, durch die der Borderline-Patient schwere Traumatisierungen (Übergriffe, sexuelle Misshandlungen) erlebt hat. In einem solchen Fall ist in erster Linie eine räumliche Trennung vom Täterumfeld zu prüfen und in Betracht zu ziehen. Aus eigener Erfahrung empfiehlt es sich bei Jugendlichen (15-18 Jährige) die entwicklungspsychologischen Besonderheiten der Adoleszenzkrise zu berücksichtigen. Da der Borderline-Betroffene stark zu unklaren, ambivalenten, abrupt wechselnden z.T. auch chaotischen Gefühlen und Verhaltensweisen neigt, sind klar formulierte und strukturgebende Informationen und Aufklärungen (Information über Definition/Verständnis von Psychotherapie, Körperzentrierte Psychotherapie IKP, Therapieplanung/-strategien, durchgeführte Techniken, Persönlichkeitsstruktur und Modelle, Veränderung von „alten Mustern“, Verhaltensmuster, Schematas und Prägungen) von besonderer Bedeutung.

2. Vereinbarungen im Umgang mit Krisen v.a. parasuizidale und suizidale Handlungen

betreffend. „Notfall-Liste“, „Notfall-Koffer“. Schriftl. Vereinbarungen. Als Therapeutin Telefonkontakt anbieten und emotionale Verbundenheit signalisieren.

3. Kompetenzförderung und Fokus von Negativem (Symptom e, Leiden, Störung,

Defizite) auf Positives (Ressourcen, Stärken, Fähig keiten und Fertigkeiten, Erfolgserlebnisse, schöne Erlebnisse) richten (Refr aming, Shiften) a)Aktivierung und Verstärkung eigener Ressourcen: Sammlung von aktuell gelebten Ressourcen und früheren Ressourcen auf allen Lebensdimensionen � Verstärkung und Reaktivierung � Symptomerleichterung, Verminderung von Leidensdruck b) Finden und Förderung von neuen Ressourcen: Balance auf allen Lebensdimensionen als Ziel, Steigerung von Bewältigungsmöglichkeiten, Persönlichkeitsentfaltung

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c) handlungsorientiertes Vermitteln von Methoden des Spannungsabbaus (z.B. individuell zusammengestellter Notfallkoffer), um das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu stärken. c) Würdigung von „alten“ Mustern als Überlebensstrategien (=Reframing) � Selbstwertsteigerung, Therapeut-Patient-Beziehung d) Positive Erfahrungen während den Therapiesitzungen ermöglichen

Es versteht sich von selbst, dass die Ressourcenorientierung durch den gesamten Therapieprozess oberstes Prinzip ist, nicht nur zum Therapiebeginn. 4. Urvertrauen stärken , weil dies auf allen Dimensionen fehlt: körperlich (eigenes

Körperbild), psychisch (z.B. emotionale Geborgenheit), sozial (Patient-Therapeut-Beziehung), Zeit (Sich im Hier-und-Jetzt wahrnehmen und erleben lernen) Raum (Raumausdehnung), spirituelle Dimension (Eingebettet-Sein in einem Grösseren).

5. Keine Veränderung ohne gefühlsmässiges Erleben!

Borderline-Persönlichkeitsstörungen können nicht allein über Wissensvermittlung und nachfolgendem Einüben gewisser Bewältigungsmethoden hilfreich angegangen werden. Zur Spannungskurvenreduktion ist dieses Vorgehen geeignet, nicht aber um psychodynamische Themen anzugehen. Der Ansatz der Körperzentrierten Psychotherapie IKP geht davon aus, dass die Probleme der Borderlinepersönlichkeit zunächst in der Therapie real und gefühlsmässig im Hier-und-Jetzt erfahren werden müssen, dann geklärt und bewältigt werden können. Auch das aus der Verhaltentherapie stammende Expositionstraining muss so verstanden werden.

6. Der sozialen Dimension muss besondere Beachtung geschenkt werden. Das heisst,

die Bindungsart und –qualität zu den primären Bezugspersonen muss als wesentlicher Therapiebestandteil berücksichtigt werden. Ein wichtiger Stellenwert in der Therapie haben deshalb die Aufdeckung, Aufarbeitung und Veränderung von negativen familiären Prägungen und inadäquaten Beziehungsmustern. Abgespeicherte frühere Bindungserfahrungen werden ohne Zutun des Therapeuten immer wieder in Form von Übertragungen und Projektionen des Patienten aktiviert, sodass hier in der Therapie einfach daran anzuknüpfen ist. Borderline-Patienten vermögen ohne Therapie die ständige Wiederholung ihrer alten Schematas und Verhaltensweisen aus unerfüllten Beziehungen nicht zu erkennen. Unterschiede zwischen Jetzt und Damals werden meist nicht erkannt. Sie fühlen sich nicht verstanden und aus all diesen Gründen ist es für sie schwierig, in einer Paarbeziehung zu vertrauen. Deshalb ist aus unseren Praxiserfahrungen unerlässlich, in erster Linie eine tragfähige Therapeuten-Patienten-Beziehung als wichtigster Wirkfaktor für eine erfolgreiche Therapie zu schaffen. Diese beinhaltet einen guten Boden des Vertrauens. Es ist eine Beziehung, die ehrlich, offen, wertschätzend ist und gleichzeitig konstruktive Grenzen setzt. Kindheitsgefühle aus früherem Beziehungsgeschehen können durch spezifische Interventionen bearbeitet und verändert werden: regressive Techniken unter Einbezug imaginativer Techniken, kreativer Medien und körperzentrierter IKP-Erfahrungsübungen (Arbeit mit dem inneren Kind, Familientisch, Lebenspanorama, Beziehungspanorama, intrakorporeller Dialog etc.), bedürfnisorientierte Veränderung von Erfahrungen in der Familie („Was hätte ich als Kind von Mutter und Vater gebraucht?“ mit anschliessender Recall-change-Methode) und nachnährende Interventionen sowie Selbstbeelterung.

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7. Therapierhythmus im ambulanten Setting: mind. 1x wöchentlich, in akuten Krisen 2x wöchentlich, gegen Ende der Therapie Rhythmus reduzieren. Im Notfall Kontaktmöglichkeiten (Telefon, SMS, E-Mail) anbieten. Nach Bedarf Sitzungen gemeinsam mit Angehörigen. Vernetzung vom „Helfer-System“ (z.B. Sozialarbeiter, Lehrer, Ausbildner, Hausarzt).

8. Die Teilnahme an Gruppen (Kurse, Weiterbildungen, Skills-Training,

Selbsthilfegruppen) sehen wir v.a. dann indiziert, wenn sie als Ressource (s. Fall-Bsp. 2) genutzt werden kann. Andererseits haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass bei stationären DBT-Gruppentherapien mit Borderline-Patienten negatives Imitationsverhalten schädliche Auswirkungen haben kann (s. Fall-Bsp. 1). Die Begleitung der Borderline-Patientin aus Fallbeispiel 1 erlaubte uns einen tieferen Blick in die stationäre DBT-Gruppentherapie. Daraus wurden die folgenden positiven und negativen Punkte ersichtlich: [+] Grosse Wissensvermittlung und Techniken zur Spannungsreduktion vermitteln den Borderline-Patienten eine wirksame Therapiestarthilfe und ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. [+] Förderung des Bewusstseins- und Erkenntnisprozesses über das eigene Fühlen, Denken und Handeln. [+] / [-] Sozialer Kontakt mit Menschen gleicher Krankheitsbilder vermittelt das Gefühl des Verstandenseins, des „Dazugehörens“. Gleichzeitig begünstigt es das Gefühl des Krankseins und des Abgesondertseins. [-] Auch wenn in der DBT-Gruppe Gruppenprozesse nicht thematisiert werden, so sind sie doch vorhanden und werden z.T. verdeckt ausgetragen (aus Erfahrungen unserer Patienten und Therapeuten in stationären Borderline-Gruppen erhoben). In der Gruppe präsentieren sich dann die unterschiedlichsten bewährten Beziehungs- und Copingthemen der Borderlien-Persönlichkeiten (z.B. passive Verweigerung zur Gruppenteilnahme wie z.B. Rückzug, Verweigerung von Äusserungen und eigenen Meinungen oder sich aggressiv betont in den Gruppen-Mittelpunkt stellen etc.). [-] In der Gruppe werden leider auch negative Verhaltensmuster gelernt, die der Borderline-Persönlichkeit zugeschrieben werden. Die Borderline-Patientin aus Fallbeispiel 1 lernte z.B. selbstschädigendes Verhalten (Ritzen an Beinen und Händen) erst anhand von Negativ-Vorbildern während ihres stationären Aufenthalts und in der Gruppe. Zuvor waren keine selbstverletzenden Tendenzen vorhanden, wie dies die Patientin selbst bestätigte. Solche negativen Lernprozesse kommen gemäss stationären Betreuungspersonen von Borderline-Patienten häufig vor.

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9. Beitrag der Körperzentrierten Psychotherapie IKP für ein ganzheitlich-integratives Therapiekonzept der Borde rline-Persönlichkeitsstörung

In diesem Kapitel werden Erkenntnisse aus den vorherigen Kapiteln 1 bis 8 zu Theorie und Praxis geschlossen (Kap. 9.1) und ein allgemeines Entstehungs- und Therapiemodell IKP für psychische und psychosomatische Störungen anhand des Anthropologischen Würfelmodells IKP beschrieben (Kap. 9.2). Es folgt eine Bestätigung des ressourcenorientierten Ganzheitstherapiekonzepts IKP und dessen Relevanz für die BPS durch aktuelle Forschungen (Kap. 9.3). Dies (Kap. 9.1 – 9.3) führt zum ganzheitlich-integrativen Therapiemodell IKP für die BPS, welches detailliert beschrieben wird.

9.1. Erkenntnisse aus Theorie und Praxis (Kap. 1 – 8) Wie aus vorherigen Kapiteln deutlich wurde, bestehen einige ätiologische Konzepte zur BPS, die in unterschiedlicher Weise in verschiedene Therapierichtungen und -konzepte eingeflossen sind. Die mit dem multidimensionalen Anthropologischen Würfelmodell IKP von Dr. med. Yvonne Maurer (s. Kap. 9.2) gegebene ganzheitlich-integrative Sichtweise des Menschen, verlangt deshalb auch eine möglichst „holistische“ und multifaktorielle Betrachtung der BPS, weshalb vorliegende ätiologische Konzepte und Ideen sowie aktuelle neurowissenschaftliche Erkenntnisse in die folgenden Überlegungen miteinbezogen werden. Den Bedarf an einem ganzheitlichen multidimensionalen u nd multifaktoriellen Ätiologiemodell und Therapiekonzept IKP für die BPS sehen wir aus mehrerer Hinsicht als sinnvoll und notwendig: Mit Ausnahme der Dialektisch-Behavioralen-Therapie (DBT) existieren kaum schulenübergreifende Therapiekonzepte für die BPS , obwohl sich – wie in Kapitel 3.1.1. bereits erwähnt - in den letzten Jahren langsam ein Paradigmawechsel hin zu einer schulenübergreifenden und störungsspezifischen integrativen Sichtweise von psychischen Störungen abzeichnet. Bekanntlicherweise kann der Mensch nicht isoliert als ein von aussen nur kognitiv, emotional oder handlungsmässig zu beeinflussendes Wesen betrachtet werden, sondern er lebt mit sich selbst in einem ständigen Fliessgleichgewicht (Selbstorganisation), ebenso mit seiner Umwelt (Selbst-Aussen-Organisation) (s. Maurer, 2002). D.h. wir müssen in der Therapie Abschied nehmen von dem „statischen“ Patienten und uns zugestehen, dass wir trotz Kenntnis über allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie (z.B. therapeutische Beziehung, Arbeitsklima, Veränderungserwartung des Patienten, seine Hoffnung auf Heilung) letztendlich nicht genau wissen, welcher Faktor bei einem Patienten Besserung oder sogar Heilung seiner psychischen Leiden gebracht hat. Wir können nur versuchen, dem Patienten (für sein spezifisches Krankheitsbild) ein multiperspektivisches Behandlungsvorgehen zu vermitteln, das Zugang zu den verschiedensten Lebensdimensionen (s. Kap. 9.2), Schichten und Zugängen seiner selbst ermöglicht. Dadurch erhöht sich auch die Möglichkeit, dass dem Patienten mehr Angebote zur Verfügung gestellt werden, den entscheidenden Wendepunkt für seine psychische

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Erleichterung/Besserung zu finden – ganz im Sinne des „Je mehr desto mehr-Energieprinzips“ von Maurer (1993a, 1998, 1999). Es bestehen, wenn überhaupt, nur Konzeptfragmente, die den therapeutischen Zugang zu Borderline-Patienten über den Körper anbieten (s. Kap. 7.4). Auch haben Bewegungstherapien, wie sie in stationären Institutionen als ergänzendes Modul bei der DBT- und anderen Therapien eingesetzt werden, wenig mit dem körperpsychotherapeutischen Verständnis des IKP-Ansatzes gemein. Die IKP-Therapietheorie basiert auf der Tatsache, dass unser Gedächtnis und die gemachten Erfahrungen unser Verhalten und unsere psychischen Strukturen beeinflussen und Spuren im Körper hinterlassen (Bauer, 2002; Marlock & Weiss, 2006; Maurer, 1998, 1999). Deshalb sollen Gedächtnisinhalte über Körperassoziationen bewusst gemacht und verändert werden. (Maurer, 1999, S. 169). Mit der Arbeit über das Körpergedächtnis erreichen wir somit auch Früherfahrungen, die sich unserer bewussten Gedächtniserinnerung entziehen (s. Kap. 7.4). Der körperpsychotherapeutische Ansatz IKP ist darauf ausgerichtet, sich zwischen den körperlichen und psychischen Polen therapeutischer Exploration hin und her zu bewegen und diese zu integrieren. Manchmal bewegt sich der Pol des Psychischen hin zu einer vertieften Körper-Selbst-Erfahrung, manchmal entfalten sich aus dem Erspüren und Erfühlen des Körpers klare Einsichten im Psychischen. Im Weiteren lassen bisherige Konzepte die spirituelle, sinnstiftende Dimension des Menschen in der Therapie weitgehend unberücksichtigt. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass wir den Spiritualitätsbegriff nicht im katholischen Sinne, aus dem er ursprünglich entstanden ist, verwenden. Mit Spiritualität meinen wir den Glauben und/oder auch das erfahrene Gefühl und/oder die körperliche Empfindung, des „Ich-in-der-Welt-eingebettet-Seins“, der tiefen Selbsterfahrung des transpersonalen Erle-bens, Fühlens und Handelns, der vollkommenen Harmonie und Zusammenschau (Maurer, 1993). Der Mensch braucht das Gefühl des Eingewobenseins in ein grösseres Ganzes – ob dies durch Gottesglauben, Glaube an eine höhere Macht oder Energie geschieht, scheint uns eher nebensächlich. Tatsache ist, dass der Mensch aus der spirituellen Lebensdimension neue Kräfte zur psychischen und physischen Gesundung schöpfen kann, wie wir dies von etlichen Geschichten über Wunderheilungen, erfolgreich gemeisterten Strapazen alter Völker (z.B. in der Bibel) und aus eigener Erfahrung kennen. Die spirituelle Dimension hilft uns offensichtlich immer wieder, an die Fähigkeit und das erfahrene Gefühl des Kindes anzuknüpfen, dass wir immer wieder von Neuem über uns hinauswachsen können. Es geht dabei darum, sich auf einem tragenden Urgrund bewegen und darauf vertrauen zu können, dass schon alles gut kommt, und dass es die Welt und das Leben gut mit uns meint (Urvertrauen) und unser Leben mit Sinn erfüllt ist (Sinnhaftigkeit). Für das Borderline-Konzept scheint uns diese Dimension von grosser Bedeutung zu sein. Hält man sich die bei BPS-Patienten in wissenschaftlichen Studien nachgewiesenen unsicher-ambivalenten Beziehungserfahrungen zu primären Bezugspersonen (s. Kap. 6.3.) und evtl. mögliche ungelöste Traumaerfahrungen vor Augen, so wird leicht erkennbar, dass das Gefühl des Aufgehobenseins, welches das Kind in erster Linie in den Armen der Mutter erfährt (und später internalisiert), defizitär ist oder weitgehend fehlt. Wie soll ein Kind daraus Urvertrauen und das geborgene Gefühl des Eingebundenseins in der Welt entwickeln resp. das Potenzial des Über-Sich-Hinauswachsens aktivieren? Im Sinne der Maslow’schen Bedürfnispyramide (weiterentwickelt nach Maurer, 1993, s. Abb. 5) ist das Borderline-„Kind“ auf der zweit- und drittuntersten Bedürfnis-Stufe des Sicherheitsbedürfnisses hängen

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geblieben, das immer noch ungenügend erfüllt ist. An die Bedürfnisbefriedigung der höheren Stufen der Selbstentfaltung und Wachsens (s. Kap. 9.2) ist dabei noch gar nicht zu denken. Wir versuchen in unserem nachfolgenden Therapiekonzept IKP für die BPS den körperzentrierten und ganzheitlichen Blickwinkel in die heute gängigen BPS-Therapien miteinzubringen und diese zu ergänzen, um uns an ein ganzheitliches Symptom-, Ätiologie- und Therapieverständnis anzunähern.

Abb. 5. Wachstumsbedürfnisse Eine Hierarchie menschlicher Bedürfnisse (weiterentwickelt z.T. aus Maslow, 1985, sowie aus eigenen [gemeint ist Maurer, 1993] Erfahrungen und Konzepten). Links vom Hauptpfeil deuten kleinere, nicht überall gezeichnete Pfeile auf die Aus- und Rückwirkungen hin. (Maurer, 1993, S. 42) Aus dem therapeutischen Gesichtspunkt werden aus dieser Erkenntnis folgende Fragen bearbeitet werden müssen: • Wie kann der Borderline-Patient primär darin unterstützt werden, die Erfahrung des Sich-

im-Körper-Geborgenseins und -Wohlfühlens zu erleben, aufzubauen und zu stärken? Denn ohne positiven Bezug zu meinem Körper oder aus der Philosophie des Ostens ohne das „In-Mir-Aufgehoben-Sein“, kann das Aufgehobensein im Ganzen und in der Welt nicht aufgebaut werden.

• Welchen spirituellen Zugang hat der Patient zu sich und der Welt? Was macht ihm Sinn, wenn es um Themen von Leben und Tod geht? An welche sinnstiftenden und lebenssinnstärkenden Einstellungen und Überzeugungen kann in der Therapie individuell angesetzt werden?

• Welche Interventionen fördern die erlebbaren Erfahrungen des „Eingebundenseins-Im-Ganzen“?

Spiritualität

Einfluss

Selbstachtung

Zugehörigkeit Soziale Integration

Menschlicher Austausch

Sicherheit

Körperliches Überleben

Loyalität, Geführtwerden, Führen, Verantwortung übernehmen, Handeln, gemeinsam Handeln, Vertrauen, Offenheit

Physiologische Bedürfnisse wie Nahrung, Flüssigkeit, Sauerstoff, angemessene Temperatur, Schlaf-Wach-Rhythmus

Berühren, Berührtwerden, Hautkontakt, Zuwendung, Gespräch, Zärtlichkeit, Sexualität

Atmosphäre von Sicherheit für die grundlegenden physiologischen und kommunikativen Bedürfnisse (Mangelbedürfnisse)

Gute Beziehung zu sich selber, Leben des wahren Selbst, Wahrnehmen der eigenen Gefühle und Erkenntnisse und optimaler Umgang damit für sich und andere zu weiteren Entfaltung, Freiheit, Kreativität

Macht, d.h. Wille und Energie zum Aktivieren und Mitreissen anderer im physischen, sozialen, geistig-psychischen, philosophisch-spirituellen Bereich

Streben nach eigener Ganzheit, Verbundenheit mit dem höheren Ganzen, Verehrung, Hingabe, bedingungslose Liebesakte

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Es ist hier vorauszuschicken, dass die spirituelle Dimension eher in einer fortgeschrittenen Therapiephase Platz bekommen wird (s. Kap. 9.4.3), da es vorerst darum gehen wird, eine tragende Beziehung zum Patienten aufzubauen und aus psychodynamischer Sicht die Verdrängungs-/Spaltungsmechanismen aufzuweichen.

9.2. Allgemeines Entstehungs- und Therapiekonzept I KP anhand des Anthropologischen Würfelmodells IKP

Das Anthropologische Würfelmodell IKP wurde in den 1980er Jahren von Yvonne Maurer entwickelt. Es ist ein ganzheitliches Menschenmodell, das zugleich Kernmodell für die Theorienbildung, die Behandlungskonzepte und die Behandlungsstrategien der Körperzentrierten Psychotherapie IKP war und ist. Es entspricht einer ganzheitlichen, d.h. multidimensionalen und interrelationalen, bzw. einer systemischen Denkweise. Alle sechs Lebensdimensionen durchdringen einander gegenseitig im Sinne multidimensionaler Feedbacksysteme, bilden gemeinsam eine Einheit des Seins und sind gleichbedeutsam. Der Würfel steht als Symbol für die Ganzheitlichkeit, die Einheit und gleichzeitige Vielfalt des Menschen. Abb. 6 zeigt das Anthropologische Würfelmodell IKP mit seinen sechs Lebens- bzw. Seinsdimensionen.

Abb. 6. Anthropologisches Würfelmodell IKP (Maurer, Version von 1999) Da alle Lebensdimensionen miteinander in einer Einheit vernetzt sind, gibt es auch nur vernetzte Symptomatiken. Gemäss der Krankheitstheorie der Körperzentrierten Psychotherapie IKP ist die Entstehung psychischer Störungen nicht monokausal oder eindimensional, sondern multifaktoriell und sehr häufig multidimensional . Es sind komplexe Kausalnetze und Bedingungsgefüge. Das Modell der „3-Phasen-Theorie zur Entstehung psychischer und psychosomatischer Erkran kungen “ (Maurer, 1999, S. 72, s. Kap. 8.1 und 8.2) zeigt die fortlaufende Vernetzung von Störungen mit anderen Lebensdimensionen. Eine zunächst energetische Prädisposition (Abnahme gesundheitsfördernder Aktivitäten) in Phase 1 führt im weiteren Verlauf zu Phase 2 mit einer störenden Reaktionsbildung (Krankheitssymptomatik) und schliesslich erfolgt in Phase 3 eine Umstrukturierung in den verschiedenen Lebensdimens ionen . Die Patienten kommen meist erst in Phase 3 in die Therapie.

Spirituell-trans- zendente Dimension

Beziehungsmässige (soziale) Dimension

Psychisch-geistige Dimension

Raum/Ökologie

Zeit

Körperliche Dimension

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Ein Ungleichgewicht zwischen den Lebensdimensionen durch Über- oder Unterfunktionen, dysharmonische Entfaltung der verschiedenen Lebensdimensionen und deren Verbindungen untereinander, die Entfaltungsbeeinträchtigungen dieser Dimensionen durch äussere, soziale, psychische und körperliche Einflüsse sowie vor allem auch die mangelnde Übernahme und Fähigkeit des Menschen, selbst den Wachstums- und Veränderungsprozess dieser Dimensionen zu erkennen und damit gestaltend umzugehen, führen zu psychischen und psychosomatischen Erkrankungen (Maurer, 1999, S. 75). Störungen ziehen in der Regel derart viel Aufmerksamkeit auf sich, dass andere Lebensbereiche vernachlässigt werden und in der Folge deren Ressourcen verkümmern. Maurer (1999) bezeichnet diesen Prozess als Zuschlagen der „Ressourcen-Türen“ (S. 75). Allgemein lässt sich sagen, dass eine einseitige Lebensweise mit Betonung bestimmter Lebensbereiche auf die Dauer zu einem Ressourcenverlust in den anderen Bereichen führt. Eine Folge davon ist die Risikozunahme für die Entwicklung psychischer und psychosomatischer Störungen. Psychische Gesundheit entsteht dann, wenn möglichst viele Lebensbereiche voll gelebt und als Ressourcen genutzt werden. In der Therapie nach dem IKP-Ansatz geht es darum, alle Lebensdimensionen des Anthropologischen Würfelmodells IKP mit dem Patienten durchzugehen. Dabei sollen unabgeschlossene Situationen (Synonyme: unabgeschlossene Figuren, „offene Gestalten“ nach Perls, 1995), aufgestaute Gefühle, ungestillte Sehnsüchte und Bedürfnisse „geschlossen“ bzw. sinnvoll realisiert werden. Zudem sollen zuwenig gelebte Lebensbereiche stimuliert werden. Gesundheit ist von individuellen Sollwerten abhängig. Ziel ist eine ausgewogene Besetzung (weder Unter- noch Überfunktion) resp. eine Balance auf und zwischen allen Lebensdimensionen. Damit wird ganzheitlicheres Leben mit zunehmendem Wachstum (s. Abb. „Wachstumsbedürfnisse“), Differenzierung und Entfaltung ermöglicht. Nebst diesen Zielsetzungen auf einer höheren Stufe (s. Abb. „Wachstumsbedürfnisse“, Kap. 9.1) entscheidet der Schweregrad einer psychischen Erkrankung die Richtung der Veränderung. Bei einer schweren psychischen Erkrankung und hohem Leidensdruck ist das Nahziel zu Beginn der Therapie eine Verminderung des Leidensdrucks durch eine möglichst rasche Symptomerleichterung. Die Veränderungstheorie IKP des menschlichen Verhaltens ist entsprechend dem ganzheitlichen Menschenmodell, symbolisch-bildhaft dargestellt durch das Anthropologische Würfelmodell IKP, multidimensional und hinsichtlich der Kommunikationsweise multimodal , d.h. sämtliche Sinnes- und Wahrnehmungskanäle (VAKO = visuell – akustisch – kinästhetisch – olfaktorisch) einbeziehend. Zudem ist sie ressourcen- und reparativorientiert und setzt die von Maurer entwickelten Veränderungsmethoden, die „Körpergedächtnisrestrukturierungstechnik“ (reparativ und/oder ressourcenmobilisierend) und das „Shiften“ (ressourcenmobilisierend) ein (Maurer, 1999, S. 123, s. Kap. 9.4.3.3).

9.3. Bestätigung des ressourcenorientierten Ganzhei tstherapiekonzepts IKP und dessen Relevanz für die BPS durch aktuelle Forschungen

Wie wir wissen, geht der IKP-Ansatz davon aus, in den sechs Seinsdimensionen des Anthropologischen Würfelmodells IKP (s. Kap. 9.2) handelnd zu verändern. Im Unterschied zu vielen anderen Psychotherapierichtungen (u.a. Verhaltenstherapie), die einen stark

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störungsorientierten Fokus haben, geht es in der Körperzentrierten Psychotherapie IKP nach Maurer um eine salutogenetische Betrachtung , d.h. um die Aktivierung brachliegender und Entwicklung fehlender Ressourcen (Maurer, 1999, s. Kap. 9.2). Damit wird dem Patienten eine weniger vergangenheits-, sondern zukunftsorientierte Sicht vermittelt, die die Kräfte der Selbstorganisation und Prioritätensetzung anregen soll. Das ressourcenorientierte IKP-Therapiekonzept bekommt nun durch eine Studie von Grosse, Holtforth, Grawe und Tamcan (2003, zit. nach Grawe, 2004, S. 344), basierend auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, unterstützende Zustimmung. Zudem enthält diese Studie wichtige neurowissenschaftliche Erklärungsansätze für die BPS, welche für die Therapiekonzeption IKP hilfreiche Unterstützung sein kann. Im Folgenden soll die Konsistenztheorie , welche die Basis für die oben genannte Studie bildet, kurz vorgestellt werden und die Relevanz ihrer Ergebnisse für den IKP-Ansatz und die BPS erläutert werden. An jedem Aspekt unseres Wahrnehmens, Erlebens und Verhaltens ist nicht ein Neuron, sondern ein komplexer neuronaler Schaltkreis – kognitiv-emotionale Neuronennetzwerke – beteiligt. Dies ist neurowissenschaftlich unterdessen gut belegt (vgl. Roth, 1995; Hüther, 2006). Ein Beispiel dazu: Alltägliche Gegenstände (z.B. einen Stuhl) erkennen wir, weil über lange Zeit immer beim Wahrnehmen eines Stuhles dieselben Neuronennetzverbände gleichzeitig erregt worden sind. Dadurch bilden sich nach und nach feste Neuronenbahnen aus, die beim Sehen des Gegenstandes aktiviert werden. Im Laufe der individuellen Entwicklung, in Auseinandersetzung mit Umwelt- und Mitweltbezügen, bilden sich unzählige solcher neuronalen Netzwerke aus (s. Hüther, 2006). Wenn wir uns vorstellen, dass uns Erinnerungen durch den Kopf gehen können, die Gefühle auslösen und zu Handlungen bewegen können, während wir gleichzeitig uns hungrig fühlen können und von Kopfschmerzen geplagt werden, so erhalten wir einen Eindruck davon, dass in unserem Gehirn sekundenschnell und gleichzeitig unterschiedliche Neuronenschaltkreise aktiviert sein können. Diese kognitiv-emotionalen Netzwerke im Gehirn stellen also psychische Repräsentationen dar, die Wissen, Emotionen und „Handlungsbereitschaften“ (Pläne und Schemata) beinhalten. In diesem Zusammenhang ist auch nachgewiesen worden, dass sich das Gehirn laufend bis ins Alter und auch dauerhaft verändert werden kann, wenn die Einflüsse intensiv und konstant und über einen längeren Zeitraum hinweg anhaltend sind (Karni, Meyer, Jezzard, Adams, Turner & Ungerleider, 1995; Merzenich, Jenkins, Johnston, Schreiner, Miller & Tallal, 1996). In der Fachsprache nennt man das neuronale Plastizität . Aber intensive, vielfach wiederholte Bahnung neuer Abläufe verlangt vom Menschen die entsprechende Motivation und ein Umfeld, das die Motivationen des einzelnen unterstützt. Dieses Wissen bildet die Grundlage zur Konsistenztheorie von Grawe (2004), die wiederum gleichzeitig die Bindungstheorie (s. Kap. 6.3) in ein neues Licht rückt, indem sie Erklärungen eröffnet, warum unsichere Bindungen zu Stande kommen. Dies ist insofern für die BPS von Bedeutung als dass sie mit dem Auftreten des unsicher-ambivalenten Bindungstyps stark korreliert (Fonagy et al., 1996; Patrick et al. 1994).

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Abb. 7. Das konsistenztheoretische Modell des psychischen Geschehens nach Grawe (2004, S. 189) Grawe sieht das Erleben und Verhalten des Menschen als im Wesentlichen von zentralen allgemeinen psychischen Grundbedürfnissen und motivationalen Schemata geprägt. Unter psychischen Grundbedürfnissen versteht er Bedürfnisse, die bei allen Menschen vorhanden sind und deren Verletzung oder Nichtbefriedigung zur Schädigung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens führen. Grundbedürfnisse sind für Grawe Vorgaben, welche die Evolution dem menschlichen psychischen System gemacht hat. Solche existenziellen Bedürfnisse sind nach Grawe: • Orientierung und Kontrolle • Bindung • Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz • Lustgewinn und Unlustvermeidung Die neurobiologische Forschung zeigt, dass diese Bedürfnisse ganz tief in der Beschaffenheit des menschlichen Nervensystems verankert sind (Grawe, 2006). Der Mensch ist gemäss Grawe dazu motiviert, die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Wenn die aktivierten emotionalen Ziele zur Bedürfnisbefriedigung mit der realen Wahrnehmung und Erfahrung übereinstimmen, besteht nach Grawe Kongruenz , wenn nicht, dann erfolgt Inkongruenz . Grundbedürfnisse beziehen sich dementsprechend immer auf Erfahrungen, die ein Mensch mit seiner Lebensumwelt gemacht hat. Seine Wahrnehmungen (Gefühle, Gedanken), die er den jeweiligen Erfahrungen zugeordnet hat, können hinsichtlich eines Grundbedürfnisses (z.B. Bindung) eine positive oder negative Bedeutung für ihn haben. Diese Erfahrungen

Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle

Grundbedürfnisse Lustgewinn / Unlustver- meidung

Bindungs - bedürfnis

Bedürfnis nach Selbstwerter- höhung/-schutz

Motivationale Schemata

Erleben und Verhalten

Rückmeldung über Inkonsistenz Streben nach Konsistenz

Streben nach Bedürfnisbefriedigung

Systemebene

Rückmeldung über Bedürfnisbefriedigung

Bottom up-Aktivierung motivationaler Schemata

Vermeidungs-schemata

Inkongruenzsignale

Annäherungs- schemata

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bestimmen bei einer nächsten ähnlichen Erfahrungssituation, ob er sich ihr annähern oder sie lieber vermeiden wird. Grawe spricht hier von annähernden und vermeidenden motivationalen Schemata. Annähernde und vermeidende Tendenzen können auch gleichzeitig aktiviert werden und sich gegenseitig hemmen. In diesem Fall kann von einem motivationalen Konflikt gesprochen werden, der ebenfalls zu Inkongruenz führt. Ein hohes Inkongruenzniveau geht mit einem andauernd höheren Pegel negativer Emotionen (Angst, Wut, Enttäuschung etc.) einher, was sich hirnmässig als unvereinbare, gleichzeitig ablaufende neuronale/psychische Prozesse zeigt. Vereinfacht heisst das: Wächst ein Mensch in einer Umgebung auf, die ganz auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse eingestellt ist, wird er hauptsächlich „annähernde motivationale Ziele“ entwickeln. Er wird positive Erfahrungen sammeln und diese werden als Erwartungshaltungen für ein nächstes Mal gespeichert. Wächst eine Person hingegen in einer Umgebung auf, in der ihre Grundbedürfnisse immer wieder verletzt, bedroht oder enttäuscht werden, entwickelt sie Vermeidungsschematas („vermeidende motivationale Ziele“), um sich vor Verletzungen zu schützen. Bei Borderline-Patienten könnte dieses Nebeneinander von Wunsch nach Nähe (Annäherungschemata) und dem Abstandhalten und Vermeiden von Nähe (Vermeidungsschemata) einen Zielkonflikt im Sinne von Grawe darstellen und als Folge von früher unsicheren Bindungserlebnissen in der Familie verstanden werden. In einer verletzenden Umgebung wie es z.B. bei Borderlinern mit Missbrauchserfahrungen in der Familie, mit komplexen Traumata der Fall ist, kann Vermeidung als angepasstes Verhalten gesehen werden. Dauerhaft schädigende Inkongruenzerfahrungen verstellen so den Weg zur positiven Bedürfnisbefriedigung. Der Mensch bleibt in den vermeidenden Tendenzen auch in Situationen stecken, wo ihm zur positiven Bedürfnisbefriedigung nichts entgegenstand, da im neuronalen Netzwerk das „Vermeidungs-Muster“ bereits gebahnt ist. D.h. immer, wenn es zu Inkongruenzen kommt, werden mit den betreffenden Bedürfniszielen auch Mittel, Pläne und Verhaltensweisen aktiviert, die bisher erfolgreich diese Inkongruenzen „runter regulieren“ konnten. Bei solchen Mechanismen sprechen wir von Abwehrmechanismen oder Coping (Grawe, 2004). Sie laufen überwiegend automatisiert ab. Aus psychotherapeutischer Sicht entstehen daraus wichtige Hinweise für die Therapeutenhaltung und die therapeutischen Interventionen (z.B. Lebenspanorama, Lebensscript, Familienaufstellung, s. Kap. 9.4.3.3) Zusammenfassend kommt Grawe (2006) zum Schluss: Wenn ein erhöhtes Inkonsistenzniveau im psychischen Geschehen über längere Zeit anhält, kommt es zur Ausbildung einer psychischen Störung, denn nur dann wird der neuronale Bahnungsweg im Gehirn solange wiederholt, dass sich ein festes Störungsmuster etablieren kann. Die Befunde von Grawe lassen kaum Zweifel, dass die Verletzungen des Bindungsbedürfnisses zuerst da waren, und dass sie und ihre Folgen grundlegende Ursachen für eine später ungünstige psychische Entwicklung sind. Was hat nun aber die geschilderten neurowissenschaf tlichen Erkenntnissen sowie die Konsistenztheorie von Grawe mit dem Ressourcena nsatz der Körperzentrierten Psychotherapie IKP zu tun? Grawe postuliert, dass in der Psychotherapie zukünftig vermehrt eine Konsistenzverbesserung angestrebt werden muss, damit Inkongruenzen abnehmen können. „Wenn sich psychische Störungen einmal herausgebildet und etabliert haben,

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stellen sie eine zusätzliche Quelle von Inkonsistenzen im psychischen Geschehen dar. Sie behindern die Realisierung von motivationalen Zielen und stellen selbst Verletzung wichtiger Grundbedürfnisse dar, denn sie beinhalten Kontrollverlust, sind unangenehm und bedeuten eine Kränkung für das Selbstwertgefühl.“ (Grawe, 2004, S. 379). In seiner Prä-Post-Studie (2003) mit 283 Psychotherapiepatienten konnte Grawe (2004) folgende Resultate vorweisen: 1. Eine Abnahme der Inkongruenz geht einher mit:

• einer Verbesserung des Wohlbefindens • einer Abnahme der psychopathologischen Symptomatik • einer Abnahme von Depression und • einer Besserung interpersonaler Probleme

2. Umgekehrt gilt aber auch: wenn es gelingt, in einem um die Inkongruenz angesiedelten Problembereich etwas zu verbessern, nimmt die Inkongruenz ab. Ansatzstellen für die Verringerung der Inkongruenz sind gemäss Studie: • eine bessere Nutzung vorhandener Ressourcen • eine bessere Kompetenzerwartung • Förderung positiven Copingverhaltens • Abnahme der Stärke von Vermeidungszielen (Bindung zum Therapeuten

ausschlaggebend) Brachliegende und fehlende Ressourcen (s. untere Abb. 8) hingegen, tragen dazu bei, Inkongruenz zu verstärken. Deshalb ist eine Ressourcenaktivierung ebenfalls als präventiver und prophylaktischer Wirkfaktor zu sehen. Die folgende Abbildung verdeutlicht, welche Faktoren auf die Inkongruenz Einfluss nehmen können:

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Abb. 8. Funktionale Stellung der Inkongruenz im psychischen Geschehen (nach Grawe, 2004, S. 347) Mit der Studie von Grawe wird das ressourcenorientierte Therapievorgehen, das Maurer bereits in den 1980er Jahren entwickelt hat, explizit in seiner Wichtigkeit nun auch durch aktuelle Forschungen bestätigt. Zudem liefert Grawe Hinweis dafür, dass mit dem ressourcenfördernden ganzheitspsychotherapeutischen Ansatz IKP, gleichzeitig an einer Inkongruenzverringerung gearbeitet wird, die - wird sie erreicht - zu mehr Wohlbefinden und zur Abnahme von psychopathologischen Symptomen führt. Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass mit den 6 Lebens-/Seinsdimensionen des Anthropologischen Würfelmodells IKP nach Maurer die negativen Wirkfaktoren auf die Inkongruenz (s.o.) berücksichtigt und verändert werden.

Inkongruenzniveau bzgl. der Grundbedürfnisse nach - Orientierung & Kontrolle - Bindung - Selbstwerterhöhung & -wertschutz - Lustgewinn & Unlustvermeidung

Ungünstige Lebens-

bedingungen

Fehlende Ressourcen

(Defizite)

Zu schwach entwickelte

Annäherungs- schemata

Fehlendes Be- wusstsein für Deter-minanten eigenen

Verhaltens

Brach- liegende

Ressourcen

Ungünstige zwischen-

menschliche Beziehungen

Ungünstiges Beziehungs

verhalten

Ungünstige Konsistenz- sicherungs-

mechanismen

Problematische Kognitionen &

Überzeugungen

Motivationale

Konflikte

Stark ausgeprägte Vermeidungs- schemata

Psychopatho- logische Symptomatik

Schlechtes Wohlbefinden

Begünstigen Ausbildung & Aufrechterhaltung Trägt/tragen bei zu

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9.4. Ein ganzheitlich-integratives Therapiekonzept IKP für die BPS Vorliegendes Therapiekonzept IKP für die BPS stellt einen Versuch dar, den Ansatz der Körperzentrierten Psychotherapie IKP nach Maurer (1993a, 1998, 1999, 2002), ausgewählte Literatur zur BPS und vor allem eigene Erfahrungen in einem Modell zu integrieren. Die Verfasserinnen stellen keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr soll dieses Therapiekonzept eine Hilfestellung bei der Behandlung der BPS mit der Körperzentrierten Psychotherapie IKP sein und natürlich auch zur Verbesserung und Erweiterung anregen. Dem Konzept liegt eine phänomenologische und störungsspezifische Psychotherapiesicht zu Grunde (s. Kap. 9.4.1). Es folgt damit einer - in der Psychotherapieforschung sich zunehmend abzeichnenden - schulenübergreifenden Therapieperspektive (Zielke & Sturm, 1994; Berger, 1999). Konkret ist damit gemeint, dass selbst innerhalb einer Therapieschule heutzutage eine Psychotherapie bei Ängsten gänzlich anders aussieht als eine Psychotherapie bei Depression. Und die Therapieziele und Vorgehensweisen in der Behandlung von Süchten sind völlig andere als die Ziele in der Behandlung einer BPS. Damit wird das Ziel einer „selektiven und differentiellen Indikation“ (Fiedler, 2000) angestrebt. Das wesentliche Merkmal einer Phänomenorientierung und Störungsspezifität wird damit die ätiologische Begründung eines Störungsbildes. Sie legt die Basis für das konkrete psychotherapeutische Vorgehen. Phänomen und Störung kennzeichnen eine wichtige Balance im vorliegenden Therapiekonzept IKP der BPS, die bei der Diagnose aber auch durch den gesamten Therapieverlauf gesucht und hergestellt werden muss, will man nebst Differentialdiagnose nach ICD-10, auch die Einzigartigkeit, mit der uns Patienten begegnen, achtsam berücksichtigen und würdigen.

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Anamnese/Problemaufnahme

Individuelle Therapieplanung und Festlegen von Therapieschwerpunkten

Vom allgemeinen (aus Theorie und Forschung) zum individuellen Erklärungsmodell BPS

Individuelles ganzheitsorientiertes Therapiemodell IKP für die BPS => aufgrund Kenntnis allgemeiner Behandlungsmodelle anderer Schulen => unter Berücksichtigung der Therapieprinzipien IKP

1. Krisenmanagement : bei Suizidgefahr, Selbstverletzung, Fremdgefährdung

2. Psychoedukation des Patienten

3. Stabilisierung der Emotionsregulierung (Erregungs- und Affektkontrolle, Spannungs- und Stressbewältigung)

4. Identitätsstiftende Veränderung durch Ressourcenaktivierung/ -stärkung (auf allen Lebensdimensionen)

5. Regression : Bewusstmachen und Aufarbeitung unbewusster Problemursachen und deren Integration

6. Transfersicherung , Stabilisierung und Verstärkung der Behandlungserfolge (Hausaufgaben,,Wiederholen von Neugelerntem)

Therapiemodule/ -ziele für die BPS Körperliche Seinsdimension: VAKO, Körperwahrnehmung, Sensory Awareness, Achtsamkeitstraining Psychisch-geistige Seinsdimension : Handlungsorientierte Copingvermittlung für Spannungsabbau, Umgang mit Stress, Entspannungsförderung, Gefühlsdifferenzierung (Beobachten und Erleben von verschiedenen Gefühlen), Ressourcenaktivierung positiver Gefühle, Gestaltarbeit zur Integration von projizierten Aggressions-/Wutanteilen, Urvertrauen

Soziale Seinsdimension : Nähe-Distanz-Arbeit, Kontakt- und Abgrenzungs-Arbeit, Rollenarbeit mit Perspektivenwechsel, Beziehungsgestaltung von Therapeut und Patient und mit der Umwelt

Raum-Dimension : Körper-Raum-Arbeit

Zeit-Dimension : Vergangene Beziehungsmuster in der Familie (systemorient. Arbeit), Zukunftsperspektiven erarbeiten, reale Wahrnehmung im Hier-und-Jetzt fördern

Spirituelle Seinsdimension : Eigene Werte finden, Sinnfindungsprozess, Urvertrauen

• BEZIEHUNGSAUFBAU zwischen Therapeut und Patient

• RESSOURCENORIENTIERUNG • SELBSTWIRKSAMKEITSFÖRDERUNG

Therapie - prinzipien

Therapie - schwer- punkte/ Therapie- phasen

Phänomenologisch orientierte Problemanamnese - anhand Anthropolog. Würfelmodell IKP und - subjektiver Problemsicht des Patienten Ganzheits- Störungsspezifische Differentialdiagnostik Diagnos e nach ICD-10 inkl. Komorbiditäten

Prozesshafte Therapiedurchführung

Abb. 9 . Das Therapiemodell IKP der BPS

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Anamnese/Problemaufnahme Jede Psychotherapie beginnt mit einer zieloffenen Exploration, in welcher der Patient ausreichend Gelegenheit erhält, frei und uneingeschränkt über seine Probleme, Beschwerden und über die von ihm vermuteten Störungsursachen zu berichten. Damit treffen bereits am Anfang der Therapie zwangsläufig theoretische Vorstellungen über Störungsbild (nach ICD-10, DSM-lV) und Behandlungsperspektiven einerseits mit der subjektiven Problemsicht des Patienten und der Individualität des Patientenproblems aufeinander. D.h. es greifen von Therapiebeginn an die phänomenologische (=induktive) und die störungsspezifische (=deduktive) Betrachtung abwechslungsweise ineinander. Dies ist aus unserer Sicht nicht BPS-spezifisch, sondern gilt für alle psychischen Störungen. Nun gibt es Therapierichtungen, die sich vorwiegend an dem traditionell medizinischen und theoriegeleiteten Therapieverständnis anlehnen (Pathologie, Diagnose, Intervention) wie z.B. die klassische Psychoanalyse und dabei die phänomenologische Sicht eher vernachlässigen. Anders bei der Körperzentrierten Psychotherapie IKP. Sie betont den phänomenologischen, explorativen Ansatz, der im Therapieprozess von dem ausgeht, was im Moment gerade aktiviert ist und der unmittelbaren Erfahrung zugänglich ist (s. Maurer, 2002). Ausgehend von diesen Erfahrungen werden bisherige für die Gesundheit hinderliche Strukturen, Muster, Sichtweisen etc. in ihrem Bezug zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bearbeitet. Diese Sichtweise hat auch Auswirkungen auf die Anamnese/Problemaufnahme. Nebst einer Diagnose nach ICD-10 oder DSM-IV interessiert vorwiegend auch die phänomenologisch orientierte Problemaufnahme, in der versucht wird, möglichst alle (nicht nur störungsspezifischen) Einflussfaktoren auf das Krankheitsgeschehen in ihrem Zusammenspiel zu erfassen, damit die Therapie individuell, multimodal und multifaktoriell auf den Patienten ausgerichtet werden kann. Erkenntnisse aus der phänomenologischen Problemaufnahme können wiederum rückkoppelnd die störungsspezifische Diagnose beeinflussen und verändern. Die phänomenologische Ganzheitsdiagnostik nach dem IKP-Ansatz erfolgt mithilfe des Anthropologischen Würfelmodells IKP durch Erstellen von IKP-Saluto- und Pathogrammen auf allen sechs Lebensdime nsionen (Maurer, 1999). Zusammenfassend geht aus obigem Therapiekonzept IKP der BPS also folgendes hervor: Es gibt bei der BPS (und bei allen anderen psychischen Störungen) einen gegenseitigen Rückkoppelungsprozess zwischen phänomenologischer P roblemerfassung und störungsspezifischer Diagnosestellung (nach ICD-10). Ebenso erfolgt aber auch während des gesamten Therapieprozesses ein ständiges Abgleichen zwischen Phänomenologie und Theorie, woraus wiederum Veränderungen in der Diagnosestellung, in Therapiezielen oder sogar ein neuer Therapieauftrag resultieren können. Die Berücksichtigung beider Perspektiven eröffnen Möglichkeiten zu einer ganzheitlichen, integrativen Perspektive weg von einer starren Methodensicht einer Therapieschule. Denn nicht eine bisherige schulenspezifische Therapie-Methodik soll das therapeutische Vorgehen begründen, sondern die Bedingungen, die für die Entstehung und Verlauf einer psychischen oder Persönlichkeits-Störung massgeblich verantwortlich sind. Das Anthropologische Würfelmodell IKP erlaubt genau diese Bedingungen multidimensional in ihrer Komplexität und Vernetztheit abzubilden. Störungsspezifische Differentialdiagnostik Die störungsspezifische Perspektive ist in den vergangenen Jahren durch grosse Verbesserungen im Bereich der psychiatrischen Klassifikation verbessert worden (ICD-10, DSM-lV). Dies erleichtert heute die Konsensfindung in der Störungsbenennung wesentlich.

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Psychiatrische Diagnosen sind zunächst nichts weiter als mehr oder weniger zutreffende klinische Zustandsbeschreibungen. Vorteile zeigen sich v.a. in der „einheitlichen Sprache“ im psychiatrischen und psychotherapeutischen Umfeld. Zudem dient die störungsspezifische Differentialdiagnostik der gegenwärtigen Psychotherapieforschung als grundlegende Orientierung für die Entwicklung und Untersuchung ätiologischer Erklärungsmodelle, woraus therapeutische Strategien abgeleitet werden können (s. Kap. 4). Phänomenologisch-orientierte Problemanamnese Zur Einzigartigkeit und Komplexität jedes einzelnen Patienten gehören immer alle Phänomenbereiche, die auf den sechs Lebensdimensionen des Anthropologischen Würfelmodells IKP in unterschiedlichster Weise ausgestaltet und miteinander von Vergangenheit bis jetzt verschiedentlich verknüpft sind. Diese Phänomene zeigen sich in der Diagnosestellung in Personeneigenarten (persönliche Lebensstile, Art des Sich-Bewegens, Wahrnehmens, Denkens, Fühlens, Handelns), in der Biografie und Problemsicht des Patienten, in seinen Interaktionseigenarten und -auffälligkeiten, seiner sozialen Lebenswelt sowie in seinen Werten, Normen und Überzeugungen u.a. Insbesondere bei Persönlichkeitsstörungen scheint es uns wichtig, eine sorgsame Phänomenanalyse der Biografie des Patienten und seiner sozialen Umwelt zu machen. Denn es ist bei einer Persönlichkeitsstörung zunächst nicht sicher, ob sich, selbst wenn die Kriterien dazu erfüllt sind, die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung überhaupt rechtfertigt. Auffällige Persönlichkeitseigenarten könnten auch ein persönliches Unvermögen wegen existenziellen, länger andauernden Probleme signalisieren. Differentialdiagnostisch sollten daher auch immer Persönlichkeitsakzentuierungen (ICD-10: Z73.1) und andauernde Persönlichkeitsveränderungen (ICD-10: F07, F62) berücksichtigt werden. Dank dem Anthropologischen Würfelmodell IKP kann das erreicht werden, woran zahlreiche Therapierichtungen im Moment noch „kranken“, nämlich eine komplexe phänomenologische Diagnoseschau (s.o.), die der Problemindividualität jedes Patienten Rechnung trägt. Mit dem Anthropologischen Würfelmodell IKP kann die BPS zweigleisig betrachtet werden: • Allgemeine störungsspezifische Sicht: Die BPS-typischen Symptome und Probleme

(unter Berücksichtigung von ICD-10 und DSM-lV) lassen sich auf den Lebensdimensionen abbilden (s. Abb. 10). Daraus zeigt sich, dass bei der BPS alle Dimensionen betroffen sind, mit den meisten Belastungsausprägungen im Psychisch-Geistigen (emotional und kognitiv), im Körperlichen und im Sozialen. Therapieansatzpunkte resp. –themen sind dementsprechend auf allen Dimensionen gegeben. Wieder einmal bestätigt sich das bio-psycho-soziale Modell (s. Kap. 6.4, Engel, 1977, 1980), auf dem der IKP-Ansatz beruht. In dem Sinne hat ein BPS-Patient nicht allein nur „psychische Symptome“, sondern er ist ein „psycho-bio-sozial“-Kranker mit einer „psycho-bio-sozialen Störung“ (vgl Maurer, 1999, S. 12).

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1) Körperliche Lebensdimension Spannungszustände, impulsives Verhalten („Fressanfälle“, Sexualität, Substanzmissbrauch, körperliche Auseinandersetzungen), selbstverletzendes Verhalten, suizidale Handlungen, hochriskante Verhaltensweisen (Balancieren auf Treppengeländern, Sitzen auf Bahnschienen, rücksichtsloses Autofahren), Körperwahrnehmungsstörungen, Analgesie, verzerrtes, unrealistisches Körperbild/schema, Instabilität der Geschlechtsidentität, sexuelle und andere physische Gewalterlebnisse, evtl. Schlafstörungen und Alpträume 2) Beziehungsmässige (soziale) Lebensdimension Instabile und intensive Beziehungen, Beziehungsstörung (Störung der Nähe/Distanz-Regulation, Idealisierung vs. Entwertung), manipulierendes Verhalten (wiederholte Demonstration von Hilflosigkeit und Leiden), Beziehungsabbrüche/Therapieabbrüche/Stellenwechsel, keine sichere Bindung zu Bezugspersonen aufgebaut, Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, Rollenfluktuation 3) Psychisch-geistige Lebensdimension Dissoziative und (pseudo)psychotische Symptome, Suizidgedanken, -impulse, Selbstmordandeutungen, -drohungen, Identitätsstörung: Instabilität des Selbstbildes, der Selbstwahrnehmung, affektive Instabilität und Impulsivität (v.a. unangemessene heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren), ausgeprägte Reaktivität der Stimmung, gestörte Affektregulation, Selbstentwertung, fehlendes Selbstvertrauen, Spaltung im Sinne Dichotomie des Denkens, starre affektiv-kognitive Schemata, Abwehrmassnahmen, Kritik von anderen nicht ertragen können, häufig emotionale Krisen 4) Raum / Ökologie Verzerrtes Raumverhältnis: Grenzen/Abgrenzung, Körperraum, Körperabgrenzung, Verhältnis von Körper und Raum, Platzverhältnisse, Verhältnis innerer und äusserer Raum, Raummasse. 5) Zeit Unfähigkeit, vorauszuplanen (mangelnde Lebensplanung), Fliehen aus dem Jetzt, fehlende Zukunftsorientierung (keine Zukunftsvorstellungen, -perspektiven), instabile Zielorientierung (Unstetigkeit) 6) Spirituell-transzendente Lebensdimension Fehlendes Urvertrauen, Suizidalität, Sinnlosigkeit, innere Leere, fehlende tragfähige Werte und Wertvorstellungen

Abb.10. BPS-typische Symptome/Probleme und deren Zuordnung auf den Dimensionen des „Sechseck-Kreismodells“ nach Maurer (1993, 1998, 1999, 2002)

1)

2)

3)

4)

6)

5)

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• Individuelle Sicht: Innerhalb von BPS-Patientengruppen gibt es grosse Varianzen.

Nicht jeder BPS-Patient ist gleich wie der andere. Jeder bringt aufgrund seiner Biografie und seiner Persönlichkeit ein individuelles Lebensdimensions“muster“ mit ganz spezifischer Dynamik (Wechselwirkung zwischen den Seinsdimensionen) mit. Zudem steht dieses immer in ständiger Veränderung.

9.4.1. Individuelle Therapieplanung und Festlegen v on Therapieschwerpunkten

Die auf dem phänomenorientierten und störungsspezifischen Weg erhaltene ganzheitlich-integrative Problembetrachtung/Diagnose der BPS bietet die Grundlage für die Auswahl eines angemessenen Erklärungsmodells. Wie wir in Kap. 6 bereits gesehen haben, gibt es zahlreiche Erklärungsansätze für die BPS. Die Entscheidung für ein Erklärungsmodell wird sich wesentlich davon leiten lassen, ob und wie sich eine Übereinstimmung mit der ganzheitlich-integrativen Diagnose des Therapeuten herstellen lässt. Ist dieses wissenschaftlich begründbare Ätiologiemodell gefunden, so kann dieses in ein individuelles Erklärungsmodell für den Patienten übersetzt werden, welche die subjektive Störungstheorie des Patienten auch mitberücksichtigt. Folglich können auch im nächsten Schritt das Therapiemodell und die Behandlungs-massnahmen für die BPS stets individuell angepasst werden. Anders als bei der TFP- und der DBT-Therapie befürworten wir keine standardisierten Therapiemanuale, die für jeden BPS-Patienten modular gleich ausgestaltet sind – wir folgen damit dem individuellen, bedürfnisorientierten Anspruch des IKP-Ansatzes. Wohl aber unterstützen wir ein Therapiemodell, dass einerseits in einem strukturierenden Sinne die Therapieschwerpunkte einer BPS aufzeigt, andererseits aber genug Freiraum gibt, um die Interventionen bedürfniszentriert und individuell zu gestalten. Im nachfolgenden individuellen ganzheitlich-integrativen Therapiemodell IKP der BP S haben wir dies zu berücksichtigen versucht.

9.4.2. Individuelles ganzheitlich-integratives Ther apiemodell IKP der BPS Das vorliegende Therapiemodell IKP der BPS unterscheidet zwischen übergeordneten IKP-Therapieprinzipien , die die Grundpfeiler durch den gesamten Therapieprozess sind und den BPS-Therapieschwerpunkten/-phasen . Der modulare Aufbau der zentralen Therapieschwerpunkte geht grundsätzlich von folgenden Therapiephasen aus: 1. Lebenserhaltungsphase : Krisenmanagement 2. Stabilisierungsphase : Emotionsregulierung, Erregungs- und Affektkontrolle,

Spannungs- und Stressbewältigung

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3. Veränderungsphase : Identitätsstiftende Ressourcenaktivierung/-stärkung, Regression: Bewusstmachen und Aufarbeitung unbe- wusster Problemursachen und deren Integration

4. Transfersicherungsphase: Verstärkung von neu Erlerntem und Erfahrenem und Verankerung

Abb. 11. Graphische Darstellung des Therapieprozesses bei der BPS unter gleichzeitiger Verknüpfung mit dem Anthropologischen Würfelmodell IKP (Modell abgeleitet von der graphischen Darstellung des Therapieprozesses bei psychosomatischen Erkrankungen nach Maurer, 1999, S. 133). Wie bereits erwähnt (s. Kap. 4.5) führen die Impulsivität und affektive Instabilität des BPS-Patienten häufig zu selbstschädigendem und -verletzendem Verhalten. Endpunkt bildet die Suizidalität und als ihre Konsequenz der Suizid. Tatsächlich beträgt die Sterberate bei der BPS je nach wissenschaftlicher Studie 5-10% (Niklewski et. al, 2003). Kriseninterventionen, wie z.B. Notfalleinlieferungen in psychiatrische Kliniken oder Spitäler, gehören zum Alltag eines BPS-Therapeuten. Deshalb ist in einer ambulanten Therapie von BPS-Patienten anfangs der Therapie wichtig, das Vorgehen bei Krisenfällen zu besprechen (Ablauf, Rolle des Patienten und Therapeuten, Auswirkungen auf den Therapieverlauf etc.) und, wann immer möglich, Suizidverträge abzuschliessen. Krisen haben vor anderen Therapieinterventionen absoluten Vorrang („Störungen haben Vorrang“, Cohn, 1994) BPS-Betroffene (wie auch die meisten anderen psychisch Erkrankten) befinden sich zu Therapiebeginn in einer Situation, in der sie sich neu bestimmen müssen und damit die bisherigen „Muster“ in Denken, Fühlen und Handeln, aus denen sie bisher persönliche Sicherheit bezogen haben, verlassen müssen. Die Frage ist also: Wie kann man dem BPS-Patienten in seiner brüchigen Ich-Identität und Selbstsicherheit zunächst soweit stabilisieren resp. stärken, dass eine solche Änderung erfolgen kann?

Behandlungsdauer

Alle Dimensionen, v.a Körperliche

und Soziale Dim.

Spirituell-transzendente Dimension (eigene Werte, Urvertrauen)

Besserungsfortschritt

Stabilisierungs- phase

Ressourcen- aktivierung

Shiften auf allen Dimensionen, keine passiven Körper-

übungen für den Erregungsabbau

Aufdecken unbew. Vorgänge

Krisen-management:

Vorgehensklärung, Vereinbarungen und

Vertrauensaufbau

V.a. aktive Körperar-beit

+ zw.menschl. Interak-tion

Aktivierung

auf allen Dimensionen individuell abhängig vom Ress.bild des

Patienten

Innere Prozesse

Bewusst- werden

unbewusster Vorgänge

+ Problem- ursachen

Hausaufgaben Übungen

Verstärkung durch

Wiederholung von Erlerntem

Alle Dimensionen

Körperliche und Soziale

Dimension im Vordergrund

Psychisch- geistige

Dimension

Transfersicherungs-phase

Veränderungsphase Lebenserhaltungs- phase

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Dies gelingt primär über einen individuellen „Notfallkoffer“ (Shiften als die Methode) und über die Aktivierung der Stärken und Fähigkeiten der BPS-Patienten, sprich über Ressourcenaktivierung/-stärkung und Entfixierung von den beklagten Symptomen (Maurer, 1999, s. Kap. 9.2). Umso mehr, wenn multiple Erfahrungen von Traumata vorliegen, ist eine Stabilisierung und Ressourcenaktivierung vorrangig. Auf keinen Fall darf bei traumatisierten Patienten konfrontativ und provokativ gearbeitet werden (Retraumatisierungsgefahr). Auch passive Körperarbeit ist in diesem Stadium kontraindiziert, denn nach sexuellen und physischen Missbrauchserfahrungen des Patienten würde/könnte Berührung durch den Therapeuten zu einer Retraumatisierung führen (s.u.). Ein strukturierendes, stabilisierendes und bezüglich Emotionsregulierung bewältigungsorientiertes Vorgehen bildet aus unserer Sicht die Grundlage für ein weiteres Vordringen in die unbewussten und tieferen Ebenen der Problemursachen, um da verändernd wirken zu können. Da bei der Körperzentrierten Psychotherapie IKP ausgehend vom Hier-und-Jetzt von der Oberfläche in die Tiefe, vom Bewussten zum Unbewussten, gearbeitet wird, erfolgt Regressionsarbeit erst in einem zweiten Schritt. Die Aufarbeitung von vergangenen Problemursachen ist für den Patienten zum einen ein Klärungs- und Erkenntnisprozess, zum anderen werden durch das Erfahrbarmachen von jüngeren Ich-Anteilen und deren Bedürfnisse diese mit dem Jetzt-Ich verbunden, damit der Patient sich mehr und mehr im zeitlichen Kontinuum von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erfassen lernt. Übungen und Hausaufgaben für die Zeit zwischen den Therapiesitzungen dienen der Stabilisierung und Verstärkung von neu Erlerntem und Erfahrenem.

9.4.2.1. Therapieprinzipien Beziehungsaufbau zwischen Therapeut und Patient Unsere Persönlichkeit entwickelt sich in Kontakt und Begegnung, in Beziehung und Bindung zu Anderen (s. auch Kap 6.3 und Kap. 7.4 “Korrespondenzmodell der Integrativen Therapie“). Menschen brauchen für eine positive Beziehungsqualität den spürbaren Kontakt zum Gegenüber. Sie benötigen zum Lernen den sozialen Austausch und internalisierbare positive Bezugspersonen. In der Körperzentrierten Psychotherapie IKP wird diesem Tatbestand grosse Rechnung getragen, indem der Therapeut sich mit seinem ganzen Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Handeln ins therapeutische Geschehen einbringt und aktiv daran beteiligt ist (Maurer, 2002). Damit wird er vom Patienten als ein „echter“ Begleiter mit Präsenz im Hier-und-Jetzt empfunden. „Ohne echtes therapeutisches Gefühlsangebot und ohne Intersubjektivität ist die Motivation zur Veränderung meist brüchig und kurzlebig“ (Maurer, 1999, S. 79). Die intersubjektive Therapeuten-Patienten-Beziehung ist bei BPS-Patienten häufig harten Belastungsproben ausgesetzt. Wegen langjährigen belastenden zwischenmenschlichen Beziehungen, zahlreichen Interaktionproblemen, Traumaschädigungen sowie häufig fehlender positiver Internalisierungen von Bezugspersonen begegnen die BPS-Patienten dem Therapeuten anfangs meist mit höchstem Misstrauen, Kritik und Zurückhaltung.

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Viele „testen“ auch mit ihrem Verhalten die Tragfähigkeit der therapeutischen Beziehung (eigene Erfahrungen und Aussagen des Pflegepersonals in der Psych. Klinik Kilchberg). Es geht aus der Sicht des Therapeuten also primär darum, dem BPS-Patienten ein grundlegendes Gefühl von zwischenmenschlicher Sicherheit zu vermitteln, d.h. für den Patienten da zu sein, wenn er den Therapeuten braucht, ohne aber irgendwelchen Manipulationsversuchen durch den BPS-Patienten zu erliegen. Dies ist manchmal ein schwieriges Unterfangen und bedarf einer hohen Achtsamkeit des Therapeuten (Achtsamkeitsschlaufe: geteilte Aufmerksamkeit) gegenüber dem Beziehungsgeschehen. Generell verlangt die Arbeit mit BPS-Patienten vom Therapeuten einiges an geduldiger Haltung und positiver Grundhaltung gegenüber der Behandlung und dem Klienten selbst. Der BPS-Patient orientiert sich stark an den Einstellungen, Bewertungen, Äusserungen und dem Verhalten des Therapeuten. Durch seine emotionale Konstanz und Stabilität v.a. bei Krisen, durch seine Durchhaltekraft und seine Suche nach positiven Lernerfahrungen aus Rückschlägen des BPS-Patienten, hat der Therapeut hier eine wesentliche Vorbildfunktion („Lernen am Modell“, Bandura, 1976). Bei dieser hohen Anforderung ist es günstig, wenn der Therapeut seinerseits über gute Quellen der Unterstützung verfügt. Supervision (und Intervision) des Therapeuten erachten wir als ein absolutes Muss in der Behandlung von BPS-Patienten. Zusammenfassend kann also festgehalten werden: Vertrauensbildung ist die entscheidende Grundlage für den Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung mit BPS-Patienten. Ressourcenorientierung Gemäss der Krankheitstheorie der Körperzentrierten Psychotherapie IKP (s. Kap. 9.2) führen krankhafte Störungen sehr oft zu einer einseitigen Fokussierung und damit zur Einschränkung bestimmter Lebensbereiche. „Dadurch entsteht … ein Ressourcenverlust gerade dann, wenn Ressourcen am dringendsten benötigt werden (Maurer, 1999, S. 167). Durch die Problemfixierung kommt es zu einer verzerrten Wahrnehmung, zu einer immer grösseren Einseitigkeit und einem Zuschlagen der „Ressourcen-Türen“ (s. Kap. 9.2). Durch die Ressourcenorientierung in der Körperzentrierten Psychotherapie IKP lernt der psychisch Kranke auf seine gesunden Aspekte zu achten und lernt, aus anderen weniger betroffenen Lebensdimensionen „Überbrückungshilfen“, Kraft und neue Energie zu erhalten, um Veränderungen und Lösungsversuche konstruktiv in Angriff nehmen zu können (vgl. Maurer, 1993, s. Kap. 9.2). Ziele dieser Arbeit sind Selbstwertschätzung und Selbstkompetenz, die Förderung persönlicher Souveränität, ein guter Kontakt zum Körper, Konfliktfähigkeit, Kommunikationsförderung, Aufbau eines guten sozialen Netzes, berufliche Befriedigung und sinnstiftende Freizeitaktivitäten (Petzold, 1997a). Dass insbesondere das ressourcenorientierte Vorgehen (s. Kap. 9.2) bei einer BPS-Symptomatik von grosser Bedeutung ist, liegt auf der Hand. Wenn ein emotional höchst instabiler, im Selbstvertrauen angeschlagener BPS-Patient mit mangelnder Selbstkontrolle nicht auf seine Vielzahl von Ich-erschütternden Problematiken reduziert wird, sondern in seinen Zielen und Fähigkeiten erkannt, bestätigt und unterstützt wird, dann erlebt er sich allein dadurch gestärkt und hoffnungsvoller, aber auch mit einer erhöhten Offenheit gegenüber veränderungsorientierten Interventionen (s. auch Kap. 9.1, „Annäherungsschema“ von Grawe, 1995). Ressourcenorientierung ist somit ein wichtiger Motor für Veränderungsprozesse. Manchmal reicht dafür eine ambulante Therapie allein nicht aus. Eine Reihe von psychosozialen Problemen bei der BPS (wie Arbeitslosigkeit, Kontakt zur Drogenszene, schwieriges Beziehungsumfeld, misshandelnde Partner) erfordern zwingend die

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Hinzuziehung weiterer Fachberater. Dies betrifft insbesondere die Beratung in Fragen der Erziehung, der Sozialhilfe und Vormundschaft, bei Krisen in der Ehe (Trennung, Scheidung), bei schulischer und beruflicher Laufbahnplanung, bei ungewollter Schwangerschaft usw.. Der Therapeut steht bei BPS-Patienten mehr als bei anderen psychisch Erkrankten in einer Drehscheibenfunktion zu anderen Spezialisten und Institutionen. Wohl kann der Therapeut selbst Aufgaben übernehmen wie der Einbezug von Eltern bei Jugendlichen mit BPS (s. Fallbeispiel 1) oder die Kontaktpflege zu Schulen oder Arbeitgebern (sofern durch Patient bewilligt). Er muss aber auch rechtzeitig entscheiden können, wann und wo zum Wohl des Patienten Unterstützung von aussen indiziert ist. Eine Vernetzung des „Helfer-Systems“ ist bei der ambulanten Psychotherapie von BPS-Patienten sehr wichtig und hilfreich. Selbstwirksamkeitsförderung Letztendlich ist es der Patient selbst, der sich ändert, und nicht der Therapeut, der den Patienten ändert. Dies verlangt, dass der Therapeut durch seine Interventionen ein unterstützendes Feld in einem geschützten Rahmen zur Verfügung stellen kann, damit der Patient Erlebnisse und Erfahrungen machen kann, die ihn in seiner Selbstkontrolle, seinem Selbstvertrauen und letztendlich seiner Selbstbestimmung stärken. Sich als selbstwirksam zu erleben, setzt voraus, dass man sich selbst in seinem Körper als präsent und stabil erleben kann (Selbsterfahrung, s. Kap. Interventionen), was bei BPS-Patienten meist nicht der Fall ist. Da obliegt es dem Therapeuten, den BPS-Patienten in erster Linie in die Körperbeobachtung, -wahrnehmung und das Körpererleben zu bringen (Sensory Awareness, s. Kap. 9.4.3.3) sowie dessen Sinneserleben ausdehnen und qualitativ vertiefen zu helfen (VAKO-Arbeit, s. Kap. 9.4.3.3). Vorsicht ist hier hingegen bei BPS-Patienten mit Traumagenese (Übergriffe, Misshandlungen) geboten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass traumatisierte BPS-Patienten ihren Körper als Ursache von Scham an sich selbst erleben und deshalb aus Schutz ihr Selbst vom körperlichen Erleben strikt ablehnen und ihr Selbst vom körperlichen Erleben trennen (Fiedler, 1999a). Passive Körperinterventionen oder Körperarbeit mit Berührungen sind dann aus Gefahr der Retraumatisierung (Triggering) kontraindiziert, solange therapeutisch keine ausreichende Stabilisierung des Patienten erfolgt ist. Dies kann längere Zeit in Anspruch nehmen. Für den Aufbau des Selbstwirksamkeitsgefühls in Form von „Ich kann das“ oder „Das traue ich mir zu“, braucht es den Glauben und den Mut, den Weg in die Veränderung und in die Unsicherheit zu gehen. BPS-Patienten haben es da besonders schwer, da ihre eigentümlichen Persönlichkeitseigenschaften und ihr Verhalten (wie wir in Kap. 4.5, Kap. 7.4 gesehen haben) als Bewältigungsmechanismen früherer Erfahrungen in ihrem Gehirn tief verankert sind. Ohne intensive Unterstützung sowie Bestärkung durch den Therapeuten einerseits und wiederholtes Üben/Festigen von veränderten Denk- und Verhaltensmustern andererseits schafft der BPS-Patient kaum den „Sprung in das Neue“. Was das Üben zur Veränderung von „alten Mustern“ in Richtung Selbstwirksamkeitserhöhung betrifft, so hat dies in und vorwiegend ausserhalb der therapeutischen Sitzung – im realen Umfeld – zu erfolgen. Damit erlebt der Patient, dass er selbst kompetent Einfluss auf sein Wohlbefinden nehmen kann. Bewältigungsorientiertes Üben z.B. zur Affektregulierung, Spannungsreduktion oder ein Training neuer konstruktiver sozialer Interaktionsmöglichkeiten usw. bieten sich als mittel- bis langfristige Hausaufgaben an, deren Erfolge/Misserfolge in der Therapie regelmässig überprüft werden müssen (s. „Transfer, Stabilisierung und Verstärkung der Behandlungserfolge“, Kap. 9.3.3.2). Indem der Patient über das Wissen (als Folge von Psychoedukation, s.u.) und die Erfahrung (als Folge von erfahrungszentrierten Übungen des IKP-Ansatzes) verfügt, dass er auf seine Symptome Einfluss nehmen kann, wird der Patient aus seiner Opferhaltung herausgehoben. Dies führt zu einem Empowerment , d.h. zu einer Selbstbefähigung, Selbstbemächtigung,

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Stärkung der Eigenkräfte und der Autonomie. Es geht um die „Hilfe zur Selbsthilfe “, um das Anstiften zur (Wieder-)Aneignung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Lebens.

9.4.2.2. Therapieschwerpunkte /Therapiephasen Die Hauptziele des Therapieangebotes für die BPS sind aus unserer Erfahrung die Unterbindung selbst- und fremddestruktiver Handlungen, der Aufbau von Selbstkontrolle, Selbstvertrauen und Selbstwert, eine realitätsorientierte Identitätsförderung, die Bearbeitung der auf tieferen Ebenen liegenden Problemursachen, die Entwicklung von Urvertrauen, tragfähigen Sinnperspektiven und Werthaltungen. Die Körperzentrierte Psychotherapie IKP berücksichtigt in ihrem Vorgehen die Möglichkeiten humanistischer, systemischer, psychodynamischer und kognitiv-verhaltenstherapeutischer Methodenansätze. Bewältigungsorientierte Strategien, die schnell die Eigendynamik von Symptomen (wie z.B. hohe Affektivität und Impulsivität) beenden können, stehen anfangs der Therapie zwar im Vordergrund, werden aber vernetzt mit klärungsorientiertem Vorgehen und mit der Bearbeitung ungelöster Erfahrungen aus der Lebensgeschichte und individueller Schemata. Einbezogen werden immer auch Psychoedukation, Motivierungsarbeit und systemische Arbeit im Umfeld (Familie, Arbeitgeber, andere Institutionen), wie auch Strategien der Ermutigung und Unterstützung zur Erhaltung und Festigung aktivierter Ressourcen. Wann, welche Ziele mit welchen Strategien realisiert werden, wird individuell festgelegt und immer wieder von Neuem prozesshaft angepasst. Die nachfolgenden Therapieschwerpunkte für die BPS folgen in diesem Sinne deshalb nicht einer fixierten Vorgehensreihenfolge. Dasselbe gilt bei den Interventionen, die ausgehend von dem, was der BPS-Patient erzählt, so ausgewählt werden (Gegenwartsorientierung), dass sie auf die individuelle Problematik passen. Durchaus können diese aber – wenn indiziert - regressiv in eine frühere Lebensphase führen, damit wichtig prägende Situationen der Vergangenheit verarbeitet, verstanden und integriert werden können (Recall-Change-Methode, Arbeit mit dem inneren Kind, s Kap. 9.4.3.3). So wächst das Therapiegeschehen nicht manualartig, sondern organisch, immer im Blick auf Therapieplan und –ziele und ausgerichtet auf den inneren Prozess des BPS-Patienten. Bezüglich der Persönlichkeitsstörungen hat sich im klinischen Bereich die Regel bewährt: „state vor trait“. Akute Symptome wie Suizidalität, Depression oder Suchtprobleme (Petzold, Schay, Ebert, 2004) und aktuelle Umfeldkonflikte haben Behandlungsvorrang. 1. Krisenmanagement Wie die Symptomatik zeigt, kommen BPS-Patienten häufig „krisengeschüttelt“ in die Therapie, mit vielfältigen selbstschädigenden oder -verletzenden Auffälligkeiten, die zumeist für den Verlust der Impulskontrolle von inneren Spannungen (s. Kap. 4.5 und Herpertz, 1999) stehen. Suiziddrohungen, Äusserungen zu Suizidgedanken oder suizidbezogenen Vorstellungen oder Emotionen müssen v.a. bei BPS-Patienten immer ernst genommen werden. Das im Krisenmanagement zu verfolgende Hauptziel ist die unmittelbare Bewältigung einer akuten Krise, denn, wie Mintz (1968) schon äusserte: mit einem toten Patienten kann man keine effektive Psychotherapie durchführen.

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Wie wir aus unseren Praxiserfahrungen festgestellt haben, sind konkrete schriftlich festgehaltene Vereinbarungen und Verträge über das Vorgehen bei Krisen (Suizidhandlungen, lebensgefährliche Selbstverletzungen oder Fremdgefährdungen) eine für Borderline-Patienten strukturgebende und hilfreiche Unterstützung. Diese werden gemeinsam erarbeitet. Verträge sind mehr als „Krücken“ im Prozess der Selbststeuerung. Bei unseren BPS-Patienten aus den Fallbeispielen wurden die schriftlichen Absprachen eher als Ermutigung betrachtet, dass wir Therapeutinnen ihnen zutrauten, ihre Probleme weitgehend selbstständig kontrollieren zu können. Aus eigenen Erfahrungen zeigt sich, dass der Therapeut nicht erwarten darf, dass die Patienten bei einer Krise die Vereinbarungen (durchwegs) einhalten können, auch wenn ein gutes Beziehungsverhältnis vorhanden ist. Schon Teilerfolge wie z.B. eine SMS-Mitteilung nach zwei Tagen über eine Selbsteinlieferung im KIZ kann ein beträchtlicher Fortschritt für den Patienten sein. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, mit dem Patienten bereits im Vorfeld die Konsequenzen einer Krise für den weiteren therapeutischen Verlauf vorzubesprechen. So kann der Therapeut bereits im Vorfeld die Grenzen seiner therapeutischen Hilfe offen äussern. Insbesondere nach parasuizidalen Krisen verhält sich der Therapeut sinnvollerweise sachlich teilnehmend. Zu starke emotionale Betroffenheit könnte vom Patienten als reizvoller Anlass zur „Krisenwiederholung“ verstanden werden, um die ersehnte Zuwendung und Umsorgung zu erhalten. Entscheidend ist zudem, die Zeit nach der Krise sehr gut aufzuarbeiten („Wann und wodurch ist die Krise ausgelöst worden?“). Gerade die unmittelbar vor der Krise liegende Situation bietet Verknüpfungsmöglichkeiten zum Erkennen von automatisch ablaufenden Verhaltensmustern und zu den kognitiv-affektiven Schemata, die regelmässig zum „Selbstläufer“ werden. Dabei ist es aus unserer Sicht wichtig, dass der Therapeut für die Realitätsprüfung sorgt und diese unterstützt. Der Patient soll durch das Aufarbeiten nicht das Trauma „reinszenieren“, sondern mit Hilfe des Therapeuten die ursprüngliche Funktion dieses Bewältigungsmechanismus erkennen und sie von der heutigen Situation unterscheiden lernen. 2. Psychoedukation Ein Psychotherapiekonzept, das „Heilung in jedem Fall“ zu garantieren vermag, gibt es nicht. Vor allem dann, wenn beim Klienten eine starke Ich-Fragmentierung vorliegt und quälende Fragen und Leidensdruck hinsichtlich der Einordnung seiner Befindlichkeit/Erkrankung bestehen, sollten die BPS-Patienten und die Angehörigen in der Regel sachlich und fundiert über Symptomatik, Therapiemöglichkeiten, -dauer und Belastungen für die Angehörigen aufgeklärt werden (s. Kap. 3, Kap. 8.3). Bei Jugendlichen sind Eltern sinnvollerweise miteinzubeziehen. Ausnahmen bilden Eltern, durch die der Borderline-Patient schwere Traumatisierungen (Übergriffe, sexuelle Misshandlungen) erlebt hat. In einem solchen Fall ist in erster Linie eine räumliche Trennung vom Täterumfeld zu prüfen und in Betracht zu ziehen. Aus eigener Erfahrung empfiehlt es sich bei Jugendlichen (15-18 Jährige) die entwicklungspsychologischen Besonderheiten der Adoleszenzkrise zu berücksichtigen. Da der Borderline-Betroffene stark zu unklaren, ambivalenten, abrupt wechselnden z.T. auch chaotischen Gefühlen und Verhaltensweisen neigt, sind klar formulierte und strukturgebende Informationen und Aufklärungen (Information über Definition/Verständnis von Psychotherapie, Körperzentrierte Psychotherapie IKP, Therapieplanung/-strategien, durchgeführte Techniken, Persönlichkeitsstruktur und Modelle, Veränderung von „alten Mustern“, Verhaltensmuster, Schemata und Prägungen) von besonderer Bedeutung.

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Patienten haben nicht nur ein Informationsbedürfnis. Der Therapeut hat auch eine Aufklärungspflicht über die erwartbaren Erfolge und Risiken einer Psychotherapie. Deshalb ist es ratsam, mit dem BPS-Patienten und gegebenenfalls mit den Angehörigen (s. Fallbeispiel 1, Kap. 8.1) zusätzlich Strategien zu erarbeiten, wie erwartbare Rückfälle kompetent vermieden werden können (s. „Krisenmanagement“). Er bewegt sich hier vorwiegend in der Rolle als Coach. Er spricht die Patienten als kompetente Erwachsene an und versucht die Entwicklungsmöglichkeiten realistisch zu vermitteln. Psychoedukation verhilft dem Patienten zur Problemeinsicht, zu einem achtsameren Verhalten in Bezug auf seine Symptome und deren Dynamik und schlussendlich zur Veränderungsmotivation. Der Patient bleibt so gegenüber den Krankheitstheorien handelndes Subjekt und wird nicht zu ihrem Objekt. In einer wertschätzenden Atmosphäre sind Patienten oft motiviert, zu Experten ihrer eigenen Störung zu werden. Eine positive und konstruktive Erklärung von extremen Persönlichkeitsmerkmalen könnte sein: „Es gab in Ihrer Geschichte Gründe dafür, diese Eigenschaften und Muster zu entwickeln und beizubehalten. Früher waren diese zu Ihrem Selbstschutz und als Überlebensstrategie notwendig und passend, und diese blieben in ihrem Gedächtnis als ein Programm gespeichert. Später bringen uns die extremen Persönlichkeitsmerkmale in Schwierigkeiten und machen uns das Leben schwer, weil wir sie gar nicht mehr benötigen, sie aber immer noch da sind.“ Psychoedukation sollte immer individuell und gezielt eingesetzt werden und eine positive Wirkung auf den Patienten haben. Daher ist bei Patienten mit stigmatisierenden Erfahrungen in der Vorgeschichte und/oder einer starken Selbstwertproblematik eine Aufklärung bezüglich der Diagnose und des Krankheitsbildes vorsichtig und behutsam zu formulieren (s. Fallbeispiel 2, Kap. 8.2), da es sonst sehr schnell zu einer erneuten Abwertung und Selbstzweifel kommen könnte. Aus dem IKP-Ansatz heraus steht Psychoedukation in der Therapie nie für sich alleine da, sondern immer in der Kombination mit Selbsterfahrung. Im Laufe der Therapie nimmt der Anteil der Selbsterfahrung immer mehr zu. Der Therapeut hat die Aufgabe, die Reflektion von Erfahrenem immer wieder mit Psychoedukation zu ergänzen. Diese darf den Patienten aber nicht zuschütten und überfordern, sondern muss ihm auf seinem Weg der Selbstregulation dienen. 3. Stabilisierung der Emotionsregulierung durch Res sourcenaktivierung/-stärkung Hier steht ein bewältigungsorientiertes und strukturierendes Vorgehen im Vordergrund. Es geht dabei darum, dem BPS-Patienten die Unkontrollierbarkeit destruktiver Handlungen zu unterbrechen, schnell Erleichterung bei stark emotionalen Spannungszuständen zu verschaffen und ihm Erfahrungen der Selbstkontrolle und der Selbstkompetenz zu vermitteln. Der Patient braucht hier ein für ihn individuell angepasstes „Notfallprogramm“, das ihm rasch verhilft, die extremen emotionalen Spannungszustände vorerst in einer ersten Phase um- und/oder abzuleiten (Shiften, „Notfallkoffer“, s. Kap. 9.4.3.3), was ihm den Weg aus der „Spannungsfixierung“ heraus ermöglicht. Dies ist keineswegs ein Vorgang des Verdrängens oder Wegschiebens, sondern ermöglicht eine Spannungsreduktion durch bewusstes Umlenken der Kräfte, um schlussendlich selbstschädigende oder –verletzende Aktivitäten zu verhindern und andere Problemlösestrategien zu vermitteln. In einem zweiten Schritt kann mit Atem- und langsamen Entspannungsübungen in den Therapiesitzungen und entsprechenden Hausaufgaben Kompetenzen zur Selbstberuhigung aufgebaut werden. Dies ist aber ein langsamerer und zeitintensiverer Lernprozess, mit dem der BPS-Patient – wenn diese unkontrollierbaren, unberechenbaren Spannungszustände

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ihn in Angst, Panik, und Ohnmacht versetzen - anfangs bei der Selbstanwendung überfordert ist. Wie es die eine BPS-Patientin aus unserem Praxisbeispiel am Anfang ihrer Therapie treffend ausgedrückt hat: „Sie müssen sich vorstellen, wenn diese unerträgliche Anspannung und Nervosität kommt, dann ist das so, als würden Sie in einem Urwald unerwartet vor einem Tiger stehen, der Sie angreift. Sie müssen in Todesangst so reflexartig reagieren können, obwohl Ihr Denken völlig blockiert ist. Da haben Sie keine Zeit mehr, um Hilfe zu holen oder sich vorzubereiten. Da brauchen Sie ein Gewehr und müssen schiessen“. Zur Ent-Fixierung und zur Umlenkung bieten sich auf allen Lebensdimensionen des Anthropologischen Würfelmodells IKP Interventionen und Hilfsmittel an, aus denen der Patient seine Favoriten aussuchen und mit diesen täglich Üben kann (s. Kap. 9.4.3.3, z.B. „Notfallkoffer“). 4. Veränderung durch Ressourcenaktivierung/-stärkun g aller Lebensdimensionen Persönliche Integration und Identitätsstiftung sind die Hauptziele der Psychotherapie von BPS. Der Identitätsbegriff ist wissenschaftlich je nach Gebiet unterschiedlich definiert und es existieren auch zahlreiche synonyme Begriffe wie Selbstbild und Selbstheit. Wir halten uns eng an die Selbstbilddefinition als Gesamtheit eigener Qualitäten, denen sich ein Mensch bewusst ist (Whitbourne und Weinstock, 1982). Qualitäten, die unsere Identität ausmachen, sind körperliche Erscheinungen, kognitive und emotionale Fähigkeiten, Wünsche, Ziele, soziale Überzeugungen, Einstellungen und Werthaltungen und das System von Rollenerwartungen, die auf uns in der Gesellschaft als Ganzes gerichtet werden. Identitätsüberprüfungen finden bei uns laufend statt, indem wir unser Selbstbild mit Rollenerwartungen und Fremdbildern von aussen vergleichen. Unsere früheren Identitäten geben uns dafür ausreichende Sicherheit und Stabilität. Die Identität ist daher nichts Starres, sondern ist in steter Erneuerung und Änderung. Sie befindet sich dabei einerseits in enger Verbindung mit unseren früheren Erfahrungen und Identitäten, auf die wir zurückgreifen und andererseits steht sie in ständiger Interaktion mit den Erwartungen der sozialen Umwelt (vgl, Erikson, 1973). Bei BPS-Patienten klafft da ein grosses Spannungsfeld auf, weil der Rückgriff auf ein defizitäres, instabiles Identitätserleben einen sehr unsicheren Boden darstellt. Anforderungen und Erwartungen von aussen verursachen deshalb Identitätsdiffusion, Rollenunsicherheiten in zwischenmenschlichen Beziehungen oder Schwanken zwischen Rollen. Die Identitätsinstabilität zeigt auch auf anderen Lebensdimensionen des Anthropologischen Würfelmodells IKP ihre Spuren: Nahziele und kurzfristige Bedürfnisbefriedigung können nicht zu Gunsten längerfristiger Zielvorstellungen aufgegeben oder zurückgestellt werden; dauerhafte Beziehungen fehlen wegen spontaner Gefühlsorientierung; tragfähige Werte sind nicht existent. Schlussendlich bleibt das Gefühl des Sich-selbst-Verlierens (des Verlierens des eigenen Raums). Veränderungen zur Identitätsförderung und –stiftung mittels Ressourcenaktivierung/-stärkung sind (wie oben zeigt) somit auf allen Lebensdimensionen indiziert. Der Therapeut ermöglicht über eine aktive Hilfestellung mittels Ressourcenförderung eine Reaktivierung von nicht mehr genutzten Ressourcen und Aufbau neuer Ressourcen. Damit lernt der Patient Folgendes:

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• Zeitdimension und psychisch-geistige Dimension: Die Qualitäten seiner Identität (von Vergangenheit bis Jetzt) aus einer anderen Perspektive betrachten und erleben (über Konfrontation mit verleugneten Inhalten und Abwehrmassnahmen)

• Körperliche Dimension: Seine körperliche Identität erhält Substanz (Körpersensibilität, -wahrnehmung, Körperbild) und er kann mit ihr Kontakt schliessen und darauf vertrauen Bestehende affektiv-emotionale, kognitive und Handlungs-Muster werden umstrukturiert

• Psychisch-geistige Dimension: Seine Gefühle kann er beobachten, benennen, unterscheiden, akzeptieren und im Körper integrieren (insbesondere Aggression)

• Soziale Dimension: Im sozialen Austausch baut er eine adäquate Grenzsetzung und ein flexibles Nähe-Distanz-Verhältnis auf

• Spirituelle Dimension: Eigene tragfähige und stabile Werte werden entwickelt • Spirituelle Dimension: Wieder an sich und andere glauben und vertrauen Der Therapeut übernimmt hier auch die Rolle des Spiegels, an dem der BPS-Patient die Realitätsüberprüfung vornehmen kann. Es empfiehlt sich, bei BPS-Patienten nicht bei kognitiven Umstrukturierungen anzusetzen, da, wie Forschungen zeigen (s. Kap. 7), die Reflexionsfähigkeit bei diesen aus verschiedenen Gründen beeinträchtigt ist. Aktive Körperinterventionen hingegen eignen sich sehr zum Therapieeinstieg bei BPS-Betroffenen, um körperliche Identität neu erfahrbar zu machen und über das Körpererleben zu den psychischen Problemen vorzudringen. Seinen Körper annehmen und sich darin wohlfühlen zu lernen, heisst letztendlich, „ein Zuhause“ zu finden. Je mehr der BPS-Patient seinen Körper derart wertschätzen lernt, umso mehr gewinnt er an Identität. 5. Regression: Bewusstmachen und Aufarbeitung unbew usster Problemursachen und deren Integration Das Aufarbeiten der lebensgeschichtlichen Problemursachen durch regressionsorientierte Arbeit erfolgt in der Körperzentrierten Psychotherapie IKP in der Regel bedürfnisorientiert, flexibel, punktuell und gezielt, wird vorwiegend aber dann angestrebt, wenn der Patient durch Ressourcenaktivierung schon genügend Stabilität erreicht hat (s. Maurer, 2002). Eine Vertiefung in einem bestimmten Verhaltens- oder Beziehungspunkt mit zunehmender Regression und verstärkten Übertragungsmustern des Patienten erfolgt gemäss IKP-Ansatz in einer Tiefung, wenn der Patient zunehmend in Gefühle involviert ist (Maurer, 2002, S. 105). Dabei wird versucht, in Entspannung über das Körpergedächtnis zu früherem Erleben zu gelangen (s. Kap. 7.4, Maurer, 1999, S. 163). Bei Regressionsarbeit muss in der gleichen Sitzung das alte Erleben bedürfnisorientiert zu einer korrigierenden Erlebensweise führen, damit der Patient die Neuorientierung verankern kann (Maurer, 2002, S. 104). Regressionsarbeit ist aus dieser Sicht nie Selbstzweck, nie nur einsichtsorientiert, sondern dient der Progression. Und ein Stück Progression muss dem Patienten, wenn er aus der Sitzung geht, erfahrbar sein. Im Gegensatz zur Bewusstmachung von allen möglichen unbewussten Inhalten in der Psychoanalyse findet die Regressionsarbeit in der Körperzentrierten Psychotherapie IKP punktuell und über das Körpergedächtnis statt (s. Maurer, 1998, 1999). Das Verständnis über den „Entwicklungsprozess des Menschen in 8 Entwicklungsphasen“ (Maurer, 1999, Abb. 3, S. 57) hilft dem Therapeuten, den Patienten in seinem bedürfniszentrierten Restrukturierungsprozess der Gedächtnisinhalte zu unterstützen. Bei BPS-Patienten zeigen sich in Regressionen die Ursprünge der Entstehungsgeschichte extremer Persönlichkeitsmerkmale im Kern als fehlendes Grundvertrauen (bedingt durch unsichere Bindungsstrukturen zu früheren Bindungspersonen) und verletzte Liebe.

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Ohne lebensgeschichtliche Bewusstseinsarbeit und Integration früherer Erfahrungen bleibt der „gestörte“ Teil in der Psyche des BPS-Patienten vom reaktivierten und neu entwickelten „gesunden“ Teil (z.B. von Ressourcen, Skills) scharf getrennt. Das ist die entscheidende Kritik, die gegen die DBT-Therapie angeführt werden kann. Das verletzte Kind von früher mit seinen Schutzmechanismen erlebt die Welt noch immer auf seine Weise und ist unberührt von den Skills des Erwachsenen. Die Tendenz zu blitzschnellem Wechsel vom Modus kompetenten Erlebens und Verhaltens in jenen des „Gestörten“ bleibt und die Patienten können von einem Modus keinen Zugang zum anderen finden (Young, Klosko & Weishaar, 2003). Erst die Bewusstheit über früher störungsproduzierende Erfahrungen befähigt den BPS-Patienten, neue aktuelle Situationen und Menschen von den früheren zu unterscheiden und daraus persönliche Veränderungsziele abzuleiten. Dazu braucht aber das verletzte Kind von früher Verständnis und Liebe, was nicht allein vom Therapeuten als nachnährender Teil kommen kann. Der BPS-Patient braucht die Rückverbindung zum „inneren Kind“, zu dem, was es früher gebraucht hätte. Dem verletzten Kind können auch bei schlechten Elternerfahrungen u.a. durch die Recall-Change-Methode (s. Kap. 9.4.3.3) innere Repräsentanten einer liebevollen Mutter oder eines einfühlsamen Vaters als „Secure Base“ (Bowlby, 1988) zur Hand gegeben werden, bis dies der „erwachsene“ Persönlichkeitsanteil des Patienten übernehmen kann. Eigene Erfahrungen zeigen, dass auch der Therapeut bis dahin häufig die Qualitäten guter Elternfiguren oder guter Partnerschaftlichkeit übernimmt: Einfühlsamkeit, emotionales Mitschwingen bei gleichzeitiger Abgrenzung gegenüber Konfluenz und Eigenübertragung. Gute Elternqualitäten resp. das Angebot von korrektiven und alternativen Beziehungserfahrungen durch den Therapeuten werden v.a. im Übertragungsgeschehen eingesetzt (vgl. Grawe, 1992). Übertragungen können in jeder Therapiestunde vorkommen, mehr aber, wenn an früheren schmerzlichen Erfahrungen gearbeitet wird. Negative Übertragungen lösen wir nach dem IKP-Ansatz, indem möglichst die Verwechslung erahnt oder identifiziert werden soll und bei Wiedererscheinen in späteren Sitzungen schneller erkannt werden kann. Dazu ein Beispiel aus eigener Erfahrung, wie mit Übertragungsgeschehen umgegangen werden kann: Die BPS-Patientin äussert beim Fragen nach ihrer Befindlichkeit gegenüber der Therapeutin schnippisch: „Wen interessiert das schon, immer das grosse Bla-Bla. Wenn ich in der stationären Behandlung bin, fragen mich alle nach meinem Wohlergehen, danach bin ich wieder allein.“ Die Therapeutin stellt einen leeren Stuhl neben sich: „Schau mal, wem möchtest du das eigentlich sagen?“ Patientin: „Weiss nicht. Vielleicht meiner Mutter.“…Therapeutin: „Stell dir mal deine Mutter auf dem Stuhl sitzend vor, wie sie aussieht und dich anschaut. Was möchtest du ihr schon lange sagen…“ usw. Um das häufig stark gestörte Grundvertrauen in sich selbst von BPS-Patienten zu vertiefen, reichen häufig rein verbale regressive Interventionen bei BPS-Patienten alleine nicht aus. Berührungen als leibliche Zuwendung „mütterlicher Zärtlichkeit“ (z.B. Atemmassage, Selbstberührungen des Körpers als Interventionen) oder gute, identiätsstiftende Blicke vermögen die Defizite des leiblichen Carings (s. Petzold, 1996, S. 240) sukzessive aufzufüllen und die Zentrierung und das eigene Zugehörigkeitsgefühl aufzubauen. 6. Transfer, Stabilisierung und Verstärkung der Beh andlungserfolge Beim Transfer von integrativen Erkenntnissen und neuen Erfahrungen auf allen Seinsdimensionen des Anthropologischen Würfelmodells IKP ist bei BPS-Patienten eines generell festzuhalten: Patienten mit einer BPS haben oft ein starke Angst vor Veränderungen (s. auch Fiedler, 2003). Diese werden aus eigenen Praxiserfahrungen v.a. dann stark erlebt, wenn Ereignisse aus subjektiver Sicht heraus nur schwer vorhersagbar oder kontrollierbar sind (z.B. Zukunftsängste bei Stellen- oder Wohnungswechsel,

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Ferienabwesenheit des Therapeuten, Anlässe mit unbekannten Personen). Wenn sich in der Therapie diese Ängste dank Integration unterschiedlicher Identitätsanteile allmählich legen, werden BPS-Patienten aus unserer Sicht vermutlicherweise in ihrem weiteren Leben immer eine gewisse „Angstvulnerabilität“ gegenüber Veränderungen behalten. Grundsätzlich stellt sich die Frage, warum Behandlungserfolge stabilisiert und verstärkt werden sollen. Aus psychodynamischer Sicht (TFP) beispielsweise erfolgt die „Integration abgespaltener Teilobjekte“ während den Therapiestunden. Auf eine Transfersicherung von Behandlungserfolgen wird in der TFP-Therapie (zumindest bis jetzt) verzichtet. Anders die DBT-Therapie, bei der Hausaufgaben zwischen den Therapiesitzungen mit dem Patienten vereinbart werden, um erlernte neue Fertigkeiten (Umgang mit Stress, Gefühlen etc.) zu vertiefen und zu festigen. Dasselbe bezwecken die PITT und körperpsychotherapeutische Ansätze. Verschiedene BPS-Therapierichtungen haben somit unterschiedliche Betrachtungsweisen betreffend Stabilisierung der Behandlungserfolge zwischen den Therapiesitzungen. Aus Sicht der Körperzentrierten Psychotherapie IKP wird der Zeit zwischen den Therapiesitzungen eine wichtige Bedeutung für eine Ressourcenaktivierung ausserhalb der therapeutischen Sitzungen und zur Verstärkung therapeutischer Änderungen beigemessen. Hausaufgaben wie ein gezielter Einsatz von Übungen (wie z.B. Bedürfnisse gegenüber Eltern äussern lernen oder Übungen zur Verbesserung von Körper- und Selbsterleben, Körperbild) können entscheidend zum Wiedergewinn von Selbstsicherheit und Selbstvertrauen beitragen. Bei Borderline-Patienten sind Hausaufgaben und Wiederholen von neu Gelerntem auch zur Einübung in vermehrter Selbstkontrolle aus unserer Sicht unverzichtbar (s. Kap. 9.3). Im einfachsten Falle können BPS-Patienten zunächst auch angeregt werden, Problemsituationen und Veränderungen, die sich im Alltag zwischen den Therapiesitzungen ereignen, genau zu registrieren. Dies fördert die „Jetzt-Bewusstheit“ der Patienten einerseits, aber auch die spätere Erinnerung in den Therapiefolgesitzungen. Das schriftliche Festhalten von Ereignissen und Beobachtungen in (Therapie-)Tagebüchern hat gegenüber nur Gedachtem oder Ausgesprochenem einen weiteren verstärkenden Bedeutsamkeits- und Erinnerungseffekt. Emotional Bedeutsames und Interessantes werden im (Langzeit-) Gedächtnis gespeichert. Kanfer, Reinecker und Schmelzer (1991) machen zudem darauf aufmerksam, dass die therapeutisch geplante Selbstbeobachtung ausgewählter Handlungen, Impulskontrollstörungen oder neuer Interaktionsformen unmittelbar – und zwar ohne weitere therapeutische Besprechung bereits durch sich selbst - zu wesentlichen Korrekturen und positive Veränderungen beim Patienten führen. Dieses Prinzip kennen wir auch aus der ganzheitlich-integrativen Atemtherapie IKP (Maurer, 1993b). Durch die Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Atmung kommt es zu einer Veränderung der Atmung. Aus einer ressourcenorientierten Sicht erscheint es uns wichtig, dass die Selbstbeobachtung nicht vorwiegend auf „störende“ Ereignisse fokussiert, sondern vielmehr den Blick des Patienten auf die Möglichkeiten neuer und wünschenswerter Veränderungen im Alltag weitet (s. Kap. 8.3.).

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9.4.3.3 BPS-spezifische Techniken und Interventione n Einige BPS-spezifische Techniken und Interventionen werden im Folgenden geschildert. Auf eine detaillierte Darstellung wird verzichtet. Sie sollen als Anregung in der Behandlung von BPS-Patienten dienen und werden zukünftig erweitert und weiterentwickelt werden müssen. Im Kap. 8 sind bereits einige erwähnt und anhand von den zwei Fallbeispielen veranschau-licht dargestellt worden. 1. Emotionale Stütze und Sicherheit Dabei geht es um den Aufbau von Sicherheit durch positive Erfahrungen sowohl von aussen wie auch von innen heraus und die Erfahrung von emotionaler Unterstützung. Beides erfährt der Pat. zuerst innerhalb des geschützten Rahmens mithilfe des Th. innerhalb der Therapie-sitzungen. Dann wird das neu Erfahrene und Erlernte als Hausaufgaben mitgegeben und im Alltag erprobt und geübt. Die positiven Erfahrungen sollen sich wiederholen. a) Das haltgebende „Containment “ durch den Therapeuten hat nachnährenden Charakter.

Die emotionale Stütze realisiert sich sowohl psychisch als auch körperlich. Beim körper-lichen Containment muss der Therapeut abschätzen können, welche Art der Nähe sinn-voll und unterstützend für den BPS-Patienten ist. Es gibt verschiedene Formen des „Holdings“ und „Containments“: • Rücken an Rücken, stehend oder sitzend, im gleichen Rhythmus atmen • Hände des Th. sind auf dem Rist der beiden Beine des Pat.. Der Th. folgt den Atem-

bewegungen des Pat. mit unterstützendem Druck auf die Füsse beim Ausatmen und Drucklockerung beim Einatmen des Patienten.

• Der Th. legt eine Hand auf den Rücken oder den Bauch des Pat.: Vorher-Nachher-Wahrnehmungsübung für den Pat.

• Vertrauensübungen. Bsp. Pat. lässt sich langsam nach hinten fallen und Th. fangt ihn auf. Eher zu einem fortgeschritteneren Therapiezeitpunkt.

• Atemmassage. Eher zu einem späteren Therapiezeitpunkt, wenn der Pat. den eige-nen Körperkontakt schon gefestigt hat und sich im positiven Sinne abgrenzen kann.

b) Die wiederholt durch Containment erfahrene Sicherheit von aussen wird mit der Zeit

verinnerlicht. Zum weiteren Aufbau der inneren Sicherheit helfen folgende Übungen, die der Patient durch wiederholtes Üben als eigene Kompetenz aufbaut: • „Safe-Place-Übung“ (innerer sicherer Ort, Wohlfühlort) • Übung der inneren hilfreichen Wesen, der inneren Helfer • Tresor-Übung (etwas Belastendes wegpacken können) • Grounding-Übungen (z.B. Baumübung)

2. Psycho-physische Entspannung, Aufbau, Aktivierun g und Förderung der Selbst-

regulation Ein Problem bei emotionaler Erregung ist, dass sich das intelligente Gehirn ausschaltet (s. Goleman, 2001). Ziel ist es, möglichst früh erkennen und wahrnehmen zu können, welches die Auslöser dafür sind, wann ein solcher Prozess in Gang kommt und wie sein weiterer Verlauf ist. Werden die ersten Anzeichen (Bsp. Körperliches Signale: Verflachung der Atmung, Druck-, Einengungsgefühl, Muskelanspannung) dafür erkannt, kann und soll dieser Prozess möglichst früh gestoppt werden. Dazu verhelfen Techniken und Interventionen zur Selbstregulation (wie z.B. Gedanken-Stopp, Sensory Awareness, s.u.). Einem zunächst

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klärungsorientierten Vorgehen folgt die Erarbeitung individuell angepasster Bewältigungsmöglichkeiten. Durch Instrumente zur aktiven und adäquaten Bewältigung, Verminderung und Verhinderung von quälenden Spannungszuständen, Dissoziationen und Impulsivität (der Affekte und des Verhaltens) erlernt und erfährt der Pat. eine aktive Beeinflussungsmöglichkeit auf seine Befindlichkeit und ist diesen Zuständen nicht mehr hilflos ausgeliefert. Das Erarbeiten eines individuellen „Notfallkoffers“ empfiehlt sich als einer der ersten Therapieschritte, um dem Patienten schnell wirksame Instrumente zur Krisenbewältigung zu vermitteln. Aktives inter- und intradimensionales Shiften (s. Maurer, 1993a, 1998, 1999, 2002) spielt hier aus unserer Sicht die tragende Rolle. Es verhilft zur Selbstregulation und gleichzeitig zur Ressourcenaktivierung auf allen sechs Lebensdimensionen. Durch aktives Shiften kommt zudem das „Je mehr, desto mehr-Energieprinzip“ (Maurer, 1993a, 1998, 1999, 2002) in Gang. D.h. Shiften bringt Energie und setzt Kräfte für Problembewältigungen frei. Das Hin- und Herwechseln führt schliesslich auch zu einer Ent-Fixierung, z.B. weg vom Aufmerksamkeitsfokus auf Negatives (Störung, Symptomatik etc., s. Kap. 8.3) und weg von der Einseitigkeit hin zur Ganzheitlichkeit. Mögliche Interventionen aus dem Notfallkoffer könnten sein: • Aktives VAKO-Shiften zum Umgang mit Dissoziationen:

Erfahrungsgemäss hilft der visuelle Kanal als Erste-Hilfe-Massnahme zu wenig. Bspe. Körper abstreifen/abklopfen, heisse/kalte Dusche, Körper massieren, sich in die Haut kneifen, Gummiband, „Finalgon“-Salbe, Joggen, Seilspringen, Jonglieren mit den Bällen, über einen Besenstil gehen, Antidissoziations-Druckpunkte (Nerv am Ellbogen, „Schwimmhäute“ zw. den Fingern), Ammoniak, Juckpulver, Niespulver, Brausetablette, Eiswürfel, Tabasco, Duftöle, Starke Pfefferminz-Kaugummis

• Aktives Shiften zwischen (=interdimensional) und innerhalb (=intradimensional) der sechs Lebensdimensionen des Anthropologischen Würfelmodells IKP: Körperlich: Spaziergänge, Joggen, Hände und Beine kombiniert mit Atmung ausschütteln, progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training. Körper-/Fussmassage mit Massage-Noppen-Bällen („Igelbälle“), Bälle drücken, weitausholende raumschaffende Atemübungen (z.B. Atemzählen), Gärtnern (mit Finger in der Erde graben), (meditativ-energetische) Übungen aus dem Tai Chi und Qi Gong. Intrakorporeller Dialog (s.u.). Psychisch-geistig: Lesen, Musikhören (karibische Musik, Rock n’ Roll??), Fernsehschauen. positive und konstruktive Gedanken aufschreiben und sprechen (Mantras), (Therapie)Tagebuch, Phantasie(reisen). Sozial: Mit einer Freundin telefonieren, in die Massage gehen (ist auch körperlich), Haustiere streicheln oder mit ihnen spazieren gehen. Raum: Zur Musik tanzen, ins Freie und in die Natur gehen, Distanzierungs-Techniken, Abgrenzungsübungen (z.B. mit Seil) Zeit: körperzentrierte IKP-Erfahrungsübungen finden vorwiegend im Hier-und-Jetzt statt (Bsp. Sensory Awareness). Spirituell-transzendent: sich in grosse Decke einkuscheln und mit dem Körper schaukeln, Meditation: sich mental mit der Sonne verbinden, Übung „Reise in die Sonne“, Körperübung („Baumübung“), Phantasiereise (Botschaften der vier Elemente abholen, Begegnung mit der stützenden Urkraft der Liebe etc.), Verbindung zu Hilfswesen, inneren Helfern und Begleitern, herstellen (z.B. Schutzengel, Verstorbene).

• Persönliche VAKO- und Ressourcenliste/-tabelle für den Einsatz im Notfall. Welche Ressourcen haben früher/heute Entspannung gebracht. Alle Lebensdimensionen durchgehen und Ressourcen sammeln.

• Aktives Shiften zwischen und innerhalb der vier psychischen Funktionen, also im Wahrnehmen (VAKO-Shiften, s.o.), Denken, Fühlen und Handeln. Bsp:

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Perspektivenwechsel, Wechsel vom Fokus auf Negatives hin zum Fokus auf Positives (s. Kap. 8.3).

• Übungen aus den 15 Erfahrungs-Übungsgruppen und deren Erweiterung um drei Gruppen der Körperzentrierten Psychotherapie IKP (Maurer, 2005). Vor allem Übungen zur Entspannung, Grounding, Zentrierung, Abgrenzung, Kraft, Leichtigkeit, Loslassen. Ausnahme: passive Körperarbeit zu Beginn der Therapie (s.o.).

• Übungen von 1b) (s.o.) 3. Erkennen eigener Bedürfnisse • Liste positiver Aktivitäten • Introversionsübungen (z.B. Zentrierung, Meditation) • Sensory Awareness • Unterscheidung der psychischen Funktionen: „ich nehme war – ich fühle – ich denke“ • Übung: „Ich muss…“ und „ich sollte…“ durch „ich will…“, „ich entscheide mich für…“, „ich

mache…“ ersetzen • IKP-Bedürnisdiagramm 4. Aufbau und Förderung des Körperbewusstseins • Übungen aus den 15 Erfahrungs-Übungsgruppen der Körperzentrierten Psychotherapie

IKP und deren Erweiterung um weitere drei Gruppen (s. Maurer, 2005) • Übungen aus dem Tai Chi, Qi Gong und weitere Körper-Meditationsformen • Hausaufgaben: Sport, Spaziergänge und andere, die körperliche Dimension betreffende

Übungen • Intrakorporeller Dialog (s.u.) • Imagination: Reise durch den Körper • Somatographie Erfahrungsübungen finden im Hier-und-Jetzt statt. Ausnahme: Übungen in der zeitlichen Dimension. 5. Hilfe zum Annehmen der Realität, realistische Wa hrnehmungsüberprüfung • Selbst- und Fremdwahrnehmungs-Übung. Überprüfung der Diskrepanz zwischen Selbst-

und Fremdwahrnehmung als Hausaufgabe • Übungen zur Verhinderung von Dissoziationen (s.o., 1.) • Achtsamkeitstraining als Hilfe zur Realitätsüberprüfung (Sensory Awareness, VAKO).

Nur wahrnehmen ohne Bewertungen und Interpretationen. Achtsamkeitsübung: Was beobachte ich an mir? Was nehme ich wahr, fühle, spüre, denke ich?

• Aussen-Innenperspektiven-Wechsel Alle Wahrnehmungsübungen finden im Hier-und-Jetzt statt. 6. Förderung der Gefühlsdifferenzierung und des emo tionalen Ausdrucks • Panoramaarbeit: z.B. „Gefühls-Panorama“, um eigenes Gefühlsspektrum kennen zu

lernen und um Gefühle differenzieren und beschreiben zu lernen. • Märchen: Wie gehen Märchenfiguren mit Gefühlen um? • Arbeit mit Tarot-Karten (Maurer, 2001)

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• Arbeit mit dem inneren Kind • Recall-Change: Emotionales Leiden loslassen • ein bestimmten Gefühl körperlich darstellen: entsprechende Körperhaltungen, Gestik,

Mimik, Bewegungen, Skulptur • Th. als Vorbild, als Hilfs-Ich: Th. macht Übersetzungsarbeit, d.h. versucht in Worte zu

fassen, was der Pat. fühlt oder: „Was Sie mir da eben erzählt haben, macht mich traurig/wütend.“ oder „Sie haben mir eben Dinge aus Ihrem Leben erzählt, die ganz schrecklich für Sie waren. Dabei haben Sie gelächelt.“

• Intrakorporeller Dialog: Bsp. „Sie äusserten jetzt gerade eine schnelle Zunahme der Anspannung und befinden sich in einem quälenden Spannungszustand. Ich möchte gerne mit Ihnen herausfinden, wie das gerade entstanden ist, was der Auslöser dafür war und was dieser Spannungszustand für eine Funktion hat und ihn dann auflösen. - Verstärken Sie diesen Spannungszustand, indem Sie eine ihm entspr. Körperhaltung, Gestik, Mimik, Bewegung ausführen. – Wechseln Sie nun in das pure Gegenteil, also in einen totalen Entspannungszustand wiederum mit entsprechendem körperlichem Ausdruck. – Was nehmen Sie war, fühlen Sie? Was ist jetzt? – Nun wiederum Wechsel in den Spannungszustand – wiederholtes Oszillieren zwischen diesen beiden Zuständen, jeweils mit Nachfragen, was jetzt ist…

• Thymographie 7. Bearbeitung von Abwehrmechanismen (wie z.B. Spal tung, Projektion) • Gestalttherapeutische Interventionen (z.B. heisser Stuhl) • Arbeit mit dem inneren Team (Schulz von Thun, 1998; Reddemann, 2001, 2006; kombi-

niert mit gestalttherapeutischen Techniken und mit VAKO) • Perspektivenwechsel (Bsp. bei Opfer-Täter-Dynamik die Perspektive des Opfers über-

nehmen) • Rollenspiele • Intrakorporeller Dialog (Oszillieren, Shiften zwischen Dichotomien, z.B. gut-böse) • Extrempole/Dichotomien (entweder-oder) symbolhaft als Kissen dargestellt, dazwischen

ein Seil als Symbol für den Weg dazwischen. Pat. geht ganz langsam von einem Pol zum anderen und spürt das Dazwischen, die Übergänge.

• Traumarbeit (Maurer, 1993a) 8. Gezielte, punktuelle, kurzfristige Regressionsarbeit •••• Dialogtechiken •••• IKP-Recall-Change-Methode (Maurer, 1998, 1999, 2002): multidimensionaler (Aufmerk-

samkeit auf alle sechs Lebensdimensionen des Anthropologischen Würfelmodells IKP richten und diese in die Vergangenheit zurückverfolgen) und multimodaler (entlang der verschiedenen Sinneskanäle, VAKO) Recall. Präzise und gezielte Bewusstmachung, punktueller Rückgriff auf biographische Gedächtnisinhalte, von früheren, ungewünschten Gedächtnisinhalten, die zur heutigen Problematik beigetragen/geführt haben. Bewusst-werdung von früherem Material über das Körpergedächtnis (s. Kap. 7.4). Change: Ver-änderung, Umstrukturierung der Gedächtnisinhalte.

•••• Familienstellen •••• Arbeit mit Familienfotos •••• Lebenspanorama

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9. Förderung der Selbstakzeptanz, des Selbst- und I dentitätserlebens • Intrakorporeller Dialog • Aufbau von positiven inneren Elternrepräsentanten • Aussen-Innenperspektiven-Wechsel • Abgrenzungsübungen • Durchsetzungsübungen (Bsp. Ja-Nein-Übung) • Gestalttherapeutische Interventionen (Dialoge mit dem Ziel der Integration von Persön-

lichkeitsanteilen, v.a. Arbeit mit dem „inneren Kritiker“ und Aufbau einer wohlwollenden, fördernden Stimme)

10. Förderung kommunikativer Kompetenzen und Bezieh ungsfähigkeit • Rollenspiele, z.B. zum Umlernen von dysfunktionalen zwischenmenschlichen

Verhaltensweisen • Märchen-/Metapherarbeit. Verdeutlichung von Beziehungsdynamiken anhand von

Symbolen, Märchenfiguren usw. und Ausarbeitung eines neuen Wunschverhaltens • Hausaufgaben: in Therapiesitzungen Erlerntes/Erfahrenes in sozialen Situationen

üben/umsetzen • Einsatz von kreativen Medien zur Steigerung der Ausdrucksfähigkeit • Kommunikationsregeln: Ich-Botschaften, Feedback, Ich bin o.k. – du bist o.k. • Kommunikationsmodell „Die vier Seiten der Nachricht“ von Schulz v. Thun • Nur wahrnehmen ohne bewerten • Zuhörübung: der Pat. wiederholt, was er gehört hat • Lob aussprechen lernen • Arbeit mit dem inneren Team • IKP-partner-paardiagramm 11. Erarbeitung von positiven Zukunftsperspektiven • Imaginative Techniken (Zeitreisen: Begegnung mit der eigenen Person in 3 Jahren,

Wunder-Übung: morgen ist alles anders) • Arbeit mit dem inneren Team (Aufbau der wohlwollenden, fördernden Stimme) • Zukunfts-Panorama • Arbeit mit positiven Affirmationen, Visualisierungen (sich erwünschtes Ziel vorstellen)

und Spiegelarbeit (sich vor den Spiegel stellen und Positives laut aussprechen) 12. Förderung von Sinnerleben und Erarbeitung von p ositiven persönlichen Wertebe-

zügen • Eigene Bedürfnisse wahrnehmen, mitteilen und erfüllen lernen • Wiederholung von positiven Erfahrungen, von Erfolgserlebnissen (Hausaufgaben) • Ressourcen leben und nutzen • Spirituelle Ressourcen reaktivieren und aufbauen (Natur, Vipassana, Kraftorte) • (Therapie)Tagebuch • Kreative Medien nutzen: Kreatives Schreiben, Malen, etc. • Werte nach Rokeach (1973, zit. nach Maurer, 2002)

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13. Weitere Techniken • (Therapie)Tagebuch: Mithilfe eines fortlaufenden Therapietagebuchs wird das Erarbeite-

te, Erfahrene und Erlernte nachbearbeitet und weiter verarbeitet. Durch das schriftliche Festhalten erhält dies „mehr Gewicht“, wird als wichtig, als emotional bedeutsam fest-gehalten und dadurch auch (viel eher) im Langzeitgedächtnis gespeichert. Das Führen eines Therapietagebuchs betrifft alle oben genannten Punkte.

• Arbeit mit Ritualen: persönliche Rituale herausfinden, um unerledigte belastende Situati-onen abzuschliessen. Vor allem in Bezug auf Herkunftsfamilie, bei traumatischen Erleb-nissen und Verlust von nahe stehenden Personen. Bsp. Brief schreiben, in Therapie-stunde vorlesen, be- und verarbeiten. Danach je nach Bedürfnis Brief zerreissen, verbrennen, ein Papierschiffchen basteln und in einen Fluss geben, Zuhause in eine Schachtel legen und Deckel zu machen, etc.

• Selbstwertsteigernde Techniken: (s. o.) Hausaufgabe: abends schriftlich festhalten, was heute positiv verlief. Was war da? Wie hat sich das angefühlt? Wie ist es dazu gekom-men? Wie könnte dies wiederholt werden?

• Strukturbildene Ressourcenarbeit IKP (s. Maurer, 2005): Je nachdem, was dem Pat. fehlt, z.B. Mut, (Ur)Vertrauen, Willen, Freude, Leichtigkeit, Im-Fluss-Sein, werden kör-perzentriert Strukturen durch entsprechende Übungen aufgebaut. Bsp. fehlendes Ein-heits-Erleben: Sprünge und Schwünge.

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10. Zusammenfassung und Ausblick Psychotherapeuten im ambulanten Setting sehen sich meist mit der Tatsache konfrontiert, dass BPS-Patienten sie erst in grosser Not mit einer bereits weitreichenden multidimensionalen Vernetzung der Symptomatik und häufig in einem Zustand mehr oder weniger starker akuter Suizidalität aufsuchen. Dann ist es hilfreich, dank eines Therapiekonzeptes einen „roten Faden“ für die BPS-Behandlung zur Hand zu haben und die ersten Therapieschritte schnell und kompetent angehen zu können. Während der Behandlung von unseren BPS- Patienten haben wir nebst regelmässigen Supervisionen und Intervisionen viele Stunden für Literaturrecherchen zur BPS (Diagnostik, Ätiologie, Therapie etc.) investiert, um mit Hilfe bestehender BPS-Konzepte aus anderen Therapierichtungen einen Behandlungsweg zu suchen, der mit der Körperzentrierten Psychotherapie IKP vereinbar ist. Ein intensiver Erfahrungsaustausch und gemeinsame Diskussionen wiesen uns letztendlich auf Ähnlichkeiten in unserem bisherigen Behandlungsvorgehen mit BPS-Patienten hin und führte zur Idee und Umsetzung, unsere Erkenntnisse in Form eines Therapiekonzeptes BPS der Körperzentrierten Psychotherapie IKP darzulegen. Wie bereits schon an anderer Stelle erläutert, liefert das nun vorliegende Therapiekonzept BPS der Körperzentrierten Psychotherapie IKP ein ganzheitlich-integratives Konzept, bei dem der humanistische Hintergrund der Verfasserinnen und der Körperzentrierten Psychotherapie IKP deutlich wird. Es bildet einen Grundstein für weitere Untersuchungen und bedarf weitere empirische Forschung, um Aussagen darüber zu machen, ob sich das Konzept in der Praxis bewährt. Vielfach wurde in der Körperpsychotherapie ohne Überprüfung behauptet, dass diese besser seien als andere Verfahren. Empirische Forschung kann helfen, zu realistischen Einschätzungen der Möglichkeiten und Grenzen zu kommen und Behandlungshypothesen zu überprüfen. Häufig liegen gute Ansätze und Unbrauchbares innerhalb einer Behandlungsrichtung eng beieinander und die empirische Forschung könnte zu einem Aufräumprozess derselben beitragen. Zudem sind zahlreiche Aspekte des Therapiekonzepts BPS der Körperzentrierten Psychotherapie IKP erst ansatzweise ausformuliert und erfordern eine weit detailliertere Betrachtung als die Diplomarbeit es hier zulässt. Sabine Gerber, wird in ihrer Masterarbeit im Rahmen ihrer Weiterbildung zum Master of Science in Psychotherapeutischer Psychologie die (körperpsychotherapeutischen) Interventionen des vorliegenden Konzepts weiter bearbeiten und sich mit diesen intensiver beschäftigen. Ebenso planen die Autorinnen den Inhalt des Kapitels 9 der Diplomarbeit in einem Fachartikel zu veröffentlichen. Obwohl es bereits zahlreiche Literatur zur BPS gibt, sind noch etliche Fragen betreffend Therapie und deren Wirksamkeit unbeantwortet. Im Folgenden sind einige spezifische Fragen aufgeführt, die aus unserer Sicht von der Forschung in Zukunft aufgenommen werden sollten: • Welche Patiententypen sprechen auf welche BPS-spezifischen Therapieformen an? • Auf welche Komponenten bestehender BPS-Therapieformen (DBT, TFP,

Körperpsychotherapie etc.) ist ihre Wirksamkeit zurückzuführen? Welche allgemeinen Elemente dieser Therapieformen sind bestimmend für ihre Wirksamkeit?

• Welches sind die Indikationen zum Einsatz verschiedener BPS-Therapieformen? Wie beeinflusst das Vorliegen bestimmter klinischer Merkmale (z.B. deutlich schädigendes Verhalten oder dissoziative Züge) die Wirkung der Behandlungsmethoden?

• Was ist die optimale Behandlungsdauer einer Psychotherapie für Patienten mit BPS?

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• Gibt es eine Form von Kurztherapie (12-30 Sitzungen), die sich bei der BPS bewährt? • Was sind die optimalen Behandlungsfrequenzen bei der BPS? • Welches Behandlungssetting ist optimal bei der BPS? • Wie ist die relative Wirksamkeit einer Kombination von Psychotherapie und

psychopharmakologischer Behandlung gegenüber der Behandlung mit nur einer dieser Behandlungsformen?

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