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BRAIN MODELLING II

physikalische Modelle über das Gehirn

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BRAIN MODELLING II

physikalische Modelle für das Gehirn

nach einer Vorlesung von W. Gruber

am Institut für Experimentalphysik, Universität WIEN, 1.0 Entwicklung des Nervensystems 1 2.0 Selbstorganisierende Karten 14 Aufbau des Gehirns 3.0 Die Teile des Gehirns 24 3.1 Der Hypothalamus – eine Gruppe von Kernen 28 3.1.1 Steuerung und Regelung 28 3.1.2 Regulation der Körpertemperatur 29 3.1.3 Regulation des Körpergewichts 30 3.2 Der Thalamus 32 Cortex Cerebri 4.0 Die Großhirnrinde 34 4.1 Verbindungen innerhalb der Großhirnrinde 37 4.2 Informationsverarbeitung in der Großhirnrinde 39 4.3 Assoziationsfelder 40 4.3.1 Der Parietallappen 40 4.3.2 Der Temporallappen 42 4.3.3 Der Frontallappen 44 4.4 Die übergeordneten Assoziationsareale 47 EEG, MEG und PET 5.0 Das Elektroenzephalogramm 48 5.1 Das Magnetenzephalogramm 60 5.2 Der Positronen-Emissions-Tomograph 61 Sprache und Sprachverständnis 6.0 Modelle, Entwicklungen und Definition 64 6.1 Das Wernicke-Geschwind-Modell 68 6.2 Legasthenie 73 6.3 Der Eliza-Effekt 79 Motorik: Das Umsetzen von Gedanken 7.0 Das motorische System 83 7.1 Chorea Huntington 90 7.2 Das Tourette-Syndrom 91 7.3 Die Parkinson-Erkrankung 91 7.4 Stottern 93

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8.0 Der Schlaf 96 Das Gedächtnis 9.1 Das Arbeitsgedächtnis 102 9.2 Das Gedächtnis 103 9.3 Der Hippocampus 112 9.4 Der kognitive Raum 113 10.0 Neurotransmitter 116 Der kranke Geist 11.0 Psychosen 120 11.0.1 Organische Psychosen 121 11.0.2 Schizophrene Psychosen 121 11.0.3 Affektive Psychosen 124 11.0.3.1 Depression 124 11.0.3.2 Manie 127 11.2 Stress 127 11.3 Angststörungen 130 11.4 Borderline-Syndrom 131 12.0 Künstliche Intelligenz 133 13.0 Synthetische Psychologie 135 14.0 Neuroprothesen 137 15.0 Spieltheorie 141 Anhang A: Verbindungen der Kernstrukturen des Gehirns 144 Anhang B: Cortikale Felder des Affen: 145 Begriffe aus der Neurowissenschaft 148 Literaturverzeichnis 165

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Entwicklung des Nervensystems Für die einzelnen Neuronen ist es wichtig, daß die Verschaltung korrekt durchgeführt wird. Auf der einen Seite soll jedes Neuron in der Großhirnrinde mit möglichst vielen anderen Neuronen Kontakt aufnehmen, andererseits sollen ganze Gebiete von Neuronen mit Gebieten der Sensorik, der Motorik oder anderen Rindenarealen verbunden sein. Wenn es zu Fehlern in der Verschaltung kommt, dann führt dies in der Regel zu irreparablen Schädigungen des Gehirns. Lange Zeit dachte man, daß die Verknüpfung der einzelnen Gebiete genetisch determiniert sind, aber wenn man die Anzahl der Neuronen und die Anzahl der Gene betrachtet, dann scheint eine Verschaltung durch die Gene als sehr unwahrscheinlich. 1.0 Entstehung von Verbindungen Einige interessante Phänomene können durch die Entwicklung des Nervensystems erklärt werden. Es gibt Babys die mit einem Augenkatarakt geboren werden, das heißt die Linse ist getrübt. Früher hat man dann ein paar Jahre mit der Operation gewartet, da die Operation für einen Säugling sehr belastend ist. Also operierte man die Kinder erst im Alter von 10-12 Jahren. Den Kindern wurde die getrübte Linse durch eine klare Linse ersetzt. Die Kinder hatten damit gesunde Augen, dennoch konnten sie nichts erkennen. Die Kinder blieben auch über die Jahre blind, sie konnten gerade hell und dunkel erkennen - trotzdem daß das Auge gesund war. Also musste es Probleme bei der Nachverarbeitung im Gehirn geben. Ein anderes Phänomen, das sich durch die Entwicklung des Nervensystems erklären läßt: Betrachten wir die Farbdarstellung verschiedener EEG-Bilder. Diese Bilder zeigen die Aktivität der Großhirnrinde während dem Denken. Den Probanden wurde ein Laut (Geige- bzw. Grillen-Laut) vorgespielt. Bei japanischen und nicht-japanischen Probanden gab es praktisch keinen Unterschied der EEG-Bilder beim Klang einer Geige. Hingegen gab es wesentliche Unterschiede bei der Repräsentation von Grillenlauten bei Japanern und Nicht-Japanern. Man kann in Abbildung 1.1 leicht erkennen, daß das Zentrum der größten Aktivität in unterschiedlichen Regionen liegt.

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Japanern und Nicht-Japaner Japanern und Nicht-Japaner

Geige Grille

Abbildung 1.1: EEG-Bilder von Japanern und Nicht-Japanern, die beim Klang einer Geige beziehungsweise einer Grille aufgenommen wurden. Man könnte vermuten, daß das Gehirn von Japanern anders aufgebaut ist, als das Gehirn von Nicht-Japanern. Dies stimmt auch zum Teil - aber es hängt nicht mit dem unterschiedlichen Gencode zusammen. Untersuchungen von Europäern, die in Japan aufgewachsen sind, zeigen ein ähnliches Hirnstrombild beim Grillen-Klang, wie von Japaner. Damit ist gezeigt, daß es keine "rassistischen" Unterschiede gibt - das Phänomen lässt sich anders erklären. Eine andere interessante Frage stellt sich bei der Entstehung von neuralen Karten. Die Großhirnrinde ist in verschiedene Gebiete unterteilt. Einige Gebiete gibt es, die für die Verarbeitung von visueller Information verantwortlich sind, andere für die Entscheidungsfindung und ein anderes Gebiet ist für die Wahrnehmung der Körperoberfläche verantwortlich. Dieses Areal wird als somatosensorisches Rindenareal (siehe Abbildung 1.2) bezeichnet. Dieses Gebiet weist eine interessante Eigenschaft auf. Wenn man eine Stelle auf der Hand berührt, dann werden einige Neuronen, die für die Hand verantwortlich sind, in der Großhirnrinde aktiv, wenn man eine Stelle an der Handwurzel berührt, dann werden die Neuronen im somatosensorischen Feld, die für die Handwurzel verantwortlich sind, feuern. Diese beiden Gebiete liegen nicht nur auf der Hautoberfläche benachbart, sondern auch die Gebiete - die für diese Wahrnehmung verantwortlich sind - sind auch auf der Großhirnrinde benachbart. Abbildung 1.2: Ein Querschnitt durch das somatosensorische und das motorische Rindenfeld mit den jeweiligen Bedeutungen.

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Im Regelfall weisen die Repräsentationen im Gehirn eine ähnliche Nachbarschaft auf, wie die Hautoberfläche. Die obige Graphik (Abbildung 1.2) stellt einen Querschnitt durch das somatosensorische Rindenareal dar und wie man leicht erkennen kann, sind Neuronengruppen die, die Finger, den Unterarm, den Oberarm den Rumpf und die Beine repräsentieren, benachbart - genauso wie die jeweiligen Hautareale benachbart sind. Man kann auch leicht erkennen, daß es für manche Gebiete mehr Neuronen gibt, als für andere. So ist zum Beispiel die Hand empfindlicher, als der Rumpf - und so gibt es für die Wahrnehmung der Hand mehr Neuronen in der Großhirnrinde. Auf der rechten Seite der Abbildung 1.2 ist das motorische Rindenfeld dargestellt. Auch hier gibt es eine nachbarschaftserhaltende Beziehung. Großhirnrindenareale, in denen Neuronen eine topologische Beziehung besitzen, werden als Karten bezeichnet. Vor allem die Neuronen der Rindenareale, die eine direkte Verbindung mit der Sensorik oder Motorik besitzen, sind nachbarschaftserhaltend - topologisch - geordnet. In den Arealen, die keinen direkten Eingang besitzen, finden sich praktisch keine nachbarschaftserhaltende Beziehung. Es stellt sich die Frage, wie es dem Gehirn gelingt, eine exakte Projektion von der Körperoberfläche auf den somatosensorischen Cortex durchzuführen ? Betrachten wir dazu die verschiedenen Stadien bei der Entwicklung des Nervensystems.

Das Zentralnervensystem entsteht in der Embryonalentwicklung aus der Neuralplatte, die sich auf dem Rücken des Emryos befindet. Die Neuralplatte bildet sich während der 3. Woche nach der Befruchtung aus dem Ektoderm, die Zellzahl liegt bei rund 125 000 Neuronen. In der Abbildung 1.3 kann man auf der linken Seite den Embryo erkennen, während die rechte Seiten den Querschnitt darstellt. Die Neuralplatte faltet sich ein und bildet zuerst die Neuralrinne und später zwischen dem 21. und 31. Tag das Neuralrohr. Aus dem Inneren werden sich später die Ventrikel bilden, die mit Cerebrospianalflüssigkeit (Liquor) gefüllt sind. Im Kopfbereich des Embryos entstehen drei Verdickungen, aus denen sich die drei ursprünglichen Hauptabschnitte des Gehirns bilden werden: Prosencephalon, Mesen-cephalon, Metencephalon. Werden während dem frühen Stadium der Entwicklung Zellbereiche entfernt, dann wird der Verlust durch ein vermehrtes Wachstum von benachbarten Zellen ausgeglichen. Die Entwicklung verläuft dann normal. Aus den Neuronen des Neuralrohrs bilden sich die Neuronen des Rückenmarks. Nachdem sich das Neuralrohr gebildet hat, beginnen die zukünftigen Neuronen sich zu sprunghaft zu vermehren. Nachdem die Zellen aufhören sich zu teilen, bestimmt der Ort der Zelle die Funktion innerhalb des Gehirns. Je später eine Zelle aufhört sich zu teilen, umso eher liegt sie auf der Oberfläche der Großhirnrinde.

Abbildung 1.3: Die vier Stadien bei der Entwick-lung des Nervensystems.

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Die Entwicklungsstadien kann man folgendermaßen zusammenfassen: [1] Induktion der Neuralplatte. [2] Vermehrung von Zellen in bestimmten Regionen (Die Vermehrungsrate ist nicht überall

gleich groß. Daraus folgt das Relief der Hirnstrukturen). [3] Wanderung der Zellen vom Ort ihrer Entstehung zu den Stellen, an denen sie schließlich bleiben. [4] Bildung anatomisch identifizierbarer Zellverbände. [5] Ausreifung der einzelnen Nervenzellen. [6] Bildung von Verbindungen zwischen den Nervenzellen. [7] Selektiver Tod einzelner Nervenzellen (rund 50% sterben ab). [8] Umstrukturierung und Stabilisierung (Lebenslanges LERNEN !). Für die Biologie stellte sich die Frage, wie einzelne Neuronen zum Wachsen stimuliert werden. Durch die experimentelle Embryologie konnten bei dieser Frage interessante Einsichten gewonnen werden. Die experimentelle Embryologie versuchte einzelne Organe beziehungsweise Glieder von einem Organismus auf einen anderen Organismus zu übertragen und umzupflanzen. Es stellte sich die Frage, wie diese fremden Körperteile sich mit dem Embryo vertragen werden. Wie sich zur Überraschung aller zeigte, wurden die Gliederknospen eines Hühnerembryos, wenn sie nur rechtzeitig genug verpflanzt wurden, von den Nerven des Embryos innerviert. Später verwendete man anstelle von Gliederknospen Tumorgewebe. Im Speziellen wurden mit Sarkom 180 viele Experimente durchgeführt. Es zeigte sich, daß die Ganglien des Embryos - nicht nur die, die mit dem Tumor in unmittelbaren Kontakt standen - sehr stark wuchsen. Dies legt die Vermutung nahe, daß der Tumor eine Substanz ausschüttet, die das Wachstum der Nerven stimuliert. Abbildung 1.4: Das Wachstum von Neuronen in einer Nährlösung ohne (links) und mit (rechts) einem Nerven-wachstumsfaktor. Um leichter experimentieren zu können, isolierte man sensorische und sympathische Ganglien vom Körper und kultivierte sie gemeinsam mit dem Tumorgewebe Sarkom 180 in einer Nährlösung. In Abbildung 1.4 kann man leicht den Einfluss des Tumorgewebes sehen. Im linken Teil der Abbildung ist eine Gewebekultur ohne und im rechten Teil eine Gewebekultur mit Tumorgewebe dargestellt (Die Fasern wurden gefärbt). Mit dieser Technik war es leicht, auszuprobieren, wie sich welche Substanzen auf das Nervenwachstum auswirken. In den Experimenten zeigte sich, daß ein spezielles Schlangengift das Nervenwachstum sogar noch stärker fördert.

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In späteren Experimenten fand man, daß die Gliazellen, die die Neuronen umhüllen und sie ernähren, den Nervenwachstumsfaktor ausschütten. Wird dieser Nervenwachstumsfaktor in neugeborene Nagetiere injiziert, so wachsen die Ganglienzellen schneller, reifen früher aus und werden rund 10 mal größer. Es wird auch die Zahl der Neuronen in den Ganglien erhöht, da viele Neuronen, die normalerweise absterben würden, durch den Nervenwachstumsfaktor "gerettet" werden. Viele Neuronen sterben ab, wenn sie keinen ausreichenden Kontakt zu anderen Neuronen herstellen können. Es scheint so, daß die Neuronen um den Nervenwachstumsfaktor konkurrieren. Nur bei einem Neuron, das ausreichend Kontakt mit dem Zielgebiet hat, wirkt der Nervenwachstumsfaktor und die Neuronen können somit ausreifen. Es gibt Bereiche, in denen bis zu 50% der Neuronen bei einem normalen Wachstum absterben. Somit ist ein ausreichender Kontakt zwischen den Neuronen während der frühen Entwicklung eines Individuums notwendig, um bestmögliche Innervierung durch den Nervenwachstumsfaktor frühzeitig zu gewährleisten. Das Vorhandensein eines Nervenwachstumsfaktors erklärt das korrekte Ausreifen der Neuronen. Aber wie werden Verbindungen zwischen einzelnen Gebieten hergestellt ? Ein Zufallsprozess wurde zu lange dauern, eine genetische Codierung würde mehr Information erfordern als in der DNA-Information gespeichert ist. Also muss es sich um eine Mischung aus zufälligen und genetischen Faktoren handeln. Der spanische Neurologe Santiago Ramón y Cajal formulierte die Hypothese vom Neurotropismus (später von Roger W. Sperry - Chemoaffinitätshypothese). Er meinte, daß chemische Substanzen durch das Gewebe diffundieren und diese Substanzen lotsen die Neuronen zum Zielgewebe. In Experimenten konnte gezeigt werden, daß bei einer Injektion von einem Nervenwachstumsfaktor in einer anderen Region des Embryos - als ins Gehirn - die Neuron in die Richtung der hohen Konzentration des NGF wachsen. Abbildung 1.5: Die Entstehung einer Verknüpfung durch den Nervenwachstumsfaktor. Die Spitze des Neurons sucht aktiv nach der höchsten Konzentration des Nervenwachstumsfaktors. Hat das zukünftige Axon das Zielgebiet erreicht (siehe Abbildung 1.5), dann reift das Neuron aus und es bilden sich Synapsen. Wenn die Synapsen gebildet werden, wird auch Nervenwachstumsfaktor im Neuron gebunden und zum Zellkörper

Zellen desZielgewebes

Nervenwachstumsfaktor

unreifes Neuron

Wachstumszone

Nervenfaser (Axon)

Durchtrennung des Axon

Innervierungdes Zielgewebes

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weitergeleitet. Wird das zukünftige Axon durchtrennt, kann der Nervenwachstumsfaktor nicht zum Zellkörper weitergeleitet werden und das Neuron stirbt ab. Es gibt auch Experimente, die gezeigt haben, daß die Neuronen auch an anderen Stellen eigene Rezeptoren für den Nervenwachstumsfaktor besitzen und daß über second-messenger und NGF´s verschiedenste biochemische Vorgänge im Inneren des Neurons gesteuert werden können.

Die Tasthaare nehmen mit dem somatosen-sorischen Cortex auf der gegenüberliegenden Seite Kontakt auf. Für jedes Tasthaar gibt es ein eigenes Gebiet (auch Tonne genannt) von verarbeitenden Neuronen, wie in Abbildung 1.6 dargestellt.. Zerstört man unmittelbar nach der Geburt gezielt Tasthaare, so können sich diese Tonnen nicht bilden. Es gibt kein Zielgebiet, zu dem die Neuronen hinwachsen können. Das dies ein sehr gezielter Prozess ist, kann man daran erkennen, daß bei der Zerstörung einer Reihe oder einer Spalte von Tasthaaren (Abbildung 1.6, mitte-oben, mitte-unten) auch nur die betreffende Reihe oder Spalte von Tonnen sich nicht ausbildet, während benachbarte Gebiete größer werden. Werden alle Tasthaare zerstört, dann kann sich das gesamte somatosensorische Gebiet nicht ausbilden. Die Neuronen verkümmern und sterben schließlich ab. Man sollte nicht übersehen, daß die zeitliche Komponente ganz wesentlich ist. Wenn die Tasthaare zu früh zerstört werden, bilden sich neue, wenn die Tasthaare zu spät zerstört werden, dann haben sich die Verbindungen schon etabliert.

Abbildung 1.6: Die Zielgebiete (rechts) von sen-sorischen Einheiten (Tasthaaren - links). Bei derAmputation der Tasthaare werden die Zielgebieteverändert.

Heute kennt man mehrere Nervenwachstumsfaktoren (nerve-growth-factor, NGF), die sehr gezielt das Wachstum der Nerven in unterschiedlichen Hirnregionen steuern. Die Verbindungen, die dabei entstehen, stellen bloß eine grobe Annäherung an die zukünftigen Verknüpfung dar. Nun stellt sich die Frage, wie die Verbindungen im Detail entstehen. Wie man am Beispiel des Augenkatarakts beobachten konnte, ist eine ausreichende Anzahl von Umweltreizen notwendig um die Verbindungen bilden zu können. Wenn es diese Reize nicht gibt, oder sie widersprüchlich sind, dann können sich die Neuronen nicht korrekt verschalten. Das hat den Vorteil, daß sich das Gehirn auf die gegebene Umwelt optimal anpassen kann. Die richtige Verschaltung setzt eine geeignete Stimulierung des Gehirns voraus. Die einzelnen Gebiete müssen zeitlich-räumlich korrekt aktiviert werden. Dies geschieht in sensiblen Phasen während der Gehirnreifung. Für das Sehen ist die sensible Phase mit dem 3. Monat nach der Geburt abgeschlossen. Säuglinge, die frisch auf die Welt kommen können nur sehr einfache Reize, beziehungsweise angeborene Reize erkennen. Wenn man ein Baby anlächelt, dann lächelt es zurück. Man kann aber auch einen Ballon mit einem aufgezeichnetem Gesicht vor das Gesicht eines Babys halten und es wird genauso lächeln. Kinder, die man unbeachtet im Gitterbett aufwachsen lässt, entwickeln sich ziemlich langsam. Sie können erst viel später aufrecht sitzen und erlernen das Laufen viel später. Die geeigneten Reize müssen in einer sensiblen Phase empfangen werden. Bezieht sich der Informationserwerb auf einen artspezifischen Informationserwerb in einer solchen sensiblen Phase, dann spricht man von einer Prägung. Durch die Prägung kommt es zu einer

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dauerhaften Wiedererkennung von artspezifischen Merkmalen, die später immer gleichartige Verhaltensreaktionen auslöst. Die meisten Untersuchungen zur genauen Verschaltung der Neuronen während sensibler Phasen wurden am Sehsystem durchgeführt, da das Sehsystem ziemlich gut untersucht ist. Zu Beginn der fötalen Entwicklung sind die Retina, der seitliche Kniekörper und das primäre Sehsystem in der Großhirnrinde schon räumlich getrennt. Durch den Nervenwachstumsfaktor werden die groben Verbindungen hergestellt. Wichtig ist, daß die Axone der Ganglienzellen, die für den selben Sehbereich verantwortlich sind, abwechselnd von beiden Auge die rechte (bzw. die linke) Retinahälfte korrekt zum seitlichen Kniekörper projizieren und dann abwechselnd in das primäre visuelle Areal gelangen. Es bilden sich sogenannte Augendominanzsäulen. (Hyperkolumnen). Von der rechten Hälfte der Retina des rechten Auges innervieren Neuronen das rechte primäre visuelle Rindenfeld. Zwischen diesen Zielgebieten innervieren die Neuronen, kommend aus dem rechten Teil der Retina des linken Auges die Großhirnrinde. Es gibt ein Konkurrenzverhalten. Damit beide

Augen gleich stark vertreten sind, bedarf es eines externen Stimulus. Die Abbildung 1.7 entstand durch eine radioaktive Markierung der innervierenden Neuronen aus dem linken Auge. Nachdem die Katze getötet wurde, wurde ein Schnitt durch ihr Sehzentrum auf Fotopapier gelegt. Die radioaktiv markierten Neuronen färbten das Fotopapier weiß, während die nicht markierten Neuronen das Fotopapier unbehelligt ließen. Deshalb gibt es in der Abbildung schwarze und weiße Säulen. Zum Zeitpunkt der Geburt überlappen die Neuronen im Zielgebiet (Abbildung 1.7 oben). Nach einer gewissen Zeit entstehen sog. Augendominanzsäulen. Die Säulen sind die kleinen weißen Rechtecke vom rechten Auge (Abbildung 1.7 unten). Dazwischen sind schwarze Säulen vom linken Auge. Die Schichtung des Cortex ist gut zu beobachten.

Abbildung 1.7: Ein Querschnitt durch das Sehsystem. DieBereiche des linken Auges wurden mit einer radioaktivenSubstanz markiert. Man kann sehr gut erkennen, wie sich dieSäulen im Laufe der Zeit entwickeln.

In der Abbildung kann man leicht erkennen, daß es zu Beginn der sensiblen Phase noch keine Trennung gibt - die Axonbäume aus den beiden Retinahälften überlappen sehr stark. Dies lässt darauf schließen, daß Teile der Axonbäume in Bereiche hineingewachsen sind, wo sie eigentlich nicht hingehören. Diese noch nicht stabilen Verbindungen müssen wieder zurückgebildet werden, damit es zu einer korrekten Trennung kommt. Die Aufgabe ist vergleichbar mit dem Verlegen von vielen Telefonkabeln von einer in eine andere Stadt, wobei auf die Nachbarschaft zwischen den Telefonen geachtet werden muss. Wenn in einer Stadt, zum Beispiel Linz, von zwei benachbarten Telefonen, zum Beispiel Goethestraße 3 und Goethestraße 5, angerufen wird, dann müssten, zum Beispiel in Wien, zwei benachbarte Telefone, Schillerstraße 8 und Schillerstraße 10, läuten. Dass die Telefonkabeln von Linz nach Wien verlegt werden, dafür ist der Nervenwachstumsfaktor verantwortlich, und jedes Telefon in Linz kann rund 1000-10000 Telefone in Wien

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ansprechen. Für die korrekte Feinverschaltung gibt es einen anderen Mechanismus. Indirekt angenommen in ganz Wien gibt es in jedem Haushalt sehr sehr viele Telefone. Wenn man also von zwei benachbarten Telefonen in Linz nach Wien anruft, dann werden über Wien verteilt viele Telefone läuten. Nach der Wahrscheinlichkeit werden aber nur in ganz wenigen benachbarten Haushalten je ein Telefon gleichzeitig läuten. Wenn in Wien zwei benachbarte Telefone läuten, dann werden sie markiert. Wenn man nun von Linz aus von allen benachbarten Telefonen telefoniert hat, und in Wien nur die benachbart klingelnden markiert wurden, dann ist das Ziel praktisch erreicht. Es müssen jetzt nur noch alle nicht-markierten Telefone abmontiert werden. Jetzt müssen wir dieses Beispiel nur noch auf das Gehirn anwenden. Im seitlichen Kniehöcker (entspricht Linz) senden die Neuronen (entspricht den Telefonen in Linz) Axone aus, die sich im Zielgebiet aufteilen (die 1000-10000 Telefone in Wien) und über die Synapsen mit anderen Neuronen in Verbindung stehen. Nur wenn zwei benachbarte Synapsen aktiv sind, dann können sie weiter aktiv bleiben (sie wurden markiert), während Synapsen die praktisch nie aktiviert wurden, zurückgebildet werden. Die Neuronen, die keine sinnvolle Verbindung herstellen konnten, das heißt, das die Synapsen zu wenig aktiviert wurden, sterben ab. Wie es zur Markierung der aktiven Synapsen kommt ist bis heute noch unklar, man vermutet, daß nur eine beschränkte Menge des Nervenwachstumsfaktor im Zielgebiet vorliegt und nur die aktiven Synapsen den NGF aufnehmen können.

Großhirnrinde

Thalamus

Großhirnrinde

von einer Retinahälfte

Thalamus R L RL

von einer Retinahälfte

R LRL

Abbildung 1.8: In dieser Graphik ist das Dominanzverhalten um zwei Zielgebiet dargestellt (entspricht zwei kleinen weißen/schwarzen Rechteck). Im linken Bereich kann man die starken Dendritenverästelungen erkennen, die sich nach der sensiblen Phase zurückbilden (rechts). Damit die nachbarschaftlichen Beziehungen im visuellen Areal hergestellt werden können, müssen die benachbarten Neuronen des seitlichen Kniehöckers gleichzeitig feuern. Dazu wurden Experimente an der Retina von Frettchen durchgeführt. Man entfernte die Retina nach der Geburt und legte sie auf ein Drahtgitter. Somit konnte man von über 100 Zellen der Retina gleichzeitig die Aktivität der Neuronen ableiten.

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Es zeigte sich, daß ein spezielles Muster von elektrischen Entladungen in der Retina in sensiblen Phasen auftritt (Abbildung 1.9). Die spontane elektrische Aktivität in der sich entwickelnden Netzhaut ist lokal synchronisiert. In jedem Diagramm ist die Verteilung der Aktionspotential-Salven einzelner Ganglienzellen in der Retina eingetragen. An einem Punkt der Retina beginnen die Neuronen zu feuern. Von diesem Punkt aus werden die benachbarten Neuronen aktiviert und so weiter. Es entsteht eine Welle von elektrischen Aktivitäten die mit ungefähr 5 Sekunden über die Retina wandert. Danach werden in der Retina für 30 Sekunden bis 2 Minuten kaum Aktionspotentiale festgestellt. An einem anderen Punkt der Retina startet dann

wieder die nächste spontane Aktivitätswelle.

t=0.5 t=1.0 t=1.5

t=4.5 t=4.0 t=3.5

t=3.0 t=2.5 t=2.0

Abbildung 1.9: Ein kleiner Ausschnitt der Retina mit Elektroden,die eine Wanderung von Aktivitätswellen aufzeichnen.

Diese spontanen Aktivitätswellen bilden ein räumliches Muster. Benachbarte Neuronen feuern gleichzeitig. Betrachten wir den Überlapp von zwei spontanen Aktivitätsmustern wie es in Abbildung 1.10 dargestellt ist, die von 2 verschiedenen Punkten zu verschiedenen Zeiten aus gestartet sind. Man kann die Nachbarschaft zwischen den Neuronen leicht erkennen. Wenn nun einige Tausende dieser Wellen über die Retina wandern, dann werden alle benachbarten Neuronen ausreichend aktiviert.

t= 0 min Startpunkt 1

t= 2 min Startpunkt 2

Abbildung 1.10: Die Überlagerung von zwei Aktivitätswellenauf der Retina.

Die Wellen breiten sich langsam genug aus (0.1 mm/sec), um nur örtlich begrenzte - aber benachbarte - Areale des Sehzentrums zu aktivieren. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß in den Netzhäuten beider Augen gleichzeitig spontane Aktivitätsmuster auftreten. Somit werden immer nur benachbarte ipsilaterale Säulen der Großhirnrinde aktiviert. Nachdem diese Prozesse abgeschlossen sind, sterben alle Neuronen ab, denen es nicht gelungen ist, an den nachbarschaftserhaltenden Abbildungen teilzunehmen. Es können bis zu 50 % der Neuronen absterben. Danach ist die sensible Phase abgeschlossen. Man darf nicht vergessen, daß die Retina geteilt ist - eine Hälfte schickt die Signale zum contralateralen und die andere Hälfte zum ipsilateralen primären Sehzentrum. Daraus folgt,

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dass durch die spontanen Aktivitätsmuster beide Sehzentren (rechts und links) aktiviert werden.

Großhirnrinde

von der Retina

Thalamus RLRL

Großhirnrinde

von der Retina

Thalamus R L RL

Abbildung 1.11: In der linken Darstellung ist das linke Auge (L) verschlossen, was zu einer Verkümmerung der Dendriten in der Großhirnrinde führt. In der rechten Abbildung führt eine Tetrodoxin-Injektion zu keiner Ausbildung der Augendominanzsäulen. Wenn ein Auge verschlossen wird (in der linken Abbildung 1.11 das linke Auge), dann können die Augendominanzsäulen für das entsprechende Auge nicht - oder nur spärlich entstehen. Wenn durch eine Tetrodoxin-Injektion die Weiterleitung beziehungsweise Entstehung der spontanen Aktivitätsmuster verhindert wird, können sich die Augendominanzsäulen von beiden Augen nicht ausbilden (rechte Abbildung 1.11). Die Axonbäume wuchern wild in das Zielgebiet hinein. Beide Fälle führen zu einer massiven Einbuße der Sehkraft. Damit erklären sich auch die Probleme, die Kinder hatten, wenn die Linsentrübungen (Katarakt) nicht sofort nach der Geburt beseitigt wurden. Im Prinzip gibt es zwei entgegengesetzte Mechanismen: die Kooperation und die Konkurrenz. Zum einen sollen die benachbarten Ganglienzellen der Retina (beziehungsweise des Corpus geniculatum laterale) auf benachbarte Gebiete in das primäre sensorische Sehzentrum projizieren (Kooperation) und zum anderen sollen von beiden Retinahälften die identen Gebiete innerviert werden (Konkurrenz). Durch die synchronen Aktivitätsmuster in der Retina wird der Mechanismus der Kooperation verwirklicht. Andererseits kommt es durch die abwechselnde Aktivität der beiden Augen im Zielgebiet zu einer Konkurrenz um den Nervenwachstumsfaktor. (a) (b) (c) (d)

Abbildung 1.12: Tangentialschnitte des Sehzentrums. Die Säulen werden jetzt zu flächigen Gebieten. Die schwarzen Zielgebiete stammen von dem einen Auge, während die weißen Zielgebiete vom anderen Auge stammen. Wenn man die Neuronen des Sehzentrums, die vom rechten beziehungsweise vom linken Auge innerviert werden, radioaktiv markiert, und dann einen Tangentialschnitt durch das kuppelförmige Areal V1 durchführt (das heißt von oben her), kann man die flächigen Gebiete,

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die mit dem rechten beziehungsweise mit dem linken Auge verbunden sind, leicht erkennen. Die weißen und schwarzen Streifen in der rechten Abbildung 1.12a sind das Ergebnis der unterschiedlichen Innervierungen durch die beiden Augen. Die schwarzen Streifen sind in Abbildung 1.12b bedeutend kleiner, da das rechte Auge zwei Wochen nach der Geburt eines Affen verschlossen wurde Die Aufnahme wurde nach 18 Monaten gemacht und der radioaktive Stoff wurde in das linke Auge injiziert. Das inverse Bild ergibt sich, wenn man dem Affen den radioaktiven Marker in das verschlossene Auge (immer noch rechts) injiziert. Wenn man die einzelnen Schnittbilder - bei nicht verschlossenen Augen - verknüpft, kann man die Augendominanzsäulen rekonstruieren 1.12d. Man kann sehr schön die Strukturen - geschaffen durch Konkurrenz und Kooperation - erkennen. Die Gebiete aus dem selben Auge kooperieren miteinander (jeweils weiß beziehungsweise jeweils schwarz), während die Gebiete aus unterschiedlichen Augen untereinander konkurrieren (schwarz und weiß). Diese Erklärung scheint auch für den somatosensorischen und motorischen Cortex wichtig zu sein. So fand man auch im Rückenmark spontane Aktivitätssalven, die für die Topologie verantwortlich sind. Damit lüftet sich auch das Geheimnis der unterschiedlichen EEG-Bilder bei Japanern und bei Nicht-Japanern bei der Präsentation der selben Laute. Die Sprache der Japaner weist einige interessante Eigenheiten auf. Der gut formulierte, aber komplizierte Satz “Ue o ui, oi o ōi, ai o ou aiueo” enthält ausschließlich Vokale (Die Übersetzung lautet ungefähr: Sich über den Hunger sorgend und sein Alter verschleiernd, sucht er nach Liebe, ein liebeshungriger Mann). Es zeigte sich, daß bis zum 9. Lebensjahr die Verarbeitung der Sprachlaute abgeschlossen ist. Die beiden Hemisphären des Gehirns sind auf unterschiedliche Geräusche spezialisiert. Die linke Hälfte beschäftigt sich mit der Sprachverarbeitung, während die rechte Hälfte für die allgemeine Geräuschwahrnehmung verantwortlich ist. Da im Japanischen, die harten Laute - wie zum Beispiel das Zirpen einer Grille - größtenteils als nichtsprachliche Geräuschinformation verarbeitet werden, zeigt sich in der rechten Hemisphäre eine erhöhte Aktivität. Umgekehrt sind in vielen europäischen Sprachen harte Laute vertreten und damit werden die Grillenlaute in der linken Hemisphären - scheinbar als Sprache - verarbeitet. Die durch die Prägung entstehenden Gebiete bleiben ein Leben lang erhalten. Allerdings ist es möglich, daß sich durch Training diese Gebiete - vor allem in der inneren Struktur - noch etwas verändern können. Dafür ist es aber notwendig, daß ausreichend Neuronen zur Verfügung stehen, das heißt, wenn sich die Gebiete nicht korrekt entwickeln konnten und die Neuronen abgestorben sind, dann kann auch das beste Training nicht weiterhelfen.

Ein Affe wurde trainiert eine Aufgabe durchzuführen, bei der er häufig die Spitzen des zweiten und dritten, gelegentlich auch des vierten, Fingers einsetzen musste. Durch das Training vergrößerten sich die jeweiligen Gebiete des somatosensorischen Areals. Die Abbildung 1.13 stellt die Repräsentation der Fingerspitzen vor Trainingsbeginn (Abb. 1.13oben) im Vergleich zur Phase nach der starker Stimulation (Abb. 1.13unten) dar. Abbildung 1.13: Die sensorischen Felder, die

mit den Fingerspitzen korrespondieren.

___________________________________________________________________________________ Brain Modelling I 11

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Wie man leicht in Abbildung 1.14 erkennen kann, verändert sich die Größe der Neuronen, die Zahl der Synapsen und die Verästelung der Dendriten über einen größeren Zeitraum. Abbildung 1.14: Die Entwicklung der Großhirnrinde (Broca-Areal) auf zellulärem Niveau zum Zeitpunkt der Geburt (A), nach einem Monat (B), nach 3 Monaten (C), nach 6 Monaten (D), nach 15 Monaten (E), und nach 24 Monaten (F).

Synapsenwachstum im visuellen Cortex

0 2 4 6 7 10 Zeit in Jahren 20

Synapsenwachstum im Stirnlappen

Abbildung 1.15: Das Synapsenwachstum im visuellen Cortex, beziehungsweise im Stirnlappen. Die Entwicklung des menschlichen Gehirns ist erst nach der Pubertät abgeschlossen. Manche Gebiete werden erst sehr spät in das Netzwerk Gehirn integriert. Zum Beispiel der Hippocampus. Diese Struktur ist für unser deklaratives Lernen verantwortlich. Die meisten Menschen erinnern sich praktisch kaum an erlebte Fakten vor dem 3. Lebensjahr - der Hippocampus wird erst zu diesem Zeitpunkt “angeschlossen”. So kann der Zustand der Myelinisierung (Abbildung 1.16) der Axone über den Entwicklungsstand der einzelnen Rindenareale Auskunft geben. Die dunklen Areale werden früh, die hellgrauen später und die weißen sehr spät (bis in die Pubertät hinein) myelinisiert. Auch das Synapsenwachstum (Abbildung 1.15) ändert sich und ist erst nach 20 Jahren abgeschlossen. Trotzdem können zu einem späteren Zeitpunkt immer noch Synapsen wachsen, beziehungsweise modifiziert werden.

Abbildung 1.16: Der Myelinisierungsgradder Axone in verschiedenen Gebieten derGroßhirnrinde.

___________________________________________________________________________ Welches der Prinzipien gibt es bei der Entwicklung des somato-sensorischen Areals (Kooperation bzw. Konkurrenz)? Begründung. Was versteht man unter einer somato-sensorischen Karte ?

___________________________________________________________________________________ 12 Entwicklung des Nervensystems

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In welchen Schritten entwickelt sich das Nervensystem? Was bewirkt der Nervenwachstumsfaktor? Welche Effekte können durch die Entwicklung des Nervensystems beschrieben werden? Was versteht man unter dem Phänomen Kooperation und Konkurrenz bei der Entwicklung des Nervensystems? Was bewirken spontane Aktivitätswellen in der Retina? Wann ist die Entwicklung des Nervensystems abgeschlossen?

___________________________________________________________________________________ Brain Modelling I 13

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Selbstorganisierende Karten 2.0 Selbstorganisierende Karten Zur Entwicklung des Nervensystems gibt es noch einige interessante Fragen. Die Retina der beiden Augen ist jeweils eine runde Fläche. Die Neuronen der halben Retinafläche projizieren auf den primären visuellen Cortex, der eher rechteckig ist. Für den somatosensorischen Cortex wird dieser Sachverhalt schon etwas komplizierter. Die Oberfläche des menschlichen Körpers - die Haut - ist ein zweidimensionales Gebilde in einer dreidimensionalen Welt. Wie wird ein solches - zumal komplexes - Gebilde auf ein zweidimensionales rechteckige Gebiet projiziert, wobei die Nachbarschaft erhalten bleiben soll. Um diese Frage zu klären, können wir den Kohonen-Algorithmus benutzen. Dieser Netzwerkstyp wurde erstmals von Christoph von der Malsburg vorgestellt. Aber erst rund 15 Jahre später konnte Teuvo Kohonen durch einige von ihm vorgeschlagene Vereinfachungen dem Algorithmus zum Durchbruch verhelfen. Der Algorithmus zeichnet sich dadurch aus, daß er ohne Lehrervorgaben auskommt und ziemlich stark versucht die Biologie zu implementieren. Das Verfahren kann lernen, ohne daß ein externen Input notwendig ist. Mit ihm können einige Fragen zur Entwicklung des Nervensystems geklärt werden. Christoph von der Malsburg ging von drei weitgehend akzeptierten Grundannahmen aus: (1) Die Verbindungsstellen zwischen den Neuronen verändern ihre Wirksamkeit aufgrund

beider Verbindungspartner. Diese Regel, die bereits Donald O. Hebb bereits 1949 vorgeschlagen hat, bildet die Basis für die Lernfähigkeit biologischer Netze.

(2) Neuronale Aktivität breitet sich nicht nur in die nächstfolgende Schicht, sondern auch

innerhalb der eigenen Schicht ein kleines Stück seitwärts aus. (3) Kortikale Neuronen und ihre Verbindungsstellen konkurrieren miteinander. Neuronen

mit stärkerer Erregung unterdrücken die schwächeren. Im Extremfall unterdrückt das Neuron mit der maximalen Erregung alle anderen Neuronen.

Auf ähnlichen Überlegungen basieren zahlreiche neuere Modelle. Ein wesentlicher Vorteil dieses Netzwerktyps ist, daß die Struktur der Karte allein durch Präsentation von Beispielreizen entsteht, ohne daß ein Lehrer Auskunft über den bisherigen Erfolg des Lernens geben müsste. Eine Karte besteht aus N Neuronen, die sich durch eine wohldefinierte

___________________________________________________________________________________ 14 Entwicklung des Nervensystems

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Nachbarschaft (ein-, zwei- oder mehrdimensional) auszeichnen. Das heißt, jedes Neuron hat eine bestimmte Anzahl von Nachbarn, die beim Lernen beeinflusst werden. Bei einem zweidimensionalen Netz besitzt jedes Neuron typischerweise vier Nachbarneuronen.

Körpergröße

Körpergewicht Schicht 1 ⇒ Schicht 2 Abbildung 2.0: Die Darstellung von zwei selbstorganisierenden Karten. Die 1. Schicht dient der Eingabe, während in der 2. Schicht die eigentliche Verarbeitung stattfindet. Die Dimensionen der einzelnen Schichten können unterschiedlich ausfallen. Die zweite Schicht ist die relevante Schicht in der aktive Erkennungsprozesse ablaufen. Die erste Schicht stellt nur die Eingabeschicht dar. Jedes Neuron der Eingabeschicht projiziert auf jedes Neuron der 2. Schicht (verarbeitenden Schicht). Jedes Neuron der verarbeitenden Schicht steht - nur im vereinfachenden Sinn - für eine spezielle Eigenschaft. Natürlich ist es möglich, daß die Zahl der Neuronen der Eingabeschicht unterschiedlich zur Anzahl der Neuronen in der 2. Schicht ist. Jedes Neuron der Eingabeschicht (1. Schicht) besitzt einen Wert xk mit k=1,...,p. Die nachbarschaftliche Beziehung in der Eingabeschicht ist egal. Damit ist ein Eingabevektor xv definiert. Betrachten wir eine zweidimensionale verarbeitende Schicht. Wesentlich ist die nachbarschaftliche Beziehung der Neuronen der 2. Schicht. Jedes Neuron hat vier Nachbarn. Ein Neuron ist somit durch seine Position i, j mit i=1,...,n (Anzahl der Spalten) und j=1,...,m (Anzahl der Reihen) definiert. Jedes Neuron verfügt über interne Werte - wk

ij mit k=1,...,p , die als Gewichte bezeichnet werden. Damit ist ein Gewichtsvektor ijwv definiert.

___________________________________________________________________________________ Brain Modelling I 15

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w14,3

... wp

4,3

w13,3

... wp

3,3

w12,3

... wp

2,3

w11,3

... wp

1,3

p

1

x

xK

i

Eingabevektor

w14,1

... wp

4,1

w13,1

... wp

3,1

w14,2

... wp

4,2

w13,2

... wp

3,2

w12,2

... wp

2,2

w11,2

... wp

1,2

w11,1

... wp

1,1

w12,1

... wp

2,1

j

Abbildung 2.1: Eine selbstorganisierende Karte, mit einer 4×3 verarbeitenden Schicht und einem p-dimensionalen Eingabevektor. Beim Neuron (3-2) sind die Nachbarn eingezeichnet. Der Eingabevektor und die jeweiligen Gewichtsvektoren besitzen einen Abstand. Der Kehrwert des Abstandes entspricht der Aktivität des i,j-ten Neurons. Die Aktivität wird folgendermaßen bestimmt:

1/ ∑=

=−p

1k

2ijkk Aktivität)wx( des i,j-ten Neurons 2.1

Wenn also der Abstand minimal ist, dann ist die Aktivität am größten. Aus praktischen Gründen verwendet man nicht den Kehrwert, sondern den direkten Abstand - man muß dann nur berücksichtigen, daß das Neuron mit dem geringsten internen Zustand die maximale Aktivierung besitzt. Am Anfang sind die Skalare der Gewichtsvektoren m,nj,i1,1 w,...,w,...,w vvv i=1,...n und j=1,...m absolut zufällig mit Werten zwischen 0 und 1 belegt, das heißt [ ]1 ,0w ij

k ∈ mit k=1,...,p. Das Prinzip das hier angewandt wird heißt "the winner takes ist all". Es kann nur ein Neuron bei dem die jeweiligen Gewichte zum Eingabevektor den geringsten Abstand besitzen.

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Eingabe für das Neuron: Gewichte des Neurons:

w2≙Körpergröße x2=Körpergröße

x1=Körpergewicht w1≙Körpergewicht

Übergewicht

Unterge-wicht

Ideal- gewicht

1.0

1.0

1.0

1.0 Abbildung 2.2: Die Äquivalenz des Eingaberaums und des Gewichtsraums. Betrachten wir wieder ein einfaches Beispiel - das Gewichtsproblem. Die Eingabeschicht besteht aus zwei Neuronen, dem Neuron für das Körpergewicht und einem Neuron für die Körpergröße. Jedes Neuron der 2. Schicht bekommt beide Informationen aus der 1.Schicht - das Körpergewicht und die Körpergröße. Umgekehrt stellen die Gewichte der Neuronen der 2. Schicht auch eine Position im Gewichtsraum dar (im 2-dimensionalen Raum kann man sich das leicht vorstellen). Die Position des Neurons im Gewichtsraum entspricht der Position im Eingangsraum. Eine Person mit dem Idealgewicht würde dem Neuron - dargestellt durch einen Kreis mit Punkt - im Gewichtsraum darstellen. Wie durch den Beweis von Papert und Minsky bekannt ist, kann ein Neuron die Eingabe nicht in drei Gebiete unterteilen. Es werden mehr Neuronen benötigt.

Die Neuronen der verar-beitenden Schicht kön-nen auf die unterschied-lichste Weise angeord-net werden. So ist es möglich, daß die Neu-ronen aufgefädelt sind, wie auf einer Perlen-schnur. Jedes Neuron hat nur zwei Nachbarn (eindimensionale Topo-logie). Andererseits kön-nen die Neuronen auch auf einem Gitter liegen, wobei die Neuronen 4 Nachbarn haben - mit Ausnahme der Neuronen am Rand. Die Zahl der Neuronen, die man verwendet, hängt stark vom Problem ab.

x2 x2

x2x2

x1

x1 x1

x1

Abbildung 2.3: Unterschiedliche Nachbarschaften mit einer unterschiedlichen Anzahl von Neuronen.

Natürlich sind auch andere Strukturen und Topologien möglich - der Phantasie sei keine Grenzen gesetzt. Aus praktischen Grenzen verwendet man fast nur ein- oder zwei-

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dimensionale Netze. Nur für ganz wenige Anwendungen sind drei-dimensionale Netze notwendig und sinnvoll (Rechenzeit). Damit stellt sich die Frage, wie die Neuronen zu ihren internen Werten - den Gewichten - kommen. Für unser Beispiel wäre es leicht möglich die Gewichte anzugeben, ohne daß man viel rechnen muss. Aber in der Regel ist dies nicht so einfach, da der Eingabevektor ziemlich hochdimensional sein kann. Damit ist es nicht mehr möglich, den Eingaberaum aufzuzeichnen. Normalerweise bleiben die Neuronen der zweiten Schicht wie auf einer Perlenkette oder auf eine Netz angeordnet. Es gibt nur sehr wenige Anwendungen, bei denen es Sinn macht, eine höherdimensionale Nachbarschaft zu definieren. Betrachten wir also wieder unser Gewichtsproblem mit 3 Neuronen, die auf einer Perlenkette aufgefädelt sind.

Am Anfang werden die Gewichte der Neuronen der 2. Schicht zufällig ge-wählt (linke obere Ab-bildung). Dann wird den Neuronen ein Beispielreiz (graues Kreuz) präsentiert und der Abstand zwi-schen den 3 Neuronen und dem Beispielreiz be-stimmt (rechte obere Ab-bildung). Das Neuron mit dem geringsten Abstand (Neuron 1) ist der Gewinner. Seine Position - sprich seine Position im Gewichtsraum - wandert nun ein Stück in Richtung des Beispielreizes. Der nächste Nachbar - egal wie weit er weg ist - wandert auch etwas in Richtung des Beispiel-reizes. Das Neuron mit dem kleinsten Abstand

(the winner), ändert seine internen Werte - die Gewichte folgendermaßen:

x2=w2≙Körpergröße x2=w2≙Körpergröße

x1=w1≙Körpergewicht

3

2

1

x1=w1≙Körpergewicht

1.0

1.0

x2=w2≙Körpergröße

3

21

1.0

1.0

x2=w2≙Körpergröße

x1=w1≙Körpergewicht

3

2

1

1.0

1.0

x1=w1≙Körpergewicht

3

2

1

1.0

1.0

Abbildung 2.4: Die Darstellung von 3 verbundenen Neuronen, die sichdurch ein Eingabemuster verändern.

wk

i(t+1) = wki(t) + γ (xk-wk

i(t)) 2.2 Der Lernparameter γ wird so eingestellt, daß die Gewichtsänderung nicht zu heftig ausfällt - also kleiner als 1 ist - und nicht zu klein ist, damit das Lernen nicht zulange dauert. Also sollte für γ gelten: 0.2 < γ < 0.4. Natürlich ist dieser Wert nur ein Richtwerte - er kann von Problem zu Problem verschieden sein. Für die unmittelbaren Nachbarn ergibt sich w k

i ± 1(t+1) = w ki ± 1(t) + α . γ . (x k-w k

i ± 1(t)) 2.3 Da sich die unmittelbaren Nachbarn etwas weniger verändern sollen, wird ein zusätzlicher Lernparameter α eingeführt. Für ihn gilt das selbe wie für γ. Man sollte aber nicht vergessen, daß die beiden Lernparameter α und γ multipliziert werden. Damit kann α sogar etwas größer als γ ausfallen. Da wir eine Kette von Neuronen vorliegen haben, gibt es nur einen Ordnungsparameter i für die Neuronen. Wenn ein Netz von Neuronen gegeben wäre, das

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heißt jedes Neuron hätte vier Nachbarn, dann wäre die Änderung der Gewichte für die Nachbarn durch folgende Formel gegeben: w k

i ± 1 j ± 1(t+1) = w ki ± 1 j ± 1(t) + α . γ . (x k-w k

i ± 1 j ± 1(t)) 2.4 Nun werden dem Netzwerk viele Reize der Reihe nach präsentiert. Dadurch kommt es zu einer Veränderung der Gewichte. Wenn die Reize geklustert sind, dann werden sich die Neuronen nach dem Schwerpunkt der Kluster ausrichten. Im optimalen Fall gibt es dann für jeden Kluster (auch Gebiet oder Gruppe) ein Neuron. Wenn die Daten eher kontinuierlich verteilt sind - so wie in diesem kleinen Beispiel - dann übernimmt für jeden Bereich (entspricht benachbarten Klusters) ein Neuron die Verantwortung, wobei die Grenze natürlich willkürlich gezogen wurde. Wenn die Nachbarschaften etwas komplizierter ausfallen, kann es notwendig sein, daß für ein Bereich mehrere Neuronen notwendig sind. Wenn der Algorithmus die Beispielreize verarbeitet hat, dann sind die Neuronen, oder besser gesagt, die Gewichte der Neuronen, wie in der Abbildung 2.6 links unten, verteilt. Neuron 1 ist für die Untergewichtigen, Neuron 2 für die Normalgewichtigen und Neuron 3 für die Übergewichtigen verantwortlich. Wenn die Neuronen aber am Anfang anders gelegen wären, siehe dazu die Abbildung 2.6 rechts unten, würde das Ergebnis etwas anders aussehen. Die Neuronen wären zwar genauso verteilt, aber die Enden wären vertauscht. Das heißt Neuron 1 würde den Bereich von Neuron 3 abdecken und umgekehrt. Das kann natürlich von vornherein nicht bekannt sein. Aus diesem Grund muss noch festgestellt werden, was das Netz gelernt hat. Für jeden wesentlichen Bereich gibt es einen (hoffentlich) typischen Beispielreiz. Für jeden Beispielreiz pro Bereich gibt es - wenn man alles richtig gemacht hat - ein Neuron, das am aktivsten ist. Diese Zuordnung muss extern durchgeführt werden. Das Gehirn löst dies auf eine eigene sehr interessante Weise, wie man im Kapitel über das Arbeitsgedächtnis lesen kann. Wenn ein Neuron für zwei Bereiche anspricht, dann sind entweder zuwenig Neuronen für das Problem vorhanden, oder das Netz hatte zu wenig Zeit zu lernen.

Gewichts- veränderung

Winner

Sombrerofkt.

Gewichts- veränderung

Benachbarte Neuronen

Gaußkurve

Winner Abbildung 2.5: Die Gewichtsänderung nach Kohonen bei den benachbarten Neuronen und die Gewichtsveränderung mit der Sombrerofunktion. Der Unterschied zwischen dem von der Malsburg- und dem Kohonen-Algorithmus besteht in der Veränderung der Gewichte der Nachbarn. Bei von der Malsburg wurden alle Gewichte der Neuronen verändert. Der Gewinner - das Neuron mit der höchsten Aktivität - wurde am meisten verändert. Der Lernparameter γ wurde durch eine Gaußkurve ersetzt, wodurch alle anderen Gewichte der Neuronen - auch die sehr weit entfernten - verändert wurden. Aber ab einem bestimmten Abstand ist die Änderung so gering, daß die Gewichtsänderung nicht mehr ins Gewicht fällt. Dadurch, daß Kohonen nur die nächsten - manchmal auch die übernächsten Neuronen - bei der Gewichtsänderung berücksichtigte, konnte er gewaltig an Rechenkapazität sparen und interessante Anwendungen realisieren. Eine interessante Innovation besteht in der Verwendung der Sombrerofunktion - beziehungsweise der diskreten Sombrerofunktion. Die übernächsten Nachbarn werden nicht zum Testreiz hingezogen, sondern sie werden sogar

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etwas weggedrängt. Dies führt zu einer rascheren Ausbreitung der Gewichte über dem Zielraum. Der Kohonen-Algorithmus beschreibt selbstorganisierende Eigenschaftskarten. Ähnliches wird auf Ähnliches abgebildet. Dies ist praktisch ident mit den sensiblen Phasen bei der Entwicklung des Nervensystems. Die betreffenden Regionen werden mit nachbarschaftserhaltenden Informationen gefüttert und nach einiger Zeit sprechen nur mehr die richtigen Neuronen darauf an. Genauso wie beim Kohonen-Algorithmus sprechen auch benachbarte Neuronen auf ähnliche Reize an. Der Algorithmus versucht “nur” Ähnlichkeiten wiederzuerkennen.

Auf der rechten Graphik erkennt man den Unterschied zwischen einer eindimensionalen (oben) und einer zweidimensionalen Nachbarschaft (unten) von Neuronen. Angenommen, die Neuronen im Kohonennetzwerk besitzen nur zwei interne Parameter. Dann lassen sich diese Parameter sehr schön graphisch darstellen. Die Perlenkette beziehungsweise das Netz soll nun in das gebogene Gebiet abgebildet werden. Es werden dem Netzwerk nun rein zufällig beliebig viele Koordinaten aus dem Gebiet des Kreissegmentes dargeboten. Da ein Neuron in Richtung der Eingabeaktivierung "gezogen" wird und dies für alle Neuronen gilt, wird nach endlicher Zeit das gesamte Gebiet der Figur optimal überdeckt. Bei der perlenkettenartigen Struktur zeigt sich ein Mäander, der den Raum versucht zu überdecken. Es gibt aber Raumgebiete,

die benachbart sind, für die aber relativ weit entfernten Neuronen verantwortlich sind (Pfeile).

Abbildung 2.6: Der Unterschiedzwischen einer ein- und zwei-dimensionalen Map, die ein Kreissegmentausfüllt.

Wenn ein zweidimensionales Netz aufgespannt wird, dann werden tatsächlich benachbarte Gebiete des Kreissektors von benachbarten Neuronen des Netzwerkes repräsentiert. Allerdings gibt es Bereiche die überrepräsentiert sind (der untere Bereich des Kreissegmentes). Dies hängt mit der Zahl der Neuronen zusammen. Betrachten wir den somatosensorischen Cortex. Dieses Gebiet ist von oben betrachtet ziemlich rechteckig und die Neuronen sind in diesem Areal relativ gleichmäßig verteilt. Wenn nun vom somatosensorischen Bereich des Thalamus die Axone in dieses Gebiet einströmen und mit den einzelnen Neuronen des somatosensorischen Cortex Kontakt aufnehmen, dann muss die Nachbarschaft erhalten bleiben, das heißt die Neuronen, die benachbart im Thalamus sind, müssen ähnlich-benachbarte Neuronen in der Rinde aktivieren. Anders formuliert, für jedes Gebiet das der Thalamus innerviert, ist ein Neuron - beziehungsweise eine kleine Neuronengruppe - verantwortlich. Der Unterschied zum Kohonenalgorithmus besteht nun darin, daß die Neuronen im Gehirn ihren inneren Zustand - die Gewichte - nicht verändern können. Dies gilt nur für dieses spezielle Problem. Die Neuronen können natürlich über die synaptische Plastizität die Gewichte verändern. Aber, für das Problem der Entwicklung des Nervensystems ist die tatsächliche Position des Neurons wichtig. Beim Kohonenalgorithmus wird die Position des Neurons über den abstrakten Gewichtsraum angezeigt. Das heißt jedes Neuron hat 2 Eingänge und 2 Gewichte. Über die Gewichte wird eine abstrakte Position definiert. Diese Position hat nichts über die tatsächliche physikalische Position der Neuronen zu tun. Trotzdem kann der Kohonenalgorithmus helfen, das Gehirn zu erforschen.

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So gibt es im Gehirn sehr wohl nachbarschaftsverletzende Abbildungen. Wenn das Zielgebiet sehr stark von einem Quadrat abweicht und es ein sehr langgezogenes Rechteck wird, dann kommt es zu Einschnürungen. Abbildung 2.7: Wenn ein Rechteck zu stark gestreckt ist, dann treten Einschnürungen auf. Diese Einschnürungen sind das Resultat des Algorithmus, da er versucht das Zielgebiet optimal zu überspannen. Dies gelingt ihm auch, aber leider kommt es zu Unstetigkeiten. Ein kleiner Schritt im Eingangsraum (das Rechteck) über die Falte (Pfeile) führt zu einem großen Sprung über viele Neuronen im Zielraum der Neuronen (Punkte). Um dies zu vermeiden müssten weniger Neuronen beteiligt sein. Abbildung 2.8: Die rechte Retinahälfte, die ein Gehirn sieht. Im primären visuellen System (links) werden Teile des gesehenen Gehirns stark gestaucht beziehungsweise verkleinert. Wichtig ist, daß der zentrale Bereich stark vergrößert wird. Bei der visuellen Wahrnehmung kommt es zu einer Dehnung und Stauchung. In der Graphik oben ist die rechte Retinahälfte dargestellt und in Segmente unterteilt. Dieses Bild wird dann in den visuellen Cortex der linken Hirnhälfte projiziert (linke Graphik). Manche Bereiche werden stark vergrößert, wie zum Beispiel das zentrale Gesichtsfeld. Umgekehrt werden Bereiche im peripheren Sehfeld verkleinert, das heißt es gibt weniger Neuronen, die die visuellen Reize verarbeiten können. Die Verzerrungen sind bei Primaten logarithmisch. Im primären visuellen Cortex kommt es noch nicht zu Unstetigkeiten in der Abbildung.

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Rindenareal A18 Rindenareal A17 Retinahälfte

Abbildung 2.9: Über die Retina wird ein Strichmännchen wahrgenommen. Dieses Strichmännchen wird im Areal 17 leicht deformiert und im Areal 18 so stark deformiert, daß Sprünge in der Abbildung auftreten. Eine simulierte Katze sieht ein Strichmännchen in der rechten Hälfte ihres Gesichtsfeldes (linke Graphik). Die Zielgebiete in ihrem Cortex sind Ellipsen mit zunehmenden Verhältnis der Halbachsen, was den wesentlichen Eigenschaften der Areale A17-A19 einer echten Katze entspricht. In dem wenig gekrümmten Areal (mittlere Graphik 2.9) tritt noch keine Felddiskontinuität auf - wir haben ein Seitenverhältnis von 1:2, wohl aber in Rindenareal 18, das ein Seitenverhältnis von 1:20 besitzt (rechte Graphik 2.9). In dem stark gekrümmten Zielgebiet ist die Falte sehr tief und das Strichmännchen ist gänzlich zweigeteilt (abgesehen vom Stock). Deshalb ist der Rumpf des Strichmännchens aufgerissen - es ist nicht möglich den Rumpf kontinuierlich durchzuzeichnen. Karten können so verzerrt sein, daß Nachbarschaften verletzt werden können. In neurophysiologischen Experimenten wurden Karten im visuellen System vermessen. Bewegt sich ein Reiz kontinuierlich durch das Gesichtsfeld, dann verläuft die dadurch hervorgerufene Erregungsspur ebenfalls auf einer ununterbrochenen Linie durch die Areale V2 und V3 (gehören zum Sehzentrum). Wenn der Reiz jedoch den äußeren Teil der horizontalen Bildhalbierenden kreuzt, läuft die Erregungsspur zunächst am Rand des Areals, macht dann wenn der horizontale Meridian erreicht ist, am Rand einen Sprung und läuft an einer anderen Stelle wieder in das Areal hinein (Felddiskontinuität). Bisher wurden nur Netze betrachtet, die eine geringe Eingabevektorlänge besessen haben - in der Regel nur 2 unterschiedliche Eingaben (x-y oder Körpergewicht-Körpergröße). Die Kohonennetzwerke zeigen ihre Stärke aber auch bei extrem hochdimensionalen Eingängen. Wenn zum Beispiel ein Bild mit 25×25 Pixel analysiert werden sollte, dann besitzt der Eingabevektor 625 Elemente - es liegt ein 625-dimensionaler Raum vor. Dass man diesen Raum nicht einfach aufzeichnen kann, beziehungsweise, daß man ihn sich nicht vorstellen kann, versteht sich von selbst. Aber Bilder welche ähnliche Merkmale aufweisen, sind in diesem Raum benachbart - oder anders ausgedrückt - sie bilden einen Cluster. Mit einem solchen Netz ist es relativ einfach solche Cluster zu finden.

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Bei der rechten Graphik 2.10 besitzt der Eingabevektor mehrere Einheiten (höherdimensionaler Raum). Dennoch verwendet man ein Netz aus Neuronen mit einer zweidimensionalen Nachbarschaft. In der Regel reicht dies aus, um höherdimensionale Räume zu untersuchen. Man sieht, das ähnliche Reize (durch Zahlen, beziehungsweise durch Graustufen dargestellt) gemeinsame Gebiete formen. Es gibt Bereiche die mehrmals vorhanden sind. das heißt, es gibt zwei unabhängige nicht benachbarte Gebiete, die in der Interpretation die selbe Bedeutung haben, wie zum Beispiel die 5 in der Abbildung 2.10. Natürlich liegt es beim Betrachter, wie viele Cluster man

haben möchte. Theoretisch wäre es möglich die Eingabe mit dem Netz aus Graphik in 96 unterschiedliche Bereiche zu unterteilen, da 12×8 Neuronen vorhanden sind. Aus praktischen Gründen liegt aber die Zahl der Muster meistens deutlich darunter, da die Gebiete meistens nicht linear nebeneinander liegen - aber wenn man Muster hat, die linear nebeneinander liegen, dann benötigt man kein technisches Netzwerk.

i →

15 14 14 17 17 13 13 19 19 12 12 12

15 15 16 16 18 18 18 19 19 20 21 2115 15 16 16 17 18 18 19 19 20 21 21

9 9 10 10 8 8 8 11 11 5 5 6 14 14 14 10 13 13 13 11 11 12 12 12

9 9 10 10 8 8 8 4 4 4 6 6 1 1 7 7 2 3 8 4 4 5 5 6 1 1 1 2 2 3 3 4 5 5 5 5

j ↓

Abbildung 2.10: Eine zweidimensionale Kohonen-Map, die die Eingabevektoren in 21 Gebiete unterteilt.

___________________________________________________________________________ Was ist der Unterschied zwischen einer Kohonen-Map und einer Malsburg-Map ? Welche Grundannahmen setzte Christoph von der Malsburg voraus? Wie funktioniert eine Kohonen-Map? Warum ist eine Kohonen-Map unbiologisch? Was passiert, wenn das Seitenverhältnis einer Karte zu groß wird?

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Aufbau des Gehirns Das menschliche Gehirn kann funktionell, anatomisch und zytologisch in verschiedene Gebiete unterteilt werden. Für die Modellierung ist es wichtig, diese einzelnen Gebiete zu kennen. Leider kennen wir nicht von allen Gebieten den exakten Aufbau, aber meist wissen wir, wofür ein Gebiet zuständig ist. Diese Information erhielt man oftmals durch Erkrankungen des Gehirns. Tumore, Hirnhautentzündungen und Schlaganfälle führen zu typischen Zerstörungen des Gehirns. Leider sind diese Zerstörungen meist nicht punktuell, sondern flächenhaft. Deshalb muss man sehr vorsichtig mit diesen Daten umgehen. 3.0 Die Teile des Gehirns Das Gehirn untergliedert sich in fünf große Bereiche: • das verlängerte Rückenmark (Myelencephalon) • das Hinterhirn auch Rautenhirn (Metencephalon oder Rhombencephalon) • das Mittelhirn (Mesencephalon) • das Zwischenhirn (Diencephalon) • das Endhirn (Telencephalon) Das Myelencephalon oder auch das verlängerte Rückenmark hat die Aufgabe Signale vom Gehirn zum Körper und umgekehrt weiterzuleiten. Das Metencephalon (Hinterhirn) kann man wieder in zwei Bereiche unterscheiden. Ein Bereich ist die Pons (Brücke). Der andere Bereich ist das Kleinhirn (Cerebellum). Das Kleinhirn besitzt eine stark gefaltete Rinde. Die Aufgabe des Kleinhirn besteht in der Kontrolle des sensomotorischen Systems. Wenn das Kleinhirn ausfällt, dann ist die präzise Bewegungskoordination und die motorische Anpassung eingeschränkt.

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Abbildung 3.1: Das Gehirn lässt sich in verschieden Bereiche unterscheiden. In der Darstellung links sind auch die 4 Gehirnventrikel im Querschnitt gut erkennbar. Das Mesencephalon (Mittelhirn) lässt sich wieder in mehrere funktionelle Einheiten unterscheiden. Zum einen gibt es das Tectum, das zwei paarige Ausbeulungen besitzt. Das hintere Paar - Colliculus inferior dienen der Hörverarbeitung, das vordere Paar - Colliculus superior - unterstützt die Sehverarbeitung. Durch diese beiden Kerne wird die Seh- und Hörinformation unabhängig von anderen Arealen verwaltet. Im Tectum werden keine komplexen Muster verarbeitet, es wird nur eine grobe Abschätzung über die Umwelt getroffen. Damit kann rasch auf mögliche Umweltbedrohungen reagiert werden - manchmal werden dann aber auch harmlose Umweltreize als gefährlich eingestuft, da das System nur mit sehr einfachen Mustern umgehen kann. Der zweite große Bereich des Mittelhirns ist das Tegmentum. Teile der Formatio Reticularis ziehen durch das Tegmentum, das auch noch über mehrere Kerne verfügt: Die Substantia grisea centralis, die Substantia nigra und der Nucleus ruber. Die Substantia grisea centralis scheint eine wesentliche Rolle bei der Übermittlung schmerzreduzierender Wirkungen von Opiaten zu spielen. Für die Steuerung von motorischen teilrhythmischen Bewegungen ist die Substantia nigra zuständig. Auch der Nucleus ruber hat Einfluss auf das sensormotorische System. Das Diencephalon (Zwischenhirn) umfasst zwei Strukturen, zum einen den Thalamus, zum anderen Hypothalamus. Der Thalamus umfasst verschiedene Kerne. Viele dieser Kerne dienen als Schaltstelle für sensorischen Input. Die vorverarbeiteten Signale werden dann in die Großhirnrinde weitergeleitet. Der Thalamus besitzt aber auch noch einige unspezifische Kerne, die der Modulation der Synchronisation in der Großhirnrinde dienen. Über diese Kerne werden auch verschiedene Rindenareale miteinander verschaltet. Der Hypothalamus enthält eine Vielzahl von Kernen, die der Steuerung motivationaler Zustände dienen. Über diese Kerne kann die Hypophyse zur Hormonfreisetzung angeregt werden. Über die Hypophyse kann der Hormonspiegel im Blut geregelt werden, umgekehrt kann aber auch der Hormonspiegel die Hypophyse und die damit verbundenen Gehirnstrukturen beeinflussen. Die Funktion der Mamillarkörper - zwei Kerne des Hypothalamus - ist bisher heute leider noch nicht geklärt. Als besonders wesentlich ist die Formatio Reticularis zu erwähnen. Dieser Bereich fasst ungefähr 100 Kerne vom verlängerten Rückenmark bis zum Mittelhirn zusammen. Die Formatio Reticularis wird auch manchmal als aufsteigendes reticuläres Aktivierungssystem bezeichnet (ARAS). Diese Kerne scheinen für die Steuerung der Aufmerksamkeit, des Schlafes und Herz- Kreislaufreflexe zuständig zu sein. Die genaue Funktion vieler Kerne ist

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bis heute noch nicht geklärt - wenn allerdings einzelne Kerne beschädigt werden, dann kann dies zu beträchtlichen Schädigungen (Autismus) führen. Abbildung 3.2: Eine dreidimensionale Darstellung verschiedener Bereiche des Gehirns. Das Telencephalon oder auch Endhirn stellt den größten Bereich des Gehirns dar. Die Großhirnrinde oder auch der Neokortex dient der Speicherung und Verarbeitung aller einlangenden Informationen (siehe Kapitel Großhirnrinde). Die unterschiedlichen Bereiche der Großhirnrinde sind durch Faserverbindungen miteinander verbunden. Diese Verbindungen stellen den größten Teil des Volumens des menschlichen Gehirns dar. Ein Teil der Großhirnrinde ist der Hippocampus, der sich allerdings wesentlich von der übrigen Rinde unterscheidet. Die Hippocampusformation ist anders aufgebaut, als die Großhirnrinde, und sie dient ausschließlich der Gedächtniskonsolidierung. In vielen Lehrbüchern wird die Hippocampusformation als Teil des limbischen Systems angesehen. Zum limbischen System wir die Amygdala, der Gyrus cinguli (ein Bereich der Großhirnrinde), der Fornix, das Septum und die Mamillarkörper angesehen. Diese Kerne und Rindenareale sind sehr stark miteinander verbunden. Deshalb spricht man auch von einem System. Allerdings hat der Hippocampus eine andere Aufgabe als manche übrigen Kerne. So dient der Hippocampus der Gedächtnisspeicherung, während die Amygdala (Mandelkernkomplex) der Verarbeitung von Emotionen dient. Von manchen Kernen ist die Wirkungsweise noch nicht bekannt, beziehungsweise höchst umstritten (Mamillarkern). Zum Teil findet auch die Geruchsverarbeitung im limbischen System statt. Ob die Bezeichnung limbisches System noch aufrecht erhalten werden kann, wird sich zeigen. So ist der Hippocampus eine spezielle Faltung der Großhirnrinde, die zwar wichtige Verbindungen zum limbischen System hat, aber dennoch seine Hauptverbindung in die Großhirnrinde hat.

Abbildung 3.3: Die Kerne, Gebiete der Großhirnrinde undFaserzüge des limbischen Systems.

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Abbildung 3.4: Dreidimensionale Darstellung verschiedener Strukturen des Gehirns. Links erkennt man die verschiedenen Bereiche des limbischen Systems, rechts sind die Basalganglien gezeichnet. Zum Telencephalon gehören auch die Basalganglien. Diese Kerne spielen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Willkürbewegungen. Sie setzen sich aus dem Nucleus caudatus (Schweifkern) und dem Putamen zusammen und werden gemeinsam als Steifenkörper (Striatum, Corpus striatum) bezeichnet. Auch der Globus pallidus wird zu den Basalganglien gerechnet.

Cortex cerebri Neocortex Hippocampus

limbisches System

Amygdala Hippocampus Fornix Gyrus cinguli Septum Mamillarkörper

Telencephalon

Basalganglien Nucleus caudatus Putamen Globus pallidus

Thalamus spezifische Kerne - Sensorik unspezifische Kerne

Diencephalon Hypothalamus

Mamillarkörper Hypophyse Nucleus ventromedialis Nucleus paraventricularis Nucleus supraopticus

Tectum Colliculi superior Colliculi inferior Mesencephalon

Tegmentum

Metencephalon Formatio reticularis Pons Cerebellum

Myelencephalon Formatio reticularis

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3.1 Der Hypothalamus - eine Gruppe von Kernen Der Hypothalamus steuert viele Prozesse im Gehirn und im Körper. So wird zum Beispiel der Schlaf-Wachrhythmus, die Körpertemperatur und das Körpergewicht gesteuert. Deshalb sei kurz erläutert, was man unter den Begriffen Steuern und Regeln versteht. 3.1.1 Steuerung und Regelung Steuern ist ein Vorgang bei dem eine oder mehrere Größen als Eingangsgrößen in einem System andere Größen als Ausgangsgrößen beeinflussen. Die Beeinflussung ist von den Gesetzmäßigkeiten des Systems abhängig. Betrachten wir einen Gleichspannungsmotor. Über den Strom steuern wir die Drehzahl, das heißt wenig Strom geringe Drehzahl, großer Strom hohe Drehzahl. Bei diesem Beispiel ist der Strom die Eingangsgröße, die Drehzahl ist die Ausgangsgröße. Durch eine Veränderung der Eingangsgröße (Strom) kann die Ausgangsgröße (Drehzahl) verändert werden. Im Idealfall würde bei einem konstanten Strom die Umdrehungszahl konstant bleiben. Kommt es aber zu einer Änderung des Lastverhaltens, mehr Gewicht muss gezogen werden, dann ändert sich die Umdrehungszahl. Alle Größen die eine Veränderung der Ausgangsgrößen nach sich ziehen werden als Störgrößen bezeichnet. Dies können externe Faktoren wie eine Laständerung oder auch interne Faktoren wie eine Änderung der Impedanz (Innenwiderstand) sein. Kennzeichnend für eine Steuerung ist der offene Wirkungsablauf, Störgrößen werden nicht berücksichtigt. Das Regeln ist ein Vorgang, bei dem die zu regelnde Größe die ganze Zeit erfasst wird, mit einer Führungsgröße verglichen wird und entsprechend an die Führungsgröße angeglichen wird. Der Wert der Führungsgröße ist der Sollwert, der aktuell gemessen Wert ist die Istgröße, die zu regelnde Größe ist die Regelgröße. Für unser Beispiel bedeutet dies, dass ein Messmechanismus (Drehzahlmessgerät) angebracht werden muss. Über dieses Messgerät kann die Spannung nach Bedarf geregelt werden. Wenn die Führungsgröße konstant ist, wird von einem Festwertregler gesprochen. Wenn sich die Führungsgröße ändert, aufgrund von äußeren oder inneren Beeinflussungen, spricht man von einem Folge- oder Zeitplanregler. Kennzeichnend für eine Regelung ist der Sollwert-Istwert-Vergleich, der laufend in einem geschlossenem Wirkungskreislauf durchgeführt wird.

-x Stellgrösse y e=w-xRegeldifferenz Gewünschte Drehzahl w

Abbildung 3.5: Die Rückkopplung bei einer Regelung. In der oberen Graphik 4.1 sehen wir ein Blockschaltbild eines Regelkreislaufes. Wesentlich ist die Invertierung des Istwerts (x ⇒ -x). Damit kann eine Differenz e=w-x gebildet werden. Die Regeldifferenz wird nun für das Stellglied in geeigneter Weise umgewandelt, die Stellgröße, und wirkt solange auf den Effektor (Heizung, Motor usw.) bis der Istwert gleich dem Sollwert ist. Das entspricht einer Gegenkopplung (negative Rückkopplung) und die Differenz zwischen Soll- und Istwert wird geringer. Würde die Rückkopplung mit einem positiven Vorzeichen durchgeführt werden, ergäbe dies eine Mitkopplung (positive Rückkopplung) und die Störgrößen würden noch weiter verstärkt werden.

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3.1.2 Regulation der Körpertemperatur Alle Tiere haben eine ideale Betriebstemperatur. Diese Temperatur ist nach oben durch die Denaturierung der Eiweißstoffe, was zu einer Zerstörung der Zellen führt, begrenzt. Nach unten ist die Grenze durch die Bildung von Eiskristallen in Zellen gekennzeichnet. Doch viele biochemische Prozesse besitzen eine optimale Temperatur zwischen diesen Extrema. Kaltblüter können keinen direkten Einfluss auf ihre Körpertemperatur nehmen. Ihre Körpertemperatur hängt sehr stark von der Umgebung ab. Zur Temperaturregelung können diese Tiere nur das Mikroklima wechseln. Warmblüter können über den Stoffwechsel ihre eigene Temperatur regeln. Sie sind damit unabhängig von der Umwelt. Bereits 1880 konnte gezeigt werden, dass eine Region des Zwischenhirns, der Hypothalamus für die Temperaturregelung verantwortlich ist. Kommt es bei Warmblütern zu einer Erwärmung des Blutes im Hypothalamus so ist schwitzen, hecheln und keuchen das Resultat. Kommt es umgekehrt zu einer Abkühlung des Blutes und damit des Hypothalamus, so muss der Organismus auf wärmeerzeugendes Verhalten umstellen. Es kommt zum Zittern, Verengungen der Hautadern und zu einer Anregung der Stoffwechselprozesse um mehr Wärme zu produzieren. Interessanterweise beginnen Menschen schon zu zittern wenn sie in eine kältere Umgebung kommen bevor die Hypothalamustemperatur gesunken ist. Also müssen externe Sensoren, auf der Haut, den Hypothalamus mit Informationen versorgen. Bei körperlicher Arbeit kommt es zu einer Schweißproduktion um den Körper vor Überhitzung zu bewahren. Die Schweißproduktion setzt schon ein bevor die Hypothalamus- oder Körpertemperatur steigt. Bei Hunden fanden sich spezielle Rezeptoren in den Muskeln und Gelenken, die in Kontakt mit dem Hypothalamus stehen.

Hirnstamm

Hypothalamus

Wärme-abgabe

Wärme-erzeugung

Wärmerezeptoren auf der Haut

Rezeptoren in Muskeln & Gelenke

Rückenmark

Kälterezeptoren auf der Haut

Abbildung Im HypoTemperatKälte, eiproportioNeuronenZusätzlicNeuronenGruppen

_________Brain Mod

Erregung

Hemmung

3.6: Regelsystem für die Körpertemperatur.

thalamus befinden sich zwei Gruppen vurabweichungen reagieren. Eine Gruppe reane andere in Richtung Wärme. Die Abweinalen Änderung der Feuerfrequenz dgruppen werden von den Wärme- und Kä

h können die Rezeptoren in Muskeln un erregen, während die kälteempfindlichen Neim Hypothalamus können sich gegenseitig hem

________________________________________elling I

A

B

on Neuronen, die empfindlich auf giert auf die Abweichung in Richtung chung der Temperatur führt zu einer er beteiligten Strukturen. Diese

lterezeptoren auf der Haut innerviert. d Gelenken die wärmeempfindlichen uronen gehemmt werden. Die einzelnen

men.

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3.1.3 Regulation des Körpergewichts Die Hauptaufgabe des Essens liegt in der Versorgung des Körpers mit Energie und Baustoffen. Der Energieverbrauch im Körper ist kontinuierlich, während die Nahrungsmittelzufuhr punktuell stattfindet. Deshalb wird ein Teil der Nahrung gespeichert. Die größte Speicherkapazität besitzt Fett, das ungefähr 85% der Energiereserven darstellt. Glucogen mit 0.5% und Proteine mit 14.5% haben nur eine untergeordnete Rolle in der Nahrungs-mittelspeicherung. Man unterscheidet 3 verschiedene Phasen der Verdauung: cephalische Phase resorptive Phase Fastenphase Die cephalische Phase dient dazu, den Körper auf die bevorstehende Nahrung vorzubereiten. Durch das Sehen und Riechen der Speisen wird unter anderem der Speichelfluss angeregt. In der resorptiven Phase wird der aktuelle Energiebedarf gedeckt und Reserven für "schlechte" Zeiten angelegt. Während der Fastenphase greift der Körper auf die gespeicherten Energieformen zurück. Diese Steuerung geschieht durch die beiden Hormone Insulin und Glucagon. Während der ersten beiden Phasen wird vor allem das Insulin ausgeschieden, während in der Fastenphase vermehrt das Glucagon ausgeschüttet wird. Eine hohe Glucagonkonzentration im Körper führt zur Freisetzung von freien Fettsäuren aus dem Fettgewebe. Das Insulin hingegen sorgt für eine Verwertung von Glucose, die Glucose wird in Glycogen und Fett umgewandelt, Aminosäuren werden in Proteine umgewandelt, Das Glycogen wird in der Leber und der Muskulatur, das Fett im Fettgewebe und Proteine in der Muskulatur gespeichert. Das Hormon Insulin regelt sehr viele Prozesse bei der Nahrungsverwertung. Im Regelfall schwankt die Grundlinie des Blutzuckerspiegels um rund 2%. Allerdings sinkt der Blutzuckerspiegel rund 10 Minuten vor einer erwarteten Mahlzeit um ungefähr 8%. Wenn dem Körper keine Nahrung zugeführt wird, dann kehrt der Blutzuckerspiegel wieder auf sein ursprüngliches Niveau zurück. Das heißt der Körper reagiert auf Gewohnheiten. Leider sind die Regelkreisläufe im Inneren des Körpers unbekannt, manche Wissenschaftler diskutieren sogar, ob es überhaupt diese Regelkreisläufe gibt. Es gibt aber triftige Gründe, die für ein oder mehrere Regelsysteme des Körpergewichts sprechen. Man beobachtete das Körpergewicht einer Population von Ratten im Labor. Am 30. Tag wurde die Gruppe gedrittelt. Ein Teil der Gruppe wurde zwangsernährt, ein Teil der Gruppe bekam bedeutend weniger Nahrung und die dritte Gruppe diente als Kontrollgruppe (siehe Abb. 3.7). Nach 15 Tagen konnten die Tiere aller Gruppen wieder selbstständig über ihre Nahrung verfügen. Es zeigte sich, dass die Gruppe mit der Fastenkur nun vermehrt Nahrung aufgenommen hat, während die zwangsernährte Gruppe mit Übergewicht nun weniger Nahrung zu sich nahm. Nach ungefähr 25 Tagen hatten alle Tiere wieder das selbe Gewicht. Dieses Experiment lässt auf einen Regelkreislauf schließen.

Abbildung 3.7: Die Regulation des Körperge-wichts, trotz einer vorherigen Zwangsfütterung, bzw. Fastenkur.

Wenn im Hypothalamus der ventromediale Kern zerstört wird, dann leiden die Tiere an Hyperphagie, das heißt die Tiere überfressen sich kontinuierlich. Es gibt Personen mit einem

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gewaltigem Übergewicht, meist seit Geburt. Diese Personen leiden in der Regel an einem gutartigen Tumor in der Nähe des ventromedialen Kern des Hypothalamus. Sie haben immer Hunger und auch ein ausgiebiges Essen kann ihren Hunger nicht stillen. Wenn umgekehrt der laterale Hypothalamuskern zerstört wird, dann verweigern die Tiere die Nahrung. Eine elektrische Stimulation der beiden Kerne führt zu dem gegenteiligen Effekt. Man überprüfte ob diese beiden Kerne möglicherweise ein Sollwert des Hungergefühls, beziehungsweise der Nahrungsmittelzufuhr verankert ist. Aus diesem Grund ließ man einige Tiere einer größeren Gruppe hungern. Als sie ausreichend Gewicht verloren hatten, wurde an ihnen eine Läsion am ventralen Hypothalamus durchgeführt. Diese Schädigung wurde ebenfalls an einer nicht hungernden Gruppe von Ratten durchgeführt. Unmittelbar nach der Schädigung nahm diese Gruppe rapide an Gewicht ab. Nach einiger Zeit, stellten beide Gruppen - hungernd und nicht hungernd - mit der Schädigung des lateralen Hypothalamus bei freier Nahrungsmittel-wahl ein neues Körpergewicht ein. Dieses Gewicht lag unter dem Gewicht der Kontrollgruppe, an denen keine Läsion durchgeführt wurde. Dieses Experiment lässt auf einen Sollwert schließen. Dennoch sind auch noch andere Mechanismen an der Regulation des Körpergewichtes beteiligt.

Abbildung 3.8: Die Verschiebung des Sollwerts für Gewicht nach einer Läsion des lateralen Hypothalamus.

Auch das hormonale Gleichgewicht ist für die Nahrungsmittelverwertung von wesentlicher Bedeutung. Bei der Nahrungsmittelzufuhr kommt es zu einer vermehrten Abgabe von Insulin. Allerdings kann auch Insulin alleine ein massives Hungergefühl auslösen. Dieses Hungergefühl kann übermächtig werden. Im Laufe des Tages kann es zu einem leichten Hungergefühl kommen. Dies scheint mit einem leicht erhöhten Insulinspiegel zusammenzuhängen. Jetzt gibt es zwei Arten von Menschen, bei denen es zu einem unterschiedlichen Verhalten kommt. Die eine Gruppe isst einen Kornspitz oder einen Apfel. Diese Nahrung reicht aus, um das Insulin abzubauen. Das Hungergefühl ist gestillt. Bei der anderen Gruppe kommt es zu einem anderen Verhalten. Sie essen genauso eine Kleinigkeit, und nach ein paar Minuten kommt es zu einem übermächtigen Hungergefühl. Die kleine Nahrungsmittelmenge hat dafür gesorgt, dass zusätzlich Insulin freigesetzt wird, damit noch mehr Nahrung besser verdaut werden kann. Es zeigte sich, dass auch die absolute Menge an Insulinfreisetzung zu einem Übergewicht führen kann. Einer Versuchsgruppe wurde zusätzlich Insulin gespritzt. Beide Gruppen, mit und ohne Insulin, veränderten ihr Körpergewicht, obwohl alle Tiere die gleiche Nahrungsmenge bekamen. Der erhöhte Insulinspiegel führte zu einer besseren Fettumwandlung, das zu einer Gewichtszunahme führt. Allerdings können auch andere chemische Stimulantien einen starken Einfluss auf die Ernährung haben. Wenn der Nucleus paraventricularis mit Noradrenalin stimuliert wird, beginnen die Versuchstiere vermehrt Kohlenhydrate zu sich zu nehmen, während fettreiche oder proteinreiche Nahrungsmittel nicht beachtet wurden. Umgekehrt nehmen Tiere vermehrt Fett zu sich, wenn die Stimulation durch Galanin erfolgt. Opiate im allgemeinen führen zu einem Proteinhunger. Der stärkste Appetitanreger, der im Moment bekannt ist, ist das Neuropeptid Y. Die Versuchstiere reagieren vor allem auf kohlehydratreiche Kost. Es gibt auch Appetitzügler, wie zum Beispiel Amphetamine oder auch der Neurotransmitter Dopamin. Leider gibt es bei Amphetaminen sehr starke Nebenwirkungen und damit scheiden

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diese Substanzen zur Gewichtsreduktion aus. Da das Dopamin in der Biochemie des Gehirns ein großer Stellenwert besitzt, würden andere Funktionen stark beeinträchtigt sein. Eine andere Substanz, das Cholecystokinin, entsteht im Zwölffingerdarm und verlangsamt die Entleerung des Magens. Dadurch sind die Rezeptoren, die den "Füllstand" angeben länger aktiv - das Völlegefühl herrscht länger vor. Da diese Substanz auch vom Gehirn ausgeschüttet wird, vermutet man, dass sie bei der Regulation der Nahrungsmittelzufuhr eine (wichtige) Rolle spielt. Durch die Experimente mit den chemischen Stimulantien kann man vermuten, dass es mehrere unabhängige Regel- oder Steuermechanismen gibt. Das Problem wird zusätzlich durch andere Experimente verkompliziert. Wenn der Trigeminus, verantwortlich für die Gesichtsmuskulatur, durchtrennt wird, ergibt sich ein interessantes Phänomen. Bei attraktiver Nahrung begannen die Tiere mehr zu fressen, während bei Nahrung, der Bitterstoffe beigemengt waren, die Tiere weniger Nahrung zu sich nahmen. Wenn man von einem Regelmodell ausgeht muss man aber auch andere Faktoren berücksichtigen, die gegen dasselbe sprechen. In früherer Zeit konnten die Menschen sich nicht aussuchen, wann es Nahrung gibt. Die Nahrung wurde verzehrt und wenn ausreichend Nahrung vorhanden war, wurde der Überschuss in Fettreserven gespeichert. Es war nicht planbar, wann es den nächsten Nahrungsmittelschub gibt. Es zeigte sich, dass auch bei langanhaltenden Fastenphasen der Blutzuckerspiegel konstant gehalten wird. Also wird über den Blutzuckerspiegel die Nahrungsmittelzufuhr nur indirekt gesteuert. Aber auch soziale Faktoren haben einen wesentlichen Einfluss, die berücksichtigt werden müssen. 3.2 Der Thalamus Der Thalamus setzt sich aus mehreren Kernen zusammen. Er hat zwei wesentliche Funktionen: 1) Eine Schaltfunktion zwischen einzelnen sensorischen Systemen und den dazugehörigen

primären sensorischen Kortexarealen. (siehe visuelle Informationsverarbeitung). Diese Bereiche des Thalamus haben eine Art Torwächterfunktion. Nur unter bestimmten Umständen wird die Information weitergeleitet. Gesteuert wird dies durch die im Stammhirn liegende Formatio Reticularis. Im wesentlichen sind die Neuronen in diesen spezifischen Thalamuskernen topologisch geordnet. Das heißt die Information die einlangt, wird nachbarschaftsbezogen weiterverarbeitet.

2) Steuerung des Zustandes verschiedener Gehirnbereiche. So werden die sensorischen

Kortexareale über die Erregungsniveaus kontrolliert (vgl. Bedingung für Synchronisation). Es existieren ungefähr 12 verschiedene unspezifische mediale Thalamuskerne. Diese Kerne besitzen aber auch einen Einfluss auf die spezifischen Thalamuskerne. Sie haben damit auch einen Einfluss auf die selektive Aufmerksamkeit. Über den Nukleus centralis und Nukleus medialis können Verbindungen zwischen verschiedenen unterschiedlichen Kortexarealen hergestellt werden.

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Abbildung. 3.9: Die Innervierungsgebiete des Thalamus auf die Großhirnrinde. ____________________________________________________________________________ Aus welchen großen Bereichen besteht das Gehirn? Welche Aufgaben (grob) haben die unterschiedlichen Bereiche des Gehirns? Welche drei Aufgaben hat das limbische System? Welche Struktur des limbischen Systems ist kein Kern? Was ist der Unterschied zwischen Gegenkopplung und Mitkopplung? Welche Faktoren beeinflussen die Körpertemperatur? Erläutern sie die Regulation der Körpertemperatur? Welche Phasen der Verdauung gibt es? Welche Gründe gibt es, die für eine interne Regulation des Körpergewichts sprechen? Welchen Effekt zeigt Insulin auf das Körpergewicht? Welchen Effekt zeigt Insulin auf die Regulation des Körpergewichts? Welche chemischen Stimulantien beeinflussen die Regulation des Körpergewichts? Welche Hauptaufgaben hat der Thalamus?

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4.0 Die Großh Die Großhirnrinde,Zellkörper der HirGroßhirnrinde ist b Die weiße Substanaußer den überall Es werden nur Sbeziehungsweise z

Abbildung 4.1: Die GWeißen Substanz. Die Großhirnrinde(Achtung: eigentlicoder hemmend wibesteht aus SternzDornen tragen, dverwenden meist Ggering, da aber Verbindung hersteungefähr gleich gro

_________________34

ZUKUNFT

Cortex VERGANGENHEIT

GEGENWART

cerebri

irnrinde

anatomisch Cortex cerebri genannt, gehört zur grauen Substanz, in der die nneuronen liegen und in der Signale verarbeitet werden. Die menschliche ei rund 1000 Quadratzentimeter Fläche nur etwa 2 Millimeter dick.

z liegt unterhalb der Großhirnrinde (siehe Abbildung 4.1) und sie enthält im Nervensystem eingestreuten Hilfs- und Stützzellen bloß Verbindungen. ignale übermittelt, entweder von einem Areal zu einem anderen Areal u einzelnen Muskeln.

roßhirnrinde im Querschnitt. Man erkennt sehr gut die Abgrenzung der Grauen und der

besteht zu 85% aus Pyramidenzellen. Diese wirken in der Regel erregend h sind es die Rezeptoren, die entscheiden ob ein Neurotransmitter erregend rkt). Der typische Neurotransmitter ist Glutamat oder Aspartat; der Rest ellen, deren Axone sehr kurz sind. Wenn die Synapsen der Sternzellen ann wirken sie exzitatorisch sonst inhibitorisch. Dornlose Sternzellen ABA als Neurotransmitter. Die absolute Zahl der dornlosen Sternzellen ist

die Synapsen direkt an den Zellkörper der Pyramidenneuronen eine llen, ist ihre Wirkung größer und der Einfluss der Sternzellen dürfte ß sein wie die der Pyramidenzellen.

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In den meisten Fällen ist die Großhirnrinde deutlich geschichtet. Im Querschnitt sieht man dann ein gestreiftes Muster, das die Anordnung von Nervenzellen und Fasern widerspiegelt. Durch verschiedene Färbetechniken lassen sich die unterschiedlichen zelluläre und funktionellen Eigenschaften erkennen: Golgi-Färbung: Mehrere Neuronen werden

ollständig eingefärbt (Abbildung 4.2 links). v Nissl-Färbung; Nur die Zellkörper treten hervor (Abbildung 4.2 Mitte). Der Unterschied zwischen den Pyramidenzellen und den Körnerzellen ist leicht rkennbar. e

Weigert-Färbung; Die Fortsätze wie Axone oder Dendriten werden gefärbt (Abbildung 4.2 rechts).

ine säulenartige Struktur tritt zutage. E Durch die verschiedenen Färbetechniken, kann sowohl die Schichtstruktur als auch die tangentiale Faserstruktur leicht erkennbar gemacht werden.

Abbildung 4.2: Verschiedene Färbe-techniken angewandt auf ein Großhirn-rindenareal. Der Cortex cerebri untergliedert sich von außen nach

innen in folgende sechs Schichten: I. Molekulare Schicht: sie besteht aus verstreut liegenden, kleinen horizontal orientierten

Zellen und tangentialen Assoziationsfasern; Über diese Assoziationsfasern kann ein Kontakt zu benachbarten Hirnarealen hergestellt werden.

II. Äußere Körnerschicht: sie ist aus dicht gelagerten Körnerzellen aufgebaut, deren Axone

in der gleichen Schicht enden. Es wird von niedrigeren Arealen in höhere Cortexareale in die Schicht IV projiziert.

III. Äußere Pyramidenschicht: pyramidenförmig gebaute Zellen bilden den Hauptanteil in

dieser Schicht. Die absteigenden Axone, welche die Pyramiden-Projektionsbahnen bilden werden bereits innerhalb dieser Schicht mit einer Markscheide umgeben. Ebenso wie Schicht II projizieren diese Fasern in die Schicht IV von höheren Arealen.

IV. Innere Körnerschicht: sie ist ähnlich wie die Schicht II beschaffen, jedoch im Bereich

der Sehrinde besonders stark ausgeprägt. V. Innere Pyramidenschicht: zum einen aus großen Pyramidenzellen sowie zum anderen

aus horizontal ausgerichteten Neuronen aufgebaut. Diese Neuronen projizieren in den Hirnstamm und das Rückenmark. Höhere Rindenareale projizieren in die Schichten I, V und VI von niedrigeren Rindenarealen.

VI. Spindelzellenschicht: sie ist aus vielgestaltigen Zellen zusammengesetzt, wobei die

größeren vornehmlich außen und die kleineren innen liegen. Die zugehörigen Neuriten ziehen in das innen gelegene Marklager sowie auch in umgekehrter Richtung in die äußeren Rindenschichten. Höhere Rindenareale projizieren in die Schichten I, V und VI von niedrigeren Rindenarealen.

Zellen mit ähnlichen, wenn auch leicht unterschiedlichen Eigenschaften (Signaleingängen) neigen dazu sich innerhalb des Cortex in Säulen zu organisieren.

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Abbildung. 4.3: Verschaltungen im Inneren der Großhirnrinde. Die verschiedenen Zellschichten lassen sich funktionell in drei Gruppen unterteilen: 1) Die zwei untersten Schichten V und VI senden ihre Axone in andere Hirnregionen. 2) Die Schicht IV empfängt Axone aus anderen Rindenregionen und dem Thalamus. 3) Die Schichten I bis III erhalten hauptsächlich Eingänge aus der Schicht IV. Unspezifische Afferenzen (Eingänge), zum Beispiel von modulierenden Neuronen der Kerne, projizieren in alle Schichten. Es gibt also Schichten mit vorwiegend kleinen oder vielen großen Zellen, Schichten mit Fasern vorwiegend parallel oder senkrecht zur Fläche. Zumeist gibt es auch eine abgrenzbare Schicht, in der die Signale den Cortex über aufsteigende - afferente - Fasern erreichen, und eine andere, von der die meisten absteigenden - efferenten - Fasern ausgehen und die Signale in andere Hirnteile weiterleiten. Dies kann durch verschiedene Färbetechniken verdeutlicht werden: Die Großhirnrinde ist aber nicht isotrop, das heißt die Anzahl der Neuronen, die Art der Verschaltung und dergleichen kann stark variieren (Durchschnittliche Axonlänge, Zellanzahl usw.). Primäre sensorische Areale haben eine ausgeprägte Schicht IV, motorische Areale besitzen eine stark vergrößerte Schicht V und VI. Diese Unterschiede und Verteilungen werden in cytoarchitektonischen Karten angegeben. Die gebräuchlichste Darstellung ist die Kartierung nach Brodmann (Abbildung 4.4). Manchmal findet sich zwischen der Struktur und der Funktion ein eindeutiges Korrelat (Sehzentrum-Brodmann-Areal 18). Durch neuere Verfahren kann man heute die Großhirnrinde in bis zu 200 Areale unterteilen.

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Abbildung. 4.4: Laterale (rechts) und mediale (links) Darstellung der Brodmann-Areale. Manche Felder lassen sich leicht voneinander abgrenzen, sie sind durch eine dicke Linie gekennzeichnet. Felder die sich zytologisch schwerer voneinander abgrenzen lassen sind durch dünn gezeichnete Linien markiert. Areale, die allmählich ineinander übergehen sind durch gestrichelte Linien ausgewiesen. Verschiedene Funktionen finden sich nur oder zu einem überwiegendem Teil in einer Hemisphäre. Die einzelnen Belege sind sehr vorsichtig zu interpretieren, da es strukturelle Unterschiede zwischen dem männlichen und weiblichen Gehirn gibt. Funktion Linke Hemisphäre rechte Hemisphäre

Visuelles System Buchstaben, Wörter komplexe geometrische Muster, Gesichter

Auditorisches System sprachverwandte Laute Musik, Umweltgeräusche

Bewegung komplexe Willkürbewegung Bewegung im Raum

Gedächtnis verbales Gedächtnis nicht verbales Gedächtnis

Sprache Sprechen, Lesen, Schreiben, Rechnen* Räumliche Prozesse Geometrie, Richtungssinn *...gilt in dieser Darstellung nur für Männer, bei Frauen sind die Areale eher auf beide Hemisphären verteilt. 4.1 Verbindungen innerhalb der Großhirnrinde Ein Hauptanteil des Gewichtes des Gehirns wird durch die Faserverbindungen verursacht. Die einzelnen Rindenareale stehen in Verbindung mit anderen Arealen. Es gibt ein gutes Prinzip, das für die Verbindungen gilt: Jedes Areal ist mit jedem anderen verbunden, es ist nur eine Frage, wie stark die Verbindung ist. Man unterscheidet vier Arten von Bahnen, sprich Verbindungen. Projektionsbahnen Die Großhirnrinde ist ausgiebig mit sich selbst verkabelt, denn die Substanz darunter, das sogenannte Hemisphärenmark (weiße Substanz), besteht größtenteils aus Fasern, die an einer Stelle des Cortex entspringen und an einer anderen - nahen oder entfernten - Stelle wieder eintreten. Ob zwei Stellen miteinander verknüpft sind, hängt in erster Linie nicht von ihrem Abstand ab. Alle Faserzüge sind von großem Interesse. Die Zerstörung einer Bahn kann zu ebenso schweren Verhaltensdefiziten führen, wie die Zerstörung der jeweiligen Areale oder einzelner Kerne.

___________________________________________________________________________________ Brain Modelling I 37

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Afferente und efferente Bahnen: Die Großhirnrinde erhält ihre elektrischen Signale von rund einer Million Eingangsfasern. Die meisten sensorischen Systeme projizieren auf den Thalamus. Von dieser Umschaltzentrale erhalten die meisten primären sensorischen Areale ihre Eingangsfasern. Assoziationsbahnen: Über diese Bahnen werden Areale in der gleichen Hemisphäre verknüpft. Zum Beispiel wird ein motorisches Areal mit einem sensorischen Areal verbunden. Es werden Reize unterschiedlicher Modalität verknüpft. Abbildung. 4.5: Die verschiedenen Bahnen (strukturell) im Inneren des Gehirns. Kommissurenbahnen: Es wird eine Verknüpfung von homotropen Regionen hergestellt. In der rechten und linken Großhirnrindenhälfte gibt es jeweils ein Areal, das für die motorische Koordination der jeweiligen gegenüberliegenden Köperhälfte verantwortlich ist. Es ist bei manchen Bewegungen notwendig die beiden unterschiedlichen Bewegungsabläufe, gesteuert durch das gegenüberliegende Großhirnrindenareal, zu koordinieren. Dies geschieht durch die Kommissurenbahn. Über den Balken (Corpus callosum), bestehend aus 200 Millionen Fasern, werden verschiedenste Informationen zwischen den Rindenhälften abgeglichen. Im Gegensatz dazu ist die Commissura anterior nur für den Abgleich von Informationen des limbischen Systems betreffend verantwortlich. Abbildung 4.6: Die Verbindungen auf der Großhirnrinde.

___________________________________________________________________________________ 38 Aufbau des Gehirns

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4.2 Informationsverarbeitung in der Großhirnrinde In manchen Rindenarealen liegt eine Säulenarchitektur vor (Sehzentrum). Eine Säule besteht aus einer Gruppe von Neuronen (funktionelle Einheit), die alle miteinander über erregende Synapsen verbunden sind. Diese Neuronen können sich synchronisieren. Die unmittelbaren Nachbarn werden miterregt und gleichzeitig werden über inhibitorische Körnerzellen weiter entfernte Zellverbände (Säulen) gehemmt. Es kommt damit zu einer lateralen Hemmung. Nur manche Säulen können sich durchsetzen. Die Information wird kontrastiert.

A B

Abbildung 4.7: Darstellung der Detailverschaltung von Säulen (links) im Sehareal und von verschiedenen Arealen (rechts) der Großhirnrinde. Die Neuronen in einer Säule haben aber auch erregende Verbindungen zu anderen Säulen. Über diese Verbindungen können sich verschiedene Säulen untereinander synchronisieren. Unterschiedliche "Eigenschaften" können miteinander physikalisch verbunden werden. Über Assoziationsbahnen können Säulen verschiedener Modalitäten untereinander synchronisieren. Betrachten wir zwei Großhirnrinden-Areale A und B. Die jeweiligen Areale erhalten von den zugeordneten Kernen Aktivierungen. So werden die Neuronen in der Schicht IV aktiviert. Die Verarbeitungsneuronen in den Schichten I bis III verarbeiten die Information und möglicherweise kommt es zu einer Synchronisation (Gebiet A). Über tangentiale (hier nicht eingezeichnet) oder über inner-corticale Assoziations-Fasern wird die Schicht IV eines oder mehrerer Areale mit elektrischen Pulsen aktiviert (Gebiet B). Im zweiten Areal kann es dann zu einer Interferenz mit der Information aus dem Kern und dem anderen Rindenareal kommen. Die Information wird nicht weitergeleitet oder es kommt zu einer weiteren Synchronisation. Das Gebiet kann nun die in den Schichten I bis III verarbeitete Information wieder zurückschicken beziehungsweise damit andere Areale innervieren. Es kann folgendes passieren: [1] Die Information geht verloren. Die EPSP´s können in den nachgeschalteten Neuronen kein

Aktionspotential auslösen. Die Verknüpfung der Information ist irrelevant. [2] Es kommt zur Synchronisation in unterschiedlichen Rindenarealen. Verschiedene

Informationen werden zu einer zusammengefasst - ABSTRAKTION.

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4.3 Assoziationsfelder Das menschliche Gehirn ist anatomisch in vier Lappen unterteilt: Frontal-, Parietal-, Occipital-, Temporallappen: Funktionell ist aber eine andere Unterteilung sinnvoller. Es existieren verschiedene primäre sensorische Kortexareale. Das visuelle, das

auditorische Cortexareal erhält über den Thalamus die Reize vom jeweiligen Sinnesorgan. Zu jedem sensorischen Kortexareal gibt es ein übergeordnetes (sekundäres) sensorisches Areal. In diesem Areal werden aus den einzelnen Reizen und Reiz-Kombinationen komplexere Eigenschaften "erkannt".

somatosensorische oder auch das

Frontallappen Parietallappen

Temporallappen Occipitallappen

Abbildung 4.8: Die vier Lappen der Großhirnrinde.

Diese übergeordneten sensorischen

.3.1 Der Parietallappen

ieses Rindenareal hat mehrere

) Visomotorische Steuerung,

entation

und Mathematik

Wortstellung (ROT ≠

.

ei Läsionen des Parietallappen kommt

Areale liefern die Reize wiederum an drei verschiedene Areale: 4 DAufgaben, die stark mit der räumlichen Position zusammenhängen: (●(●) räumliche Repräsentation, (●) betrachterbezogene Repräs(rechts - links), (●) Rechnen (Dyscalculie), (●) Satz- undTOR, die Schwester meiner Freundin ≠ die Freundin meiner Schwester), (●) Manipulation visueller Bilder Bes zu somato-sensorischen Agnosien. Man unterscheidet zwischen: Abbildung 4.9: Die wichtigsten Verbindungen des

Parietallappen mit anderen Rindenarealen. STS –Sulcus temporalis superior, SMA – supplementär –motorisches Areal, PE – Brodmannareal 5, PF – Area7b, PG – Area 7b und visuelle Areale.

___________________________________________________________________________________ 40 Aufbau des Gehirns

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Astereognosie: Dabei handelt es sich um eine Störung der taktilen Wahrnehmung. Die Umrisse

somatognosie unterscheidet sich wieder: ner Krankheit,

: e zu lokalisieren und zu benennen,

ei einer Schädigung im posterioren Bereich kann es zum Balint-Syndrom kommen. Darunter

ei Schädigung des Parietallappen kann es auch zum Neglect-Syndrom kommen. Dabei wird

s ist nicht die Begriffsbildung gestört, sondern die Klassifikation der Wahrnehmung.

ehreren wichtigen Arealen:

Areal PE: Nach Brodmann handelt es sich um

real PF: Nach Brodmann 7b. Dieses Areal

real PG: Bei Brodmann als Areal 7b mit

eines Körpers auf der Handoberfläche können nicht ertastet werden. AAnosognosie: Nichtgewahrwerden eiAnosodiaphorie: Verleugnen einer Krankheit, Autotopopagnosie Unfähigkeit eigene KörperteilSchmerzasymbolie: Das Fehlen schmerzbezogener Reaktionen. Bversteht man ein Defizit in der Blicksteuerung. Beine Körperhälfte, oder ein Teil dieser Körperhälfte, wie zum Beispiel ein Arm oder Fuß, nicht wahrgenommen. Der Patient ist sich nicht bewusst, dass dieser Körperteil zum eigenen Körper gehört. Er wird als fremd wahrgenommen. Bei einer spezielleren Form wird nur eine Worthälfte gelesen. Etwas allgemeiner kann es sein, dass nur eine Halbseite des Bildes wahrgenommen wird. Das Neglect-Syndrom tritt aber auch bei Läsionen des Frontallappen, des cingulären Cortex, sowie einiger subcorticaler Strukturen, wie dem Colliculus superior auf. EBetrachtet man einen Kübel von der Seite, so wird er erkannt. Betrachtet der Patient den Kübel aber von der Seite, so wird er nicht mehr erkannt. Das Objekt kann nicht in der Vorstellung dreidimensional rotiert werden. Der Parietallappen besteht aus m S

Area 5. Dieser Bereich hat eine somatosensorische Funktion. Er liefert Informationen über die Stellung der Gliedmassen. Er erhält Signale aus den somato-sensorischen Arealen (A 1,2,3). Nach der Verarbeitung werden Signale in den primär-motorischen Cortex (A 4), den supplementär-motorischen und prämotorischen Cortex und nach PF (A 7b) geschickt. Aerhält über das Areal PE von den Arealen A 1,2,3, vom motorischen Cortex, dem prämotorischen Cortex und von PG (A 7a, VIP, LIP, IPG, PP, MSTc, MSTp) Informationen. Die Ausgänge sind gleich den Ausgängen des Areal PE. Avisuellen Arealen bezeichnet. Dieses Areal erhält von fast allen sensorischen Arealen seinen Input: visuell, somato-sensorisch, propriozeptiv, auditorisch, vestibulär, okulomotorisch und cingulär. Dieses Areal wird in Zukunft als PTO-Areal (parietal – temporal - okzipital) bezeichnet.

ymptome wahrscheinlichster Läsionsort

sie Area PE PG

h Areae PG, STS

PG

e Areae PE, PG?

im Area PG

Augen- Areae PE, PF

reifen Areae 5, 7

abelle 4.10: Die wichtigsten Symptome nach

gestörte taktile Areae 1, 2, 3 Funktionen t aktile AgnoApraxie Areae PF, Links konstruktive Apraxie Area PG rechts Acalculie Areae PG, STS Links gestörter inter- modaler Vergleic kontralateraler Area PG Neglect rechts g estörtes Körperbild Area PE? Verwechslung von Areae PF, rechts und links gestörte räumlichFähigkeiten Störungen beZeichnen fehlerhaftebewegungen fehlerhaftes G Teiner Schädigung des Parietallappen.

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Von PG und PF gibt es noch eine starke Verbindung in den dorsolateralen präfrontalen Bereich (Area 46). Bei Affen gibt es im Parietallappen keine Brodmann-Areale 39 und 40. 4.3.2 Der Temporallappen Der Temporallappen hat die Aufgabe der Integration von Information und deren Speicherung. Es gibt zwei wesentliche Wege, die in den Temporallappen führen. Einerseits der auditorische Weg, der in den oberen und der visuelle Weg, der in den unteren Lappen führt. Allerdings führt eine Schädigung des linken Schläfenlappens zu einer Beeinträchtigung des Sprachgedächtnisses (Kurzgeschichten, Wortlisten), während eine Läsion im rechten Temporallappen zu Problemen mit dem nichtverbalem Gedächtnis (z.B. Geschichtserkennung, Melodien, geometrische Zeichnungen) führt. Zusätzlich führt eine Läsion im echten Schläfenlappen zu einer geringen Vorstellungskraft. Allgemein kommt es zu

(●) Störungen der auditorischen Empfindung und Wahrnehmung,

(●) Störung der selektiven Aufmerksamkeit gegenüber audio-visuellen Signalen,

(●) Störung der visuellen Wahrnehmung, einer gestörte Organisation und Kategorisierung sprachlicher Reize,

(●) einem gestörtes Sprachverständnis, (●) einem gestörtes Langzeitgedächtnis, (●) Persönlichkeitsveränderungen, (●) einer Veränderung des

Sexualverhaltens. Im inferotemporalen Cortex fand man Neuronen, die noch aktiv waren, nachdem das Objekt sich nicht mehr im Sichtfeld des Probanden befand. Dies ist möglicherweise für das Arbeitsgdächtnis wichtig.

Abbildung 4.11: Oben befindet sich eine Darstellung der linken Hemisphäre. Der Kreis mit dem „A“ stellt die Position der Amygdala und das Oval mit dem „H“ die Position des Hippocampus dar. Auf Höhe dieser Positionen ist eine Darstellung (unten) des Querschnitts durch das Gehirn gezeichnet.

A Amygdala C Nucleus caudatus DM Nucleus dorsalis FG Gyrus fusiformis medialis thalmi GP Globus pallidus H Hippocampus HG Gyrus hippocampalis ITG Gyrus temporalis Inferior LT lateraler Thalamus LV Seitenventrikel MTG Gyrus temporalis P Putamen medialis STG Gyrus temporalis U Uncus superior

Im Temporallappen findet die Kategorienbildung statt (vor allem im linken). Diese Kategorienbildung ist für das Gedächtnis wichtig. Ebenso wird die Persönlichkeit beeinflusst. Bei Schädigungen kommt es zu einer Überbetonung von Nebensächlichkeiten des Alltags und einer pedantischen Sprache. Wenn der rechte Lappen betroffen ist, kommt es eher zur Egozentrik und einer Überbeschäftigung mit Religion. Die Patienten zeigen paranoide Züge.

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Abbildung 4.12: Cytoarchitektonische Regionen des Temporallappen. Links oben nach Brodmann, rechts-oben nach Bonin und Bailey, unten nach Seltzer und Pandya. Abbildung 4.13: Die wichtigsten Verbindungen des Temporallappen. A: Weg der auditorische und visuelle Information; B: Die Signale ziehen in den Sulcus temporalis superior, einem höheren Areal; C: Die Signale ziehen dann zum Hippocampus und der Amygdala; D: Zusätzlich ziehen die Signale aus der Nähe des Sulcus temporalis superior in den präfrontalen Bereich.

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4.3.3 Der Frontallappen Die Aufgaben des Frontallappen gliedern sich in zwei wichtige Hauptaufgaben. Einerseits liegen alle motorischen Funktionen in der Großhirnrinde im Frontallappen und andererseits finden sich im vorderen Teil des Frontallappen (präfrontaler Cortex) wichtige Integrative Eigenschaften, die das Handeln einer Person stark beeinflussen. Es liegt auch das Broca-Areal – genau zwischen dem motorischen und dem „kognitiven“ Teil des Frontallappen. Man kann auch sagen, dass das Broca-Areal eine Erweiterung des supplementär-motorischem Areal ist.

Abbildung 4.14: Eine Funktionenkarte mit denungefähren Grenzen der einzelnen Areale desFrontallappen.

Der Frontallappen scheint für mehrere wichtige Aufgaben verantwortlich zu sein. Eine Läsion führt zum Verlust von konvergentem Denken (kreative Lösungen). Gibt man einem Patienten eine Frage, die nicht eindeutig zu beantworten ist, zum Beispiel „Was kann man mit einem Teller alles machen“, dann erhält man meist immer nur eine Antwort. Auch die Spontaneität des Verhaltens, scheinbar durch eine Aktivierung eines „Zufallsgenerators“ wird durch den präfrontalen Cortex zurückgeführt. Genauso werden Strategien entwickelt. Gibt man einer Person eine Liste (1/2 l Milch, 1 kg Brot, 10 dag Wurst usw.) mit sechs Lebensmitteln und etwas Geld und bittet man sie, dies im örtlichen Kaufhaus zu besorgen, dann haben Personen mit einer Läsion im präfrontalem Bereich große Probleme. Wenn man die Aufgabe mit einem

Zeitlimit begrenzt, dann trödeln sie lange beim ersten Produkt herum. „Soll es Haltbarmilch, Frischmilch, billigere oder teure Milch sein. Sauermilch oder Buttermilch“. Die Personen können keine sinnvolle Entscheidung treffen. Dass auch noch andere Produkte gekauft werden müssen, ist ihnen zwar klar, führt aber zu noch mehr Stress. Am Ende haben die Personen, ohne das Zeitlimit einzuhalten, sechs Produkte gekauft, aber nicht unbedingt die richtigen. Aus der Wurst wurde dann möglicherweise eine Rolle Toilettepapier usw.. Genauso muss es im präfrontalem Cortex eine Antwortunterdrückung geben, die der Verhaltenskontrolle dient. Manchmal ist es sinnvoll eine Reaktion zu unterlassen. Bei dem Stroop-Test sind die Wörter ROT, GELB, GRÜN, BLAU in unterschiedlichen Farben geschrieben. So ist das Wort ROT in der Farbe grün, das Wort GELB in der Farbe rot usw. gezeichnet. Niemals ist ein Wort in der Farbe geschrieben, das es ausdrückt. Die Patienten sollen nun die Farbe nennen, in der das einzelne Wort eingefärbt wurde. Für Patienten mit Frontallappensyndrom ist dies nur sehr schwer möglich.

Abbildung 4.15: Die mediane A, laterale B, dieventrale C Ansicht des Frontallappen nach Walker.

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Abbildung 4.16: Schematische Darstellung der Verbindungen innerhalb der Großhirnrinde. Auf der linken Seite findet man die Verbindungen auf die dorsolaterale Oberfläche. Sie dient dem räumlichen Verhalten. In der rechten Darstellung findet man die Verbindungen vom Temporallappen zur inferofrontalen Oberfläche. Die Verbindungen von der Insula und dem olfaktorischen Cortex ist nicht dargestellt. Beim Wisconsin Kartensortiertest muss ebenso eine Antwort unterdrückt werden. Bei diesem Test müssen Personen vier Karten, die sich in Form, Farbe und Anzahl der abgebildeten Objekte unterscheiden. Die Personen müssen nun die Karten nach einen ihnen unbekanntem Schema sortieren. Abbildung 4.17: Beispiel für Karten des Wisconsin Kartensortiertest. Die Karten unterscheiden sich in den abgebildeten Objekten, der Farbe und der Anzahl der abgebildeten Objekte. Als Sortierkriterium gibt es die Farbe, die Form oder auch die Anzahl der dargestellten Objekte. Nur kennen die Probanden das Kriterium nicht. Sie erfahren das Kriterium nur indirekt, in dem man den Patienten sagt, ob sie richtig sortiert haben. Wenn sie die Karten richtig sortiert haben, dann ändert sich das Sortierkriterium ohne Ankündigung. Die Versuchsperson muss nun das neu gelernte Sortierkriterium aktiv unterdrücken, um die Karten nach einem neuen, ihm unbekannten, Kriterium zu sortieren. Der Wechsel der Sortierstrategie ist für Personen mit einer Frontallappenläsion sehr problematisch. Die Personen bleiben bei der Strategie, die beim ersten mal richtig war. Wenn sich das Kriterium ändert, dann bleiben sie aber beim alten Kriterium. Manchmal äußern sie sogar, die Vermutung, dass sich das Kriterium geändert hat, manchmal erwähnen sie sogar das neue richtige Kriterium, aber sie sind nicht in der Lage, das neue Kriterium umzusetzen. Zusätzlich ist das assoziative Lernen betroffen. Personen sollen mit der linken Hand den roten Knopf und mit der rechten Hand den grünen Knopf drücken. Sogar diese einfache Reiz-Reaktionsverknüpfung fällt Personen mit einer Schädigung des Frontallappen schwer. Für die meisten Patienten ist diese Aufgabe unlösbar, obwohl sie die rechte und linke Hand benennen und auch die Aufgabe erklären können. Hier scheint vor allem das operante Gedächtnis

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betroffen zu sein. Personen mit einer Schläfenlappenläsion, die an Gedächtnisstörungen leiden, können diese Aufgabe gut lösen. Genauso treten Probleme bei Aufgaben mit verzögertem Antwortverhalten auf. Näheres findet sich im Kapitel Gedächtnis/Das Arbeitsgedächtnis. Die Änderungen des Sozial- und Sexualverhalten ist schwierig zu beschreiben. Man findet Pseudodepressionen und Pseudopsychopathie. Unter einer Pseudodepression versteht man Apathie und absolute Gleichgültigkeit. Genauso beobachtet man einen Verlust an Initiative. Den Patienten stört nichts mehr. Dieses Verhalten tritt vor allem bei linksseitigen Läsionen auf. Unter Pseudopsychopathie, die bei rechtsseitigen Läsionen auftritt, versteht man unreifes Verhalten, Fäkalsprache und übermäßiges sexuelles Verlangen. Als ein dramatisches Beispiel, das auch sehr gut untersucht ist, findet man die Schädigung des Frontallappen von Phineas Gage. Der Arbeiter Phineas Gage war ein netter freundlicher und gewissenhafter Vorarbeiter. Bei einer Explosion mit Dynamit wurde eine rund ein Meter lange und rund 3 cm starke Eisenstange durch seinen Kopf getrieben. Dabei wurde der linke Frontallappen, auf Höhe der medioorbitalen Region, massiv beschädigt. Nach ein paar Tagen ging es dem Patienten schon wieder besser. Äußerlich hat er nur sein linkes Auge verloren. Aber bald stellte sich heraus, dass sich sein Charakter massiv verändert hatte. Er war nun jähzornig, beleidigend und hatte keinerlei Respekt vor seinen Mitarbeitern. Er war von nun an starrsinnig, unberechenbar und wankelmütig, und das praktisch gleichzeitig. Er schmiedete viele Pläne, die er aber meist nicht durchführte um neue zu schmieden. Personen mit einer Schizophrenie zeigen meist ebenso schlechte Ergebnisse, wie Personen mit einer Frontallappenschädigung. Näheres dazu findet man im Kapitel Der Kranke Geist/Schizophrenie. häufigstes Symptom Läsionsort

Störungen der Motorik Verlust der Feinmotorik Area 4 Kraftverlust Area 4, 6; dorsolateral mangelhafte Bewegungsprogrammierung prämotorisch, dorsolateral mangelhafte willkürliche Fixierung mit den Augen frontale Augenfelder mangelhafte visuelle Reafferenz dorsolateral, prämotorisch Broca-Aphasie Area 44

Verlust des divergenten Denkens eingeschränkte Spontaneität orbital mangelhafte Strategiebildung dorsolateral ?

umweltgesteuerte Verhaltenskontrolle geringe Antwortunterdrückung präfrontal Risikobereitschaft, Regelverstoß präfrontal beeinträchtigtes assoziatives Lernen dorsolateral

schlechtes Zeitgedächtnis schlechtes Kurzzeitgedächtnis dorsolateral schlechte Häufigkeitsschätzung dorsolateral schlechter Abruf selbstorganisierter Gedächtnisinhalte dorsolateral schlechte Leistungen bei verzögerten Antworten dorsolateral

gestörtes Sozialverhalten orbital, dorsolateral

verändertes Sexualverhalten orbital

beeinträchtigte olfaktorische Unterscheidungsfähigkeit orbital

Störungen im Zusammenhang mit Läsionen im Gesichtsareal Gesichtsareal Tabelle 4.18: Nach B. Kolb, I.Q. Wishaw, Neuropsychologie, Spektrum akademischer Verlag,, Heidelberg, 19962, Seite 263

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4.4 Die übergeordneten Assoziationsareale Der präfrontale Assoziationskortex: Er ist für die Planung und Durchführung von komplexen motorischen Handlungen verantwortlich. Es werden die Funktionen des prämotorischen und des präfrontalen Cortex miteinander verknüpft. Der prämotorische Cortex wählt eine komplexe Bewegung aus einer Vielzahl von Möglichkeiten aus. Der motorische Cortex ist dann für die Ausführung verantwortlich. Der präfrontale Cortex stellt das Arbeitsgedächtnis dar. Dort existiert ein temporales Gedächtnis über die wahrgenommene Umgebung. Der präfrontale Cortex wählt eine Verhaltensweise aus einer größeren Anzahl von Möglichkeiten aus. Er ist für die Planung von Verhalten und Strategien verantwortlich, ebenso wie er ablenkende Reize ignorieren kann. Er organisiert das zeitliche Verhalten einer Person. Der parital-temporal-occipitale Assoziationskortex: Im occipitalen Kortexareal befinden sich das primäre und die sekundären visuellen Verarbeitungseinheiten (vgl. Sehsystem, Teil I). Der Parietallappen lässt sich in zwei unabhängige funktionelle Einheiten unterteilen: 1) Es existiert ein Rindenfeld für die somatische Empfindung. 2) Die andere funktionelle Einheit ist primär mit der Integration von somatischen und visuellen Reizen beschäftigt. Der temporale Bereich hat folgende Aufgaben: die Verarbeitung auditorischer Informationen, das visuelle Erkennen von Objekten und die Langzeitspeicherung sensorischer Daten. Der limbische Assoziationskortex: Die Speicherung von Informationen über unsere Umwelt in das Langzeitgedächtnis, die Motivation und Entscheidungsfindung als auch die emotionelle Bewertung von Handlungen und Situation werden in diesem Bereich des Gehirns bearbeitet. Über den präfrontalen Assoziatonskortex als auch durch die übergeordneten (sekundären) sensorischen Kortices wird der prämotorische Cortex gesteuert. Durch eine direkte Verbindung wird auf den motorischen Cortex eingewirkt und eine Bewegung kommt zustande.

limbischer Assoziationscortex

parietal-temporal-occipitaler Assoziationscortex

präfrontalerAssoziationscortex übergeordneter

motorischer Cortex

primärer motorischer

Cortex

sekundärer sensorischer

Cortex

primärer sensorischer

Cortex

Abb. 4.19: Die Verknüpfung von verschiedenen Großhirnrindenarealen bei unterschiedlichen „Denkleistungen“ _____________________________________________________________________________________________

Welche Neuronentypen haben welche Aufgaben in der Großhirnrinde? Was kann man durch verschiedene Färbetechniken in der Großhirnrinde erkennen? Wie ist der Cortex cerebri aufgebaut? Welche afferenten und effenten Fasern gelangen in welche Schicht? Was versteht man unter einem Brodmannareal? Welche Arten von Verbindungen gibt es innerhalb der Großhirnrinde? Welche Lappen der Großhirnrinde gibt es und welche Aufgaben haben diese?

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Das Gehirn ist iausgezeichneter Untersuchung dangewiesen. Wenman warten, bisuntersuchen konnund eine eindeumehrere Gehirne Mit der Einführuzu blicken. LeidRöntgenbild nur möglich dem BBlutbahnen des Gunmittelbaren De Aber es war schodas Gehirn, insbproduziert. Schodurchgeführt. ASpannung abzunStröme der GehiHans Berger pubüberprüfte. So naMessungen) auElektroenkephaloVeröffentlichung

_________________48

– – – – – – – –

EEG, MEG, PET

+ + + + + + + +

n den Schädelknochen eingelagert. Dieser Knochen schützt das Gehirn in Weise. Umgekehrt verhindert aber auch dieser Knochen eine einfache es Gehirns. Lange Zeit war man auf pathologische Untersuchungen n ein Patient einen Schlaganfall, eine Hirnhautentzündung usw. hatte, musste der Patient starb, bis man den Schädel öffnen konnte und das Gehirn te. Diese Technik erfordert viel Zeit und meist sind die Schädigungen diffus

tige Zuordnung zwischen dem Gehirnareal und der Funktion ist nur über mit ähnlichen Schädigungen möglich.

ng der Röntgendiagnostik war es erstmals möglich in das Innere des Schädels er ist das Gehirn eine sehr homogene Masse, so dass man auf einem sehr wenig, vor allem aber kaum Strukturen erkennen kann. Allerdings ist es lut ein Kontrastmittel beizumengen. Damit ist es zumindest möglich, die ehirns sichtbar zu machen. Leider ist es damit nicht möglich das Gehirn beim nken näher zu untersuchen.

n bald bekannt, dass das Gehirn elektrisch erregbar ist, beziehungsweise, dass esondere die einzelnen Neuronen, selbst kleinste Ströme bei deren Aktivität n um 1870 wurden Untersuchungen an Kaninchen- und Affengehirnen

llerdings befanden sich bei diesen Experimenten die Elektroden, um die ehmen, direkt auf dem Gehirn. Aber erst 1924 ist es gelungen, diese kleinen rnaktivität durch den Schädelknochen hindurch zu messen. Der Nervenarzt lizierte diese Ergebnisse aber erst 1929, da er seine Ergebnisse immer wieder hm er sehr viele Daten von sich selbst (56 Messungen) und seinem Sohn (73 f. Berger prägte auch den Begriff E.E.G, das damals noch als gramm, heute als Elektroenzephalogramm bezeichnet wird. In den späteren en nahm er nahezu fast alle grundlegenden Beobachtungen vorweg.

___________________________________________________________________________ EEG, MEG, PET

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5.0 Das Elektroenzephalogramm So zeigte sich, dass die elektrophysiologischen Messkurven vom Wachheitsgrad bzw. dem Bewusstseinszustand der Probanden abhing (siehe Abb. 5.0). So zeigten sich zwischen dem EEG und den Zuständen von Wachheit, Entspannung, Schlaf, Hirnreifung, Epilepsie und dem Hirntod gefunden. Berger konnte auch zeigen, dass das EEG sich nicht nur durch sensorische Reize sondern auch durch geistige Tätigkeiten (Kopf-rechnen) verändert. Es wurde auch gezeigt, dass diverse Substanzen, wie Morphine, Kaffee, Schlafmittel, Narkose-mittel, Insulin usw. die EEG-Rhythmik verändert.

50 µV1 sec

Koma

Tiefschlaf

schlafend

schläfrig

entspannt

erregt

Abbildung 5.0: Verschiedene Meßkurven bei unter-schiedlichem Wachheitszustand der Probanden.

Es wurde eine synchron auftretende Aktivität zwischen funktionell gleichen Rindenfeldern der rechten und linken Hemisphäre festgestellt. Interessanterweise bleibt diese Aktivität synchron, auch dann wenn die direkten Verbindungen zwischen diesen Rindenarealen zerstört wird. Dies lässt auf eine zentrale Steuereinheit im Inneren des Gehirn schließen. Um international diverse EEG-Unter-suchungen vergleichen zu können, wurde im Jahr 1957 das sogenannte 10-20-System festgelegt. Die Elektroden befinden sich im Abstand von 10% bzw. 20%. Als absolute Werte werden spezielle Punkte an den Ohren, der Nase und im Nacken verwendet. Von diesen Punkten ausgehend, spannt man ein Netz von Elektroden über die Kopfoberfläche (siehe Abbildung 5.1).

G

F3F7

C4 CzC3T3A1

T5

O1

P3 P4

O2

T6

T4 A2

F8 F4 Fz

Fp1 Fp2

Pz

Die trockene Kopfhaut besitzt einen großen elektrischen Widerstand. Deshalb wird eine physiologische Kochsalzlösung zwischen der Kopfhaut und der Elektrode aufgetragen. Nun kann man zwischen den einzelnen Elektroden die jeweiligen EEG-Spannungen messen. Die Spannungen unterscheiden sich in der Amplitude. Zusätzlich ändert sich die Frequenz in Abhängigkeit von der Gehirnaktivität. Diese Frequenzen müssen gefiltert werden, dass heißt ein Bereich von speziellen Frequenzen werden elektronisch ausgeblendet. Zum Beispiel führt das Schwitzen auf der Kopfhaut zu einer massiven Veränderung der Signale. Diese Signale können schnell dazu führen, dass die Verstärker übersteuert werden, und damit die Signale überhaupt nicht mehr gemessen werden können.

Abbildung 5.1: Die Position der Elektroden aufdem Kopf mit den Elektrodenbezeichnung im1 0-20 System: Fp = frontopolar F = frontal T = temporal C = zentral P = parietal O = okzipital A = aurikulär G = Erdung Ungerade Ziffern beschreiben Elektroden auf derlinken, gerade Ziffern auf der rechten Kopfseite.

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Die Amplituden im EEG haben eine geringe Bedeutung. Dadurch, dass die Amplituden stark von den Ableitebedingungen abhängen, können Vergleiche nur schwer angestellt werden. Die Potentialdifferenz wird zum Beispiel durch die Wahl der beiden Elektroden bestimmt. Wenn man die Spannungen zwischen FP1 und F7 misst, beziehungsweise zwischen FP1 und A1, dann werden sich die Amplituden der Spannungen stark unterscheiden. Die Amplituden die man direkt auf der Großhirnrinde misst liegen bei rund 10 mV, während auf der Kopfoberfläche die Amplituden in der Größe von 100 µV liegen. Für die Aktivität der jeweiligen Rindenareale ist die Frequenz wichtiger, denn die Frequenz verändert sich nicht so leicht, wenn man unterschiedliche Messelektroden verwendet, sie ist aber von der Aktivität der Großhirnrinde abhängig. Das EEG stellt ein Frequenzgemisch dar. Dennoch ist eine Grundfrequenz vorherrschend. Aufgrund des Wachheitszustandes beziehungsweise aufgrund von sensorischen Reizen ändert sich die maßgebliche Frequenz. Die gemessenen Signale werden aufgrund der Frequenz in vier verschiedene Bereiche unterteilt:

Band Frequenz [Hz] Amplitude [µV] Bedeutung α 8 - 13 50 entspannter Wachzustand µ 10-11 50 entspannter motorischer Zustand β 13 - 30 30 Ruhezustand δ unter 4 100 Schlaf, bei Erkrankungen ϑ 4 - 8 100 Emotionen bei Kindern γ 30 - 35 unter 30

Tabelle 5.2: Unterteilung der EEG-Wellen nach Amplitude und Frequenz. Im Ruhezustand (entspannter Wachzustand) treten bei geschlossenen Augen rhythmische Wellen mit einer Frequenz von 8-13 Hz im Hinterhauptslappen auf. Dieser Frequenzzustand wird als Alpha (α)- Zustand bezeichnet. In den okzipitalen Regionen des Gehirns (Hinterkopf) treten die größten und regulärsten α-Wellen auf. Die Amplitude kann während der Messung leicht variieren. Dies hängt mit minimalen Änderungen des Wachheitszustandes des Probanden ab. Vergleicht man die EEG-Kurven des rechten und des linken Sehzentrums, so zeigt sich, dass beide Areale zwar unter den richtigen Umständen α-Wellen produzieren, dass aber keine unmittelbare Synchronisation zwischen diesen Gehirnregionen besteht. Dies lässt vermuten, dass für jede Gehirnhälfte getrennt, die α-Rhythmen generiert werden. Akustische oder taktile Reize haben einen starken Einfluss auf den α-Rhythmus. Die Aufmerksamkeit richtet sich dann auf diesen Reiz und das Gehirn befindet sich nicht mehr im entspannten Wachzustand. Umgekehrt haben abstrakte Denkleistungen, wie Kopfrechnen, kaum bis gar keinen Einfluss auf die α-Wellen. Die α-Wellen können massiv durch visuelle Prozesse unterdrückt werden. Sobald man die Augen öffnet, auch in einem dunklen Raum, wird der α-Rhythmus blockiert. Auch eine bildhafte Vorstellung führt zu einer Blockade. Der µ-Rhythmus ist nach dem α-Rhythmus die deutlichste und häufigste Form hirnlokaler Aktivität. Diese Aktivität steht im Zusammenhang zu motorischen Aktivitäten. Die Wellen treten vor allem in den motorischen Bereichen auf (C3, Cz, und C4). Die Frequenzen liegen im Bereich des α-Rhythmus, meist aber um zirka 1 Hz höher. Die Amplituden liegt ebenso bei rund 50 µV. Bei bilateralem Auftreten sind die einzelnen µ-Wellen der beiden Hemisphären zeitlich nicht korreliert und zeigen unterschiedliche Amplituden. Der µ-Rhythmus ist die Grundaktivität der sensomotorischen und motorischen Areale. Sobald aber eine motorische Aktivität gesetzt wird, zum Beispiel das Formen einer Faust, verschwindet der µ-Rhythmus sofort. Auch die Vorstellung von Bewegung führt zu einer Blockade dieses Grundrhythmussees.

____________________________________________________________________________________________ 50 EEG, MEG, PET

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Potentialschwankungen mit einer Frequenz oberhalb von 13 Hz werden als Betawellen bezeichnet. Diese β-Wellen werden als die eigentliche Form der lokalen Ruheaktivität der Großhirnrinde betrachtet, die lediglich in der hinteren sensorischen Hirnhälfte die α-Aktivität ersetzt. Die δ-Aktivität tritt hauptsächlich bei Säuglingen und teilweise auch bei Kindern und Jugendlichen auf. Bei Erwachsenen treten δ-Wellen nur im Schlaf oder bei Hyperventilation auf. Sonst haben δ-Rhythmen ausschließlich pathologische Hintergründe, wie Tumore, entzündliche Prozesse im Gehirn, Gehirntraumata oder Arteriosklerose. Die ϑ-Aktivität ist im Kindesalter eine typische Aktivität. Ab dem 8.Lebensjahr tritt die ϑ-Aktivität in den Hintergrund und die α-Aktivität wird stärker. Im Kindesalter treten ϑ-Wellen hauptsächlich bei emotionell belastenden Situationen auf. Vermutlich werden die ϑ-Rhythmen durch das limbische System ausgelöst. Bei einer Minderung des Wachheitszustandes können ϑ-Wellen - mit einer geringen Amplitude - beobachtet werden. Damit stellt sich die Frage, wie es zu den einzelnen Potentialen auf der Schädeloberfläche kommt. Man könnte leicht vermuten, dass die Aktionspotentiale Verursacher des EEG's sind. Diese Annahme ist aber falsch. Ein Aktionspotential hat zwar eine beträchtliche Größe, aber ist nur von sehr kurzer Dauer. Durch die Aktionspotentiale werden aber auch synaptische Potentiale ausgelöst. Diese sind zwar um einiges kleiner in der Größe (≈ 1 mV), aber sie halten bedeutend länger an (rund 30 mal länger). Zusätzlich darf man nicht übersehen, dass ein Aktionspotential bis zu 1000-10000 Synapsen aktiviert (siehe Abb. 5.3). Dadurch entstehen, angenommen die Hälfte der Synapsen produziert ein Potential von der Größe von 1 mV bei der Aktivierung durch ein Aktionspotential, ein Gesamtpotential von 500-5000 * 1 mV = 500mV - 5000mV. Dieses Summenpotential ist beträchtlich größer als ein einzelnes Aktionspotential (rund 100 mV).

Summenpotential

EPSP´s

Aktionspotentiale

t

U

Abbildung 5.3: Entstehung des Summen-potentials durch mehrere synaptischePotentiale. Vergleich des Summen-potentials, der synaptischen Potentiale undder Aktionspotentiale (nicht direkt prop.!).

Ein Neuron kann in einfachster Weise als ein Dipol betrachtet werden. Den einen Pol stellt das Ende des Hauptdendriten dar, während der zweite Pol der Zellkörper ist. Natürlich handelt es sich um eine sehr starke Vereinfachung, die aber nützliche Ergebnisse liefert. Man muss sich dabei bewusst sein, dass ein Neuron eine viel zu komplexe Struktur besitzt um einfach als Dipol beschrieben zu werden. Wird der Hautdendrit (bzw. der Zellkörper) durch synaptische Potentiale (egal ob es sich um EPSP´s oder um IPSP´s handelt) gereizt, so wird lokal die Membran polarisiert (de- oder hyperpolarisiert). Diese Polarisation entspricht einem lokalen Ionenungleichgewicht zwischen der Innen- und Außenseite der Membran. Zusätzlich entsteht eine Potentialdifferenz zwischen dem Hauptdendriten und dem Zellkörper. Außerhalb der Membran des Hauptdendriten befinden sich mehr Kalium-Ionen (im Inneren mehr Natriumionen) als beim Zellkörper.

___________________________________________________________________________________ Brain Modelling I 51

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Dieses Ionenungleichgewicht wird nach einiger Zeit ausgeglichen - die durch synaptische Potentiale verursachte Polarisation der Membran wandert zum Zellkörper. Wenn umgekehrt der Zellkörper polarisiert wird, so wandert das Ionenungleichgewicht zum Ende des Hauptdendriten. Bei der Erzeugung eines EPSP´s an einer Synapse am Ende des Hauptdendriten wird im Membranbereich der nachgeschalteten Synapse die positiven Ladungen an der Zellaußenseite verringert. Dies lässt diesen Bereich relativ zur Außenseite des Zellkörpers, der nicht polarisiert ist, vorübergehend negativer erscheinen. Elektrisch betrachtet wird der depolarisierte Bereich zum Minuspol, während die nicht polarisierten Bereiche (z.B. der Zellkörper) zum Pluspol werden. Das Dipolkonzept kann vor allem bei Pyramidenzellen angewendet werden, da aufgrund der Morphologie des Neurons eine einzige lange Achse, zwischen dem Ende des apikalen Dendriten und dem Zellkörper, gegeben ist. Damit gibt es einen größeren Abstand zwischen dem Pluspol und dem Minuspol als im Gegensatz zu den Körnerzellen mit den charakteristisch kurzen Dendriten. Ein idealisiertes Feldpotential, entstanden durch ein EPSP am Dendriten eines Pyramidenneurons, ist in Abbildung 6.3 dargestellt. Das elektrische Feld wird durch Feldlinien dargestellt. Verbindet man im gesamten Feld alle Punkte mit dem gleichen Potential, so erhält man die Äquipotentiallinien. An Elektroden die sich auf der selben Äquipotentialline befinden, kann keine Potentialdifferenz gemessen werden. Es ist also wichtig, dass die Elektroden so platziert sind, dass eine Potentialdifferenz (=Spannung) gemessen werden kann.

–1.0 +0.25

±0.0

–0.25

Feldlinie Äquipotential

±0.0

–1.0

+0.5

–0.5 –0.5

+0.25

–0.25 –0.25

Abbildung 5.4: Darstellung der Feldlinien und ÄquipoPyramidenneurons. Der negative Pol liegt am Ende des apikaliegt. In der Abbildung 5.4 wurde das idealisierte Potentiadifferenzen können Spannungen gemessen werdbesonders aktiv ist, viele synaptische Potential dieliegen zu weit beieinander, dann kann es passieelektrische Aktivität gemessen wird. Für das elektrische Potential ist es wesentlich, wobeziehungsweise ob die Membran depolarisiert (EP

___________________________________________________52

±0.0

+0.25

+

line

+1.0 +0.5

tentiallinien eines durch eine EPSP aktivierten len Dendriten, während der Pluspol beim Zellkörper

l von -1 bis +1 normiert. Nur bei Potential-en. Wenn nun eine Neuronenpopulation Neuronen aktivieren, und die Elektroden ren, dass nur eine geringe bis gar keine

die postsynaptischen Potentiale angreifen, SP) oder hyperpolarisiert (IPSP) wird. Dies

_________________________________________ EEG, MEG, PET

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verursacht unterschiedliche Potentiale. Dennoch ist es möglich, daß EPSP´s und IPSP´s gleichartige Potentiale verursachen. Wenn ein IPSP am Zellkörper, bzw. ein EPSP am apikalen Dendriten angreift, dann entstehen gleichartige Potentiale, denn der Strom fließt in die gleiche Richtung. Der einzelne Unterschied besteht in der Stärke des Feldes. Die beiden anderen Fälle, EPSP am Zellkörper und IPSP am apikalen Dendriten, führen zwar wieder zu identen Potentialen zueinander, aber diese Fälle treten in der Großhirnrinde kaum bis gar nicht auf. Somit werden mit einem EEG EPSP´s am apikalen Dendriten und IPSP´s am Zellkörper gemessen. – –

– – – – – –

+ + + + + + + +

+ ++ ++ ++ +

– –– – – – – –

+ ++ ++ ++ +

– –– – – – – –

– – – – – – – –

+ + + + + + + +

EPSP IPSP

+

-

Abbildung 5.5: Unterschiedliche Innervierung durch EPSP´s und IPSP´s an Pyramidenneuronen. Der durch EPSP depolarisierte Bereich wird zum Minuspol, während der durch IPSP hyperpolarisierte Bereich positiver als der übrige Membranbereich wird.

___________________________________________________________________________________ Brain Modelling I 53

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Das gemessene EEG hängt sehr stark von der Größe und der Form der Neuronenpopulation ab. Das Feldpotential einer Gruppe von Neuronen entspricht der Summe der Feldpotentiale, die durch die Aktivität der einzelnen Neuronen entstehen. Wenn die Neuronen parallel zueinander stehen, und die Gruppe senkrecht zur Kopfoberfläche liegt, dann können die überlagerten Potentiale leicht gemessen werden. Die einzelnen Potentiale überlagern sich (siehe Abb. 5.6a,b). Wenn die Neuronen nicht gleichzeitig aktiviert werden (siehe Abb. 5.6c,d), oder die Neuronen nicht gleichgerichtet sind, dann überlagern sich die Potentiale, allerdings löschen sie sich diesmal gegenseitig aus. Man wird ein Signal nur sehr schwer messen können.

a b

c d

Abbildung 5.6: In der Graphik a werden die parallel liegenden Pyramiden-zellen gleichzeitig aktiviert, die Homogenität und Größe des Potentials ist inb zu erkennen. In c und d werden die Neuronen ungleichmäßig aktiviert, dasPotential hebt sich an manchen Stellen auf und wirkt insgesamt geringer.

In diesem Bereichkönnen die elektrischenFelder nicht gemessenwerden.

Großhirnrinde

Gruppe von Neuronen

Schädeloberfläche Abbildung 5.7: Lage von Neuronenverbänden. Durch Einstülpungen der Großhirnrinde können Gruppen von Neuronen auch parallel zur Kopfoberfläche liegen. Innerhalb der Großhirnrinde liegen meistens Neuronen parallel zueinander und senkrecht zur Oberfläche der Großhirnrinde. Allerdings entstehen in den Entwicklungsphasen Furchen und Einstülpungen der Großhirnrinde (siehe Abb. 5.7). Dadurch ist es möglich, daß einzelne Gruppen nicht senkrecht zum Schädel, sondern waagrecht, liegen. Auch wenn diese Gruppe sehr aktiv ist, werden nur geringe Potentiale gemessen (siehe Abb. 5.4). Meist liegen diese waagrecht liegenden Gruppen anderen Gruppen gegenüber. Nicht selten sind beide Gruppen gleichzeitig aktiv. Damit löschen sich die einzelnen Potentiale gänzlich aus und am EEG-Schreiber erscheint eine Nulllinie. Diese Gehirnbereiche können aber durch andere Meßmethoden zugänglich gemacht werden. Das Potential der aktivierten Neuronen, die in der Nähe des Schädels liegen, können leichter gemessen werden, als Neuronen die tiefer liegen. Da die Feldstärke eines Dipols mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt, werden die einzelnen Potentiale rasch unmessbar. Die Entfernung zwischen den koriticalen Potentialgeneratoren und den EEG-Ableiteelektroden

____________________________________________________________________________________________ 54 EEG, MEG, PET

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wird durch anatomische Gegebenheiten bestimmt. Nur rund ein Drittel der Großhirnrinde liegt nahe an der Schädeloberfläche. Nur dieses Drittel ist für EEG-Ableitungen unmittelbar zugänglich. Über das EEG können auch langfristige Änderungen der elektrischen Potentiale der Neuronen gemessen werden. Das Membranpotential von Neuronen kann sehr langsame Schwankungen aufweisen. Normalerweise werden die einzelnen Spannungen der Neuronen durch RC-Verstärker messbar gemacht. Dabei werden langsame Spannungsveränderungen herausgefiltert. Verwendet man aber Gleichspannungsverstärker, dann können diese langsamen und geringen Potentialänderungen gemessen werden. Meist kommt es dann zu einer Überlagerung zwischen den DC-Potentialen (langsamen Gleichspannungspotentialen) und den EEG-Potentialen. Die Ursache für die DC-Potentiale ist noch nicht geklärt. Man vermutete einen Zusammenhang zwischen der elektrischen Aktivität von Gliazellen und den Gleichspannungspotentialen. Diese Vermutung konnte nicht bestätigt werden. Möglicherweise sind extrem lang anhaltende PSP´s dafür verantwortlich. In der klinischen Praxis für Routineableitungen hat sich die Einstellung des Hochfrequenzfilters auf 70 Hertz, das heißt durch die Messapparatur werden Signale mit höheren Frequenzen herausgefiltert, und der unteren Grenzfrequenz auf 0.53 Hertz (dies entspricht 0.3 Sekunden) als optimaler Kompromiss durchgesetzt. Das EEG dient dazu, Prozesse der Signalverarbeitung im Gehirn zu messen. Einerseits kann das EEG Auskunft über den allgemeinen Zustand einer Person Auskunft geben (Schlaf-, Wachheits- oder Ruhezustand). Andererseits kann auch die neurale Aktivität, die speziellen Wahrnehmungs- oder Denkprozessen zugrunde liegt, gemessen werden. Es sind Potentialänderungen, die durch sensorische Reize oder durch Verarbeitungsprozesse verursacht werden. Diese Potentiale werden als ereignisbezogene Potentiale - ERP´s (event related potential) bezeichnet, manchmal findet man auch noch die veraltete Bezeichnung evoziertes Potential - EP (evoked potential). Leider ist die Potentialänderung bei einem ereignisbezogenem Potential sehr gering. Der Ausschlag beträgt durchschnittlich von 0.1µV bis 20 µV, während die Hauptaktivität des EEG bei 10 µV bis 100µV liegt. Dies führt dazu, daß die ERP´s in der Hintergrundaktivität leicht untergehen. Deshalb erfordert es einen besonderen Aufwand diese Signale aufzuspüren. Bei der Dauerreiz-Methode werden dem Gehirn in kurzen zeitlichen Abständen - mit einer bestimmten Frequenz - idente Reize angeboten. Da die Reize dem Gehirn so rasch hintereinander angeboten werden, überlappen sich die ereignisbezogenen Potentiale und es bildet sich ein Dauerpotential. Dieses Potential ist aber ebenso gering, wie ein einzelnes normales Potential. Um es aus der Hintergrundaktivität des Gehirns herauszufiltern, verwendet man die Fourier-Analyse. Bei der Fourier-Analyse werden Wellen nach den Frequenzeigenschaften untersucht. Da die Reizfrequenz bekannt ist, braucht man nur nach dieser Frequenz im EEG-Signal suchen (siehe Abb. 5.8).

___________________________________________________________________________________ Brain Modelling I 55

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0 1 2 3 4 5 6 7 sec.

0.0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 sec.

≈5µV

Beginn der Reizung

Abbildung 5.8: In der oberen Darstellung ist ein EEG-Signal mit Dauerreizung dargestellt. In der unteren Darstellung wurde das Signal Fourier-analysiert und man erkennt die Abweichung. Zu beachten ist die unterschiedliche Zeitskala. Das andere Verfahren wird als Mittelungsverfahren bezeichnet und es erfordert zwei Annahmen. Eine Annahme besteht darin, daß das ereignisbezogene Potential in einer

konstanten Beziehung zu dem Reiz steht, während die Hintergrund-aktivität, vergleichbar einem Rauschen, keine Regelmäßigkeiten aufweist. Die zweite Annahme besteht darin, daß idente Reize gleiche Amplituden mit der gleichen Zeitdauer verursachen. Dem Gehirn wird in mehreren Versuchsdurch-gängen der idente Reiz geboten. Die EEG-Kurven werden, während der Reiz ausgelöst wird, aufgenommen und summiert und durch die Anzahl der Versuchsdurchgänge dividiert. Auf diese Weise erhält man das mittlere evozierte Potential. Mit dieser Technik wird das Signal, das Potential das durch den Reiz verursacht wird, Rauschverhältnis verbessert. Da bei der Hintergrund-aktivität - dem Rauschen - positive wie negative Amplituden mit gleicher Wahrscheinlichkeit auftreten, mittelt sich das Rauschen heraus und nur das Reizsignal bleibt übrig (siehe Abb. 5.9). Die Wirksamkeit der Mittelung wird durch das Quadratwurzelgesetz beschrieben.

0 0.1 0.2 0.3 0.4 sec

10 µV

16

200

4

1

Anzahl der gemittelten Meßkurven

Abbildung 5.9: Die Mittelung von 200 verschiedenen EEG-Meßkurven führt zu einem eindeutigen Reiz-Potential-Zusammenhang.

Die Einteilung der EEG-Kurven in vier verschiedene Rhythmen ist ziemlich willkürlich. Trotzdem zeigt sich, daß verschiedene Zustände des Gehirns mit diesen Rhythmen korrelieren.

____________________________________________________________________________________________ 56 EEG, MEG, PET

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Natürlich misst das EEG die Aktivität von einzelnen Neuronen, aber die Gruppen von Neuronen werden von anderen Subsystemen gesteuert. Diese Subsysteme können in den Gruppen eine Synchronisation erleichtern oder erschweren. Somit stellt sich die Frage, welche Subsysteme für diese Rhythmen zuständig sind. Für den Alpha-Rhythmus ist eine besondere Struktur des Thalamus zuständig. Der Thalamus ist eine Gruppe von Kernen im Inneren des Gehirns. Man unterscheidet zwei Arten von Kernen: Spezifische Kerne: Alle Sinnesorgane, mit Ausnahme des Riechens, liefern ihre Signale an

den jeweiligen spezifischen Kern. Die Informationsübertragung ist topologisch geordnet, das heißt benachbarte Reizzellen aus den Sinnesorganen liefern ihre Signale an benachbarte Neuronen im Thalamus und diese liefern wiederum ihre Signale an benachbarte Neuronen in der Großhirnrinde. Im Thalamus kommt es zu einer Vorverarbeitung (siehe "Das Sehsystem"). Die Verbindung vom Thalamus zur Großhirnrinde ist reziprok. Man spricht von einer thalamo-cortico-thalmischen Schleife.

Unspezifische Kerne: Die unspezifischen Kerne innervieren ebenso die Großhirnrinde,

allerdings diffus. Die Abbildung von den Kernen in die Großhirnrinde ist nicht topologisch geordnet. Über diese Kerne kann das Erregungsniveau der Neuronen in der Großhirnrinde gesteuert werden. Dies erleichtert oder erschwert die Synchronisation in den jeweiligen Arealen. Die unspezifischen Kerne erhalten ihre Signale aus anderen tieferliegenden Strukturen des Gehirns, insbesonders der Formatio reticularis. Manche Wissenschafter gehen so weit, daß sie diese Thalamuskerne als eine direkte Fortsetzung der Formatio reticularis bezeichnen.

Eine besondere Struktur - der Nucleus reticularis thalami - wird zu den unspezifischen Kernen gezählt, obwohl er eine flächige Struktur besitzt. Diese Zellschicht umgibt alle Kerne des Thalamus. Alle thalamo-cortico-thalmischen Schleifen laufen durch diese Schicht. Er enthält von den durchziehenden Faserbündeln durch Abzweigungen erregende Signale (EPSP´s). Umgekehrt innerviert der Nucleus reticularis thalami die durchgehenden Faserbündel inhibitorisch.

visuellerStimulus

U [WE]

U [WE]

"Desynchronisation"

EEG + DC

EEG t

t Abbildung 5.10: Zwei EEG-Ableitung, mit und ohne Gleichspannungskomponente, während eines visuellen Stimulus.

___________________________________________________________________________________ Brain Modelling I 57

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Wenn der Thalamus viele sensorischen Afferenzen erhält, befindet sich der jeweilige thalmische Kern im Transfermodus. Das heißt, daß die Signale von der Sensorik direkt über den Thalamus in die Großhirnrinde gelangen. Im EEG kann man eine sogenannte Desynchronisation beobachten. Dieser Begriff selbst ist ziemlich widersprüchlich. Im EEG erkennt man, daß durch ein Desynchronisation die Amplituden geringer und die Frequenzen höher werden (siehe Abb. 5.10). Praktisch kommt es aber während der Desynchronisation im EEG-Bild zu starken Synchronisationen in den betroffenen Gebieten der Großhirnrinde. Meist führt dies zu einer Frequenz der Aktivität des neuralen Assembles von rund 40 Hertz. Diese Frequenz ist in der Regel für die klassische Auflösung zu groß - das Schreiberpapier bewegt sich zu langsam um höhere Frequenzen sinnvoll aufzuzeichnen.

Formatio reticularis

Thalamo-cortico-

thalmische Schleife

Mediale Thalamus-kerne

spezifischer THALAMUS-KERN

Nucleus reticularis thalami

Großhirnrinde Abbildung 5.11: Die Verknüpfungsstruktur zwischen einem spezifischen Thalamuskern, dem Nucleus reticularis thalami und der Großhirnrinde. Wenn kaum sensorischen Reize den Thalamus erreichen, dann befindet sich der Thalamus im Oszillatormodus. Die thalamo-cortico-thalmische Schleife wird vor allem durch den Nucleus reticularis thalami aktiviert. Dabei treten abwechselnd kaum Signale und dann kurzzeitig viele Signale als Bursts mit einer Frequenz von 7-14 Hertz auf. Bei verminderter sensorischer Afferenz werden einlaufende Signale, die nicht synchron sind, in den Neuronen der spezifischen Thalamuskerne durch Kontrolle inhibitorischer Rückkopplungen des Nucleus reticularis thalami in gruppierte Entladungen umgewandelt. Diese Entladungen führen über die

Verbindungen zur Großhirnrinde zum typischen Alpha-Rhythmus.

zur Groß-hirnrinde

Formatio Reticularis von der Sensorik

FR

Nucleus reticularis thalami

Thalamus

Welche Aufgabe hat der α-Rhythmus für die Informationsverarbeitung des menschlichen Gehirns. Deshalb ist es notwendig, die psychologischen Bedingungen für das Auftreten des α-Rhythmus näher zu betrachten. Im Ruhezustand treten die α-Wellen vor allem im postzentralen Teil des Gehirns auf. In diesem Gebiet liegt das primäre visuelle, das primäre somatosensorische und zum Teil das primäre auditive Areal. Vor allem das Sehzentrum ist vorrangig in diesem Gebiet vertreten. Dieser Sinn ist der einzige der bewusst durch den Lidschlag abgeschaltet werden kann. Die Aufmerksamkeit wird zu einem

Abbildung 5.12: Die Verschaltung zwischen demNucleus reticularis thalami, den Neuronen desThalamus und der Formatio reticularis. ErregendeEinflüße werden durch Pfeile und hemmende durcheinen Block dargestellt

____________________________________________________________________________________________ 58 EEG, MEG, PET

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wesentlichen Teil durch die Formatio reticularis gesteuert. Diese Kerne erhalten von allen sensorischen Einheiten (wahrscheinlich) unspezifische Signale. In der Formatio reticularis werden diese sensorischen Signale zusammengefasst. Die Formatio reticularis innerviert viele Areale in der Großhirnrinde und im Thalamus. Je stärker die Formatio reticularis aktiv ist, umso leichter können Synchronisationen in der Großhirnrinde auftreten. Beim Schließen der Augen gelangen weniger Informationen in den seitlichen Kniekörper. Dies führt zu einer Abnahme der Aufmerksamkeit. Akustische und somatosensorische Reize können den Abfall der Aufmerksamkeit nur begrenzt verhindern (mit der Ausnahme bei blinden Personen). Wenn die Formatio reticularis verstärkt durch die Sensorik aktiviert wird, dann hemmt sie einerseits den Nucleus reticularis thalami und andererseits wird der Thalamus soweit aktiviert, daß die Signale aus der Sensorik im Thalamus vorverarbeitet werden und dann zur Großhirnrinde gelangen (siehe Abb. 5.12). Wenn die Hemmung der Formatio reticularis auf den Nucleus reticularis thalami aufhört, dann kann sich eine Gegenkopplungsschleife zwischen dem Thalamus und dem Nucleus reticularis thalami bilden. Wahrscheinlich sind dabei auch sogenannte Pace-Maker Zellen beteiligt. Diese Zellen geben, wenn sie aktiviert werden, mit einem konstanten Rhythmus kurzfristig mehrere Aktionspotentiale ab und dann bleiben sie für längere Zeit inaktiv. Dieser einsetzende α-Rhythmus, bei visueller Reizdeprivation garantiert auch bei geschlossenen Augen - mit Ausnahme, daß das Gehirn sich nicht im Schlafzustand befindet - bei akustischen oder anderen alarmierenden Reizen eine sofortige Reaktionsbereitschaft. Der α-Rhythmus kann aber auch durch intensives Assoziationen abgelöst werden. Dabei sind andere Rindenareale beteiligt, insbesonders der Schläfen- und der Frontallappen. Diese beiden Regionen sorgen für Synchronisationen von Neuronen im primären visuellen Areal. Es ist dabei völlig egal ob die Synchronisationen durch visuelle Reize oder durch die Innervation von anderen Rindenarealen verursacht wird. Mit der Technik elektrische Signale des Gehirns zu detektieren, können aber auch noch andere Bereiche, als die Großhirnrinde vermessen werden. So stellt das Stammhirn-EEG einen

wichtigen Beitrag dar, um die Hörfähigkeit zu vermessen. Die Elektroden werden im Bereich des Halses befestigt. Diese Stammhirn-potentiale haben eine besonders geringe Amplitude (weniger als ein Mikrovolt) und der Hals darf unter gar keinen Umständen bewegt werden - der Patient muss meist fixiert werden. Ein besonderes Stammhirnpotential ist das ABR (auditory brainstem response). Dieses Potential wird durch einen Klicklaut ausgelöst. Dieser Klicklaut wird vom Ohr detektiert. Von dort aus gelangen die Aktionspotentiale hintereinander zu 7 verschiedenen Kernen. In jedem Kern kommt es zu einer charakter-istischen Aktivität. Aufgrund der Weiter-leitungsgeschwindigkeit der Aktionspotentiale werden die Kerne der Reihe nach aktiviert. So kann man zeitlich hintereinander 7 ver-schiedene Potentiale messen. Wenn einzelne Kerne beschädigt sind, kommt es zu ver-minderten Potentiale. Betrachtet man Abbildung 5.13 so kann man im oberen Bereich das ABR mit 7 verschiedenen, zeitlich ver-setzten, Peaks gut erkennen. Das untere ABR weist einige Abnormitäten auf. Die ersten 3 Peaks sind zeitlich verschoben und ab dem 4 typischen Ausschlag fehlt das Signal gänzlich. Dies lässt sich durch einen Tumor erklären. Der

25 µV

2 ms

1 2 3 4 5 6 7

tAbbildung 5.13: In der oberen Darstellung er-kennt man ein typisches ABR, während imunteren Bereich ein pathologisches ABR darge-stellt ist.

___________________________________________________________________________________ Brain Modelling I 59

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Tumor fordert Raum, dadurch werden die Nervenstränge, die die ersten 3 Kerne verbinden, gezerrt. Das Signal muss einen längeren Weg nehmen - es kommt zu einer zeitlichen Verschiebung. Leider hat der Tumor den vierten Kern zerstört und die Signale können dort nicht mehr weiterverarbeitet werden. 5.1 Das Magnetoenzephalogramm Das EEG ist wohl das Analysegerät des aktiven Gehirns, das am höchsten weiterentwickelt wurde. Dennoch können mit dem EEG einige interessante Denkvorgänge nicht beobachtet werden, zum Beispiel die elektrische Aktivität der Großhirnrindenbereiche, die innerhalb der Furchen liegen. Eine Methode misst das Magnetfeld, der depolarisierten Neuronen. Sie wird als Magnetoenzephalographie MEG bezeichnet. Das MEG ist zum EEG komplementär. Das

heißt mit dem MEG können Gehirnaktivitäten gemessen werden, die mit dem EEG nicht gemessen werden können und umgekehrt.

– – – – – – – –

+ + + + + + + +

StromMagnetfeld Im Prinzip misst ein MEG die Magnetfelder, die durch die elektrischen Signale entstehen. Wenn die Membran im Bereich des apikalen Dendriten depolarisiert wird, entsteht ein elektrisches Feld, das mit einem EEG gemessen werden kann. Diese Depolarisationswelle wandert nun zum Zellkörper. Dabei fließt ein Strom. Bei jedem Strom entsteht orthogonal zur Flussrichtung ein Magnetfeld. Dieses Magnetfeld kann nun gemessen werden. Da das Magnetfeld senkrecht zur Stromrichtung steht, können mit dieser Methode auf der Schädeloberfläche nur horizontal liegende, elektrisch aktive Gruppen von Neuronen vermessen werden.

Abbildung 5.14: Die Ausbreitungeines Magnetfeldes orthogonale zurStromrichtung innerhalb einesNeurons.

Das gemessene neuromagnetische Feld ist äußerst schwach und liegt in der Größenordnung von 10-12 Tesla. Im Vergleich liegt das ständige Erdmagnetfeld bei rund 10-5 Tesla. Deshalb ist es notwendig den Messraum sehr gut gegen äußere Einflüsse abzuschirmen. Des weiteren müssen die Sensoren eine hohe Sensibilität besitzen. Als Sensoren verwendet man gerne SQUID´s (superconducting quantum interference device), die aber erst bei einer Temperatur von 4° Kelvin arbeiten. Sie müssen mit flüssigem Helium gekühlt werden. Der große Vorteil des MEG besteht darin, daß das Magnetfeld nicht durch die Kopfhaut beziehungsweise durch den Schädelknochen beeinflusst wird. Über den Abfall der Signalstärke ist es möglich - mit gewissen Grenzen - die neurale Aktivität in der Tiefe des Gehirns zu vermessen. Die Stärke des Feldes gibt Auskunft über die Entfernung der neuralen Aktivität zum Sensor. Leider sind der Aufwand und die Kosten für eine MEG-Untersuchung sehr aufwendig.

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5.2 Der Positron-Emissions-Tomograph (PET) Der Positron-Emissions-Tomograph stellt sicher eines der spannendsten Neuerungen in der Diagnostik dar. Mit diesem Gerät ist es möglich, das Gehirn beim Denken zu betrachten, insbesonders lassen sich die Denkvorgänge visualisieren. Die Grundidee hinter diesem Gerät besteht darin, den erhöhten Verbrauch von Sauerstoff und Glucose bei Denkvorgängen zu messen. Wenn Neuronen öfters feuern, muss das Membranpotential aufrecht erhalten werden. Dies geschieht unter anderem durch die Ionenpumpen. Diese Ionenpumpen benötigen Energie, damit sie arbeiten können. Dadurch steigt auch die Durchblutung im Gehirn. Dies wurde schon 1890 vermutet, und konnte kurz darauf bewiesen werden. Man stellte fest, daß besonders aktive Bereiche bei epileptischen Anfällen anschwellen. Später, im Jahr 1961, konnte man schon viel detaillierter die erhöhte Durchblutung messen. Man injizierte den Patienten eine physiologische Salzlösung mit gelöstem radioaktiven Xenon133-Gas direkt in eine Hirnarterie. Mit einer Spezialkamera mit 254 Detektoren konnte die erhöhte Radioaktivität bei erhöhter Durchblutung gemessen werden. Diese Bilder waren noch nicht besonders aussagekräftig, sehr wohl aber der Schritt in die richtige Richtung. Mit besseren Detektoren, einer aufwendigeren Elektronik konnte dann der PET entwickelt werden. Dieses Mal wird aber nicht radioaktives Gas direkt gemessen. Man verwendet einen Positron-Emitter. Dabei handelt es sich um ein radioaktives Isotop, das Positronen aussendet. Bei einem Positron handelt es sich um ein Elektron mit einer entgegengesetzten Ladung. Wenn ein Elektron und ein Positron zusammentreffen, dann vernichten sich beide (Paarvernichtung) und es werden 2 Gammateilchen (Photonen) frei, die in genau entgegengesetzte Richtungen fliegen. Rund um den Kopf sind nun lauter Detektoren angebracht. Wenn nun 2 Detektoren, die genau gegenüber liegen, gleichzeitig aktiviert werden, dann kann man sehr genau rückrechnen, wo die Paarvernichtung stattgefunden hat. In den Bereichen, in denen die Durchblutung ansteigt, dort werden sich vermehrt Positron-Emitter sammeln. Natürlich werden von dieser Stelle aus, mehr Gammateilchen ausgestrahlt.

Detektor

γ

e-

e+

γ

Abb. 5.15: Der Kopf ist in einer Ebene vonγ-Detektoren umgeben, die indirekt den Ortder Paarvernichtung detektieren.

In das Blut wird radioaktives Wasser, angereichert mit dem Positron-Emitter O15, verwendet. Dieses Isotop hat eine Halbwertszeit von rund 2 Minuten. Es werden aber auch noch andere Isotope wie N13 (2 min), C11 (10 min) oder F18 (110 min) verwendet. In den Klammern ist die jeweilige Halbwertszeit angegeben. Diese Methode klingt unheimlich verlockend – dem Gehirn beim Denken zusehen. Aber man muss auch auf ein paar Probleme hinweisen. Ein Neuron feuert im Ruhezustand rund ein bis zehn mal pro Sekunde. Das heißt, jedes Neuron ist auch im Ruhezustand aktiv. Man muss nun die Änderung, das heißt die Zunahme, der Durchblutung messen. Leider sind singuläre Denkprozesse nicht leicht zu beobachten, denn wenn man sich an etwas erinnert, dann werden neue Erinnerungen initiiert und Handlungen beeinflusst und so weiter. Das bedeutet, daß der selbe Reiz oder auch das selbe Gedankenmuster öfters „gedacht“ werden muss. Aus mehreren dieser Durchläufe kann man sich die Verteilung der Aktivität bei einem Reiz in einer Scheibe des Gehirns berechnen. Dann muss dieselbe Person noch an „nichts“ denken. Damit erhält man

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die Hintergrundaktivität des Gehirns. Wenn man beides voneinander abzieht, wissen wir welche Bereiche des Gehirns (in einer Scheibe) eine erhöhte Durchblutung bei der Reizung besitzen. Damit kennen wir aber nur, die Aktivität bei standardisierter Reizung von einem Individuum. Nun muss die Testreihe noch auf mehrere Personen angewandt werden, da nicht alle Gehirne anatomisch gleich aufgebaut sind. Das heißt, man muss von mehreren Individuen mit und ohne Reiz eine PET-Aufnahme machen, und dies mehrmals. Leider ist auch die Auflösung der Gamma-Detektoren noch nicht ausreichend, um einzelne Details erkennen zu können. Aber mit einigen Tricks aus der Statistik ist es schön möglich, interessante Details erkennbar zu machen. Der große Vorteil dieser Methode besteht vorallem darin, daß man auch einen Blick in das Innere des Gehirns machen kann, ohne den Schädel öffnen zu müssen. Gerade bei der Verarbeitung von Informationen in den Basalganglien oder dem limbischen System kann man auf sehr interessante Daten hoffen. Abb. 5.16: Darstellung von verschiedenen PET-Aufnahmen einzelner Patienten. ____________________________________________________________________________ Was versteht man unter dem 10-20 System? Welche Faktoren verhindern oder beschweren eine EEG-Messung? Welche Grobeinteilung der EEG-Kurven gibt es und welche Bedeutung haben diese? Was wird beim EEG exakt gemessen?

____________________________________________________________________________________________ 62 EEG, MEG, PET

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Wie wirken sich EPSP’s beziehungsweise IPSP’s auf das EEG aus? Was kann mit einem EEG nicht gemessen werden? Was versteht man unter der Dauerreizmethode beziehungsweise unter dem Mittelungsverfahren? Wie versteht man unter dem Begriff „Desynchronisation“? Erläutern sie die Verschaltung der Formatio reticularis thalmi? Was kann man mit einem MEG messen? Wofür ist das EEG und wofür ist das MEG geeignet? Wie funktioniert ein PET?

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