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Das Längsschnittprojekt Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre Bewältigung im Jugendalter Brigitte Rollett und Harald Werneck Forschungsbericht Universität Wien Fakultät für Psychologie Institut für Entwicklungspsychologie und Psychologische Diagnostik 2008

Brigitte Rollett und Harald Werneckhomepage.univie.ac.at/harald.werneck/FIL/Forschungsbericht_t6.pdf · erfassen. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Verfahren: Die Bayley-Scales

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Das Längsschnittprojekt Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL):

Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre Bewältigung im

Jugendalter

Brigitte Rollett und Harald Werneck

Forschungsbericht

Universität Wien Fakultät für Psychologie

Institut für Entwicklungspsychologie und Psychologische Diagnostik

2008

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Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL):

Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben

und ihre Bewältigung im Jugendalter

Projektleitung

O.Univ.Prof.em.Dr.BrigitteRollett

Ass.Prof.Dr. Harald Werneck

Projektmitarbeiter/in

Guido Nold (Projektkoordinator)

Mag. Monika Pucher

Diplomandinnen

Karin Brandl

Mag. Judith Gregor

Mag. Evelyn Langthaler

Mag. Anita Lechner

Mag. Monika Pucher

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Inhaltsverzeichnis

1. Das Gesamtprojekt „Familienentwicklung im Lebenslauf“ (FIL) ..................................... 6 1.1 Überblick über Methodik und Resultate der ersten fünf Erhebungswellen: .............. 7 1.2 Die wichtigen Ergebnisse der ersten fünf Erhebungswellen: ................................... 10

2. Das Projekt „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienbezogene und individuelle Entwicklungs-aufgaben und ihre Bewältigung im Jugendalter (sechste Erhebungswelle des Gesamtprojekts) ....................................................................................... 15

2.1 Zielsetzungen ............................................................................................................ 15 2.2 Methodisches Vorgehen ........................................................................................... 16

2.2.1 Längsschnittliche Teilnahme der Untersuchungsfamilien ............................... 16 3. Die Familienentwicklung im Jugendalter der Heranwachsenden .................................... 21

3.1 Einleitung ................................................................................................................. 21 3.2 Die Partnerschaft der Eltern ..................................................................................... 21 3.3 Die Einschätzungen der Glücklichkeit in der Partnerschaft durch die Eltern .......... 23 3.4 Die Einstellung der Mütter zur Elternschaft: Skalenbildung und Identifikation von Müttertypen .......................................................................................................................... 24

3.4.1 Müttertypen und Partnerschaftsqualität ............................................................ 28 3.4.2 Die Beziehung der Müttertypen zu ihren Söhnen und Töchtern ...................... 31 3.4.3 Die von den Müttern in den Mütterclustern berichtete Aufteilung der Haushaltstätigkeiten ......................................................................................................... 34 3.4.4 Längsschnittliche Wanderung der Müttertypen ............................................... 36

3.5 Die Einstellung der Väter zur Elternschaft: Skalenbildung und Identifikation von Vätertypen ............................................................................................................................ 42

3.5.1 Vätertypen und Partnerschaftsqualität .............................................................. 45 3.5.2 Die von den Vätern berichtete Aufteilung der Haushaltstätigkeiten ................ 47 3.5.3 Vätertypen und Zufriedenheit mit der Zeitaufteilung zwischen Familie, Freizeit und Beruf .......................................................................................................................... 48 3.5.4 Längsschnittliche Wanderung der Vätertypen ................................................. 49

4. Jugendalter und Temperamentsentwicklung .................................................................... 54 4.1 Einleitung: Ergebnisse und offene Fragen der Temperamentsforschung ................. 54 4.2 Temperamentstypen versus Temperamentsfaktoren: Zwei unterschiedliche Forschungsstrategien ............................................................................................................ 55

4.2.1 Ergebnisse aufgrund des typenorientierten Ansatzes: Die Veränderung der Zugehörigkeit zu den Temperamentstypen des Säuglingsalters in der Adoleszenz ......... 58 4.2.2 Ergebnisse aufgrund des variablenorientierten Ansatzes: Die Entwicklung der Temperamentsfaktoren vom Säuglingsalter bis zur Adoleszenz ...................................... 61

4.3 Zwei zentrale Temperamentskomponenten: „Anpassungsbereitschaft/ Erziehbarkeit“ und „Ärgerneigung/Negative Affektivität“: Befunde zu den lebenslaufbezogenen Entwicklungsbedingungen ................................................................. 67 4.4 Resumée ................................................................................................................... 75

5. Die Zukunftsvorstellungen Jugendlicher .......................................................................... 76 5.1 Einleitung ................................................................................................................. 76 5.2 Die selbst formulierten Lebensziele der Jugendlichen ............................................. 77 5.3 Konstruktion des Zukunftsorientierungsfragebogens ............................................... 78 5.4 Erwartungen einer zukünftigen positiven Lebensgestaltung und aktuell erlebte Problembelastung ................................................................................................................. 79 5.5 Zukunftserwartung und Identitätsstatus der Jugendlichen ...................................... 82

5.5.1 Identitätsstatus und Erwartung einer zukünftigen positiven Lebensgestaltung 82

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5.5.2 Negative Zukunftskonstruktionen: Die Erwartung einer zukünftigen bedrohten Gesellschaft ...................................................................................................................... 86

5.6 Die lebenslaufbezogene Entwicklung positiver versus negativer Zukunftsorientierungen: Pfadanalysen ................................................................................. 87

5.6.1 Pfadanalyse der längsschnittlichen Entwicklung einer positiven Zukunftsorientierung ........................................................................................................ 91 5.6.2 Längsschnittliche Vorhersage einer negativen Zukunftsorientierung .............. 94

5.7 Typen der Zukunftsorientierung ............................................................................... 96 6. Die Berufsinteressen der Jugendlichen .......................................................................... 104

6.1 Erhebung der Berufsinteressen ............................................................................... 104 6.2 Bevorzugungen von und Abneigungen gegen bestimmte Berufsfelder ................. 105 6.3 Berufsinteressen von männlichen und weiblichen Jugendlichen im Vergleich ..... 106 6.4 Die Bedeutung bestimmter Aspekte der individuellen Soziabilität für die Berufswahl .......................................................................................................................... 107

6.4.1 Methodisches Vorgehen ................................................................................. 108 6.5 Die Bedeutung der beruflichen Interaktions- und Kommunikationsbereitschaft für die beruflichen Interessen ................................................................................................... 109

7. Das jugendtypische Freizeitverhalten ............................................................................. 111 7.1 Zur Methodik: Entwicklung eines Freizeitverhaltens-fragebogens........................ 111 7.2 Häufig und weniger häufig ausgeübte Freizeitaktivitäten ...................................... 112 7.3 Kognitive Kompetenzen und bevorzugtes Freizeitverhalten .................................. 113 7.4 Beziehungen zwischen Anstrengungsvermeidung bzw. Pflichteifer und Freizeitverhalten ................................................................................................................. 115 7.5 Geschlechtstypische Unterschiede im Freizeitverhalten ........................................ 116 7.6 Sozioökonomischer Status ...................................................................................... 117 7.7 Höhe des wöchentlichen Taschengeldes und bevorzugte Freizeitaktivitäten ........ 118 7.8 Computerbesitz, Computernutzung und Freizeitverhalten ..................................... 119 7.9 Freizeitverhalten und Temperamentstypen ............................................................ 123 7.10 Beziehungen zwischen Freizeitverhalten und Persönlichkeit im NEO-FFI ......... 125 7.11 Beziehungen zwischen Freizeitverhalten und Bindung an die Eltern .................... 126 7.12 Freizeitverhalten und Beziehung zu Freunden und Freundinnen ........................... 128 7.13 Familienverhältnisse und Freizeitverhalten ............................................................ 129 7.14 Identitätsstatus der Jugendlichen und Freizeitverhalten ......................................... 130 7.15 Beziehungen zwischen Berufsinteressen und Freizeitverhalten ............................. 131 7.16 Gruppen von Jugendlichen mit ähnlichem Freizeitverhalten ................................. 133

8. Identitätsentwicklung im Jugendalter ............................................................................. 140 8.1 Einleitung ............................................................................................................... 140 8.2 Zur Methode ........................................................................................................... 141

8.2.1 Konstruktion und Testanalyse der IDEA-Y-Skalen ....................................... 141 8.3 Identitätsentwicklung bei weiblichen und männlichen Jugendlichen .................... 144

8.3.1 Geschlechtsunterschiede in den Skalen des Identitätsfragebogens ................ 144 8.3.2 Geschlechtsunterschiede im Identitätsstatusdiagnoseinventar (ISDI) ............ 145

8.4 Unterschiede zwischen den Identitätsstatusgruppen in den Skalen des Identitätsfragebogens (IDEA-Y) ........................................................................................ 146 8.5 Identität und Bindung an die Eltern ........................................................................ 149

8.5.1 Identitätsstatusgruppen nach Marcia und Eltern-Kind Beziehung ................. 150 8.5.2 Bindungsrepräsentationen (nach Ainsworth) und Identität ............................ 152

8.6 Identität und die Beziehung zu den Gleichaltrigen ................................................ 154 8.6.1 Einleitung ....................................................................................................... 154 8.6.2 Methodisches Vorgehen ................................................................................. 155

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8.6.3 Peerbeziehungen und Identität: Korrelationen ............................................... 156 8.6.4 Unterschiede der Identitätsstatusgruppen in der Beziehung zu Freunden und Freundinnen .................................................................................................................... 156 8.6.5 Identitätsstatusgruppen und Beziehung zum anderen Geschlecht .................. 157

8.7 Identität und Persönlichkeit .................................................................................... 158 8.7.1 Beziehungen zwischen den Skalen des IDEA-Y und den Persönlichkeitsdimensionen des NEO-FFI: Korrelationen ............................................ 158 8.7.2 Identitätsstatus und Persönlichkeit ................................................................. 159

8.8 Pfadanalysen der Identitätsentwicklung ................................................................. 159 8.8.1 Pfadmodell 1: Längsschnittliche Entwicklung der Identität im Jugendalter . 162 8.8.2 Pfadmodell 2: Längsschnittliche Entwicklung der von den Adoleszenten erlebten Belastung im Jugendalter .................................................................................. 164

9. Kurzzussammenfassung ................................................................................................. 167 10. Literaturverzeichnis .................................................................................................... 170 11. Anhang ....................................................................................................................... 176

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1. Das Gesamtprojekt „Familienentwicklung im Lebenslauf“ (FIL)

Brigitte Rollett und Harald Werneck

Ziel des Gesamtprojektes „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL)“ ist es, die individuelle

Entwicklung von Kindern und ihren Familien vor dem Hintergrund der umfassenden

gesellschaftlichen Veränderungen heute zu untersuchen und von der Geburt bis zum

Erwachsenenalter des Untersuchungskindes zu begleiten, um auf diese Weise Einblick in

günstige und riskante individuelle und familienbezogene Entwicklungen und ihre

Bedingungen zu gewinnen. Längsschnittuntersuchungen sind dafür unumgänglich notwendig,

da nur so Entwicklungslinien und ihre Wechselwirkungen eindeutig feststellbar sind. Die

Untersuchungswellen wurden so angesetzt, dass sie die Auswirkungen charakteristischer

Veränderungen im Entwicklungsverlauf abbilden: Die erste Welle (t1) erfolgte im sechsten

Schwangerschaftsmonat der Mutter, t2, als das Kind drei Monate alt war, um den Übergang

zur Elternschaft zu erfassen. Um die Veränderungen beim Übergang vom Kleinstkindalter

zum Kindergartenalter darstellen zu können, wurde die nächste Untersuchungswelle

durchgeführt (t3), als die Kinder im Mittel drei Jahre alt waren. Zur Untersuchung der

Bewältigung der schulbezogenen Anforderungen, fand die vierte Welle (t4) statt, als die

Kinder acht Jahre alt waren. Die fünfte Erhebungswelle (t5) war schwerpunktmäßig der

Untersuchung der Bewältigung des Übergangs von der Grundschule zu den weiterführenden

Schulen und des Eintritts in die Pubertät gewidmet. Die aktuelle Erhebungswelle hat das Ziel,

den Übergang in das Jugendalter und die Bewältigung der damit verbundenen

Entwicklungsaufgaben zu untersuchen.

Das Gesamtprojekt wurde vom Jubiläumsfonds der Nationalbank wie folgt finanziert:

Jubiläumsfondsprojekt Nr. 3722 „Die Bedeutung von Rollenauffassungen junger Eltern für

den Übergang zur Elternschaft“, Jubiläumsfondsprojekt Nr. 7518 „Familienentwicklung im

Lebenslauf (FIL): Familienentwicklung im Schulalter des Kindes“ und Jubiläumsfondsprojekt

Nr. 9416 „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienentwicklung beim

Schulübertritt“ und das aktuelle Jubiläumsfondsprojekt Nr. 11671 „Familienentwicklung im

Lebenslauf (FIL): Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre

Bewältigung im Jugendalter“.

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Die Vorläuferprojekte führten bereits zu wesentlichen Erkenntnissen über

Bewältigungsformen individueller und familiärer Übergangsphasen von der Geburt des

Kindes bis zu dessen Übertritt in die Sekundarstufe 1 (vgl. dazu die Abschlussberichte von

Rollett & Werneck und die im Literaturverzeichnis angeführten Veröffentlichungen) der

Arbeitsgruppe FIL. Die hier vorgestellten Ergebnisse des Projekts „Familienentwicklung im

Lebenslauf (FIL): Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre

Bewältigung im Jugendalter“ zeigen die umfassenden Entwicklungen und Neuanpassungen

auf, die beim Eintritt von Heranwachsenden in das Jugendalter zu beobachten sind und stellen

die Bedingungsmuster für positive und negative Entwicklungen dar. Vor diesem Hintergrund

wird auch auf Möglichkeiten der erzieherischen und therapeutischen Einflussnahme sowohl

bei den Jugendlichen als auch ihren Familien eingegangen.

1.1 Überblick über Methodik und Resultate der ersten fünf Erhebungswellen:

Die vorliegende sechste Erhebungswelle des Projekts „Familienentwicklung im Lebenslauf

(FIL): Familienbezogene und individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre Bewältigung im

Jugendalter“ baut auf den Ergebnissen der ersten fünf Erhebungswellen der FIL-Studie. Die

dort eingesetzten Erhebungsinstrumente werden daher im Folgenden kurz beschrieben.

Die ersten beiden Erhebungsphasen des Projekts „Familienentwicklung im Lebenslauf“

stellten das österreichische Teilprojekt des von Horst Nickel (Universität Düsseldorf)

geleiteten internationalen Forschungsprojektes „Die Bedeutung von Rollenauffassungen

junger Eltern für den Übergang zur Elternschaft“ dar (Nickel & Quaiser-Pohl, 2001). Die

Untersuchungsstichprobe der ersten Erhebungswelle (t1) umfasste 175 Ehepaare, die ihr

erstes, zweites oder drittes Kind erwarteten. Sie erfolgte im sechsten Schwangerschaftsmonat

der Mutter. Die zweite Erhebungswelle (t2) wurde durchgeführt, als die Kinder drei Monate,

die dritte, als sie drei Jahre (t3), die vierte, als sie acht Jahre (t4) und die fünfte, als sie elf

Jahre alt waren (t5).

Die unter dem Projekttitel „Die Bedeutung von Rollenauffassungen junger Eltern für den

Übergang zur Elternschaft“ durchgeführten ersten beiden Erhebungswellen hatten das Ziel,

die Bewältigung der durch den Übergang zur Elternschaft notwendigen Anpassungen der

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Eltern an die neue Situation und die Auswirkungen auf das familiäre Zusammensein zu

untersuchen. Besonderes Augenmerk wurde auf die Gestaltung der Partnerschaft der Eltern,

ihre Auseinandersetzungen mit der Elternrolle, die gewählten Formen der familiären

Arbeitsteilung und auf das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern sowie die bestimmenden

Einflussfaktoren gelegt.

Die Phase der Familiengründung bzw. -erweiterung bedeutet für Eltern eine dramatische

Umstellung. Um sie zu erfassen, wurde in der ersten Erhebungswelle (t1) ein umfangreiches

Fragebogeninventar eingesetzt: Der Partnerschaftsfragebogen von Hahlweg (1979) zur

Erhebung der Partnerschaftsqualität, der Elternschaftsfragebogen von Nickel, Grant und

Vetter (1990) zur Ermittlung der elterlichen Rollenauffassungen sowie ein neu entwickelter,

umfangreicher Fragebogen zur Erfassung der Gesamtsituation (soziodemographische Daten,

Geplantheit des Kindes, Geburtsvorbereitung bzw. Geburtsverlauf, Umgang mit dem Kind,

Änderungen durch das Kind, Änderungswünsche bezüglich der neuen familiären Situation,

Änderung des Freizeitverhaltens der Eltern, Bedeutung von Beruf und Familie für Vater und

Mutter, Arbeitsteilung zwischen den Partnern, Verhältnis zur jeweiligen Herkunftsfamilie,

Änderung des Freundeskreises, Wohnsituation, usw.). Diese Instrumente wurden zu allen

Erhebungszeitpunkten (wenn notwendig, in altersadaptierter Form) vorgegeben.

Bei der zweiten Erhebungswelle (t2), die stattfand, als die Kinder drei Monate alt waren,

wurde außer den angeführten Fragebogeninstrumenten zusätzlich weitere eingesetzt, um den

Einfluss der kindlichen Individualität auf die Gestaltung des Familienalltags differenziert zu

erfassen. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Verfahren: Die Bayley-Scales of Infant

Development zur Erfassung der mentalen und psychomotorischen Entwicklung des Kindes

und ein in Anlehnung an das Konzept von Thomas und Chess (1977) konstruierter und von

den Müttern auszufüllender Temperamentsfragebogen zur Erfassung des kindlichen

Temperaments. Letzteres wurde in jeweils altersadaptierter Form zu allen weiteren

Erhebungszeitpunkten vorgegeben, um die Entwicklung des kindlichen Temperaments

untersuchen zu können: Hier interessierte vor allem die Stabilität bzw. die Art der

Veränderungen des kindlichen Temperaments und die Auswirkungen auf die

Persönlichkeitsentwicklung der Untersuchungskinder einerseits, die Entwicklung des

familiären Zusammenlebens andererseits.

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Die dritte Erhebungswelle (t3) erfolgte, als die Kinder drei Jahre alt waren. Sie hatte das Ziel,

die familiären Veränderungen im Zuge des Selbstständiger-Werdens des Kindes zu erfassen.

Außer den bereits erwähnten Instrumenten, die zu allen Erhebungszeitpunkten vorgegeben

wurden, wurden dabei folgende Instrumente verwendet: Um den Entwicklungsstand der

nunmehr Dreijährigen erheben zu können, wurden die „Kaufman Assessment Battery for

Children“ (Kaufman-ABC, Melchers & Preuß, 1991) und der Wiener Entwicklungstest

(WET, Kastner-Koller & Deimann, 1998), sowie ein Erhebungsinstrument zur Erfassung der

Kenntnisse des Kindes über die Gefährdungen in der Wohnumgebung eingesetzt. Letzterer

sind vor allem im Zuge des zunehmenden Selbstständigwerdens von Dreijährigen und der

entsprechend abnehmenden Beaufsichtigung durch die Eltern von Bedeutung.

Die vierte Erhebungswelle (t4) hatte das Ziel, die familiäre und kindliche Entwicklung im

Schulalter des Kindes umfassend abzubilden. Neben der bereits bewährten

Fragebogenbatterie wurden die Hamburger Erziehungsverhaltensliste (HAMEL, Baumgärtel,

1979), die zwei Skalen der Bildversion des Anstrengungsvermeidungstests (AVT, Rollett &

Bartram, 19983) zur Erfassung der Neigung zu schulbezogener Demotivation und

Pflichteifers, der Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder (HAWIK III, Tewes,

Schallberger & Rossmann, 2000), ein neu konstruierter Persönlichkeitsfragebogen zur

Erfassung problematischer Persönlichkeitseigenschaften (Wiener Persönlichkeitsfragebogen

für Kinder, WPK), ein neu entwickeltes Erhebungsinstrument zur Erfassung der

Bindungssicherheit sowie ein Verfahren zur Erhebung der Geschwisterbeziehung mit Hilfe

der Critical Incidents Technique von Flannigan vorgegeben. Auf diese Weise konnte ein

umfassendes Bild der Anpassung des Kindes und seiner Familie an die Schulsituation und die

damit verbundenen Änderungen der familiären Situation sowie günstiger bzw. ungünstiger

Konstellationen gewonnen werden.

In der fünften Erhebungswelle (t5) ging es darum, die familiäre Entwicklung und die

Entwicklung der Kinder in der Zeit des Übergangs zu den weiterführenden Schulen zu

untersuchen. Neben den bereits erwähnten Untersuchungsinstrumenten zur Erfassung der

familiären und Partnerschaftssituation und der kindlichen Persönlichkeitsmerkmale wurde den

Kindern ein von Sirsch (2000) und Ensbacher (2001) entwickelter Fragebogentest über die

Bewältigung des Schulübertritts vorgelegt, der die beiden Aspekte „erlebte Herausforderung“

versus „erlebte Bedrohung“ durch die neue Leistungssituation bzw. soziale Situation erfasst,

außerdem der NEO-FFI von Borkenau und Ostendorf (1993) zur Erfassung der

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Persönlichkeitseigenschaften Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und

Verträglichkeit. Mit Hilfe einer Übersetzung des „Inventory of Parent and Peer Attachment“

von Armsden und Greenberg (1987) wurde die Bindung an die Eltern und die Beziehung zu

Freunden erhoben. Ein weiterer Fragebogen erfasste jeweils getrennt die Beziehung zur

Mutter, zum Vater und zu den Geschwistern. Außerdem wurde die Fragebogenversion des

AVT (Rollett & Bartram, 19983) administriert, um ein defizitäres bzw. pflichtbewusstes

Leistungsverhalten erfassen zu können.

1.2 Die wichtigen Ergebnisse der ersten fünf Erhebungswellen:

Von der ersten zur zweiten Erhebungswelle, (die im sechsten Schwangerschaftsmonat der

Mutter und im Alter des Kindes von drei Monaten durchgeführt wurden), fielen in erster Linie

die substantiellen Veränderungen im Bereich der Partnerschaftsqualität auf. Vor allem bei

Ersteltern kam es sowohl aus Sicht der Mütter als auch der Väter zu einem Anstieg des

Streitverhaltens und einer Verringerung der Zärtlichkeit und der positiven Kommunikation

bzw. des Gemeinschaftsempfindens der Partner. Interessanterweise war dies vor allem dann

der Fall, wenn es sich bei dem Baby um ein männliches Kind handelte. Hinsichtlich der

Arbeitsaufteilung im Haushalt und bei der Kinderversorgung hatten die Mütter, entgegen den

diesbezüglichen Aussagen der Väter vor der Geburt des Kindes partnerschaftlich mitarbeiten

zu wollen, die Hauptlast zu tragen. Die sozialen Kontakte mit Freunden und Bekannten

nahmen signifikant ab. Dies galt besonders für die Väter, die im Durchschnitt einen kleineren

Freundes- und Bekanntenkreis angaben als die Mütter. Sowohl bei den Vätern als auch bei

den Müttern lag die tatsächliche Belastung durch das Kind zu t2 wesentlich über der von

ihnen zu t1 erwarteten Belastung. Dies war vor allem bei den nicht erwerbstätigen Müttern

der Fall. Der zu beiden Zeitpunkten von den Eltern angegebene Wert des Kindes für sie

veränderte sich allerdings nicht. Durch Pfadanalysen konnte gezeigt werden, dass die

empfundene Belastung durch das Kind einerseits von günstigen Ausprägungen der erhobenen

Partnerschaftsvariablen und der positiven Einschätzung von Kindern durch die Eltern

allgemein abhing, andererseits war die erlebte Belastung durch das Kind vor allem bei den

Müttern von der eingeschätzten Schwierigkeit des Temperaments des Kindes beeinflusst.

Clusteranalytisch wurden zum zweiten Erhebungszeitpunkt sowohl Väter- als auch

Müttertypen ermittelt. Bei den Vätern ließen sich drei Typen nachweisen: „Neue Väter“

(15.9%), „Kinderorientiert Väter“ (31.7%) und „Eigenständige Väter“ (52.4%), die sich von

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den familiären Aufgaben weitgehend zurückzogen. Bei den Müttern resultierten fünf

Clustergruppen: „Selbstbewusste, kinderliebende Mütter“ (23.8%), die die Kinderbetreuung

als Bereicherung erlebten, „Emanzipierte Mütter, die Kinder nicht als Belastung erleben“

(13.4%), „Emanzipierte Mütter, die ihre Kinder als Belastung erleben“ (31,7%),

„Überforderte Mütter, die Kinder als Belastung erleben“ (9.8%) und „Überforderte Mütter,

die Kinder als starke Belastung erleben“ (21.3%). Da der verwendete Elternfragebogen

prospektiv auch zum ersten Erhebungszeitpunkt vorgegeben worden war, konnten die

Veränderungen von t1 zu t2 untersucht werden. Hinsichtlich der Vätercluster ergab sich z.B.

eine Reduktion der Gruppe der Neuen Väter vom ersten Erhebungszeitpunkt (vor der Geburt

des Kindes) und dem zweiten (als das Kind drei Monate alt war), fast um die Hälfte, während

ein deutlicher Zuwachs des Clusters der Eigenständigen Väter erfolgte. Dieser Trend hielt bei

der folgenden Erhebungswelle weiter an.

Mit Hilfe der Skalen des Temperamentfragebogens konnten außerdem clusteranalytisch

Gruppen von Babys identifiziert werden, die den in der klassischen New Yorker

Längsschnittstudie von Thomas und Chess (1977) ermittelten drei Temperamentstypen

entsprachen: Gut angepasste, pflegeleichte „Easy-Babies“ (47.2%), die auch im Bayley-Test

of Infant Development die besten Werte aufwiesen, die langsam reagierenden „Slow-to-

warm-up-Babies“ (43.6%), die im Test eine mittlere Position einnahmen, und die schwierigen

„Difficult-Babies“ (9.2%), die die niedrigsten Werte zeigten. Zu diesem Zeitpunkt fehlte die

in der Untersuchung von Thomas und Chess ermittelte „Normalgruppe“. Beim dritten

Erhebungszeitpunkt im Alter des Kindes von drei Jahren wurde der Temperamentsfragebogen

in altersadaptierter Form erneut vorgelegt. Hier ergaben sich vier Temperamentstypen:

Introvertierte, kontaktscheue „Zurückgezogene Kinder“ (45.1%), emotional intelligente,

anpassungsbereite „Pflegeleichte Kinder“ (17.7%), schwierige „Dominante Kinder“ (8.8%)

und nunmehr auch eine „Unauffällige Normalgruppe“ (28.3%). Interessant sind in diesem

Zusammenhang die Veränderungen der Zugehörigkeit der Kinder zu den einzelnen

Temperamentsgruppen. So wurden z.B. 90% der ursprünglich schwierigen Babys zum dritten

Zeitpunkten dem Typus der Zurückgezogenen Kinder zugeordnet und fast doppelt so viele

Langsam auftauende Babys, als zu erwarten gewesen wäre, der Gruppe der Dominanten

Kinder. Die Partnerschaftsqualität der Eltern hatte verglichen mit der Reduzierung vom ersten

zum zweiten Erhebungszeitpunkt weiter abgenommen.

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Im Rahmen der vierten Erhebungswelle, als die Kinder acht Jahre alt waren, zeigten sich

weitere ungünstige Entwicklungen im Partnerschaftsbereich. Insbesondere die Väter gaben im

Vergleich zum letzten Zeitpunkt nochmals deutlich niedrigere Werte in den Skalen

Zärtlichkeit und Gemeinsamkeit/Kommunikation und höhere Werte in der Skala

Streitverhalten des verwendeten Partnerschaftsfragebogens bei der Einschätzung ihrer

Partnerinnen an, als dies zum dritten Erhebungszeitpunkt der Fall gewesen war. Diese

zunehmend ungünstigere Einschätzung des Streitverhaltens durch die Väter wurde allerdings

von den Müttern nicht geteilt: Hier kam es eher zu einer Stabilisierung der Bewertungen.

Unter Umständen kann dies dazu führen, dass Probleme in der Partnerschaft von den Müttern

zu spät erkannt werden, so dass daher auch nicht darauf angemessen reagiert werden kann.

In der vierten Erhebungswelle wurde deutlich, dass problematische kindliche

Persönlichkeitsentwicklungen, wie sie durch den WPK erfasst werden, in dieser Zeit noch

durch ein günstiges elterliches Erziehungsverhalten und vor allem durch eine intakte Bindung

der Kinder an die Eltern aufgefangen werden können. Die Resultate der fünften

Erhebungswelle wiesen dagegen darauf hin, dass im Alter von elf Jahren im Fall einer

negativen Entwicklung der Beziehung zu den Eltern eine Stabilisierung vorhandener

problematischer Persönlichkeitseigenschaften stattfindet. Dasselbe gilt für die Entwicklung

eines durch Anstrengungsvermeidung gekennzeichnetes ungünstiges Leistungsverhaltens. Für

die kinderpsychotherapeutische Praxis kann aus diesen Ergebnissen abgeleitet werden, dass

auf Anzeichen eines kindlichen Problemverhaltens im Grundschulalter nicht nur in Form von

Einzeltherapien, sondern ergänzend auch durch entsprechende familienbezogene

Interventionen reagiert werden sollte, um über eine Besserung der Beziehung zu den Eltern

ungünstigen Entwicklungen vorzubeugen.

Weitere wichtige Ergebnisse betreffen das Trennungs- bzw. Scheidungsrisiko. Bei der fünften

Erhebungswelle elf Jahre nach der Geburt des Kindes waren bereits 18% der Mütter vom

Kindesvater getrennt oder geschieden. Aufgrund der vorliegenden Längsschnittdaten konnten

folgende Risiken für eine Trennung bzw. Scheidung ermittelt werden: Das Risiko ist umso

höher, je jünger die Mütter bzw. Väter bei der Geburt des Kindes waren, je kürzer sich die

Partner vor der Geburt des ersten Kindes kannten und zusammen wohnten und je niedriger

der Schichtindex des Vaters (gebildet aus den Indikatoren der Ausbildung, des beruflichen

Status und des Einkommens) ist, während die Schichtzugehörigkeit der Kindesmutter keinen

Einfluss hat. Eine zu kleine Wohnung bei der Geburt des Kindes erhöht ebenfalls das Risiko

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einer Scheidung bzw. Trennung. Die Partnerschaftsqualität, erhoben mit Hilfe des

Partnerschaftsfragebogens von Hahlweg (1979) erwies sich allerdings als relativ schlechtes

Vorhersagekriterium des Trennungs- bzw. Scheidungsrisikos. Hier fand sich nur ein

tendenzieller Zusammenhang zwischen dem durch die Väter eingeschätzten Streitverhalten

der Mütter zum zweiten Erhebungszeitpunkt (als die Kinder drei Monate alt waren) und der

späteren Trennung bzw. Scheidung. Wesentlich aussagekräftiger ist eine frühe

Lebensorientierung der Eltern im Alter von 16 Jahren, die retrospektiv zum ersten

Erhebungszeitpunkt abgefragt wurde: Je weniger die Eltern mit 16 Jahren eine gute

Berufsausbildung und eine finanzielle Grundlage für eine spätere Familiengründung

anstrebten, desto eher kam es zur Trennung. Eine negative Beurteilung des Klimas in der

eigenen Herkunftsfamilie durch den Vater bedeutete ebenfalls ein Risiko, während dies bei

den Müttern nicht der Fall war.

Beim fünften Erhebungszeitpunkt stellte die Bewältigung des Übergangs des

Untersuchungskindes in die Sekundarstufe 1 sowohl durch das Kind selbst als auch durch die

Familie einen wichtigen Untersuchungsschwerpunkt dar. Auf Grund der fünf Skalen des

eingesetzten Schulübertrittsfragebogens (1. „Belastung durch den Schulübertritt im

Leistungsbereich“, 2. „Belastung durch den Schulübertritt im sozialen Bereich“, 3.

„Schulübertrittsbewältigung im Leistungsbereich“, 4. „Schulübertrittsbewältigung im sozialen

Bereich“, 5. „Bewältigung der veränderten Unterrichtsorganisation“) konnten vier

„Schulübertrittstypen“ identifiziert werden: „Unauffällige“ Schüler und Schülerinnen

(46.4%), „Herausgeforderte“ (23.2%), „Überforderte“ (18.8%) und durch die Anforderungen

des Schulübertritts „Bedrohte“ Kinder (11.6%). Die Schulübertrittstypen unterscheiden sich

sowohl in den durch den NEO-FFI erfassten Persönlichkeitsdimensionen als auch in ihrer

Bindung an die Eltern und in der Qualität ihrer Beziehung zu ihren Freunden und

Freundinnen. Eine gute Beziehung zu den Eltern stellt dabei einen wichtigen Protektivfaktor

dar. Das Temperament, das im Rahmen der fünften Untersuchungswelle ebenfalls wieder

erhoben worden war, spielt bei der Bewältigung des Schulübertritts nur eine untergeordnete

Rolle.

Bezüglich der Temperamentsentwicklung zeigte sich zu t5 erneut, dass die im Säuglingsalter

ermittelten Temperamentstypen nur eine eingeschränkte Stabilität aufweisen: So besteht bei

der ursprünglichen Gruppe der pflegeleichten Babys nur eine 59-prozentige Chance, dass sie

im Alter von elf Jahren noch zu den Pflegeleichten zu zählen sind. Bei der Gruppe der zu t2

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14

„langsam auftauenden“ Babys eine 55-prozentige, dass sie zu t5 noch zum selben Typus

gehören. Bei der Gruppe der schwierigen Kinder erfolgte zu diesem Erhebungszeitpunkt eine

Differenzierung, da nunmehr zwei Untergruppen identifiziert werden konnten und zwar die

„Kontrollierten schwierigen Kinder“ und die „Unkontrollierten schwierigen Kinder“. Die

Gruppe der kontrollierten schwierigen Kinder wiesen im NEO-FFI zwar eine eher geringe

Verträglichkeit und Offenheit auf, waren aber bezüglich ihrer Neurotizismuswerte unauffällig.

Die unkontrollierten schwierigen Kinder fielen dagegen durch erhöhte Neurotizismuswerte

und eine extrem geringe Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit auf. Von den im

Säuglingsalter schwierigen Babys war allerdings nur ein einziges Kind zum fünften

Erhebungszeitpunkt der Gruppe der (unkontrollierten) Schwierigen zuzuordnen. Als neue

Temperamentgruppe trat die Gruppe der „Taktierer“, wie wir sie bezeichneten, auf. Diese

Kinder sind durch eine hedonistische Einstellung, niedrige Extraversions- und extrem geringe

Offenheitswerte charakterisiert und verstehen es, Schwierigkeiten mit ihrer sozialen Umwelt

geschickt zu umschiffen, indem sie ihre eigenen Gedanken für sich behalten und, wenn immer

möglich, ihren eigenen Weg gehen. Von den zu t3, als die Kinder drei Jahre alt waren,

ermittelten Temperamentstypen war zu t5 außerdem noch die Gruppe der Zurückgezogenen

Kinder, wenn auch zum Teil in anderer Besetzung, vorhanden. Insgesamt zeigten die

Temperamentstypen des Säuglingsalters, vor allem, was die Gruppe der „Schwierigen“

betrifft, daher eine eher geringe Stabilität. Diese Resultate sind nicht zuletzt auch für die

Beratungspraxis von Bedeutung, da Befürchtungen von Eltern, dass ein problematisches

Temperament im Säuglingsalter langfristig immer zur Folge habe, dass dieses Kind später zu

der Gruppe der Problemkinder zählen müsse, damit begegnet werden kann. Diese Ergebnisse

widersprechen daher einem strikten Stabilitätskonzept der Temperamentstypen (siehe dazu

z.B. Werneck & Rollett, 2001). Insbesondere im Falle eines schwierigen Temperaments

scheint es daher angebracht, den prädiktiven Wert des Temperaments im Säuglingsalter für

spätere Verhaltenstörungen nicht überzubewerten, sondern als Signal zu nützen, um durch

entsprechende erzieherische bzw. therapeutische Maßnahmen rechtzeitig gegenzusteuern.

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15

2. Das Projekt „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienbezogene und individuelle Entwicklungs-aufgaben und ihre Bewältigung im Jugendalter (sechste Erhebungswelle des Gesamtprojekts)

Brigitte Rollet und Harald Werneck

2.1 Zielsetzungen

Die besondere Zielsetzung der hier berichteten sechsten Erhebungswelle ist es, die

Entwicklungen zum Zeitpunkt des Übergangs der Heranwachsenden in die Adoleszenz zu

erfassen, wobei den Bezügen zu den bereits vorliegenden Längsschnittresultaten aus den

Vorläuferprojekten ein besonderer Stellenwert für die Aufklärung der für die erfolgreiche

Bewältigung relevanten Faktoren zukommt. Vor allem wird in diesem Kontext auf die in der

Adoleszenz zu bewältigenden, charakteristischen „Entwicklungsaufgaben“ eingegangen

(Havighurst, 1982, s. dazu auch Göppel, 2005), die sowohl die Jugendlichen selbst als auch

ihre Familien betreffen. Ihre Bewältigung bzw. Nichtbewältigung hat wesentlichen Einfluss

auf die weitere Entwicklung und damit die zukünftigen Lebenschancen der Betroffenen. Auf

Seiten der Eltern ist vor allem eine Neudefinition ihrer partnerschaftlichen und Erzieherrollen

und die durch die Zunahme der Autonomie der Heranwachsenden notwendige

Umstrukturierung des Familienalltags zu leisten (s. Rollett & Werneck, 2001). Auf Seiten der

Jugendlichen geht es um zentrale Entwicklungsaufgaben, wie die Entwicklung realistischer

Zukunftsvorstellungen, die Vorbereitung auf die Berufswahl bzw. erste Anbahnungen der

Berufs- bzw. Studienwahlentscheidungen, die Neugestaltung der Beziehungen zu

Gleichaltrigen und hier vor allem zum anderen Geschlecht, sowie die sukzessive Loslösung

von den Eltern und die Übernahme der Verantwortung für sich selbst mit dem Ziel der

Entwicklung einer eigenen Identität (s. dazu Marcia, 1993).

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16

2.2 Methodisches Vorgehen

2.2.1 Längsschnittliche Teilnahme der Untersuchungsfamilien

Aus der folgenden Tab. 1 sind die Teilnahmequoten der Mütter, Väter und Kinder zu den

sechs Erhebungszeitpunkten ersichtlich. Betrachtet man die Teilnahmequoten, so wird

deutlich, dass die Bereitschaft der Väter, sich an den Untersuchungen zu beteiligen, geringer

ausfiel, als dies bei den Müttern der Fall war. Dies ist ein aus ähnlichen Untersuchungen

bekanntes Phänomen. Interessant war bei der Gewinnung der Teilnehmenden außerdem, dass

erstmals in einigen Fällen Verhandlungen mit den Jugendlichen selbst geführt werden

mussten, um sie zu der Untersuchungsteilnahme zu motivieren, da die Zusage der Mütter von

ihnen nicht ohne weiteres akzeptiert wurde. Dieses Problem dürfte bei der nächsten

Untersuchungswelle verstärkt auftreten.

Tab. 1. (in runden Klammern: Prozente, in Relation zum ersten Testzeitpunkt (175=100%)

Das Forschungsprojekt „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL)“

Stichprobe und Teilnahmequoten(Finanzierung: Forschungsfonds der Österreichischen Nationalbank)

137(78 %)

144(82 %)

143(82 %)

117(67 %)

164(94 %)----Kinder

131(75 %)

135(77 %)

137(78 %)

154(87 )

168(96 %)

175(100 %)Mütter

119(68 %)

120(69 %)

124(71 %)

147(84 %)

167(95 %)

175(100 %)Väter

15. Jahre nach der Geburt

11 Jahre nach der Geburt

8 Jahre nach der Geburt

3 Jahre nach der Geburt

3 Monate nach der Geburt

3 Monate vor der Geburt

Verglichen mit den aus der Fachliteratur bei Längsschnittuntersuchungen bekannten

Teilnahmequoten kann die Teilnahme an dem Projekt als sehr befriedigend eingestuft werden.

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17

Wie bereits bei den ersten fünf Erhebungswellen, wurden die Jugendlichen in der

vorliegenden Erhebungswelle erneut im Rahmen von Hausbesuchen untersucht. Auch die

Fragebögen für die Eltern wurden bei dieser Gelegenheit überreicht und darum gebeten, sie

per Post zurückzusenden. Ein Grossteil der eingesetzten Instrumente bestand aus den bereits

in den Vorläuferstudien verwendeten Verfahren, um die Entwicklung des

Untersuchungskindes und seiner Familie darstellen zu können. Gelegentlich mussten

Anpassungen an die veränderte Alterssituation durch entsprechende Umformulierungen der

Items vorgenommen werden (z.B. wurde „Kind“ durch „Sohn/Tochter“ ersetzt).

Zu den Untersuchungsinstrumenten des Gesamtprojekts, die in die sechste

Untersuchungswelle übernommen wurden, gehörten folgende Verfahren: Die bereits

bewährten Skalen zur Erfassung der Gesamtsituation (soziodemographische Daten, Umgang

der Eltern mit dem Kind, Änderungswünsche hinsichtlich des familiären Zusammenlebens,

Freizeitverhalten, Bedeutung von Beruf und Familie, Arbeitsteilung zwischen den Partnern,

Verhältnis zur Herkunftsfamilie, Freundeskreis, berufliche Situation, Wohnsituation usw.),

der Elternschaftsfragebogen von Nickel, Grant und Vetter (1990) zur Erfassung der

elterlichen Rollenauffassungen und Einstellungen, der Partnerschaftsfragebogens von

Hahlweg (1979) zur Erhebung der elterlichen Partnerschaftsqualität, der erstmals zu t4

eingesetzte Wiener Persönlichkeitsfragebogen für Kinder (WPK) zur Erfassung

problematischer kindlicher Entwicklungen sowie der (im Zuge des Gesamtprojekts auf der

Basis des Temperamentsfragebogens von Thomas und Chess entwickelte und laufend an die

Altersgruppe adaptierte) Temperamentsfragebogen zur Untersuchung der kindlichen

Temperamentsentwicklung (siehe dazu Rollett & Werneck, 2005). In der aktuellen Studie

ergaben sich folgende Temperamentsskalen: „Erziehbarkeit“, „Ärgerneigung“,

„Zielstrebigkeit/Kontolliertheit“, „Extraversion vs. Introversion“ (für einige Auswertungen

wurden die Skalen getrennt) und „Offenheit“.

An weiteren Verfahren wurden folgende Instrumente eingesetzt: Zur Einschätzung ihrer

Beziehung zu den Jugendlichen durch die Eltern wurde der Zweierbeziehungsfragebogen von

Cierpka und Frevert (1994) neu aufgenommenen (Skalen: „Aufgabenverhalten“,

„Rollenverhalten“, „Kommunikation“, „Emotionalität“, „Affektive Beziehungsaufnahme“,

„Kontrolle“, „Werte und Normen“). Um den Einfluss der Beziehungsgestaltung der

Jugendlichen zu den Eltern und Freunden einbeziehen zu können, wurde, wie in Welle 5, eine

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18

Übersetzung des „Inventory of Parent and Peer Attachment“ von Armsden und Greenberg

(1987), diesmal allerdings getrennt nach Vater und Mutter, in die Testbatterie aufgenommen.

Der Fragebogenteil, der die Beziehung zum Freundeskreis erfasst, blieb unverändert.

Auswirkungen auf die Bereitschaft der Jugendlichen, Anstrengungen in schulrelevante

Tätigkeiten zu investieren bzw. sich pflichteifrig zu verhalten, wurden wie zu t5 mit Hilfe des

Anstrengungsvermeidungstests von Rollett und Bartram (19983) erfasst. Mit Hilfe einer 6-

stufigen Likert-Skala (sehr zufrieden bis sehr unzufrieden) wurde die Zufriedenheit mit der

eigenen Begabung erhoben. Zur Erhebung der verbalen Intelligenz der Jugendlichen wurden

der Zahlenfolgentest und der Wortschatztest des CFT 20 (Weiß, 1987) eingesetzt. Wie in

Welle 5 wurden den Jugendlichen das NEO-Fünf-Faktoren Inventar (Borkenau & Ostendorf,

1993) vorgegeben, um die Persönlichkeitsdimensionen Neurotizismus, Extraversion,

Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit zu erfassen.

Eine für die untersuchte Altersstufe besonders wichtige Entwicklungsaufgabe betrifft die

altersangemessene Ausformung der Identität der Jugendlichen. Zu diesem Zweck wurden

zwei neue Verfahren eingesetzt: Das „Inventory of the Dimensions of Emerging Adulthood“

(IDEA-Y; Reifman, Arnett & Colwell, 2003), wobei aufgrund der Testanalysen folgende

Skalen gebildet werden konnten: „Exploration“, „Beziehung zu Freunden/Freundinnen“,

„Belastung“, „Veränderung in Richtung Erwachsenwerden“, „Verantwortung und Freiheit“

und „Selbstbezug“. Außerdem wurde ein von Rollett (2005) entwickeltes

Selbstdiagnoseinstrument zur Erfassung des Identitätsstatus nach Marcia

(Identitätsstatusdiagnoseinventar ISDI, siehe Anhang S. 171) vorgegeben. Letzteres umfasst

die von Marcia (1993) entwickelten Identitätsausprägungen: 1. Übernommene Identität, 2.

Moratorium, 3. Diffuse Identität, 4. Erarbeitete Identität.

Eine weitere zentrale Entwicklungsaufgabe des Jugendalters stellt die Auseinandersetzung mit

der persönlichen Zukunft dar. Es wurde daher ein diesbezügliches Erhebungsinstrument in die

Testbatterie aufgenommen. Es handelt sich um den Fragebogen zur Zukunftsorientierung von

Jugendlichen, der eine Adaptation des entsprechenden Fragebogens von Oser, Horn &

Maiello (2002) darstellt. Auf Grund der im Rahmen des Projektes durchgeführten

Testanalysen konnten folgende Skalen ermittelt werden: „Entwicklung in Richtung

freundliche Gesellschaft“, “Zukünftige gesellschaftliche Probleme“, „Entwicklung in

Richtung bedrohte Gesellschaft“, „Konstanz der eigenen Persönlichkeit“, „Zukünftige

positive Lebensgestaltung“, „Persönliche Problembelastung“, „Konstanz der

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19

Lebensumstände“, „Gegenwärtige gesellschaftliche Probleme“ und „Glaube an eine gerechte

Welt“.

Im Laufe der jugendtypischen Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und der Ablösung von

den Eltern kommt dem Freizeitverhalten der Jugendlichen eine besondere Rolle zu, da die

Heranwachsenden vor allem in diesem Rahmen Gelegenheit haben, Beziehungen zu anderen

Jugendlichen aufzubauen und im Austausch mit ihnen in die für die aktuelle Jugendkohorte

spezifische Jugendkultur eingeführt zu werden. Das Freizeitverhalten stellt daher ein

wichtiges Aktionsfeld dar, in dem die jugendspezifische Akkulturation stattfindet. Es wurde

daher ein eigener Freizeitfragebogen entwickelt und administriert.

Es ist charakteristisch für die Adoleszenz als Entwicklungsphase, dass zwischen der Kultur

der Eltern und der Jugendkultur bestimmte Differenzen bestehen (die auch zu typischen

Konflikten zwischen Eltern und anderen Erziehungspersonen und den Jugendlichen führen

können). Nicht alle Jugendlichen gelingt eine problemfreie Einbindung in die Mainstream-

Jugendkultur. In Analogie zu den im Akkulturationsmodell von Berry (Berry, 2008; Berry et

al., 2002) unterschiedenen Strategien können folgende Bewältigungsformen auf Seiten der

Jugendlichen unterschieden werden: Langfristig am einflussreichsten auf die weitere

Entwicklung ist die „Integration“ in die Jugendkultur, wobei sowohl Kontakte zur

Gleichaltrigengruppe gepflegt als auch deren Kultur angenommen wird. Je mehr die

Erziehungspersonen die gängige Jugendkultur ablehnen, desto eher kommt es in diesem Fall

zu Konflikten. Die „Assimilation“ ist dadurch gekennzeichnet, dass zwar Kontakt mit der

Gleichaltrigengruppe stattfindet, aber die Jugendkultur nicht oder nur marginal angenommen

wird, da die Kultur der Elterngeneration das Verhalten und die Einstellungen weiter bestimmt,

Differenzen bestehen hier eher zur Gleichaltrigengruppe. „Separation“ findet statt, wenn die

Jugendlichen sich zwar mit der Jugendkultur identifizieren und es auch gelegentlich zu

entsprechenden Diskussionen mit ihren Erziehungspersonen kommen kann, aber beide

Bereiche mehr oder weniger trennen und eine Art „Doppelleben“ führen. Die

„Marginalisation“ führt schließlich zum Außenseitertum, da weder die gängige Jugendkultur

angenommen noch intensivere Kontakte zur sie repräsentierenden Gleichaltrigengruppe

gepflegt werden, die Kultur der Erwachsenengeneration aber häufig ebenfalls abgelehnt wird.

Wie bereits dargestellt, kommt der Berufsvorbereitung in der beginnenden Adoleszenz eine

wichtige Rolle zu. Um die berufliche Orientierung zu erfassen, wurde daher der

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Berufsinteressentest II von Irle und Allehoff (1988) sowie eine adaptierte Fassung des

Fragebogens zur Berufswahlorientierung von Pollmann (1996) vorgegeben.

Weitere Indikatoren betreffen die Einschätzungen der Jugendlichen der eigenen

Merkfähigkeit für Gesichter und Namen (die eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die

Gestaltung der Sozialkontakte hat), Begabung und körperlichen Entwicklung, ihre

Zufriedenheit mit dem letzten Zeugnis, die Einschätzung ihrer Geschwisterbeziehungen sowie

ihren Umgang mit Suchtmitteln. Bei getrennt lebenden Eltern wurden die Jugendlichen zur

Besuchsregelung befragt.

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21

3. Die Familienentwicklung im Jugendalter der Heranwachsenden

Brigitte Rollett, Harald Werneck und Monika Pucher

3.1 Einleitung

Familien mit Kindern werden durch die sich verändernden Bedürfnisse und Kompetenzen der

heranwachsenden Kinder nachhaltig beeinflusst. Im Verlauf der Familienentwicklung kann

man so verschiedene Stadien feststellen, die durch charakteristische Ausprägungen wichtiger

Einflussfaktoren gekennzeichnet sind. Von besonderer Bedeutung sind in diesem

Zusammenhang die sich wandelnde Einstellung der Partner zur Elternschaft, wobei der Faktor

Belastung durch die Heranwachsenden eine besondere Rolle spielt, sowie die

Partnerschaftsqualität und die Glücklichkeit in der Partnerschaft. Das Zusammenspiel dieser

Faktoren prägt die jeweilige Gestaltung des Familienlebens. Beim Übergang von der Pubertät

zur Adoleszenz und der in dieser Altersstufe beginnenden Vorbereitung auf die

Erwachsenenrolle ist die Familie besonders durch die im Zuge der dann notwendigen

Ablösung der Jugendlichen von ihren Eltern und den dabei auftretenden Konflikten gefordert.

3.2 Die Partnerschaft der Eltern Die Partnerschaftsqualität wurde mit dem Partnerschaftsfragebogen (PFB; Hahlweg. 1979)

erhoben. Dieser Fragebogen beinhaltet die Skalen „Streitverhalten“. „Zärtlichkeit“ und

„Gemeinsamkeit/Kommunikation“. Tab. 2 zeigt die Ergebnisse der Überprüfung der

Reliabilitäten der Skalen. Sie liegen alle im sehr guten Bereich.

Tab. 2. Cronbach’s Alpha der Reliabilitätsanalysen der Partnerschaftsfragebögen

Streitverhalten Zärtlichkeit Kommunikation Mütter .892 .911 .881 Väter .918 .937 .884

Da die Partnerschaftsqualität auch in den vorangegangenen fünf Befragungen erhoben wurde,

kann anhand der Daten die Entwicklung der Partnerschaftsqualität aus der Sicht der Mütter

und jener der Väter dargestellt werden.

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Wie die Abb. 1 zeigt, wird das Streitverhalten der Mütter aus Sicht der Väter insgesamt als

eher selten auftretend bewertet, nimmt aber über die Erhebungszeitpunkte hinweg zu. Sowohl

die Zärtlichkeit als auch die Gemeinsamkeit/Kommunikation nehmen von t1 bis t5

kontinuierlich leicht ab. Zum aktuellen Erhebungszeitpunkt kann eine Stabilisierung

festgestellt werden (s. Abb. 1).

0

0.5

1

1.5

2

2.5

3

3.5

Streitverhalten Zärtlichkeit Gemeinsamkeit/Kommunikation

t1t2t3t4t5t6

Abb. 1. Entwicklung der Partnerschaft (Bewertungen der Partnerinnen durch die Partner): 3 Monate vor (t1) / 3 Mon. nach (t2) / 3 Jahre nach (t3) / 8 J. (t4)/ 11 J. (t5) und 15 J. (t6) nach der Geburt des Kindes Kodierung: 1 = nie, sehr selten 2 = selten 3 = oft 4 = sehr oft

Auch die Mütter stufen das Streitverhalten des Partners im Vergleich zur letzen Erhebung

geringfügig etwas höher ein. Sowohl bei der Zärtlichkeit als auch der Variable

Gemeinsamkeiten/Kommunikation zeigt sich zunächst eine Abnahme. Nach minimalen

Verbesserungen zu t4 und t5 pendeln sich die Bewertungen zu t6 in etwa auf dem Niveau von

t4 ein (siehe Abb. 2).

Werden die Angaben der Eltern miteinander verglichen, ist ersichtlich, dass die Väter zu t6

sowohl ein höheres Streitverhalten (p = <.001) als auch eine geringere Zärtlichkeit (p =

<.001) ihrer Partnerinnen berichten, als die Mütter dies bezüglich des Partners.

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Tab. 3. Vergleich der Partnerschaftsqualität zwischen Mütter und Väter

Gepaarte Differenzen Partnerschaft N M SD M SD p Streitverhalten Mütter 97 1.61 .505

-.208 .538 <.001 Väter 97 1.82 .625

Zärtlichkeit Mütter 97 2.74 .689 .308 .666 <.001

Väter 97 2.44 .692 Gemeinsamkeit /Kommunikation

Mütter 97 2.82 .582 .005 .541 .927

Väter 97 2.83 .576 N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau

0

0.5

1

1.5

2

2.5

3

3.5

Streitverhalten Zärtlichkeit Gemeinsamkeit/Kommunikation

t1t2t3t4t5t6

Abb. 2. Entwicklung der Partnerschaft (Bewertungen der Partner durch die Partnerinnen): 3 Monate

vor (t1) / 3 Mon. nach (t2) / 3 Jahre nach (t3) / 8 J. (t4)/ 11 J. (t5) und 15 J. (t6) nach der Geburt des Kindes Kodierung: 1 = nie, sehr selten 2 = selten 3 = oft 4 = sehr oft

3.3 Die Einschätzungen der Glücklichkeit in der Partnerschaft durch die Eltern

Von beiden Partnern wurde die erlebte Glücklichkeit in der Partnerschaft erfragt. Wie Tab. 4

zeigt, geben 76.2% der Partnerinnen und 76.3% der Partner an in ihrer Partnerschaft glücklich

bzw. sehr glücklich zu sein. Es bestehen jedoch in den einzelnen Kategorien geringe

Unterschiede zwischen Partnerinnen und Partnern. So geben mehr Partner als Partnerinnen an,

unglücklich oder eher unglücklich zu sein, wogegen die Partnerinnen im Vergleich häufiger

eher glücklich sind (Abb. 3).

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Tab. 4. Vergleich der Glücklichkeit in der Partnerschaft (gepaarter T-Test)

Gepaarte Differenzen N M SD M SD p Glücklichkeit in der Partnerschaft

Mütter 102 4.61 1.236 .029 .906 .744

Väter 102 4.58 1.262 N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau

0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

sehrunglücklich

unglücklich eherunglücklich

eherglücklich

glücklich sehrglücklich

PartnerPartnerin

Abb. 3. Häufigkeiten der erlebte Glücklichkeit in der Partnerschaft zu t6

3.4 Die Einstellung der Mütter zur Elternschaft: Skalenbildung und Identifikation von Müttertypen

Für die Qualität der Familienentwicklung stellt die Einstellung der Mütter und Väter zur

Elternschaft eine der wichtigsten, das Familienleben prägenden Komponente dar. Sie wurde

in der vorliegenden Längsschnittstudie daher zu jedem Erhebungszeitpunkt erfasst. Wie in

den Vorläuferstudien wurde dazu der Elternschaftsfragebogen von Nickel, Grant und Vetter

(1990) eingesetzt und (jeweils für Mütter und Väter getrennt) Skalen konstruiert (s. Rollett,

Werneck & Hanfstingl, 2005). Um die Vergleichbarkeit zu sichern, wurde darauf geachtet,

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die Skalen jeweils nur soweit zu verändern, wie es auf Grund der Entwicklung der

Heranwachsenden unbedingt notwendig war.

Der Elternschaftsfragebogen zur Erfassung der Einstellung der Mütter zur Elternschaft enthält

die in Tab. 5 aufgeführten Skalen:

Tab. 5. Skalen des Elternschaftsfragebogens für Mütter

Skalenbezeichnung Itemanzahl Itemnummer α

Belastung durch Kinder 14 14, 31, 32, 39, 49, 51, 56, 59, 61, 63, 64, 69, 77, 80

.850

Wert von Kindern 15 10, 17, 18, 20, 25,30, 33, 34, 35, 36, 38, 41, 54, 73, 76 .840

Traditionelle Elternrolle 15 1, 2, 5, 11, 22, 28, 37, 42, 47, 60, 62, 65, 68, 78, 82 .852

Reproduktiver Wert der Familie 9 8, 12, 15, 21, 27, 45, 53, 66, 70 .799

„Mutterrolle versus Berufsrolle 8

3, 13, 29, 40, 44, 72, 74, 79

.732

α = Cronbach’s Alpha Die Skala „Belastung durch Kinder“ misst, wie sehr sich Mütter durch die Kinder

eingeschränkt und belastet fühlen. Mit Hilfe der Skala „Wert von Kindern“ wird der

persönliche Wert der Kinder für die Mutter eingeschätzt und erfasst, inwieweit Kinder eine

Sinnerfüllung für sie bedeuten. Durch die Skala „Traditionelle Elternrolle“ wird die

Zustimmung zur traditionellen Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau erhoben. Die Skala

„Reproduktiver Wert der Familie“ misst, ob und inwiefern es den Müttern wichtig ist, durch

Kinder ihr Ansehen innerhalb der Großfamilie zu heben und durch sie die Tradition der

Familie fortzuführen. Durch die Skala „Mutterrolle versus Berufsrolle“ wird erhoben, ob die

Mutter meint, dass sich Mutterrolle und Berufsrolle verbinden lassen oder dass sie einander

ausschließen: Hohe Werte bedeuten hier, dass die Mutter es für angebrachter hält, sich ganz

den Kindern zu widmen, niedrige Werte, dass sie der Auffassung ist, dass sich Mutterschaft

und Berufstätigkeit vereinen lassen.

Die z-transformierten Skalen des Elternschaftsfragebogens wurden herangezogen, um auf

clusteranalytischem Wege Müttertypen zu bilden, wobei das Verfahren nach Ward zur

Anwendung kam. Die Clusteranalyse der Elternschaftsfragebogendaten legte eine Fünf-

Clusterlösung nahe (s. Tab. 6 und die Veranschaulichung in Abb. 4). Im Einzelnen handelt es

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sich um folgende Müttertypen, die sich in den Variablen des Elternschaftsfragebogens in

charakteristischer Weise unterscheiden:

1. Emanzipierte Mütter (12.4%)

Die „Emanzipierten Mütter“ lehnen eine traditionelle Rollenaufteilung ab. Hier ist allerdings

anzumerken, dass die Zustimmung bei allen Müttertypen generell eher gering ist.

Emanzipierte Mütter fühlen sich durch Kinder wenig belastet. Sie schätzen ihren Wert

allerdings signifikant geringer ein, als dies bei den anderen Müttertypen der Fall ist. Dies gilt

sowohl für die Qualität ihrer Partnerschaftsbeziehung als auch den Stellenwert der Kinder

bezüglich der Bereicherung ihres Lebens. Der reproduktive Wert der Familie ist für sie

ebenfalls geringer.

2. Kinderorientierte Mütter (21.4%)

Für die „Kinderorientiertn Mutter“ sind der Wert des Kindes und der reproduktive Wert der

Familie besonders wichtig. In der Skala „Mutterrolle versus Berufsrolle“ liegen sie im

Mittelbereich. Die traditionelle Rollenaufteilung lehnen sie jedoch eher ab. Trotz des großen

Engagements für die Familie fühlen sie sich durch Kinder nur durchschnittlich belastet.

3. Beruforientierte Mütter (14%)

Die „berufsorientierten Mütter“ befürworten am stärksten die Berufstätigkeit von Müttern und

lehnen eine traditionelle Rollenaufteilung eher ab. Dem Wert von Kindern für die Beziehung

und die persönliche Entwicklung stimmen sie eher zu, der reproduktive Wert der Familie wird

von ihnen jedoch eher abgelehnt. Kinder werden als wenig belastend empfunden.

4. Belastete Mütter (26.4%)

Die Mütter dieser Gruppe empfinden die stärkste Belastung durch die Kinder. Sie weisen in

den anderen Bereichen durchschnittliche Ausprägungen auf. So haben sie eine eher

ablehnende Haltung gegenüber einer traditionellen Rollenaufteilung und einer

ausschließlichen Mutterrolle. Dies gilt auch für den reproduktiven Wert der Familie. Dem

emotionalen Wert von Kindern stimmen sie eher zu.

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5. Traditionelle Mütter (25.6%)

Die „Traditionellen Mütter“ stimmen der traditionellen Rollenaufteilung, verglichen mit den

anderen Müttertypen, signifikant stärker zu. Der Berufstätigkeit von Müttern stehen sie

neutral gegenüber. Durch Kinder fühlen sie sich nur gering belastet.

Tab. 6. Skalenwerte des Elternschaftsfragebogens in den Mütterclustern (ANOVA)

Elternschaftsskalen der Mütter Muttertypen N M SD p

Belastung durch das Kind

Emanzipierte Mütter 16 2.12 .257

<.001

Kinderorientiert Mütter 28 2.58 .337 Berufsorientierte Mütter 18 2.11 .201 Belastete Mutter 34 2.99 .241 Traditionelle Mütter 33 2.35 .399 Gesamt 129 2.50 .449

Wert des Kindes

Emanzipierte Mütter 16 2.43 .330

<.001

Kinderorientiert Mütter 28 3.57 .198 Berufsorientierte Mütter 18 3.09 .309 Belastete Mutter 34 2.97 .328 Traditionelle Mütter 33 3.09 .260 Gesamt 129 3.08 .433

Traditionelle Rollenaufteilung

Emanzipierte Mütter 16 1.37 .335

<.001

Kinderorientiert Mütter 28 1.71 .451 Berufsorientierte Mütter 18 1.38 .249 Belastete Mutter 34 1.53 .297 Traditionelle Mütter 33 2.06 .233 Gesamt 129 1.66 .411

Reproduktiver Wert der Familie

Emanzipierte Mütter 16 1.72 .385

<.001

Kinderorientiert Mütter 28 2.87 .408 Berufsorientierte Mütter 18 1.87 .360 Belastete Mutter 34 2.14 .454 Traditionelle Mütter 33 2.31 .385 Gesamt 129 2.25 .552

Mutterrolle vs. Berufsrolle

Emanzipierte Mütter 16 2.16 .244

<.001

Kinderorientiert Mütter 28 2.49 .523 Berufsorientierte Mütter 18 1.50 .281 Belastete Mutter 34 2.14 .382 Traditionelle Mütter 33 2.13 .382 Gesamt 129 2.12 .483

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau

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28

-2

-1.5

-1

-0.5

0

0.5

1

1.5

Belastung durchdas Kind

Wert des Kindes Mutter -Traditionelle

Rollenaufteilung

Mutter -Reproduktiver Wert

der Familie

Mutter - Mutterrollevs. Berufsrolle

Emanzpierte MütterKinderorientierte MütterBerufsorientierte MütterBelastete MütterTraditionelle Mütter

Abb. 4. z-transformierte Skalenwerte des Elternschaftsfragebogens in den Mütterrclustern

In der Skala „Belastung durch das Kind“ haben erwartungsgemäß die belasteten Mütter die

höchsten, die emanzipierten und die kinderorientierten Mütter die niedrigsten Werte.

Letzteren gelingt es offenbar, die Belastung durch familiäre Aufgaben in einer für sie

akzeptablen Form in Grenzen zu halten. In das Gesamtbild passen auch die weiteren

Ergebnisse. Kinderorientierte Mütter schätzen den Wert des Kindes und den reproduktiven

Wert der Familie am höchsten ein und bevorzugen die Mutterrolle gegenüber der Berufsrolle.

Emanzipierte Mütter haben den niedrigsten Score in der Skala „reproduktiver Wert der

Familie“ und zeigen die geringste Ausprägung in der Skala „Wert des Kindes“. Sie lehnen

außerdem- ebenso wie die berufsorientierten Mütter- die traditionelle Rollenaufteilung eher

ab. Letztere Müttergruppe hat den niedrigsten Score in der Skala „Mutterrolle versus

Berufsrolle“, was bedeutet, dass sie die Berufsrolle eindeutig bevorzugen.

3.4.1 Müttertypen und Partnerschaftsqualität Zur Erfassung der Partnerschaftsqualität wurde der Partnerschaftsfragebogen von

Hahlweg (1979) eingesetzt. Er umfasst die Skalen Streitverhalten, Zärtlichkeit und

Kommunikation/Gemeinsamkeit. In Tab. 7 werden die diesbezüglichen

Mittelwertsunterschiede zwischen den Müttertypen berichtet.

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Tab. 7. Müttertypen und Partnerschaftsqualität aus Sicht der Mutter (ANOVA)

Partnerschaft Müttertypen N M SD p

Streitverhalten aus Sicht der Mutter

Emanzipierte Mütter 12 1.31 .254

.002

Kinderorientiert Mütter 23 1.72 .538 Berufsorientierte Mütter 17 1.42 .385 Belastete Mutter 30 1.88 .630 Traditionelle Mütter 18 1.54 .277 Gesamt 100 1.64 .517

Zärtlichkeit aus Sicht der Mutter

Emanzipierte Mütter 12 2.74 .674

.228

Kinderorientiert Mütter 23 2.94 .728 Berufsorientierte Mütter 17 2.92 .729 Belastete Mutter 30 2.54 .757 Traditionelle Mütter 18 2.64 .538 Gesamt 100 2.74 .707

Kommunikation aus Sicht der Mutter

Emanzipierte Mütter 12 3.10 .501

.012

Kinderorientiert Mütter 23 2.98 .537 Berufsorientierte Mütter 17 2.92 .607 Belastete Mutter 30 2.52 .642 Traditionelle Mütter 18 2.79 .476 Gesamt 100 2.81 .597

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=nie/sehr selten 2=selten 3=oft 4=sehr oft Anmerkung: Klammern geben signifikante Unterschiede zwischen den betreffenden Müttertypen an Signifikante Unterschiede zwischen den Müttertypen zeigen sich bezüglich des von den

Müttern berichteten Streitverhaltens ihres Partners. Den höchsten Wert des Streitverhaltens

geben belastete Mütter an, gefolgt von den kinderorientierten Müttern. Das geringste

Streitverhalten berichten die emanzipierten Mütter. Es ist nachvollziehbar, dass unter

Belastung die Fähigkeit leidet, einen Streit rasch beizulegen und sich mit dem Partner wieder

zu verständigen. Belastung führt außerdem dazu, dass ärgerliche Äußerungen des Partners

schwerer genommen werden, so dass es leichter zu Eskalationen kommt. Das von den

kinderorientierten Müttern wahrgenommene höhere Streitverhalten könnte u.a. darauf

zurückgehen, dass bei Auseinandersetzungen, die die Jugendlichen betreffen, dazu neigen

deren Partei zu ergreifen.

Auch hinsichtlich der Kommunikationsgestaltung mit dem Partner unterscheiden sich die

Müttertypen signifikant. Hier haben wieder die emanzipierten Mütter, aber auch (mit

geringem Abstand) die kindorientierten Mütter die höchsten Scores. Die belasteten Mütter

fallen durch den geringsten Wert in dieser Skala auf. Auch dieses Ergebnis unterstreicht die

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30

problematische Situation der belasteten Mütter, da es zeigt, dass sie sich über ihre schwierige

Situation mit ihrem Partner kaum austauschen, so dass sie mit ihren Problemen allein bleiben.

Zur Erfassung der Glücklichkeit in der Partnerschaft wurde eine sechs-stufige Likertskala

eingesetzt, die von „sehr unglücklich“ bis „sehr glücklich“ reicht. Die Ergebnisse sind in Tab.

8 aufgeführt. Die emanzipierten Mütter beurteilen ihre Partnerschaft in dieser Skala als

signifikant glücklicher, als dies bei den belasteten Müttern der Fall ist. Die Partner der

verschiedenen Müttertypen unterscheiden sich interessanterweise jedoch nicht bezüglich ihrer

Glücklichkeit in der Partnerschaft.

Tab. 8. Müttertypen und die Glücklichkeit der Partnerschaft (ANOVA)

Müttertypen N M SD p

„Glücklichkeit“ der Partnerschaft aus Sicht der Mutter (nach Müttertypen geordnet)

Emanzipierte Mütter 12 5.33 .778

.025

Kinderorientierte Mütter 23 4.74 1.176 Berufsorientierte Mütter 17 4.76 1.200 Belastete Mutter 30 4.03 1.402 Traditionelle Mütter 18 4.56 1.097 Gesamt 100 4.57 1.249

„Glücklichkeit“ der Partnerschaft aus Sicht des Vaters (nach Müttertypen geordnet)

Emanzipierte Mütter 11 5.00 1.183

.584

Kinderorientiert Mütter 22 4.59 1.221 Berufsorientierte Mütter 17 4.82 1.185 Belastete Mutter 27 4.37 1.214 Traditionelle Mütter 18 4.44 1.423 Gesamt 95 4.59 1.242

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=sehr unglücklich 2=unglücklich 3=eher unglücklich 4=eher glücklich 5=glücklich 6=sehr glücklich Anmerkung: Klammern geben signifikante Unterschiede zwischen den betreffenden Müttertypen an Es stellt sich die Frage, ob die Auffassung von Elternschaft, wie sie sich in den Müttertypen

widerspiegelt, die Beziehung der Eltern zu ihren Söhnen und Töchtern beeinflusst. Sowohl

den Müttern wie den Vätern wurde daher der Zweierbeziehungsfragebogens von Cierpka und

Frevet (1994) vorgelegt. Die Ergebnisse werden im Folgenden dargestellt.

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31

3.4.2 Die Beziehung der Müttertypen zu ihren Söhnen und Töchtern

Der Fragebogen von Cierpka und Frevet umfasst folgende Skalen: „Aufgabenerfüllung“,

„Rollenverteilung“, „Kommunikation“, „Emotionalität“, „affektive Beziehungsaufnahme“,

„Kontrolle“ und „Werte und Normen“. Zur besseren Vergleichbarkeit mit den Angaben in der

Literatur wurde die Kodierung der Items von Cierpka und Frevet übernommen, so dass hohe

Werte eine niedrige Ausprägung in der Skala bedeuten. Dies ist bei der Interpretation der

Ergebnisse zu beachten.

Wie Tab. 9 zeigt, bestehen bezüglich aller Skalen knapp signifikante bis sehr signifikante

Unterschiede zwischen den Müttertypen. So wird die Beziehung zu den Jugendlichen von den

belasteten Müttern in allen Skalen am problematischsten beschrieben: Nicht nur die

Partnerbeziehung, sondern auch die Beziehung zu den Kindern leidet, wenn die Mutter

übermäßig belastet ist.

In den Bereichen „Aufgabenerfüllung“, „Rollenverteilung“, „Kommunikation“ mit dem Sohn

bzw. der Tochter, „Kontrolle“ sowie „Werte und Normen“ beschreiben die emanzipierten

Mütter die Beziehung zu ihren Söhnen und Töchtern am positivsten. Sie sind daher nicht nur

am glücklichsten in ihrer Partnerschaft, sondern es gelingt ihnen auch, eine gute Beziehung zu

Kindern zu verwirklichen.

Die affektive Beziehungsaufnahme wird sowohl von den emanzipierten Müttern als auch von

den kinderorientierten Müttern günstig beschrieben. Die kinderorientierten Mütter bewerten

die Emotionalität in ihrer Beziehung zu ihren Söhnen und Töchtern am positivsten.

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32

Tab. 9. Müttertypen und ihre Beziehung zu den Jugendlichen (ANOVA)

Zweierbeziehungs-fragebogen Müttertypen N M SD p

Aufgabenerfüllung

Emanzipierte Mütter 16 3.81 1.72

.001

Kinderorientierte Mütter 27 4.77 1.54 Berufsorientierte Mütter 18 4.22 2.16 Belastete Mutter 34 6.00 1.95 Traditionelle Mütter 33 5.27 1.77 Gesamt 128 5.03 1.95

Rollenverteilung

Emanzipierte Mütter 16 3.00 1.83

.021

Kinderorientiert Mütter 27 4.22 1.85 Berufsorientierte Mütter 18 3.20 2.02 Belastete Mutter 34 4.74 1.86 Traditionelle Mütter 33 4.00 2.22 Gesamt 128 4.01 2.04

Kommunikation

Emanzipierte Mütter 16 1.83 1.71

.051

Kinderorientierte Mütter 26 2.82 2.02 Berufsorientierte Mütter 18 1.94 1.80 Belastete Mutter 34 3.56 1.67 Eher traditionelle Mütter 33 2.91 2.26 Gesamt 127 2.79 2.00

Emotionalität

Emanzipierte Mütter 16 2.19 1.94

.033

Kinderorientierte Mütter 27 1.72 1.51 Berufsorientierte Mütter 18 1.94 1.39 Belastete Mutter 34 3.00 1.61 Traditionelle Mütter 33 2.45 1.72 Gesamt 128 2.34 1.68

affektive Beziehungsaufnahme

Emanzipierte Mütter 16 1.00 1.32

<.001

Kinderorientierte Mütter 27 1.00 1.04 Berufsorientierte Mütter 18 1.56 1.69 Belastete Mutter 34 2.82 1.93 Traditionelle Mütter 33 2.39 1.97 Gesamt 128 1.92 1.83

Kontrolle

Emanzipierte Mütter 16 .75 1.24

.012

Kinderorientierte Mütter 26 1.77 1.63 Berufsorientierte Mütter 18 1.83 1.58 Belastete Mutter 34 2.41 1.69 Traditionelle Mütter 33 2.39 1.92 Gesamt 127 1.98 1.74

Werte und Normen

Emanzipierte Mütter 16 2.48 1.82

<.001

Kinderorientierte Mütter 26 3.94 1.56 Berufsorientierte Mütter 18 3.89 2.11 Belastete Mutter 34 5.39 1.87 Traditionelle Mütter 33 4.73 2.48 Gesamt 127 4.34 2.19

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Anmerkungen: Hohe Werte bedeuten niedrige Ausprägung und umgekehrt. Klammern geben signifikante Unterschiede zwischen den betreffenden Müttern an

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Um zu überprüfen, ob die Einschätzungen der Mütter bezüglich ihrer Beziehung zu ihren

Kindern sich auch in den Bewertungen ihrer Bindung an ihre Mütter widerspiegelt, werden in

Tab. 10 die Ergebnisse der Jugendlichen im Bindungsfragebogen dargestellt. Hier finden sich

jedoch keine signifikanten Effekte. Es zeigt sich lediglich eine gewisse Tendenz bei der Skala

„Entfremdung“. Die höchsten Werte sind bei den emanzipierten Müttern und etwas

abgeschwächt bei den kinderorientierten Müttern zu beobachten. Die berufsorientierten

Mütter haben hier die niedrigsten Werte.

Tab. 10. Müttertypen und die Bindung der Jugendlichen an die Mutter (ANOVA)

Bindung an die Mütter Müttertypen N M SD p

Vertrauen

Emanzipierte Mütter 16 4.23 .655

.953

Kinderorientiert Mütter 28 4.25 .370 Berufsorientierte Mütter 18 4.35 .512 Belastete Mutter 34 4.29 .456 Traditionelle Mütter 33 4.31 .571 Gesamt 129 4.29 .501

Kommunikation

Emanzipierte Mütter 16 3.45 1.087

.702

Kinderorientiert Mütter 28 3.42 .742 Berufsorientierte Mütter 18 3.67 .853 Belastete Mutter 34 3.67 .683 Traditionelle Mütter 33 3.50 .822 Gesamt 129 3.54 .807

negative emotionale Beziehung

Emanzipierte Mütter 16 2.08 .762

.576

Kinderorientiert Mütter 28 2.33 .621 Berufsorientierte Mütter 18 2.21 .705 Belastete Mutter 34 2.16 .534 Traditionelle Mütter 33 2.07 .659 Gesamt 129 2.17 .638

Entfremdung

Emanzipierte Mütter 16 2.73 .957

.149

Kinderorientiert Mütter 28 2.68 .745 Berufsorientierte Mütter 18 2.12 .835 Belastete Mutter 34 2.51 .763 Traditionelle Mütter 33 2.51 .714 Gesamt 129 2.52 .792

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau

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34

3.4.3 Die von den Müttern in den Mütterclustern berichtete Aufteilung der Haushaltstätigkeiten

Da es denkbar wäre, dass sich die Müttertypen bezüglich der von ihnen übernommenen

Haushaltsarbeiten unterscheiden, wurde dieser Aspekt in die Auswertung einbezogen. Wie

die Ergebnisse zeigen, ist dies nicht der Fall (s. Tab. 11). Alle Angaben liegen zwischen 3

(„beide zu gleichen Teilen“) und 4 („überwiegend ich“).

Tab. 11. Müttertypen und selbsteingeschätzte Beteiligung an den Haushaltstätigkeiten (ANOVA)

Müttertypen N M SD p

Haushaltstätigkeit der Mutter (nach Müttertypen geordnet)

Emanzipierte Mütter 12 3.82 .688

.611

Kinderorientiert Mütter 27 3.70 .856 Berufsorientierte Mütter 17 3.50 .764 Belastete Mutter 32 3.72 .567 Traditionelle Mütter 26 3.83 .584 Gesamt 114 3.72 .688

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=ich nie, 2=ich seltener, 3=beide zu gleichen Teilen, 4=überwiegend ich, 5=immer ich. . Bei der Zufriedenheit der Mütter mit der Haushaltsarbeitsaufteilung sind die Verhältnisse

allerdings etwas anders (s. Tab. 12): Keiner der Mittelwerte erreicht die Bewertung 2 („ja ich

bin so zufrieden“), sondern sie liegen sämtlich noch im Bereich „der Partner sollte sich mehr

darum kümmern“. Zwischen den Müttertypen bestehen allerdings nur tendenzielle

Unterschiede. Am unzufriedensten sind die belasteten Mütter, sie wünschen sich von ihrem

Partner mehr Unterstützung im Haushalt. Am wenigsten kritisch beurteilen die emanzipierten

und berufsorientierten Mütter die väterliche Unterstützung bei der Haushaltsarbeit.

Tab. 12. Müttertypen und Zufriedenheit mit der Aufteilung der Haushaltstätigkeiten (ANOVA)

Müttertypen N M SD p

Zufriedenheit mit Haushaltsaufteilung der Mutter (nach Müttertypen geordnet)

Emanzipierte Mütter 12 1.81 .210

.085

Kinderorientiert Mütter 27 1.73 .287 Berufsorientierte Mütter 16 1.83 .193 Belastete Mutter 32 1.63 .296 Traditionelle Mütter 26 1.78 .309 Gesamt 113 1.74 .282

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=der Partner sollte sich mehr darum kümmern, 2=ja, bin so zufrieden, 3=er sollte es mehr mir überlassen.

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Wird die Zufriedenheit der Mütter in den Mütterclustern mit der Zeitaufteilung zwischen den

Bereichen Familie, Freizeit und Beruf der Müttertypen betrachtet, zeigt sich, dass belastete

Mütter tendenziell am wenigsten zufrieden sind (siehe Tab. 13). Am Zufriedensten sind hier

die traditionellen Mütter. Deutliche Unterschiede finden sich jedoch, wenn man die

Zufriedenheit der Partner mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf erfragt (s.

Tab. 14).

Tab. 13. Zufriedenheit der Mutter mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf in den fünf

Mütterclustern (ANOVA) Müttertypen N M SD p

Zufriedenheit der Mutter mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf (nach Müttertypen geordnet)

Emanzipierte Mütter 16 2.44 .629

.080

Kinderorientiert Mütter 26 2.31 .618 Berufsorientierte Mütter 18 2.39 .502 Belastete Mutter 34 2.12 .591 Traditionelle Mütter 33 2.52 .566 Gesamt 127 2.34 .594

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1 = überhaupt nicht zufrieden 2 = nicht ganz zufrieden 3 = sehr zufrieden

Tab. 14. Zufriedenheit des Vaters mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf in den fünf Mütterclustern (ANOVA)

Müttertypen N M SD p

Zufriedenheit des Vaters mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf (nach Müttertypen geordnet)

Emanzipierte Mütter 14 2.71 .469

<.001

Kinderorientiert Mütter 25 2.44 .507 Berufsorientierte Mütter 17 2.59 .507 Belastete Mutter 31 2.03 .605 Traditionelle Mütter 27 2.22 .577 Gesamt 114 2.33 .590

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1 = überhaupt nicht zufrieden 2 = nicht ganz zufrieden 3 = sehr zufrieden

Alle Bewertungen der Partner der Müttertypen liegen zwischen „nicht ganz zufrieden“ und

„sehr zufrieden“. Die niedrigste Ausprägung zeigen jene Väter, die mit belasteten Müttern

verheiratet sind, die höchste, die Partner der emanzipierten Mütter. Auch dieses Ergebnis

unterstreicht, dass die belasteten Mütter eine Risikogruppe darstellen. Den emanzipierten

Müttern ist es dagegen offenbar gelungen, den Familienalltag gut zu organisieren.

Wie die berichteten Ergebnisse zeigen, kommt den Müttertypen eine besondere Bedeutung

bei der Gestaltung des Familienlebens zu. Es ist daher von Interesse, zu untersuchen, ob es

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sich dabei um stabile Zuordnungen handelt, wenn man die längsschnittliche Entwicklung

berücksichtigt. Dieser Frage wird im nächsten Kapitel nachgegangen.

3.4.4 Längsschnittliche Wanderung der Müttertypen Wie erwähnt, wurde die Einstellung zur Elternschaft im Rahmen dieses Längsschnittprojektes

zu allen Erhebungswellen durch den Elternschaftsfragebogens von Nickel, Grant und Vetter

(1990) erhoben. An Hand dieser Skalen wurden zu jedem Erhebungszeitpunkt Mütter- und

Vätercluster berechnet.

3.4.4.1 Wanderung der Müttertypen vom ersten zum sechsten Erhebungszeitpunkt

Aufgrund der Befragung der Mütter zum ersten Erhebungszeitpunkt konnten clusteranalytisch

die folgenden sechs Müttertypen identifiziert werden: „Selbstbewusste, kinderliebende

Mütter“ (21.9%), „Emanzipierte, durch Kinder nicht belastete Mütter“ (12.4%),

„Emanzipierte, durch Kinder belastete Mütter“ (29.8%), „Überforderte, durch Kinder nicht

belastete Mütter“ (9%), „Überforderte, durch Kinder belastete Mütter“ (20.8%) und

„Pflichterfüllende Mütter“ (2.8%). Die Veränderungen der Clusterzugehörigkeiten vom ersten

Erhebungszeitpunkt zur aktuellen sechsten Erhebung sind in Tab. 15 angeführt, wobei nur

jene Mütter berücksichtigt wurden, von denen Daten zu beiden Erhebungszeitpunkten

vorliegen.

Wie die Analyse zeigt, bestehen kaum Übereinstimmungen. Es zeigt sich z.B., dass nur

38.9% der emanzipierten, durch das Kind nicht belasteten Mütter von t1 auch zu t6 noch zu

den emanzipierten Müttern zählen, die anderen entweder den berufsorientierten oder den

traditionellen Müttern angehören. Ein Drittel der emanzipierten, durch das Kind belasteten

Mütter zu t1 gehören auch zu t6 der belasteten Müttercluster an. Von den überforderten, durch

das Kind nicht belasteten Müttern zu t1 sind zu t6 mehr als die Hälfte der Mütter im

kinderorientierten Müttercluster. Je ein Drittel der zu t1 überforderten, durch das Kind

belasteten Mütter sind auch zu t6, in der Gruppe der belasteten Mütter oder der Gruppe der

traditionellen Mütter zu finden. Weiters zeigt die Analyse, dass die Gruppe der emanzipierten

Mütter zu t6 nur aus Müttern die zu t1 der Gruppe der selbstbewussten kinderliebenden oder

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der emanzipierten Mütter angehörten. Diese Mütter haben offenbar früh zu einer sie

befriedigenden Rolle in der Familie gefunden, die auch vom Partner akzeptiert wird.

Tab. 15. Wanderung der Müttertypen von t1 nach t6

Müttertypen t6

Müttertypen t1 (drei Monate vor der Geburt)

Selbstbew. Kinderliebe

Emanzipierte Unbelastete

Emanzipierte Belastete

Überfordert Unbelastete

Überforderte Belastete

Pflicht-erfüllende

Gesamt

Emanzipierte Mütter

O 3 7 6 0 0 0 16

E 4.1 2.3 4.7 1.5 3.3 .1 16

% 9.4% 38.9% 16.2% 0% 0% 0% 12.7%

Familien-orientierte Mütter

O 10 0 6 7 5 0 28

E 7.1 4.0 8.2 2.7 5.8 .2 28

% 31.3% 0% 16.2% 58.3% 19.2% 0% 22.2%

Berufs-orientierte Mütter

O 3 4 6 0 4 1 18

E 4.6 2.6 5.3 1.7 3.7 .1 18

% 9.4% 22.2% 16.2% 0% 15.4% 100% 14.3%

Belastete Mutter

O 8 3 12 2 9 0 34

E 8.6 4.9 10.0 3.2 7.0 .3 34

% 25.0% 16.7% 32.4% 16.7% 34.6% 0% 27.0%

Traditionelle Mütter

O 8 4 7 3 8 0 30

E 7.6 4.3 8.8 2.9 6.2 .2 30

% 25.0% 22.2% 18.9% 25.0% 30.8% .0% 23.8%

Gesamt

O 32 18 37 12 26 1 126

E 32 18 37 12 26 1 126

% 100% 100% 100% 100% 100% 100% 100% O= Anzahl E= erwartete Anzahl %=Prozent von Müttertypen t1 Exakter Test nach Fischer p=.004 Um einen anschaulichen Eindruck der Verschiebungen der Zugehörigkeiten zu den

Müttertypen zu vermitteln, werden diese in Abb. 5 dargestellt.

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Traditionelle n=30

Kinder-orientierte

n =28

Berufs-orientierten

n=18

Belastete n=34

Überforderte Belastete

n=25

Überforderte Unbelastete

n=12

3

3

8

10 8 8

4

4

7

4

7

3

2

6

12

6

6

7

5

8

9

Müttertypen t1

Pflicht-erfüllende

n=1

Müttertypen t6

Emanzipierte n=16

Selbstbewusste Kinderliebende

n=32

1

Emanzipierte Belastete

n=37

Emanzipierte Unbelastete

n=18

Abb. 5. Müttercluster zu t1 und t6 / Verschiebungen

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39

Aufgrund der geringen Stabilität der Zuordnung zu den Müttertypen von t1 und t6 stellt sich

die Frage, ob wenigstens Übereinstimmungen zwischen t5, als die Kinder elf Jahre alt waren,

und t6, als sie fünfzehn Jahre zählten, bestehen. Im nächsten Abschnitt wird darauf

eingegangen.

3.4.4.2 Wanderung der Müttertypen vom fünften zum sechsten Erhebungszeitpunkt

Zum fünften Erhebungszeitpunkt hatten sich clusteranalytisch folgende Müttertypen ergeben:

„Traditionelle, belastete Mütter“ (14%), „Traditionelle, unbelastete Mütter“(21.3%), „Wenig

traditionelle, belastete Mütter“ (15.7%), „Emanzipierte, unbelastete Mütter“ (19.7%) und

„Kinderorientierte Mütter“ (5.1%) (siehe Rollett, Werneck & Hanfstingl, 2005).

Die Veränderungen der Clusterzugehörigkeiten der Mütter sind in Tab. 16 aufgezeigt. Wie

sich zeigt, ist auch in diesem Fall die Stabilität gering.

Von den 31 Müttern, die zum fünften Erhebungszeitpunkt zum Typ der emanzipierten,

unbelasteten Mütter zählten, können in der aktuellen Erhebung ein Drittel (n = 10) wieder

dem emanzipierten Typ zugeordnet werden. Dreizehn der Mütter zeichnen sich nun durch

eine besondere Berufsorientierung aus und sechs sind in der Gruppe der belasteten Mütter.

Ein Großteil der traditionellen, belasteten Mütter zu t5 könnten jetzt der Gruppe der belasteten

Mütter (n = 8) und der Traditionellen Mütter (n = 7) zu geteilt werden. 53.6% (n =15) der

traditionellen, unbelasteten Mütter sind auch zu t6 in der Gruppe der Traditionellen Mütter zu

finden und ein Viertel (n=7) wandert zu der Gruppe der Kinderorientierten. Mehr als die

Hälfte der wenig traditionellen, belasteten Mütter empfinden auch zu t6 eine höhere

Belastung. Im Jugendalter kommt es verstärkt zu einer Ablösung der Jugendlichen von den

Eltern und dadurch auch zu einer Verlagerung in der Bedeutung der Elternschaft

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40

Tab. 16. Wanderung der Muttertypen von t5 und t6

Müttertypen t5

Müttertypen t6

Emanzipierte unbelastete

Mütter Traditionelle

belastete Mütter

Kinder-orientierte

Mütter

Traditionelle unbelastete

Mütter

Wenig traditionelle

belastete Mütter

Gesamt

Emanzipierte Mütter

O 10 1 0 3 1 15

E 4.1 2.8 1.1 3.7 3.3 15

% 32.3% 4.8% .0% 10.7% 4.0% 13.3%

Familien-orientierte Mütter

O 0 5 7 7 4 23

E 6.3 4.3 1.6 5.7 5.1 23

% .0% 23.8% 87.5% 25.0% 16.0% 20.4%

Berufs-orientierte Mütter

O 13 0 0 2 3 18

E 4.9 3.3 1.3 4.5 4.0 18

% 41.9% 0% 0% 7.1% 12.0% 15.9%

Belastete Mutter

O 6 8 1 1 15 31

E 8.5 5.8 2.2 7.7 6.9 31

% 19.4% 38.1% 12.5% 3.6% 60.0% 27.4%

Traditionelle Mütter

O 2 7 0 15 2 26

E 7.1 4.8 1.8 6.4 5.8 26

% 6.5% 33.3% .0% 53.6% 8.0% 23.0%

Gesamt

O 31 21 8 28 25 113

E 31 21 8 28 25 113

% 100% 100% 100% 100% 100% 100% O= Anzahl E= erwartete Anzahl %=Prozent von Müttertypen t5 Exakter Test nach Fischer p<.001

In Abb. 6 werden die Verschiebungen der Zugehörigkeiten zu den Müttertypen grafisch veranschaulicht.

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Kinder-orientierte

n=8

Traditionelle n=26

Kinder-orientierte

n=23

Berufs-orientierten

n=18

Emanzipierte n=15

Belastete n=31

Wenig Traditionelle

Belastete n=25

Traditionelle Unbelastete

n=28

Emanzipierte unbelastete

n=31

Traditionelle Belastete

n=21

10

13

8

2

6

7

5

1

1

7

1

3

1

2

7

15

3

4

2

15

Müttertypen t5 Müttertypen t6

Abb. 6. Müttercluster zu t5 und t6 / Verschiebungen

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42

Im nächsten Kapitel werden die Ergebnisse der analog zur Auswertung der Mütterdaten

erfolgten Analysen der Väterdaten berichtet. Auch hier wurden clusteranalytisch Vätertypen

gebildet.

3.5 Die Einstellung der Väter zur Elternschaft: Skalenbildung und Identifikation von Vätertypen

Harald Werneck und Monika Pucher Wie bei den Analysen der Mütterdaten wurden die Skalen der väterlichen Einstellung zur

Elternschaft zu t6 von der letzten Erhebung des FIL-Projektes (t5) weitgehend übernommen

und nur bei einzelnen Items adaptiert. Wie in Tab. 17 ersichtlich, sind die Reliabilitäten der

einzelnen Skalen zufriedenstellend.

Tab. 17. Skalen der Elternschaft der Väter

Skalenbezeichnung Itemanzahl Itemnummer α

Belastung durch Kinder 18 11, 14, 29, 32, 39, 49, 51, 52, 56, 57, 59, 61, 63, 64, 69, 77, 80, 81 .91

Funktionaler Wert von Kindern 12 8, 12, 15, 17, 21, 27, 33, 34, 45, 53, 66, 70 .83

Traditionelle Rollenaufteilung 18 1, 2, 5, 22, 28, 31, 40, 42, 46, 47, 58, 60, 62,

68, 71, 78, 79, 82 .88

Emotionaler Wert von Kindern 15 3, 10, 18, 20, 23, 25, 26, 30, 35, 36, 38, 41,

54, 67, 73 .86

α = Cronbach’s Alpha Mit der Skala „Belastung durch Kinder“ wird ermittelt, ob bzw. wie sehr Väter die

Auseinandersetzung und Beschäftigung mit Kindern als Belastung empfinden. Die Skala

„Funktionaler Wert von Kindern“ misst, inwieweit Kinder zum eigenen Selbstverständnis

gehören, aber auch als Quelle sozialer und gesellschaftlicher Anerkennung fungieren.

In der Skala „Traditionelle Rollenaufteilung“ wird erfasst, inwieweit die Einstellungen des

Vaters betreffend die Rollenaufteilung zwischen den Eltern dem traditionellen Muster

entspricht. Mit der Skala „Emotionaler Wert von Kindern“ wird schließlich der Wert an sich,

Kinder zu haben und dessen bereichernde und sinnstiftende Funktion erhoben.

Im nächsten Schritt werden diese vier (z-transformierten) Skalen des Elternschaftfragebogens

von Nickel, Grant und Vetter (1990) einer Clusteranalyse (nach Ward) unterzogen. Im

Folgenden werden die so gewonnenen vier Vätercluster mit ihren typischen Ausprägungen

beschrieben (s. Tab. 18 und Abb. 7).

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Tab. 18. Skalenwerte des Elternschaftsfragebogens (Nickel, Grant & Vetter, 1990) in den Väterclustern (ANOVA)

Elternschaftsfragebogen Vätercluster N M SD p

Belastung durch das Kind

Neue Väter 22 2.10 .351

<.001 Durchschnittliche Väter 50 2.50 .259 Belastete Väter 18 3.21 .351 Distanzierte Väter 28 2.51 .259 Gesamt 118 2.54 .254

Traditionelle Rollenaufteilung

Neue Väter 22 1.44 .569

<.001 Durchschnittliche Väter 50 1.95 .490 Belastete Väter 18 1.96 .224 Distanzierte Väter 28 1.40 .352 Gesamt 118 1.73 .387

Emotionaler Wert von Kindern

Neue Väter 22 3.46 .228

<.001 Durchschnittliche Väter 50 2.83 .407 Belastete Väter 18 3.08 .255 Distanzierte Väter 28 2.56 .336 Gesamt 118 2.92 .353

Funktioneller Wert von Kindern

Neue Väter 22 2.87 .317

<.001 Belastete Väter 50 2.42 .438 Distanzierte Väter 18 2.78 .375 Durchschnittliche Väter 28 1.84 .333 Gesamt 118 2.42 .508

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau

-1.5

-1

-0.5

0

0.5

1

1.5

Belastung durch Kinder TraditionelleRollenaufteilung

Emotionaler Wert vonKindern

Funktionaler Wert vonKindern

Neue VäterBelastete VäterDistanzierte VäterDurchschnittliche Väter

Abb. 7. z-transformierte Skalenwerte des Elternschaftsfragebogens (Nickel, Grant & Vetter, 1990) in

den Väterclustern

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Folgende Vätertypen konnten identifiziert werden:

1) Die „Neuen Väter“ (18.6 %):

Diese Vätergruppe, die in Anlehnung an die einschlägige Literatur am ehesten als „Neue

Väter“ zu bezeichnen ist, zeichnet sich aus durch vergleichsweise geringe Werte in den

Skalen „Belastung durch Kinder“ und „Traditionelle Rollenaufteilung“, hingegen durch

deutliche erhöhte Werte, vor allem in der Skala „Emotionaler Wert von Kindern“, aber auch

in der Skala „Funktionaler Wert von Kindern“.

2) Die „Belasteten Väter“ (42.4 %):

Diese Gruppe von Vätern ist vor allem über ihre vergleichsweise sehr hohen Werte in der

Belastungsskala definiert. Die anderen Skalenwerte, bezüglich des Traditionalismus und des

emotionalen und funktionalen Wertes von Kindern erweisen sich jeweils als leicht

überdurchschnittlich.

3) Die „Distanzierten Väter“ (15.3 %):

Diese Gruppe von Vätern lässt sich neben durchschnittlichen Belastungswerten und der

deutlich unterdurchschnittlicher Wertigkeit, die sie einer traditionellen Rollenaufteilung

beimessen, vor allem durch die vergleichsweise sehr geringen Ausprägungen in den Skalen

emotionaler und funktionaler Wert von Kindern charakterisieren.

4) Die „Durchschnittlichen Väter“ (23.7 %):

Die einzige nennenswerte Abweichung der Väter dieses Clusters von den Skalenmittelwerten

betrifft die leicht überdurchschnittliche Zustimmung zur traditionellen Rollenaufteilung.

Um ein genaueres Bild dieser vier Vätercluster gewinnen zu können, wurden in den nächsten

Schritten Unterschiede zwischen den gebildeten Gruppen hinsichtlich mehrerer interessant

erscheinender Variablen bzw. Konstrukte geprüft.

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3.5.1 Vätertypen und Partnerschaftsqualität Hinsichtlich der Partnerschaftsqualität wurden dabei die auch zu allen vorigen

Erhebungszeitpunkten verwendeten Skalen aus dem Partnerschaftfragebogen PFB von

Hahlweg (1979) eingesetzt, nämlich Streitverhalten, Zärtlichkeit und

Kommunikation/Gemeinsamkeiten bzw. die zusätzliche Skala zur Erfassung der globalen

Glücklichkeitseinschätzung.

Betrachtet man die Einschätzungen der Väter, so ergeben sich auf der Skala Streitverhalten

signifikante Unterschiede, wobei hier die Werte der „Belasteten Väter“ deutlich höher liegen

als jene der drei anderen Vätergruppen. Hinsichtlich des Kommunikationsverhaltens zeigt

sich eine Tendenz dahingehend, dass die „Belasteten Väter“ ebenso wie die „Distanzierten

Väter“ geringere Werte, hingegen die „Neuen Väter“ höhere Werte erzielen (Details dazu s.

Tab. 19).

Tab. 19. Werte der vier Vätercluster in den Skalen des Partnerschaftsfragebogens PFB (Hahlweg, 1979) / Angaben der Väter (ANOVA)

Partnerschaft Vätercluster N M SD p

Streitverhalten aus Sicht des Vaters

Neue Väter 19 1.75 .749

.007 Durchschnittliche Väter 48 1.74 .505 Belastete Väter 16 2.33 .599 Distanzierte Väter 27 1.73 .671 Gesamt 110 1.82 .635

Zärtlichkeit aus Sicht des Vaters

Neue Väter 19 2.70 .809

.104 Durchschnittliche Väter 48 2.55 .670 Belastete Väter 16 2.28 .674 Distanzierte Väter 27 2.25 .730 Gesamt 110 2.46 .721

Kommunikation aus Sicht des Vaters

Neue Väter 19 3.12 .687

.064 Durchschnittliche Väter 48 2.87 .512 Belastete Väter 16 2.66 .599 Distanzierte Väter 27 2.70 .610 Gesamt 110 2.84 .594

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Klammern geben signifikante Unterschiede zwischen den betreffenden Vätern an

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Unter Berücksichtigung der Angaben der Partnerinnen ergibt sich insofern ein analoges Bild,

als auch die Partnerinnen der „Belasteten Väter“ das am stärksten ausgeprägte Streitverhalten

in der Partnerschaft erleben. Die trendmäßigen Differenzen zwischen den vier Väterclustern

im Kommunikationsverhalten lassen sich aus den Angaben der Partnerinnen allerdings nicht

bestätigen (s. Tab. 20).

Tab. 20. Werte der vier Vätercluster in den Skalen des Partnerschaftsfragebogens PFB (Hahlweg,

1979) / Angaben der Mütter (ANOVA)

Partnerschaft Vätercluster N M SD p

Streitverhalten aus Sicht der Mutter

Neue Väter 21 1.69 .627

.012 Durchschnittliche Väter 45 1.51 .409 Belastete Väter 16 2.03 .643 Distanzierte Väter 24 1.67 .540 Gesamt 106 1.66 .546

Zärtlichkeit aus Sicht der Mutter

Neue Väter 21 2.88 .860

.776 Durchschnittliche Väter 45 2.70 .674 Belastete Väter 16 2.67 .689 Distanzierte Väter 24 2.69 .712 Gesamt 106 2.73 .718

Kommunikation aus Sicht der Mutter

Neue Väter 21 2.84 .716

.638 Durchschnittliche Väter 45 2.85 .546 Belastete Väter 16 2.66 .548 Distanzierte Väter 24 2.72 .669 Gesamt 106 2.79 .608

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Klammern geben signifikante Unterschiede zwischen den betreffenden Vätern an Insgesamt schätzen sowohl die betroffenen Männer als auch deren Partnerinnen ihre

momentane Glücklichkeit in der Partnerschaft in den vier Vätergruppen nicht signifikant

unterschiedlich ein (s. Tab. 21).

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Tab. 21. Werte der vier Vätercluster in der Skala „globale Glücklichkeit“ des Partnerschaftsfragebogens PFB (Hahlweg, 1979) / Angaben der Mütter und Väter (ANOVA)

Partnerschaft Vätercluster N M SD p

„Glücklichkeit“ der Partnerschaft aus Sicht der Mutter (nach Vätertypen geordnet)

Neue Väter 21 4.62 1.63

.327 Durchschnittliche Väter 45 4.73 .939 Belastete Väter 16 4.13 1.36 Distanzierte Väter 24 4.33 1.37 Gesamt 106 4.53 1.27

„Glücklichkeit“ der Partnerschaft aus Sicht des Vaters (nach Vätertypen geordnet)

Neue Väter 19 4.68 1.49

.438 Durchschnittliche Väter 48 4.69 1.17 Belastete Väter 16 4.13 1.09 Distanzierte Väter 27 4.67 1.27 Gesamt 110 4.60 1.24

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=sehr unglücklich 2=unglücklich 3=eher unglücklich 4=eher glücklich 5=glücklich 6=sehr glücklich

3.5.2 Die von den Vätern berichtete Aufteilung der Haushaltstätigkeiten

Bezüglich der Aufteilung der Haushaltstätigkeiten lassen sich in den vier Vätergruppen keine

signifikanten Unterschiede feststellen (s. Tab. 22).

Tab. 22. Aufteilung der Haushaltstätigkeiten in den vier Väterclustern (ANOVA)

Vätercluster N M SD p

Haushaltstätigkeit des Vaters (nach Vätertypen geordnet)

Neue Väter 19 2.21 .689

.398 Durchschnittliche Väter 48 2.16 .439 Belastete Väter 16 2.16 .481 Distanzierte Väter 25 2.37 .442 Gesamt 108 2.22 .498

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=ich nie, 2=ich seltener, 3=beide zu gleichen Teilen, 4=überwiegend ich, 5=immer ich. Ebenso unterscheiden sich die Zufriedenheitswerte der Vätertypen mit der

Hausarbeitsaufteilung nicht signifikant voneinander (s. Tab. 23). Es fällt aber auf, dass sie im

Unterschied zu den Müttern sämtlich im Bereich der Bewertung „ja, ich bin so zufrieden“

liegen.

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Tab. 23. Zufriedenheit mit der Aufteilung der Haushaltstätigkeiten in den vier Väterclustern (ANOVA)

Vätercluster N M SD p

Zufriedenheit des Vaters mit der Aufteilung der Haushaltstätigkeit (nach Vätertypen geordnet)

Neue Väter 17 2.06 .168

.439 Durchschnittliche Väter 48 1.99 .102 Belastete Väter 16 2.04 .169 Distanzierte Väter 25 2.03 .207 Gesamt 106 2.02 .153

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1=sie sollte sich mehr darum kümmern, 2=ja, bin so zufrieden, 3=sie sollte es mehr mir überlassen

3.5.3 Vätertypen und Zufriedenheit mit der Zeitaufteilung zwischen Familie, Freizeit und Beruf

Auch hinsichtlich der Zeitaufteilung zwischen den Bereichen Familie, Freizeit und Beruf

lassen sich keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den vier Vätergruppen feststellen,

weder nach den Angaben der Väter selbst (s. Tab. 24) noch nach jenen ihrer Partnerinnen (s.

Tab. 25).

Tab. 24. Zufriedenheit des Vaters mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf in den vier Väterclustern / Angaben der Väter (ANOVA)

Vätercluster N M SD p

Zufriedenheit des Vaters mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf (nach Vätertypen geordnet)

Neue Väter 22 2.41 22

.398 Durchschnittliche Väter 50 2.36 .598 Belastete Väter 18 2.00 .594 Distanzierte Väter 28 2.43 .504 Gesamt 118 2.33 .586

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1 = überhaupt nicht zufrieden 2 = nicht ganz zufrieden 3 = sehr zufrieden

Tab. 25. Zufriedenheit des Vaters mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf in den vier Väterclustern / Angaben der Mütter (ANOVA)

Vätercluster N M SD p

Zufriedenheit der Partnerin mit der Zeitaufteilung für Familie, Freizeit und Beruf (nach Vätertypen geordnet)

Neue Väter 22 2.45 .671

.387 Durchschnittliche Väter 48 2.33 .559 Belastete Väter 16 2.13 .500 Distanzierte Väter 28 2.29 .600 Gesamt 114 2.32 .585

N = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau Kodierung: 1 = überhaupt nicht zufrieden 2 = nicht ganz zufrieden 3 = sehr zufrieden

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3.5.4 Längsschnittliche Wanderung der Vätertypen

3.5.4.1 Wanderung der Vätertypen vom ersten zum sechsten Erhebungszeitpunkt

Als ein Ansatz einer längsschnittlichen Analyse wurden zusätzlich jene Vätercluster, welche

zum ersten Erhebungszeitpunkt t1 anhand der Werte in den Skalen des

Elternschaftsfragebogens gebildet wurden, herangezogen und analysiert, welche

Veränderungen der Clusterzugehörigkeiten im Erhebungszeitraum von t1 zu t6 feststellbar

sind. Dabei ist vorweg zu erwähnen, dass zu t1 insgesamt drei Vätercluster identifiziert

wurden: die „Neuen Väter“ (zu t1 insgesamt ca. 16 %), die „Kinderorientierten Väter“ (32 %)

und die „Eigenständigen Väter“ (52%) (s. im Detail z.B. Werneck, 1998). Nicht alle von

diesen Vätern konnten über den gesamten Zeitraum von über 15 Jahren (t1 bis t6) befragt

werden, diese Detailanalyse bezieht sich aber dennoch immerhin auf 109 von ursprünglich

166 Vätern.

In Tab. 26 sind die Verschiebungen von t1 nach t6 angegeben (zur Veranschaulichung s. Abb.

8)

Tab. 26. Wanderung Vätertypen t1 zu t6

Vätertypen t1

Vätertypen t6 Neue Väter Familien-orientierte Eigenständige Gesamt

Neue Väter Anzahl 4 12 5 21 Erwartete Anzahl 3.3 6.4 11.4 21 % Vätercluster t1 23.5% 36.4% 8.5% 19.3%

Durchschnittliche Väter

Anzahl 5 13 26 44 Erwartete Anzahl 6.9 13.3 23.8 44 % Vätercluster t1 29.4% 39.4% 44.1% 40.4%

Belastete Väter Anzahl 1 5 11 17 Erwartete Anzahl 2.7 5.1 9.2 17 % Vätercluster t1 5.9% 15.2% 18.6% 15.6%

Distanzierte Väter

Anzahl 7 3 17 27 Erwartete Anzahl 4.2 8.2 14.6 27 % Vätercluster t1 41.2% 9.1% 28.8% 24.8%

Gesamt Anzahl 17 33 59 109 Erwartete Anzahl 17 33 59 109 % Vätercluster t1 100% 100% 100% 100%

Exakter Test nach Fischer p.012

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Von den Verschiebungen der Clusterzugehörigkeiten scheint vor allem erwähnenswert, dass

12 von 33 zu t1 als „familienorientiert“ bezeichneten Vätern zu t6 im Cluster der „Neuen

Väter“ zu finden sind und nur 3 bei den „Distanzierten Vätern“. Umgekehrt finden sich 7 von

17 Väter, die zu t1 als „Neue Väter“ klassifiziert wurden, zu t6 bei den „Distanzierten“. Von

den „Eigenständigen“ zu t1 finden sich nur 5 von 59 bei den „Neuen Vätern“ zu t6.

Auch wenn sich hier teilweise eine gewisse Kontinuität widerspiegelt, so finden sich für

relativ viele Väter aber auch Hinweise auf bemerkenswerte Veränderungen in ihren

Einstellungen und Grundhaltungen im Beobachtungszeitraum von t1 zu t6.

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Distanzierte n=27

Belastete n =17

Durch-schnittliche

n=44

Neue Väter n=21

Eigen-ständige

n=59

Neue Väter n=17

4

5

1

7 12

13

5

3

5

26

11

17

Familien-orientierte

n=33

Vätertypen t1 Vätertypen t6

Abb. 8. Vätercluster zu t1 und t6: Verschiebungen

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52

3.5.4.2 Wanderung der Vätertypen vom fünften zum sechsten Erhebungszeitpunkt

Zum fünften Erhebungszeitpunkt konnte an Hand der Einstellungen zur Elternschaft der 119

Väter folgenden Vätertypen unterschieden werden: die „Distanzierte Väter“ (21.3%), die

„Belasteten, traditionellen Väter“ (12.4%), die „Kinderorientierten, traditionellen Väter“

(12.9%), die „Neuen Väter“ (10.1%) und die Belasteten, nicht traditionellen Väter“(10.1%) (s.

Rollett, Werneck & Hanfstingl, 2005).

Wie die Tab. 27 zeigt, können 46.7% der „Neuen Väter“ von t5 auch zu t6 den Neuen Vätern

zugeordnet werden. Drei Viertel der „Belasteten, nicht traditionellen Väter“ sind zu t6 in der

Gruppe der „Distanzierten Väter“ zu finden. In der sechsten Erhebung setzt sich die Gruppe

der belasteten Väter vorwiegend aus Vätern der „Belasteten, traditionellen Gruppe“ sowie

jenen der Gruppe der „Kinderorientierten, traditionellen Väter“ zusammen.

Tab. 27. Vätercluster zu t5 und t6: Verschiebungen

Vätertypen t5

Vätertypen t6 Distanzierte

Väter

Belastete traditionelle

Väter

Kinderorientiert traditionelle

Väter Neue Väter

Belastete nicht traditionelle

Väter Gesamt

Neue Väter

O 7 0 3 7 1 18

E 5.5 3.3 3.6 2.7 2.9 18

% 23.3% 0% 15.0% 46.7% 6.3% 18.2%

Durchschnittliche Väter

O 13 9 11 4 3 40

E 12.1 7.3 8.1 6.1 6.5 40

% 43.3% 50% 55% 26.7% 18.8% 40.4%

Belastete Väter

O 1 8 6 1 0 16

E 4.8 2.9 3.2 2.4 2.6 16

% 3.3% 44.4% 30.0% 6.7% .0% 16.2%

Distanzierte Väter

O 9 1 0 3 12 25

E 7.6 4.5 5.1 3.8 4.0 25

% 30% 5.6% 0% 20% 75% 25.3%

Gesamt

O 30 18 20 15 16 99

E 30 18 20 15 16 99

% 100% 100% 100% 100% 100% 100% O= Anzahl E= erwartete Anzahl %=Prozent von Vätertypen t5 Exakter Test nach Fischer p<.001

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Belastete n=16

Neue Väter n=18

Distanzierte n=25

Distanzierte n=30

Belastete Traditionelle

n=18

Neue Väter n=15

Familien-orientierte

n=20

7

0

4

1

3

6

11

3

7

1

3

0

12

0

1

9

8

13

1

9

Belastete - nicht

Traditionelle n=16

Vätertypen t5 Vätertypen t6

Durch-schnittliche

n=40

Abb. 9. Vätercluster zu t5 und t6 / Verschiebungen

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4. Jugendalter und Temperamentsentwicklung Brigitte Rollett, Monika Pucher und Guido Nold

4.1 Einleitung: Ergebnisse und offene Fragen der Temperamentsforschung

Eine der auffallendsten Veränderungen im Jugendalter betrifft das Temperament der

Jugendlichen. Ein besonderer Untersuchungsschwerpunkt des vorliegenden Projekts setzt sich

daher mit der Temperamentsentwicklung und ihren Konsequenzen auseinander. Das

individuelle Temperament stellt eine der wesentlichsten Bedingungen des Erlebens und des

darauf bezogenen Verhaltens dar, wobei Persönlichkeitsunterschiede bezüglich des Affekts,

der Aktivierung und der Aufmerksamkeit für Temperamentsunterschiede verantwortlich sind

(Rothbart & Bates, 1998). Wegen der Bedeutung des Temperaments für die individuelle

Lebensgestaltung ist es besonders unbefriedigend, dass die Frage der Stabilität des

Temperaments vom Säuglingsalter bis zum Erwachsenenalter in der einschlägigen Literatur

kontrovers diskutiert wird. Buss und Plomin (1984) gingen davon aus, dass das Temperament

dadurch definiert sei, dass es genetisch bedingt ist, schon im ersten Lebensjahr auftritt und

eine hohe lebenslaufspezifische Stabilität aufweist -eine Definition, die Asendorpf, 2005

zurecht kritisiert, da diese Begriffsbestimmung z.B. auch für die Intelligenz zutrifft. In der

klinisch-psychologischen Literatur wird dennoch häufig der Standpunkt vertreten, dass z.B.

ein früh auftretendes „schwieriges“ Temperament auf Grund seiner genetischen Bestimmtheit

eine hohe Stabilität aufweise, so dass es ein antisoziales Verhalten im Jugendalter

prognostiziert (siehe dazu z.B. Loeber, 1990). Entwicklungspsychologisch orientierte Autoren

betonen dagegen die Vielfalt der auf derselben genetischen Grundlage möglichen

Entwicklungsverläufe in Abhängigkeit von den spezifischen Sozialisationsbedingungen, so

dass die Stabilität der Temperamentsfaktoren nur als „moderat“ bezeichnet wird (Sanson,

Hemphill & Smart, 2004). Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Studie ist es daher, einen

Beitrag zur Klärung dieser Frage zu leisten, was auf der Grundlage der erhobenen

Längsschnittdaten möglich ist.

Weitgehende Einigkeit besteht in der Temperamentsforschung darin, dass das jeweilige

individuelle Temperament das Resultat des Zusammenwirkens einer Reihe von verschiedenen

Temperamentskomponenten darstellt, wobei allerdings bezüglich der für relevant gehaltenen

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Faktoren eine große Varianz besteht. Thomas und Chess gingen ihrer klassischen

Untersuchung von neun Teilkomponenten aus (1977). Die meisten Nachfolgeuntersuchungen

konnten drei bis fünf Komponenten erheben.

In diesem Kapitel wird aufgrund der im Zuge des FIL-Projekts erhobenen umfangreichen

Datensätze, die sowohl die untersuchten Heranwachsendenden als auch ihre Familien

betreffen, der Frage nach den identifizierbaren Temperamentskomponenten, ihrem

erstmaligen Auftreten und ihrem Entwicklungsverlauf sowie den für die Entwicklung

relevanten Einflussbedingungen und ihren lebenslaufspezifischen Auswirkungen

nachgegangen. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, festzustellen,

welche Komponenten sich bereits im Säuglingsalter identifizieren lassen und welche erst zu

einem späteren Zeitpunkt auftauchen.

4.2 Temperamentstypen versus Temperamentsfaktoren: Zwei unterschiedliche Forschungsstrategien

Untersuchungen zu den Entstehungsbedingungen des Temperaments und den Auswirkungen

auf die individuelle Persönlichkeitsentwicklung können einerseits auf Typen-(Person-)ebene,

andererseits auf Variablenebene durchgeführt werden. Im ersteren Fall wird das Resultat des

Zusammenwirkens der das Temperament konstituierenden Teilkomponenten zu

unterschiedlichen Perioden im Lebenslauf untersucht. Das Ergebnis sind einige wenige,

qualitativ unterschiedliche „Temperamentstypen“. Dies hat den Vorteil, sehr komplexe

Entwicklungsbedingungen und Interaktionen in einer theoretisch begründeten,

praxistauglichen Weise zusammenfassen zu können. Anders ausgedrückt, handelt es sich um

die Makroebene. Im anderen Fall werden die das Temperament in der Lebenslaufentwicklung

konstituierenden Temperamentsfaktoren (bzw. die sie abbildenden Temperamentsvariablen)

in ihren Entstehungsbedingungen, ihrem Verlauf und ihren Auswirkungen auf ein breites

Spektrum von weiteren entwicklungsbezogenen Einflussgrößen untersucht. Hier liegt der

Vorteil darin, dass die Temperamentsentwicklung auf der Mikroebene analysiert werden

kann. In der vorliegenden Studie werden daher beide Wege beschritten.

Bei Darstellungen von Temperamentstypen wird in der Regel auf die Temperamentenlehre

des Hippokrates (ca. 460 bis 370 v.Chr.) hingewiesen, der von vier unterschiedlichen

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Temperamenten ausging. In der klassischen New Yorker Längsschnittstudie konnten Thomas

und Chess 1977 empirisch im Säuglingsalter drei dieser vier Temperamentstypen ermitteln:

Pflegeleichte, fröhliche Babys, langsam auftauende, mit Verzögerung auf Umweltreize

reagierende Babys, eine vermehrt zu Distress und negativen Gefühlen neigende, „schwierige“

Gruppe sowie eine unauffällige Gruppe.

Vergleicht man die für Erwachsene konzipierte Temperamentslehre des Hippokrates mit den

Temperamentstypen von Thomas und Chess, so lassen sich folgende Analogien vermuten:

Das sanguinische Temperament entspricht weitgehend dem Temperament der

„pflegeleichten“ bei Thomas und Chess, das phlegmatische dem der „langsam auftauenden“

und das cholerische jenem der „schwierigen“ Gruppe, wie im Folgenden noch gezeigt werden

wird. Beim melancholischen Temperament der hippokratischen Typenlehre handelt es sich

am ehesten um das depressive Störungsbild und nicht um eine eigene Gruppe von

Temperamentskomponenten. Depressive Verstimmung kann zwar bei Kindern depressiver

Mütter bereits im Säuglingsalter als Reaktion auf deren wenig kindzentriertes Verhalten

auftreten (vgl. Rollett, 2002), ist aber durch eine entsprechend früh angebotene Intervention

zur Veränderung des mütterlichen Kommunikationsstils mit dem Kind relativ leicht

beeinflussbar, was dagegen spricht, dass es sich um eine echte, angeborene

Temperamentskomponente handelt.

Wie in dem Überblick über die Ergebnisse der Vorläuferstudien zu dem vorliegenden Projekt

(Kap. 1.1) bereits erwähnt, konnten mit Ausnahme der unauffälligen Gruppe die von Thomas

und Chess entdeckten Temperamentstypen auch im Rahmen des FIL-Projektes festgestellt

werden (siehe dazu Rollett & Werneck, 1993). Eine „unauffällige“ Gruppe trat kurzfristig zu

t3 auf, als die Untersuchungskinder drei Jahre alt waren (Rollett & Werneck, 2001d). In den

weiteren Erhebungswellen tauchte sie aber nicht mehr auf. Insgesamt zeigten die Resultate

der Längsschnittstudie, dass auf Typenebene eine eher geringe Stabilität besteht: Nur etwa die

Hälfte der Säuglinge, die typenmäßig der Gruppe der „Pflegeleichten“ angehörten, wurden

mit 11 (t5) bzw. 15 Jahren (t6) noch als pflegeleicht eingeordnet. Bei der Gruppe der

„schwierigen Kinder“ war die Stabilität noch geringer (Werneck & Rollett, 2002).

So konnten wir z.B. zeigen (Werneck & Rollett, 2002), dass drei Monate alte Babys mit einer

hohen Distressneigung, Irritabilität und Reaktionsintensität (die damit zu dieser Zeit dem

Typus der „Schwierigen“ angehörten) im Alter von drei Jahren als Resultat der elterlichen

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Erziehung mehrheitlich zu einem zurückgezogenen Verhaltensmuster neigten, was dem

„langsam auftauenden“ Typus entspricht. Kinder, die im Alter von drei Jahren ein dominantes

Verhaltensmuster zeigten und damit von den Müttern als „schwierig“ erlebt wurden, waren

dagegen im Säuglingsalter von ihnen eher als langsam Reagierende oder sogar Pflegeleichte

eingestuft worden. Offenbar hatten die Eltern zu spät bemerkt, dass es den Kindern immer

mehr gelang, sich mit ihren Forderungen bei ihnen durchzusetzen. Akzeptieren die

Interaktionspartner eines Kindes nämlich gewohnheitsmäßig die von ihm ärgerlich

eingeforderten Wünsche (z.B. um endlich „Ruhe“ zu haben, kann es langfristig zu

entsprechenden Erwartungen des Kindes und damit zur Entwicklung eines auffällig

dominanten Verhaltens kommen. Natürlich kann dies dazu führen, dass die Eltern ihr zu

nachgiebiges Erziehungsverhalten ändern, wenn ihnen diese Tatsache bewusst wird. Gelingt

ihnen dies in einfühlsamer Weise, so wird langfristig die Anpassungsbereitschaft des Kindes

gestützt, geschieht die Änderung des Erziehungsregimes jedoch in einer Form, die beim Kind

Widerstand hervorruft, wird eher Reaktanz und damit langfristig eine höhere

Ärgerbereitschaft die Folge sein.

Während wie im Folgenden gezeigt wird, auf Typenebene nur eine eher geringe Stabilität

besteht, können auf Variablenebene längerfristige Einflüsse beobachtet werden. So stellt die

negative Emotionalität („Distressneigung“) im Säuglingsalter als Vorläufervariable der

späteren „Ärgerneigung“ zu allen Zeitpunkten einen gewissen Risikofaktor dar. Dies gilt

insbesondere für die geordnete Entwicklung der sozialen Beziehungen, da Ärgerneigung z.B.

ein eher striktes Erziehungsverhalten der Eltern und anderer Erziehungspersonen provozieren

kann. Allgemein beeinflusst eine hohe Ärgerbereitschaft die Reaktionen der sozialen Umwelt

auf die Interaktionen des Kindes in ungünstiger Weise. Auf der anderen Seite erfahren

fröhliche anpassungsbereite Kinder sehr viel Zuwendung von Seiten ihrer Umwelt, was sich

in positiver Weise auf ihre Soziabilität auswirkt.

Wie aus diesen Ausführungen hervorgeht, stellen der Typenansatz und der Variablenansatz

einander ergänzende Zugangsweisen zur Untersuchung des Temperaments und seiner

Entwicklung dar. In der folgenden Darstellung der Resultate der vorliegenden Studie wird

daher auf beide Ansätze eingegangen.

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4.2.1 Ergebnisse aufgrund des typenorientierten Ansatzes: Die Veränderung der Zugehörigkeit zu den Temperamentstypen des Säuglingsalters in der Adoleszenz

Die Temperamentsentwicklung beruht auf einem hoch komplexen, dynamischen Prozess, bei

dem die Ausgangskomponenten sowohl durch die Höhe ihrer angeborenen Ausprägung,

durch ihre spezifische „Mischung“ sowie ihre Eigendynamik als auch durch die prägenden

Interaktionserfahrungen des Kindes mit seiner sozialen Umwelt geformt und verändert

werden.

Zu sämtlichen Erhebungszeitpunkten wurden mit Hilfe des clusteranalytischen Verfahrens

von Ward Temperamentstypen identifiziert. Wie oben berichtet, konnten zu t2, als die Kinder

drei Monate alt waren, aufgrund der Einschätzungen der Säuglinge durch die Mütter mit Hilfe

der Temperamentsskalen des Verfahrens von Thomas und Chess auch in der FIL-Studie die

von den Autoren ermittelten drei Temperamentstypen aufgefunden werden: 39 Prozent der

Babys hatten ein „pflegeleichtes“, 10 Prozent ein „schwieriges“ und 51 Prozent ein

Temperament, das durch langsames Reagieren auf Außenreize gekennzeichnet war, so dass

sie der Gruppe der „langsam auftauenden“ Babys zuzurechnen waren.

Die Stabilität der Temperamentstypen von Untersuchungszeitpunkt zu

Untersuchungszeitpunkt war jedoch eher mäßig: Manche mit 3 Monaten (t2) pflegeleichten

Babys zeigten z.B. beim nächsten Zeitpunkt ein schwieriges, dominantes Temperament, viele

zu t2 als „schwierig“ beurteilte Babys fielen mit drei Jahren durch ihr zurückgezogenes

Temperament auf u.a.m.. Auch die clusteranalytisch gewonnenen Temperamentstypen selbst

änderten sich von Erhebungszeitpunkt zu Erhebungszeitpunkt bezüglich ihrer Anzahl und

Ausprägung. In der Interaktion mit der zu bestimmten Zeitpunkten im Lauf der Entwicklung

vom Kind erfahrenen sozialen Umwelt können z.B. Ärgerkomponenten zunehmend

zurücktreten, da die Erziehungspersonen es verstehen, dem Kind die Bewältigung der

Anforderungen, die an es gestellt werden, zu erleichtern und so sein Emotionsmanagement zu

verbessern, oder im Gegenteil auf Grund von Überforderung und mangelnde einfühlende

Kontrolle erreichen, dass diese immer stärker hervortreten, was zur Folge hat, dass ein Kind,

das zunächst als pflegeleicht eingestuft wurde, nunmehr als schwierig beurteilt wird.

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Besonders deutliche Veränderungen zeigten sich zu t5, als die Kinder der

Untersuchungsgruppe durchschnittlich elf Jahre alt waren und sich somit in der Vorpubertät

bzw. Pubertät befanden. Zwar konnten wieder 36 Prozent pflegeleichte Kinder ermittelt

werden, aber nur 53 Prozent von ihnen gehörten zu der im Säuglingsalter als pflegeleicht

eingeschätzten Gruppe. Die schwierige Gruppe legte dramatisch zu (von 10 Prozent zu 21

Prozent). Außerdem konnten nunmehr drei Subgruppen von Kindern mit einem schwierigen

Temperament beobachtet werden: Die „kontrolliert Schwierigen“, die trotz ihres auffälligen,

zu Ärger neigenden Temperaments in Situationen, in denen es ihnen darauf ankam,

Verhaltenskontrolle zeigten, die „unkontrolliert Schwierigen“, bei denen dies nicht der Fall

war und die „Manipulatoren“, denen es aufgrund ihrer sozialen Intelligenz gelang, sich trotz

ihres schwierigen Temperaments bei ihren Erziehungspersonen in „sozial verträglicher“

Weise durchzusetzen. Die Temperamentsgruppe der „langsam Auftauenden“ umfasste zu

diesem Zeitpunkt 43 Prozent der Kinder, wobei sich eine Subgruppe von sehr schüchternen,

introvertierten Kindern zeigte.

In Abb. 10 wird dargestellt, wie sich die Temperamentstypen zwischen t2, als die Kinder 3

Monate alt waren, und zu t6 als sie das Alter von 15 Jahren erreicht hatten, verändert hatten.

Wanderung t2-t6 (N=124)

PflegeleichteBabiesn= 54

SchwierigeBabiesn= 12

Langsamauftauende

Babiesn= 58

PflegeleichteJugendliche

n= 64

IntrovertiertSchwierigeJugendliche

n= 18

Langsam auftauendeJugendliche

n= 25

Extravertiertschwierige

Jugendlichen= 17

31

5

13

57

3

0

2

26

10

12

10

Abb. 10. Wanderung t2–t6, exakter Test nach Fischer: p = .213

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Wie aus Abb. 10 ersichtlich ist, besteht von t2 zu t6 so gut wie keine Stabilität der

Temperamentstypen: Die ursprünglichen 3 Gruppen verteilen sich auf alle zu t6

clusteranalytisch ermittelten Typen. Aber auch von t5, als die Untersuchungsgruppe 11 Jahre

alt war, zu t6 zeigen sich überraschend mäßige Stabilitäten.

Wanderung t5-t6 Mütter (N=117)

33

1

2

417

4

11

5

12

1

4

1

1

6

1

3

2

5

4

0Taktierer

n= 11

SchwierigeKindern= 11

ZurückgezogeneKindern= 18

Langsam auftauende

Kindern= 37

PflegeleichteKindern= 40

PflegeleichteJugendliche

n= 64

IntrovertiertSchwierige

Jugendlichen= 18

Langsam auftauendeJugendliche

n= 25

Extravertiertschwierige

Jugendlichen= 17

Abb. 11. Wanderung t5–t6, exakter Test nach Fischer: p < .001

In der aktuellen Studie (s. Abb. 11) konnten nur mehr 20 Prozent der Jugendlichen als

„langsam auftauend“ identifiziert werden. Eine Reihe der zu t5 noch in diese Kategorie

fallenden Jugendlichen waren nunmehr zur pflegeleichten Temperamentsgruppe gewechselt,

sie hatten ihre Zurückhaltung aufgegeben und zeigten eine größere Hinwendung zu ihrer

sozialen Umwelt. Die pflegeleichte Temperamentsgruppe legte dagegen zu, sie umfasste zu t6

57 Prozent. Die schwierige Gruppe hatte gegenüber t5 noch einmal zugenommen und

beinhaltete nunmehr insgesamt 28 Prozent der Jugendlichen, wobei zwei Untergruppen

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identifiziert werden konnten: Eine „Introvertiert schwierige“ und eine „Extravertiert

schwierige Gruppe“, die entweder durch eher internalisierendes oder externalisierendes

Problemverhalten auffielen.

Die Veränderungen in der Zugehörigkeit zu den zu t5 und t6 identifizierten

Temperamentstypen zeigen deutlich, dass zwei unterschiedliche Bewältigungsformen des

Übergangs zur Pubertät und weiter zum Jugendalter existieren: Die Entwicklung ist entweder

durch sozialverträgliche Anpassung an die neuen Anforderungen oder im Gegenteil durch

zunehmende Konfliktbereitschaft bzw. Distanzierung geprägt. Dies lässt bereits vermuten,

dass sich im Gegensatz zu den auf Typenebene festgestellten eher geringen Stabilitäten auf

Variablenebene längsschnittlich gewisse Kontinuitäten der das Temperament konstituierenden

Teilkomponenten nachweisen lassen.

4.2.2 Ergebnisse aufgrund des variablenorientierten Ansatzes: Die Entwicklung der Temperamentsfaktoren vom Säuglingsalter bis zur Adoleszenz

Wie die berichteten Ergebnisse gezeigt haben, bestehen kaum Stabilitäten der

Temperamentstypen über den Lebenslauf hinweg. Temperamentstypen stellen das Resultat

des Zusammenwirkens vielfältiger Einflussgrößen dar und zwar auch solcher, die nicht im

engeren Sinn zur Gruppe der Temperamentskomponenten zählen. Der Vorteil des

Typenansatzes liegt gerade in dieser Tatsache: Er ermöglicht es, komplexe Netzwerke von

Einflussfaktoren auf einige wenige charakteristische Muster zu reduzieren und in ihren

Auswirkungen zu untersuchen.

Auf der anderen Seite ist es von Interesse, die einzelnen Temperamentskomponenten bzw. die

sie erfassenden Variablen in ihrem Entwicklungsverlauf zu untersuchen, da sie die

Konstituenten des zu einem bestimmten Entwicklungszeitpunkt resultierenden Temperaments

darstellen. In einem ersten Auswertungsschritt ist es dazu notwendig, festzustellen, welche

Temperamentskomponenten zu den einzelnen Erhebungszeitpunkten auftreten und welche

Zusammenhänge zwischen den Erhebungswellen bezüglich der verschiedenen Komponenten

bestehen. Dazu wird auf jene Kinder der Stichprobe zurückgegriffen, die ohne Ausnahme an

allen Untersuchungszeitpunkten teilgenommen hatten. Insgesamt handelte es sich um 48% der

Gesamtstichprobe.

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Um der Entwicklung der einzelnen Temperamentsfaktoren über die Zeit hinweg auf

Variablenebene nachzugehen, wurden die zwischen benachbarten Erhebungszeitpunkten

bestehenden signifikanten positiven Korrelationen der Temperamentskomponenten berechnet.

Tab. 28 gibt die resultierende Struktur der Zusammenhangsmuster der

Temperamentskomponenten von drei Monaten (t2) bis 15 Jahren (t6) wieder. Um die

Ergebnisse an die internationale Literatur anzuschließen, werden in den Tabellen die

englischen Fachtermini benützt. Die Korrelationen selbst werden in Tab. 29 berichtet.

Tab. 28. Längsschnittliches Auftreten der Temperamentsfaktoren

t2 t3 t4 t5 t6

Positive Affectivity (P.Af)

Negative Affectivity/Distress Proneness

(N.Af)

Anger Proneness/Negative Affectivity(APr/N.Af)

Anger Proneness/Negative Affectivity(APr/N.Af)

Anger Proneness/Negative Affectivity(APr/N.Af)

Anger Proneness/Negative Affectivity(APr/N.Af)

Irritability(Irrit)

Introversion/Avoidence of new Situationsand Persons (Intro)

Introversion (Intro)

Sociability (Soc) Sociability (Soc) Sociability (Soc) Sociability (Soc)

Rhythmicity(RH)

Adaptability(Ad)

Adaptability(Ad)

Adaptability(Ad)

Adaptability(Ad)

Intensity of Reaction (I.Rct)

Experiential Openess (ExO)

Experiential Openess (ExO)

Experiential Openess (ExO)

Assiduousness/Effortful Control (Ass/EfC)

Assiduousness/Effortful Control (Ass/EfC)

Assiduousness/Effortful Control (Ass/EfC)

Compliancy(Cpl)

Legende: Abkürzungen, englische Fachtermini und deutschsprachige Bezeichnungen

P.Af = Positive Affectivity (positive Stimmungslage)

N.Af = Negative Affectivity/Distress Proneness (Unruhe/ Schreiverhalten) etc.

Irrit = Irritability (Irritierbarkeit)

Rh = Rhythmicity (Rhythmizität)

I.Rct = Intensity of Reaction (Triebhaftigkeit/Reaktionsintensität)

Ad = Adaptability (Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit)

Apr/N.Af = Anger Proneness/Negative Affectivity (Ärgerneigung)

Intro = Introversion (Introversionsneigung)

Soc = Sociability (Soziabilität)

ExO = Experiental Openness (Offenheit für Umwelterfahrungen)

Ass/EfC = Assidousness/Effortful Control (Zielstrebigkeit/Kontrolliertheit)

Cpl = Compliance (Folgsamkeit)

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Tab. 29. Signifikante positive Korrelationen der Temperamentsvariablen von t2 bis t6

t2 t3 t4 t5 t6

P.Af (Ad): .381 (Ad): .335(ExO): .295

(Ad): .306(ExO): .178, ns

(Ad): .273(ExO): .230

N.Af APr/N.Af: .274 APr/N.Af: .355 APr/N.Af: .623 APr/N.Af: .640

Irrit (AD): -.243

Intro Intro: .246 (APr/N.Af): .232 (APr/N.Af): .298

Soc Soc: .411(Ad): .324(ExO): .277

Soc: .372(Ad): .298

Soc: .237(Ad): .298(ExO): .246

Rh Ad: .338 Ad: .455 Ad: .721 Ad: 610

I.Rct (Intro): .348 (APr/N.Af): .326

ExO ExO: .549(Ad): .278(Ass/EfC): .615(Soc): .402

ExO: .600(Ad): .312(Ass/EfC): .289(Soc): .411

Ass/EfC Ass/EfC: .461(Ad): .354

Ass/EfC: .261

Cpl (Ad): .481 (Ad): .304

Erläuterung: Die Pfeile (Zeichen) bezeichnen das erstmalige Auftreten einer Temperamentskomponente. In der Zeile der nächsten Spalte wird die Korrelation der betreffenden Variable zu den beiden Zeitpunkten angegeben.

Legende: Abkürzungen, englische Fachtermini und deutschsprachige Bezeichnungen P.Af = Positive Affectivity (positive Stimmungslage) N.Af = Negative Affectivity/Distress Proneness (Unruhe/ Schreiverhalten) etc. Irrit = Irritability (Irritierbarkeit) Rh = Rhythmicity (Rhythmizität) I.Rct = Intensity of Reaction (Triebhaftigkeit/Reaktionsintensität) Ad = Adaptability (Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit) Apr/N.Af = Anger Proneness/Negative Affectivity (Ärgerneigung) Intro = Introversion (Introversionsneigung) Soc = Sociability (Soziabilität) ExO = Experiental Openness (Offenheit für Umwelterfahrungen) Ass/EfC = Assidousness/Effortful Control (Zielstrebigkeit/Kontrolliertheit) Cpl = Compliance (Folgsamkeit)

Zur Ermittlung der Struktur der Temperamentskomponenten von t2 bis t6 wurde wie folgt

vorgegangen: Entscheidend für die Annahme, dass es sich um die weitere Entwicklung

derselben Variable (bzw. ihrer Vorläufervariable) handelt, waren die im Vergleich jeweils

höchsten Korrelationen der zu t2 beobachteten Temperamentsfaktoren mit jenen der weiteren

Erhebungswellen. Bei Faktoren, die erst zu einem späteren Zeitpunkt auftraten, wurde in

ähnlicher Weise vorgegangen. Für diese Analysen wurden nur signifikante bis sehr

signifikante positive Korrelationen berücksichtigt. (Tatsächlich bestätigen auch die negativen

Korrelationen die ermittelte Struktur). Die resultierende Gesamtstruktur der

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Entwicklungsverläufe der Temperamentsfaktoren ist in Tab. 28 dargestellt. In Tab. 29 werden

die entsprechenden Korrelationen berichtet. Zusätzlich zu den die einzelnen

Temperamentskomponenten abbildenden Korrelationen werden in Klammer die

Korrelationen mit jenen Variablen genannt, zu denen ebenfalls (wenn auch in geringerem

Ausmaß) von Erhebungszeitpunkt zu Erhebungszeitpunkt signifikante bis sehr signifikante

Korrelationen bestehen.

Wie die in Tab. 29 angeführten fortlaufenden Korrelationen zeigen, beeinflusst eine positive

Stimmungslage (Positive Affectivity) im Säuglingsalter zwar langfristig die

Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit (Korrelation zu t6 .273) und ab t4 die Offenheit für

Umwelterfahrungen (Korrelation zu t6 .230), lässt sich aber als eigene

Temperamentskomponente „positive Stimmungslage“ zu den späteren Zeitpunkten nicht mehr

darstellen. Die durch erhöhte Unruhe und Neigung zu Schreiverhalten gekennzeichnete

Temperamentskomponente „negative Affektivität“ (Negative Affectivity/Distress Proneness)

zu t2 korreliert ab t3 in über die Erhebungszeitpunkte hinweg zunehmend mit der

(gefühlsmäßig negativ besetzten) Ärgerneigung (Anger Proneness/Negative Affectivity). Die

diesbezüglichen Korrelationen steigen bis zu t6 fortlaufend an und weisen so auf eine über die

Zeit sehr stabile Temperamentskomponente hin: Zwischen t5 und t6 beträgt die Korrelation

mit der negativen Affektivität zu t2 bereits .640. Wie noch zu zeigen sein wird, handelt es sich

um eine für die weitere Entwicklung in vielen Bereichen sehr einflussreiche

Temperamentskomponente, die mit mehreren negativen Entwicklungen im Zusammenhang

steht.

Die Temperamentskomponente „Irritierbarkeit“ (Irritability) zu t2 scheint in diesem Kontext

vor allem eine Besonderheit des Säuglingsalters darzustellen. Im weiteren Verlauf zeigten

sich in dieser Stichprobe keine signifikanten positiven Korrelationen zu späteren

Temperamentsvariablen. (Auch bei den negativen Korrelationen findet sich lediglich zu t3

eine signifikante Korrelation mit der Variable Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit von -

.243). Eine weitere, bereits von Thomas und Chess 1977 identifizierte

Temperamentskomponente zu t2 ist die Rhythmizität der biologischen Funktionen

(Rhythmicity). Neben der positiven Affektivität zählt sie zu den günstigen

Temperamentsfaktoren, wie die lebenslaufbezogenen Zusammenhangsmuster an vielen

Stellen ergaben. Bildet man eine latente Variable der verschiedenen Temperamentsskalen zu

t2, geht sie im Fall einer positiven Polung der latenten Variable regelmäßig (wie auch die

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positive Stimmungslage) mit einer positiven Ladung in sie ein, während die anderen

Komponenten negative Ladungen zeigen. Bei der Rhythmizität handelt es sich um eine

entwicklungspsychologisch sehr interessante Variable, da sie aus einem Zusammenwirken

angeborener Regelmäßigkeiten der biologischen Abläufe (Schlafen, Bedürfnis nach

Nahrungsaufnahme, Ausscheidungen) und einem einfühlsamen Eingehen und Modifizieren

dieser Abläufe im Sinn eines geordneten Tages- und Nachtprogramms durch die Mutter bzw.

Pflegeperson besteht. Das in Tab. 29 wiedergegebene Korrelationsmuster zeigt, dass die

Rhythmizität die direkte Vorläufervariable der Temperamentskomponente

„Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit“ (Adaptability) darstellt. Diese ist durch die

Bereitschaft des Kindes charakterisiert, den elterlichen Erziehungsmaßnahmen und den

Anforderungen anderer Personen durch entsprechende Bemühungen entgegenzukommen,

wobei eine erfolgreiche, die Anpassungsbereitschaft des Kindes stützende Erziehung dadurch

gekennzeichnet ist, dass sie auf seine Bedürfnisse und Kompetenzen angemessen Rücksicht

nimmt. Es handelt sich um einen Austauschprozess zwischen Kind und Erziehungspersonen,

der es für beide Parteien lohnend erscheinen lässt, bei der Durchsetzung von notwendigen

Anforderungen aufeinander zuzugehen. Auch bei der Temperamentskomponente

Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit handelt es sich, wie die fortlaufenden Korrelationen in

Tab. 29 zeigen, um eine äußerst stabile Komponente, die für die weitere Entwicklung und hier

vor allem für die soziale Eingebundenheit der Heranwachsenden von größter Bedeutung ist.

Die Korrelation der Variable Rhythmizität mit der Anpassungsbereitschaft beträgt zu t3 .338,

zu t4 .455 und zu t5 .721, um zu t6 mit .610 etwas abzusinken (was aber durch das

zunehmende Autonomiestreben der Jugendlichen in diesem Alter bedingt sein dürfte).

Auch die im Säuglingsalter für die Reaktionen der Betreuungspersonen auf das Kind wichtige

Temperamentseigenschaft „Triebhaftigkeit/ Reaktionsintensität“ (Intensity of Reaction) setzt

sich nicht als eigene Variable in der weiteren Entwicklung durch, doch bestehen signifikante

Korrelationen zur späteren Introversionsneigung (t3: .348) und zur Ärgerneigung (t6: .326).

Zu t3 treten zwei Temperamentskomponenten auf, die keine Vorläufervariablen zu t2 haben.

Es handelt sich einerseits um die Introversionsneigung (Introversion), die sich in einer

Neigung zur Vermeidung neuer Situationen und Personen manifestiert. In der

Temperamentsliteratur wird die „Introversion“ entweder breit angelegt unter diesem Namen

behandelt oder eingeschränkt auf die Teilkomponente „Schüchternheit“, das heißt, die

Vermeidung von Personen, wobei häufig die Angst vor Zurückweisung und damit die

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Sozialisationserfahrung des Heranwachsenden eine Rolle spielen. Entsprechend niedrig ist die

Korrelation zwischen Introversion zu t3 und t4 (.246). Die zweite neu auftretende Variable ist

die Soziabilität (Sociability), die die bedeutendste Teilkomponente der Extraversion darstellt

(Asendorpf, l.c.). Auch hier nehmen die Korrelationen zu den weiteren Erhebungswellen

fortlaufend ab. Zwischen t3 und t4 beträgt die Korrelation noch .411, zwischen t5 und t6

jedoch nur mehr .237. Zu den späteren Zeitpunkten wird die Neigung zur Extraversion

zunehmend von anderen Faktoren, vor allem von den Erfahrungen im sozialen Umfeld,

gestützt.

Zu t4, als die Kinder acht Jahre alt waren, lassen sich drei zusätzliche

Temperamentskomponenten nachweisen: Entwicklungspsychologisch ist die Freude am

Erobern neuer Lebensumwelten charakteristisch für das Grundschulalter. Dies spiegelt sich

im Auftreten einer neuen Variable, welche die Offenheit für unternehmungslustiges Erkunden

der eigenen Lebenswelt erfasst: Wie die Korrelation dieser Variable mit der Dimension

„Offenheit für Erfahrungen“ (Openness for Experience, s. z.B. Costa & McCrae, 1992) im

NEO-FFI zeigt (s.u.), handelt es sich dabei jedoch nicht um dieselbe Dimension. Letztere

erfasst nämlich ausschließlich die Offenheit für „kulturelle Erfahrungen“ im weitesten Sinn,

wie die entsprechenden Items ausweisen. Typische Itembeispiele sind „Wenn ich Literatur

lese oder ein Kunstwerk betrachte, empfinde ich manchmal ein Frösteln oder eine Welle der

Begeisterung“ oder „Mich begeistern Motive, die ich in der Kunst und in der Natur finde“.

Um die Temperamentskomponente „Offenheit“, wie sie in dem von uns entwickelten

Temperamentsfragebogen erfasst wird, von der (auf kulturelle Erfahrungen eingeschränkte)

NEO-FFI Persönlichkeitsdimension „Offenheit für Erfahrungen“ zu unterscheiden, haben wir

sie als „Offenheit für Umwelterfahrungen“ bezeichnet. Zwischen den beiden Formen von

Offenheit besteht zu t6 lediglich eine sehr geringe, nicht signifikante Korrelation von .155 (p

= .073), was darauf hinweist, dass es sich um unterschiedliche Inhaltskategorien der Offenheit

handelt.

Eine weitere Temperamentskomponente, die zu t4 erstmals erscheint, ist die

Zielstrebigkeit/Kontrolliertheit (Assiduoussness/Effortful Control). Es handelt sich um die

emotionelle Bereitschaft, Tätigkeiten auch dann auszuüben, wenn sie nicht unbedingt den

eigenen Bedürfnissen entsprechen. Eine dritte neue Temperamentskomponente, die

ausschließlich zu t4 zu beobachten war, ist die Folgsamkeit (Compliance), die durch das mehr

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67

oder weniger fraglose Befolgen elterlicher Regeln und Anweisungen gekennzeichnet ist. Im

weiteren Verlauf existieren zwischen Folgsamkeit zu t4 und Variablen der folgenden

Erhebungszeitpunkte nur Korrelationen zur Anpassungsbereitschaft/Erziehbarkeit (zu t5 .481

und zu t6 .304). Wie oben dargestellt wurde, ist letztere durch einen Austauschprozess

zwischen den Forderungen der Erwachsenen und den Bedürfnissen des Kindes und nicht

durch einseitige Regelübernahme gekennzeichnet, wobei für die Abnahme der Korrelation

hier ebenfalls die zunehmende Unabhängigkeit der Jugendlichen verantwortlich sein dürfte.

4.3 Zwei zentrale Temperamentskomponenten: „Anpassungsbereitschaft/ Erziehbarkeit“ und „Ärgerneigung/Negative Affektivität“: Befunde zu den lebenslaufbezogenen Entwicklungsbedingungen

Wie die oben vorgestellten Analysen gezeigt haben, bestimmen zwei zentrale

Temperamentsfaktoren die Temperamentsentwicklung zwischen drei Monaten und 15 Jahren:

Wie die vorliegende Längsschnittstudie gezeigt hat, unterstützt die Anpassungsbereitschaft,

die sich zunächst vor allem als Erziehbarkeit manifestiert in vielen Bereichen eine positive

Entwicklung. Das Gegenteil ist beim Temperamentsfaktor Negative Affektivität/Ägerneigung

der Fall, der zu Problemen in vielen Lebensbereichen führen kann. Im nächsten

Auswertungsschritt wird daher der längsschnittlichen Entwicklung dieser beiden

Temperamentskomponenten nachgegangen.

Zu diesem Zweck werden im Folgenden zwei Pfadanalysen berichtet. Zur Berechnung wurde

das PLS-Verfahren von Wold und Lohmöller (s. dazu auch Rollett, 2000) verwendet.

Für die Analysen wurden die in Tab. 30 aufgelisteten Variablen berücksichtigt. In der ersten

Spalte der Tabelle werden die Variablen in der Reihenfolge angegeben, in der sie in die

Pfadanalysen aufgenommen wurden. Es handelt sich entweder um latente (mehrere manifeste

Variablen zusammenfassende) oder manifeste Variablen. In der nächsten Spalte werden für

die latenten Variablen die sie konstituierenden Variablen angegeben. Mit Ausnahme des für

die kindliche Temperamentsentwicklung äußerst wichtigen elterlichen Streitverhaltens (zu t2,

t4, t5 und t6, Bewertung der Mutter durch den Vater) und den beiden Zielvariablen

„Anpassungsbereitschaft“ bzw. „Ärgerneigung“, die ebenfalls als manifeste Variable

einbezogen wurden, handelt es sich in allen Fällen um latente, aus mehreren Skalen

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68

bestehende Variablen. Die letzten beiden Spalten geben die Ladungen an: Diese zeigen, in

welchem Ausmaß die einzelnen manifesten Variablen die zugehörige latente Variable in dem

jeweils untersuchten Wirkzusammenhang erklären können. Aus ihrer Höhe ergibt sich ihr

Beitrag, aus ihrem Vorzeichen kann erschlossen werden, wie die resultierende latente

Variable gepolt ist. Dies kann sich zu den verschiedenen Zeitpunkten, die in der Pfadanalyse

modelliert werden, durchaus ändern. So zeigt sich sowohl in der Pfadanalyse der

Anpassungsbereitschaft als auch jener der Ärgerneigung, dass die latente Variable

„Temperament“ im Alter von drei Monaten das negative, schwierige Temperament abbildet,

im Alter von acht und von elf Jahren dagegen das positive Temperament.

Tab. 30. Latente und manifeste Variablen sowie ihre Ladungen in den Pfadanalysen (Die Ladung

gibt an, in welchem Maß eine latente Variable die Variation der manifesten Variable erklären kann)

(Latente) Variablen Konstituierende manifeste Variablen Ladungen

a/+ b/-

1 Streitverhalten t2

2 Temperament t2 Stimmungslage -77 -76

Unruhe 87 87

Irritierbarkeit 54 57

Rhythmizität -36 -37

Triebhaftigkeit/Reaktionsintensität 74 74

3 Erziehungsverhalten t4 Unterstützung 94 94

Strenge 21 26

Zuwendung 80 79

4 Streitverhalten t4

5 Persönlichkeit t4 Neigung zu überaktiv-unaufmerksamen

Verhalten

86 85

Neigung zu oppositionellem und

Risikoverhalten

52 47

Prüfungsangst 52 57

Dominanzneigung 48 47

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69

Ängstlichkeit 73 76

Traurigkeit -3 -1

6 Temperament t4 Erziehbarkeit 81 80

Ärgerneigung/negative Stimmung -71 -71

Offenheit gegenüber Erfahrungen 64 65

Introversion -44 -43

Extraversion 59 58

Zielstrebigkeit 53 55

Folgsamkeit 56 56

7 Streitverhalten t5

8 Persönlichkeit t5 Neigung zu überaktiv-unaufmerksamen

Verhalten

89 90

Neigung zu oppositionellem und

Risikoverhalten

83 81

Prüfungsangst 18 24

Dominanzneigung 81 81

Ängstlichkeit 60 63

Traurigkeit -4 3

9 Temperament t5 Erziehbarkeit 85 84

Ärgerneigung -77 -79

Extraversion 52 49

Zielstrebigkeit/Kontrolliertheit 57 60

Offenheit 61 59

10 Streitverhalten t6

11 Persönlichkeit t6 Neigung zu überaktiv-unaufmerksamen

Verhalten

72 74

Neigung zu oppositionellem und

Risikoverhalten

78 75

Prüfungsangst -7 3

Dominanzneigung 80 81

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70

Ängstlichkeit 20 29

Traurigkeit -39 -30

12 Bindung Vertrauen -78 -77

Kommunikation -89 -88

Negative emotionale Bindung 80 80

Entfremdung 79 80

13a Anpassungsbereitschaft

13b Ärgerneigung

In Tab. 31 werden die quadrierten multiplen Korrelationen der einzelnen Variablen in den

beiden Pfadanalysen in der Reihenfolge ihres Auftretens berichtet. Mit ihrer Hilfe gelingt es

im Fall der Anpassungsbereitschaft 49%, im Fall der Ärgerneigung sogar 57% der Varianz

aufzuklären. Dies zeigt, dass vergleichsweise wenige Vorläufervariablen für die Ausprägung

dieser für die Entwicklung bedeutenden Temperamentseigenschaften verantwortlich sind.

Dieses Ergebnis ist nicht nur für die Aufklärung der Temperamentsentwicklung und damit die

Theorienbildung von Belang, sondern stellt auch einen wichtigen Hinweis für die

Erziehungspraxis dar.

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71

Tab. 31. Anpassungsbereitschaft und Ärgerneigung: Quadrierte mutiple Korrelation

Anpassungsbereitschaft: Quadrierte multiple Korrelationen R²

Ärgerneigung: Quadrierte multiple Korrelationen R²

Legende der Variablen in den Pfadanalysen (mit Ausnahme des elterlichen Streitverhaltens handelt essich immer um latente Variablen):

01. Elterliches Streitverhalten t2 08. Probl. kindl. Persönlichkeitsdimensionen t502. (Negatives) kindliches Temperament t2 09. Positives Temperament t503. Positives mütterliches Erziehungsverhalten t4 10. Elterliches Streitverhalten t604. Elterliches Streitverhalten t4 11. Probl. kindl. Persönlichkeitsdimensionen t605. Probl. kindl. Persölichkeitsdimensionen t4 12. Negative Bindung an die Mutter t606. Positives Temperament t4 13a. Zielvariable Anpassungsbereitschaft07. Elterliches Streitverhalten t5 13b. Zielvariable Ärgerneigung

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13b

1 0 1 7 50 12 42 67 38 61 72 54 29 57

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13a

1 0 2 7 50 11 42 67 37 61 72 55 29 49

Aus den in Abb. 12 und Abb. 13 dargestellten Pfadanalysen ist die längsschnittliche Struktur

der Einflussbeziehungen der einzelnen Variablen auf die Entwicklung der

Anpassungsbereitschaft bzw. Ärgerneigung zu entnehmen. Da es sich um relativ komplexe

Zusammenhangsmuster handelt, werden die Pfadanalysen hier in Form von Grafiken

dargestellt. Der Übersichtlichkeit halber werden Pfade unter .15, die nur einen sehr geringen

Einfluss abbilden, nicht aufgeführt.

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72

13.Anpassungs-bereitschaft(t6)

-.25

.17

1. Elt. Streitv. (t2)

3. Pos. mütterl.Erziehungsv. (t4)

6. Pos.Temperament

(t4)

-.20

Anpassungsbereitschaft

9. Pos.Temperament

(t5)

4. Elt. Streitv. (t4) 7. Elt. Streitv. (t5).61

2. Neg. kindl.Temperament

(t2)

11. Probl.kindl. Persönl.dimensionen

(t6)

-.36

-.37

-.24

-.23

-.19

.32

.15

-.49

.59

.36

.31

10. Elt. Streitv. (t6)

.17

-.22

-.30

.59

5. Probl.kindl. Persönl.dimensionen

(t4)

.23 .37

.46

8. Probl.kindl. Persönl.dimensionen

(t5)

-.17

-.16.55

-.22

-.30

.42

12. Neg. Bindungan die Mutter

(t6)

-.28.22-.26

-.31

Abb. 12. Modell 1, Pfadanalyse der Entwicklung der Anpassungsbereitschaft (Legende siehe Tab. 31)

13.Ärgerneigung

(t6)

-.25

.17

1. Elt. Streitv. (t2)

3. Pos. mütterl. Erziehungsv. (t4)

6. Pos.Temperament

(t4)

-.20

Ärgerneigung

9. Pos.Temperament

(t5)

4. Elt. Streitv. (t4) 7. Elt. Streitv. (t5).61

2. Neg. kindl.Temperament

(t2)

11. Probl.kindl. Persönl.dimensionen

(t6)

-.35

-.37

.25

-.23

-.19

.32

-.15

.59

.36

.31

10. Elt. Streitv. (t6)

-.23

-.30

.58

.22.38

.46

8. Probl.kindl. Persönl.dimensionen

(t5)

-.18

-.17.53

-.23

-.28

-.33

12. Neg. Bindungan die Mutter

(t6)

.23.30

-.30

-.15-.50

-.16

5. Probl.kindl. Persönl.dimensionen

(t4)

.15

Abb. 13. Modell 2, Pfadanalyse der Entwicklung der Ärgerbereitschaft (Legende siehe Tab. 31)

Wie in der Einleitung zu diesem Kapitel ausgeführt wurde, handelt es sich bei der

Temperamentsentwicklung um einen hoch komplexen, dynamischen Prozess, der bewirkt,

dass unterschiedliche Ausprägungsgrade und Kombinationen von Faktoren zu sehr

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73

verschiedenen Endresultaten führen können. In den Pfadanalysen manifestiert sich dies

einerseits in den zu beobachtenden Unterschieden in den direkten Pfaden der verschiedenen

Vorläufervariablen zu den beiden Zielvariablen, andererseits in den Mustern der über andere

Einflussvariablen vermittelten Pfade.

Wie aus den Pfadanalysen hervorgeht, besteht eine direkte, wenn auch nicht sehr ausgeprägte

Beziehung zwischen einem negativen, durch häufiges Schreien, leichte Irritierbarkeit und

hohe Reaktionsintensität beziehungsweise gering ausgeprägte positive Stimmung und

Rhythmizität charakterisierten Temperament im Säuglingsalter und den Zielvariablen

„Anpassungsbereitschaft“ bzw. „Ärgerneigung“ im Alter von 15 Jahren: Zu ersterer besteht

erwartungsgemäß ein negativer Pfad von -.24 (Abb. 12) und zu letzterer ein positiver von .25

(Abb. 13). Ein ungünstiges Temperament im Säuglingsalter verringert daher bis zu einem

gewissen Ausmaß die Anpassungsbereitschaft und verstärkt die Ärgerneigung im Jugendalter.

Auf der Variablenebene existiert mithin durchaus eine Relation zwischen dem frühkindlichen

und dem späteren Temperament, die sich auf Typenebene nur in Ausnahmefällen zeigt.

Wie die Pfadmodelle weiters nachweisen, besteht ein für das Verständnis der

längsschnittlichen Temperamentsentwicklung aufschlussreiches Zusammenspiel der weiteren

Variablen in den Pfadanalysen, wobei sowohl stützende wie auch hemmende Beziehungen

zwischen den einzelnen Variablengruppen zu beobachten sind. Es geht bei der

Temperamentsentwicklung daher nicht um einfache Kausalbeziehungen, sondern um das

Resultat des Zusammenwirkens von komplexen Mustern von Vorläufervariablen.

Ein negatives Temperament im Säuglingsalter weist, wie zu erwarten, eine negative

Beziehung zum positiven Temperament im Alter von acht Jahren auf (-.37 in beiden

Modellen). Zwischen dem positiven Temperament im Grundschulalter und jenem im Alter

von elf Jahren (t5) zeigt sich eine sehr deutliche Relation in beiden Pfadmodellen (.59 bzw.

.58). Der Pfad vom positiven Temperament zu t5 zur Anpassungsbereitschaft im Jugendalter

(.42) deutet an, dass eine günstige Temperamentsausprägung zu t5 eine höhere

Anpassungsbereitschaft mit 15 Jahren erwarten lässt. Ein positives Temperament mit elf

Jahren stellt offenbar einen gewissen Schutzfaktor dar, da in diesem Fall auch eine geringere

Ärgerneigung zu t6 resultiert, wie der negative Pfad von -.33 im zweiten Pfadmodell zeigt.

Eine von den Jugendlichen negativ beurteilte Bindung an ihre Mutter zu t6 beeinträchtigt

dagegen die Anpassungsbereitschaft (-.26) und stützt die Ärgerneigung (.30). In geringerem

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Maße zeigt sich diese Beziehung auch, wenn anstelle der Bindung an die Mutter jene an den

Vater in die Pfadanalysen aufgenommen wird.

Negative Persönlichkeitseigenschaften der Jugendlichen, die mit Hilfe des WPK erfasst

wurden, sind zwischen elf und fünfzehn Jahren schon sehr stabil, wie die Pfade von .55 bzw.

von .53 in den beiden Modellen zeigen. Sie wirken sich nicht direkt, sondern nur über die

negative Bindung auf die beiden Zielvariablen aus. Die Entwicklung problematischer

Persönlichkeitseigenschaften wird durch elterliches Konfliktverhalten zu t5 verstärkt, wie aus

den entsprechenden Pfaden in beiden Modellen hervorgeht (.37 bzw. .38). Interessant ist in

diesem Zusammenhang, dass Streitverhalten der Eltern zu t4, als die Kinder acht Jahre alt

waren, sich noch nicht negativ auswirkt. Elterliches Streitverhalten zu t6 beeinträchtigt

dagegen direkt die Anpassungsbereitschaft (-.28) und verstärkt, wenn auch nur geringfügig,

die Ärgerneigung (.15).

Ein vor allem durch Unterstützung und Zuwendung charakterisiertes mütterliches

Erziehungsverhalten im Alter von acht Jahren wirkt sich -allerdings nur in geringem Ausmaß-

positiv auf die Anpassungsbereitschaft im Jugendalter aus (.15). Zur Ärgerneigung im

Jugendalter bestehen dagegen keine Beziehungen. Zwischen dem Erziehungsverhalten zu t4

und der negativ charakterisierten Bindung zu t6 existiert in beiden Pfadanalysen ein Pfad von

.32, was zunächst überrascht. Dies kann jedoch dahingehend interpretiert werden, dass in der

Adoleszenz Erziehungsbemühungen, die mit acht Jahren noch akzeptiert werden, eher

negative Auswirkungen im Sinne eines „Schläfereffektes“ haben können.

Wie die Pfade im Zusammenhang mit dem elterlichen Streitverhalten erhellen, stellt dieses

eine über die Zeit hinweg äußerst stabile und einflussreiche Variable dar. Die Ausprägung im

Säuglingsalter beeinflusst sogar noch das Erziehungsverhalten im Alter des Kindes von acht

Jahren in ungünstiger Weise in beiden Modellen (-.25). Offenbar handelt es sich um eine

Wechselwirkung, wie der Pfad von -.23 vom Erziehungsverhalten zu t4 zum Streitverhalten

zu t5 zeigt. Zu diesem Zeitpunkt gelingt es Kindern noch, sich in gewisser Weise dagegen

abzugrenzen, wie der Pfad von -.15 zeigt. Die ungünstigen Persönlichkeitseigenschaften

werden aber zunehmend zu Selbstläufern: Zwischen t4 und t5 besteht zwar noch ein negativer

Pfad von -.23. Im Alter von elf Jahren beginnen sich jedoch die betreffenden

Persönlichkeitseigenschaften zu stabilisieren, wie die hohen Pfade von t5 zu t6 von .55 bzw.

.53 zeigen. Sie wirken sich jedoch nicht direkt, sondern über die Bindung auf die

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Anpassungsbereitschaft bzw. Ärgerneigung im Alter von 15 Jahren aus. Dass erst zwischen

elf und 15 Jahren entscheidende Veränderungen in der Persönlichkeitsentwicklung auftreten,

die im Alter von acht Jahren noch nicht zu beobachten sind, zeigt auch der Pfad von -.35 von

t4 zu t6. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich das Zeitfenster für erzieherische

Einwirkungen der Eltern auf das Kind zwischen acht und elf Jahren zu schließen beginnt. Was

bis zu diesem Zeitraum nicht erreicht wurde, kann nur über aufwendige pädagogische oder

therapeutische Maßnahmen erzielt werden.

4.4 Resumée

Lebenslaufbezogen stellen elterliche Konflikte ein nicht zu unterschätzendes Risiko für die

kindliche Temperamentsentwicklung dar, wie sich an vielen Stellen im Entwicklungsverlauf

zeigt. Dieser Befund hatte sich bereits in den Analysen der fünften Erhebungswelle

angedeutet (siehe Rollett, Werneck & Hanfstingl, 2005). Während der personenorientierte

Ansatz nur eine geringe Stabilität der Temperamentstypen zeigte, konnte mit Hilfe des

variablenorientierten Ansatzes ein klares Bild der Entstehung eines günstigen, durch effiziente

Formen der Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt gekennzeichneten Temperaments

im Unterschied zu einer durch negative Affektivität und Ärgerbereitschaft bestimmten

Temperamentsausprägung ermittelt werden. Das Muster der jeweiligen Vorläufervariablen

gibt einen Einblick in die spezifischen Entstehungsbedingungen und damit Hinweise auf

Ansatzpunkte für erzieherische bzw. therapeutische Interventionen.

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5. Die Zukunftsvorstellungen Jugendlicher

Brigitte Rollett, Harald Werneck, Monika Pucher und Guido Nold

5.1 Einleitung

Vorstellungen über die eigene Zukunft haben wichtige handlungsleitende Funktionen im

Jugendalter, da sie mit darüber entscheiden, wie sehr Jugendliche bereit sind, sich für

fernliegende Ziele aktiv zu engagieren und dafür unter Umständen auch auf unmittelbare

Gratifikationen zu verzichten. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, wie

positiv sie den Prozess des Erwachsenwerdens sehen oder im Gegenteil der Zukunft mit

Sorge entgegenblicken, aber auch wie sinnvoll sie ihr gegenwärtiges Leben sowie ihre

zukünftige Entwicklung sehen beziehungsweise wie problembelastet ihnen dieser Prozess

erscheint.

Die Qualität der Zukunftsvorstellungen hat Einfluss auf viele Entscheidungen, die im

Jugendalter getroffen werden müssen, so die Art der Integration in die Gleichaltrigengruppe

und ihre Kultur, die Berufswahl, den Umgang mit den neuen Beziehungen zum anderen

Geschlecht, die Gestaltung der Ablösung von den Eltern und die Bereitschaft zur Übernahme

neuer, mit dem Erwachsenwerden verbundener Verantwortlichkeiten. Die Qualität der

Zukunftsorientierung stellt damit einen wichtigen Faktor bei der Gestaltung des zukünftigen

beruflichen und sozialen Lebensweges dar, wie z.B. Oser, Horn und Maiello (2002) in einer

groß angelegten Studie zeigen konnten.

Die hohe Bedeutung der subjektiven Konstruktionen einer für möglich gehaltenen

befriedigenden oder mit Sorge erwarteten Zukunft für die Bereitschaft, aktuell Anstrengung in

das Gelingen des eigenen künftigen Lebens zu investieren, wurde bisher in der einschlägigen

Literatur viel zu wenig berücksichtigt. Für langfristige Planungen und die entsprechenden

Entscheidungen über das persönliche Investment in die Zukunft sind Zukunftskonstruktionen

von besonderer Wichtigkeit. Curdes, Jahnke-Klein, Lohfeld und Pieper-Seier (2004)

untersuchten die Lebensentwürfe von über 700 weiblichen und männlichen

Mathematikstudierenden und konnten feststellen, dass negative subjektive Bewertungen der

zukünftigen Realisierbarkeit einer wissenschaftlichen Karriere bereits zu einem frühen

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Zeitpunkt dazu führen, dass von den Betroffenen keine Anstrengungen mehr in diese

Richtung unternommen werden.

Untersuchungen zu inhaltlich spezifizierten kurzfristigen Zukunftskonstruktionen wurden von

Oettingen (1997) durchgeführt. Sie konnte zeigen, „dass positive Zukunftsphantasien eine

notwendige Vorraussetzung für ein starkes Engagement in Richtung Phantasierealisierung

sind“. Und sie führt fort: „Positive Zukunftsphantasien sind allerdings nicht hinreichend. Sie

müssen mit Reflexionen über die widersprechende negative Realität kontrastiert werden,

damit angesichts positiver Erfolgserwartungen eine entsprechend starke Motivation zur

Phantasierealisierung entstehen kann“ (1997, S. 306).

Ein wesentlicher Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung behandelt daher die Frage,

welche Zukunftsvorstellungen die Jugendlichen der Untersuchungsgruppe entwickelt hatten

und durch welche Bedingungskonstellationen diese determiniert sind. Bei der Weiterführung

des Längsschnittprojektes ist geplant, auf die Art der Realisierungen der zum aktuellen

Untersuchungszeitpunkt entwickelten Zukunftsvorstellungen besonders einzugehen, um den

langfristigen Auswirkungen der Zukunftsplanungen in der Adoleszenz auf die spätere

Lebensgestaltung und ihr Gelingen nachgehen zu können.

5.2 Die selbst formulierten Lebensziele der Jugendlichen

Als Einstieg in die Fragestellung soll zunächst auf die im Zuge der Studie erhobenen, von den

Jugendlichen frei formulierten Lebensziele eingegangen werden, da sie den inhaltlichen

Rahmen abstecken, den sie sich für ihre eigene Zukunft vorstellen. Die Adoleszenten wurden

daher gebeten, drei eigene Lebensziele, geordnet nach ihrer Wichtigkeit, zu benennen. Bis auf

einige wenige Jugendliche, die nur ein bzw. zwei Ziele angaben, kamen die Jugendlichen

dieser Aufforderung nach.

Auf Grund einer Inhaltsanalyse wurden die Antworten zunächst in 15 Kategorien eingeteilt,

um die Zukunftserwartungen der Jugendlichen abzubilden. Im Einzelnen handelt es sich um

die folgenden Gebiete bzw. Zielsetzungen: „Familie“, „Beziehung“, „Arbeit/Beruf“,

„Ausbildung“, „Gesundheit“, „Freunde“, „Altruistische Ziele“, „Gezielte

Berufsvorbereitung“, „Glück/Zufriedenheit“, „Erfolg“, „Hedonistische Ziele“, „Pläne für

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78

Aktivitäten“, „Entwicklungen“, „Materielle Güter“ und „Reichtum/Vermögen“. Eine

Überprüfung der Kodierung durch zwei unabhängige Beurteiler ergab einen Kappa-Wert von

.925 (s. Gregor, 2007). Die Kategorien wurden für die hier berichtete Auswertung

anschließend zu zehn inhaltlichen Bereichen zusammengefasst (s. Tab. 32).

Tab. 32. Die drei wichtigsten Lebensziele der Jugendlichen nach Bereichen

1.Lebensziel 2.Lebensziel 3.Lebensziel insgesamt n % n % n % n % Familie 37 28.7 30 23.6 15 12.1 82 21.6 Beziehung 11 8.5 15 11.8 5 4 31 8.2 Erfolg 5 3.9 2 1.6 10 8.1 17 4.5 Arbeit/ Arbeitsvorbereitung

38 29.4 42 33.1 19 15.3 99 26.1

Glück/Zufriedenheit/ Hedonismus

17 13.2 9 7.1 20 16.1 46 12.1

Gesundheit 6 4.7 5 3.9 10 8.1 21 5.5 Freunde 5 3.8 7 5.5 23 18.6 35 9.2 Altruistische Ziele 0 3 2.4 4 3.2 7 1.8 Reichtum/Vermögen/ Materielle Güter

4 3.1 8 6.3 12 9.7 24 6.3

Pläne für Aktivitäten/ Entwicklungen

6 4.7 6 4.7 6 4.8 18 4.7

129 127 124 380

In den Zielsetzungen drücken sich eher konservative Zukunftskonstruktionen aus: Die beiden

wichtigsten Lebensziele betreffen die Realisierung eines befriedigenden künftigen Berufs und

die Gründung einer Familie. Altruistische Zielsetzungen werden kaum genannt, Pläne, einen

Beitrag für die Verwirklichung einer „postmaterialistischen Gesellschaft“ (Inglehart, 1977) zu

leisten, fehlen völlig. Allerdings treten auch einseitig selbstbezogene Zielsetzungen nur

vereinzelt auf. Diese Ergebnisse bestätigen den z.B. auch beim Wahlverhalten von

Jugendlichen in Österreich bestehenden Trend zu eher traditionelleren Einstellungen.

5.3 Konstruktion des Zukunftsorientierungsfragebogens

Der in der vorliegenden Studie eingesetzte Zukunftsorientierungsfragebogen stellt eine

Adaptation des Zukunftsfragebogens von Oser, Horn und Maiello (2002) dar. Aufgrund einer

Faktorenanalyse konnten die folgenden Skalen konstruiert werden.

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Tab. 33. Skalen des Zukunftsfragebogens

Skalen Item-anzahl α Trennschärfen Beispielitem

1. Entwicklung in Richtung freundliche Gesellschaft 6 .893 .647 - .808

In Zukunft werden die Menschen mehr Zeit aufwenden um anderen Menschen zu helfen.

2. Zukünftige gesellschaftliche Probleme 11 .859 .350 - .693

Was glaubst du, wie groß werden in Zukunft die Probleme mit folgenden Themen sein? Drogen, Sucht.

3.Entwicklung in Richtung bedrohte Gesellschaft 7 .886 .503 - .786 In Zukunft wird es mehr Kriminalität und

Gewalt geben. 4. Konstanz der eigenen Persönlichkeit und Lebensumstände

6 .822 .438 - .700 In 20 Jahren werde ich noch dieselbe Person sein wie heute.

5. Zukünftige positive Lebensgestaltung 10 .807 .306 - .712 In 20 Jahren werde ich mit meinem Leben

zufrieden sein. 6. Persönliche Problembelastung 6 .784 .425 - .642 Ich finde, dass ich zu viele persönliche

Probleme habe. 7. Konstanz der eigenen Lebensumstände 8 .700 .311 - .551 In meinem zukünftigen Leben werde ich

immer denselben Beruf ausüben. 8. Gegenwärtige gesellschaftliche Probleme 2 .732 .578 Ich finde, dass es zu viele gesellschaftliche

Probleme gibt.

9. Gerechte Welt 6 .738 .351 - .597 Ich bin sicher, dass in der Welt immer die Gerechtigkeit siegt.

α= Cronbach`s Alpha

Im Folgenden wird zunächst auf die längsschnittliche Entwicklung der

Zukunftsorientierungen der Jugendlichen der Untersuchungsstichprobe eingegangen.

Anschließend wird über Gruppen von Jugendlichen mit ähnlichen Zukunftsorientierungen

berichtet.

5.4 Erwartungen einer zukünftigen positiven Lebensgestaltung und aktuell erlebte Problembelastung

Zunächst ist von Interesse, zu untersuchen, welche Faktoren mit einer positiven Zukunftssicht

einhergehen. Da angenommen werden kann, dass die von den Jugendlichen erlebte

Problembelastung dabei von Bedeutung ist, wird diesem Einfluss im Besonderen

nachgegangen. Auf Seiten der familienbezogenen Einflüsse ist vor allem die von den

Jugendlichen selbst eingeschätzte Qualität ihrer Beziehungen zu ihren Eltern zu nennen. Auf

Seiten der Jugendlichen kann davon ausgegangen werden, dass ihre Einschätzung ihrer

eigenen Begabung (und damit ihrer Zukunftschancen) und ihre individuelle Persönlichkeit für

die Konstruktion einer positiven Zukunftserwartung eine Rolle spielen könnten, werden in

den Tab. 34 und Tab. 35 die entsprechenden Korrelationen berichtet.

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80

Das familiäre Umfeld und hier vor allem der durch die Beziehung der Jugendlichen zu ihren

Eltern geschaffene emotionelle Rahmen ist nicht ohne Einfluss auf die Zukunftskonstruktion

der Jugendlichen. Wie aus Tab. 34 entnommen werden kann, ist vor allem die positive

Bindung und damit die gute Beziehung zur Mutter für eine positive Zukunftssicht wesentlich.

Sie ist durch Vertrauen und eine gute Kommunikationsbasis sowie die Abwesenheit negativer

emotionalen Beziehungskomponenten und das Fehlen von Gefühlen der Entfremdung

charakterisiert. In der Beziehung zum Vater ist hier nur die gute Kommunikation mit ihm für

die Entwicklung einer positiven Zukunftskonstruktion von Bedeutung.

Ein eindrucksvolles, diese Ergebnisse ergänzendes Bild zeigt das Muster der – insgesamt auch

wesentlich höheren - Korrelationen der Bindung an die Mutter bzw. den Vater mit der

aktuellen Problembelastung (s. Tab. 34): Je geringer das Vertrauen zu den Eltern ist und je

schlechter sich die Kommunikationsbasis mit ihnen gestaltet, sowie eine je größere Rolle

negative emotionale Beziehungscharakteristika und Entfremdung spielen, desto höher ist die

von den Jugendlichen berichtete Problembelastung.

Tab. 34. Bindung an die Eltern und Zufriedenheit mit der eigenen Begabung: Korrelationen mit der

Erwartung einer positiven zukünftigen Lebensgestaltung und der aktuellen Problembelastung

,575**-,228**Entfremdung,661,**-,276**Neg. emot. Beziehung

-,488**,328**Kommunikation-,580**,321**Vertrauen

Problembelast.Pos. Leb.Gest.Bindung Mutter

,565**-,214Entfremdung,605**-,169Neg. emot. Beziehung

-,489**,246**Kommunikation-,576**,160Vertrauen

Problembelast.Pos. Leb.Gest.Bindung Vater

Einen Hinweis auf den Einfluss der Zufriedenheit mit der eigenen Begabung auf die

Erwartung einer positiven zukünftigen Lebensgestaltung einerseits und die erlebte aktuelle

Problembelastung andererseits zeigen die Korrelationen von -,299 bzw. ,291. Das Vertrauen

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81

auf die eigene Kompetenz scheint mithin eine gewisse Bedeutung für die Erwartung einer

günstigen Zukunft zu haben, während Problembelastung diese einschränkt.

Eine weitere Frage betrifft die Rolle der individuellen Persönlichkeit der Heranwachsenden

bei der Entwicklung positiver Zukunftsvorstellungen bzw. die der aktuellen Belastung durch

Probleme. In Tab. 35 werden die entsprechenden Korrelationen mit den

Persönlichkeitsdimensionen des NEO-FFI berichtet.

Tab. 35. Persönlichkeitsdimensionen des NEO-FFI: Korrelationen mit der Erwartung einer positiven zukünftigen. Lebensgestaltung und der aktuellen Problembelastung

,447**-,143Neurotizismus

-,197*,246**Extraversion

-,087,230**Offenheit

-,250**,058Verträglichkeit

-,257**,330**Gewissenhaftigkeit

PersönlicheProblembelastung

Zukünftige positive

LebensgestaltungNEO-FFI

Wie aus den Korrelationen ersichtlich ist, geht eine höhere Gewissenhaftigkeit, Offenheit für

kulturelle Erfahrungen und Extraversion mit der Erwartung einer positiven

Zukunftsentwicklung einher: Wer sich gewissenhafter um die Erledigung wichtiger Aufgaben

bemüht und sowohl den kulturellen Angeboten seiner Zeit als auch anderen Menschen

gegenüber eine größere Aufgeschlossenheit zeigt, neigt offenbar dazu, auch die eigene

Zukunft günstiger einzuschätzen. Die aktuelle persönliche Problembelastung korreliert

dagegen mit einer geringeren Gewissenhaftigkeit und Extraversion, was zur Folge haben

kann, dass Probleme bei der Alltagsbewältigung und im sozialen Umgang mit Anderen

entstehen können. Eine höhere Verträglichkeit wirkt offenbar in gewisser Weise als

Schutzfaktor, wie die negative Korrelation von -.250 mit der Problembelastung zeigt: Wer

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sich verträglicher gibt, erspart sich eher Konflikte mit der sozialen Umwelt. Die mittlere

Korrelation von .447 zwischen persönlicher Problembelastung und Neurotizismus deutet

schließlich darauf hin, dass eine allgemeine persönliche Labilität vermehrt zu Problemen in

der Alltagsbewältigung führt und umgekehrt.

5.5 Zukunftserwartung und Identitätsstatus der Jugendlichen

Wie in Kapitel 8 ausführlich berichtet wird, stellt die Entwicklung einer neuen Identität die

zentrale Entwicklungsaufgabe des Jugendalters dar. Der Übergang von der Kindheit in die

Adoleszenz bedeutet einerseits größere Freiheiten, bringt aber andererseits die Verpflichtung

mit sich, zunehmend Entscheidungen selbstverantwortlich zu treffen und dazu schrittweise die

notwendigen Kompetenzen zu erwerben. Nicht alle Jugendlichen wollen sich auf diesen

Prozess einlassen. Hinzu kommt, dass auch nicht alle Eltern bzw. Erziehungspersonen dazu

bereit sind, die Zügel zunehmend lockerer zu lassen und den Jugendlichen – natürlich jeweils

entsprechend ihren bereits erworbenen Kompetenzen zu einer selbstverantwortlichen

Lebensgestaltung - mehr Verantwortung zu übertragen. Aber nicht nur eine zu

einschränkende Erziehung kann sich ungünstig auf die Identitätsbildung auswirken. Auch ein

zu rascher Rückzug der Eltern aus der Erziehungsverantwortung (Rollett, 1999) ist

kontraproduktiv, da er die betroffenen Jugendlichen in der Regel überfordert.

5.5.1 Identitätsstatus und Erwartung einer zukünftigen positiven Lebensgestaltung

Nach Marcia (1966, 1980) können vier Stadien der Identitätsentwicklung im Jugendalter

unterschieden werden: Die individuelle Identität kann einfach von den Eltern und anderen

wichtigen Bezugspersonen übernommen werden. Dieser Status wird von ihm als

„Übernommene Identität“ bezeichnet. Dieser birgt allerdings die Gefahr in sich, dass sich die

Jugendlichen ihrer eigenen Alterskohorte und deren Werten, Normen, Einstellungen und

Verhaltensweisen entfremden. In der aktuellen Situation der Jugendlichen bedeutet die

Übernahme der elterlichen Identitätsvorgaben aber zunächst einmal Verhaltenssicherheit, die

allerdings auf längere Sicht zur Isolation von der Gleichaltrigengruppe und den damit

zusammenhängenden Problemen führen kann. Langfristig kann dies z.B. zu einer geringeren

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Eingebundenheit in das kollegiale Team in der Ausbildung und am Arbeitsplatz führen oder

Probleme beim Finden von gleichgesinnten Partnern bzw. Partnerinnen zur Folge haben.

Der Identitätsstatus „Moratorium“ dagegen ist durch eine intensive Erprobung verschiedener

Möglichkeiten der Identitätskonstruktion durch die Betroffenen charakterisiert. Es stellt ein

zielführendes Durchgangsstadium von der Kindheit zum Erwachsenwerden dar und ist

dadurch gekennzeichnet, dass in vielen Bereichen der Lebensführung mögliche Alternativen

recherchiert werden und gezielt an der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und

Kompetenzen gearbeitet wird.

Im Gegensatz dazu verweigern sich Jugendliche im Status der „Diffusen Identität“ diesen

Entwicklungsprozessen. Sie neigen dazu, die mit der Identitätssuche verbundenen

Entscheidungen und die sich daraus möglicherweise ergebenden Probleme abzuschieben und

sich einem eher hedonistischen Gegenwartsgenuss hinzugeben.

Jugendliche im Status der „Erarbeiteten Identität“ haben die für das Jugendalter

charakteristische Entwicklungsaufgabe des Findens einer neuen (erwachsenen) Identität

gelöst, sie sind mit sich weitgehend im Reinen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass nicht zu

einem späteren Zeitpunkt weitere Anpassungen notwendig werden, wenn es sich z.B.

herausstellt, dass der gewählte Berufsweg doch nicht den eigenen Bedürfnissen entspricht und

neue Orientierungen gefunden werden müssen.

Aus diesen Beschreibungen geht bereits hervor, dass die Identitätsstadien in einem engen

Zusammenhang mit den Zukunftserwartungen stehen. Im Folgenden wird daher den

Unterschieden zwischen den verschiedenen Identitätsstatusgruppen im Hinblick auf die

Erwartungen einer zukünftigen positiven Lebensgestaltung nachgegangen. Außerdem wird

der Einfluss der von den Jugendlichen angenommenen Konstanz ihrer Lebensumstände

betrachtet, da angenommen werden kann, dass eine höhere Konstanzerwartung auf Grund der

dadurch gebotenen Sicherheit mit günstigeren Zukunftserwartungen kovariiert.

Die in Tab. 36 angegebenen Häufigkeiten zeigen, dass die Identitätsstatusgruppen signifikant

unterschiedlich stark besetzt sind. Am häufigsten tritt, wie zu erwarten, das Moratorium als

der für das Jugendalter charakteristischste Identitätsstatus auf: Rund 44% der Jugendlichen

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84

befinden sich in diesem Übergangsstadium, in dem es darauf ankommt, Vieles zu erproben,

um schließlich eine neue Identität zu finden.

Wie aus den in Tab. 36 berichteten Varianzanalysen der Unterschiede zwischen den

Identitätsstatusgruppen hervorgeht, unterscheiden sich diese sehr signifikant bezüglich ihrer

Erwartung einer positiven Lebensgestaltung in der Zukunft und der von den betreffenden

Jugendlichen angenommenen Konstanz ihrer Lebensumstände.

Tab. 36. Unterschiede zwischen den Identitätsstatusgruppen hinsichtlich der Erwartung einer

künftigen positiven Lebensgestaltung und der angenommenen Konstanz der Lebensumstände

4,67 ,57 4,20 ,65137X² < .00

Gesamt

4,86 ,61 4,48 ,64

4,72 ,49 4,10 ,66

4,32 ,55 3,97 ,58

4,83 ,57 4,53 ,54

24

61

31

21

A Erarbeitete Identität

B Moratorium

C Diffuse Identität

D Übernommene Identität

Mittelwert Streuung Mittelwert StreuungN

Zukünftige positive Lebensgestaltungp < .000 (ANOVA)

Konstanz der Lebensumständep < .000 (ANOVA)

Legende: _____ signifikante Differenzen (nach Tamhane) zwischen den Gruppen

------- Tendenz

Es zeigt sich, dass Jugendliche mit einer erarbeiteten (18% der Untersuchungsgruppe) und

einer übernommenen Identität (15%) die höchsten Ausprägungen bezüglich der Erwartung

einer positiven Zukunft haben. Dies gilt auch für die von ihnen angenommene Konstanz ihrer

eigenen Lebensumstände. Jugendliche, die sich in ihrer Identitätskonstruktion an den Eltern

orientieren, haben sich offenbar in den von den Eltern und anderen Erziehungspersonen

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85

übernommenen Vorstellungen über sich selbst und ihre Zukunft eingerichtet. Wie für die

Jugendlichen mit einer erarbeiteten Identität bedeutet dies für sie, dass sie auf ihre Zukunft

mit Optimismus blicken können. Wie oben dargestellt wurde, besteht ihr Problem allerdings

darin, dass die von den Eltern übernommenen Werte, Normen, Einstellungen und

Verhaltensweisen ihnen zunächst zwar Sicherheit in ihrer Rolle als Heranwachsende

vermitteln, sie sich aber zunehmend ihrer eigenen Altersgruppe entfremden, was bei den

Jugendlichen mit einer erarbeiteten Identität weniger wahrscheinlich ist.

Wie zu erwarten, haben Adoleszente mit einer diffusen Identität (23%) die niedrigsten

positiven Zukunftserwartungen, was auf die besondere Problematik dieser Gruppe

zurückzuführen ist: Erwachsen werden bedeutet für sie nicht den Übergang in eine freudig

erwartete selbstgestaltete Zukunft, deren Anforderungen sie sich gewachsen fühlen, sondern

die Konfrontation mit Aufgaben, die von ihnen nur als Belastung erlebt werden. Im

ungünstigsten Fall wehren sie sich gegen alle mit der Planung ihrer Zukunft

zusammenhängenden Anforderungen. Sie müssen daher in Kauf nehmen, dass ihnen die

Mitwirkung an den sie betreffenden Entscheidungsprozessen für die Gestaltung ihrer Zukunft

aus der Hand genommen wird. Wie z.B. Pollmann (1996) in einer groß angelegten frühen

Studie feststellen konnte, gelingt es Jugendlichen, die sich nicht aktiv um die Planung ihrer

Berufslaufbahn bemühen, sondern dies den „Umständen“ überlassen, z.B. weit seltener, einen

ihren Wünschen entsprechenden Berufweg zu realisieren.

Jugendliche im Stadium des Moratoriums nehmen bezüglich ihrer positiven

Zukunftserwartungen eine Zwischenstellung ein. Interessant ist, dass ihre

Konstanzerwartungen im Hinblick auf ihre zukünftigen Lebensumstände nahezu ähnlich

niedrig sind wie jene der Gruppe mit einer diffusen Identität. Für diese Jugendlichen ist der

Prozess der Suche nach neuen Orientierungen noch nicht abgeschlossen, sie sind aber im

Gegensatz zu den Jugendlichen mit einer diffusen Identität bereit, sich den neuen

Herausforderungen zu stellen.

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5.5.2 Negative Zukunftskonstruktionen: Die Erwartung einer zukünftigen bedrohten Gesellschaft

Die Skala „Erwartung einer zukünftigen bedrohten Gesellschaft“ wurde in den

Zukunftsfragebogen aufgenommen, um massivere Zukunftsängste zu erfassen. Während

niedrige Werte in der Skala „Erwartung einer zukünftigen positiven Lebensgestaltung“ im

individuellen Fall bereits auf gewisse Probleme bei der Konstruktion der persönlichen

Zukunft hinweisen, stellt die ausdrückliche Erwartung einer zukünftigen bedrohten

Gesellschaft eine wesentlich stärkere Einschränkung der für möglich gehaltenen eigenen

Zukunftschancen dar. Wie die in Tab. 37 dargestellten varianzanalytischen Ergebnisse zeigen,

differenziert jedoch weder die Erwartung einer zukünftigen bedrohten Gesellschaft noch die

persönliche Problembelastung zwischen den Identitätsstatusgruppen. Offenbar bildet der

Identitätsstatus nach Marcia ausschließlich die positive Auseinandersetzung mit der

Konstruktion der eigenen Zukunft ab.

Tab. 37. Unterschiede zwischen den Identitätsstatusgruppen hinsichtlich einer zukünftig

bedrohten Gesellschaft und der persönlichen Problembelastung

3,66 ,94 2,81 ,97137X² < .00

Gesamt

3,69 1,04 3,08 1,13

3,69 ,91 2,78 ,95

3,47 ,92 2,81 ,92

3,86 ,93 2,62 ,86

24

61

31

21

A Erarbeitete Identität

B Moratorium

C Diffuse Identität

D Übernommene Identität

Mittelwert Streuung Mittelwert StreuungN

Zukünftige bedrohte Gesellschaftp < .511 (ANOVA)

Persönliche Problembelastungp < .426 (ANOVA)

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5.6 Die lebenslaufbezogene Entwicklung positiver versus negativer Zukunftsorientierungen: Pfadanalysen

Wie die bisher berichteten Ergebnisse gezeigt haben, stellt die aktive Auseinandersetzung mit

den eigenen Zukunftsvorstellungen eine wichtige Voraussetzung für die Integration der

diesbezüglichen Konzepte in die eigene Lebensplanung dar. Im nächsten Schritt soll daher

untersucht werden, welche bedeutenden lebenslaufspezifischen Faktoren zusammenwirken

müssen, um die Entwicklung einer positiven, von Optimismus getragenen bzw. einer

negativen, durch Vorstellungen über eine bedrohliche gesellschaftliche Zukunft geprägten

Zukunftsperspektive geht.

Um derartige übergreifende Entwicklungseinflüsse modellieren zu können, werden im

nächsten Schritt Variablen, die sich in den verschiedenen Erhebungswellen des FIL-Projekts

als relevant erwiesen haben, zur Vorhersage einer positiven bzw. negativen

Zukunftsorientierung der Jugendlichen herangezogen. Als Methode werden auch hier

Pfadanalysen mit Hilfe des PLS-Verfahrens von Wold (1979) und Lohmöller (1987)

durchgeführt, um die Entwicklung einer positiven im Gegensatz zu einer negativen

Zukunftskonstruktion abzubilden. Es wird je eine Pfadanalyse zur Vorhersage positiver und

negativer Zukunftserwartungen berechnet. Auch in diesen Analysen werden aus Gründen der

Übersichtlichkeit sehr geringe Pfade (< .15) weggelassen.

In Tab. 38 werden zunächst die bei diesen Analysen berücksichtigten manifesten bzw.

latenten Variablen und die Ladungen der die latenten Variablen konstituierenden manifesten

Variablen dargestellt. Die Bezeichnung (a/+) in der Tabelle bezieht sich dabei auf die

positive, (b/-) auf die negative Zukunftsorientierung.

Die latente Zielvariable „Positive Zukunftsorientierung“ wird durch die manifesten Variablen

„Glaube an eine gerechte Welt“, „Zukünftige positive Lebensgestaltung“ und „Entwicklung in

Richtung positiver Gesellschaft“ gebildet, die latente Zielvariable „Negative

Zukunftsorientierung“ durch die manifesten Variablen „Gegenwärtige gesellschaftliche

Probleme“, „Entwicklung in Richtung bedrohte Gesellschaft“ und „Zukünftige

gesellschaftliche Probleme“.

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An manifesten Vorhersagevariablen wird (wie bereits bei der Darstellung der

Temperamentsentwicklung) das elterliche Streitverhalten (aus der Sicht der Mutter) zu t2, t4,

t5 und t6 in die Pfadanalysen einbezogen, da es sich als besonders wichtige, das

Familienleben und die kindliche Entwicklung beeinträchtigende Variable erwiesen hat. Es

stellt überdies eine lebenslaufspezifisch außerordentlich stabile Variable dar, die ihren

Einfluss auf die kindliche Entwicklung langfristig geltend macht. Weiters wurde die aktuelle

Problembelastung (t6) in die Pfadanalysen aufgenommen, um den Einfluss der gegenwärtig

erlebten Belastungen auf die Zukunftsorientierung erfassen zu können. An latenten Variablen

zur Beschreibung des Entwicklungsverlaufs wurden einbezogen: Das Temperament zu t2

(manifeste Variablen: „Positive Stimmung“, „Unruhe“, „Irritierbarkeit“, „Rhythmizität“,

„Triebhaftigkeit/Reaktionsintensität“), das mütterliche Erziehungsverhalten zu t4 (manifeste

Variablen: „Unterstützung“, „Strenge“, „Zuwendung“), die latente Variable „problematische

Persönlichkeit“ der Jugendlichen zu t6 (manifeste Variablen: „Neigung zu

überaktiv/unaufmerksamem Verhalten“, „Neigung zu oppositionellem Verhalten und

Risikobereitschaft“, „Prüfungsangst“, „Dominanzverhalten“, „Ängstlichkeit“, „Traurigkeit“)

und die Bindung an den Vater bzw. die Mutter zu t6 (manifeste Variablen: „Vertrauen“,

„Kommunikation“, „Negative emotionale Beziehung“, „Entfremdung“). Da, wie die oben

berichteten Ergebnisse zeigten, die Überzeugung, dass sich die Lebensumstände und die

eigene Persönlichkeit in der Zukunft nicht wesentlich ändern werden, offenbar einen gewissen

Schutzfaktor darstellt, da sie das Vertrauen in die positive Gestaltung der persönliche Zukunft

stützt, wurde weiters die latente Variable „Konstanz“ in die Berechnung miteinbezogen

(manifeste Variablen: „Konstanz der Lebensumstände“, „Konstanz der eigenen

Persönlichkeit“).

Ein Blick auf die Ladungen im Fall der positiven im Gegensatz zu jenen bei der negativen

Zukunftsorientierung (s. Tab. 38) weist bereits auf einige interessante Aspekte hin: Zunächst

zeigt sich, dass die Ladungen in den beiden Analysen bis auf wenige Ausnahmen in ihrer

Höhe nur geringfügig voneinander abweichen. Unterschiedliche Auswirkungen werden daher

in erster Linie durch Unterschiede in den Vorzeichen abgebildet. Wie das Ladungsmuster des

Temperaments zu t2, als die Kinder drei Monate alt waren, erhellt, ist sowohl für die positive

wie für die negative Zukunftsorientierung im Jugendalter ein ungünstiges Temperament im

Säuglingsalter von Einfluss. Für das mütterliche Erziehungsverhalten zu t4, als die Kinder 8

Jahre alt waren, sind vor allem die Bereitschaft zur Unterstützung und die Zuwendung von

Bedeutung. Die latente Dimension „Problematische kindliche Persönlichkeit“ wird zum

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aktuellen Untersuchungszeitpunkt (t6) vor allem durch die Neigung zu

überaktiv/unaufmerksamen Verhalten (Ladungen .78 und .76) und das Dominanzverhalten

(jeweils .79) bestimmt. Depressive Verstimmungen spielen keine Rolle, wie die belanglosen

Ladungen der manifesten Variable „Traurigkeit“ zeigen (Ladungen: .09 bzw. .07). Wichtig ist

dagegen die Gestaltung der Bindung an die Eltern. Im Fall einer positiven

Zukunftsorientierung haben die manifesten Variablen „Vertrauen“ und „Kommunikation“, die

eine günstige Beziehung erfassen, sowohl beim Vater wie bei der Mutter ein positives, jene,

die eine ungünstige Beziehung charakterisieren („Negative emotionale Beziehung“ und

„Entfremdung“) ein negatives Vorzeichen. Das Umgekehrte ist bei der negativen

Zukunftsorientierung der Fall. Mit anderen Worten, eine gute, durch Vertrauen und eine

intakte Gesprächsbasis gekennzeichnete Gestaltung der Bindung an die Eltern und die

Abwesenheit negativer Beziehungskomponenten führt dazu, dass die Jugendlichen ihre

Zukunft eher in positiver Weise konstruieren. Eine negative Zukunftsorientierung wird

dagegen durch schwierig erlebte emotionale Beziehungen zu beiden Elternteilen, geringes

Vertrauen und fehlende Kommunikationsbereitschaft begünstigt.

Tab. 38. Latente und manifeste Variablen in den Pfadanalysen der positiven und negativen

Zukunftsorientierung

Konstituierende Variablen Ladungen

a/+ b/-

1 Streitverhalten t2

2 Temperament t2 Positive Stimmungslage -81 -80

Unruhe 68 68

Irritierbarkeit 11 12

Rhythmizität 16 16

Triebhaftigkeit/Reaktionsintensität 56 57

3 Streitverhalten t4

4 Erziehungsverhalten t4 Unterstützung 93 93

Strenge 26 23

Zuwendung 81 82

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5 Streitverhalten t5

a/+ b/-

6 Streitverhalten t6

7 Persönlichkeit t6 Neigung zu überaktiv/unaufmerksamem Verhalten

78 76

Neigung zu oppositionellem Verhalten und Risikobereitschaft

59 62

Prüfungsangst 23 20

Dominanzverhalten 79 79

Ängstlichkeit 48 50

Traurigkeit 09 07

8 Bindung Vater t6 Vertrauen 88 -87

Kommunikation 91 -91

Negative emotionale Beziehung -82 83

Entfremdung -74 75

9 Bindung Mutter t6 Vertrauen 83 -82

Kommunikation 90 -89

Negative emotionale Beziehung -77 78

Entfremdung -75 76

10 Problembelastung t6

11 Konstanz Konstanz der Lebensumstände 80 86

Konstanz der eigenen Persönlichkeit 80 73

12a Zielvariable: Positive Zukunftsorientierung

Gerechte Welt 84

Zukünftige positive Lebensgestaltung 65

Entwicklung in Richtung positive Gesellschaft 68

12b Zielvariable: Negative Zukunftsorientierung

Gegenwärtige gesellschaftliche Probleme

69

Entwicklung in Richtung bedrohte Gesellschaft

70

Zukünftige gesellschaftliche Probleme

76

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Zunächst interessiert, welche Varianzanteile jeweils durch die fortlaufend in die Pfadanalysen

aufgenommenen Variablen aufgeklärt werden und wie umfassend die Varianzaufklärung

bezüglich der Zielvariablen „positive Zukunftsorientierung“ bzw. „negative

Zukunftsorientierung“ gelingt (s. dazu Tab. 39 und Tab. 40).

Tab. 39. Positive Zukunftsorientierung: Quadrierte multiple Korrelationen R²

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12a

1 0 .08 .49 .18 .66 .70 .19 .26 .73 .59 .17 .39

Tab. 40. Negative Zukunftsorientierung: Quadrierte multiple Korrelationen R²

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12b

1 0 .07 .49 .18 .66 .70 .19 .26 .74 .59 .18 .24

Legende: 01. Streitverhalten t2 09. Bindung Mutter t6 02. Temperament t2 10. Problembelastung 03. Streitverhalten t4 11. Konstanz 04. Erziehungsverhalten t4 12a. Positive Zukunftsorientierung 05. Streitverhalten t5 12b. Negative Zukunftsorientierung 06. Streitverhalten t6 07. Probl. Persönlichkeitseigenschaften 08. Bindung Vater t6

Wie aus den Angaben in Tab. 39 und Tab. 40 hervorgeht, können durch die in die

Pfadanalysen einbezogenen Variablen im Fall der negativen Zukunftsorientierung 24%, im

Fall der positiven Zukunftsorientierung sogar 39% der Varianz aufgeklärt werden. Wie die

einzelnen Einflussvariablen dabei aufeinander wirken, ist aus den in Tab. 41 und Tab. 42

dargestellten PLS-Pfadkoeffizientenmatrizen ersichtlich.

5.6.1 Pfadanalyse der längsschnittlichen Entwicklung einer positiven Zukunftsorientierung

In Tab. 41 ist die Pfadkoeffizientenmatrix der positiven Zukunftsorientierung wiedergegeben.

Die letzte Zeile gibt die direkten Pfade der einzelnen Variablen zur Zielvariable „positive

Zukunftsorientierung“ und damit die direkten Auswirkungen der betreffenden Variable auf

die Zielvariable an.

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Tab. 41. Modell 1, Pfadanalyse der Positiven Zukunftsorientierung: PLS-Pfadkoeffizientenmatrix

Pfade von:

Str t2

Tp t2

Str t4

Erz t4

Str t5

Str t6

PrP t6

BV t6

BM t6

Pb t6

Ko t6

a

Nach: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

1 t2 Elt. Streitverhalten 0

2 t2 Temperament neg

27

3 t4 Elt. Streitverhalten 62 20

4 t4 Erz.Verh. . -18 -33

5 t5 Elt. Streitverhalten 17 . 65 .

6 t6 Elt. Streitverhalten . . 35 . 42

7 t6 Probl.Persönl. . . . . 46 .

8 t6 P.Bind.Va. (positiv)

. . . -43 . -20 -30

9 t6 P.Bind.Mu. (positiv)

. . -31 . . . . 83

10 t6 Probl.Belast. . -24 -15 . 27 . 26 -40 -20

11 t6 Konstanz 31 . -33 . 16 . . -18 34 .

12 t6 Positive ZukunftserwartungDirekte Pfade

. 28 27 . -16 -32 . 28 28 26 26 PZO

PZO = positive Zukunftsorientierung

Ein schwieriges Temperament des Kindes im Alter von drei Monaten (t2) hat

überraschenderweise gewisse günstige Auswirkungen auf die positive Zukunftsorientierung

im Jugendalter (.28). Dies könnte dadurch begründet sein, dass diese Kinder zunächst mehr

Unterstützung durch die Eltern einfordern und auch erhalten. Wie die pfadanalytischen

Auswertungen der Längsschnittdaten weiters zeigen, wird eine positive Zukunftsorientierung

durch eine durch Streitverhalten gekennzeichnete Partnerschaftsbeziehung der Eltern im Alter

des Kindes von 8 Jahren (t4) zunächst gestützt, wie der positive Pfad von .27 zeigt. Eine

mögliche Erklärung wäre, dass zu diesem Zeitpunkt beide Elternteile noch um die Gunst des

Kindes konkurrieren und es entsprechend stützen. Zu t5 und t6 wirkt sich das elterliche

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Streitverhalten jedoch zunehmend negativer auf die Erwartung einer positiven Zukunft durch

die Heranwachsenden aus, wie die Pfade von -.16 und -.32 zeigen.

Der direkte Pfad von der selbst eingeschätzten persönlichen Problembelastung zur positiven

Zukunftsorientierung (.26) weist darauf hin, dass aktuelle Probleme zu diesem Zeitpunkt die

Zukunftskonstruktion noch nicht beeinträchtigen. Eine positive Bindung an den Vater (.28)

und die Mutter (.28) und eine höhere Einschätzung der Konstanz der eigenen Persönlichkeit

und Lebensumstände (.26) unterstützen eine positivere Zukunftsorientierung.

Das Muster der vermittelten Pfade erhellt das längsschnittliche Bedingungsgefüge, das diesen

direkten Einflüssen zugrunde liegt. Die entsprechenden Angaben sind den weiteren Werten in

der Pfadkoeffizientenmatrix zu entnehmen. Elterliches Streitverhalten zu t4 beeinträchtigt

besonders die Bindung zur Mutter zu t6 (-.31). Auch die Annahme der Konstanz der eigenen

Persönlichkeit und Lebensumstände wird hierdurch in negativer Weise (-.33) beeinflusst. Sie

wirkt sich daher nur vermittelt über die Bindung auf die positive Zukunftsorientierung aus.

Nicht unerwartet ist die Beziehung des elterlichen Streitverhaltens zu t5, als die Kinder 11

Jahre alt waren, zur erlebten Problembelastung im Jugendalter (.27). Die positive Bindung an

den Vater geht einerseits mit einer positiven Bindung an die Mutter einher (.83), andererseits

führt sie zu einer geringeren Problembelastung (-.40). Das Vertrauen auf die Konstanz steht

jedoch in einer, wenn auch niedrigen, negativen Beziehung zur Bindung an den Vater (-.18).

Die Bindung an die Mutter hat (wie auch die Bindung an den Vater) eine niedrigere

Problembelastung zur Folge (-.20) und einen ausgeprägten positiven Einfluss auf die

Annahme der Konstanz der eigenen Persönlichkeit und Lebensumstände (.34). Wie diese

Befunde zeigen, werden die für die positive Zukunftsorientierung relevanten Einflussgrößen,

die sich in den direkten Pfaden abbilden, durch ein Netzwerk günstiger und ungünstiger

Vorläuferbedingungen gestützt.

Die berichteten Ergebnisse haben neben theoretischen vor allem auch wichtige praktische

Konsequenzen, wenn es z.B. darum geht, bei Jugendlichen eine positive Zukunftsorientierung

aufzubauen: Ohne Aufarbeitung der Entwicklungsgeschichte der Beziehung des betroffenen

Jugendlichen zu beiden Elternteilen und ohne Berücksichtigung der möglicherweise

vorhandenen elterlichen Konflikte wird eine derartige Intervention nicht erfolgreich sein

können. Auch der Befund, dass sich individuelle Faktoren wie das frühe Temperament und

aktuelle Problemlagen wie die zu t6 eventuell vorhandenen problematischen

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94

Persönlichkeitseigenschaften nicht direkt auf eine positive Zukunftskonstruktion auswirken,

sondern über die in diesem Alter erlebte Problembelastung wirksam werden, ist von

Wichtigkeit: Im Zuge einer therapeutischen Intervention ist es daher angezeigt, neben

konkreten Problemlösestrategien zur Reduzierung aktueller Belastungen die Arbeit an den

tiefer liegenden emotionalen und sozialen Problemen des Jugendlichen in den

Behandlungsplan einzubeziehen. Diese Vorgangsweise wird durch die im nächsten Abschnitt

berichteten Ergebnisse der Pfadanalyse der Bedingungsfaktoren einer negativen

Zukunftsorientierung ebenfalls nahe gelegt.

5.6.2 Längsschnittliche Vorhersage einer negativen Zukunftsorientierung

Das in der Pfadkoeffizientenmatrix (s. Tab. 42) abgebildete längsschnittliche

Bedingungsmuster einer negativen Zukunftsorientierung ist wesentlich einfacher strukturiert

als jenes der positiven Zukunftskonstruktion: Es finden sich nur 4 direkte Pfade vor.

Vom Temperament des Kindes im Alter von drei Monaten (t2) führt ein direkter Pfad von -

.29 zur negativen Zukunftsorientierung. Dies deutet auf den nachhaltigen Einfluss eines

frühen, durch eine negative Stimmungslage, Unruhe und Reaktionsintensität

gekennzeichneten Temperaments auf die weitere individuelle Entwicklung hin, die schließlich

zu einer eher negativen Zukunftsorientierung Anlass geben kann. Es muss allerdings daran

erinnert werden, dass dies nicht für die typenmäßige Charakterisierung der Heranwachsenden

als „schwierig“ gilt, die eine sehr geringe Stabilität aufweist, wie in Kapitel 2 ausführlich

dargestellt wurde. Elterliches Streitverhalten zu t5 wirkt sich noch nicht verstärkend auf eine

negative Zukunftsorientierung aus (-.27), sondern führt im Gegenteil zu einer Verringerung

der Neigung, sich negativen Zukunftserwartungen hinzugeben. Den betroffenen Kindern

gelingt es im Alter von elf Jahren offenbar noch, trotz der elterlichen Konflikte bedrohliche

Zukunftskonstruktionen zu vermeiden. Zum aktuellen Untersuchungszeitpunkt (t6) hat das

Streitverhalten jedoch einen deutlichen Einfluss auf die Erwartung einer negativen

Zukunftsentwicklung (.40). In dieser Entwicklungsperiode kommt es in vielen Familien zu

einer zum Teil sehr ausgeprägten Verschlechterung der familiären Kommunikation, wie

Kreppner in einer Längsschnittuntersuchung der Kommunikationsformen zwischen Eltern

und ihren Söhnen und Töchtern zeigen konnte (s. Rollett, 2000). Die Art der Kommunikation

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95

verändert sich zwischen elf und fünfzehn Jahren nachhaltig in Richtung eines aggressiveren

Umgangs miteinander. Diese negative Entwicklung zeigt auch der Vergleich der Variable

„Kommunikation“ aus dem Bindungsfragebogen zwischen t5 und t6: Sowohl bezüglich des

Vaters als auch der Mutter kommt es zu einer sehr signifikanten Verschlechterung. Es kann

daher vermutet werden, dass die negativen Auswirkungen des elterlichen Streitverhaltens zu

t6 auf die Zukunftskonstruktionen der Jugendlichen unter anderem durch ein allgemein

ungünstigeres, von mehr „Expressed Emotion“ (Neigung zum Ausdruck negativer Gefühle)

charakterisiertes Gesprächsklima zustande kommen. Ein Blick auf die Vorzeichen der

manifesten Variablen, welche die beiden latenten Variablen „Bindung an die Mutter“ und

„Bindung an den Vater“ konstituieren (s. Tab. 42) bestätigt diese Vermutung: Anders als bei

der Vorhersage der positiven Zukunftsorientierung spielen bei der negativen

Zukunftsorientierung eine ungünstig beurteilte Kommunikation und ein mangelndes

Vertrauen sowie eine negativ eingeschätzte emotionale Beziehung und das Erleben von

Entfremdung die entscheidende Rolle. Dementsprechend geht elterliches Streitverhalten zu t6

auch mit einer negativen Einschätzung der Bindung an den Vater einher, wie der Pfad von .21

zeigt. Im Gegensatz zur positiven Zukunftsorientierung spielt eine problematische

Persönlichkeit der Jugendlichen bei der negativen Zukunftskonstruktion eine wichtige Rolle,

wie der direkte Pfad von .32 ausweist. Für die längsschnittliche Entwicklung einer

ungünstigen Persönlichkeit ist vor allem das elterliche Streitverhalten beim Übergang in die

Pubertät (t5) von Einfluss, wie der Pfad von .45 zeigt.

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96

Tab. 42. Negative Zukunftsorientierung: PLS-Pfadkoeffizientenmatrix

Pfade von: Str t2

Tp t2

Str t4

Erz t4

Str t5

Str t6

PrP t6

BV t6

BM t6

Pb t6

Ko t6

b

Nach: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

1 t2 Elt. Streitverhalten 0

2 t2 Temp. neg

27

3 t4 Elt. Streitverhalten 62 20

4 t4 Erz.Verh. . -18 -34

5 t5 Elt. Streitverhalten 17 . 64 .

6 t6 Elt. Streitverhalten . . 35 . 42

7 t6 Probl.Persönl. . . . . 45 .

8 t6 N.Bind.Va. (positiv)

. . . 42 . 21 31

9 t6 N.Bind.Mu. (positiv)

. . 31 . . . . 82

10 t6 Probl.Belast. . -24 -15 . 28 . 26 40 20

11 t6 Konstanz 31 . -35 . 19 . . 19 -34 .

12 t6 Negative ZukunftsorientierungDirekte Pfade

. -29 . . -27 40 32 . . . . NZO

Legende: NZO = negative Zukunftsorientierung

Das Befundmuster deutet insgesamt auf eine zunehmend ungünstigere Gestaltung der

Entwicklung der eigenen Zukunftsorientierung hin, wenn ein durch die beschriebenen

Einflussfaktoren initiierter negativer Entwicklungsprozess einmal in Gang gekommen ist.

5.7 Typen der Zukunftsorientierung

Die pfadanalytischen Resultate haben gezeigt, dass die Entwicklung positiver im Gegensatz

zu negativen Zukunftsorientierungen unterschiedlichen Entwicklungslinien folgt. Um diese

allgemeinen Ergebnisse auf konkrete Typen von Jugendlichen beziehen zu können, soll im

nächsten Auswertungsschritt auf den typenorientierten Ansatz zurückgegriffen werden. Dazu

ist es notwendig, Gruppen von Jugendlichen mit charakteristischen Zukunftsorientierungen zu

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97

identifizieren. Zu diesem Zweck wurden Clusteranalysen nach dem Verfahren von Ward

durchgeführt, wobei sämtliche Skalen des Zukunftsorientierungs in die Analyse einbezogen

wurden. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Skalen: 1. Entwicklung in Richtung

freundliche Gesellschaft, 2. Zukünftige gesellschaftliche Probleme, 3. Entwicklung in

Richtung bedrohte Gesellschaft, 4. Konstanz der eigenen Persönlichkeit, 5. Zukünftige

positive Lebensgestaltung, 6. Persönliche Problembelastung, 7. Konstanz der

Lebensumstände, 8. Gegenwärtige gesellschaftliche Probleme und 9. Glaube an eine gerechte

Welt.

Die Resultate der Clusteranalyse legten eine 5-Clusterlösung nahe. Die resultierenden fünf

Zukunftsorientierungstypen unterscheiden sich in charakteristischer Weise hinsichtlich der

Bewertung ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssituation und der Erwartung einer

positiven im Gegensatz zu einer negativen Zukunftsgestaltung, wie aus Abb. 14 zu

entnehmen ist.

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98

Abb. 14. Unterschiede zwischen den Zukunftsorientierungsclustern in den Skalen des Zukunftsfragebogens

0

1

2

3

4

5

6

Entwicklungin

Richtung

freundlicheG

esellschaft

Zukünftigegesellschaftliche

Probleme

Entwicklung in

Richtung bedrohteG

esellschaft

Konstanz der

eigenenPersönlichkeit

Zukünftige positiveLebensgestaltung

PersönlicheProblem

belastung

Konstanz derLebensum

stände

Gegenw

ärttigegesellschaftliche

Probleme

Gerechte W

elt

Zukunftspesimistische,GegenwartsproblemebagatellisierendeGruppe

RealistischeNormalgruppe

Auf Konstanz bauende,problemsensitiveGruppe

Allgemeinpesimistische,problembelasteteGruppe

Optimistische,unbelastete Gruppe

Die zahlenmäßigen Angaben zu den folgenden Beschreibungen der fünf

Zukunftsorientierungstypen können den Tab. 43 bis Tab. 46 entnommen werden. In diesen

sind die Mittelwerte und Streuungen sowie die Signifikanz der Unterschiede zwischen den

Clustern in den Skalen des Zukunftsorientierungsfragebogens und jenen des NEO-FFI

aufgeführt sind. Erstere Unterschiede sind sämtlich höchst signifikant. In den

Persönlichkeitsdimensionen unterscheiden sich die Zukunftsorientierungstypen zum Großteil

signifikant. Im Fall der Extraversion wird die Signifikanzgrenze knapp verfehlt (p= .054).

Signifikante Differenzen zwischen den einzelnen Zukunftsorientierungsclustern wurden mit

Hilfe des Verfahrens von Tamhane berechnet. In Tab. 43 bis Tab. 46 geben ausgezogene

Klammern signifikante Differenzen zwischen den Clustern an, punktierte tendenziell

signifikante Differenzen.

Die positivste Zukunftsorientierung, sowohl was die Gegenwarts- als auch die Zukunftssicht

betrifft, zeigt die (neun Prozent der Jugendlichen umfassende) „Optimistische, unbelastete

Gruppe“ (Gruppe O), wie wir sie bezeichnet haben. Diese Jugendlichen weisen außerdem die

niedrigste Problembelastung auf und glauben am ehesten an eine gerechte Welt. Im NEO-FFI

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fallen sie durch die höchsten Ausprägungen in den Dimensionen Gewissenhaftigkeit,

Verträglichkeit, Offenheit, Extraversion und den geringsten Neurotizismuswert auf.

Den Gegensatz dazu bildet die „Allgemein pessimistische, problembelastete Gruppe“ (Gruppe

AP, 12%), für die alle Charakteristika einer negativen Zukunftsorientierung zutreffen. Diese

Jugendlichen haben außerdem die niedrigste Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und

Extraversion und den höchsten Neurotizismuswert, verfügen aber über die zweithöchste

Offenheit für (kulturelle) Erfahrungen.

Der Gruppe der „Gesellschaftsbezogen zukunftspessimistischen, Gegenwartsprobleme

bagatellisierenden“ Jugendlichen (Gruppe ZP, 20%) gelingt es zwar weitgehend, ihren

gegenwärtigen Alltag und ihre persönliche Zukunft günstig wahrzunehmen, sie haben aber die

niedrigste Erwartung einer Entwicklung der Gesellschaft in eine freundliche Richtung. In der

Skala „Erwartungen zukünftiger gesellschaftlicher Probleme“ zeigen sie eine ähnlich

ungünstige Ausprägung, wie dies bei der Allgemein pessimistischen Gruppe der Fall ist. Sie

fallen außerdem durch den niedrigsten Wert in der NEO-FFI-Skala „Offenheit für

Erfahrungen“ auf und unterscheiden sich diesbezüglich tendenziell von der Allgemein

pessimistischen Gruppe in charakteristischer Weise.

Die „Realistische Normalgruppe“ liegt in den Werten des Zukunftsorientierungsfragebogens

im Mittelbereich. Sie bildet mit 41% die größte Gruppe (Gruppe R). Diese Jugendlichen

sehen zwar gegenwärtige und zukünftige Probleme in durchaus realistischer Weise, lassen

sich jedoch dadurch ihre positive Zukunftssicht nicht beeinträchtigen. Auch bezüglich der

NEO-FFI-Persönlichkeitsdimensionen liegen sie, verglichen mit den anderen Gruppen, im

Mittelbereich.

Eine interessante Zukunftsorientierungsgruppe bildet die „Auf Konstanz bauende,

problemsensitive Gruppe“ (Gruppe K, 18%), die Probleme zwar wahrnimmt, aber auf die

Konstanz der eigenen Persönlichkeit und Lebensumstände als Ressource vertraut, um mit

ihnen fertig zu werden. Sie weisen eine sehr optimistische Sicht ihrer zukünftigen

Lebensgestaltung auf. Jugendliche dieser Gruppe zeigen den zweithöchsten Wert in der

Variable Extraversion. Sie sind zwar an Sozialkontakten interessiert, neigen aber zu

aggressivem Durchsetzungsverhalten in Konfliktsituationen. Von der optimistischen Gruppe

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unterscheiden sie sich durch eine signifikant niedrigere Verträglichkeit. Möglicherweise

resultiert daher ihre von ihnen selbst höher eingeschätzte aktuelle Problembelastung.

Tab. 43. Unterschiede der Zukunftsorientierungscluster in den Skalen 1-3 des

Zukunftsorientierungsfragebogens

p<000,61,69,86,72,50,94

ZP 3,92R 3,42K 4,35PP 4,25O 2,01

3,66

Entwicklung in 1 N = 28Richtung bedrohte 2 N = 56Gesellschaft 3 N = 25

4 N = 165 N = 12

Gesamt N = 137

p<000,48,82,73,34,54,82

ZP 4,54R 3,69K 4,41PP 4,56O 3,11

4,05

Zukünftige 1 N = 28gesellschaftliche 2 N = 56Probleme 3 N = 25

4 N = 165 N = 12

Gesamt N = 137

p<000,89,74,97

1,04,37

1,01

ZP 3,13R 4,04K 4,29PP 3,29O 5,17

3,90

Entwicklung in 1 N = 28Richtung freundliche 2 N = 56Gesellschaft 3 N = 25

4 N = 165 N = 12

Gesamt N = 137

SignifikanzStandardab-weichung

MittelwertZO-Skalen

Legende: _____ signifikante Differenzen (nach Tamhane) zwischen den Gruppen

------- Tendenz

Tab. 44. Unterschiede der Zukunftsorientierungscluster in den Skalen 4-6 des Zukunftsorientierungsfragebogens

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101

p<000,91,71

1,04,94,62,97

ZP 2,53R 2,75K 3,02PP 3,92O 1,89

2,81

Persönliche 1 N = 28Problem- 2 N = 56belastung 3 N = 25

4 N = 165 N = 12

Gesamt N = 137

p<000,48,51,50,50,31,57

ZP 4,65R 4,59K 4,91PP 4,09O 5,34

4,67

Zukünftige 1 N = 28positive 2 N = 56Lebensgestaltung 3 N = 25

4 N = 165 N = 12

Gesamt N = 137

p<000,63,51,72,46,80,73

ZP 3,65R 3,77K 4,67PP 4,32O 4,67

4,05

Konstanz 1 N = 28der eigenen 2 N = 56Persönlichkeit 3 N = 25

4 N = 165 N = 12

Gesamt N = 137

SignifikanzStandardab-weichung

MittelwertZO-Skalen

Legende: _____ signifikante Differenzen (nach Tamhane) zwischen den Gruppen

------- Tendenz

Tab. 45. Unterschiede der Zukunftsorientierungscluster in den Skalen 7-9 des

Zukunftsorientierungsfragebogens

p<000,64,63,81

1,06,86,77

ZP 3,37R 3,56K 3,60PP 3,21O 4,12

3,54

Gerechte 1 N = 28Welt 2 N = 56

3 N = 254 N = 165 N = 12

Gesamt N = 137

p<0001,291,031,121,191,461,32

ZP 2,96R 4,24K 4,64PP 4,94O 3,62

4,08

Gegenwärtige 1 N = 28gesellschaftliche 2 N = 56Probleme 3 N = 25

4 N = 165 N = 12

Gesamt N = 137

p<000,50,56,47,55,50,65

ZP 4,23R 3,91K 4,83PP 3,73O 4,75

4,20

Konstanz der 1 N = 28Lebensumstände 2 N = 56

3 N = 254 N = 165 N = 12

Gesamt N = 137

SignifikanzStandardab-weichung

MittelwertZO-Skalen

Legende: _____ signifikante Differenzen (nach Tamhane) zwischen den Gruppen

------- Tendenz

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102

Tab. 46. Unterschiede der Zukunftsorientierungscluster in den Persönlichkeitsdimensionen des NEO-FFI

0,0079,387,447,096,425,817,89

ZK 29,36R 31,80K 30,20PP 35,37O 25,08

30,84

Neurotizismus 1 N = 282 N = 563 N = 254 N = 165 N = 12

Gesamt N = 137

0,0547,686,845,266,564,146,68

ZK 46,29R 47,41K 49,32PP 44,62O 51,08

47,53

Extraversion 1 N = 282 N = 563 N = 254 N = 165 N = 12

Gesamt N = 137

0,0287,087,216,095,036,206,86

ZK 40,11R 44,46K 42,64PP 45,06O 45,92

43,44

Offenheit 1 N = 282 N = 563 N = 254 N = 165 N = 12

Gesamt N = 137

0,0175,584,724,455,992,945,05

ZK 41,96R 43,37K 41,48PP 39,87O 45,58

42,53

Verträglichkeit 1 N = 282 N = 563 N = 254 N = 165 N = 12

Gesamt N =137

0,0297,007,268,24

10,217,157,97

ZK 44,32R 42,68K 43,24PP 37,75O 46,83

42,91

Gewissenhaftigkeit 1 N = 282 N = 563 N = 254 N = 165 N = 12

Gesamt N =137

Sign.(ANOVA)

Standardab-weichung

MittelwertNEO-FFI Skala

Legende: _____ signifikante Differenzen (nach Tamhane) zwischen den Gruppen

------- Tendenz

Für die Beratungspraxis sind vor allem die berichteten Ergebnisse zur Lage der allgemein

pessimistischen Clustergruppe und der Gruppe der „Gesellschaftsbezogen

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103

zukunftspessimistischen, Gegenwartsprobleme bagatellisierenden“ Jugendlichen von

Bedeutung. Auf sie soll daher kurz eingegangen werden. Wie die hohen Neurotizismuswerte

der pessimistischen Gruppe zeigen, handelt es sich um sehr labile Jugendliche. Ihre geringen

Extraversionswerte lassen vermuten, dass sie dazu neigen, sich sozialen Erfahrungen zu

entziehen, was ihre Problematik zusätzlich verstärken dürfte, da die Gefahr besteht, dass sie

sich zunehmend immer mehr isolieren. Unterstützt wird diese ungünstige Entwicklung noch

dadurch, dass sie ebenfalls nur über eine vergleichsweise gering ausgeprägte Verträglichkeit

verfügen. Auch ihre niedrigen Werte in der Skala Gewissenhaftigkeit stellen einen gewissen

Risikofaktor dar, da dies bedeuten kann, dass sie ihnen übertragene Aufgaben eher

mangelhaft erledigen, was zu Konflikten mit ihrer sozialen Umwelt Anlass geben kann.

Die Jugendlichen, die der Gruppe der „Gesellschaftsbezogen zukunftspessimistischen,

Gegenwartsprobleme bagatellisierenden“ Adoleszenten angehören, stellen vor allem deshalb

eine Risikogruppe dar, weil sie einseitig auf die Gegenwart fokussiert sind, gleichzeitig aber

die Zukunft in einer negativen Perspektive sehen. Diese Diskrepanz kann langfristig zu

Problemen Anlass geben, wenn sie dazu führt, dass die Betroffenen zu wenig in die

Gestaltung ihrer eigenen Zukunft investieren.

In beiden Fällen ist es notwendig, Jugendliche, bei denen derartige Entwicklungen zu

befürchten sind, möglichst früh zu identifizieren, um ihnen entsprechende Hilfen anbieten zu

können. Die in der vorliegenden Studie eingesetzten Diagnoseinstrumente können dabei eine

Entscheidungsgrundlage darstellen.

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6. Die Berufsinteressen der Jugendlichen Brigitte Rollett und Monika Pucher

6.1 Erhebung der Berufsinteressen

Eine wichtige „Entwicklungsaufgabe“ in der Adoleszenz besteht in der Auswahl eines den

eigenen Interessen und Kompetenzen entsprechenden Berufsweges. Den Jugendlichen der

Untersuchungsstichprobe wurde daher der Berufsinteressentest von Irle und Allehoff (1984)

vorgelegt. Bei diesem Verfahren werden die Jugendlichen danach gefragt, wie gern bzw.

ungern sie eine bestimmte berufliche Tätigkeit ausüben würden, wobei eine fünf-stufige Skala

benützt wird (Beispielitem: „In der Fabrik Produktionskosten berechnen“).

Für die individuenbezogene Auswertung werden die Summenwerte der einzelnen Probanden

in Prozentränge umgewandelt. Nach den Auswertungsrichtlinien des Tests bedeutet ein

Prozentrang von 15 und weniger bezüglich des Interesses an einem Berufsfeld „Abneigung“,

ein Prozentrang von 85 bis 94 „hohes Interesse“ und ein Prozentrang von 95 und höher „sehr

hohes Interesse“. Für die folgenden Auswertungen wurden zwei weitere Kategorien gebildet,

um eine größere Differenzierung zu erreichen: Prozentrang 16 bis 50 wurde als „eher

Abneigung“ gegen das betreffende Berufsfeld bezeichnet, Prozentrang 51 bis 84 mit „eher

Interesse“ an dem Berufsfeld. Da sich nur vereinzelt Jugendliche mit einem Prozentrang von

95 und mehr vorfanden, wurden sie für die folgenden Auswertungen zur Kategorie „hohes

Interesse“ dazugezählt. Tab. 47 gibt die resultierenden Häufigkeiten für die verschiedenen

Ausprägungen des Interesses der Jugendlichen an den einzelnen Berufen an.

Tab. 47. Berufsinteressen der Jugendlichen: Häufigkeiten der Ausprägungen

Berufsinteresse TH EH VB GH LF LG TN KB SE Abneigung 47 38 54 58 75 36 54 53 34 eher Abneigung 56 47 44 32 32 39 44 49 57 eher Interesse 23 35 18 25 20 31 25 18 33 hohes Interesse 11 17 21 22 10 31 13 17 13 TH = Technisches Handwerk EH = Ernährungs-Handwerk VB = Verwaltende Berufe GH =Gestaltendes Handwerk LF = Land- und forstwirtschaftliche Berufe TN = Technische und naturwissenschaftliche Berufe

LG = Literarische und geisteswissenschaftliche Berufe

SE = Sozialpflege und Erziehung KB = Kaufmännische Berufe

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105

In den folgenden Auswertungen wird je nach Fragestellung entweder auf die individuellen

Prozentrangkategorien oder die Originaldaten zurückgegriffen.

6.2 Bevorzugungen von und Abneigungen gegen bestimmte Berufsfelder

Wie bereits aus Tab. 47 ersichtlich ist, sind die Abneigungen gegen die einzelnen Berufsfelder

wesentlich ausgeprägter als die Interessensbekundungen. Zur besseren Veranschaulichung

werden in Abb. 15 die Angaben der Jugendlichen über ihre Bevorzugung bzw. Abneigung

gegenüber den im Berufsinteressentest abgefragten Berufen in Prozent wiedergegeben.

05

1015202530354045

Tec

hnis

ches

Han

dwer

k

Ernä

hrun

gs-H

andw

erk

Ver

wal

tend

e B

eruf

e

Ges

talte

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Han

dwer

k

Land

- und

Fors

twirt

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heB

eruf

e

Lite

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Gei

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chaf

tlich

e B

eruf

e

Tech

nisc

he u

ndN

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wis

sens

chaf

tlich

eB

eruf

e

Kau

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nisc

he B

eruf

e

Sozi

alpf

lege

und

Erzi

ehun

g

Proz

ent

Abneigungeher Abneigungeher Interessehohes Interesse

Abb. 15. Berufsinteressen: Prozentangaben

Wie Abb. 15 zeigt, finden sich klare Bevorzugungen einer bestimmten Berufskategorie nur

bei 6% (Technisches Handwerk) bis höchstens 17% (Literarische und

Geisteswissenschaftliche Berufe) der Jugendlichen der Studie. Zwischen 10% und 20% der

Jugendlichen haben an den abgefragten Berufen zumindest „eher Interesse“. Dies bestätigt

Erfahrungen aus der Beratungspraxis, die zeigen, dass viele Jugendliche dieser Altersgruppe

über klare Vorstellungen über den von ihnen gewünschten Berufsweg verfügen. Dies kann im

Einzelfall zu unüberlegten Entscheidungen bezüglich der Berufswahl bzw. der

eingeschlagenen Ausbildungswege führen. Bei jenen Jugendlichen, die bereits nach

Absolvierung der neunjährigen Schulpflicht in das Berufsleben eintreten, ist daher häufig ein

Wechsel, entweder schon während der Berufsausbildung oder nach ihrem Abschluss, zu

beobachten.

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106

6.3 Berufsinteressen von männlichen und weiblichen Jugendlichen im Vergleich

Im nächsten Auswertungsschritt wurden Unterschiede in den Berufsinteressen zwischen

männlichen und weiblichen Jugendlichen varianzanalytisch überprüft, wobei die Rohwerte

verwendet wurden (s. Tab. 48).

Tab. 48. Berufsinteressen und Geschlecht der Jugendlichen (ANOVA)

Berufsinteressen N M SD p

Technisches Handwerk weiblich 71 1.62 .639

.001 männlich 66 2.20 .932 Gesamt 137 1.90 .843

Ernährungs-Handwerk weiblich 71 2.77 .621

.032 männlich 66 2.51 .765 Gesamt 137 2.64 .703

Verwaltende Berufe weiblich 71 1.91 .745

.002 männlich 66 2.35 .848 Gesamt 137 2.13 .824

Gestaltendes Handwerk weiblich 71 3.02 .846

<.001 männlich 66 1.95 .737 Gesamt 137 2.51 .957

Land- und Forstwirtschaftliche Berufe weiblich 71 2.37 .895

.374 männlich 66 2.24 .876 Gesamt 137 2.31 .885

Literarische und Geisteswissenschaftliche Berufe

weiblich 71 2.84 .877 <.001 männlich 66 2.20 .858

Gesamt 137 2.53 .923

Technische und Naturwissenschaftliche Berufe

weiblich 71 2.00 .756 <.001 männlich 66 2.47 .784

Gesamt 137 2.23 .803

Kaufmännische Beruf weiblich 71 2.25 .608

.274 männlich 66 2.38 .807 Gesamt 137 2.31 .711

Sozialpflege und Erziehung weiblich 71 3.08 .812

<.001 männlich 66 2.31 .789 Gesamt 137 2.71 .887

Kodierung: 1= sehr ungern 2= ungern 3 = weder gerne och ungern 4 = gern 5 = sehr gern

Die erzielten Resultate entsprechen weitgehend den unterschiedlichen

Geschlechtsrollenbildern: Die männlichen Jugendlichen zeigen signifikant höhere

Ausprägungen beim technischen Handwerk, den verwaltenden Berufen sowie den technischen

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107

und naturwissenschaftlichen Berufen, die weiblichen Jugendlichen beim

Ernährungshandwerk, dem gestaltenden Handwerk, den literarischen und

geisteswissenschaftlichen Berufen und der Sozialpflege und Erziehung. Keine Unterschiede

fanden sich bei den land- und forstwirtschaftlichen sowie den kaufmännischen Berufen. Aus

Abb. 16 sind die unterschiedlichen Bevorzugungen ersichtlich.

Sozialpflege und Erziehung

Kaufmännische Berufe

Technische und N

aturwissenschaftliche

Berufe

Literarische und G

eisteswissenschaftliche

Berufe

Land- und Forstw

irtschaftliche Berufe

Gestaltendes H

andwerk

Verwaltende Berufe

Ernährungs-Handw

erk

Technisches Handw

erk

4

3

2

1

0

männlichweiblich

Abb. 16. Berufsinteresse nach Geschlecht Kodierung: 1= sehr ungern 2= ungern 3 = weder gerne och ungern 4 = gern 5 = sehr gern

6.4 Die Bedeutung bestimmter Aspekte der individuellen Soziabilität für die Berufswahl

Im Zuge der Berufsberatung ist es wichtig, nicht nur festzustellen, ob die Ratsuchenden sich

für bestimmte Berufsgruppen interessieren, sondern auch, ob sie in diesem Rahmen eher

Umgang mit Menschen suchen oder diesen lieber vermeiden möchten. Dies hat wesentliche

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108

Auswirkungen auf die Zufriedenheit im Beruf. Dieselbe Berufskategorie kann Positionen

anbieten, bei denen man ständig mit Menschen zu tun hat und andere, bei denen dies kaum

der Fall ist. Aus diesem Grund wurde zusätzlich zu dem Berufsinteressentest der F-BIL von

Pollmann (1996) administriert, der die Bereitschaft erfasst, im Beruf mit Kunden aktiv

Kontakt aufzunehmen bzw. Gespräche zu führen.

6.4.1 Methodisches Vorgehen

In einem ersten Auswertungsschritt wurden die Items des F-BIL einer Faktorenanalyse

(Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation) unterzogen. Es ergaben sich zwei klar

unterschiedene Faktoren mit einem Eigenwert über 1. Die Trennschärfen der resultierenden

Skalen liegen zwischen .534 und .634. Der erste Faktor beinhaltet 5 Items, die Tätigkeiten

umfassen, bei denen zwar Kontakt mit Menschen notwendig ist, die Intensität der

Interaktionen mit ihnen aber selbst gestaltet werden kann (Beispielitem: „In einem Hotel

Gäste betreuen“, Cronbach`s Alpha = .81). Der zweite Faktor besteht aus Items, in denen vom

Akteur intensive Gesprächskontakte verlangt werden (Beispielitem: „Eine Diskussion in der

Schule leiten“, Cronbach`s Alpha = .76).

Zur Überprüfung der Validität wurden die Skalen der Persönlichkeitsdimensionen des NEO-

FFI (s. Tab. 49) und die Skalen „Extraversion“ und „Introversion“ aus dem

Temperamentsfragebogen (s. Tab. 50) herangezogen. Die Korrelationen sind zwar nicht sehr

hoch, liegen aber in der erwarteten Richtung.

Tab. 49. Korrelation nach Pearson: F-BIL-Skalen und NEO-FFI zu t6

NEO-FFI Skalen Berufliche Interaktionsbereitschaft Berufliche Kommunikationsbereitschaft Offenheit ,240** ,334** Extraversion ,242** ,327** ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant.

Tab. 50. Korrelation nach Pearson: F-BIL-Skalen und Temperament der Jugendlichen zu t6 Temperament Berufliche Interaktionsbereitschaft Berufliche Kommunikationsbereitschaft Extraversion ,242** ,327** Introversion -.169 -.215* ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. *Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant.

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109

6.5 Die Bedeutung der beruflichen Interaktions- und Kommunikationsbereitschaft für die beruflichen Interessen

Um ermitteln zu können für welche Berufsinteressen die selbsteingeschätzte berufliche

Interaktions- und Kommunikationsbereitschaft von Bedeutung sind, wurden Korrelationen

berechnet. Hier zeigen sich interessante Ergebnisse. Jugendliche, die sich für das technische

Handwerk interessieren, geben nur eine geringe berufliche Interaktions- und

Kommunikationsbereitschaft an. Bei den verwaltenden Berufen sowie den technischen und

naturwissenschaftlichen Berufen besteht eine ähnliche Lage bezüglich der beruflichen

Interaktionsbereitschaft, jedoch sehr signifikante, wenn auch niedrige Korrelationen im

Hinblick auf die beruflichen Kommunikationsbereitschaft (.312 bzw. .227).

Jugendliche, die Probleme beim Kontakt mit Menschen haben, neigen offenbar dazu, sich für

Berufe zu interessieren, bei denen diese Kompetenzen nicht bzw. nicht in exzessiver Form

gefordert werden.

Auf der anderen Seite bestehen deutlich ausgeprägte Korrelationen in jenen Berufsfeldern, die

mit Menschen zu tun haben, wie den kaufmännischen Berufen und im Berufsfeld Sozialpflege

und Erziehung. Die vergleichsweise hohen Korrelationen bei den Berufsfeldern

Ernährungshandwerk und gestaltendes Handwerk könnten dadurch begründet sein, dass diese

Berufsgruppen auf einen Abnehmerkreis hinzielen, der von der Qualität der Produkte

überzeugt werden muss.

Überraschend sind die relativ hohen Korrelationen bei den land- und forstwirtschaftlichen

Berufen. Möglicherweise sehen die Jugendlichen, die sich für dieses Berufsfeld interessieren,

darin unter anderem eine Chance, in Teams zu arbeiten. Eine Reihe der Items dieser Skala

weisen in diese Richtung (z.B. „Nutzholzforste anpflanzen“ oder „neue Tiergattungen in

Waldgebieten ansiedeln“), da es sich um Tätigkeiten handelt, die nicht in Einzelarbeit zu

erledigen sind, sondern Interaktionen im Team erfordern. Interesse für die literarisch-

geisteswissenschaftliche Berufsgruppe geht eher mit der Bereitschaft, zu kommunizieren

einher und weniger mit jener zur Interaktion, obwohl auch zu letzterer signifikante, wenn

auch deutlich niedrigere Korrelationen bestehen.

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Tab. 51. Berufsinteressen und Interaktions- bzw. Kommunikationsbereitschaft: Korrelationen

Berufsinteressen Berufliche Interaktionsbereitschaft

Berufliche Kommunikationsbereitschaft

Technisches Handwerk .090 .167 Ernährungshandwerk .651** .461** Verwaltende Berufe .164 .312** Gestaltendes Handwerk .666** .558** Land- und forstwirtschaftliche Berufe .506** .408** Literarische und geisteswissenschaftliche Berufe .364** .507** Technische und naturwissenschaftliche Berufe .144 .227** Kaufmännische Berufe .503** .547** Sozialpflege und Erziehung .651** .660** ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. *Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant. Die Ergebnisse bestätigen die Bedeutung der individuellen Interaktions- und

Kommunikationsbereitschaft für die interessensgeleitete Berufswahl. Welche Beziehungen

zwischen den Berufsinteressen und den bevorzugten Freizeitaktivitäten bestehen, wird im

nächsten Kapitel in Abschnitt 7.15 dargestellt.

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7. Das jugendtypische Freizeitverhalten Brigitte Rollett, Karin Brandl, Monika Pucher und Harald Werneck

Nicht nur die Auseinandersetzung mit der Berufswahl, sondern auch die Gestaltung eines

angemessenen jugendlichen Freizeitverhaltens stellt eine bedeutende Entwicklungsaufgabe

des Jugendalters dar. Das jugendliche Freizeitverhalten liefert außerdem den Rahmen für die

jugendliche Ablösung von den Eltern und die Integration in gleichgesinnte (in diesem Alter

zunehmend gemischt geschlechtlich zusammengesetzte) Peergruppen. Es eröffnet

Möglichkeiten, sich selbst in verschiedenen selbst gewählten Kontexten besser kennen zu

lernen und zu erproben. Bei diesem Prozess spielen sowohl individuelle

persönlichkeitsbezogene als auch familiäre und peergruppenbezogene Rahmenbedingungen

eine Rolle.

7.1 Zur Methodik: Entwicklung eines Freizeitverhaltens-fragebogens

Für die vorliegende Untersuchung wurde ein neuer Freizeitverhaltensfragebogens entwickelt.

Die Items wurden in Form einer vierstufigen Likertskala (von „nie“ bis „sehr häufig“

abgefragt. Faktorenanalytisch konnten sechs Skalen ermittelt werden: 1. „Kulturelles

Freizeitverhalten“, 2. „Jugendtypisches gesellschaftliches Freizeitverhalten“, 3. „Praktisch-

kreatives Freizeitverhalten“, 4. Medienorientiertes Freizeitverhalten“, 5. „Sportbezogenes

Freizeitverhalten“ und 6. „Traditionelles Freizeitverhalten“. In Tab. 52 findet sich ein

Überblick über die Skalen.

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Tab. 52. Skalen des Freizeitverhaltensfragebogens

Skala Item-anzahl α Trennschärfen Beispielitem

1. Kulturelles Freizeitverhalten 11 .82 .367 - .607 „Theater, Museen, Galerien besuchen“

2. Jugendtypisches gesellschaftliches Freizeitverhalten

9 .80 .351 - .568 „In die Disco gehen“

3. Praktisch kreatives Freizeitverhalten

4 .66 .352 - .589 „Basteln, Heimwerken, o. ä.“

4. Medienorientiertes Freizeitverhalten 5 .59 .248 - .517 „Im Internet surfen“ 5. Sportbezogenes Freizeitverhalten 2 .70 .434 - .541 „Sport/sportliche Betätigung,

Fitness“ 6. Traditionelles Freizeitverhalten 5 .53 .253 - .377 „Gesellschaftsspiele spielen“ α = Cronbach`s Alpha

Mit Ausnahme der Skala „Traditionelles Freizeitverhalten“ liegen alle Reliabilitäten im

akzeptablen bis guten Bereich.

7.2 Häufig und weniger häufig ausgeübte Freizeitaktivitäten Wie aus Abb. 17 hervorgeht, in der die Bevorzugungen der einzelnen Freizeitbetätigungen

dargestellt werden, wird das medienorientierte Freizeitverhalten am häufigsten ausgeübt,

gefolgt vom sportbezogenen und traditionellen Freizeitverhalten, am seltensten die praktisch-

kreativen Freizeitaktivitäten.

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113

3

2

1

0 traditionelles Freizeitverhalten

sportbezogenes Freizeitverhalten

medienorientiertes

Freizeitverhalten

praktisch-kreatives Freizeitverhalten

jugendtypisches gesellschaftliches Freizeitverhalten

kulturelles Freizeitverhalten

Abb. 17. Bevorzugtes Freizeitverhalten Legende: 1=nie, 2=gelegentlich, 3=häufig, 4=sehr häufig

Im Folgenden wird verschiedenen Fragestellungen nachgegangen, die sich auf die

Bevorzugung bestimmter Freizeitbeschäftigungen beziehen.

7.3 Kognitive Kompetenzen und bevorzugtes Freizeitverhalten

Da zu vermuten war, dass bestimmte Freizeitinteressen und damit auch die Ausübung dieser

Freizeitformen mit den kognitiven Kompetenzen der Jugendlichen in Beziehung stehen,

wurden diese mit Hilfe des Wortschatztests und des Zahlenfolgentests aus dem CFT-20

erhoben. Hier zeigt sich, dass jenes Viertel der Jugendlichen, die in beiden Fällen die

geringsten Fähigkeiten aufweisen, sehr signifikant häufiger medienorientiertes

Freizeitverhalten ausüben als das Quartil mit den besten Leistungen im CFT-20 (s. Tab. 53

und Tab. 54). Beim kulturellen Freizeitverhalten zeigt die Gruppe mit den besten Ergebnissen

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im Wortschatztest des CFT-20 tendenziell eine höhere Bevorzugung. Das Ergebnis verfehlt

die Signifikanzgrenze nur sehr knapp.

Tab. 53. Freizeitverhalten und Leistungen im Wortschatztest (ANOVA)

FV-Skala Prozentrang im Wortschatztest N M SD p

Kulturelles FV¹ 0-24 PR 8 1.78 0.38

.053 25-74 PR 85 1.85 0.52 75-100 PR 44 2.07 0.52

Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹

0-24 PR 8 2.19 0.54 .835 25-74 PR 85 2.29 0.58

75-100 PR 44 2.32 0.55

Praktisch-kreatives FV² 0-24 PR 8 2.13 0.60

.220 25-74 PR 85 1.76 0.59 75-100 PR 44 1.78 0.61

Medienorientiertes FV¹ 0-24 PR 8 3.05 0.55

.044 25-74 PR 85 2.76 0.52 75-100 PR 44 2.58 0.58

Sportbezogenes FV¹ 0-24 PR 8 2.50 1.10

.233 25-74 PR 85 2.67 0.74 75-100 PR 44 2.41 0.94

Traditionelles FV¹ 0-24 PR 8 2.45 0.61

.654 25-74 PR 85 2.49 0.50 75-100 PR 44 2.58 0.61

Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; PR= Prozentrang; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl,2008)

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Tab. 54. Freizeitverhalten und Leistungen im Zahlenfolgentest (ANOVA)

FV-Skala Prozentrang im Zahlenfolgentest N M SD p

Kulturelles FV 0-24 PR 23 2.02 0.54

.429 25-74 PR 78 1.93 0.56 75-100 PR 36 1.84 0.42

Jugendtypisches gesellschaftliches FV

0-24 PR 23 2.49 0.54 .065 25-74 PR 78 2.31 0.59

75-100 PR 36 2.15 0.47

Praktisch-kreatives FV 0-24 PR 23 1.98 0.72

.235 25-74 PR 78 1.76 0.58 75-100 PR 36 1.72 0.54

Medienorientiertes FV 0-24 PR 23 3.07 0.46

.001 25-74 PR 78 2.70 0.56 75-100 PR 36 2.52 0.50

Sportbezogenes FV 0-24 PR 23 2.52 0.96

.769 25-74 PR 78 2.62 0.80 75-100 PR 36 2.51 0.83

Traditionelles FV 0-24 PR 23 2.55 0.59

.946 25-74 PR 78 2.52 0.50 75-100 PR 36 2.50 0.60

Legende: PR= Prozentrang; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl,2008)

7.4 Beziehungen zwischen Anstrengungsvermeidung bzw. Pflichteifer und Freizeitverhalten

Die Tendenz zur Anstrengungsvermeidung in Leistungssituationen wurde mit dem AVT von

Rollett und Bartram (1998³) erhoben. Hier besteht eine, wenn auch nur geringfügige,

signifikante negative Korrelation von -.189 zwischen Anstrengungsvermeidung und dem

kulturellem Freizeitverhalten, aber eine positive Korrelation von .269 mit dem

medienorientierten Freizeitverhalten. Erstere Freizeitaktivitäten sind eher mit Mühen

verbunden, während letztere passive Formen der Freizeitgestaltung darstellen und daher einer

Neigung zur Vermeidung von Anstrengungen mehr entgegen kommen.

Beim Pflichteifer bestehen dagegen signifikante positive Korrelationen zum kulturellen

(.255), zum praktisch kreativen (.263) und zum traditionellen Freizeitverhalten (.259), deren

Ausübung allgemein mit einem gewissen Aufwand verbunden ist.

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Tab. 55. Korrelationen zwischen AVT-Skalen und Freizeitverhaltens-Skalen

Skala Anstrengungs-vermeidung Pflichteifer

Kulturelles FV r= -.189* p= .029

r= .255** p= .003

Jugendtypisches Gesellschaftliches FV r= -.012 p= .889

r= .036 p= .680

Praktisch-kreatives FV r= -.022 p= .805

r= .263** p= .002

Medienorientiertes FV r= .263** p= .002

r= .027 p= .753

Sportbezogenes FV r= -.007 p= .932

r= -.153 p= .078

Traditionelles FV r= -.162 p= .061

r= .259** p= .003

Legende: r= Korrelationskoeffizient; p= Signifikanz ; **=signifikant auf dem Niveau von 0.01 (zweiseitig); *= signifikant auf dem Niveau von 0.05 (zweiseitig); pairwise N= 134 (Quelle: Brandl,2008)

7.5 Geschlechtstypische Unterschiede im Freizeitverhalten

Ein wichtiger Fragenkreis betrifft die Geschlechtsunterschiede beim Freizeitverhalten. Wie

aus Abb. 18 hervorgeht - bestehen mit Ausnahme des medienorientierten Freizeitverhaltens -

in allen Skalen Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Jugendlichen.

00,5

11,5

22,5

33,5

kultu

relles

FV

jugen

dtyp.

Gesell

scha

ftl. FV

prak

tisch

-krea

tives

FV

medien

orien

tierte

s FV

sport

bezo

gene

s FV

tradit

ionell

es F

V

männlichweiblich

Abb. 18. Bevorzugung der Freizeitbeschäftigungen nach Geschlechtern: Häufigkeiten (Quelle:

Brandl, 2008)

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Aus Tab. 56, die die Mittelwertsvergleiche enthält, ist ersichtlich, dass jugendtypisches

gesellschaftliches Freizeitverhalten von den weiblichen Jugendlichen, sportliches

Freizeitverhalten von den männlichen Jugendlichen sehr signifikant häufiger ausgeübt wird.

In diesem Ergebnis manifestieren sich offenbar geschlechtstypische Rollenbilder. Mit

Ausnahme des medienorientierten Freizeitverhaltens haben jeweils die Mädchen bei den

anderen Freizeitbeschäftigungen sehr signifikant höhere Ausprägungen als die männlichen

Jugendlichen. Weibliche Jugendliche sind danach in der Freizeit nicht nur allgemein

engagierter, sondern an vielfältigeren Aktivitäten interessiert. Bei der Beschäftigung mit

Medien zeigen sich dagegen keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Tab. 56. Geschlechtsunterschiede in den Freizeitverhaltens-Skalen

Skalen Weibliche Jugendliche N = 71

Männliche Jugendliche N = 66

M SD M SD p Kulturelles FV¹ 2.09 0.51 1.73 0.48 <.001 Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹ 2.53 0.51 2.04 0.53

<.001

Praktisch-kreatives FV² 1.93 0.65 1.63 0.49 .006

Medienorientiertes FV¹ 2.76 0.57 2.67 0.53 .320

Sportbezogenes FV² 2.27 0.79 2.90 0.76 <.001

Traditionelles FV² 2.68 0.50 2.34 0.53 <.001 Legende: ¹= t-Test für unabhängige Stichproben; ²= Mann-Whitney-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

7.6 Sozioökonomischer Status

Auch bezüglich des sozio-ökonomischen Status (wobei sowohl der Status der Mutter als auch

des Vaters untersucht wurde) konnten vereinzelt gewisse Unterschiede im Freizeitverhalten

der Jugendlichen festgestellt werden: Jugendliche, deren Mütter der oberen

Mittelschicht/Oberschicht angehören, zeigen ein signifikant höheres Interesse an kulturellen

Freizeitaktivitäten. Tendenziell gilt dies auch für das traditionelle Freizeitverhalten (p = .068).

Sie unterscheiden sich diesbezüglich von Jugendlichen, deren Mütter der Unterschicht

zuzuzählen sind. Der sozio-ökonomische Status des Vaters hat hier keinen Einfluss, was

darauf hindeutet, dass für diese Freizeitaktivitäten die Sozialisation durch die Mutter

entscheidend ist.

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7.7 Höhe des wöchentlichen Taschengeldes und bevorzugte Freizeitaktivitäten

Da angenommen werden konnte, dass das den Jugendlichen zur Verfügung stehende

Taschengeld einen gewissen Einfluss auf die Zugänglichkeit bestimmter Freizeitangebote und

damit das Freizeitverhalten haben könnte, wurde auch die Höhe des wöchentlichen

Taschengeldes abgefragt. Es zeigte sich, dass das Taschengeld tatsächlich nicht ohne

Auswirkungen auf das von den Jugendlichen bevorzugte Freizeitverhalten ist (s. Abb. 19)

0

0,5

1

1,5

2

2,5

3

0-5€ >5-10€ >10-20€ >20€

Kulturelles FV

Jugendtypisches gesellschaf t. FV

Praktisch-kreatives FV

Medienorientiertes FV

Sportbezogenes FV

Traditionelles FV

Abb. 19. Grafische Darstellung der Skalen-Mittelwerte der 4 Taschengeldgruppen

Signifikante Unterschiede zwischen den „Taschengeldgruppen“ bestehen bezüglich des

kulturellen, des jugendtypisch gesellschaftlichen und des traditionellen Freizeitverhaltens.

Kulturelles und traditionelles Freizeitverhalten wird von Jugendlichen mit einem hohen

Taschengeld (20€ und mehr) sehr signifikant bzw. signifikant seltener ausgeübt. Jugendliche,

die nur über ein geringes Taschengeld verfügen (0-5€) beteiligen sich am wenigsten an

jugendtypischem Freizeitverhalten wie z.B. „Ausgehen“, „Shoppen“, „Telefonieren“ etc. (s.

dazu Tab. 57).

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Tab. 57. Unterschiede im Freizeitverhalten aufgrund der Höhe des Taschengeldes

Skala Taschengeld/Woche N M SD p

Kulturelles FV¹

0-5€ 45 2.03 0.50

.003 >5-10€ 46 1.84 0.54

>10-20€ 30 2.06 0.50 >20€ 16 1.55 0.38

Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹

0-5€ 45 2.11 0.42

.036 >5-10€ 46 2.35 0.59

>10-20€ 30 2.48 0.63 >20€ 16 2.33 0.58

Praktisch-kreatives FV²

0-5€ 45 1.96 0.65

.099 >5-10€ 46 1.78 0.63

>10-20€ 30 1.62 0.42 >20€ 16 1.64 0.52

Medienorientiertes FV¹

0-5€ 45 2.70 0.57

.691 >5-10€ 46 2.67 0.58

>10-20€ 30 2.75 0.55 >20€ 16 2.85 0.42

Sportbezogenes FV²

0-5€ 45 2.53 0.86

.195 >5-10€ 46 2.77 0.77

>10-20€ 30 2.38 0.84 >20€ 16 2.50 0.89

Traditionelles FV²

0-5€ 45 2.64 0.57

.016 >5-10€ 46 2.50 0.55

>10-20€ 30 2.55 0.49 >20€ 16 2.16 0.36

Legende: ¹=einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

7.8 Computerbesitz, Computernutzung und Freizeitverhalten

Um den Einfluss des Computerbesitzes auf das Freizeitverhalten untersuchen zu können,

wurden die Jugendlichen danach gefragt, ob sie über einen eigenen Computer verfügen. 64%

der Jugendlichen gaben an, einen Computer zu besitzen. Interessant war in diesem

Zusammenhang, dass nach wie vor weibliche Jugendliche seltener einen eigenen Computer

zur Verfügung haben (s. Tab. 58): Nur 54% der Mädchen, aber 76% der Burschen besitzen

einen eigenen Computer.

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Tab. 58. Besitz eines eigenen PCs nach Geschlecht

Chi-Quadrat= 7.362 df= 1 p= .007 (Quelle: Brandl, 2008)

Der Besitz eines Computers entscheidet unter anderem über die bevorzugte

Freizeitbeschäftigung mit, wie die folgenden Ergebnisse zeigen (s. Tab. 59): Praktisch-

kreatives und traditionelles Freizeitverhalten wird weniger häufig, medienorientiertes

Freizeitverhalten dagegen, wie zu erwarten, häufiger ausgeübt, wenn die Jugendlichen über

einen eigenen Computer verfügen.

Tab. 59. Unterschiede im Freizeitverhalten zw. PC-Besitzern und Nicht-Besitzern

Skala Ja

M SD Nein

M SD p

Kulturelles FV¹ 1.86 0.54 2.01 0.49 .117 Jugendtypisch gesellschaftliches FV ¹ 2.28 0.58 2.32 0.53 .724

Praktisch-kreatives FV² 1.72 0.57 1.92 0.63 .049 Medienorientiertes FV ¹ 2.80 0.52 2.56 0.57 .013 Sportbezogenes FV ¹ 2.57 0.87 2.58 0.77 .959 Traditionelles FV² 2.41 0.52 2.71 0.52 .002 Legende: ¹= t-Test für unabhängige Stichproben; ²= Mann-Whitney-Test; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

Weitere interessante Aufschlüsse ergaben sich hinsichtlich der Stunden, die die Jugendlichen

pro Tag, (unabhängig davon, ob es sich um einen eigenen Computer handelt), vor dem

Computer verbringen. Geht man von den Häufigkeitsangaben der Jugendlichen aus, ergibt

sich folgendes Bild: 40% der Jugendlichen verbringen 0-1 Stunde, 39% >1-2 Stunden, 11%

>2-3 Stunden, 6% >3-4 Stunden und 4% >5 Stunden pro Tag vor dem Computer.

In Tab. 60 sind die Zeitangaben für die Computernutzung nach Geschlechtern

aufgeschlüsselt: 0-1 Stunden pro Tag werden sehr viel häufiger von den weiblichen, höhere

Stundenangaben eher von den männlichen Jugendlichen berichtet.

Beobachtete Anzahl Erwartete Anzahl

nein ja Gesamt

weiblich 33 25,4

38 45,6

71

männlich 16 23,6

50 42,4

66

Gesamt 49 88 137

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Tab. 60. Geschlechtsunterschiede und Dauer der PC-Nutzung

Beobachtete Anzahl Erwartete Anzahl

0-1 Stunden/Tag

>1-2 Stunden/Tag

>2-3 Stunden/Tag

>3-4 Stunden/Tag

>5 Stunden/Tag

Gesamt

weiblich 38 28,4

22 27,3

5 7,9

3 4,2

3 3,2

71

männlich 16 25,6

30 24,7

10 7,1

5 3,8

3 2,8

64

Gesamt 54 52 15 8 6 135 Signifikanz Gart’s 2i= 10.943 df= 4 p=.0272 (Quelle: Brandl, 2008)

Wie Tab. 61 zeigt, bestehen sehr signifikante Unterschiede zwischen häufig den Computer

nutzenden Jugendlichen und den anderen in folgenden Bereichen: Kulturelles

Freizeitverhalten wird von Jugendlichen signifikant häufiger ausgeübt, die nur 0-1 Stunde pro

Tag am Computer verbringen, am seltensten dagegen von jenen, die 3 und mehr Stunden pro

Tag den Computer nutzen. Tendenziell ist dies auch beim traditionellen Freizeitverhalten der

Fall (p = .07). Beim medienorientierten Freizeitverhalten liegen die Verhältnisse

erwartungsgemäß umgekehrt.

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Tab. 61. Tägliche PC-Nutzung in Stunden und Freizeitverhalten

Skalen Std. PC/Tag N M SD p

Kulturelles FV¹

0-1 Std./Tag 54 2.09 0.49

.010 >1-2 Std. /Tag 52 1.85 0.49 >2-3 Std./Tag 15 1.89 0.66 >3-4 Std./Tag 8 1.56 0.46

>5 Std./Tag 6 1.59 0.40

Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹

0-1 Std./Tag 54 2.33 0.52

.857 >1-2 Std. /Tag 52 2.31 0.63 >2-3 Std./Tag 15 2.30 0.55 >3-4 Std./Tag 8 2.08 0.42

>5 Std./Tag 6 2.28 0.67

Praktisch-kreatives FV²

0-1 Std./Tag 54 1.93 0.67

.133 >1-2 Std. /Tag 52 1.69 0.52 >2-3 Std./Tag 15 1.85 0.59 >3-4 Std./Tag 8 1.72 0.69

>5 Std./Tag 6 1.42 0.30

Medienorientiertes FV¹

0-1 Std./Tag 54 2.49 0.47

<.001 >1-2 Std./Tag 52 2.75 0.55 >2-3 Std./Tag 15 3.08 0.53 >3-4 Std./Tag 8 3.20 0.48

>5 Std./Tag 6 3.00 0.33

Sportbezogenes FV²

0-1 Std./Tag 54 2.59 0.83

.822 >1-2 Std. /Tag 52 2.60 0.84 >2-3 Std./Tag 15 2.63 0.81 >3-4 Std./Tag 8 2.25 0.96

>5 Std./Tag 6 2.67 0.98

Traditionelles FV²

0-1 Std./Tag 54 2.66 0.55

.073 >1-2 Std. /Tag 52 2.51 0.52 >2-3 Std./Tag 15 2.35 0.50 >3-4 Std./Tag 8 2.28 0.59

>5 Std./Tag 6 2.20 0.40 Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

Um festzustellen, ob auch der Fernsehkonsum mit dem bevorzugten Freizeitverhalten in

Beziehung steht, wurde die Dauer des Fernsehkonsums pro Tag abgefragt. Hier zeigte sich

varianzanalytisch der erwartete Effekt: Jugendliche, die medienorientiertes Freizeitverhalten

bevorzugen, geben an, 2 und mehr Stunden pro Tag fernzusehen.

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Tab. 62. Täglicher Fernsehkonsum in Stunden und Freizeitverhalten

Skalen Std. PC/Tag N M SD p

Kulturelles FV¹

0-1 Std./Tag 52 1.98 0.57

.285 >1-2 Std. /Tag 60 1.93 0.49 >2-3 Std./Tag 14 1.67 0.47 >3-4 Std./Tag 7 1.73 0.56

>5 Std./Tag 3 2.00 0.57

Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹

0-1 Std./Tag 52 2.34 0.53

.118 >1-2 Std. /Tag 60 2.19 0.56 >2-3 Std./Tag 14 2.62 0.56 >3-4 Std./Tag 7 2.24 0.80

>5 Std./Tag 3 2.48 0.17

Praktisch-kreatives FV²

0-1 Std./Tag 52 1.78 0.60

.871 >1-2 Std. /Tag 60 1.79 0.60 >2-3 Std./Tag 14 1.70 0.56 >3-4 Std./Tag 7 1.96 0.77

>5 Std./Tag 3 2.00 0.50

Medienorientiertes FV¹

0-1 Std./Tag 52 2.55 0.59

.009 >1-2 Std. /Tag 60 2.74 0.49 >2-3 Std./Tag 14 3.04 0.48 >3-4 Std./Tag 7 3.03 0.48

>5 Std./Tag 3 3.07 0.61

Sportbezogenes FV²

0-1 Std./Tag 52 2.56 0.78

.996 >1-2 Std. /Tag 60 2.61 0.86 >2-3 Std./Tag 14 2.57 0.76 >3-4 Std./Tag 7 2.57 1.13

>5 Std./Tag 3 2.50 1.32

Traditionelles FV²

0-1 Std./Tag 52 2.50 0.56

.691 >1-2 Std. /Tag 60 2.55 0.52 >2-3 Std./Tag 14 2.43 0.56 >3-4 Std./Tag 7 2.49 0.63

>5 Std./Tag 3 2.87 0.42 Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

7.9 Freizeitverhalten und Temperamentstypen

Eine weitere interessante Frage bezieht sich darauf, ob das bevorzugte Freizeitverhalten mit

den Temperamentstypen in Beziehung steht. Wie in Kapitel 4 dargestellt, konnten zu t6

folgende Temperamentsgruppen unterschieden werden: „Pflegeleichte Jugendliche“,

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„Introvertiert schwierige Jugendliche“, „Extravertiert schwierige Jugendliche“ und „Langsam

auftauende Jugendliche“. Der Vergleich der Temperamentstypen hinsichtlich ihres

Freizeitverhaltens zeigte, dass signifikante Unterschiede bezüglich des jugendtypischen

gesellschaftlichen Freizeitverhaltens bestehen. Es wird von den extravertiert schwierigen

Jugendlichen am häufigsten, den introvertiert schwierigen am seltensten ausgeübt.

Tab. 63. Unterschiede zwischen den Temperamentstypen im Freizeitverhalten

Skala Temperamentstypen N M SD p

Kulturelles FV¹

Pflegeleichte Jugendliche 71 1.96 0.52

.105 Introvertiert schwierige Jugendliche 20 1.76 0.51 Langsam auftauende Jugendliche 26 1.80 0.54 Extravertiert schwierige Jugendliche 17 2.12 0.51

Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹

Pflegeleichte Jugendliche 71 2.28 0.52

.003 Introvertiert schwierige Jugendliche 20 2.03 0.45 Langsam auftauende Jugendliche 26 2.28 0.58 Extravertiert schwierige Jugendliche 17 2.72 0.69

Praktisch-kreatives FV²

Pflegeleichte Jugendliche 71 1.79 0.66

.065 Introvertiert schwierige Jugendliche 20 1.60 0.52 Langsam auftauende Jugendliche 26 2.00 0.55 Extravertiert schwierige Jugendliche 17 1.72 0.42

Medienorientiertes FV²

Pflegeleichte Jugendliche 71 2.71 0.49

.249 Introvertiert schwierige Jugendliche 20 2.60 0.60 Langsam auftauende Jugendliche 26 2.65 0.71 Extravertiert schwierige Jugendliche 17 2.96 0.48

Sportbezogenes FV¹

Pflegeleichte Jugendliche 71 2.72 0.81

.054 Introvertiert schwierige Jugendliche 20 2.23 0.73 Langsam auftauende Jugendliche 26 2.37 0.84 Extravertiert schwierige Jugendliche 17 2.71 0.94

Traditionelles FV¹

Pflegeleichte Jugendliche 71 2.54 0.55

.524 Introvertiert schwierige Jugendliche 20 2.36 0.55 Langsam auftauende Jugendliche 26 2.59 0.54 Extravertiert schwierige Jugendliche 17 2.52 0.52

Legende: ¹=einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

Bei sportbezogenem Freizeitverhalten wird die Signifikanzgrenze nur ganz knapp verfehlt (p

= .054). Hier zeigen introvertiert schwierige Jugendliche die niedrigste, pflegeleichte und

extravertiert schwierige Jugendliche die höchste Präferenz. Ein tendenzieller Unterschied (p =

.065) findet sich bei praktisch-kreativem Freizeitverhalten: Dieses wird von langsam

auftauenden Jugendlichen am meisten, von introvertiert schwierigen am wenigsten bevorzugt.

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125

7.10 Beziehungen zwischen Freizeitverhalten und Persönlichkeit im NEO-FFI

Zwischen den mit Hilfe des NEO-FFI erhobenen Persönlichkeitsfaktoren und dem

Freizeitverhalten bestehen einige aufschlussreiche Beziehungen. Bemerkenswert ist die hohe

Korrelation (r = .636) zwischen dem kulturellen Freizeitverhalten und der NEO-FFI-

Dimension „Offenheit“. Die persönlichkeitsspezifische Aufgeschlossenheit für kulturelle

Erfahrungen führt offenbar auch zu einem entsprechenden Verhalten. Der Befund stützt

außerdem die in Kapitel 8 dargelegte These, dass die Persönlichkeitsdimension Offenheit im

NEO-FFI in erster Linie die Offenheit für kulturelle Erfahrungen und nicht die Offenheit für

lebensweltbezogene Erfahrungen erfasst: Die Korrelation mit dem jugendtypisch

gesellschaftlichen Freizeitverhalten ist mit .276 sehr deutlich niedriger. In dieselbe Richtung

weist die signifikante Korrelation von r = .322 zwischen Offenheit und dem traditionellen

Freizeitverhalten, das Freizeitbeschäftigungen umfasst, die der traditionellen Kultur

entsprechen.

Nicht überraschend ist weiters, dass die Dimension Extraversion mit der Skala

Jugendtypisches gesellschaftliches Freizeitverhalten, wenn auch nicht sehr hoch, korreliert (r

= .316). Zwischen Neurotizismus und dem kulturellen Freizeitverhalten besteht eine zwar

sehr signifikante, aber nur niedrige Korrelation von .231, sowie signifikante geringe

Korrelationen mit dem praktisch-kreativen und dem medienorientierten Freizeitverhalten.

Möglicherweise ist dies durch eine gewisse Neigung zu Rückzug bei dieser Personengruppe

bestimmt, die sich, wenn auch nur marginal, im Freizeitverhalten zeigt.

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Tab. 64. Freizeitverhalten und Persönlichkeitseigenschaften: Korrelationen

Skala Neuro- tizismus¹

Extra- version¹

Offenheit¹

Verträglichkeit¹

Gewissenhaftigkeit¹

Kulturelles FV¹ r= .231** p= .007

r= .088 p= .308

r= .636** p< .000

r= -.007 p= .939

r= .103 p= .229

Jugendtypisches gesell-schaftliches FV¹

r= .049 p= .572

r= .316** p< .000

r= .276** p= .001

r= -.186* p= .029

r= .013 p= .885

Praktisch-kreatives FV² r= .195* p= .022

r= .155 p= .071

r= .209* p= .014

r= .016 p= .849

r= .139 p= .105

Medienorientiertes FV¹ r= .176* p= .040

r= .097 p= .260

r= -.047 p= .586

r= -.169* p= .048

r= -.103 p= .231

Sportbezogenes FV² r= -.160 p= .062

r= .193* p= .024

r= -.048 p= .578

r= .025 p= .772

r= -.004 p= .959

Traditionelles FV² r= .052 p= .544

r= .193* p= .024

r= .322** p< .000

r= .123 p= .151

r= .138 p= .109

Legende: r= Korrelationskoeffizient; p= Signifikanz; ¹= Korrelation nach Pearson; ²= Korrelation nach Spearman; **= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.01 (zweiseitig) signifikant; *= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.05 (zweiseitig) signifikant; pairwise N= 137 (Quelle: Brandl, 2008)

7.11 Beziehungen zwischen Freizeitverhalten und Bindung an die Eltern

Wie die Korrelationen zwischen den einzelnen Freizeitverhaltens-Skalen mit den Skalen des

Fragebogens zur Erfassung der Bindung an die Mutter bzw. den Vater (nach Armsden &

Greenberg, 1987) zeigen, bestehen hier einige, allerdings nur sehr niedrige signifikante

Korrelationen: Bezüglich der Bindung an die Mutter korrelieren die Freizeitverhaltensskalen

„Kulturelles Freizeitverhalten“, „Jugendtypisches gesellschaftliches Freizeitverhalten“ und

„Traditionelles Freizeitverhalten“ mit der Skala „Vertrauen“, die Skala „Traditionelles

Freizeitverhalten“ außerdem mit der Skala „Kommunikation“ des Bindungsfragebogens. Bei

der Bindung an den Vater ergeben sich (mit Ausnahme der Skala Jugendtypisches

gesellschaftliches Freizeitverhalten) ähnlich gelagerte korrelative Beziehungen wie bei der

Bindung an die Mutter. Interessant ist, dass bezüglich der Bindungen an den Vater zusätzlich

niedrige signifikante Korrelationen zwischen der Skala „Negative emotionale Beziehung“ und

dem jugendtypischen und medienorientierten Freizeitverhalten vorhanden sind, was auf eine

gewisse Ausweichtendenz schließen lässt.

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Tab. 65. Bindung an die Mutter und Freizeitverhalten: Korrelationen

Legende: r= Korrelationskoeffizient; p= Signifikanz; ¹=Korrelation nach Pearson; ²= Korrelation nach Spearman; **= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.01 (zweiseitig) signifikant; *= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.05 (zweiseitig) signifikant; N= 136 (Quelle: Brandl, 2008)

Tab. 66. Bindung an den Vater und Freizeitverhalten: Korrelationen

Legende: r= Korrelationskoeffizient; p= Signifikanz; ¹=Korrelation nach Pearson; ²= Korrelation nach Spearman; **= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.01 (zweiseitig) signifikant; *= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.05 (zweiseitig) signifikant; pairwise N= 134 (Quelle: Brandl, 2008)

Skalen Vertrauen² Kommunikation¹ Negative

emotionale Beziehung²

Entfremdung¹

Kulturelles FV¹ r= .179* p= .037

r= .109 p= .206

r= .008 p= .926

r= -.034 p= .694

Jugendtypisches gesellschaftl. FV¹

r= .169* p= .050

r= .030 p= .727

r= .159 p= .065

r= .063 p= .467

Praktisch-kreatives FV²

r= .064 p= .458

r= .051 p= .559

r= .059 p= .496

r= -.008 p= .929

Medienorientiertes FV¹

r= -.024 p= .781

r= -.141 p= .101

r= .133 p= .124

r= .157 p= .067

Sportbezogenes FV² r= -.018 p= .836

r= -.038 p= .664

r= -.013 p= .884

r= .099 p= .250

Traditionelles FV² r= .240** p= .005

r= .181* p= .035

r= -.014 p= .873

r= -.130 p= .132

Skalen Vertrauen² Kommunikation² Negative emotionale Beziehung¹

Entfremdung¹

Kulturelles FV¹ r= .184* p= .033

r= .130 p= .136

r= .013 p= .880

r= -.030 p= .733

Jugendtypisches gesellschaftl. FV¹

r= .121 p= .165

r= .080 p= .359

r= .179* p= .039

r= .018 p= .833

Praktisch-kreatives FV²

r= .038 p= .666

r= .095 p= .275

r= .072 p= .411

r= -.019 p= .830

Medienorientiertes FV¹

r= -.130 p= .135

r= -.150 p= .083

r= .276** p= .001

r= .127 p= .142

Sportbezogenes FV² r= -.007 p= .932

r= -.018 p= .834

r= .003 p= .969

r= .055 p= .525

Traditionelles FV² r= .209* p= .016

r= .193* p= .026

r= -.010 p= .989

r= -.081 p= .353

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7.12 Freizeitverhalten und Beziehung zu Freunden und Freundinnen

Da zu vermuten war, dass die Beziehung zur Peergroup nicht ohne Auswirkung auf das

bevorzugte Freizeitverhalten ist, wurden auch diese Korrelationen berechnet (s. Tab. 67).

Zwischen der mit Hilfe des Verfahrens von Armsden und Greenberg erhobenen Beziehung

der Jugendlichen zu ihren Freunden und Freundinnen zeigte sich vor allem eine ausgeprägte

positive Korrelation zwischen dem jugendtypischen gesellschaftlichen Freizeitverhalten und

der Skala Kommunikation (.585): Eine gute Gesprächsbasis mit den Peers scheint für diese

Form des Freizeitverhaltens wesentlich zu sein. Dies bestätigt Erfahrungen aus der

Beratungspraxis, die zeigen, dass Jugendliche, die über Kontaktprobleme mit den

Gleichaltrigen berichten, nicht selten unter bestimmten Formen der Schüchternheit leiden,

aber durch ein entsprechendes Kontakt- und Kommunikationstraining gut erreichbar sind. In

zweiter Linie ist das Vertrauen zu den Freunden und Freundinnen nicht ohne eine gewisse

Bedeutung für die Bevorzugung des jugendtypischen gesellschaftlichen Freizeitverhaltens.

Tab. 67. Freizeitverhaltens-Skalen und Beziehung zur Peergruppe: Korrelationen

Skala Vertrauen ² Kommun-ikation ¹

Negative emotionale Beziehung ²

Entfremdung ²

Kulturelles FV¹ r= -.039 p= .650

r= .186* p=.029

r= .055 p= .524

r= -.046 p= .597

Jugendtyp. Ges. FV ¹ r= .296** p< .000

r= .585** p< .000

r= -.085 p= .325

r= -.161 p= .061

Praktisch-kreatives FV ²

r= -.041 p= .632

r= .062 p= .475

r= .062 p= .470

r= .071 p= .407

Medienorientiertes FV ¹ r= .014 p= .867

r= .114 p= .184

r= .095 p= .271

r= .093 p= .280

Sportbezogenes FV ² r= -.002 p= .980

r= -.128 p= .135

r= .027 p= .752

r= .115 p= .180

Traditionelles FV ² r= .158 p= .066

r= .152 p= .076

r= -.159 p= .063

r= -.097 p= .260

Legende: r= Korrelationskoeffizient; p= Signifikanz; ¹= Korrelation nach Pearson; ²= Korrelation nach Spearman; **= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.01 (zweiseitig) signifikant; *= Korrelation ist auf dem Niveau von 0.05 (zweiseitig) signifikant; pairwise N= 137 (Quelle: Brandl, 2008)

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7.13 Familienverhältnisse und Freizeitverhalten

Es stellt sich die Frage, ob Jugendliche aus Scheidungsfamilien andere Freizeitbevorzugungen

haben, als Jugendliche aus intakten Familien. Bezüglich des jugendtypischen

gesellschaftlichen Freizeitverhaltens ist dies tatsächlich der Fall, wie aus Tab. 68 hervorgeht:

Es wird von Jugendlichen, deren Eltern getrennt leben, häufiger ausgeübt. Tendenziell gilt

dasselbe für das medienorientierte Freizeitverhalten. Beides deutet auf eine gewisse Neigung

hin, sich von den Eltern in eine eigene Lebenswelt zurückzuziehen. Resultate, die in diese

Richtung gehen, finden sich auch in anderen Zusammenhängen: Jugendliche aus

Scheidungsfamilien lösen sich tendenziell früher von den Eltern als Heranwachsende, die in

Nichtscheidungsfamilien leben. Einzelkinder und Jugendliche mit Geschwistern

unterscheiden sich dagegen nicht bezüglich ihres Freizeitverhaltens (s. Tab. 69).

Tab. 68. Unterschiede im Freizeitverhalten aufgrund des Familienstandes der Eltern

Skala Familienstand N M SD p

Kulturelles FV¹ Eltern zusammen 104 1.94 0.52

.431 Eltern getrennt 31 1.85 0.54

Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹

Eltern zusammen 104 2.20 0.52 <.001

Eltern getrennt 31 2.62 0.60

Praktisch-kreatives FV² Eltern zusammen 104 1.82 0.61

.325 Eltern getrennt 31 1.69 0.56

Medienorientiertes FV¹ Eltern zusammen 104 2.66 0.55

. 055 Eltern getrennt 31 2.88 0.54

Sportbezogenes FV² Eltern zusammen 104 2.57 0.86

. 947 Eltern getrennt 31 2.58 0.78

Traditionelles FV² Eltern zusammen 104 2.50 0.57

.361 Eltern getrennt 31 2.61 0.42

Legende: ¹= t-Test für unabhängige Stichproben; ²= Mann-Whitney-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

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Tab. 69. Unterschiede im Freizeitverhalten bzgl. Geschwister

Skala Geschwister N M SD p

Kulturelles FV¹ Einzelkinder 14 1.82 0.47

.488 Geschwister 123 1.93 0.53

Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹

Einzelkinder 14 2.52 0.47 .125

Geschwister 123 2.27 0.57

Praktisch-kreatives FV² Einzelkinder 14 1.71 0.53

.886 Geschwister 123 1.80 0.61

Medienorientiertes FV¹ Einzelkinder 14 2.94 0.65

.103 Geschwister 123 2.69 0.53

Sportbezogenes FV² Einzelkinder 14 2.25 0.89

.124 Geschwister 123 2.61 0.82

Traditionelles FV² Einzelkinder 14 2.46 0.40

.668 Geschwister 123 2.52 0.55

Legende: ¹= t-Test für unabhängige Stichproben; ²= Mann-Whitney-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

7.14 Identitätsstatus der Jugendlichen und Freizeitverhalten

Weitere bemerkenswerte Befunde betreffen die Beziehung zwischen dem Identitätsstatus der

Jugendlichen nach Marcia (siehe dazu Kap. 5 und 8) und dem Freizeitverhalten.

Signifikante Mittelwertsunterschiede zwischen den vier Statusgruppen bestehen bei den

Skalen „Kulturelles Freizeitverhalten“, „Jugendtypisches gesellschaftliches Freizeitverhalten“

und „Praktisch-kreatives Freizeitverhalten“, wie aus Tab. 70 hervorgeht: Jugendliche mit

einer diffusen Identität zeigen hier die niedrigsten Ausprägungen, während Jugendliche im

Übergangsstadium „Moratorium“ in diesen Skalen die höchsten Werte haben. Diese

Ergebnisse weisen einmal mehr auf die besonderen Probleme der Jugendlichen mit einer

diffusen Identität hin: Sie zeigen ein weitgehendes Desinteresse an den

Freizeitbeschäftigungen, die mit einem bestimmten Aufwand verbunden sind. Sie verweigern

sich aber auch den jugendtypisch gesellschaftlichen Freizeitaktivitäten, die ihnen den

Anschluss an die besonders aufgeschlossene jugendtypische Gleichaltrigengruppe erleichtern

würden. Dass Jugendliche im Moratorium im Gegensatz dazu gerade in diesen

Freizeitbereichen die höchsten Werte erreichen, unterstreicht diese Interpretation: Jugendliche

im Moratorium zeichnen sich vor allem durch eine hohe Bereitschaft aus, zu explorieren und

aktiv Neues auszuprobieren.

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131

Bezüglich des jugendtypischen gesellschaftlichen Freizeitverhaltens haben die Jugendlichen

mit einer übernommenen Identität die zweitniedrigsten Werte, was auf eine gewisse

Absonderung von der „Mainstream-Gleichaltrigengruppe“ hinweist.

Tab. 70. Unterschiede im Freizeitverhalten aufgrund unterschiedlicher Identitätsstadien

Skala Identitätsstadien N M SD p

Kulturelles FV¹

Erarbeitete Identität 24 1.96 0.51

.002 Moratorium 61 2.03 0.50 Diffuse Identität 31 1.61 0.45 Übernommene Identität 21 1.99 0.57

Jugendtypisches gesellschaftliches FV¹

Erarbeitete Identität 24 2.32 0.54

.001 Moratorium 61 2.48 0.57 Diffuse Identität 31 2.01 0.47 Übernommene Identität 21 2.16 0.50

Praktisch-kreatives FV²

Erarbeitete Identität 24 1.83 0.61

.050 Moratorium 61 1.87 0.63 Diffuse Identität 31 1.54 0.46 Übernommene Identität 21 1.87 0.61

Medienorientiertes FV¹

Erarbeitete Identität 24 2.69 0.61

.265 Moratorium 61 2.81 0.51 Diffuse Identität 31 2.67 0.59 Übernommene Identität 21 2.54 0.51

Sportbezogenes FV²

Erarbeitete Identität 24 2.77 0.85

.584 Moratorium 61 2.55 0.79 Diffuse Identität 31 2.47 0.86 Übernommene Identität 21 2.60 0.92

Traditionelles FV²

Erarbeitete Identität 24 2.47 0.46

.445 Moratorium 61 2.50 0.55 Diffuse Identität 31 2.48 0.56 Übernommene Identität 21 2.70 0.56

Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

7.15 Beziehungen zwischen Berufsinteressen und Freizeitverhalten

Zwischen dem Freizeitverhalten und den mit Hilfe des Berufsinteressentests von Irle und

Allehoff (1984) erhobenen Berufsinteressen bestehen ebenfalls Beziehungen, was darauf

hindeutet, dass berufliche Interessensfaktoren auch beim bevorzugten Freizeitverhalten eine

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132

Rolle spielen. Am höchsten korreliert mit .624 das kulturelle Freizeitverhalten mit dem

Interesse für literatur- und geisteswissenschaftliche Berufe, was auf eine einheitliche, sowohl

den Beruf als auch die Freizeit betreffende Ausrichtung hindeutet. Gelingt es den Betroffenen,

eine derartige berufliche Tätigkeit zu verwirklichen, haben sie den großen Vorteil, dass ihr

Beruf für sie gleichzeitig ihr Hobby darstellt. Das sportbezogene Freizeitverhalten kovariiert

dagegen kaum mit den durch den BIT erfassten Interessensrichtungen. Es findet sich lediglich

eine niedrige negative Korrelation mit dem Interesse für gestaltendes Handwerk und eine

niedrige positive zum Interesse für verwaltende Berufe. Die anderen Befunde sind weniger

eindeutig. Beschränkt man sich auf die Interpretation jener Korrelationen, die über .300

liegen, zeigt sich eine Beziehung zwischen dem kulturellen Freizeitverhalten und den

Berufsrichtungen gestaltendes Handwerk sowie Sozialpflege und Erziehung. Das praktisch-

kreative Freizeitverhalten korreliert positiv mit den ein Interesse an praktischer Arbeit

voraussetzenden Berufen (Ernährungshandwerk, gestaltendes Handwerk und land- und

forstwirtschaftlichen Berufe). Im BIT wird in erster Linie das Interesse für gut eingeführte

Berufsrichtungen abgefragt. Die Bevorzugung traditioneller Freizeitaktivitäten korreliert

daher zwar zwischen .176 und .357 mit allen erhobenen Berufsfeldern, die höchsten

Korrelationen finden sich jedoch in jenen Fällen, die eine besonders traditionsgeleitete

Berufsrichtung betreffen: Gestaltendes Handwerk, land- und forstwirtschaftliche Berufe,

literatur- und geisteswissenschaftliche Berufe sowie Sozialpflege und Erziehung.

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133

Tab. 71. Berufsinteressen und Freizeitverhalten: Korrelationen

Skala Kulturelles FV¹

Jugendtyp. Ges. FV ¹

Prakt.-kreatives FV ²

Medienorientiertes FV¹

Sportbe- zogenes FV ²

Traditionelles FV ²

Technisches Handwerk ²

r= .056 p= .516

r= .141 p= .100

r= .274** p= .001

r= .059 p= .491

r= .037 p= .665

r= .176* p= .040

Ernährungs-Handwerk²

r= .078 p= .363

r= .190* p= .026

r= .378** p< .000

r= .085 p= .322

r= .055 p= .520

r= .261** p= .002

Verwaltende Berufe² r= .119 p= .165

r= -.013 p= .884

r= .034 p= .696

r= -.030 p= .731

r= .209* p= .014

r= .186* p= .029

Gestaltendes Handwerk²

r= .371** p< .000

r= .234** p= .006

r= .378** p< .000

r= -.048 p= .576

r= -.225** p= .008

r= .335** p< .000

Land- u. Forstwirtschaftl. Berufe ²

r= .202* p= .018

r= -.008 p= .926

r= .315** p< .000

r= -.074 p0 .391

r= .055 p= .520

r= .329** p< .000

Literatur- u. Geisteswissenschaftl. Berufe ²

r= .624** p< .000

r= .284** p= .001

r= .178* p= .037

r= .020 p= .820

r= -.058 p= .504

r= .338** p< .000

Techn. u. Naturwissenschaftl. Berufe ²

r= .161 p= .061

r= -.074 p= .395

r= .217* p= .011

r= -.190* p= .027

r= .037 p= .665

r= .223* p= .009

Kaufmännische Berufe ²

r= .141 p= .099

r= .119 p= .168

r= .123 p= .151

r= .007 p= .933

r= .158 p= .064

r= .220** p= .010

Sozialpflege u. Erziehung ¹

r= .396** p< .000

r= .224** p= .009

r= .261** p= .002

r= .042 p= .625

r= .050 p= .560

r= .357** p< .000

Legende: r= Korrelationskoeffizient; p= Signifikanz ; ¹= Korrelation nach Pearson; ²= Korrelation nach Spearman **=signifikant auf dem Niveau von 0.01 (zweiseitig); *= signifikant auf dem Niveau von 0.05 (zweiseitig); pairwise N= 137 (Quelle: Brandl, 2008)

7.16 Gruppen von Jugendlichen mit ähnlichem Freizeitverhalten

Da davon ausgegangen werden kann, dass die Jugendlichen mehrere Freizeitaktivitäten

bevorzugen können, werden im nächsten Schritt, (wie bereits in anderen hier berichteten

Auswertungen) clusteranalytisch Gruppen von Jugendlichen bezüglich ihres

Freizeitverhaltens gebildet (s. Tab. 72).

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Tab. 72. Skalenmittelwerte und Standardabweichung der Freizeitverhaltenscluster in den Freizeitverhaltensskalen

Cluster 1 Cluster 2 Cluster 3 Cluster 4 Cluster 5 p M SD M SD M SD M SD M SD

Kulturelles FV ¹ 1.70 0.40 1.63 0.40 2.02 0.53 2.40 0.50 2.01 0.46 <.000 Jugendtypisches gesellschaftl. FV¹ 1.98 0.37 2.00 0.41 2.74 0.58 2.19 0.36 2.92 0.42 <.000

Praktisch-kreatives FV² 1.64 0.41 1.45 0.37 1.78 0.39 2.63 0.60 1.55 0.35 <.000

Medienorientiertes FV¹ 2.62 0.46 2.52 0.49 3.26 0.37 2.53 0.59 2.90 0.54 <.000

Sportbezogenes FV² 2.24 0.61 3.52 0.44 1.44 0.34 2.58 0.58 2.78 0.63 <.000 Traditionelles FV² 2.07 0.34 2.29 0.41 2.57 0.44 3.15 0.36 2.76 0.34 <.000 N 38 30 18 26 25 Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz; N= Stichprobengröße (Quelle: Brandl, 2008)

Es ergab sich eine Fünf-Clusterlösung. Die einzelnen Gruppen unterscheiden sich höchst

signifikant bezüglich ihres Freizeitverhaltens (s. Tab. 72). Zur Benennung der einzelnen

Freizeitverhaltensgruppen wurde jeweils die auffälligste Freizeitaktivität gewählt. Die

Ausprägungen bei den weiteren Freizeitaktivitäten können aus Tab. 72 entnommen werden.

Im einzelnen handelt es sich um folgende Freizeitverhaltensgruppen: 1. Jugendliche mit

durchschnittlichem Freizeitverhalten (28%), die in keinem Freizeitverhaltensbereich

ausgeprägtere Bevorzugungen bzw. Ablehnungen zeigen, 2. Jugendliche mit sportlichem

Freizeitverhalten (22%), die die höchste Ausprägung in diesem Bereich und die niedrigste auf

dem Gebiet des praktisch-kreativen Freizeitverhaltens aufweisen, 3. Unsportliche,

medieninteressierte Jugendliche (13%), die ihre Freizeit einerseits mit Medienkonsum

verbringen, andererseits aber auch den zweithöchsten Wert beim jugendtypischen

gesellschaftlichen Freizeitverhalten haben, 4. Jugendliche mit traditionellem Freizeitverhalten

(19%), die sowohl bei diesem als auch beim praktisch-kreativen Freizeitverhalten die

höchsten Werte von allen Gruppen zeigen, und 5. Jugendliche, die vor allem jugendtypisch

gesellschaftliches Freizeitverhalten pflegen (18%) sich in der Freizeit aber auch den Medien

widmen und praktisch-kreative Freizeitbeschäftigungen eher ablehnen.

Zwischen den ermittelten Freizeittypen zeigten sich keine Unterschiede bezüglich ihrer

Bindung an den Vater bzw. die Mutter oder ihrer Beziehung zur Peergroup (s. Tab. 73, Tab.

74 und Tab. 75).

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135

Tab. 73. Unterschiede der Freizeitverhaltenscluster bzgl. der Bindung an die Mutter

Bindungs-Skalen FV-Cluster N M SD p

Vertrauen

Durchschnittlich Interessierte 38 4.16 .42

.501 Sportlich Interessierte 29 4.33 .44 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 4.34 .73 Traditionell Interessierte 26 4.36 .46 Jugendtypisch Interessierte 25 4.33 .55

Kommunikation

Durchschnittlich Interessierte 38 3.40 .82

.572 Sportlich Interessierte 29 3.62 .71 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 3.65 .91 Traditionell Interessierte 26 3.69 .66 Jugendtypisch Interessierte 25 3.45 .90

Negative Emotionen

Durchschnittlich Interessierte 38 2.11 .51

.157 Sportlich Interessierte 29 2.14 .59 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 2.32 .81 Traditionell Interessierte 26 2.05 .59 Jugendtypisch Interessierte 25 2.46 .88

Entfremdung

Durchschnittlich Interessierte 38 2.67 .78

.337 Sportlich Interessierte 29 2.37 .70 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 2.30 .91 Traditionell Interessierte 26 2.48 .75 Jugendtypisch Interessierte 25 2.66 .84

Legende: N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

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136

Tab. 74. Unterschiede der Freizeitverhaltenscluster bzgl. Bindung an den Vater

FV-Skalen FV-Cluster N M SD p

Vertrauen²

Durchschnittlich Interessierte 37 3.89 .67

.101 Sportlich Interessierte 30 4.18 .51 Unsportlich, multimedial Interessierte 17 4.12 .82 Traditionell Interessierte 26 4.23 .63 Jugendtypisch Interessierte 24 4.09 .98

Kommunikation¹

Durchschnittlich Interessierte 37 3.00 .96

.277 Sportlich Interessierte 30 3.35 .68 Unsportlich, multimedial Interessierte 17 3.38 .88 Traditionell Interessierte 26 3.43 .83 Jugendtypisch Interessierte 24 3.23 .92

Negative Emotionen¹

Durchschnittlich Interessierte 37 2.22 .67

.564 Sportlich Interessierte 30 2.15 .64 Unsportlich, multimedial Interessierte 17 2.35 .74 Traditionell Interessierte 26 2.17 .69 Jugendtypisch Interessierte 24 2.43 .85

Entfremdung¹

Durchschnittlich Interessierte 37 2.84 .82

.291 Sportlich Interessierte 30 2.48 .72 Unsportlich, multimedial Interessierte 17 2.40 .79 Traditionell Interessierte 26 2.64 .78 Jugendtypisch Interessierte 24 2.64 .87

Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

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137

Tab. 75. Unterschiede der Freizeitverhaltenscluster bzgl. der Beziehung zur Peer Group

FV-Skalen FV-Cluster N M SD p

Vertrauen²

Durchschnittlich Interessierte 38 4.41 .47

.762 Sportlich Interessierte 30 4.38 .56 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 4.47 .35 Traditionell Interessierte 26 4.53 .33 Jugendtypisch Interessierte 25 4.39 .32

Kommunikation²

Durchschnittlich Interessierte 38 4.05 .59

.346 Sportlich Interessierte 30 4.04 .75 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 3.98 .65 Traditionell Interessierte 26 4.04 .46 Jugendtypisch Interessierte 25 3.80 .44

Negative Emotionen¹

Durchschnittlich Interessierte 38 1.80 .66

.669 Sportlich Interessierte 30 1.73 .56 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 1.59 .53 Traditionell Interessierte 26 1.68 .42 Jugendtypisch Interessierte 25 1.64 .46

Entfremdung¹

Durchschnittlich Interessierte 38 2.11 .75

.701 Sportlich Interessierte 30 2.01 .63 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 2.15 .75 Traditionell Interessierte 26 2.13 .72 Jugendtypisch Interessierte 25 2.28 .57

Legende: ¹= einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008) Die Gestaltung der aktuellen sozialen Beziehungen hat offenbar keinen Einfluss auf die

Entwicklung der individuellen Freizeitinteressen bzw. die entsprechenden

Freizeitbeschäftigungen. Dies legt die Frage nahe, ob dafür die Persönlichkeit der

Jugendlichen ausschlaggebend ist (s. dazu Tab. 76).

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138

Tab. 76. Unterschiede der Freizeitverhaltenscluster im NEO-FFI

NEO-FFI-Skalen FV-Cluster N M SD p

Neurotizismus¹

Durchschnittlich Interessierte 38 30.68 8.26

.044

Sportlich Interessierte 30 27.23 6.97 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 32.17 7.97 Traditionell Interessierte 26 33.19 7.48 Jugendtypisch Interessierte 25 32.00 7.78

Extraversion¹

Durchschnittlich Interessierte 38 43.32 5.68

<.001

Sportlich Interessierte 30 49.37 6.25 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 48.67 7.82 Traditionell Interessierte 26 49.15 6.15 Jugendtypisch Interessierte 25 49.20 5.86

Offenheit²

Durchschnittlich Interessierte 38 41.13 6.74

<.001

Sportlich Interessierte 30 40.20 6.26 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 43.11 8.34 Traditionell Interessierte 26 47.81 4.20 Jugendtypisch Interessierte 25 46.52 5.45

Verträglichkeit¹

Durchschnittlich Interessierte 38 42.18 5.38

.147

Sportlich Interessierte 30 43.30 3.34 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 40.83 6.22 Traditionell Interessierte 26 44.15 4.74 Jugendtypisch Interessierte 25 41.52 5.35

Gewissenhaftigkeit¹

Durchschnittlich Interessierte 38 42.92 9.55

.141

Sportlich Interessierte 30 41.30 7.30 Unsportlich, multimedial Interessierte 18 39.94 8.54 Traditionell Interessierte 26 44.65 6.82 Jugendtypisch Interessierte 25 45.12 6.08

Legende: ¹=einfaktorielle Varianzanalyse; ²= Kruskal-Wallis-Test; N= Stichprobengröße; M= Mittelwert; SD= Standardabweichung; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

Bezüglich der mit Hilfe des NEO-FFI erfassten Persönlichkeitsdimensionen ergaben sich

tatsächlich höchst signifikante bzw. signifikante Unterschiede zwischen den Freizeittypen,

und zwar in den Skalen Extraversion, Offenheit und Neurotizismus. Bei letzterer zeigten die

sportlich Interessierten die niedrigsten, die traditionell Interessierten die höchsten Werte. In

der Skala Extraversion hatte die Gruppe der sportlich Interessierten den höchsten und die der

durchschnittlich Interessierten den niedrigsten Score. Der höchste Wert in der Skala

(kulturelle) Offenheit konnte in der Gruppe der traditionell Interessierten beobachtet werden,

der niedrigste bei den sportlich Interessierten. Die Mittelwertsdifferenzen zwischen den

Freizeitgruppen in den Skalen Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit waren nicht signifikant.

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139

Es stellt sich die Frage, ob das von den Müttern eingeschätzte Temperament der Jugendlichen

mit den identifizierten Freizeitverhaltensclustern in Beziehung steht (s. Tab. 77). Jugendliche

die ein durchschnittliches oder sportliches Freizeitverhalten zeigen, werden von den Müttern

häufiger, als zu erwarten wäre, der Gruppe der introvertiert Schwierigen zugeordnet, während

die unsportlichen, an multimedialen Freizeitaktivitäten interessierten Jugendlichen sowie die

Jugendlichen, die ein traditionelles oder ein jugendtypisch gesellschaftliches Freizeitverhalten

bevorzugen, von ihren Müttern vor allem als „pflegeleichte Jugendliche“ erlebt werden.

Auffällig ist außerdem, dass langsam auftauende Jugendliche aus Sicht ihrer Mütter eher ein

durchschnittliches Profil an Freizeitaktivitäten zeigen. Die analoge Berechnung aus Vätersicht

zeigte kein signifikantes Ergebnis und damit auch keine interpretierbaren Abweichungen der

beobachteten Werte von den Erwartungswerten.

Tab. 77. Freizeitverhaltensgruppen und Temperamentstypen aus Müttersicht

Tempera-mentstypen

Jugendliche mit durch-schnittlichem FV

Jugendliche mit sport-lichem FV

Unsportliche Jugendliche mit medien-bezogenem FV

Jugendliche mit traditionellemFV

Jugendliche mit jugendtypischem gesellschaftlichen FV

Gesamt

Pflegeleichte Jugendliche

10 19,1

8 15,9

16 9,0

19 13,8

18 13,2

71

Introvertiert schwierige Jugendliche

9 5,4

8 4,5

0 2,5

0 3,9

3 3,7

20

Langsam auftauende Jugendliche

12 7,0

8 5,8

1 3,3

3 5,0

2 4,9

26

Extravertiert schwierige Jugendliche

5 4,6

6 3,8

0 2,2

4 3,3

2 3,2

17

Gesamt 36 30 17 26 25 134 Signifikanz Gart’s 2i= 32.898 df= 12 p= .001 Legende: df= Anzahl der Freiheitsgrade; p= Signifikanz (Quelle: Brandl, 2008)

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140

8. Identitätsentwicklung im Jugendalter Monika Pucher, Brigitte Rollett und Harald Werneck

8.1 Einleitung

Die Identitätsbildung stellt eine zentrale Entwicklungsaufgabe der Adoleszenz dar. Sie

erreicht in dieser Phase einen Höhepunkt. Dass die Beschäftigung mit dem Selbst und die

Auseinandersetzung mit der eigenen Identität gerade in der Adoleszenz eine besondere

Bedeutung bekommt, hat mehrere Gründe. Einerseits ist die kognitive Entwicklung nun so

weit fortgeschritten, dass die Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zu den Anderen eher

erfasst werden können, und dass erkannt werden kann, dass die subjektiv wahrgenommene

Wirklichkeit nur eine unter vielen möglichen Sichtweisen darstellt. In der Adoleszenz wächst

aber andererseits der Druck der Familie und der Gesellschaft, sich mit der eigenen Zukunft

und hier vorrangig der Berufswahl, auseinander zu setzen. Aber auch die auffälligen

körperlichen und psychischen Veränderungen führen zu einer Fokussierung auf die eigene

Person und es stellt sich für die Jugendlichen die Frage, was sie angesichts dieser

Veränderungen an persönlicher Identität besitzen, behalten oder erreichen wollen (Fuhrer &

Trautner, 2005).

Trotz ihrer großen Bedeutsamkeit für die Adoleszenz stellt die Identitätsbildung als solche

eine „lebenslange Entwicklung, die für das Individuum und seine Gesellschaft weitgehend

unbewusst verläuft“ dar (Erikson, 1973, S. 141). Sie beginnt im Säuglingsalter, in dessen

Verlauf das Kind im günstigen Fall Vertrauen in seine soziale Umwelt aufbaut, zieht sich

durch die gesamte Lebensspanne und bekommt je nach neuen Lebenssituationen,

Herausforderungen und Lebensabschnitten immer wieder neue Präsenz (Erikson, 1973). Sie

kann als „Ergebnis einer aktiven Suche, Definition oder Konstruktion des Selbst“ (Flammer

& Alsaker, 2002, S.157) bezeichnet werden.

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141

8.2 Zur Methode

In der vorliegenden Studie wurden die Aspekte der Identitätsentwicklung der Jugendlichen

anhand einer übersetzten, altersadaptierten und erweiterten Version des Fragebogens IDEA

(Inventory of the Dimensions of Emerging Adulthood, Reifman, Arnett & Colwell, 2003)

erhoben, der ursprünglich für junge Erwachsene erstellt wurde. Die resultierende in dieser

Studie eingesetzte Version für Jugendliche wurde als IDEA-Y bezeichnet. Außerdem wurde

das Identitätsstatusdiagnoseinventar (ISDI, Rollett, 2005, zur Beschreibung siehe Kap. 5.5)

vorgegeben, das die Identitätsstadien nach Marcia erfasst.

8.2.1 Konstruktion und Testanalyse der IDEA-Y-Skalen

Im Zuge der Anpassung der Items des IDEA an die Altersstichprobe der Studie, war es

notwendig, das für das Jugendalter unpassende Item 13 („Youth is“) „a time of settling down“

zu eliminieren. Der Fragebogen wurde um fünf neue Items (Item 13, 30, 32, 33 und 36)

erweitert und anschließend faktorenanalytisch überprüft (Hauptkomponentenanalyse mit

Varimaxrotation). Aufgrund des Scree-Tests wurde eine Fünf-Faktorenlösung gewählt. Aus

inhaltlichen Gründen wurde der erste Faktor in die zwei Skalen „Exploration“ und

„Beziehungen zu Freunden/Freundinnen“ geteilt, so dass insgesamt 6 Skalen entstanden

(siehe Tab. 78 - Tab. 83). Diese erklären 43.05% der Gesamtvarianz. Es handelt sich um

folgende Skalen:

1.) Die Skala Exploration (s. Tab. 78) beschreibt das Ausmaß des Suchens und des Erprobens

neuer Lebensformen der Jugendlichen.

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142

Tab. 78. Items der Skala Exploration des Identitätsfragebogens (α = .822)

Itemnr. Item Itemtrenn- schärfe

4 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Experimentierens .622 12 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Herausfindens, wer ich bin .617 21 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Ausprobierens neuer Dinge .604 2 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Suchens und Erprobens .587

24 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man erkennt, wer man eigentlich ist .543

17 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit unvorhersehbarer Ereignisse und Entwicklungen .529

1 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit vieler Möglichkeiten .454

2.) Mit Hilfe der Skala „Beziehung zu Freunden/Freundinnen“ (s. Tab. 79) wird erhoben, wie

wichtig Beziehungen zu den Peers allgemein bzw. wie bedeutend romantische Beziehungen

für die Jugendlichen sind, aber auch wie sehr die Beziehungen zur Gleichaltrigengruppe nun

ein größeres Gewicht als die Beziehung zu den Eltern erhält.

Tab. 79. Items der Skala Beziehung des Identitätsfragebogens (α = .602)

Itemnr. Item Itemtrenn-schärfe

33 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der der Freundeskreis besonders wichtig ist .524

23 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Ablösung von den Eltern .370

13 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man einen festen Freund/eine feste Freundin hat .364

30 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man neue Leute kennenlernen möchte .324

3.) Die Skala „Belastung“ (s. Tab. 80) misst das Ausmaß der Belastung, welche die

Jugendlichen durch die Veränderungen in der Jugendphase empfinden.

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Tab. 80. Items der Skala Belastung des Identitätsfragebogens (α = .774)

Itemnr. Item Itemtrenn- schärfe

11 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit in der man hohem Druck ausgesetzt ist .584 3 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Durcheinanders .580 8 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des sich gestresst Fühlens .548 9 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Instabilität .524

20 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit vieler Sorgen .483 6 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Gefühls des Eingeschränktseins .419

4.) Die Skala „Veränderung“ (s. Tab. 81) bezieht sich auf die Veränderungen, die die

Jugendlichen auf ihrem Weg in das Erwachsenenalter empfinden, wobei die Sinnsuche, die

Entwicklung eigener Wertvorstellungen und die Zukunftsplanung eine wichtige Rolle spielen.

Tab. 81. Items der Skala Veränderung des Identitätsfragebogens (α = .702)

Itemnr. Item Itemtrenn- schärfe

27 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man sich nicht sicher ist, ob man schon erwachsen ist .507

26 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Sinnsuche .441

28 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man lernt, sich eine eigene Meinung zu bilden .412

34 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man schrittweise erwachsen wird .402

29 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man sich teilweise erwachsen fühlt und teilweise nicht .402

35 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man seine eigenen Wertvorstellungen entwickelt .377

25 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Zukunftsplanung .351

5.) Die Skala „Verantwortung und Freiheit“ (s. Tab. 82) zeigt, wie sehr die Jugendzeit für die

Jugendlichen mit Freiheit und Unabhängigkeit, aber auch mit Verantwortung für sich selbst

und für andere verbunden ist.

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144

Tab. 82. Items der Skala Verantwortung/Freiheit des Identitätsfragebogens (α = 618)

Itemnr. Item Itemtrenn- schärfe

15 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Unabhängigkeit .415 7 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Verantwortung für mich selbst .405

14 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Verantwortung für andere .400 18 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Engagements für andere .299

31 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man selbst darüber entscheidet, was man für gut und richtig hält .272

10 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit des Optimismus .254 5 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der persönlichen Freiheit .248

16 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit von Wahlmöglichkeiten .226

6.) Die Skala „Selbstbezug“ (s. Tab. 83) beschreibt, wie sehr sich die Jugendlichen

gegenwärtig auf sich selbst konzentrieren und ihre Aufmerksamkeit auf sich selbst lenkt.

Tab. 83. Items der Skala Selbstbezug des Identitätsfragebogens (α = .620)

Itemnr. Item Itemtrenn- schärfe

22 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man sich auf sich selbst konzentriert .520

32 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit, in der man vor allem mit sich selbst beschäftigt ist .467

19 Das Jugendalter...ist für mich eine Zeit der Selbstgenügsamkeit .311

8.3 Identitätsentwicklung bei weiblichen und männlichen Jugendlichen

8.3.1 Geschlechtsunterschiede in den Skalen des Identitätsfragebogens

Wie Tab. 84 zeigt, haben weibliche Jugendliche in den IDEA-Y-Skalen Exploration,

Belastung und Veränderung signifikant höhere Werte als männliche Jugendliche. Der bei

weiblichen Jugendlichen häufig beobachtete Entwicklungsvorsprung im Jugendalter

gegenüber männlichen Jugendlichen könnte für ihre höheren Ausprägungen bei den Skalen

Exploration und Veränderung verantwortlich sein. Dementsprechend könnte eine der

Ursachen für die stärkere Belastung der weiblichen Jugendlichen in ihrer vermehrten

Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt liegen. Aber auch eine höhere Sensibilität von

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145

weiblichen Jugendlichen gegenüber Belastungsfaktoren könnte diese Differenz mit

verursachen.

Tab. 84. Geschlechtsunterschiede in den Skalen des IDEA-Y (ANOVA)

Skalen des IDEA-Y Weibl. Jugendliche (n = 71) Männ. Jugendliche (n = 66)

p M SD M SD

Exploration 3.29 .484 3.01 .560 .002 Beziehung zu den Feunden/Freundinnen 3.37 .442 3.23 .557 .109

Belastung 2.68 .629 2.45 .549 .025 Veränderung 3.30 .396 3.04 .453 <.001 Verantwortung/Freiheit 2.95 .402 2.86 .360 .166 Selbstbezug 2.61 .539 2.68 .612 .467 M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau n = Anzahl

8.3.2 Geschlechtsunterschiede im Identitätsstatusdiagnoseinventar (ISDI)

Im Kapitel 5.5 wurden die Identitätsstadien nach Marcia, die das

Identitätsstatusdiagnoseinventar erfasst, ausführlich inhaltlich beschrieben.

Wie Tab. 85 zeigt, befinden sich die weiblichen Jugendlichen signifikant häufiger als die

männlichen im Stadium des „Moratoriums“, das der Suche und Erprobung neuer

Einstellungen und Verhaltensweisen gewidmet ist, die männlichen Jugendlichen einerseits

häufiger im Stadium der „diffusen Identität“, andererseits noch im Stadium

der „übernommenen Identität“. Bezüglich des Anteils der Jugendlichen, die sich bereits im

Stadium der selbst erarbeiteten Identität befinden, bestehen zwischen den Geschlechtern keine

Unterschiede.

Im Zuge der Identitätsentwicklung im Jugendalter kommt es am häufigsten zu einem Wechsel

von der übernommenen Identität über das Moratorium zur erarbeiteten Identität (Dunkel &

Anthis, 2001). Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Unterschiede zwischen

männlichen und weiblichen Jugendlichen unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die

Jugendlichen aufgrund des Aufbaus der Längsschnittuntersuchung eine altershomogene

Stichprobe bilden, in erster Linie auf den allgemeinen Entwicklungsvorsprung der weiblichen

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146

Jugendlichen zurückgeführt werden können und somit als Zeichen der fortgeschritteneren

Identitätsentwicklung der Mädchen zu sehen sind.

Tab. 85. Identitätsstadien und Geschlecht

Geschlecht Identitätsstadien Gesamt Erarbeitet Identität

Moratorium Diffuse Identität

Übernom. Identität

weiblich Anzahl 11 43 11 6 71 Erwartete Anzahl 12.4 31.6 16.1 10.9 71 % der weiblichen Jugendlichen

15.5% 60.6% 15.5% 8.5% 100%

männlich Anzahl 13 18 20 15 66 Erwartete Anzahl 11.6 29.4 14.9 10.1 66 % der männlichen Jugendlichen

19.7% 27.3% 30.3% 22.7% 100%

gesamt Anzahl 24 61 31 21 137 Erwartete Anzahl 24.0 61.0 31.0 21.0 137 % der Jugendlichen 17.5% 44.5% 22.6% 15.3% 100%

χ² = 16.72, df = 3 p = .001

Im Folgenden wird den Unterschieden zwischen den Identitätsstatusgruppen nach Marcia

bezüglich der Skalen des Identitätsfragebogens (IDEA-Y) nachgegangen.

8.4 Unterschiede zwischen den Identitätsstatusgruppen in den Skalen des Identitätsfragebogens (IDEA-Y)

Wie Abb. 20 veranschaulicht, unterscheiden sich die Identitätsstatusgruppen deutlich

bezüglich der im IDEA-Y erfassten Dimensionen voneinander.

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147

2

2.2

2.4

2.6

2.8

3

3.2

3.4

3.6

Exlporie

ren

Beziehu

ng

Belastu

ng

Veränd

erung

Verantw

ortun

g

Selbstb

ezug

erarbeitete IdentitätMoratoriumdiffuse Identitätübernommene Identität

Abb. 20. Identitätsstadien und Skalen des IDEA-Y

Allgemein zeigt sich, dass die Antworten der Jugendlichen sich im Bereich der mehr oder

weniger deutlichen Zustimmung zu den Aussagen der sechs Skalen des Identitätsfragebogens

liegen. In Tab. 86 werden dazu neben den Mittelwerten und Streuungen der

Identitätsstatusgruppen in den Skalen des IDEA-Y die Ergebnisse univariater

Varianzanalysen berichtet. Mit Ausnahme in der Skala Belastung unterscheiden sich die

einzelnen Identitätsstatusgruppen in den verbleibenden Skalen signifikant voneinander. Wie

weiters ersichtlich ist, haben die Jugendlichen im Stadium der diffusen Identität in allen

Skalen des IDEA-Y die niedrigsten Werte. Das heißt, dass diese Jugendlichen signifikant

weniger explorieren, den Peers weniger Bedeutung beimessen, sich weniger mit den Werten

der Gesellschaft und der Gestaltung ihrer Zukunft auseinandersetzen, weniger Verantwortung

übernehmen und signifikant weniger Selbstbezug aufweisen.

Die Jugendlichen im Moratorium haben erwartungsgemäß die höchste Ausprägung in der

Skala Exploration. Für Jugendliche der untersuchten Altersgruppe ist die Erkundung ihrer

eigenen Möglichkeiten in verschiedensten Bereichen und damit die Bereitschaft zur

Exploration von großer Bedeutung. Dies gilt zum Beispiel für die Freizeitgestaltung und die

Entscheidung für eine den eigenen Wünschen entsprechende Berufslaufbahn. Im letzteren

Bereich haben allerdings die Eltern und zum Teil die Lehrkräfte einen nicht zu

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148

unterschätzenden Einfluss. In anderen Bereichen sind die Jugendlichen weit mehr gefordert,

eigene Entscheidungen zu treffen. Wie in Kapitel 7 dargestellt, stellt daher Freizeitbereich

eine besonders wichtige Möglichkeit der Exploration der eigenen Bedürfnisse dar.

Jugendliche im Stadium der diffusen Identität weisen erwartungsgemäß die niedrigsten Werte

in der Skala Exploration auf, da sie den mit dem Erwachsenwerden verbundenen

Entscheidungen auszuweichen trachten. Heranwachsende im Stadium der übernommenen

Identität und Jugendliche im Stadium der erarbeiteten Identität zeigen mittlere Ausprägungen.

Bezüglich der Beziehung zu Freunden und Freundinnen bestehen signifikante Unterschiede

zwischen den Jugendlichen mit einer erarbeiteten Identität sowie jenen im Moratorium auf der

einen und den Jugendlichen mit einer diffusen Identität auf der anderen Seite, die hier die

niedrigste Ausprägung zeigen. Sie können sich daher auch wenig auf ihren Freundeskreis

verlassen. Auch bezüglich der Skala, die das Bewusstsein über die Veränderungen in

Richtung Erwachsenwerden erfasst, unterscheiden sich die Jugendlichen mit einer diffusen

Identität signifikant von jenen im Moratorium und der übernommenen Identität: Sie sind sich

des Veränderungsprozesses am wenigsten bewusst. Entsprechend gering ist im Vergleich zu

den anderen Identitätsstatusgruppen ihre Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme. In

dieselbe Richtung eines eher eskapistischen Lebensstils weisen ihre niedrigen Werte in der

Skala Selbstbezug, die die Selbstreflexion erfasst. Hier unterscheiden sie sich signifikant von

den Jugendlichen mit einer übernommenen Identität, die auf Grund ihrer weitgehend von den

Eltern stammenden Identitätskonstruktion und der damit verbundenen Sicherheit Reflexionen

über sich selbst nicht gewohnheitsmäßig ausweichen, wie dies bei Jugendlichen mit einer

diffusen Identität der Fall ist.

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Tab. 86. Skalen des IDEA-Y und Identitätsstadien (ANOVA)

Skalen des IDEA-Y Identitätsstadien n M SD p

Exploration

Erarbeitete Identität 24 3.15 0.449

.002 Moratorium 61 3.31 0.474 Diffuse Identität 31 2.86 0.667 Übernommene Identität 21 3.19 0.463

Beziehung zu Freunden/Freundinnen

Erarbeitete Identität 24 3.45 0.361

<.001 Moratorium 61 3.45 0.402 Diffuse Identität 31 2.95 0.604 Übernommene Identität 21 3.29 0.504

Belastung

Erarbeitete Identität 24 2.69 0.562

.650 Moratorium 61 2.57 0.543 Diffuse Identität 31 2.48 0.640 Übernommene Identität 21 2.57 0.754

Veränderung

Erarbeitete Identität 24 3.12 0.328

<.001 Moratorium 61 3.32 0.380 Diffuse Identität 31 2.92 0.528 Übernommene Identität 21 3.24 0.438

Verantwortung

Erarbeitete Identität 24 2.99 0.341

.006 Moratorium 61 2.94 0.386 Diffuse Identität 31 2.71 0.393 Übernommene Identität 21 3.02 0.318

Selbstbezug

Erarbeitete Identität 24 2.64 0.667

.045 Moratorium 61 2.66 0.530 Diffuse Identität 31 2.46 0.542 Übernommene Identität 21 2.92 0.567

n = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau

8.5 Identität und Bindung an die Eltern

Marcia (1989) ging davon aus, dass eine sichere Bindung an die Eltern das Erreichen der

erarbeiteten Identität langfristig fördert, da sich Jugendliche dadurch frei für die Exploration

fühlen. Eine sichere Bindung stellt auch im Jugendalter eine notwendige Basis für entspannte

Diskussionen über eigene Erfahrungen und Einstellungen dar, die deren Bewertung erleichtert

und so die Integration der neuen Erkenntnisse in die sich entwickelnde neue Persönlichkeit

ermöglicht.

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Zur Erfassung der Beziehung zu den Eltern wurde, wie bereits zu t5, der Bindungsfragebogen

von Armsden und Greenberg, allerdings getrennt nach Mutter und Vater, eingesetzt.

8.5.1 Identitätsstatusgruppen nach Marcia und Eltern-Kind Beziehung

Eine Überprüfung der Unterschiede zwischen den vier Identitätsstatusgruppen nach Marcia

im Hinblick auf die Qualität der Bindung der betreffenden Jugendlichen an ihre Mutter ergab

kein signifikantes Ergebnis, wohl aber der Vergleich der Identitätsstatusgruppen bezüglich der

von ihnen erlebten negativen emotionalen Beziehung zum Vater. Die entsprechenden

Mittelwerte sind aus Tab. 87 zu entnehmen: Jugendliche im Status der übernommenen

Identität haben hier die niedrigsten Werte. Jugendliche mit einer erarbeiteten Identität die

höchsten. Letztere haben zwar bereits im Unterschied zu den Jugendlichen mit einer

übernommenen Identität eine eigene Identität gefunden, doch scheint dies mit einer gewissen

Entfremdung vom Vater einher zu gehen. Dies lässt sich auch dahingehend interpretieren,

dass bei ihnen die jugendtypische Ablösung weiter fortgeschritten ist.

Tab. 87. Identitätsstadien und Bindung an den Vater (ANOVA)

Bindung an den Vater Identitätsstadien n M SD p

negative emotionale Beziehung

Erarbeitete Identität 23 2.56 .948

.044 Moratorium 60 2.23 .640 Diffuse Identität 30 2.23 .686 Übernommene Identität 21 1.96 .531

n = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau

Um den Ablösungsprozess auch von Seiten der Eltern betrachten zu können, werden im

nächsten Auswertungsschritt die Ergebnisse bezüglich des von den Eltern ausgefüllten

Zweierbeziehungsfragebogens (Cierpka & Frevet,1994) zur Erfassung der von den Eltern

erlebten Beziehung zu ihrem Sohn bzw. ihrer Tochter berichtet. Der Fragebogen erfasst nach

Cierpka und Frevet die folgenden Dimensionen: „Aufgabenerfüllung“ (wobei die positive

Erfüllung familienbezogener Aufgaben erfasst wird), „Rollenverhalten“ (Akzeptieren der

familiären Rollenzuweisungen), (positive) „Kommunikation“, (adequate) „Emotionalität“,

(positive) „Affektive Beziehungsaufnahme“, „Kontrolle“ des Verhaltens des

Interaktionspartners/der Interaktionspartnerin, Übereinstimmung bezüglich der „Werte und

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151

Normen“. In den folgenden Auswertungen wurde von den von den Autoren konstruierten

Skalen ausgegangen. Bei der Interpretation der in Tab. 88 aufgeführten Befunde ist zu

beachten, dass im Fragebogen von Cierpka und Frevert hohe Werte niedrige Ausprägungen

der entsprechenden Dimension bedeuten und umgekehrt.

Bezüglich der Aufgabenerfüllung verfehlen die Unterschiede zwischen den Identitätsstadien

nur knapp die Signifikanzgrenze. Keine Unterschiede bestehen bei den Dimensionen

Rollenverteilung und Kommunikation, signifikante bzw. sehr signifikante jedoch hinsichtlich

der Emotionalität, affektiven Beziehungsaufnahme und Kontrolle sowie tendenzielle

Unterschiede bei den Werten und Normen.

Hier fällt zunächst besonders auf, dass sich die Mütter von Jugendlichen mit einer

übernommenen Identität in der Bewertung ihrer Beziehung zu den Jugendlichen in fast allen

Bereichen von Müttern von Jugendlichen mit einer diffusen Identität unterscheiden, wobei

erstere jeweils die günstigsten, letztere die ungünstigsten Einschätzungen zeigen. Die

Sonderstellung der Jugendlichen mit einer diffusen Identität zeigt sich daher nicht nur darin,

dass sie sich, wie oben dargestellt, der Entwicklungsaufgabe der „Identitätsfindung“

weitgehend verweigern, sondern auch in der Beziehung ihrer Mütter zu ihnen. Sie ist

besonders durch eine geringe Emotionalität, eine defizitäre affektive Beziehungsaufnahme

und durch Kontrolle gekennzeichnet. Auch die Beurteilung der Erfüllung familiärer Aufgaben

durch die Mütter geht in dieselbe Richtung. Dies verdeutlicht, dass die Ablehnung der

Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und den damit verbundenen Anforderungen mit

einer problematischen Beziehung zwischen den Müttern und diesen Jugendlichen einhergeht.

Bezüglich der Dimension „Werte und Normen“ besteht zwar nur ein tendenzieller

Unterschied zwischen den Identitätsgruppen, doch zeigen die Mütter der Jugendlichen mit

diffuser Identität auch hier die niedrigste Übereinstimmung mit ihren Söhnen und Töchtern.

Die Beziehung zu den Jugendlichen im Stadium der übernommenen Identität wird von ihren

Müttern dagegen am positivsten beurteilt, was als Folge der Übernahme der durch die Eltern

geprägten Vorstellungen von Identität interpretiert werden kann. Auch in den Untersuchungen

von Marcia (1993) zeichneten sich die Jugendlichen im Stadium der übernommenen Identität

durch ihre harmonischen Familienbeziehungen, ihren Gehorsam und ihre Nachgiebigkeit

elterlichen Wünschen gegenüber aus.

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Tab. 88. Zweierbeziehung (Mutter und Jugendliche) und Identitätsstadien (ANOVA)

Beziehung zw. Mutter und Jugendlichen Identitätsstadien n M SD p

Aufgabenerfüllung

Erarbeitete Identität 21 49.19 6.91

.054 Moratorium 60 48.48 8.43 Diffuse Identität 30 52.47 7.91 Übernommene Identität 21 46.76 6.99

Rollenverteilung

Erarbeitete Identität 22 46.95 6.69

.568 Moratorium 59 47.36 8.48 Diffuse Identität 30 49.23 6.96 Übernommene Identität 21 46.76 6.43

Kommunikation

Erarbeitete Identität 20 50.45 11.75

.482 Moratorium 60 50.48 10.47 Diffuse Identität 29 54.69 10.66 Übernommene Identität 21 50.24 11.56

Emotionalität

Erarbeitete Identität 22 48.64 7.25

.009 Moratorium 60 51.28 9.51 Diffuse Identität 30 53.27 10.37

Übernommene Identität 21 44.86 7.25

affektive Beziehungs-aufnahme

Erarbeitete Identität 22 45.50 8.52

.020 Moratorium 60 48.20 10.11 Diffuse Identität 30 51.20 11.35 Übernommene Identität 21 43.57 8.24

Kontrolle

Erarbeitete Identität 21 44.81 7.25

.004 Moratorium 60 49.02 10.04 Diffuse Identität 30 52.03 10.01 Übernommene Identität 21 43.48 6.21

Werte und Normen

Erarbeitete Identität 21 43.29 8.03

.069 Moratorium 59 45.78 9.80 Diffuse Identität 29 48.97 9.38 Übernommene Identität 21 45.14 8.11

n = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau

8.5.2 Bindungsrepräsentationen (nach Ainsworth) und Identität

Wie die berichteten Ergebnisse zeigen konnten, kommt der Bindung der Jugendlichen an ihre

Müttern eine besondere Bedeutung beim Übergang in das Erwachsenenalter und seinen

Anforderungen zu. Im nächsten Auswertungsschritt wurden daher mit Hilfe der Skalen des

Bindungsfragebogens von Armsden und Greenberg (IPPA) clusteranalytisch (nach Ward)

Bindungstypen gebildet (siehe Werneck & Rollett, 2007). Die Resultate ergaben, dass sich

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153

drei Bindungsmuster unterscheiden lassen, die den klassischen Bindungstypen von Ainsworth

(s. Ainsworth, Blehar, Waters & Wall, 1978) entsprechen: 1. Sichere Bindung, 2. Unsicher-

vermeidende Bindung und 3. Unsicher- ambivalente Bindung (s. Abb. 21)

1

1.5

2

2.5

3

3.5

4

4.5

5

Vertrauen Kommunikation negativeemotionaleBeziehung

Entfremdung

sicherunsicher-ambivalentunsicher-vermeidend

Abb. 21. Mittelwerte der Bindungscluster (Bindung zur Mutter im IPPA)

Jugendliche mit „sicherer“ (autonomer) Bindungsrepräsentation weisen hohe Werte in den

Skalen Vertrauen und Kommunikation und niedrige Werte in den Skalen negative emotionale

Beziehung und Entfremdung auf. Jugendliche mit einer „unsicher-ambivalenten“

Bindungsrepräsentation (die sowohl durch positive als auch durch negative Aspekte

gekennzeichnet ist), haben zwar noch etwas Vertrauen zu ihrer Mutter, im Vergleich zu den

anderen Gruppen jedoch die schlechteste Kommunikationsbasis und die negativsten

Ausprägungen in den Skalen „Negative emotionale Beziehung“ und „Entfremdung“.

Jugendliche mit einer „unsicher-vermeidenden“ Bindung an die Mutter zeigen, verglichen mit

den anderen Bindungsgruppen, ein mittleres Vertrauen, aber nur eine durchschnittliche

Kommunikationsbasis. Ihre Beziehung zur Mutter ist weiters durch ein mittleres Ausmaß

bezüglich der Entfremdung und der negativen emotionalen Beziehung charakterisiert. Da

angenommen werden kann, dass sich diese Bindungsmuster auch auf die Identitätsbildung

auswirken, werden in Tab. 89 die Unterschiede der Bindungstypen in den Skalen des IDEA-Y

berichtet. Wie daraus hervorgeht, kommt es in den Bereichen der Exploration und der

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Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung zu signifikanten Unterschieden zwischen den

Bindungstypen. Jugendliche mit unsicher-ambivalenter Bindungsrepräsentationen widmen

sich signifikant stärker dem Explorieren als Jugendliche mit unsicher-vermeidender Bindung.

Weiters zeigen Jugendliche mit sicheren Bindungsrepräsentationen eine größere Bereitschaft

zur Übernahme von Verantwortung als Jugendliche mit einer unsicher- vermeidenden

Bindung und tendenziell mehr Bereitschaft zur Akzeptanz von Veränderungen, die im

Jugendalter angesagt sind.

Tab. 89. Bindungsrepräsentationen in den Skalen des IDEA-Y

Skalen des IDEA-Y Bindungsrepräsentationen n M SD p

Exploration sicher 62 3,21 0,534

.051 unsicher-vermeidend 65 3,07 0,534 unsicher-ambivalent 9 3,51 0,521

Veränderung sicher 62 3,27 0,421

.092 unsicher-vermeidend 65 3,10 0,418 unsicher-ambivalent 9 3,22 0,682

Verantwortung/ Freiheit

sicher 62 3,01 0,387 .009 unsicher-vermeidend 65 2,81 0,360

unsicher-ambivalent 9 2,88 0,375 Pillai-Spur, p = .004, F = 2.47, df = 12

n = Anzahl M = Mittelwert SD = Standardabweichung p = Signifikanzniveau

8.6 Identität und die Beziehung zu den Gleichaltrigen

8.6.1 Einleitung

Positive Beziehungen zu den Peers stellen gerade in der Adoleszenz eine wertvolle Ressource

dar. Sie können in vieler Hinsicht zur Bewältigung der neuen Aufgaben förderlich sein.

Freundschaften bieten emotionale Unterstützung und Sicherheit, können besonders in

schwierigen Übergangsphasen wichtig werden und dienen zum Teil auch als Puffer gegen

unangenehme Erfahrungen (Siegler et al., 2005, S. 712-713). Ausgegrenzte Jungendliche

bzw. Jugendliche mit wenigen Freundschaften weisen mehr internale und externale Probleme

auf (Burk & Laursen, 2005).

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Aber auch für den Prozess der Individuation kann eine gute Beziehung zu Gleichaltrigen eine

Stütze sein, um die nötige Distanzierung von den Eltern zu bewältigen und neue

Beziehungserfahrungen sammeln zu können. Diese bieten darüber hinaus die Möglichkeit, die

eigene Beziehungsfähigkeit auszubauen. Die Gruppe der Freunde und Freundinnen stellt den

geeigneten Rahmen zur Verfügung, um soziale Regeln zu erproben und Konflikte lösen zu

lernen. Fend (1998) zieht in seinen Ausführungen zu diesem Themenkreis „die zentrale

Schlussfolgerung“, „dass die Identitätsbildung u.a. in der Adoleszenz im Medium der

Aushandlungen und Abgrenzungen in den Peer-Beziehungen geschieht. Hier wird

experimentell und in ernsthaften Gesprächen unter Freunden das ‚Eigene’ und das ‚Fremde’

ausgetestet, wird Abgrenzung erprobt und Identifikation durchgespielt, wird ein Lebensstil

erarbeitet, wird der Kern des eigenen Selbst konstruiert und mit anderen Feldern der

Identitätsbildung balanciert“ (S. 241). Selbstverständlich gelten diese Charakterisierungen nur

für echte, von gegenseitiger Wertschätzung und Rücksichtnahme getragene Freundesgruppen,

nicht für Jugendgruppen allgemein. In dem vorliegendem Projekt wurde daher die Beziehung

zu den Peers an Hand des IPPA getestet, der auch die Qualität der Beziehung zu

Gleichaltrigen erfasst. Er wurde bereits zu t5 eingesetzt, als die Heranwachsenden elf Jahre alt

waren (zur Skalenkonstruktion siehe Rollett & Hanfstingl, 2004).

8.6.2 Methodisches Vorgehen

Um einen längsschnittlichen Vergleich zu ermöglichen, wurden die zu t5 für die Erfassung

der Peerbeziehungen ermittelten Skalen des IPPA aufgrund der Daten der aktuellen Erhebung

einer Reliabilitätsanalyse unterzogen. Die Cronbach’s Alphas erwiesen sich als nahezu ident

mit jenen zu t5, so dass die Skalen der letzten Testung übernommen werden konnten (s. Tab.

90).

Tab. 90. Beziehung zu den Peers (t6): Skalen des IPPA

Skalenbezeichnung Itemanzahl Item Cronbachs Alpha

Vertrauen 6 6, 8, 13, 17, 20, 21 .844 Kommunikation 11 1, 2, 3, 7,12, 14, 15, 16, 19, 24, 25 .895 Neg. emotionale Beziehung 3 5, 11, 18 .672 Entfremdung 4 4, 10, 22, 23 .722

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156

8.6.3 Peerbeziehungen und Identität: Korrelationen

Neben der Bindung an die Eltern spielen die Beziehungen zu den Gleichaltrigen im Prozess

des Übergangs in das Erwachsenenalter eine wichtige Rolle. Um einen Überblick über die

Befundlage zu erhalten, sollen zunächst Korrelationen zwischen dem IPPA und IDEA-Y,

getrennt nach männlichen und weiblichen Jugendlichen, berichtet werden.

In der weibliche Stichprobe geht eine gute Gesprächskultur mit den Peers mit einer höheren

Bereitschaft, zu explorieren (r = .248) sowie einem höheren Stellenwert der Beziehungen zu

den Freunden und Freundinnen einher (r = .269). Erhöhte Belastung durch die Jugendphase

korreliert mit negativen emotionalen Beziehungen zu den Peers (r = .286) und dem Gefühl der

Entfremdung von ihnen (r = .414). Weiters bestehen positive Zusammenhänge zwischen dem

Vertrauen zu den Freunden und Freundinnen (r = .310), einer guten Kommunikation

(r = .278) und dem Fehlen einer negativen emotionalen Beziehung (r =-.305) mit der Skala

„Verantwortung und Freiheit“ im IDEA-Y einher.

Bei den männlichen Jugendlichen zeigen sich wesentlich weniger Zusammenhänge zwischen

der durch den IPPA erfassten Beziehung zu den Freunden und Freundinnen und den Skalen

des Identitätsfragebogens: Die Skala „Kommunikation mit den Peers“ des IPPA weist

erwartungsgemäß eine positive Korrelation mit der Skala Beziehung (zu den Freunden und

Freundinnen) des IDEA-Y auf (r = .445). Eine weitere positive Korrelation besteht zwischen

der positiven Gesprächsbasis mit den Peers und der Bereitschaft zur Exploration (r = .400).

Offenbar bedeutet das Eingebundensein in die Peergroup für die Jugendlichen eine ähnlich

sichere Basis, wie dies in den frühen Alterstufen die Bindung an die Eltern darstellt.

8.6.4 Unterschiede der Identitätsstatusgruppen in der Beziehung zu Freunden und Freundinnen

Wie aus Tab. 91 hervorgeht, weisen die Identitätsstatusgruppen in der Skala Kommunikation

des IPPA signifikante Unterschiede auf. Jugendliche mit einer erarbeiteten Identität und jene

im Moratorium berichten eine signifikant bessere Kommunikationskultur mit ihren Freunden

und Freundinnen, als Jugendliche im Stadium der diffusen Identität. Dies deutet darauf hin,

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157

dass eine konstruktive, zu einem ersten Abschluss der Identitätsbildung führende

Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt mit einer konstruktiven Gesprächskultur in der

Jugendgruppe einhergeht. Bei den übrigen Skalen des IPPA bestehen keine Unterschiede

zwischen den Identitätsstatusgruppen.

Tab. 91. Identität und die Beziehung zu den Peers (ANOVA)

Beziehung zu den Peers Identitätsstadien N M SD p

Kommunikation

Erarbeitete Identität 24 4.1439 .50575

.002 Moratorium 61 4.1341 .55858 Diffuse Identität. 31 3.7243 .62874 Übernom. Identität 21 3.7749 .55493

M = Mittelwert SD = Standardabweichung n = Anzahl p = Signifikanzniveau

8.6.5 Identitätsstatusgruppen und Beziehung zum anderen Geschlecht

Eine wichtige zukunftsweisende Entwicklungsaufgabe des Jugendalters, die das

Erwachsensein vorbereitet, ist die – in diesem Alter in der Regel zeitlich begrenzte - Bindung

an einen festen Partner- bzw. eine feste Partnerin. In Tab. 92 wird daher der Zusammenhang

zwischen den vier Identitätsstadien und der Angabe, ob die Jugendlichen bereits über einen

festen Freund oder eine feste Freundin verfügen, untersucht. Es zeigte sich zwar nur eine

tendenzielle Signifikanz, die Ergebnisse gehen aber in die erwartete Richtung: Jugendliche im

Moratorium haben häufiger und Jugendliche mit einer diffusen oder einer übernommenen

Identität seltener als zu erwarten einen festen Partner bzw. eine feste Partnerin. Die

Jugendlichen im Moratorium sind auf der Suche nach neuen Lebensformen, zu denen auch

die Partnersuche gehört, während Jugendliche mit einer diffusen Identität den

Entwicklungsaufgaben, die das Erwachsenenalter vorbereiten, ausweichen. Jugendliche mit

einer übernommenen Identität bleiben länger an die Eltern gebunden und haben aus diesem

Grund weniger Interesse an neuen Bindungen.

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Tab. 92. Feste Freundin/festen Freund in den Identitätsstadien

Identitätsstadien

Ich habe einen festen Freund/

eine feste Freundin Gesamt

nein ja nein

Erarbeitete Identität Anzahl 20 4 24Erwartete Anzahl 19.4 4.6 24% von Identitätsstadien 83.3% 16.7% 100%

Moratorium Anzahl 44 17 61Erwartete Anzahl 49.4 11.6 61% von Identitätsstadien 72.1% 27.9% 100%

diffuse Identität Anzahl 28 3 31Erwartete Anzahl 25.1 5.9 31% von Identitätsstadien 90.3% 9.7% 100%

übernommene Identität Anzahl 19 2 21Erwartete Anzahl 17 4 21% von Identitätsstadien 90.5% 9.5% 100%

Gesamt Anzahl 111 26 137Erwartete Anzahl 111 26 137% von Identitätsstadien 81% 19% 100%

Exakter Test nach Fischer p = .546

8.7 Identität und Persönlichkeit

8.7.1 Beziehungen zwischen den Skalen des IDEA-Y und den Persönlichkeitsdimensionen des NEO-FFI: Korrelationen

Die individuelle Identität kann als einzigartiger Aspekt der Persönlichkeitsstruktur verstanden

werden, die sowohl mit dem Bild, das sich andere von dieser Struktur machen als auch mit

dem eigenen Verständnis der persönlichen Identität verbunden ist (vgl. Oerter & Dreher,

2002). Die Identitätsentwicklung erfolgt daher nicht unabhängig von der

Persönlichkeitsentwicklung. Diesen Beziehungen wird im Folgenden nachgegangen.

Wie zu erwarten, bestehen Relationen zwischen der Persönlichkeitsdimension „Offenheit“ im

NEO-FFI und den Skalen des IDEA-Y „Explorieren“ (r = .404), „Veränderungen“ (r = .225),

„Übernahme von Verantwortung“ (r = .333) und „Beziehungen zu Freunden/Freundinnen“

(r = .290). Zwischen Extraversion und Exploration besteht eine geringe positive Korrelation

(r = .197), eine etwas höhere Korrelation mit der Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme

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159

für sich und andere (r = .337). Zwischen Neurotizismus und der Skala „Belastung“ im IDEA-

Y besteht erwartungsgemäß eine mittlere Korrelation von .433.

8.7.2 Identitätsstatus und Persönlichkeit

In Bezug auf die vier Identitätsstatusgruppen nach Marcia zeigen Jugendlichen im Stadium

der diffusen Identität signifikant niedrigere Werte in der Skala „Gewissenhaftigkeit“ des

NEO-FFI, als dies bei den Jugendlichen in den anderen Identitätsstadien der Fall ist, was auf

die allgemeine Neigung dieser Jugendlichen hinweist, sich Anforderungen eher zu entziehen.

Die höchsten Ausprägungen haben Jugendliche im Stadium der erarbeiteten Identität.

Jugendliche in den Stadien der erarbeiteten Identität und im Moratorium weisen tendenziell

eine höhere Offenheit als die Jugendlichen im Stadium der diffusen Identität auf (siehe Tab.

93). Bei den weiteren Persönlichkeitsdimensionen des NEO-FFI zeigten sich keine

signifikanten Unterschiede zwischen den Statusgruppen.

Tab. 93. NEO-FFI Skalen und Identitätsstadien (ANOVA)

NEO-FFI Skalen Identitätsstadien n M SD p

Gewissenhaftigkeit

Erarbeitete Identität 24 44.62 6.72

.005 Moratorium 61 43.49 7.62 Diffuse Identität. 31 38.67 8.52 Übernom. Identität 21 45.47 7.60

Offenheit

Erarbeitete Identität 24 44.54 5.66

.061 Moratorium 61 44.70 6.62 Diffuse Identität. 31 41.09 7.24 Übernom. Identität 21 41.95 7.47

M = Mittelwert SD = Standardabweichung n = Anzahl p = Signifikanzniveau

8.8 Pfadanalysen der Identitätsentwicklung

Eine wichtige Frage betrifft die Entwicklung der Identitätsbildung von t4, als die Kinder acht

Jahre alt waren, bis zum aktuellen Zeitpunkt. Zu diesem Zweck werden im Folgenden

Pfadanalysen nach dem Modell von Wold (1979) und Lohmöller (1987) berichtet. Nach

Marcia bestimmen die Faktoren Exploration und Commitment die Identitätsentwicklung. Als

Zielvariable des ersten Pfadmodells wurde daher eine latente Variable aus den beiden

manifesten Variablen des IDEA-Y „Exploration“ und „Verantwortung/Freiheit“ (die gewisse

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Aspekte des Commitment abbildet) konstruiert (Modell 1). Eine weitere Pfadanalyse wurde

für die Zielvariable „Belastung“ aus dem IDEA-Y berechnet, um negative Entwicklungen

modellieren zu können (Modell 2).

In die Pfadanalysen wurden Variablen aufgenommen, die bei den vorangegangenen Analysen

einen Einfluss auf die Identitätsbildung zeigten. Als latente Variablen wurden das

Temperament zu t4 (manifeste Variablen: Erziehbarkeit, Ärgerneigung/ negative Stimmung,

Offenheit gegenüber Erfahrungen, Introversion, Extraversion, Zielstrebigkeit, Folgsamkeit),

die Persönlichkeit zu t6 (manifeste Variablen: Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit, Offenheit,

Extraversion, Neurotizismus) und das Erziehungsverhalten der Mutter zu t4 (manifeste

Variablen: Unterstützung, Zuwendung, Vertrauen) in die Berechnung einbezogen. In

verschiedenen Auswertungen hatte sich die Bindung, und hier vor allem die Bindung an die

Mutter als wichtige Einflussvariable erwiesen. Sie wurde (wie auch die in ähnlicher Weise

erhobene Beziehung zu den Peers) als latente Variable in die Pfadanalyse aufgenommen

(manifeste Variablen: Vertrauen, Kommunikation, negative emotionale Beziehung und

Entfremdung). Als weitere manifeste Variablen wurden die Belastung der Mutter durch das

Kind zu t6 und die von der Mutter beurteilte Kommunikation mit ihrem Partner zu t5

berücksichtigt.

In Tab. 94 sind die jeweiligen Ladungen der manifesten Variablen auf den latenten Variablen

angeführt. Wie die Ladungsmuster des Temperaments zu t4 in beiden Modellen erkennen

lassen, ist sowohl für die Exploration und Verantwortungsübernahme als auch für die

Belastung in der Jugendphase ein positives Temperament von Einfluss, welches vor allem

durch Erziehbarkeit (Ladungen .83 und .84), fehlende Ärgerneigung (jeweils .-80),

Zielstrebigkeit (.63 und .64) und Folgsamkeit (jeweils .60) bestimmt wird.

Das Erziehungsverhalten der Mutter zu t4 ist durch Zuwendung, Unterstützung und fehlende

Strenge charakterisiert. Die Bindung an die Mutter bzw. die Beziehung zu den Peers ist für

die Zielvariable Exploration/Verantwortung durch eine vertrauensvolle Beziehung und eine

gute Kommunikationsbasis sowie durch fehlende Entfremdung und Abwesenheit einer

negativen emotionalen Beziehung gekennzeichnet. Für die Zielvariable Belastung dagegen ist

eine negativ ausgeprägte Bindung an die Mutter sowie eine schlechte Beziehung zu den Peers

charakteristisch, wie die unterschiedlichen Vorzeichen der Ladungen der manifesten

Variablen zeigen. Die latente Variable Persönlichkeit, welche aus den Skalen des NEO FFI

gebildet wurde, ist im ersten Modell vor allem durch Verträglichkeit und Extraversion und in

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zweiter Linie durch Gewissenhaftigkeit und Offenheit sowie die Abwesenheit von

Neurotizismus bestimmt. Ein gegensätzliches Ladungsmuster findet sich bezüglich des

zweiten Modells. Hier schlägt vor allem der Neurotizismus mit einer positiven Ladung durch,

während die anderen Ladungen ein negatives Vorzeichen aufweisen.

Tab. 94. Latente und Manifeste Variablen in den Pfadanalysen mit Mütterdaten

Konstituierende Variablen Ladungen

Modell 1 Exploration/ Verantwortung

Modell 2 Belastung

1 Temperament des Kindes/t4 Erziehbarkeit 83 84

Ärgerneigung/neg. Stimmung

-80 -80

Offenheit gegenüber Erfahrungen

57 56

Introversion -27 -25

Extraversion 34 32

Zielstrebigkeit 63 64

Folgsamkeit 60 60

2 Mütterliches Erziehungsverhalten/t4

Unterstützung 55 62

Strenge -60 -51

Zuwendung 81 83

3 Bewertung der Kommunikation in der Partnerschaft durch die Mutter/t5

4 Belastung der Mutter durch Sohn/Tochter/t6

5 Bindung an die Mutter/t6

Vertrauen 88 -86

Kommunikation 91 -90

Negative emotionale Beziehung -81 82

Entfremdung -78 79

6 Beziehung zu den Peers/t6 Vertrauen 90 -90

Kommunikation 82 -77

Negative emotionale Beziehung -79 82

Entfremdung -84 85

7 Persönlichkeit im NEO – FFI/t6 Gewissenhaftigkeit 53 -52

Verträglichkeit 64 -68

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Offenheit 45 -19

Extraversion 65 -56

Neurotizismus -59 76

8a Zielvariable Identität: Exploration und Verantwortungsübernahme für sich selbst und andere

Exploration (IDEA-Y)

66

Verantwortung/Freiheit (IDEA-Y) 94

8b Zielvariable Belastung Belastung (IDEA-Y)

Wie Tab. 95 und Tab. 96 zeigen, können mit Hilfe der in die Pfadanalysen aufgenommenen

Variablen in Modell 1 (Zielvariable Exploration/Verantwortung) 37%, im Modell 2

(Zielvariable Belastung) 26% der Varianz aufgeklärt werden.

Tab. 95. Exploration und Verantwortung: Quadrierte multiple Korrelation R²

1 2 3 4 5 6 7 8a R² 0 12 9 21 9 21 53 37

Legende:

1 = Temperament des Kindes/t4 2 = Mütterliches Erziehungsverhalten/t4 3 = Bewertung der Kommunikation in der Partnerschaft durch die Mutter/t5 4 = Belastung der Mutter durch Sohn/Tochter/t6 5 = Bindung an die Mutter/t6

6 = Beziehung zu den Peers/t6 7 = Persönlichkeit im NEO-FFI/t6

8a = Zielvariable Exploration und Verantwortung 8b = Zielvariable Belastung

Tab. 96. Belastung: Quadrierte multiple Korrelation R²

1 2 3 4 5 6 7 8b R² 0 12 9 21 10 21 54 26

Legende: siehe oben

8.8.1 Pfadmodell 1: Längsschnittliche Entwicklung der Identität im Jugendalter

Wie oben ausgeführt, stellen die Explorationsbereitschaft und die Bereitschaft zur

Verantwortungsübernahme für sich selbst und andere den Kern der Identitätsentwicklung im

Jugendalter dar. Diese beiden Variablen aus dem IDEA-Y wurden daher zur Konstruktion der

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163

latenten Variable „Identität“ benützt. Die folgende Abb. 22 veranschaulicht das resultierende

Beziehungsmuster.

Ärgerneigung

n = 94

Zielstrebigkeit

Offenheit Erziehbarkeit

.35

VertrauenKommunikation

Negative emotionaleBeziehung

Entfremdung

Unterstützung

Zuwendung

Strenge

MütterlicherErziehungsstil

t4 (HAMEL)

Temperamentdes Kindes t4

Folgsamkeit

Vertrauen

Kommunikation

Negative emotionaleBeziehung

Entfremdung

Beziehungzu den Peers

t6

Belastung der Mutter durch Sohn/Tocher t6

Exploration

Verantwortung/Freiheit

Offenheit

Gewissenhaftigkeit

Extraversion

Verträglichkeit

Persönlichkeitt6 (NEO-FFI)

Neurotizismus

.18

-.24

.16

.17

.18

-.21

.23

-.17

.27

.24

.31

.50

.35

.15

.54

.83-.80.57

.34

.63

.60

.55

.81

-.60

.88

.91

-.81

-.78

.90.82

-.79

-.84

.53

.64

.45

.65

-.59

.66

.94

-.27

-.23

.23

Bindung an die Mutter

t6

KommunikationsbewertungMutter über Vater t5 (PFB)

Identität

Extraversion

Introversion

Abb. 22. Modell 1, Pfadanalyse der Zielvariable „Identität“

Wie daraus hervorgeht, fördert eine von der Mutter positiv bewertete Kommunikation mit

ihrem Partner zu t5 die Identitätsentwicklung der Jugendlichen, wie der direkte Pfad von .31

zeigt. Eine zu positive Bindung an die Mutter zu t6 ist allerdings der Identitätsentwicklung

nicht förderlich, wie aus dem Pfad von -.23 ersichtlich ist, begünstigt aber andererseits eine

positive Entwicklung der Beziehung zu den Peers (.23) und wirkt sich fördernd auf eine

positive Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen zu t6 aus (.50), die ihrerseits mit einem

sehr ausgeprägten direkten Pfad von .54 die Entwicklung der Identität unterstützt. Ein

geringfügiger direkter Pfad von .15 führt außerdem von der Beziehung zu den Peers zur

Identitätsentwicklung, was auf den Anteil der Gleichaltrigen an der Identitätsbildung der

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Jugendlichen hinweist. Eine positive Persönlichkeit der Jugendlichen wird durch ein

günstiges frühes Erziehungsverhalten der Mutter (.23) und eine intakte Beziehung zu den

Peers im Jugendalter (.35) unterstützt.

Ein positives Temperament im Alter von acht Jahren unterstützt einen positiven

Erziehungsstil der Mutter zum selben Erhebungszeitpunkt (.35) und mindert die von der

Mutter zu t6 empfundene Belastung durch den Sohn bzw. die Tochter (.-24): Wurden die

Kinder zu t4 von ihren Müttern temperamentmäßig als erziehbar, folgsam, zielstrebig und

wenig zu Ärger neigend beschrieben, dann kommt es nicht nur zu einem positiven, durch

Zuwendung Unterstützung und geringe Strenge gekennzeichneten mütterlichen

Erziehungsverhalten, sondern langfristig zu einer Belastungsreduktion der Mütter. Positive

Temperamentseigenschaften der Kinder tragen weiters, wenn auch nur geringfügig, zu einer

positiven Kommunikation der Mütter mit ihren Partnern zu t5 bei (.18). Sie fördern außerdem

in gewisser Hinsicht sowohl eine positive Bindung an die Mutter im Jugendalter (.16) als

auch positive Beziehungen zu den Peers (.17) zu t6.

Ein günstiger Erziehungsstil zu t4 geht mit einer positiven Kommunikation in der

Partnerschaft zu t5 einher (.18), trägt zu einer geringeren Belastung der Mutter zu t6 bei (-.20)

und hat einen positive Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung (.23) der Jugendlichen.

Eine günstige Partnerschaftskommunikation fördert außerdem eine positive Gestaltung der

Bindung des Jugendlichen an ihre Mutter (.27) sowie eine günstige Beziehung zu den Peers

(.24) und verringert die von der Mutter empfundene Belastung durch den Sohn bzw. die

Tochter zu t6 (-.17). Wie diese Darstellung zeigt, sind es vor allem die positiven

individuellen, familiären und sozialen Entwicklungsbedingungen, welche die

Identitätsbildung unterstützen.

8.8.2 Pfadmodell 2: Längsschnittliche Entwicklung der von den Adoleszenten erlebten Belastung im Jugendalter

Um auch den Bedingungen einer durch Belastung gekennzeichneten Jugendphase nachgehen

zu können, wurde ein Pfadmodell mit der Zielvariable „Belastung“ (IDEA-Y) gerechnet (s.

Abb. 23). Die direkten Pfade von den Vorläufervariablen zur Zielvariable Belastung bilden

einige überraschende Ergebnisse ab: Ein positives Erziehungsverhalten der Mutter zu t4

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verringert die Belastung des Jugendlichen zu t6 (.23). Den stärksten Einfluss hat eine durch

hohen Neurotizismus gekennzeichnete Persönlichkeit auf das Belastungserleben: der Pfad

beträgt .45. Dies bedeutet, dass emotional labile Jugendliche schwieriger die Belastungen der

Jugendzeit bewältigen können. Weiters lässt es darauf schließen, dass Jugendliche mit

geringer Verträglichkeit häufiger in Konflikt mit ihrem sozialen Umfeld geraten und dadurch

ihr Umfeld für die Anforderungen des Jugendalters als weniger unterstützend erleben und

somit das Jugendalter als belastender empfinden.

Überraschend ist zunächst, dass eine von der Mutter als positiv bewertete Kommunikation mit

ihren Partner zu t5 zu einer höheren Belastung des Jugendlichen in der Adoleszenz Anlass

gibt (.24). Möglicherweise ist die von der Mutter berichtete gute Kommunikationsbasis mit

dem Vater Ausdruck einer gewissen Distanzierung von dem mit Schwierigkeiten kämpfenden

Sohn bzw. der Tochter. Die resultierende Isolierung des Jugendlichen könnte sehr wohl die

Ursache für das aktuelle erhöhte Belastungserleben sein.

Die durch mangelndes Vertrauen, fehlende Kommunikation, Entfremdung und durch negative

Emotionen charakterisierten negativen Beziehungen zur Mutter und zu den Peers haben in

diesem Modell keine direkten Pfade zu der Zielvariable Belastung, sondern beeinflussen

jeweils mit Pfaden von .51 bzw. .37 über die (negative) Persönlichkeit das Ausmaß der

Belastung. Eine als schwierig erlebte Bindung an die Mutter wirkt sich außerdem ungünstig

auf die Qualität der Beziehungen zu den Peers aus (.25). Sie stellt damit ein Risiko für die

Persönlichkeitsentwicklung dar.

Ein positives Temperament zu t4 erweist sich auch im Modell 2 als eine Variable, der eine

gewisse Schutzfunktion im Entwicklungsverlauf zukommt: Sie steht mit einem günstigen

Erziehungsstil und einer guten Partnerschaftskommunikation in positiver (.35 bzw. .18), mit

einer defizitären Bindung an die Mutter (-.17), ihrer Belastung durch den Sohn bzw. die

Tochter (-.25) und einer ungünstigen Beziehungsgestaltung zu den Peers (-.17) in negativer

Beziehung.

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Extraversion

Ärgerneigung

n = 94

Zielstrebigkeit

Offenheit Erziehbarkeit

.35

VertrauenKommunikation

Negative emotionaleBeziehung

Entfremdung

Unterstützung

Zuwendung

Strenge

MütterlicherErziehungsstil

t4 (HAMEL)

Temperamentdes Kindes t4

Folgsamkeit

Vertrauen

Kommunikation

Negative emotionaleBeziehung

Entfremdung

Belastung der Mutter durch Sohn/Tochter t6

Offenheit

Gewissenhaftigkeit

Extraversion

Verträglichkeit

Neurotizismus

.18

-.25

-.17

-.17

.19

-.20

-.19

-.17

-.27

-.23

.24

.51

.37

.45

.84-.80.56

.32

.64

.60

.62

.83

-.51

-.86-.90

.82

.79

-.90-.77

.82

.85

-.52

-.68

-.19

-.56

.76

Introversion -.25

.25

.23

Belastung(IDEA)

Persönlichkeitt6 (NEO-FFI)

Bindung andie Mutter

t6

KommunikationsbewertungMutter über Vater t5 (PFB)

Beziehungzu den Peers

t6

Abb. 23. Modell 2, Pfadanalyse der Zielvariable „Belastung“

Wie die berichteten Untersuchungsergebnisse darlegen, stellt die Identitätsentwicklung

tatsächlich eine zentrale Entwicklungsaufgabe des Jugendalters dar, die mit anderen

Entwicklungslinien in vielfältigen Beziehungen steht. Bei pädagogischen bis hin zu

therapeutischen Interventionen bei auffälligen Jugendlichen sollte daher die Förderung der

Identitätsentwicklung einen besonderen Schwerpunkt bilden.

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9. Kurzzussammenfassung Das Forschungsprojekt „Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL): Familienbezogene und

individuelle Entwicklungsaufgaben und ihre Bewältigung im Jugendalter“ stellt die sechste

Erhebungswelle einer Längsschnittstudie dar, die begonnen wurde, als die Mütter der

Untersuchungsstichprobe im sechsten Schwangerschaftsmonat waren (t1). Weitere

Erhebungswellen wurden durchgeführt, als die Kinder drei Monate (t2), drei Jahre (t3), acht

Jahre (t4) und elf Jahre (t5) alt waren. Zum aktuellen Untersuchungszeitpunkt (t6), im Alter

der Kinder von fünfzehn Jahren, konnten von den ursprünglich 175 Familien noch 134

erreicht werden. Zu jedem Untersuchungszeitpunkt wurde eine sehr umfangreiche Batterie

von Erhebungsinstrumenten vorgegeben, um einerseits die Veränderungen der familiären

Situation zu erfassen, andererseits eine differenzierte Darstellung der längsschnittlichen

Entwicklung der Kinder im Kontext der verschiedenen familiären Rahmenbedingungen zu

ermöglichen.

Eine zentrale Untersuchungsfrage des Projekts „ Familienentwicklung im Lebenslauf (FIL)“

betrifft die Entwicklung der Partnerbeziehung vor dem Hintergrund der durch die Elternschaft

sich ergebenden Verpflichtungen. Über die sechs Erhebungswellen hinweg zeigte sich z.B.

zunächst, dass die Glücklichkeit der Paare von Untersuchungszeitpunkt zu

Untersuchungszeitpunkt zunächst abnahm, sich aber zum gegenwärtigen

Untersuchungszeitpunkt stabilisierte bzw. leicht verbesserte. Unter anderem spielt dabei der

Grad der Belastung durch die Kinder bzw. Jugendlichen eine nicht unbedeutende Rolle.

Entsprechende Variablen wurden daher zu jedem Untersuchungszeitpunkt berücksichtigt. Auf

Seiten der Eltern stellt die Neigung zu Streitverhalten in den betroffenen Familien eine über

alle Erhebungswellen hinweg äußerst stabile Variable dar, die nicht nur eine Belastung für das

Familienleben allgemein darstellt, sondern viele Facetten der kindlichen Entwicklung

beeinträchtigt. Vermittelt über die resultierende Verschlechterung der Beziehung der

Heranwachsenden zu ihren Eltern kommt es z.B. zu einer zunehmenden Verstärkung

problematischer kindlicher Persönlichkeitseigenschaften, zu einer größeren Neigung zur

Leistungsverweigerung und, wie die aktuelle sechste Erhebungswelle gezeigt hat, zu

vermehrten Konflikten mit den Eltern. Betroffene Jugendliche werden immer weniger durch

erzieherische Maßnahmen der Eltern erreichbar. Im Fall einer günstigen Gestaltung des

Familienlebens resultiert dagegen eine gute Beziehung zwischen Eltern und Kindern, die eine

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positive Entwicklung sowohl der familiären Situation als auch der Heranwachsenden

unterstützt.

Auf Seiten der Jugendlichen stellt das bereits im Alter von drei Monaten beobachtbare

individuelle, verschiedene Komponenten umfassende Temperament einen Faktor dar, der

schon früh die Entwicklung der Art der Integration des Kindes in die Familie beeinflusst. Im

Jugendalter bestimmt es die erfolgreiche Auseinandersetzung mit den dafür spezifischen

Entwicklungsaufgaben mit. Überraschend ist in diesem Zusammenhang, dass sich bei einem

personenorientierten Zugang nur eine sehr mäßige Stabilität der im Alter von drei Monaten

ermittelten Temperamentstypen (nach Thomas & Chess, 1977) in der weiteren Entwicklung

zeigt: So wiesen z.B. nur etwa 50% der im Säuglingsalter von ihren Müttern als „pflegeleicht“

bezeichneten Kinder mit 15 Jahren noch ein pflegeleichtes Temperament auf. Bei einem

variablenorientierten Zugang ließen sich jedoch aufschlussreiche Beziehungen der einzelnen

Temperamentskomponenten über die Zeit hinweg feststellen. So konnten aufgrund der

Resultate der Längsschnittstudie zwei über die Zeitpunkte hinweg immer stabiler werdende,

für die kindliche Entwicklung und die Reaktionen der sozialen Umwelt auf es besonders

bedeutsame Temperamentskomponenten ermitteln: Die (soziale) „Anpassungsbereitschaft“

unterstützt in vielen Bereichen eine günstige Entwicklung, während die „Ärgerbereitschaft“

sie beeinträchtigt. Hier bieten sich Ansatzpunkte für präventive Maßnahmen.

Eine zentrale Entwicklungsaufgabe des Jugendalters besteht in der Erarbeitung einer neuen,

die Gestaltung der eigenen Zukunft einbeziehenden und durch zunehmende

Verantwortungsübernahme für sich selbst und andere gekennzeichneten Identität. Die

Mehrzahl der Jugendlichen befand sich nach Marcia (1966, 1980) im Stadium des

„Moratoriums“, das durch eine verstärkte Exploration von gegenwärtigen und zukünftigen

Möglichkeiten gekennzeichnet ist. Bei den Jugendlichen im Stadium der „übernommenen

Identität“ fand sich die engste Beziehung zur Familie. Es ließen sich aber auch gewisse

Probleme bei der Integration in die Gleichaltrigengruppe feststellen. Die günstigste

Entwicklung zeigten Jugendliche mit einer „erarbeiteten Identität“, da bei ihnen die

Entwicklungsaufgabe, für sich eine neue, dem Übergang zum Erwachsenenalter angenäherte

Identität zu finden, bereits zu einer ersten Lösung geführt hatte. Jugendliche im Stadium der

„diffusen Identität“ erwiesen sich dagegen in vieler Hinsicht als Risikogruppe.

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Weitere, vor allem auch praxisrelevante Resultate konnten durch die Einbeziehung der

beruflichen Orientierung der Jugendlichen in die Analysen erzielt werden, da sich zeigte, dass

nur unter Einbeziehung individueller bzw. persönlichkeitsspezifischen Variablen eine

angemessene Berufsberatung erfolgen kann. Die ebenfalls durchgeführten Untersuchungen

des Freizeitverhaltens wiesen auf die Bedeutung dieses Bereichs für die Identitätsentwicklung

hin, da die Jugendlichen hier die Chance haben, unabhängig von den Eltern Neues zu

erproben und ihren sozialen Horizont auszuweiten. Ein in der Forschung bisher wenig

beachtetes, für die Entwicklung der Erwachsenenpersönlichkeit aber äußerst wichtiges Gebiet

stellt die Qualität der Zukunftsorientierung der Jugendlichen dar. Sie bildete daher einen

weiteren Schwerpunkt der vorliegenden Studie. So konnte z.B. nachgewiesen werden, dass

zukunftspessimistische Jugendliche auch in anderer Hinsicht eine Problemgruppe darstellen,

da sie hohe Neurotizismuswerte zeigen und zu sozialer Isolation neigen. Eine frühzeitige

Identifikation betroffener Jugendlicher, wie sie z.B. durch die in dem Projekt entwickelten

Diagnoseinstrumente möglich ist, stellt eine wichtige Vorraussetzung für ein Angebot

entsprechender Hilfen dar. Die Ergebnisse der Studie sind daher in vielfacher Hinsicht

geeignet, Möglichkeiten für eine Frühprävention aufzuzeigen und entsprechende Hinweise für

die Entwicklung von Interventionsprogrammen bereitzustellen.

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10. Literaturverzeichnis

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Armsden, G. C. & Greenberg, M. T. (1987). The inventory of parent and peer attachment:

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11. Anhang

Identitätsstatusdiagnoseinventar (ISDI, Rollett 2005)

Bitte lies dir die folgenden vier Aussagen über dich selbst erst einmal genau durch und

überlege, welche Aussage für dich zutreffen könnte.

A Ich habe bereits viel über mich und meine Zukunft nachgedacht und weiß

nun genau, wie ich bin und wie ich mein Leben gestalten werde.

B Ich probiere im Augenblick viele verschiedene Dinge aus, um

herauszufinden, wie ich bin und wie ich mein späteres Leben gestalten

möchte.

C Es ist mir eher unangenehm, mir schon jetzt Gedanken über mich und mein

späteres Leben machen zu müssen und lasse daher alles auf mich

zukommen.

D Durch meine Eltern, Lehrer und andere für mich wichtige Personen habe ich

bereits klare Vorstellungen über mich selbst und meinen weiteren

Lebensweg und weiß daher schon, wie ich mein späteres Leben gestalten

werde.

Vergleiche bitte diese Aussagen paarweise miteinander und kreuze an, welche von den

beiden für dich eher zutrifft. Wenn notwendig, lies dir bitte die Aussagen noch einmal durch.

Was trifft für dich eher zu?

1. A oder B 4. B oder C

2. C oder D 5. A oder C

3. A oder D 6. B oder D

Entscheide dich nun bitte endgültig für eine der vier Aussagen über dich und kreuze sie an.

Für mich trifft die folgende von den vier Aussagen am besten zu:

A

B

C

D