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UNTERNEHMENSFÜHRUNG Revolution in der Chefetage: Der Aufsichtsratsvorsitzende wächst in eine dominante Rolle, au ch auf Druck der Investoren. Die neue Souveränität schafft Konflikte im Verhältnis zum CEO. ma nagermaga zin NOVEMBER 20 16 em rührse ligen Ritual mag sich keiner ver- weigern , der ein Unternehmen dem Ka - pitalmarkt überei gnet. So hat auch der Niederländer Peter Terium (53), Chef der RWE-Abspal tu ng namens Innogy, am 7. Oktober, im Angesicht der ersten Kurs- notiz, die rsenglocke freudig und strah- lend geläut et (,,ein super, super Tag"). Das Zeremoniell schaffte es sogar ins ,,Heute Journal". Es handelte sich schließ- lich um die größte Aktienplatzierung seit dem Jahr 2000; der Innogy-Wert, in dem Ökostrom, Vertrieb und Energienetze ge- bündelt sind, notie rte zu Handelsschluss bei 20 Milliarden Euro. Der kleine, sch lanke Mann, der be- trächtlichen Anteil an diesem Erfolg hat, obwohl er erst seit einem halben Jahr am- tier t, hält sich im Hintergrund: Werner Brandt (62), Aufsichtsratsvors it zender sowohl der Mutterfirma RWE als auch der Tochter Innogy. Brandt, seit seiner glor- reichen Zeit als SAP-Finanzvorstand bei Börsianern hoch angesehen, versteht sich auf den Umgang mit Investoren. Er hat wohl auch in diesem !PO-Fall Beden- > DER HYPER· AKTIVE Als CEO steuerte Wolfgang Reitzle (r. ) den Gasekon- zern Linde jahre- lang durch trübes Fahrwasser. Mit beachtlichem Er- fo lg. Als Aufsichts- ratsvorsitzender räumt er nun auf, als müsste er tagtäglich seinen Ruf als Mister Li nde erneut unter Beweis ste llen.

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UNTERNEHMENSFÜHRUNG Revolution in der Chefetage: Der Aufsichtsratsvorsitzende wächst in eine dominante Rolle,

auch auf Druck der Investoren. Die neue Souveränität schafft Konflikte im Verhältnis zum CEO.

managermagazin NOVEMBER 20 16

em rührseligen Ritual mag sich keiner ver­weigern, der ein Unternehmen dem Ka­p italmarkt übereignet. So hat auch der Niederländer Peter Terium (53), Chef der RWE-Abspaltung namens Innogy, am 7. Oktober, im Angesicht der ersten Kurs­notiz, die Börsenglocke freudig und strah­lend geläutet (,,ein super, super Tag") .

Das Zeremoniell schaffte es sogar ins ,,Heute Journal". Es handelte sich schließ­lich um die größte Aktienplatzierung seit dem Jahr 2000; der Innogy-Wert, in dem Ökostrom, Vertrieb und Energienetze ge­bündelt sind, notierte zu Handelsschluss bei 20 Milliarden Euro.

Der kleine, schlanke Mann, der be­trächtlichen Anteil an diesem Erfolg hat, obwohl er erst seit einem halben Jahr am­tiert, hält sich im Hintergrund: Werner Brandt (62), Aufsichtsratsvorsitzender sowohl der Mutterfirma RWE als auch der Tochter Innogy. Brandt, seit seiner glor­reichen Zeit als SAP-Finanzvorstand bei Börsianern hoch angesehen, versteht sich auf den Umgang mit Investoren. Er hat wohl auch in diesem !PO-Fall Beden- >

DER HYPER· AKTIVE Als CEO steuerte Wolfgang Reitzle (r.) den Gasekon­zern Linde jahre­lang durch trübes Fahrwasser. Mit beachtlichem Er­folg. Als Aufsichts­ratsvorsitzender räumt er nun auf, als müsste er tagtäglich seinen Ruf als Mister Linde erneut unter Beweis stellen.

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UNTERNEHMEN UNTERNEHMENSFÜHRUNG

ken im Vorfeld ausräumen können, seinen doppelten Kontrolleursjob betreffend oder die künftigen Ge­schäftsbeziehungen zwischen Mut­ter und Tochter.

Der Aufpasser, der auch dem Auf­sichtsrat von ProSiebenSat.1 vorsitzt und als einer der machtvollsten Unternehmenswächter der Republik gilt, will sich zu diesem Sujet nicht weiter äußern. Primär sei der Dia­log mit dem Kapitalmarkt Aufgabe des Vorstands. Aber, ja, er habe „ver­einzelt" mit Investoren geredet, über Govemance-Themen. Konkre­teres ist Mister Diskret nicht zu entlocken.

Brandt steht für einen neuen Trend, manche sprechen gar von einer Revolution. Der Aufsichtsrats­vorsitzende (ARV) bekommt ein immer stärkeres Gewicht in der Unternehmensführung. Investoren wollen sich nicht nur regelmäßig mit dem Management austauschen, sondern auch mit dem Oberkontrol­leur, sie haben ihn schließlich ge-

~ wählt. Schon wird die Forderung .!; nach eigenen Corporate-Governan­~ ce-Roadshows laut, analog zu den : herkömmlichen Werbereisen des "' <

~ Vorstands.

Es ist ein Push-and-Pull-Effekt: ~ :t Manche Kontrolleure drängen von

DERENGA· GIERTE Den neuen Bayer­Vorstandschef Werner Baumann hat Oberaufseher Werner Wenning (u.) früh gefördert und gefordert. Beim Monsanto­Deal, dem größ­ten Abenteuer der jüngeren deutsche::n Wirt­schaftsgeschichte, standen Werner & Werner Seit an Seit.

sich aus in eine dominantere Posi­tion, mischen sich ins Tagesgeschäft ein, organisieren sich professionell, mit eigenem Equipment und eigener Entourage: mein Büro, mein Perso­nal, mein Anwalt, mein Sprecher.

Der Wandel ist auch in ihrem In­teresse. Früher waren sie in erster Linie für die Honneurs zuständig, nickten ab und gelegentlich ein; jetzt drohen ihnen - bei verstärkter Haftung und Aggressivität der An­leger - Schadensersatzklagen und Jobverlust.

Bei der Avantgarde der Aufsicht steigert sich der Geltungsdrang bis­weilen ins Hyperaktive. Was Kon­fliktpotenzial birgt - wenn der CEO in die Rolle der Nummer zwei ge­drückt wird. So stellt sich die ewig junge Governance-Frage neu: Wer führt eigentlich den Laden? Und: Wer sollte es tun?

In Radio-Eriwan-Manier ist die Sache - im Prinzip - klar. Es gibt zwei Gremien: Der Vorstand führt, der Aufsichtsrat kontrolliert und berät. Aber in der Praxis wurde das duale deutsche System in den ver­gangenen Jahren immer mehr aufge­weicht. Die Aufgaben der Inspizien­tenrunde nahmen beständig zu, auch auf Druck der Öffentlichkeit, die Katastrophen wie die Finanzkri­se und gescheiterte Unternehmens­strategien nicht zuletzt den Kontrol­leuren anlastete. ,,Der Aufsichtsrat avancierte zum Mitentscheider­gremium", sagt Freshfields-Partner Christoph Seibt.

,,Voice" statt „Exit" Parallel wuchs seine Attraktivität als Ansprechpartner für institutio­nelle Investoren, die mittlerweile fast zwei Drittel der Dax-30-Anteile besitzen.

Der Drive kam aus Großbritan­nien. Wenn angelsächsischen Pensi­onsfonds früher die Unternehmens­führung nicht passte, verkauften sie einfach ihre Aktien. Mit der Firmen­spitze tauschten sie sich nicht aus, Stimmrechte nahmen sie selten wahr. Als die britische Regierung zu der Erkenntnis gelangte, die interne Kontrolle durch Aufsichtsräte sei weitgehend gescheitert, sowohl im nationalen One-Board-System als auch in Deutschland, drängte sie die Fonds zu mehr „Voice" statt „Exit".

Die sollten fortan ihren eigenen An­legern berichten, wie sie auf Haupt­versammlungen votieren wollten. Verbunden mit der Empfehlung, mit dem Management Kontakt zu hal­ten. Bei Fragen zum Thema Corpo­rate Governance heißt das: Der Auf­sichtsratsvorsitzende wird verlangt.

Die EU griff den Vorstoß auf. In einer neu gefassten Aktionärsrechte­rich tl inie, derzeit in Arbeit, sollen auch deutsche institutionelle In­vestoren entsprechend angewiesen werden.

Als Vorreiter sieht sich die Fonds­gesellschaft Union Investment. Portfoliomanager Ingo Speich (39), für Aktien und Corporate Gover­nance zuständig, spricht regelmäßig mit 28 der 30 Dax-ARV: ,,Wir suchen seit Jahren den Kontakt, das ist für uns nichts Neues."

Als Pionier versteht sich auch Hans-Christoph Hirt (43) . Der schmächtige Schnelldenker lenkt als Co-Chef von London aus die deut­schen Interessen des Finanzinvestors Hermes. Der betreut weltweit mehr als 200 Milliarden Euro Vermögen Dutzender Pensionsfonds, hält An­teile an jedem Dax-30-Konzern.

Seit mehr als zehn Jahren pie­sackt Hirt Vorstände und Aufseher. Der „schärfste Kritiker von Ver­sagern und Raffzähnen im Manage­ment" (,,Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung") wird gehört, weil er mit Argumenten hantiert und ihm Krawallrhetorik fremd ist.

Bei einem gemeinsamen Mittag­essen entwarfen Hirt und Daniela Mattheus, oberste Aufsichtsrats­dienstleisterin beim Wirtschaftsprü­fer EY, erste Ideen, die eine Arbeits­gruppe im Juli in „Leitsätze für den Dialog zwischen Investor und Auf­sichtsrat" goss. Eine freiwillige Ver­einbarung zu direkten Gesprächen mit dem Chefkontrolleur, für die -taktisch geschickt - die erste Reihe der deutschen Aufsichtsräte gewon­nen wurde. Multiaufseher wie Jür­gen Hambrecht (70; BASF, Daimler, Fuchs Petrolub) und Ulrich Lehner (70; ThyssenKrupp, Henkel, Eon, Deutsche Telekom, Porsche) als Mit­glieder der Arbeitsgruppe. Beratend tätig: Paul Achleitner ( 60; Deutsche Bank, Bayer, Daimler), WernerWen­ning (70; Bayer, Henkel, Siemens) und auch Werner Brandt. >

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UNTERNEHMEN

Seitdem wird das Papier dis­kutiert und seziert. Die Initiative korrespondiert mit einem wachsen­den Selbstbewusstsein der Anleger, die hiesige Kontrolleure zuletzt ge­hörig unter Feuer nahmen.

Finanzaktivist Chris Hohn (50), mit seinem Hedgefonds The Chil­dren's Investment Fund seit Mai VW-Aktionär, schrieb gleich mehre­re geharnischte Briefe an VW-Ober­aufseher Hans Dieter Pötsch (65): Managerboni müssten weg, entlohnt werden sollte nur noch in Aktien; die Hauptanteilseigner seien überfor­dert; das Land Niedersachsen sollte seine zwei Mandate niederlegen. Bei der Deutschen Bank haben Investo­ren wie Hermes-Bote Hirt Chefkon­trolleur Achleitner dazu gedrängt, 2015 nahezu den kompletten Vor­stand, mit Anshu Jain (53) an der Spitze, auszutauschen. Und Großak­tionär Katar hat im Juli einen den Scheichs genehmen Mann in den Aufsichtsrat entsandt. ,,Auf Anre­gung" der arabischen Kapitalgeber, so die entlarvende Bankmitteilung, wurde der Wirtschaftsanwalt Stefan Simon als neuer Kontrolleur ge­richtlich bestellt. Der schwedische Geldanleger Cevian reklamiert bei ThyssenKrupp-Chefaufseher Leh­ner wohl schon bald einen zweiten Sitz im Aufsichtsrat.

Die ruppige deutsche Provinz Selbst bislang als träge beleumun­dete Investoren wie der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock wa­gen sich aus der Deckung. Vizechef Philipp Hildebrand (53) ging Anfang Oktober mit einer Fundamental­kritik an Europas Banken an die Öf­fentlichkeit; in Deutschland hat sich der Anlegergigant im Frühjahr die Netzwerk- und Lobbydienste des fruheren CDU-Wirtschaftspolitikers Friedrich Merz ( 60) gesichert.

Besonders ruppig geht es biswei­len in der deutschen Provinz zu.

Wie im hessischen Bad Vilbel, dem Sitz des Arzneimittelherstellers Stada. Ein maßloser CEO, ein Auf­sichtsrat, der nicht einschritt - auf der vergangenen Hauptversamm­lung kam es zur offenen Feld­schlacht. In einer Kampfabstim­mung, dem ersten sogenannten Proxy Fight auf deutschem Boden, trat der Aktionär Active Ownership

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Capital (AOC), unterstützt von Ko­alitionären wie der Allianz, mit einer eigenen Liste gegen die Kandidaten des Managements an. Der Aufsichts­ratschef wurde abgewählt, zwei Sta­da-Leute setzten sich erst in Stich­wahlen durch. Ruhe? Nö, der Streit geht weiter: AOC hat Ende Septem­ber Klage gegen die Beschlüsse des Aktionärstreffens eingereicht.

Wegweisend ist der Kasus schon jetzt. Er zeigt, was bissige Anleger auf einer Hauptversammlung, ge­meinhin als Würstchenbude ver­schrien, erreichen können. Und der Fall weckt Begehrlichkeiten im Aus­land. Seit dem Stada-Showdown werde „international geworben, wie attraktiv Deutschland für Aktivis­ten" sei, so Anwalt Seibt, der das Un­ternehmen beraten hat. Das sei ein ,,Hot Topic" in diesen Kreisen.

Auch der Fall Osram belegt, wie scharf Unternehmen von Investo­renseite angegriffen werden, selbst wenn der Aggressor in diesem Fall Teil der Deutschland AG ist. Der ansonsten wenig Widerstand ge­wohnte Supraleiter Joe Kaeser (59), Anführer des ehemaligen Osram­Mutterkonzems und Noch-Großak­tionärs Siemens, stritt mit Vor­standschef OlafBerlien (54) über die richtige Strategie und verweigerte ihm auf dem Anlegermeeting die Entlastung. Doch der Putsch schei-

DER STRAU· CHELNDE Er ging seine Aufgabe hoch­professionell an, gilt als Avant­gardist der Auf­seherszene. Doch Deutsche-Bank­Chefkontrolleur Paul Achleitner ( o.) blieb bislang weit hinter den Erwartungen der Investoren zurück. Seine Wiederwahl ist gefährdet.

terte. Aufsichtsratschef Peter Bauer (56), einst aufKaesers Vorschlag auf den Posten gelangt, wollte schlich­ten, stellte sich dann aber, wie das gesamte Gremium, hinter Berliens Konzept. Finanzvorstand Klaus Patzak (51), ein Kaeser-Vertrauter, musste gehen.

Nun setzt Kaeser auf den gewinn­bringenden Ausstieg. Könnte klap­pen, ein chinesischer Halbleiterkon­zern signalisierte Anfang Oktober ein grundsätzliches Interesse an der Lichtfirma (siehe Seite 10).

Die Beispiele zeigen, wie schnell Investoren nervös werden - und dass es dann auf den Aufsichtsrats­chef ankommt.

Einer der Ersten, der das erkannt hat, war Siemens-Oberkontrolleur Gerhard Cromme (73). Nach der Korruptionsaffäre gingen Cromme und Vorstandschef Peter Löscher (59) gemeinsam auf Roadshow. Um zu dokumentieren: Der Aufsichtsrat trägt den Neuanfang mit.

Auch Paul Achleitner tat, als er das Amt des Deutsche-Bank-ARVan­nahm, alles, um eine eigene Macht­position aufzubauen. Fachmännisch ging er die Sache an, trennte Vor­stands- und Aufsichtsratsbüro, schuf sich ein eigenes Chairman's Office (mit 13 Mitarbeitern), kommunizier­te intensiv mit Investoren. Den Auf­sichtsrat bestückte er nach und nach mit Getreuen (und mit iPads).

Allein, der Aufwand half ihm nicht. Zu groß die Schieflage, zu drü­ckend die regulatorischen Zwänge ( siehe auch Seite 42). Achleitner, der zu operativen Eingriffen neigt und am Ende dann doch selten energisch genug zu Werke geht, muss um seine Wiederwahl 2017 bangen.

Vorausgesetzt, es gibt einen Al­ternativkandidaten. Den müsste der Nominierungsausschuss des Auf­sichtsrats finden, dem in der Regel der ARV vorsitzt. So auch bei der Deutschen Bank. ,,Um gute Unter­nehmensführung zu praktizieren", rät Hermes-Mann Hirt, sollte sich Achleitner deshalb „nicht an den Beratungen um seine Wiederauf­stellung beteiligen". Der Headhun­ter Christoph Zeiss mahnt „saubere Prozesse" an (siehe Interview Seite 66).

Bei Volkswagen war der Kapital­markt zunächst froh gestimmt, >

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UNTERNEHMEN

als der ehemalige CFO Pötsch den Aufsichtsratsvorsitz übernahm. An­ders als sein Vorgänger Ferdinand Piech (79), der fremde Investoren links und rechts liegen ließ und sie lieber heute als morgen herauskau­fen möchte (siehe mm 10/2016), nahm Pötsch mit österreichischem Charme und Sachverstand die An­leger für sich ein. Er bittet Investo­ren nach Frankfurt, in die Villa Ken­nedy, und leistet sich sogar, ein Novum in Deutschland, einen eige­nen Sprecher.

Dann zog der Dieselskandal immer weitere Kreise. Nun steht Pötsch in einem tief greifenden In­teressenkonflikt. Wie kann er Vor­gänge aufklären, in die er womöglich selbst verstrickt war? Seine Kommu­nikation ist, solange die Jones-Day­Anwälte ermitteln, arg reduziert. „Eine Riesenhypothek für VW", sagt ein Dax-Aufseher.

DREI WELTEN

DER REDU­ZIERTE Investors' Darling war Hans Dieter Pötsch (r.) als Finanzvorstand von Volkswagen. In seiner neuen Rolle als Auf­sichtsratschef liegt der Fall anders. Der Österreicher ist in einem tief greifenden In­teressenkonflikt gefangen und äu­ßert sich, wegen Dieselgate, kaum noch öffentlich.

Die jeweils fünf höchsten Gehälter im Vergleich, in Euro, 2015

Vorstandsvorsitzende Dax 30

Dieter Zetsche, Daimler 9 678 000 o~---...... -----------M a t t h i a s Müller, VW' 8385000 ·•~---------------................ , Bill McDermott, SAP 8 021000 o~--------------Karl-Ludwig Kley, Merck 7 738 000 -~----------------········· ............... , Oliver Bäte, Allianz' 7161000 -~----------- ... .... .. 1

808333

Aufsichts ratsvors it zende Dax 30

O Paul Achleitner, Deutsche Bank ·· ·· ··· ·· ·· ··· ··· ··· ··· ··· ···· ··· ··· ···· ···· ···(

608000 e Gerhard Cromme, Siemens ••»• • ••• •• n•••• ••• ••• •••• •• •••••••• • •• ••• • • • t

O Norbert Reithofer, BMW' 572417 . ...........

O Wolfgang Reitzle, Continental 494000 ··········· ·· ·· ··· ·!

Jürgen Hambrecht, BASF 481300 0 ... ... .. ... ... . ···· ·· ··· I

5572288

Verwaltungsratspräsiden ten SMI2

O Axel Weber, UBS ··· ···· ··· ···· ···· ·· ···· . ······(

Peter Brabeck-Letmathe, Nestle 5 287 20 1 .,... _________ _ .......

O Christoph Franz, Roche 5 2.7.!?~9 ····· ··· ··· ··· ··· ·······I

Walter Kielholz, Swiss Re o~------- ­Nayla Hayek, Swatch Group

4406751

4 0 8 3 495

.... ... , -~-------- .................. .............................. ,

11 Hochrechnung auf das gesamte Jahr filr M. Müller (ab 25.9.2015 im Amt), 0. Bäte (ab 7.5.2015), N. Reithofer (ab 13.5.2015); 21 Swiss Market Index. Quelle: mm-Recherche, Geschäftsberichte Grafik: managermagazln

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Es klingt paradox, aber je wich­tiger der Aufsichtsratsvorsitzende wird, umso mehr muss er sich selbst bescheiden.

Seine Königsdisziplin ist die Wahl des Personals. Der Räteklub sucht und schasst Vorstände. Die Dialog­leitsätze sehen vor, dass der ARV mit Investoren über Anforderungs­profile für neue Topkräfte reden mö­ge, nicht aber über einzelne Kan­didaten. So steht es auf dem Papier. In der Realität, so ein Anwalt, werde fast immer „am konkreten Beispiel diskutiert".

Weiterer, noch größerer Fallstrick: die Strategieklausel. In den letzten Jahren ist der Einfluss der Kontrol­leure auf die Firmenplanung bestän­dig gewachsen. Der Gesetzgeber hat nahezu unbemerkt vom Publikum den Aufsichtsrat dazu verpflichtet, die Vorstandsvergütung an der ,,nachhaltigen Unternehmensent­wicklung" auszurichten. Sprich: an der Langfriststrategie. So bietet die Höhe der Managergehälter den An­legern ein Einfallstor, um über künf­tige Vorhaben und Projekte zu reden.

,,Sie geht auch n icht mehr weg" Bei Extremereignissen wie Übernah­men nimmt der Chefkontrolleur oft eine überragende Stellung ein. Qua Gesetz muss der Aufsichtsrat in sol­chen Fällen „eine begründete Stel­lungnahme" abgeben, sich also ein eigenes Urteil bilden. Und so sind wir bei Werner Wenning angelangt, der derzeit die größte Akquisition der deutschen Wirtschaftsgeschich­te aufs Engste begleitet, den Bayer­Monsanto-Deal.

Der groß gewachsene Mann mit Deutscher-Eiche-Statur ist pragma­tisch veranlagt, läuft nicht, wie er sagt, ,,mit dem Aktiengesetz unter dem Arm herum". Die Bayer-Geschi­cke hat er jahrelang als Vorstands­vorsitzender verantwortet. Wohl und Wehe des Konzerns sind Her­zensangelegenheit für ihn, nach über einem halben Jahrhundert Betriebs­zugehörigkeit.

Sicher, die Strategie sei Sache des Vorstands, ,,aber die muss man immer wieder mit ihm erörtern", sagt er. Das geht durchaus ins De­tail: Finanzierung, Risikobewertung, M&A.

Den jetzigen Chef Werner Bau­mann (54) hat er auf- und hochgezo­gen, hat ihn frühzeitig auf seine Rolle vorbereitet. Anderthalb Jahre bevor er CEO wurde, hat Wenning den da­maligen Finanzvorstand zum Stra­tegiechef ernannt.

Gemeinsam haben sie den Mon­santo-Deal gestemmt, zwischen Werner & Werner passt kein Fitze! Genmais.

Klar haben sich Investoren bei dieser Megatransaktion bei Wen­ning gemeldet. Mit „gut fünf" hatte er bis Anfang Oktober Einzel­gespräche geführt, weitere haben sich angekündigt. ,,Sie erfahren aber natürlich nichts, was Ad-hoc-pflich­tig wäre", sagt er und dass an den Konsultationen immer auch ein Investor-Relations-Mann des Kon­zerns teilnehme.

So mancher Vorstandsvorsitzen­de fremdelt noch mit der neuen Ge­fechtslage, will den ARV partout nicht mit Anlegern allein lassen.

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„Wir können schlecht über die Vergütung des Managements reden, wenn der Vor­standschef am Tisch sitzt", sagt Unionist Speich. ,,Es muss kein Watchdog dabei sein", findet der Aufsichtsrat eines Dax­Konzerns. ,,Dass der CEO dann an Strahl­kraft einbüßt, muss man in Kauf nehmen." Ratsherr Lehner hält einen gemeinsamen Auftritt bei einem aktivistischen Investor für sinnvoll: ,,Da kommen meist die ver­schiedensten Fragen, die kann man in ei­nem Termin erledigen, nach der Devise: One face to the customer."

Zusätzliches Konfliktpotenzial birgt die Tatsache, dass immer mehr ARV ihre Posi­tion auch nach innen stärken, engen Draht in die Hierarchie halten. Nicht immer las­sen sie das den Vorstand wissen - ein wei­terer Autoritätsverlust der Konzernspitze.

Erster Ansprechpartner des ARV sei zwar der Vorstand, sagt Profiaufseher Brandt. Das bedeute aber nicht, dass der Oberkontrolleur nicht auch mit nachran­gigen Mitarbeitern „Gespräche führen kann oder sogar führen muss". Auch Allianz-ARV Helmut Perlet ( 69) hält einen Informationsaustausch mit der zweiten Ebene für „ausgesprochen hilfreich, wenn nicht sogar notwendig". Die Forderung schließt nicht nur die sogenannten Kon­trollfunktionen ein (wie Revision oder Compliance), sondern auch ordinäre ope­rative Kräfte wie Geschäftsbereichsleiter.

Es ist ein schmaler Grat, auf dem die ARV wandeln. ,,Man muss aufpassen, dass daraus keine Nebenregierung entsteht", sagt ein Konzernaufpasser.

Schnell ist die Grenze zum Geheimnis­verrat überschritten; der ARV darf aus Auf­sichtsratssitzungen nicht berichten. Und: Die Firmenwächter sind gehalten, alle Ak­tionäre gleichzubehandeln, können sich aber in der Debatte mit ihnen nur auf wenige konzentrieren. ,,Schwierig" sei es, sicherzustellen, dass jeder „exakt den glei­chen Informationsstand" habe, so Deut­sche-Börse-Chefkontrolleur Joachim Faber ( 66). In Eins-zu-eins-Gesprächen könne ei­ne Linie zwischen öffentlich zugänglichen Mitteilungen und subjektiven Meinungen nur „sehr schwer gezogen werden".

Advokaten mahnen zur Vorsicht, emp­fehlen eine schlanke, konfliktarme Kom­munikation mit den Anlegern. Und die geht so: Der ARV bekommt einen Slot von einer Stunde auf dem Capital Markets Day, trifft dort drei bis fünf ausgewählte Investoren. Er lässt sich von der Investor-Relations­Abteilung briefen, um - auch in Nuancen -eine unterschiedliche Sprachregelung zum CEO zu vermeiden. Er beschränkt sich >

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weitgehend auf den sogenannten Listening Mode, hört einfach nur zu und gibt mög­lichst keine Statements ab. Das Thema Strategie klammert er aus, äußert sich ge­gebenenfalls allgemein, gespickt mit salva­torischen Klauseln.

Hübscher Plan. Aber „dynamische ARV mit starker Persönlichkeit" bekomme man so „nicht eingefangen", fürchtet ein Anwalt.

•• „GEUBTE PRAXIS"

Personalberater Christoph Zeiss über die Schwächen deutscher Aufsichtsräte.

MM Herr Zeiss, viele Investoren geben sich nicht mehr mit dem Vorstandschef zufrieden, wenn sie etwas über den Kurs deutscher Konzerne erfahren wollen, und sprechen die Aufsichtsrats­vorsitzenden an. Woran liegt das? CHRISTOPH ZEISS Zunächst fordern angel­sächsisch geprägte Investoren mehr Ent­scheidungsmacht für sich ein und sprechen mit demjenigen, den sie für verantwortlich halten, auch wenn deutsche Aktiengesell­schaften eigentlich anders verfasst sind. Verändert das die Machtverhältnisse zwischen Vorstand und Aufsichtsrat? Gesetzlich ändert sich nichts, die Verant­wortung für die Führung der Gesellschaft bleibt allein beim Vorstand ... ... aber ... ... die informelle Macht der Chefkontrol­leure nimmt zu. Das kann ein Wuchtungs­problem zwischen Vorstand und Aufsichts­rat schaffen. Haben wir die richtigen Aufsichtsräte für die neue Zeit? Das lässt sich so pauschal nicht beantwor­ten. Schädlich sind auf jeden Fall Hinter­zimmerdiplomatie und Mauscheleien. Man braucht Menschen mit hoher Unabhängig­keit, die sich an langfristigen Zielen der Firma orientieren.

Einig sind sich die Juristen nur in ei­nem: ,,In zwölf Monaten ist die neue Dok­trin Standard. Und sie geht auch nicht mehr weg."

Spätestens im nächsten Jahr soll eine entsprechende Klausel in den Deutschen Corporate Governance Kodex aufgenom­men werden. Das macht es für Dax-Kon­zerne schwer, davon abzuweichen. ,,Am

Auf jeden Fall ist dies noch immer hierund da geübte Praxis. Der Grund könnte sein, dass das System am Anfang des Umbruchs steht und deshalb saubere Prozesse noch nicht üblich sind. Dies gilt aber auch für die Investoren. Eigentlich wäre es die Pflicht von Fonds wie Blackrock, ihre Aktionärs­vertreter zu identifizieren und zu nominie­ren, wenn sie Ansprüche wahrnehmen wol­len. Sie halten sich aber an dieser Stelle lieber zurück. Ich würde mir wünschen, dass sie sich frühzeitig artikulieren und nicht erst, wenn etwas schiefläuft. Wie soll das funktionieren? Ähnlich wie Unternehmen sich ihre Vor­stände suchen. Man fragt sich, welche Per­sönlichkeiten gebraucht werden, und stellt eine Shortlist zusammen. Darüber würde dann im Nominierungsausschuss gespro­chen. So wie Unilever das gemacht hat ... ... wo der frühere Bayer-Chef Marijn Dekkers Chairman wurde. Unilever hat einen sauberen Suchprozess gestartet. Da gab es keine Verbindung zum früheren Chairman oder dem CEO Paul Polman. Ähnlich war es bei Roche, wo Ex­Lufthansa-Chef Christoph Franz gekürt wurde. Da hat sich nicht einfach der schei­dende Franz Humer seinen Nachfolger aus­gesucht. Kennen Sie das so aus Deutschland? Von Ausnahmen abgesehen nein. In Eng­land oder der Schweiz ist die professiona­lisierte Boardsuche da viel weiter. Das se­hen Sie allein daran, dass die Honorare der Personalberater bei der Suche nach einem Verwaltungsrat dort dem einer Geschäfts­führungssuche entsprechen. In Deutsch­

land wird das oft noch als Gefällig­keit für den Kunden betrachtet. w

In Deutschland stellt sich oft der Vorsitzende seinen Aufsichtsrat • ~....;~--i11-...-' zusammen. Er regelt sogar seine Nachfolge, so war es etwa bei Eon, wo WemerWenning auf Karl-Lud-wig Kley zuging, oder bei RWE, wo Manfred Schneider bei Wer­ner Brandt anklopfte. Ist das noch zeitgemäß?

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WECKRUF Christoph Zeiss

(41), Managing Partner von Heads Executive Consul­

tancy, sieht die Investoren am Zug

Ende werden sich alle damit anfreunden müssen", sagt Governance-Experte Chris­tian Strenger.

Klar ist auch, die unterschiedlichen Ver­fassungen gleichen sich an: das in der Schweiz praktizierte One-Board-Modell mit einem mächtigen Verwaltungsrats­präsidenten an der Spitze, der nicht nur kontrolliert, sondern auch die Geschäfte verantwortet, und das deutsche Zweikam­merkonstrukt. Hierzulande gehe die Ent­wicklung hin zu einem „Kondominium", einer gemeinsamen Herrschaft von Vor­stand und Aufsicht srat, glaubt Michael Hoffmann-Becking, Wirtschaftsanwalt der Kanzlei Hengeler Mueller.

Wer stark ist, will stark verdienen Hubertus von Grünberg (74), der in Deutschland (Continental) und in der Schweiz (ABB) Räte geleitet hat, hält es für schwierig, das eidgenössische System schleichend zu übernehmen. Denn dann würden Verantwortlichkeiten verwischt. ,,Ein Aufsichtsrat kann den Vorstand aus­tauschen, wenn die Strategie falsch ist oder eine Übernahme nicht funktioniert. Wer aber selbst mitmischt, muss auch für die Fehler einstehen", sagt von Grünberg. Oder müsste es jedenfalls.

Paul Achleitner, der eine falsche Strate­gie forciert hat, ist immer noch Aufsichts­ratsvorsitzender der Deutschen Bank. Und auch Wolfgang Reitzle (67) amtiert weiter als Oberkontrolleur von Linde, ob­wohl er an der Aufsichtsratsspitze des Ga­sekonzerns, wo er lange selbst CEO war, wie der wahre Chef agiert. Die gescheiterte Verbindung mit dem US-Rivalen Praxair hatte vor allem er vorangetrieben. Als nichts draus wurde, entsorgte er den CFO und säuberte die niederen Manage­mentstufen. Den CEO, Wolfgang Büchele (57), hat er längst desavouiert; den Nach­folger sucht - wer sonst? - Wolfgang Reitzle.

Es ist auch eine Frage des Geldes, die das eidgenössische Modell so attraktiv macht. Beim Schweizer Baukonzern La­farge-Holcim kassierte Reitzle als Verwal­tungsratspräsident üppige zwei Millionen Euro pro Jahr. Ein starker ARV, fordern unisono die starken ARV, sollte auch in Deutschland stark verdienen.

Im Moment ist die Kapitalkraft noch ungleich verteilt, etwa beim neuen Bör­senstar Innogy. Als RWE-Chef kassierte Terium im vergangenen Jahr 3,7 Millionen Euro. Der Aufsichtsratsvorsitz wurde mit 300 ooo Euro vergütet. w Dietmar Student