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UNTERNEHMENSFÜHRUNG Revolution in der Chefetage: Der Aufsichtsratsvorsitzende wächst in eine dominante Rolle,
auch auf Druck der Investoren. Die neue Souveränität schafft Konflikte im Verhältnis zum CEO.
managermagazin NOVEMBER 20 16
em rührseligen Ritual mag sich keiner verweigern, der ein Unternehmen dem Kap italmarkt übereignet. So hat auch der Niederländer Peter Terium (53), Chef der RWE-Abspaltung namens Innogy, am 7. Oktober, im Angesicht der ersten Kursnotiz, die Börsenglocke freudig und strahlend geläutet (,,ein super, super Tag") .
Das Zeremoniell schaffte es sogar ins ,,Heute Journal". Es handelte sich schließlich um die größte Aktienplatzierung seit dem Jahr 2000; der Innogy-Wert, in dem Ökostrom, Vertrieb und Energienetze gebündelt sind, notierte zu Handelsschluss bei 20 Milliarden Euro.
Der kleine, schlanke Mann, der beträchtlichen Anteil an diesem Erfolg hat, obwohl er erst seit einem halben Jahr amtiert, hält sich im Hintergrund: Werner Brandt (62), Aufsichtsratsvorsitzender sowohl der Mutterfirma RWE als auch der Tochter Innogy. Brandt, seit seiner glorreichen Zeit als SAP-Finanzvorstand bei Börsianern hoch angesehen, versteht sich auf den Umgang mit Investoren. Er hat wohl auch in diesem !PO-Fall Beden- >
DER HYPER· AKTIVE Als CEO steuerte Wolfgang Reitzle (r.) den Gasekonzern Linde jahrelang durch trübes Fahrwasser. Mit beachtlichem Erfolg. Als Aufsichtsratsvorsitzender räumt er nun auf, als müsste er tagtäglich seinen Ruf als Mister Linde erneut unter Beweis stellen.
UNTERNEHMEN UNTERNEHMENSFÜHRUNG
ken im Vorfeld ausräumen können, seinen doppelten Kontrolleursjob betreffend oder die künftigen Geschäftsbeziehungen zwischen Mutter und Tochter.
Der Aufpasser, der auch dem Aufsichtsrat von ProSiebenSat.1 vorsitzt und als einer der machtvollsten Unternehmenswächter der Republik gilt, will sich zu diesem Sujet nicht weiter äußern. Primär sei der Dialog mit dem Kapitalmarkt Aufgabe des Vorstands. Aber, ja, er habe „vereinzelt" mit Investoren geredet, über Govemance-Themen. Konkreteres ist Mister Diskret nicht zu entlocken.
Brandt steht für einen neuen Trend, manche sprechen gar von einer Revolution. Der Aufsichtsratsvorsitzende (ARV) bekommt ein immer stärkeres Gewicht in der Unternehmensführung. Investoren wollen sich nicht nur regelmäßig mit dem Management austauschen, sondern auch mit dem Oberkontrolleur, sie haben ihn schließlich ge-
~ wählt. Schon wird die Forderung .!; nach eigenen Corporate-Governan~ ce-Roadshows laut, analog zu den : herkömmlichen Werbereisen des "' <
~ Vorstands.
Es ist ein Push-and-Pull-Effekt: ~ :t Manche Kontrolleure drängen von
DERENGA· GIERTE Den neuen BayerVorstandschef Werner Baumann hat Oberaufseher Werner Wenning (u.) früh gefördert und gefordert. Beim MonsantoDeal, dem größten Abenteuer der jüngeren deutsche::n Wirtschaftsgeschichte, standen Werner & Werner Seit an Seit.
sich aus in eine dominantere Position, mischen sich ins Tagesgeschäft ein, organisieren sich professionell, mit eigenem Equipment und eigener Entourage: mein Büro, mein Personal, mein Anwalt, mein Sprecher.
Der Wandel ist auch in ihrem Interesse. Früher waren sie in erster Linie für die Honneurs zuständig, nickten ab und gelegentlich ein; jetzt drohen ihnen - bei verstärkter Haftung und Aggressivität der Anleger - Schadensersatzklagen und Jobverlust.
Bei der Avantgarde der Aufsicht steigert sich der Geltungsdrang bisweilen ins Hyperaktive. Was Konfliktpotenzial birgt - wenn der CEO in die Rolle der Nummer zwei gedrückt wird. So stellt sich die ewig junge Governance-Frage neu: Wer führt eigentlich den Laden? Und: Wer sollte es tun?
In Radio-Eriwan-Manier ist die Sache - im Prinzip - klar. Es gibt zwei Gremien: Der Vorstand führt, der Aufsichtsrat kontrolliert und berät. Aber in der Praxis wurde das duale deutsche System in den vergangenen Jahren immer mehr aufgeweicht. Die Aufgaben der Inspizientenrunde nahmen beständig zu, auch auf Druck der Öffentlichkeit, die Katastrophen wie die Finanzkrise und gescheiterte Unternehmensstrategien nicht zuletzt den Kontrolleuren anlastete. ,,Der Aufsichtsrat avancierte zum Mitentscheidergremium", sagt Freshfields-Partner Christoph Seibt.
,,Voice" statt „Exit" Parallel wuchs seine Attraktivität als Ansprechpartner für institutionelle Investoren, die mittlerweile fast zwei Drittel der Dax-30-Anteile besitzen.
Der Drive kam aus Großbritannien. Wenn angelsächsischen Pensionsfonds früher die Unternehmensführung nicht passte, verkauften sie einfach ihre Aktien. Mit der Firmenspitze tauschten sie sich nicht aus, Stimmrechte nahmen sie selten wahr. Als die britische Regierung zu der Erkenntnis gelangte, die interne Kontrolle durch Aufsichtsräte sei weitgehend gescheitert, sowohl im nationalen One-Board-System als auch in Deutschland, drängte sie die Fonds zu mehr „Voice" statt „Exit".
Die sollten fortan ihren eigenen Anlegern berichten, wie sie auf Hauptversammlungen votieren wollten. Verbunden mit der Empfehlung, mit dem Management Kontakt zu halten. Bei Fragen zum Thema Corporate Governance heißt das: Der Aufsichtsratsvorsitzende wird verlangt.
Die EU griff den Vorstoß auf. In einer neu gefassten Aktionärsrechterich tl inie, derzeit in Arbeit, sollen auch deutsche institutionelle Investoren entsprechend angewiesen werden.
Als Vorreiter sieht sich die Fondsgesellschaft Union Investment. Portfoliomanager Ingo Speich (39), für Aktien und Corporate Governance zuständig, spricht regelmäßig mit 28 der 30 Dax-ARV: ,,Wir suchen seit Jahren den Kontakt, das ist für uns nichts Neues."
Als Pionier versteht sich auch Hans-Christoph Hirt (43) . Der schmächtige Schnelldenker lenkt als Co-Chef von London aus die deutschen Interessen des Finanzinvestors Hermes. Der betreut weltweit mehr als 200 Milliarden Euro Vermögen Dutzender Pensionsfonds, hält Anteile an jedem Dax-30-Konzern.
Seit mehr als zehn Jahren piesackt Hirt Vorstände und Aufseher. Der „schärfste Kritiker von Versagern und Raffzähnen im Management" (,,Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung") wird gehört, weil er mit Argumenten hantiert und ihm Krawallrhetorik fremd ist.
Bei einem gemeinsamen Mittagessen entwarfen Hirt und Daniela Mattheus, oberste Aufsichtsratsdienstleisterin beim Wirtschaftsprüfer EY, erste Ideen, die eine Arbeitsgruppe im Juli in „Leitsätze für den Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat" goss. Eine freiwillige Vereinbarung zu direkten Gesprächen mit dem Chefkontrolleur, für die -taktisch geschickt - die erste Reihe der deutschen Aufsichtsräte gewonnen wurde. Multiaufseher wie Jürgen Hambrecht (70; BASF, Daimler, Fuchs Petrolub) und Ulrich Lehner (70; ThyssenKrupp, Henkel, Eon, Deutsche Telekom, Porsche) als Mitglieder der Arbeitsgruppe. Beratend tätig: Paul Achleitner ( 60; Deutsche Bank, Bayer, Daimler), WernerWenning (70; Bayer, Henkel, Siemens) und auch Werner Brandt. >
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Seitdem wird das Papier diskutiert und seziert. Die Initiative korrespondiert mit einem wachsenden Selbstbewusstsein der Anleger, die hiesige Kontrolleure zuletzt gehörig unter Feuer nahmen.
Finanzaktivist Chris Hohn (50), mit seinem Hedgefonds The Children's Investment Fund seit Mai VW-Aktionär, schrieb gleich mehrere geharnischte Briefe an VW-Oberaufseher Hans Dieter Pötsch (65): Managerboni müssten weg, entlohnt werden sollte nur noch in Aktien; die Hauptanteilseigner seien überfordert; das Land Niedersachsen sollte seine zwei Mandate niederlegen. Bei der Deutschen Bank haben Investoren wie Hermes-Bote Hirt Chefkontrolleur Achleitner dazu gedrängt, 2015 nahezu den kompletten Vorstand, mit Anshu Jain (53) an der Spitze, auszutauschen. Und Großaktionär Katar hat im Juli einen den Scheichs genehmen Mann in den Aufsichtsrat entsandt. ,,Auf Anregung" der arabischen Kapitalgeber, so die entlarvende Bankmitteilung, wurde der Wirtschaftsanwalt Stefan Simon als neuer Kontrolleur gerichtlich bestellt. Der schwedische Geldanleger Cevian reklamiert bei ThyssenKrupp-Chefaufseher Lehner wohl schon bald einen zweiten Sitz im Aufsichtsrat.
Die ruppige deutsche Provinz Selbst bislang als träge beleumundete Investoren wie der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock wagen sich aus der Deckung. Vizechef Philipp Hildebrand (53) ging Anfang Oktober mit einer Fundamentalkritik an Europas Banken an die Öffentlichkeit; in Deutschland hat sich der Anlegergigant im Frühjahr die Netzwerk- und Lobbydienste des fruheren CDU-Wirtschaftspolitikers Friedrich Merz ( 60) gesichert.
Besonders ruppig geht es bisweilen in der deutschen Provinz zu.
Wie im hessischen Bad Vilbel, dem Sitz des Arzneimittelherstellers Stada. Ein maßloser CEO, ein Aufsichtsrat, der nicht einschritt - auf der vergangenen Hauptversammlung kam es zur offenen Feldschlacht. In einer Kampfabstimmung, dem ersten sogenannten Proxy Fight auf deutschem Boden, trat der Aktionär Active Ownership
62 managermagazin NOVEMBER 2016
Capital (AOC), unterstützt von Koalitionären wie der Allianz, mit einer eigenen Liste gegen die Kandidaten des Managements an. Der Aufsichtsratschef wurde abgewählt, zwei Stada-Leute setzten sich erst in Stichwahlen durch. Ruhe? Nö, der Streit geht weiter: AOC hat Ende September Klage gegen die Beschlüsse des Aktionärstreffens eingereicht.
Wegweisend ist der Kasus schon jetzt. Er zeigt, was bissige Anleger auf einer Hauptversammlung, gemeinhin als Würstchenbude verschrien, erreichen können. Und der Fall weckt Begehrlichkeiten im Ausland. Seit dem Stada-Showdown werde „international geworben, wie attraktiv Deutschland für Aktivisten" sei, so Anwalt Seibt, der das Unternehmen beraten hat. Das sei ein ,,Hot Topic" in diesen Kreisen.
Auch der Fall Osram belegt, wie scharf Unternehmen von Investorenseite angegriffen werden, selbst wenn der Aggressor in diesem Fall Teil der Deutschland AG ist. Der ansonsten wenig Widerstand gewohnte Supraleiter Joe Kaeser (59), Anführer des ehemaligen OsramMutterkonzems und Noch-Großaktionärs Siemens, stritt mit Vorstandschef OlafBerlien (54) über die richtige Strategie und verweigerte ihm auf dem Anlegermeeting die Entlastung. Doch der Putsch schei-
DER STRAU· CHELNDE Er ging seine Aufgabe hochprofessionell an, gilt als Avantgardist der Aufseherszene. Doch Deutsche-BankChefkontrolleur Paul Achleitner ( o.) blieb bislang weit hinter den Erwartungen der Investoren zurück. Seine Wiederwahl ist gefährdet.
terte. Aufsichtsratschef Peter Bauer (56), einst aufKaesers Vorschlag auf den Posten gelangt, wollte schlichten, stellte sich dann aber, wie das gesamte Gremium, hinter Berliens Konzept. Finanzvorstand Klaus Patzak (51), ein Kaeser-Vertrauter, musste gehen.
Nun setzt Kaeser auf den gewinnbringenden Ausstieg. Könnte klappen, ein chinesischer Halbleiterkonzern signalisierte Anfang Oktober ein grundsätzliches Interesse an der Lichtfirma (siehe Seite 10).
Die Beispiele zeigen, wie schnell Investoren nervös werden - und dass es dann auf den Aufsichtsratschef ankommt.
Einer der Ersten, der das erkannt hat, war Siemens-Oberkontrolleur Gerhard Cromme (73). Nach der Korruptionsaffäre gingen Cromme und Vorstandschef Peter Löscher (59) gemeinsam auf Roadshow. Um zu dokumentieren: Der Aufsichtsrat trägt den Neuanfang mit.
Auch Paul Achleitner tat, als er das Amt des Deutsche-Bank-ARVannahm, alles, um eine eigene Machtposition aufzubauen. Fachmännisch ging er die Sache an, trennte Vorstands- und Aufsichtsratsbüro, schuf sich ein eigenes Chairman's Office (mit 13 Mitarbeitern), kommunizierte intensiv mit Investoren. Den Aufsichtsrat bestückte er nach und nach mit Getreuen (und mit iPads).
Allein, der Aufwand half ihm nicht. Zu groß die Schieflage, zu drückend die regulatorischen Zwänge ( siehe auch Seite 42). Achleitner, der zu operativen Eingriffen neigt und am Ende dann doch selten energisch genug zu Werke geht, muss um seine Wiederwahl 2017 bangen.
Vorausgesetzt, es gibt einen Alternativkandidaten. Den müsste der Nominierungsausschuss des Aufsichtsrats finden, dem in der Regel der ARV vorsitzt. So auch bei der Deutschen Bank. ,,Um gute Unternehmensführung zu praktizieren", rät Hermes-Mann Hirt, sollte sich Achleitner deshalb „nicht an den Beratungen um seine Wiederaufstellung beteiligen". Der Headhunter Christoph Zeiss mahnt „saubere Prozesse" an (siehe Interview Seite 66).
Bei Volkswagen war der Kapitalmarkt zunächst froh gestimmt, >
UNTERNEHMEN
als der ehemalige CFO Pötsch den Aufsichtsratsvorsitz übernahm. Anders als sein Vorgänger Ferdinand Piech (79), der fremde Investoren links und rechts liegen ließ und sie lieber heute als morgen herauskaufen möchte (siehe mm 10/2016), nahm Pötsch mit österreichischem Charme und Sachverstand die Anleger für sich ein. Er bittet Investoren nach Frankfurt, in die Villa Kennedy, und leistet sich sogar, ein Novum in Deutschland, einen eigenen Sprecher.
Dann zog der Dieselskandal immer weitere Kreise. Nun steht Pötsch in einem tief greifenden Interessenkonflikt. Wie kann er Vorgänge aufklären, in die er womöglich selbst verstrickt war? Seine Kommunikation ist, solange die Jones-DayAnwälte ermitteln, arg reduziert. „Eine Riesenhypothek für VW", sagt ein Dax-Aufseher.
DREI WELTEN
DER REDUZIERTE Investors' Darling war Hans Dieter Pötsch (r.) als Finanzvorstand von Volkswagen. In seiner neuen Rolle als Aufsichtsratschef liegt der Fall anders. Der Österreicher ist in einem tief greifenden Interessenkonflikt gefangen und äußert sich, wegen Dieselgate, kaum noch öffentlich.
Die jeweils fünf höchsten Gehälter im Vergleich, in Euro, 2015
Vorstandsvorsitzende Dax 30
Dieter Zetsche, Daimler 9 678 000 o~---...... -----------M a t t h i a s Müller, VW' 8385000 ·•~---------------................ , Bill McDermott, SAP 8 021000 o~--------------Karl-Ludwig Kley, Merck 7 738 000 -~----------------········· ............... , Oliver Bäte, Allianz' 7161000 -~----------- ... .... .. 1
808333
Aufsichts ratsvors it zende Dax 30
O Paul Achleitner, Deutsche Bank ·· ·· ··· ·· ·· ··· ··· ··· ··· ··· ···· ··· ··· ···· ···· ···(
608000 e Gerhard Cromme, Siemens ••»• • ••• •• n•••• ••• ••• •••• •• •••••••• • •• ••• • • • t
O Norbert Reithofer, BMW' 572417 . ...........
O Wolfgang Reitzle, Continental 494000 ··········· ·· ·· ··· ·!
Jürgen Hambrecht, BASF 481300 0 ... ... .. ... ... . ···· ·· ··· I
5572288
Verwaltungsratspräsiden ten SMI2
O Axel Weber, UBS ··· ···· ··· ···· ···· ·· ···· . ······(
Peter Brabeck-Letmathe, Nestle 5 287 20 1 .,... _________ _ .......
O Christoph Franz, Roche 5 2.7.!?~9 ····· ··· ··· ··· ··· ·······I
Walter Kielholz, Swiss Re o~------- Nayla Hayek, Swatch Group
4406751
4 0 8 3 495
.... ... , -~-------- .................. .............................. ,
11 Hochrechnung auf das gesamte Jahr filr M. Müller (ab 25.9.2015 im Amt), 0. Bäte (ab 7.5.2015), N. Reithofer (ab 13.5.2015); 21 Swiss Market Index. Quelle: mm-Recherche, Geschäftsberichte Grafik: managermagazln
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Es klingt paradox, aber je wichtiger der Aufsichtsratsvorsitzende wird, umso mehr muss er sich selbst bescheiden.
Seine Königsdisziplin ist die Wahl des Personals. Der Räteklub sucht und schasst Vorstände. Die Dialogleitsätze sehen vor, dass der ARV mit Investoren über Anforderungsprofile für neue Topkräfte reden möge, nicht aber über einzelne Kandidaten. So steht es auf dem Papier. In der Realität, so ein Anwalt, werde fast immer „am konkreten Beispiel diskutiert".
Weiterer, noch größerer Fallstrick: die Strategieklausel. In den letzten Jahren ist der Einfluss der Kontrolleure auf die Firmenplanung beständig gewachsen. Der Gesetzgeber hat nahezu unbemerkt vom Publikum den Aufsichtsrat dazu verpflichtet, die Vorstandsvergütung an der ,,nachhaltigen Unternehmensentwicklung" auszurichten. Sprich: an der Langfriststrategie. So bietet die Höhe der Managergehälter den Anlegern ein Einfallstor, um über künftige Vorhaben und Projekte zu reden.
,,Sie geht auch n icht mehr weg" Bei Extremereignissen wie Übernahmen nimmt der Chefkontrolleur oft eine überragende Stellung ein. Qua Gesetz muss der Aufsichtsrat in solchen Fällen „eine begründete Stellungnahme" abgeben, sich also ein eigenes Urteil bilden. Und so sind wir bei Werner Wenning angelangt, der derzeit die größte Akquisition der deutschen Wirtschaftsgeschichte aufs Engste begleitet, den BayerMonsanto-Deal.
Der groß gewachsene Mann mit Deutscher-Eiche-Statur ist pragmatisch veranlagt, läuft nicht, wie er sagt, ,,mit dem Aktiengesetz unter dem Arm herum". Die Bayer-Geschicke hat er jahrelang als Vorstandsvorsitzender verantwortet. Wohl und Wehe des Konzerns sind Herzensangelegenheit für ihn, nach über einem halben Jahrhundert Betriebszugehörigkeit.
Sicher, die Strategie sei Sache des Vorstands, ,,aber die muss man immer wieder mit ihm erörtern", sagt er. Das geht durchaus ins Detail: Finanzierung, Risikobewertung, M&A.
Den jetzigen Chef Werner Baumann (54) hat er auf- und hochgezogen, hat ihn frühzeitig auf seine Rolle vorbereitet. Anderthalb Jahre bevor er CEO wurde, hat Wenning den damaligen Finanzvorstand zum Strategiechef ernannt.
Gemeinsam haben sie den Monsanto-Deal gestemmt, zwischen Werner & Werner passt kein Fitze! Genmais.
Klar haben sich Investoren bei dieser Megatransaktion bei Wenning gemeldet. Mit „gut fünf" hatte er bis Anfang Oktober Einzelgespräche geführt, weitere haben sich angekündigt. ,,Sie erfahren aber natürlich nichts, was Ad-hoc-pflichtig wäre", sagt er und dass an den Konsultationen immer auch ein Investor-Relations-Mann des Konzerns teilnehme.
So mancher Vorstandsvorsitzende fremdelt noch mit der neuen Gefechtslage, will den ARV partout nicht mit Anlegern allein lassen.
„Wir können schlecht über die Vergütung des Managements reden, wenn der Vorstandschef am Tisch sitzt", sagt Unionist Speich. ,,Es muss kein Watchdog dabei sein", findet der Aufsichtsrat eines DaxKonzerns. ,,Dass der CEO dann an Strahlkraft einbüßt, muss man in Kauf nehmen." Ratsherr Lehner hält einen gemeinsamen Auftritt bei einem aktivistischen Investor für sinnvoll: ,,Da kommen meist die verschiedensten Fragen, die kann man in einem Termin erledigen, nach der Devise: One face to the customer."
Zusätzliches Konfliktpotenzial birgt die Tatsache, dass immer mehr ARV ihre Position auch nach innen stärken, engen Draht in die Hierarchie halten. Nicht immer lassen sie das den Vorstand wissen - ein weiterer Autoritätsverlust der Konzernspitze.
Erster Ansprechpartner des ARV sei zwar der Vorstand, sagt Profiaufseher Brandt. Das bedeute aber nicht, dass der Oberkontrolleur nicht auch mit nachrangigen Mitarbeitern „Gespräche führen kann oder sogar führen muss". Auch Allianz-ARV Helmut Perlet ( 69) hält einen Informationsaustausch mit der zweiten Ebene für „ausgesprochen hilfreich, wenn nicht sogar notwendig". Die Forderung schließt nicht nur die sogenannten Kontrollfunktionen ein (wie Revision oder Compliance), sondern auch ordinäre operative Kräfte wie Geschäftsbereichsleiter.
Es ist ein schmaler Grat, auf dem die ARV wandeln. ,,Man muss aufpassen, dass daraus keine Nebenregierung entsteht", sagt ein Konzernaufpasser.
Schnell ist die Grenze zum Geheimnisverrat überschritten; der ARV darf aus Aufsichtsratssitzungen nicht berichten. Und: Die Firmenwächter sind gehalten, alle Aktionäre gleichzubehandeln, können sich aber in der Debatte mit ihnen nur auf wenige konzentrieren. ,,Schwierig" sei es, sicherzustellen, dass jeder „exakt den gleichen Informationsstand" habe, so Deutsche-Börse-Chefkontrolleur Joachim Faber ( 66). In Eins-zu-eins-Gesprächen könne eine Linie zwischen öffentlich zugänglichen Mitteilungen und subjektiven Meinungen nur „sehr schwer gezogen werden".
Advokaten mahnen zur Vorsicht, empfehlen eine schlanke, konfliktarme Kommunikation mit den Anlegern. Und die geht so: Der ARV bekommt einen Slot von einer Stunde auf dem Capital Markets Day, trifft dort drei bis fünf ausgewählte Investoren. Er lässt sich von der Investor-RelationsAbteilung briefen, um - auch in Nuancen -eine unterschiedliche Sprachregelung zum CEO zu vermeiden. Er beschränkt sich >
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weitgehend auf den sogenannten Listening Mode, hört einfach nur zu und gibt möglichst keine Statements ab. Das Thema Strategie klammert er aus, äußert sich gegebenenfalls allgemein, gespickt mit salvatorischen Klauseln.
Hübscher Plan. Aber „dynamische ARV mit starker Persönlichkeit" bekomme man so „nicht eingefangen", fürchtet ein Anwalt.
•• „GEUBTE PRAXIS"
Personalberater Christoph Zeiss über die Schwächen deutscher Aufsichtsräte.
MM Herr Zeiss, viele Investoren geben sich nicht mehr mit dem Vorstandschef zufrieden, wenn sie etwas über den Kurs deutscher Konzerne erfahren wollen, und sprechen die Aufsichtsratsvorsitzenden an. Woran liegt das? CHRISTOPH ZEISS Zunächst fordern angelsächsisch geprägte Investoren mehr Entscheidungsmacht für sich ein und sprechen mit demjenigen, den sie für verantwortlich halten, auch wenn deutsche Aktiengesellschaften eigentlich anders verfasst sind. Verändert das die Machtverhältnisse zwischen Vorstand und Aufsichtsrat? Gesetzlich ändert sich nichts, die Verantwortung für die Führung der Gesellschaft bleibt allein beim Vorstand ... ... aber ... ... die informelle Macht der Chefkontrolleure nimmt zu. Das kann ein Wuchtungsproblem zwischen Vorstand und Aufsichtsrat schaffen. Haben wir die richtigen Aufsichtsräte für die neue Zeit? Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Schädlich sind auf jeden Fall Hinterzimmerdiplomatie und Mauscheleien. Man braucht Menschen mit hoher Unabhängigkeit, die sich an langfristigen Zielen der Firma orientieren.
Einig sind sich die Juristen nur in einem: ,,In zwölf Monaten ist die neue Doktrin Standard. Und sie geht auch nicht mehr weg."
Spätestens im nächsten Jahr soll eine entsprechende Klausel in den Deutschen Corporate Governance Kodex aufgenommen werden. Das macht es für Dax-Konzerne schwer, davon abzuweichen. ,,Am
Auf jeden Fall ist dies noch immer hierund da geübte Praxis. Der Grund könnte sein, dass das System am Anfang des Umbruchs steht und deshalb saubere Prozesse noch nicht üblich sind. Dies gilt aber auch für die Investoren. Eigentlich wäre es die Pflicht von Fonds wie Blackrock, ihre Aktionärsvertreter zu identifizieren und zu nominieren, wenn sie Ansprüche wahrnehmen wollen. Sie halten sich aber an dieser Stelle lieber zurück. Ich würde mir wünschen, dass sie sich frühzeitig artikulieren und nicht erst, wenn etwas schiefläuft. Wie soll das funktionieren? Ähnlich wie Unternehmen sich ihre Vorstände suchen. Man fragt sich, welche Persönlichkeiten gebraucht werden, und stellt eine Shortlist zusammen. Darüber würde dann im Nominierungsausschuss gesprochen. So wie Unilever das gemacht hat ... ... wo der frühere Bayer-Chef Marijn Dekkers Chairman wurde. Unilever hat einen sauberen Suchprozess gestartet. Da gab es keine Verbindung zum früheren Chairman oder dem CEO Paul Polman. Ähnlich war es bei Roche, wo ExLufthansa-Chef Christoph Franz gekürt wurde. Da hat sich nicht einfach der scheidende Franz Humer seinen Nachfolger ausgesucht. Kennen Sie das so aus Deutschland? Von Ausnahmen abgesehen nein. In England oder der Schweiz ist die professionalisierte Boardsuche da viel weiter. Das sehen Sie allein daran, dass die Honorare der Personalberater bei der Suche nach einem Verwaltungsrat dort dem einer Geschäftsführungssuche entsprechen. In Deutsch
land wird das oft noch als Gefälligkeit für den Kunden betrachtet. w
In Deutschland stellt sich oft der Vorsitzende seinen Aufsichtsrat • ~....;~--i11-...-' zusammen. Er regelt sogar seine Nachfolge, so war es etwa bei Eon, wo WemerWenning auf Karl-Lud-wig Kley zuging, oder bei RWE, wo Manfred Schneider bei Werner Brandt anklopfte. Ist das noch zeitgemäß?
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WECKRUF Christoph Zeiss
(41), Managing Partner von Heads Executive Consul
tancy, sieht die Investoren am Zug
Ende werden sich alle damit anfreunden müssen", sagt Governance-Experte Christian Strenger.
Klar ist auch, die unterschiedlichen Verfassungen gleichen sich an: das in der Schweiz praktizierte One-Board-Modell mit einem mächtigen Verwaltungsratspräsidenten an der Spitze, der nicht nur kontrolliert, sondern auch die Geschäfte verantwortet, und das deutsche Zweikammerkonstrukt. Hierzulande gehe die Entwicklung hin zu einem „Kondominium", einer gemeinsamen Herrschaft von Vorstand und Aufsicht srat, glaubt Michael Hoffmann-Becking, Wirtschaftsanwalt der Kanzlei Hengeler Mueller.
Wer stark ist, will stark verdienen Hubertus von Grünberg (74), der in Deutschland (Continental) und in der Schweiz (ABB) Räte geleitet hat, hält es für schwierig, das eidgenössische System schleichend zu übernehmen. Denn dann würden Verantwortlichkeiten verwischt. ,,Ein Aufsichtsrat kann den Vorstand austauschen, wenn die Strategie falsch ist oder eine Übernahme nicht funktioniert. Wer aber selbst mitmischt, muss auch für die Fehler einstehen", sagt von Grünberg. Oder müsste es jedenfalls.
Paul Achleitner, der eine falsche Strategie forciert hat, ist immer noch Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank. Und auch Wolfgang Reitzle (67) amtiert weiter als Oberkontrolleur von Linde, obwohl er an der Aufsichtsratsspitze des Gasekonzerns, wo er lange selbst CEO war, wie der wahre Chef agiert. Die gescheiterte Verbindung mit dem US-Rivalen Praxair hatte vor allem er vorangetrieben. Als nichts draus wurde, entsorgte er den CFO und säuberte die niederen Managementstufen. Den CEO, Wolfgang Büchele (57), hat er längst desavouiert; den Nachfolger sucht - wer sonst? - Wolfgang Reitzle.
Es ist auch eine Frage des Geldes, die das eidgenössische Modell so attraktiv macht. Beim Schweizer Baukonzern Lafarge-Holcim kassierte Reitzle als Verwaltungsratspräsident üppige zwei Millionen Euro pro Jahr. Ein starker ARV, fordern unisono die starken ARV, sollte auch in Deutschland stark verdienen.
Im Moment ist die Kapitalkraft noch ungleich verteilt, etwa beim neuen Börsenstar Innogy. Als RWE-Chef kassierte Terium im vergangenen Jahr 3,7 Millionen Euro. Der Aufsichtsratsvorsitz wurde mit 300 ooo Euro vergütet. w Dietmar Student