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THAER HEUTE Boden und Humus THAER HEUTE Bd. 8 Fördergesellschaft Albrecht Daniel Thaer e. V.

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THAER HEUTE

Boden und Humus

THAER HEUTE Bd. 8 Fördergesellschaft Albrecht Daniel Thaer e. V.

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Impressum

Herausgeber: Claus Dalchow

Fördergesellschaft Albrecht Daniel Thaer e. V.

Hauptstraße 10, OT Möglin

15345 Reichenow-Möglin

Fon 033456-35164

Fax 033456-72048

www.albrecht-daniel-thaer.org

[email protected]

www.thaer-barnim-oderland.de

Möglin 2011/2012

ISBN 978-3-9812614-1-7

Unterstützt durch die Sparkasse Märkisch-Oderland

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Inhalt

Die Humustheorie in der Geschichte der Agrikulturchemie 1

Klaus Dieter Schwenke

humus et humanitas: Nachwirken Albrecht Daniel Thaers 21

Ulrich Köpke

Die Bedeutung von Albrecht Daniel Thaer für die Entwicklung von 37

Carl Phillip Sprengel zum Wissenschaftler

Hans-Peter Blume, Martin Frielinghaus

Die Bodenbonitierung nach Albrecht Daniel Thaer und ihre Weiterentwicklung 59

durch Walter Rothkegel, den Initiator der Reichsbodenschätzung

Manfred Altermann, Karl Ludwig Freund

Die Gräber der Thaerfamilie 97

Martin Frielinghaus

25 Jahre organisiertes Thaer-Gedenken in Möglin 107

Ernst Schnorr

Die Dissertation Albrecht Thaers von 1774

Über die Tätigkeit des Nervensystem bei Infektionskrankheiten 111

Wilhelm Rimpau

Anschriften der Verfasser 133

Literatur der Fördergesellschaft Albrecht Daniel Thaer e. V. 134

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1

Die Humustheorie

in der Geschichte der Agrikulturchemie

Klaus Dieter Schwenke

Die Auseinandersetzung um die Lehre vom Humus als vorgeblich wichtigster Nährstoffquelle

der Pflanzen (Humustheorie) hat die Geschichte der Agrikulturchemie in der ersten Hälfte des

19. Jahrhunderts wesentlich mitgeprägt. Diese Theorie wird zumeist mit dem Namen Albrecht

Daniel Thaer als ihrem prominenten Vertreter in Verbindung gebracht. Ein Blick in die Wis-

senschaftsgeschichte offenbart uns jedoch verschiedene Quellen der Humustheorie. Ihre Be-

fürwortung durch namhafte Chemiker wie Davy, Berzelius und Mulder hat dazu beigetragen,

dass diese Theorie prominenten Biologen und vielen Landwirten bis weit ins 19. Jahrhundert

hinein als eine Grundlage der Pflanzenernährung galt. In Sprengel und Liebig jedoch hatte die

Humustheorie ihre schärfsten Kritiker.

Es sind drei eng miteinander verknüpfte Fragen, die die Diskussion um die Humustheorie im

19. Jahrhundert charakterisieren: 1. die Rolle des Humus als vorrangiger Kohlenstoffquelle der

Kulturpflanzen, 2. die Aufnahme organischer Substanzen des Humus durch die Wurzeln der

Pflanze, 3. die direkte Verwertung (Assimilation) der gegebenenfalls aufgenommen organi-

schen Substanzen durch die Pflanze.

1 Die Vorgeschichte

Die Ackererde als Nährstoffquelle der Kulturpflanzen war den Landwirten von alters her ein

Erfahrungswert, der im Schrifttum von der Antike bis in die Neuzeit reflektiert wird. Eng ver-

bunden mit dem Entstehen der Bodenkunde wurden zahlreiche Konzepte über die Ernährung

der Pflanzen entwickelt1. Ausgehend von der Vierelementen-Lehre (Feuer, Luft, Wasser, Erde)

des Altertums und unter dem Einfluß alchimistischen Denkens begann man in der frühen Neu-

zeit über ein grundlegendes „Element“ zu spekulieren, das die Pflanzen bildet und ernährt.

Beispielsweise sahen so bedeutende Gelehrte wie Jan Baptist van Helmont (1577-1644) und

Robert Boyle (1621-1691) das Wasser als das „Element“ an, welches durch Transmutation

sämtliche Substanzen der Pflanze - einschließlich der mineralischen - bilden könne2. Erste,

experimentell gestützte Argumente gegen diese Annahme lieferte John Woodward (1665-

1728)3. Als Resümee seiner Untersuchungen bemerkte er: „Pflanzen werden nicht vom Wasser

sondern von einer besonderen erdigen Materie gebildet;…ein Großteil derselben gelangt mit

dem Wasser gemischt in die Pflanze; diese nimmt in dem Maße zu, wie dieses von jener Mate-

rie enthält; aus allem, was wir vernünftigerweise schließen können, folgt, dass die Erde und

nicht das Wasser die Materie ist, welche die Pflanzen bildet“4.

Im 18. Jahrhundert wurde Jethro Tull (1674-1740)5 ein Beführworter der Lehre vom Boden als

Hauptquelle der pflanzlichen Nährstoffe. Danach seien kleine erdartige Partikel die eigentli-

chen Pflanzennahrungsmittel, deren Extraktion aus dem Boden durch Luft und Wasser beför-

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2

dert würde. Als Hauptquelle der Bodenfruchtbarkeit postulierte J. A. Külbel 1741 ein “fettes”

Prinzip (magma unguinosum) im Humus6.

Eine geschlossene Humustheorie ist zuerst in der Schule von Johann Gottschalk Wallerius

(1709-1785)7

formuliert worden. In der 1761 erschienen Dissertation seines Schülers Gustav

Adolph Gyllenborg über die „chemischen Grundlagen der Agrikultur“8

heißt es, dass das

Pflanzenwachstum nicht durch „mineralische Erden oder Substanzen schwefeliger, bituminö-

ser, steiniger oder metallischer Natur“ sondern allein durch solche Substanzen befördert wer-

de, „die identisch mit den in den Pflanzen präexistierenden oder ihnen analogen Substanzen

oder solchen, die in eine pflanzenartige Natur durch Transmutation und Kombination über-

führt werden können “. Diese Festlegung auf die notwendige organische Natur pflanzlicher

Nahrungsstoffe führte dann direkt zur Rolle des Humus als organischer Nahrungsquelle der

Pflanzen, dessen Definition und Beschreibung weithin übernommen wurde und in wesentli-

chen Punkten auch heute noch Bestand hat:

„Humus ist eine im Boden mehr oder weniger verbreitete und zersetzte Erde von sehr dunkler

Farbe. Zugabe von Wasser bewirkt eine enorme Quellung zu einer schwammartigen Masse,

die beim Trocknen in einen stark kontrahierten pulverförmigen Zustand übergeht und das

Wasser beim Evaporieren leicht verliert. Wird der durch Auslaugen des Humus bei milder

Temperatur erhaltene Extrakt eingedampft, so wird ein leicht gelbes Pulver von salzigem Ge-

schmack erhalten. Der bei größerer Hitze erhaltene Extrakt ist dunkel, hat beim Aufkonzentrie-

ren einen scharfen Geruch und Geschmack und gibt beim Einengen zur Trockne einen glutinö-

sen wasserlöslichen Rückstand. Die beim Auslaugen des Humus erhaltene salzartige Substanz

besteht manchmal aus alkalischer Materie, manchmal aus Glaubersalz

(sal mirabile), manchmal aus Salpeter, manchmal aus anderen Ingredienzien; Kochsalz (sal

muriaticum) ist immer darin enthalten. Alle diese Salze müssen als zufällige Bestandteile des

Humus angesehen werden. Bei der [trockenen] Destillation ergibt der Humus (1) mehr oder

weniger Phlegma [im Sinne von Rückstand] in Abhängigkeit vom Trockenzustand der Erde;

(2) einen flüchtigen, scharfen, empyreumatischen [brenzliges Pyrolyseprodukt], dunkelfarbi-

gen, dem Weinspiritus nicht unähnlichen Spiritus; (3) ein rötliches Öl. Daraus folgt, dass sich

der Humus aus zersetzten Pflanzen gebildet hat, denn im Mineralreich finden wir weder gluti-

nöse noch geistige [von Spiritus] oder ölige Materien. Humus ist höchst nützlich im Gemisch

mit Tonerde, da er diese löslicher macht. Diejenigen, die argumentieren, dass Humus in

Tonerde umgewandelt werde, scheinen die wahre Natur von Humus und Tonerde zu ignorie-

ren. Humus ist von höchstem Wert als Promotor des Pflanzenwachstums, (1) in materieller

Hinsicht indem er das fette Prinzip als Nahrungsmittel liefert und „Salzigkeit“, welche das

fette Prinzip mit Wasser mischbar macht. Diese werden schnell durch Wasser und Hitze ge-

trennt, was sich durch Vermischung mit Tonerde vermeiden lässt;(2) in „instrumenteller“

Hinsicht indem er das in der Luft enthaltene fette Prinzip der Luft, die durch homogene Körper

stärker gebunden wird, anzieht und zurückhält, (3) auf Grund seiner Porosität und Löslichkeit

erhält die Luft Zutritt zu keimenden Samen und zu den Wurzeln derselben, ohne deren Aktivität

die Pflanzen kaum wachsen können; (4) er erleichtert die Kultivierung“,8 (s. auch Anm. 2, S.

126-134).

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3

Wallerius rechnete mineralische Salze und Erden nicht zu den Nahrungsstoffen der Pflanzen.

Als Anhänger der Lehre von der Transmutation glaubte er, dass die Pflanze ihren eigenen

Mineralstoffbedarf durch Transmutation des Wassers erzeugen könne9.

In veränderter Form hat sich diese Ansicht bis in die ersten beiden Dezennien des 19. Jahrhun-

derts gehalten, Diese sollte noch im 19. Jahrhundert das theoretische Konzept der Agrikultur-

chemie mitbestimmen indem der „vegetativen Kraft“ der Pflanzen die Fähigkeit zur Erzeugung

von „Erden“ zugeschrieben wurde (s. dazu Schrader und Hermbstädt in Anm.10).

Im ausgehenden 18. Jahrhundert brachte die Entdeckung der aktiven Rolle der Pflanzen bei

photosynthetischen Prozessen durch Joseph Priestley (1733-1804)11

, Jan Ingen-Housz (1730-

1799)12

und Jean Senebier (1742-1809)13

einen völlig neuen Aspekt in die Theorie der Pflanze-

nernährung, der in den folgenden Jahrzehnten parallel zu den Auffassungen über die Humus-

theorie gelten sollte. Trotz aller Interpretationsprobleme infolge fehlerhafter theoretischer Prä-

missen, lieferten die Ergebnisse ihrer Forschungen erste wissenschaftliche Hinweise dafür,

dass das Kohlendioxid der Luft als eine Quelle für den Kohlenstoff der Pflanzensubstanz anzu-

sehen ist. Dennoch meldeten sich bei Zeitgenossen Zweifel an dieser Art der Ernährung der

Pflanzen durch „Luft und Wasser“, die der französische Chemiker Hassenfratz experimentell

zu erhärten glaubte14

. Es bedurfte der exakten quantitativen Untersuchung des Gasaustausches

grüner Pflanzen durch verbesserte eudiometrische Messungen, um die Menge des von der

Pflanze entwickelten Sauerstoffs in ein genaues Verhältnis zur aufgenommenen Menge Koh-

lendioxid zu setzen. Dies hat Théodore de Saussure (1767-1845) zu Beginn des 19. Jahrhun-

derts in seinen Untersuchungen über die Vegetation getan15

.

Im Resümee seiner Untersuchungen schreibt er: : „Die in freier Luft mit reinem Wasser ernähr-

ten Pflanzen gewinnen Kohlenstoff aus der kleinen Menge kohlensauren Gases, welches natür-

lich in unserer Atmosphäre vorkommt“, und an anderer Stelle: „Werden grüne Pflanzen in

atmosphärischer Luft der abwechselnden Wirkung von Tag und und Nacht ausgesetzt, so at-

men sie mit kohlensaurem Gas vermischtes Sauerstoffgas abwechselnd ein und aus….das von

den Blättern im Dunkeln eingeatmete Sauerstoffgas wird in kohlensaures Gas verwandelt“.

2 Die Lehre vom Humus in der Schule von Albrecht Daniel Thaer

In der Geschichte der Agrikulturchemie wird Albrecht Thaer (1752-1828) als d e r Vertreter

der Humustheorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts apostrophiert. Tatsächlich war sein

Einfluss auf die Entwicklung eines wissenschaftlichen Denkens in der Landwirtschaft so groß,

dass eine in seinen Instituten vertretene Lehrmeinung von sehr vielen Landwirten angenommen

wurde. Für den praktizierenden Landwirt Thaer war es das Natürlichste, dem Humus, der sich

durch Zersetzung pflanzlicher und tierischer Substanzen im Boden bildete und eine in mehrfa-

cher Hinsicht nützliche Wirkung auf das Pflanzenwachstum ausübte, eine zentrale Rolle in der

Ernährung der Gewächse zuzuerkennen. Naheliegend war es deshalb, das von Wallerius for-

mulierte Konzept aufzunehmen und mit dem inzwischen gewachsenem Wissen über Pflanze-

nernährung und Bodenkunde zu verbinden.

In seinen Grundsätzen der rationellen Landwirthschaft hat Thaer seine Humustheorie wie folgt

formuliert: „Obwohl uns die Natur verschiedene unorganische Materien darbietet, wodurch

die Vegetation entweder mittels eines Reizes, den sie der Lebenstätigkeit geben, oder mittels

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ihrer zersetzenden Wirkung auf den Moder belebt und verstärkt werden kann, so ist es doch

eigentlich nur der thierisch-vegetabilische Dünger oder jener im gerechten Zustand der Zer-

setzbarkeit befindliche Moder (Humus), welcher den Pflanzen den wesentlichsten und

nothwendigen Theil ihrer Nahrung giebt. Ich sage den wesentlichsten; denn es ist unbezweifelt,

daß sie auch durch Zersetzung des Wassers und der gasförmig in der Atmosphäre enthaltenden

Stoffe und deren Verbindung einen anderen Theil ihrer Nahrung erhalten … Die Fruchtbarkeit

des Bodens hängt eigentlich nur von ihm [dem Humus] ab, denn außer dem Wasser ist er es

allein, was den Pflanzen im Boden Nahrung giebt. Er ist ein Gebilde der organischen Kraft,

eine Verbindung von Kohlenstoff, Hydrogen, Azot und Oxygen, wie sie von den anorganischen

Naturkräften nicht hervorgebracht werden kann. So wie der Humus ein Erzeugnis des Lebens

ist, so ist er auch die Bedingung des Lebens“16

.

Integraler Bestandteil von Thaers Humuslehre sind seine Ausführungen über die physikalische

Wirkung des Humus auf die verschiedenen Bodenarten: „Die Kraft oder der Reichthum des

Bodens, oder was man auch zuweilen seine Fettigkeit (obgleich darunter auch zuweilen die

Beschaffenheit des Thons verstanden wird) nennt, hängt daher lediglich von seinem Verhält-

nisse ab. Zugleich aber hat er auch physisch, und als unzersetzter Körper betrachtet, eine

merkliche Einwirkung auf den Boden. Er macht den thonigen Boden porös, begünstigt die

Einwirkung der Luft darauf, befördert seine Mürbheit und sein Zerfallen. Den Sand befestigt

er, und hält, durch seine Vermengung mit selbigem die Feuchtigkeit mehr an, und zwar thut er

beides mehr, als er es für sich allein thun würde, so daß der aus Humus und Sand in gerechtem

Verhältnisse gemengte Boden mehr gebunden und Feuchtigkeit haltend ist, als wenn einer

dieser Bestandtheile zu sehr überwöge. Den überreichen Kalkboden kühlt er,…macht ihn mil-

der und weniger reizend, befestigt seine Consistenz, und hält auch in ihm die Verdunstung der

Feuchtigkeit zurück. …. Da ein überschießendes Verhältnis einer jeden Grunderde, und selbst

des Humus, den Boden in seinen physischen Eigenschaften seiner Consistenz, Feuchtigkeits-

haltung u. s. w. fehlerhaft machen kann, so ist es möglich, diesen Fehler durch den Zusatz

einer entgegengesetzten Erdart zu verbessern. Man kann dies die physische Verbesserung des

Bodens nennen, im Gegensatz von der chemischen, worunter man die eigentliche Düngung

oder die Zuführung von wirklicher vegetabilischer Nahrung, aber auch von solchen Substan-

zen begreift, welche die Nahrungstheile aufschließen und zum Übergange in die Pflanze ge-

schickt machen“. (Grundsätze der rationellen Landwirthschaft, 2. Bd., 3. u. 4. Hauptstück)

Die von Thaer formulierte Lehre war das Ergebnis praktischen und theoretischen Forschens, an

dem sein Mitarbeiter Heinrich Einhof (1777-1808) wesentlichen Anteil hatte17

. In seiner pos-

tum von Thaer veröffentlichten Mögliner Vorlesung Ueber die Ernährung der Gewächse18

hat

Einhof die Ergebnisse der Untersuchungen von Priestley, Ingen-House, Senebier und de Sauss-

sure als wissenschaftliche Fakten benannt und sodann auf die „unzähligen Versuche und Be-

obachtungen“ hingewiesen, aus denen hervorging, „daß auch der Boden das Seinige zur Er-

nährung der Pflanzen hergiebt“. Weiter schreibt er: „Einen großen Theil der Nahrung ziehen

die Gewächse aus dem Boden. Es sind aber nicht, wie R ü c k e r t meinte, die Erden, welche

die Nahrung hergeben19

, sondern es ist vorzüglich die im Boden befindliche thierische und

vegetabilische Materie, welche nach der Fäulnis der Thier- und Pflanzenkörper als Humus

zurückbleibt“. Es sind die Prozesse der Fäulnis und Verwesung, die den Humus in eine lösli-

che, von der Pflanze assimilierbare Form umwandeln: „… dagegen erzeugt sich in dem Humus

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eine andere auflösbare Materie, der Extraktivstoff. … [er] ist ein ganz vorzügliches Nah-

rungsmittel für die Gewächse. Diese Materie wird von der Feuchtigkeit des Bodens aufgelöst,

und in dieser flüssigen Form von den Wurzeln aufgenommen… Auf diese Art eingesogen, er-

leidet der Extraktivstoff in den verschiedenen Organen eine Zersetzung und Verdauung. Der

Extraktivstoff erzeugt sich im Humus, wenn die Luft zutreten kann, immerwährend; die Pflan-

zen finden daher immer neuen Vorrath, den sie aufnehmen können“.

Als Resümee stellte Einhof u. a. fest:. „Die Gewächse ziehen ihre Nahrung aus der Luft, ver-

mittels der Blätter und der grünen Oberhaut anderer Theile, u n d aus der Erde vermittels der

Wurzeln…Die Materien, welche sie aus der Luft aufnehmen sind vorzüglich Kohlensäure“; die

Substanzen, die sie aus dem Boden ziehen, bestehen aus der durch Zersetzung des Humus etc.

gebildeten Kohlensäure und dem „Extraktivstoff, der in der Feuchtigkeit des Bodens aufgelöst,

von den Wurzeln aufgesogen wird“. Auf dieses Sowohl- als-auch ist hinzuweisen, wurde doch

später den Vertretern der Humustheorie von einigen ihrer Kritiker vorgeworfen, sie ignorierten

die Bedeutung der Photosynthese für die Pflanzenernährung.

In den von Thaer angeregten und gemeinsam mit diesem publizierten Arbeiten über Hornvieh-

Exkremente20

und verschiedene Torfarten21

hat Einhof das Problem der Verrottung tierischer

und pflanzlicher Düngemittel zu humusartigem Material untersucht und sich in seiner Abhand-

lung über die Dammerde22

auch dem Extraktivstoff als einer Endstufe dieser Zersetzung ge-

widmet. Diesen bestimmte er auch in den grünen und anderen vegetativen Teilen der Pflanzen

und stellte seine qualitative Veränderung während des Vegetationsprozesses fest: „Der Extrac-

tivstoff des [Gersten-] Strohes unterschied sich … besonders durch seine größere Bitterkeit und

die [teilweise] Unauflöslichkeit in Alkohol… von den Extractivstoffen der grünen Stengel“ Des

Weiteren ließ er sich zwar in unreifen, nicht aber in reifen Gerstenkörnern nachweisen23

.

Auch in den analytischen Arbeiten von Einhofs Nachfolger Ernst W. Crome (1781-1813) war

der Extraktivstoff die eigentliche Zielgröße bei der Untersuchung des Humus24

. Dass es sich

bei dem „Extraktivstoff“ um chemisch kaum definierte Substanzgemische handelte, wurde

bereits von den Zeitgenossen kritisch angemerkt25

. Die Fixierung der Pflanzenernährungslehre

auf organische Bestandteile des Humus verhinderte es, dem bemerkenswerten Ansatz von

Rückert über eine Beteiligung der Bodenmineralstoffe gedanklich auch nur nahe zu treten. Wie

viele seiner Zeitgenossen sah Thaer in den Mineralstoffen des Bodens nur Reizstoffe für das

Wachstum der Pflanzen oder Mittel zur Verbesserung des Bodens.

1817 hat Franz Körte, zwischen 1815 und 1830 Leiter des Mögliner Instituts26

, die Gedanken

über den Humus als Grundlagen der Pflanzenernährung noch einmal zusammengefasst27

. In

seiner umfangreichen Abhandlung zitierte er namhafte Naturwissenschaftler wie Humboldt, de

Saussure und Liebigs Lehrer Kastner, dessen folgende Äußerung das Denken um die Wirkung

des Humus bestens charakterisiert: „…der Extractivstoff der Dammerde verdiente wohl nähere

Untersuchung. Noch tiefer als der Keim erscheint mir überhaupt der Humus, er ist schon mehr

für die chemische Sphäre geeignet, hat jedoch noch so viel organische Selbständigkeit, dem

totalen organischen Tode zu widerstreben, kein entschieden chemisches zu werden. Aber gera-

de dieser Zustand des Humus ist, der ihn so tauglich für die Ausbildung der Pflanzen macht:

als halb chemisches weckt er das Leben, der Behauptung der organischen Kraft der Pflanze,

als halb organisches dient er zur leichten Nahrung“.

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Der wasserlösliche Extraktivstoff ist auch für Körte der aus Sicht der Pflanzenernährung wich-

tigste Humusbestandteil. Somit enthält der „milde“ Humus als Produkt eines „fortschreitenden

Verkohlungsprozesses“ als Hauptkomponenten 1) den Extraktivstoff oder „oxydulierten“ Hu-

mus, 2) einen Anteil von „oxydiertem“ Humus und 3) verkohlten Humus. Neben dem Kohlen-

dioxid als Endprodukt der Oxidation des Humus stelle der Extraktivstoff eine alternative Form

der Pflanzennahrung aus dem Boden dar: „In welcher Form, ob in dieser [Extraktivstoff] oder

jener [mit „Sauerstoffgas“ verbunden als Kohlendioxid] die Pflanzen den größten Theil des im

Humus befindlichen Kohlenstoffs zu sich nehmen, ist im Allgemeinen noch nicht bestimmt, und

möchte es auch nie werden, da die Organe jedes Pflanzenindividuums und ihrer Vegetations-

perioden die größte Relativität vermuthen lassen. Ich glaube, daß die Pflanzen den Kohlenstoff

in jeder Form aufnehmen, in welcher sie ihn habhaft werden können, und daß ihre Lebensthä-

tigkeit hauptsächlich in der Zersetzung der Kohle und in der Verbindung derselben zu anderen

Körpern ihren Hauptwirkungskreis habe“ (Anm. 27, S. 101).

Einen Hinweis auf eine modifizierte Sicht Thaers auf den Humus gibt eine Stelle in einem

Akademie-Vortrag aus dem Jahre 1814, wo es heißt: „…den wesentlichsten Nahrungsstoff,

welchen die Pflanzen aus dem Boden ziehen, giebt ihnen der vegetabilisch-animalische Moder

(Humus). Selbst die Erden, welche die Pflanzen als integrierende Theile in geringem Verhält-

nis zu ihrer Masse enthalten, giebt ihnen der Humus in fein aufgelöster Gestalt …“ 28

. Diesen

Gedanken weiter zu entwickeln, sollte seinem Schüler Carl Sprengel (1787-1859) vorbehalten

bleiben.

Auch von Seiten der Chemie erhielt die Humustheorie argumentative Unterstützung, so durch

einen der prominentesten Zeitgenossen Thaers, Sir Humphry Davy (1778-1829)29

. Vor dem

britischen Board of Agriculture hielt er zwischen 1802 und 1812 Vorlesungen unter dem Titel

Elements of Agricultural Chemistry , die 1813 veröffentlicht wurden30

. Der so geprägte Begriff

„Agrikulturchemie“ wurde sehr schnell als Disziplin-Name für die landwirtschaftliche Chemie

übernommen. Albrecht Thaer schätzte Davys Buch für so wichtig ein, dass er die deutsche

Übersetzung mit einem Geleitwort und ausführlichen Kommentaren versah31

. Für den Thaer-

Schüler Carl Sprengel war Davy einer der großen wissenschaftlichen Vorbilder, der als Che-

miker die Bedeutung der Chemie für die „Ökonomie“ erkannt hatte. Seine „Elemente der Agri-

kulturchemie“ hatten eine nachhaltige Wirkung auf die internationale Wissenschaft. Dass so

bedeutende Gelehrte wie Théodore de Saussure und der Schweizer Botaniker Augustin Pyrame

de Candolle (1778-1841)32

zu den Vertretern der Humustheorie zählten, hat darüber hinaus

wesentlich zu ihrer Akzeptanz bei Biologen und Landwirten beigetragen.

3 Sprengels Lehre vom Humus33

Eine neue Herangehensweise bestimmte die Untersuchungen des Humus durch Carl Sprengel.

Der Schlüssel zur Untersuchung der Wirkung des Humus in der Ernährung der Pflanzen war

die „Humussäure“. Andere hatten vor ihm die Existenz von Humussäuren nachgewiesen, Ein-

hof stellte bereits Zusammenhänge zwischen dem Gehalt des Humus an gewissen Säuren und

dessen schlechter Eignung als Dünger fest21,22

, nun – 1826 – brachte Sprengel eine chemische

und biochemische Erklärung dafür34-36

. Er entdeckte die Komplexität der Humuschemie, indem

er die Wechselwirkung zwischen der „Humussäure“ - de facto ein kompliziertes Gemisch

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verschiedenster „Huminsäuren“ - und den mineralischen Bestandteilen des Bodens ins Spiel

brachte. Dabei geht die von ihm Humussäure genannte Komponente des Humus mit den „Ba-

sen“ des Bodens, d. h. den Alkalien, Erdalkalien, Erden oder Schwermetalloxiden eine salzar-

tige (elektrostatische) Verbindung ein, die umso stabiler ist, je „schwerer“ im chemischen

Sinne die „Base“ ist. Die kationischen Basen konkurrieren um die Humussäure und bestimmen

schließlich die Löslichkeit des gebildeten humussauren Salzes37

. Ein weiteres Ergebnis der

Untersuchungen Sprengels war die auflösende Wirkung der „Humussäure“ auf schwerlösliche

Silikate und Aluminate, deren Basen auf diese Weise für die Pflanze verfügbar gemacht wur-

den. Bei den mehrwertigen Basen (z.B. Calcium, Aluminium, Mangan, Eisen) unterschied er

entsprechend dem Verhältnis von positiven zu negativen Ladungen zwischen neutralen, sauren

und basischen humussauren Salzen, die eine unterschiedliche Wasserlöslichkeit aufweisen,

ausgedrückt in der chemischen Formelsprache:

Al3+

(Humat-)3 neutral, lösl.; Al

3+ (Humat

-)<3 sauer lösl.; Al

3+ (Humat

-)1-2 basisch, unlösl.

Naturgemäß besitzen davon nur die löslichen Salze eine Bedeutung für die Pflanzenernährung.

Bei diesen wirkt die Humussäure gleichsam als Transportmolekül (Carrier) für die Mineralstof-

fe auf dem Wege vom Boden über die Wurzel zur Pflanze.

Wesentlich war die Erkenntnis, dass das Ammoniumion mit schwerlöslichen Salzen der Hu-

mussäure unter Bildung löslicher Verbindungen reagieren kann, was in chemische Reaktions-

gleichungen übersetzt (wie auch die folgenden Humussäure-Basen-Interaktionen) bedeutet:

Men+

(Humat-)p (unlösl.) + p NH4

+ → p (NH4

+ Humat

-) (lösl.) + Me

n+

Eine ähnliche Wirkung zeigten Alkalisalze. So konnte Sprengel die günstige Wirkung des

Ammoniaks aus dem Stallmist oder des Kaliums aus der Holzasche chemisch erklären.

Durch Zersetzung kohlensäurehaltiger Mineralien erzeugt die Humussäure Kohlensäure für die

Pflanze:

CaCO3 + 2 Humat-

→ Ca (Humat-)2 + CO2

In Gegenwart von Luftsauerstoff erfolgt schließlich unter Mitwirkung der Pflanzenwurzel der

biochemische Abbau des humussauren Salzes zu Kohlensäure und Wasser. Im vorliegendem

Beispiel kommt das Ammoniumion als Stickstofflieferant hinzu (in der folgenden schemati-

schen Reaktionsgleichung steht Cm (OHn -

)p für Humat- ):

NH4+

Cm (OH n-

)p + mO2 → mCO2 + qH2 O + NH4+

Seine Untersuchungen ermöglichten Sprengel auch die chemische Differenzierung der Humus-

typen. Danach besteht der braune milde Humus im Wesentlichen aus überwiegend löslichen

humussauren Salzen mit Beimengungen anorganischer Salze (z.B. NaCl, Ca (NO3)2) und

Stickstoff-Verbindungen. Hingegen kennzeichnet ein Mangel an neutralisierenden Erden den

vorwiegend in Sümpfen und Mooren vorkommenden sauren Humus, der neben freier Humus-

säure noch organische (Äpfel-, Essigsäure) und anorganische Säuren enthalten kann. Der als

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8

Pflanzennahrung ungeeignete erdharz- und wachshaltige Humus, wie er als Produkt der Ver-

wesung von Heidekraut erscheint oder im Untergrund von Hochmooren auftritt und auf Grund

einer Wachsschicht schwer zersetzbar ist, lässt sich durch K-, Ca- oder Ammoniumsalze auflö-

sen. So erklärt sich die Nützlichkeit des Rasenbrennens, bei dem sich Kaliumcarbonat (Potta-

sche) bildet. Am wenigsten fruchtbar von allen Humustypen ist der kohlige Humus, der durch

das weitgehende Fehlen von Erden und stickstoffhaltigen Körpern gekennzeichnet ist und im

Gegensatz zum lockeren braunen milden Humus ein schwarzes körniges und festes Erschei-

nungsbild bietet.

Wesentlich für das Verständnis der Rolle des Humus im Boden sind Sprengels Aussagen über

dessen physikalische Eigenschaften, mit denen er die Erkenntnisse Thaers erweitern und vertie-

fen konnte. So qualifizieren eine hohe Wasserbindungskapazität und das hohe Wassersorpti-

onsvermögen den milden Humus in besonderer Weise zur Bodenverbesserung. Bemerkenswert

und für die Praxis außerordentlich bedeutsam ist die Wasserlöslichkeit der Humussäure, die in

der Kälte äußerst gering ist, mit steigender Temperatur jedoch extrem zunimmt. „Hat warmes

Wasser einmal viel Humussäure aufgelöst, so lässt es dieselbe … beim Erkalten nicht wieder

fahren. Für die Vegetation ist dies unstreitig äußerst wichtig, denn wenn sich nun im Boden

während er warm ist, viel Humussäure aufgelöst hat, so erhält sie sich möge der Boden über

Nacht, oder bei der Abwesenheit des Sonnenlichtes auch erkalten, dennoch in Lösung, und

kann mithin von den Pflanzen in reichlicher Menge aufgenommen werden“38

.

Wie dieses Zitat belegt, ging Sprengel davon aus, dass die Humussäure von den Pflanzenwur-

zeln aufgenommen wird. In die gleiche Richtung ging auch ein Experiment, in dem er nach-

wies, wie Zwiebelwurzeln während des Pflanzenwachstums in einer wässrigen, Humussäure

enthaltenden Lösung das Verschwinden der gelbbraun gefärbten Humussäure bewirkten39

.

Dieser Annahme einer Verwertung organischer Substanz über die Pflanzenwurzeln steht je-

doch Sprengels entschiedene Ablehnung der Humustheorie der Pflanzenernährung, wie sie von

seinem Lehrer Thaer und anderen Wissenschaftlern vertreten wurde, gegenüber. Seine rigorose

Stellungnahme dazu finden wir u. a. in seinem, 1838 erschienen Werk über die „Urbarmachun-

gen“40

: „Der Humus des Bodens übt zwar auf das Gedeihen der angebauten Gewächse einen

sehr großen Einfluß aus, allein eine so wichtige Rolle er auch beim Anbau der Pflanzen spielt,

so überschätzt man ihn doch häufig; dies wird besonders dadurch bewiesen, daß es mehr Bo-

denarten giebt, die, obgleich sie oft nicht über ¼ Proz. Humus enthalten, dennoch die schöns-

ten Gewächse hervorbringen. … Daß in der That der Humus zum Gedeihen aller unserer Cul-

turpflanzen weniger erfordert wird, als man gewöhnlich glaubte, geht aus vielen Erscheinun-

gen hervor. [Beispiele: hervorragendes Pflanzenwachstum auf extrem humusarmen, aber mit

tierischen stickstoffreichen Stoffen gedüngtem Boden; kümmerliches Wachstum auf humusrei-

chem Moorboden] … Sowohl aus diesen als noch aus mehreren anderen Erscheinungen der

Art hätte man schon längst die Überzeugung gewinnen sollen, daß der Humus kein so wichti-

ger Körper ist, als man uns glauben machen will, und daß überhaupt die bisherige Lehre vom

Humus, welche keine Rücksicht auf die Mineralien nimmt, aus sehr vielen Widersprüchen

besteht. … Es ist in der That sehr auffallend, wie eine Lehre, die ebenso wenig naturgemäß als

richtig in ihren Schlussfolgerungen ist, sich hat so lange behaupten können und noch fortwäh-

rend behauptet, wie ein Lehrgebäude, was auf so seichten Gründen ruht, nicht schon längst in

sich zusammengefallen ist. … Es würde überflüssig sein, wenn ich das, was ich in meiner Dün-

gerlehre41

vom Humus erwähnt habe, hier noch einmal wiederholen wollte, bemerklich will ich

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jedoch machen, daß ich mich immer mehr von der Richtigkeit einer früher ausgesprochenen

Ansicht überzeuge, nämlich daß ich, obwohl ich den Humus für einen sehr wichtigen Körper

der Ackerkrume halte, doch mehr und mehr zu der Überzeugung gelange, die Pflanzen können

ihn allenfalls auch wohl entbehren“.

4 Mulders Humustheorie

Einer der prominentesten Vertreter der Humustheorie der Pflanzenernährung war Gerrit Jan

Mulder (1802-1880) 42

, 1840 bis 1868 Professor für Chemie an der Universität Utrecht. Als

ausgebildeter Arzt und vielseitiger Naturwissenschaftler beschäftigte er sich in seinen For-

schungen besonders auch mit der Pflanzenchemie. So widmete er in seiner „Chemischen Phy-

siologie“43

ein umfangreiches Kapitel der „Ackererde in ihrem Verhältnis zur organischen

Natur“, in welchem dem Humus eine zentrale Rolle in der Ernährung der Pflanzen zugewiesen

wird. „Sie [die schwarze Erdschicht] ist ebenso wohl eine chemische Verbindung der organi-

schen Elemente als die Pflanzencellenstoffe, das Mehl, der Gummi und Zucker und jeder ande-

re organische Körper: von ihr geht unzweifelhaft die erste und fortdauernde Bewegung aus,

welcher die Moleküle in den Pflanzen und Thieren unterworfen sind. Die beständige Umset-

zung der Bestandtheile dieser schwarzen Erdschicht, die in deren Elementen Statt findet, theilt

sich den Pflanzen mit, deren Wurzeln mehr oder weniger davon bedürfen, wenn sie gedeihen

sollen… Sie erregt und unterhält also die eigenthümliche Art der chemischen Wirkung, welche

wir organische Thätigkeit zu nennen pflegen… und obgleich die Vollkommenheit und Größe

der Pflanzen keineswegs im Verhältnis zur Quantität der in dem Boden enthaltenen organi-

schen Stoffe steht, so scheint doch das Vorkommen einer gewissen Menge derselben für das

Wachsthum mancher Gewächse eine notwendige Bedingung zu sein….. Daher rührt es ohne

Zweifel, daß einfach kohlensaures Ammoniak, welches an und für sich kein Nahrungsstoff für

die Pflanzen ist, doch für manche derselben dazu werden kann, wenn es ihnen unter gewissen

Verhältnissen durch die Ackererde zugeführt wird“44

.

Für die Ernährung der Pflanzen schätzte Mulder die Bedeutung der anorganischen Bestandteile

des Erdbodens gleich hoch ein wie die der organischen Stoffe aus dem Humus. Letztere seien

auf keine andere Weise gebildet als durch Kondensation der atmosphärischen Luft vermittelst

der Pflanzen und Thiere – eine Anspielung auf die Photosyntheseleistung der Pflanzen und den

Stoffwechsel der Tiere. Seine Vorstellungen über die chemische Seite dieser „Kondensation“

sind allerdings durchaus spekulativ und aus unserer heutigen Sicht überholt. Die Bedeutung der

anorganischen Bestandteile des Bodens in Gestalt der Alkalien, Erdalkalien und Erden sah er

darin, dass sie mit den sauren Bestandteilen des Humus, den Humussäuren, salzartige Verbin-

dungen eingehen, die von den Wurzeln der Pflanzen aufgenommen der Pflanzenernährung

dienen.

Nicht e i n e Humussäure schlechthin wie bei Sprengel sondern eine Reihe verschiedener, mit

einander durch chemische Prozesse in Verbindung stehender Humussäuren sind Gegenstand

seiner Humustheorie. Diese Humussäuren isolierte er durch alkalische Extraktion des Humus

und nachfolgende Ausfällung durch Säuren. Durch Elementaranalyse charakterisierte er jede

von ihnen.

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So unterschied er die „humusartigen“ Säuren

Geinsäure C40 H24 O14

Humussäure C40 H24 O12

Ulminsäure C40 H28 O12

von den „quellartigen“ („Crenate“ und „Apocrenate“, vom Griechischen κρήνη Quelle)

Quellsatzsäure C48 H24 O24

Quellsäure C24 H24 O16,

die von Jakob Berzelius (1779-1848) 45

im Quellwasser entdeckt worden waren.

Auf Grund ihres mehrbasischen Charakters vermögen diese Säuren gleichzeitig verschiedene

für die Pflanze wertvolle Mineralstoffe salzartig zu binden. So formulierte Mulder für die fünf-

basische Quellsatzsäure eine Zusammensetzung mit fünf Äquivalenten Ammonium oder je

einem Äquivalent Ammonium, Kalium, Calcium, Magnesium und Eisen als Kationen. Für ihn

ist das durch Zersetzung stickstoffhaltiger Körper oder „aus Luft und Wasser in der porösen

Erde“ gebildete Ammoniak von zentraler Bedeutung nicht nur für die Auflösung von Boden-

mineralien sondern auch für die Aufnahme der gebildeten humussauren Salze durch die Pflan-

ze46

. Für die fünf genannten Huminsäuren beschreibt er den folgenden schrittweisen Abbau zur

Quellsäure als Endprodukt der Oxydation organischer Stoffe im Ackerboden, bevor diese ganz

zu Kohlensäure und Wasser zerfallen:

Ulminsäure → Humussäure → Geinsäure → Quellsatzsäure → Quellsäure.

Die Bildung humusartiger Stoffe bei der Zersetzung organischer Verbindungen wie Holz, Stär-

ke, Gummi, Zucker oder Protein durch Fäulnis, Säuren oder Hitze sah Mulder als Beweis dafür

an, dass alle diese organischen Verbindungen eine „Gruppierung der Moleküle aufweisen, die

in der Humussäure und den Huminen als Prototyp angetroffen wird“47

.

(Tatsächlich sind exakte Vorstellungen über den chemischen Aufbau der Huminsäuren erst

viel später, im 20. Jahrhundert, entwickelt worden. s. Anm. 37) Wenn also im Humus und

speziell in den verschiedenen Humussäuren Strukturen vorliegen, die auch die nativen Pflan-

zenstoffe aufweisen, so sollten, folgt man dem Gedankengang Mulders, die Humussäuren auch

von der Pflanze nach Aufnahme durch die Wurzel assimilierbar sein. Es geht also um die di-

rekte Verwertung „organischer“ Stoffe durch die Pflanze.

Seine Humustheorie hat Mulder wie folgt formuliert: „Durch diese organischen Säuren wird

der größte Theil, vielleicht alles Ammoniak, welches die Pflanzen aus dem Boden ziehen, den-

selben dargeboten. Die Erfahrung hat gelehrt, daß Ammoniaksalze ohne diese organischen

Säuren den Pflanzen nachtheilig sind, mit denselben vielleicht durch die Verwesung anderer

Düngerarten verbunden, wie verwester Schafmist, Kuh- oder Vogelmist, den Pflanzen von

großem Nutzen sind. Welches Ammoniaksalz man aber auch immerhin der mit der Ackererde

vermengen mag, so kann dasselbe nichts Anderes von dem Augenblicke der Verwesung an

daraus abscheiden, als ulminsaures, humussaures, geinsaures, quellsalzsaures und quellsaures

Ammoniak, insofern nur eine genügende Menge verwesender organischer Stoffe im Boden

vorhanden war, und zu diesem Behufe bedient man sich von Alters her in verwesenden Dün-

gerstoffen eines Gemenges, in welchem jene fünf genannten Ammoniaksalze den Pflanzen un-

mittelbar Nahrung darbieten. Der Harn der Thiere und Menschen, der Guano und ebenfalls

der Harnstoff, Harnsäure und die Hippursäure oder was für einen Ammoniak enthaltenden

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Stoff man auch anwenden möge, alle verbinden sich als Ammoniak mit den genannten fünf

Säuren des Bodens, bevor sie für die Pflanzen als Nahrungsmittel betrachtet werden kön-

nen“48

.

In Ermangelung „direkter Beweise“ für seine Theorie dienten ihm Analogieschlüsse als „indi-

rekte Beweise“. Sollten die Pflanzen nicht auch imstande sein, die (organischen) Humussäuren

mit ihren Wurzeln aufzunehmen und zu assimilieren, wenn sie – wie beobachtet – verschiedene

Salze, Gifte und Farbstoffe aufzunehmen in der Lage sind? Und, war nicht die Entfärbung der

dunkel gefärbten humussauren Salze nach deren Wirkung auf die Pflanzenwurzel (z. B. in

Experimenten von Sprengel und de Saussure) ein deutlicher Hinweis darauf, dass das „humus-

saure Ammoniak zersetzt und in der Pflanze assimiliert wird?“ Auch die Fähigkeit von Pilzen

zur Aufnahme und Verstoffwechselung von organischer Substenz sollte als Argument für seine

Humustheorie gelten.

In Jakob Berzelius, der unbestrittenen Autorität auf dem Gebiet der Chemie im ersten Drittel

des 19. Jahrhunderts, fand Mulder eine wichtige Unterstützung seiner Humustheorie. Dieser

Tatsache dürfte es u. a. geschuldet sein, dass seine Ansichten nicht nur in Europa sondern auch

in den USA große Akzeptanz fanden49,50

. So veröffentlichte der führende amerikanische Agri-

kulturchemiker Samuel L. Dana 1842 ein Handbuch für die landwirtschaftliche Praxis51

mit

einem Plädoyer für die Humustheorie, das eine Art Vademecum der amerikanischen Landwirte

wurde und bis 1855 fünf Auflagen erlebte.

5 Der Humus in Liebigs „Agrikulturchemie“

1840 veröffentlichte Justus von Liebig (1803-1873)52

seine „Agrikulturchemie“53

, in der er

rigoros gegen die Humustheorie zu Felde zog. In dem Kapitel „Die Assimilation des Kohlen-

stoffs“ (in einer späteren Auflage „Der Ursprung und die Assimilation des Kohlenstoffs“) geht

er zunächst auf die weit verbreiteten Vorstellungen über den Humus ein und setzt sich kritisch

mit der auch von Mulder geteilten Ansicht (s. dessen Schlussfolgerung im vorangehenden

Abschnitt über die „gleiche Gruppierung der Moleküle“ in organischen Stoffe und im Humus)

auseinander, wonach sich Humussäure bei der chemischen Zersetzung von organischen Stoffen

wie Sägespänen (durch Kalihydrat) oder Stärke (durch Salzsäure) bilden, obwohl die entstan-

denen dunkel gefärbten Produkte in ihrer Zusammensetzung weder untereinander noch mit

dem Humus der Ackererde vergleichbar waren: „Man sieht leicht, daß die Chemiker bis jetzt

gewohnt waren, alle Zersetzungsproducte organischer Verbindungen von brauner oder braun-

schwarzer Farbe mit Humussäure oder Humin zu bezeichnen, je nachdem sie in Alkalien lös-

lich waren oder nicht, daß aber diese Producte in ihrer Zusammensetzung und Entstehungs-

weise nicht das Geringste miteinander gemein haben. – Man hat nicht den entferntesten

Grund, zu glauben, daß das eine oder das andere dieser Zersetzungsproducte, in der Form und

mit den Eigenschaften begabt, die man den vegetabilischen Bestandtheilen der Dammerde

zuschreibt, in der Natur vorkommt, man hat nicht einmal den Schatten eines Beweises für die

Meinung, daß eins von ihnen als Nahrungsstoff oder sonst irgend einen Einfluß auf die Entwi-

ckelung einer Pflanze ausübt. Die Eigenschaften des Humus und der Humussäure der Chemi-

ker sind von den Pflanzenphysiologen unbegreiflicher Weise übertragen worden auf den Kör-

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per der Dammerde, den man mit dem nemlichen Namen belegt; an diese Eigenschaften knüp-

fen sich die Vorstellungen über die Rolle, die man ihm in der Vegetation zuschreibt“54

.

Es folgt die Kritik an der Aufnahme und Assimilation des Humus durch die Pflanze: „Die

Meinung, daß der Humus als Bestandtheil der Dammerde von den Wurzeln der Pflanze aufge-

nommen, daß sein Kohlenstoff in irgend einer Form von den Pflanzen zur Nahrung verwendet

wird, ist so verbreitet und hat in dem Grade Wurzel gefasst, daß bis jetzt jede Beweisführung

für diese seine Wirkungsweise für überflüssig erachtet wurde; denn die in die Augen fallende

Verschiedenheit von Pflanzen in Bodenarten, die man als ungleich reich an Humus kennt,

erschien auch dem Befangensten als eine genügende Begründung dieser Meinung. – Wenn man

diese Voraussetzung einer strengen Prüfung unterwirft, so ergiebt sich daraus der schärffste

Beweis, daß der Humus in der Form, wie er im Boden enthalten ist, zur Ernährung der Pflan-

zen nicht das Geringste beiträgt. – Durch das Festhalten an der bisherigen Ansicht hat man

von vorn herein jede Erkenntniß des Ernährungsprocesses der Pflanzen unmöglich gemacht,

und damit den sichersten und treuesten Führer zu einem rationellen Verfahren in der Land-

und Forstwirthschaft verbannnt. – Ohne eine tiefe und gründliche Kenntniß der Nahrungsmit-

tel der Gewächse und der Quellen , aus denen sie entspringen, ist eine Vervollkommnung des

wichtigsten aller Gewerbe, des Ackerbaues, nicht denkbar“55

.

Unter Verwendung analytischer Daten aus der Literatur (darunter Sprengel) und seinem eige-

nen Laboratorium verglich Liebig an Beispielen aus der Land- und Forstwirtschaft die Menge

an Kohlenstoff, die den wachsenden Pflanzen in Form der Humussäuren des Bodens zur Ver-

fügung steht, mit der wesentlich größeren Menge Kohlenstoff im produzierten Baumholz bzw.

den vegetativen Teilen von Getreide und anderen Ackerpflanzen. Zudem ergab sich aus seinen

Berechnungen, „daß gleiche Flächen culturfähiges Land [unabhängig vom Humusgehalt des

Bodens] eine gleiche Quantität Kohlenstoff hervorzubringen vermögen“. Unter Bezugnahme

auf die Arbeiten von Wiegmann und Polstorf56

, Boussingault57,58

und anderen zeitgenössischen

Forschern, die Liebig in den späteren Auflagen seines Werkes berücksichtigen konnte, resü-

mierte er: „Aber auch zahlreiche directe Versuche in humusleeren, von allen organischen Be-

standtheilen völlig freien Bodenarten, sowie in wässerigen Lösungen der anderen Pflanzen-

nahrungsstoffe ergaben, dass die Pflanzen gedeihen und die höchsten Erträge an organischer

Masse liefern können, ohne dass ihre Wurzeln auch nur die geringste Menge kohlenstoffhalti-

ger organischer Materie dargeboten zu sein braucht“59

. Die zahlreichen Versuche der genann-

ten Autoren führte er als direkte Beweise dafür an, „dass die Atmosphäre die Quelle sei, aus

welcher die Pflanzen ihren Kohlenstoff schöpfen“. Mit dieser Feststellung hat er seinen Zeitge-

nossen die Forschungsergebnisse von Priestley, Ingen-Housz, Senebier und de Saussure über

die Photosynthese in Erinnerung gebracht. Da nun also der pflanzliche Kohlenstoff aus dem

Kohlendioxyd der Atmosphäre gebildet wird und der Humus des Ackerbodens durch die Ver-

wesung des Pflanzenmaterials entsteht, muss, so schlussfolgert Liebig, der Ursprung des Hu-

mus gleichfalls von der Atmosphäre abgeleitet werden.

Der Kohlensäure als dem Endprodukt der „Metamorphose“ des Humus weist Liebig bei aller

prinzipiellen Kritik an der Humustheorie eine gewisse Rolle in der Pflanzenernährung zu, steht

sie doch den Pflanzenwurzeln im humushaltigen Boden in ausreichender Menge zur Verfü-

gung, um die Pflanzen im frühen Stadium ihrer Entwicklung, wo noch keine zur Photosynthese

befähigten Organe ausgebildet sind, mit dem nötigen Kohlenstoff zu versorgen. So resümiert

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er: „Steht es nun auch fest, : eine Massenentwicklung der Pflanzen kann stattfinden, ohne dass

den Wurzeln Kohlensäure oder eine kohlenstoffhaltige Materie dargeboten zu sein braucht, so

ist doch ein Kohlensäuregehalt des Bodens, die Aufnahme der Kohlensäure auch durch die

Wurzeln nicht zu unterschätzen“. Dezidierter formulierte er weiter unten: „Der Humus ernährt

die Pflanze nicht dadurch, dass er im löslichen Zustande von der Pflanze aufgenommen und als

solcher assimilirt wird, sondern weil er eine langsame und andauernde Quelle von Kohlensäu-

re darstellt, welche als das Lösungsmittel gewisser für die Pflanze unentbehrlicher Bodenbe-

standtheile und auch als Nahrungsmittel die Wurzeln der Pflanze, so lange sich im Boden die

Bedingungen zur Verwesung (Feuchtigkeit und Zutritt der Luft) vereinigt finden, in vielfacher

Weise mit Nahrung versieht“60

. [Diese für die Pflanze „unentbehrlichen Bodenbestandteile“

sind die Mineralstoffe, die in Liebigs „Agrikulturchemie“ als Pflanzennahrungsmittel eine

zentrale Rolle spielen und neben anderen Diskussionspunkten zum Gegenstand einer pole-

misch geführten Auseinandersetzung mit Sprengel61

wurden, der ihre Bedeutung für die Pflan-

zenernährung bereits 12 Jahre vorher erkannt hatte (s. o. und Anm. 33,35).] Dieses Zugeständ-

nis Liebigs an den Humus als Kohlenstoffquelle der wachsenden Pflanze könnte man auch als

eine neue, modifizierte Form der Humustheorie verstehen. Über den Beitrag der Humus-

Kohlensäure zur Entwicklung der Pflanze äußerte er sich weiter wie folgt: „Der Humus als die

Kohlensäurequelle im Culturlande, wirkt nun aber nicht allein nützlich als Mittel zur Vergrö-

ßerung des Kohlenstoffgehaltes der Pflanze, sondern durch die in einer gegebenen Zeit ver-

größerte Masse der Pflanze ist in der That ja auch Raum für die Aufnahme der für die Ausbil-

dung neuer Blätter und Zweige nothwendigen Bodenbestandtheile gewonnen…. Angenommen,

wir hätten alle Bedingungen der Assimilation der atmosphärischen Nahrungsstoffe unseren

Culturpflanzen in reichlichster Menge gegeben, so besteht demnach die Wirkung des Humus in

einer beschleunigten Entwicklung der Pflanze, in einem Gewinn an Zeit; in allen Fällen wächst

durch den Humus der Ertrag an Kohlenstoff, der, wenn die Bedingungen zu seinem Uebergan-

ge in andere Verbindungen fehlen, die Form annimmt von Amylum, Zucker, Gummi, von Mate-

rialien also, welche keine mineralischen Bestandtheile enthalten“62

.

1842 hat sich de Saussure noch einmal mit dem Kernproblem der Humustheorie beschäftigt,

nachdem der Congrès scientific de France die folgende Frage an die Wissenschaft gestellt

hatte: „Können die ternären oder quaternären organischen Substanzen, nachdem sie durch die

Wurzeln der Pflanzen absorbirt worden, von letzteren assimilirt“ werden? Auf Grund der

Massenbilanz bei Vegetationsversuchen mit humussaurem Kali an Bohnen und Knöterich

glaubte er, diese Frage positiv beantworten zu können63

. Liebig hat diese Versuche mit dem

Hinweis darauf kommentiert, dass die Pflanzen zwar das Kali (oder kohlensaure Kali) aufneh-

men, die „bestimmbare Menge Dammerdeextract,….den eine Pflanze aufnimmt, welche unter

den günstigsten Bedingungen damit ernährt wird, in die Grenze der Beobachtungsfehler fällt,

dies will sagen, daß die Versuche, welche die Absorption des Humus durch die Wurzeln

darthun sollen, keine Beweiskraft besitzen“. Zu einem im Prinzip ähnlichem Urteil gelangten

auch Wiegmann und Polsdorff56

nach vergleichbaren Vegetationsversuchen mit Humusextrak-

ten.

Auf Grund von Versuchsergebnissen unterschiedlicher Autoren - insbesondere von Untersu-

chungen in Wasserkulturen -, bei denen stickstofffreie oder stickstoffhaltige organische Ver-

bindungen der Pflanze als Kohlenstoff- oder Stickstoffquelle dienten, sah sich Liebig in der

neunten Auflage seines Werkes veranlasst, eine moderate Stellung zu diesem viel diskutierten

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Problem einzunehmen: „Durch das oben Gesagte [über Ammoniak als Stickstoffquelle] ist

natürlich nicht behauptet: die Pflanzen vermöchten nicht auch schon theilweise in organische

Substanz übergeführte Kohlensäure oder Ammoniak aufzunehmen und zu assimiliren, d. h. in

noch höhere organische Pflanzenstoffe zu verwandeln“ 64

.

6 Neuere Sicht auf den Humus

Zu den Wissenschaftlern, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Problem der Auf-

nahme organischer Substanzen durch die Pflanzenwurzeln befasst haben, gehört der Liebig-

Schüler Samuel W. Johnson (1830-1909)65

. Nach dem Tod von Samuel L. Dana (1868) war er

der führende Agrikulturchemiker in den Vereinigten Staaten. Seine Bücher How Crops Grow

(1869) und How Crops Feed 66

(1870) lösten Danas Handbuch51

als landwirtschaftliches

Vademecum ab. Durch Vegetationsversuche mit Maispflanzen in mit Aschenbestandteilen

versehenem Sand wies er den günstigen Einfluss von Harnsäure, Hippursäure und salzsaurem

Guanin auf das Wachstum nach (noch von Liebig in Anm. 64 zitiert). Diese und eine Reihe

weiterer Versuche veranlassten ihn zu folgendem Resümee über den Humus als Pflanzennah-

rung: „Nähren die organischen Substanzen des Bodens die Pflanzen direct? - Diese Frage,

soweit sie den Humus betrifft, ist mit großer Aufmerksamkeit von den hervorragenden land-

wirthschaftlichen Schriftstellern verfolgt worden. Saussure, Berzelius und Mulder haben diese

Frage bejaht, während Liebig und seine zahlreichen Anhänger dem Humus jeden directen

Ernährungswerth vollständig absprechen. – Es ist nicht unmöglich [im englischen Original:

„es ist wahrscheinlich“], dass gelöster Humus direct absorbirt wird und zur Ernährung beitra-

gen kann. Es ist aber auch ganz gewiss, dass er nur sehr wenig zur Ernährung landwirth-

schaftlicher Pflanzen beizutragen vermag“66

. – „Aus diesen Thatsachen lässt sich nun wohl

annehmen, daß mache Arten organischer Materien auch von landwirthschaftlichen Pflanzen

absorbirt und chemisch verändert ( und einige dabei auch assimilirt) werden können, daß aber

die humussauren löslichen Verbindungen als Quelle für Kohlenstoff bei landwirthschaftlichen

Pflanzen dienen, wird durch diese Versuche in keiner Weise so dargethan, daß sie irgendwie

von Einfluß auf das Gedeihen derselben sind.“67

.

Hermann von Liebig ergänzte den Text wie folgt: „Dagegen ist unzweifelhaft die Thatsache

festgestellt, daß die landwirthschaftlichen Pflanzen und die meisten Pflanzen höherer Ordnung

bei ihrer Ernährung auf unorganische Stoffe angewiesen sind und nur ausnahmsweise in der

Lage sich befinden, wo sie humussaure Salze absorbiren könnten; und auch hier würden sie im

Boden die Säure abscheiden und nur die Base als kohlensaures Salz absorbiren,… Die ange-

führten Versuche können nur beweisen, wie völlig vergeblich die Anhänger der längst beseitig-

ten Humustheorie bestrebt waren, die Bedeutung derselben für landwirthschaftliche Pflanzen

aufrecht zu erhalten. Die große Bedeutung des Humus für die Culturfelder liegt in seiner phy-

sikalischen Wirkung einerseits und in seinen Zersetzungsproducten“.

Nach wie vor stand im ausgehenden 19. Jahrhundert die Klärung der Frage nach der Aufnahme

und Assimilation organischer Substanzen durch die Pflanzen auf der Tagesordnung der Agri-

kulturchemie. Nachdem Sachs und Knop 1860-1865 die Technik von Vegetationsversuchen in

Nährlösung unter Ausschluss des Bodens eingeführt hatten68

und damit definierte organische

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Verbindungen als Pflanzennährstoffe unter sterilen Bedingungen gezielt untersucht werden

konnten, wurde der Nachweis der direkten Assimilation des Kohlenstoffs von Kohlenhydraten

durch grüne Pflanzen in Wasserkulturen erbracht69

. Desgleichen wurde die Assimilation von

Stickstoff aus organischen Verbindungen nachgewiesen70

. Tatsächlich hat diese Problematik

die agrikulturchemische Forschung auch noch im 20. Jahrhundert beschäftigt71,72

. Nach den

positiv verlaufenden Vegetationsversuchen mit definierten organischen Verbindungen wurden

nunmehr auch Huminsäuren als Kohlenstoffquelle untersucht72,73

. So konnte u.a. gezeigt wer-

den, dass diese die Mineralstoffaufnahme der Pflanzen günstig beeinflussen74

.

Eine neue, physikochemische Sicht auf den Humus ergab sich, als der kolloidale Zustand der

Huminsäuren im Jahre 1888 erkannt wurde75

. Ihre Auffassung als Kolloide war die Grundlage

für eine wissenschaftliche Interpretation des Absorptionsvermögens, des Löslichkeits- und

Quellungsverhaltens der Huminsäuren und letztlich für das Verständnis der physikalischen

Eigenschaften des Humus in der landwirtschaftlichen Praxis.

Mulder und Liebig haben die Zersetzungsprozesse des Humus als rein chemische Vorgänge

betrachtet. So hat Liebig die zu Kohlensäure führende „Verwesung“ des Humus, seine „Meta-

morphose“76

, als einen „langsamen Verbrennungsprozess“ aufgefasst, bei dem sich die „ver-

brennlichen Bestandteile der verwesenden Körper“ mit dem Sauerstoff der Luft verbinden77

.

Ein volles Verständnis für die im Humus ablaufenden Prozesse setzte jedoch die Entwicklung

der Mikrobiologie voraus. Nun erst ließ sich die komplexe Rolle des Humus in der Landwirt-

schaft erklären, der neben seinen besonderen chemischen und physikalischen Eigenschaften als

hervorragender Nährstoff für die Mikroorganismen des Bodens dient und somit die Bildung

und Anreicherung wertvoller Nährstoffe für die Pflanzen ermöglicht.

Anmerkungen

1) H.-P. Blume, Die Wurzeln der Bodenkunde, in: Handbuch der Bodenkunde, Boden und

Böden, Kap. 1.3.1., 15. Erg. Lfr., 2003, S. 1-30.

2) Ch. A. Browne, A Source Book of Agricultural Chemistry, Chronica Botanica, Vol. 8, Nr.

1, Waltham, Mass. 1944.

3) J. C. Poggendorf, Biograph.-literar. Handwörterbuch zur Gesch. d. exakten Wissensch.

Bd. 2, S. 1366-67; Browne l. c. S. 84-86.

4) J. Woodward, Some thoughts and experiments concerning vegetations, Phil. Trans. 21,

(1799) S.193-227.

5) Browne, l. c., S.92-96.

6) J. A. Külbel, Cause de la fertilité des terres, Bordeaux 1741.

Nach Blume (Anm. 1) geht die Annahme eines fetten oder öligen Prinzips als Agens für

den Pflanzenwuchs auf den Griechen Theophrast (377-287 v. Chr.) zurück. Blume legt

auch dar, dass Külbel und andere Autoren wie F. Home [The principles of agriculture and

vegetation, 2. Aufl. London 1759] und Wallerius („das fette Prinzip der Luft“, s. Anm. 8)

die Vorstellungen vom Phlogiston als brennbares Prinzip auf den Humuskörper

übertrugen.

7) Wallerius hatte als Professor der Chemie, Mineralogie und Pharmazie an der Universität

Uppsala als erster die Agrikulturchemie als besonderes Studienfach an einer

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Universität eingeführt und dabei sein besonderes Interesse auf die Chemie der

Ackerfrüchte und des Bodens gerichtet. Poggendorf l.c. Bd.2, S.1252-12532;

Browne1,l.c., S. 126-134..

8) Unter dem Titel Agriculturae fundamenta chemica 1761 in Lateinisch und Schwedisch

publiziert; deutsch: Chemische Grundsätze des Feldbaues, Berlin 1764 und Chymische

Grundsätze des Feldbaues, Bern 1765 ; französisch: Elémens d’agriculture physique et

chymique, Yverdon 1766.

9) Wallerius’/ Gyllenborgs Weiterentwicklung der Transmutationslehre von van Helmont

und Boyle wurde mit der Ablehnung der Ansichten von Woodward, Tull, Kübel und

Duhamel du Monceau (1700-1782) über den Boden als wesentlichster Nahrrungsquelle

der Pflanzen verbunden.

10) K. D. Schwenke, Die Agrikulturchemie im Umfeld von Albrecht Thaer: Sigismund

Friedrich Hermbstädt, THAER HEUTE Bd. 4 (2007) S. 111-143.

11) J. Priestley, Experiments and Observations on different kinds of Air, and other Branches

of Natural Philosophy, connected with the subject, Birmingham 1790; erste. Veröffentl.

1774-86. (dazu: Poggendorf, Bd. 2. S. 528-29; R. Pötsch, Lexikon bedeutender

Chemiker, Leipzig 1988, S.350-51 Browne, S. 139-145. Priestley war neben Scheele und

Lavoisier einer der Entdecker des Sauerstoffs, blieb aber Anhänger der Phlogiston-

Theorie.

12) J. Ingen-Housz, Experiments upon Vegetables discovering their great Power of Purifying

the Common Air in the Sunshine and injuring it in the Shade and at Night. London 1779;

An Essay on the Food of Plants and the Renovation of Soils. London 1796.

(dazu: l. c. Poggendorf, Bd. 1, S. 1170-71; Pötsch s. 218-19; Browne, S. 145-149).

13) J. Senebier, Expériences sur l’action de la lumière solaire dans la vegetation. Genf &

Paris 1788. (dazu: 14) Poggendorf, Bd. 2, S. 904-5; Browne, S. 149-152)

14) J. H. Hassenfratz, Sur la nutrition des végétaux, Ann. chimie 13, 55-64 (1792);

Poggendorf, Bd. 1, S. 1029-30.

15) Th. de Saussure, Recherches chimiques sur la vegetation. Paris 1804; deutsch in

Ostwald’s Klassiker der exakten Wissenschaften,Nr. 15 & 16, Leipzig 1890.

(dazu: l. c. Poggendorf, Bd. 2, S. 756-57; Pötsch S. 378; Browne S. 192-206).

16) A. Thaer, Grundsätze der rationellen Landwirthschaft, 4 Bd., Berlin 1809-12;

hier Bd. 2, S. 396-97.

17) K. D. Schwenke, Heinrich Einhof – Lehrer in Celle und Möglin. Biographische und

werkgeschichtliche Studie, THAER HEUTE Bd. 3 (2006) S. 21-51.

18) H. Einhof, Ann. d. Ackerbaues, 8 (1808) S. 297-324.

19) Georg Christian Albrecht Rückert (1763-1800) hatte in seinem Werk „Der Feldbau

chemisch untersucht, um ihn zu seiner letzten Vollkommenheit zu erheben“ (Erlangen

1779, 1790) die These aufgestellt, dass „die Pflanzen sich nur von reinen Grunderden,

Thon, Kalk, Bittererde und Kieselerde nährten“. Jedes Gewächs soll nach ihm „ein

besonderes Verhältnis dieser Erden im Boden verlangen, um gut wachsen zu können, und

man kann dieses Verhältnis finden, indem man die Asche der Pflanzen untersucht“.

20) A. Thaer, H. Einhof, Ueber die Hornvieh-Excremente und ihre Fäulniß, Neues allgem.

J. Chemie, 3 (1804) S. 276-321.

21) A. Thaer, H. Einhof, Chemische Untersuchungen zweyer Torfarten, besonders in

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Rücksicht auf Torfdüngung, Neues allgem. J. Chemie, 3 (1804) S. 400-423.

22) H. Einhof, Einige Bemerkungen über die Dammerde, Neues allgem. J. Chemie, 6 (1806)

S. 507-541.

23) H. Einhof, Chemische Analyse der kleinen Gerste (Hordeum vulgare), Neues allgem. J.

Chemie 6 (1806) S. 62-98.

24) G. Crome, Ueber den sogenannten unauflöslichen Humus, und die Mittel, ihn auflöslich

Zu machen, Arch. d. Agriculturchemie, 4, Heft 1 (1809) S. 2o3- 23; Ueber die Wirkung

der Düngungsmittel, ebd. 6, Heft 2 (1815) S..201-259.

25). In einer Anmerkung zu Einhofs Arbeit geht der Herausgeber Gehlen sehr kritisch auf

den Begriff „Extraktivstoff“ und dessen unzureichende chemische Identifizierung ein.

Zu Einhofs Feststellung , dass nicht die Löslichkeit in Alkohol wohl aber die

Veränderungen durch den Sauerstoff der Atmosphäre den Extraktivstoff charakterisiere,

schreibt er. „Durch diesen Charakter wissen wir eigentlich noch nichts über die Natur

des sogenannten Extractivstoffs: man dreht sich dabei immer im Zirkel… Was ist denn

aber der Extractivstoff, ehe er diese Veränderung erlitten hat? wie stellt man ihn rein

dar? welche sind seine Eigenschaften in diesem reinen Zustande? Ich .zweifle, daß man

sich bis jetzt diese Fragen aufgeworfen, noch weniger beantwortet habe, und ich fürchte,

daß bei näherer Untersuchung der Begriff des Extractivstoffs sich als ein gänzlich

unbestimmter ergeben werde“.

26) M. Frielinghaus, Landwirtschaftliche Lehre zu Möglin in Thaers Schriften, THAER

HEUTE; Bd. 3 (2006) S. 53-94.

27) Körte, Wie und auf welche Art wirkt der Humus als ernährendes Mittel für die Pflanzen?

Arch. d. Agriculturchemie, 7, Heft 1(1817) S. 84-136.

28) A. Thaer, Gegenwärtiger Stand über den Ertrag und die Erschöpfung der Ernten im

Verhältnis zu der Thäthigkeit und dem Reichthum des Bodens, Abh. d. königl. Akad. d.

Wissensch. zu Berlin, 1814-15, S. 35-52.

29) l. c. Pötsch, S. 109-110; Poggendorf Bd. 1, S. 528-30.

30) H. Davy, Elements of Agricultural Chemistry, in a Course of Lectures for the Board of

Agriculture, London 1813; Collected Works of Sir Humphry Davy, Vol. VII, London

1839-40.

31) H. Davy, Elemente der Agrikulturchemie, übersetzt v. Friedrich Wolff, mit

Anmerkungen u. einer Vorrede v. Albrecht Thaer, Berlin 1814.

32) A. P. de Candolle, Physiologie végétale ou Exposition des Forces et des Fonctions vitales

des Végétaux, pour servir de suite à l’organographie végétale et d’introduction à la

botanique géographique et agricole, 3 Bd. Paris 1831 ( dt. Übers. von J. Röper, Stuttgart

& Tübingen 1833/35); l.c. Poggendorf Bd. 1, S. 532, Browne S. 211-220.

33) K. D. Schwenke, Carl Sprengels Mineralstofflehre, ein Meilenstein in der Geschichte

der Agrikulturchemie, THAER HEITE Bd. 5 (2008) S. 23-50.

34) C. Sprengel, Ueber Pflanzenhumus, Humussäure und humussaure Salze, Arch. ges.

Naturlehre. 8 (1826) S. 145-220.

35) C. Sprengel, Von den Substanzen der Ackerkrume und des Untergrundes, insbesondere

wie solche durch die chemische Analyse entdeckt und von einander geschieden werden

können; in welchen Fällen sie dem Pflanzenwachsthume förderlich oder hinderlich sind

und welche Zersetzung sie im Boden erleiden, J. techn. ökonom. Chemie, 2 (1828)

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S. 423-74; 3, S. 42-99, 313-52, 397-421.

36) C. Sprengel, Chemie für Landwirthe, Forstmänner und Cameralisten, 1. Teil (Anorg.

Chemie), Göttingen 1831; 2. Teil (Organ. Chemie), ebd. 1832; hier speziell Teil 1, S.

306.

37) Die Annahme einfacher Säure-Base-Wechselwirkungen zwischen Huminsäuren und den

basischen Bodenbestandteilen musste relativiert werden, als mit der Erkenntnis der

kolloidalen Natur der Huminsäuren 1888 (Anm. 75) eine generelle strenge Stöchiometrie

dieser Wechselwirkungen in Frage gestellt wurde.

Entsprechend ihrer Entstehung aus Cellulose, Lignin (neben anderen Polysacchariden)

und Eiweiß enthaltendem Pflanzenmaterial stellen die Huminsäuren ein komplexes

Gemisch („Heteropolykondensate“ mit MG von 2000 bis 500 000) dar. Die Fulvosäuren

(Fulminsäuren) sind die stärksten Säuren des Huminsäurekomplexes. Die Basen und

Metallionen werden durch Carboxyl- und Hydroxylgruppen gebunden.

(Waksman, Anm. 49; RÖMPP Chemielexikon, 9. Aufl., Bd. 3 Stuttgart 1990,

S. 1866-67).

38) Sprengel, Anm. 36., Bd. 1, S. 307-308.

39) ebd. S. 309.

40) C. Sprengel, Die Lehre von den Urbarmachungen und Grundverbesserungen, Leipzig

1838, S. 195-199.

41) C. Sprengel, Die Lehre vom Dünger, Leipzig 1939.

42) l. c. Pötsch S. 312; Browne, S. 252-62.

43) J. Mulder, Versuch einer allgemeinen physiologischen Chemie, Braunschweig

1844-51.

44) ebd. S. 137.

45) l. c. Pötsch, S. 45; Poggendorf Bd. 1, S. 172-75. Als ein „Klassiker der Chemie“

bestimmte Berzelius durch seinen Einfluß über fünf Jahrzehnte die Entwicklung der

Chemie in Europa (zitiert nach Pötsch). In seinen „Jahresberichte[n] über den Fortschritt

der physischen Wissenschaften“ und seinem mehrbändigen, in mehreren Auflagen

erschienen, von Wöhler ins Deutsche übersetzten „Lehrbuch der Chemie“ behandelte

er noch das Gesamtgebiet der Chemie mit ihren Grenzgebieten wie der „Tier-“- und

„Pflanzenchemie“. Darin vertrat er auch (bis 1839) die Humustheorie der

Pflanzenernährung. .

46) J. Mulder, Anm. 43, S. 154-76, 715

47) ebd. S. 159.

48) J. Mulder, Anm.43, S. 715-16.

49) S. M. Waksman, Humus – Origin, Chemical Composition, and Importance in Nature,

London 1936.

50) S. M. Waksman, Liebig – The Humus Theorie and the Role of Humus in Plant Nutrition,

In: Liebig and after Liebig. A. Century of Progress in Agricultural Chemistry, Publ. of

the Amer. Assoc. for the Advancement of Science No 16 (1942) S. 56-63.

51) S. L. Dana, A Muck Manual for Farmers, 2nd

ed. Lowel, Mass., 1843.

52) J. Volhard, Justus von Liebig, 2 Bd., Leipzig 1909; W. J. Brock, Justus von Liebig -

Eine Biographie des großen Wissenschaftlers und Europäers (aus dem Englischen von

G. E. Siebeneicher),Braunschweig 1999. Zur Zitierung von Liebigs Namen: Liebig

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wurde 1845 in den Freiherrenstand erhoben; dementsprechend werden seine Arbeiten

(hier die 9. Auflage seiner „Agrikulturchemie“) unter J. v. Liebig, frühere Arbeiten unter

J. Liebig zitiert.

53) J. Liebig, Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie,

Braunschweig 1840.

54) J. Liebig, Anm. 53, 4. Aufl., 1842, S. 7-8.

55) ebd. S. 8.

56) A. F. Wiegmann u. L. Polstorff, Ueber die anorganischen Bestandtheile der Pflanzen,

Braunschweig 1842,

57) Jean Baptiste Boussingault (1802-87) gewann als Chemiker und praktizierender Landwirt

auf seinem Gut in Bechelbrunn (Elsaß) Erkenntnisse über Pflanzenernährung und

Düngung, die die Entwicklung der Agrikulturchemie wesentlich mitbestimmt haben.

Seine Lehre über den Stickstoffgehalt als Maß für die Qualität eines Düngemittels wurde

von Liebig scharf kritisiert.

58) J. B. Boussingault, Économie rurale considérée dans ses rapports avec la chimie, la

physique et la météorology, Paris 1843-44; deutsch: Die Landwirtschaft in ihren

Beziehungen zu Chemie, Physik und Meteorologie, Halle 1844-56.

59) J. v. Liebig, Anm. 52, 9.Auflage (postum, Hrsg. Ph. Zöller), (seit der 1843 erschienenen

5. Auflage unter dem Titel „Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und

Physiologie“), Braunschweig 1876, Kap. „Der Ursprung und die Assimilation des

Kohlenstoffs, S. 9.

60) J. v. Liebig, Anm. 59, „Ursprung und Verhalten des Humus“, S. 23, 26.

61) J. Liebig, Abfertigung der Herren Dr. G r u b e r in Wien und Dr. C. S r e n g e l, in

Beziehung auf ihre Kritiken meines Werkes: „die organische Chemie“, Ann. Chemie u.

Pharmacie, 38 (1841), S. 217-56.

62) J. Liebig, Anm. 52, 5.Aufl. 1843, S. 257, 260.

63) Th. de Saussure, Ueber die Ernährung der Pflanzen, Ann. Chemie u. Pharmacie,

42 (1842), S. 275-91: J. Liebig, Bemerkungen zu vorstehenden Versuchen,

ebd. S. 291-97.

64) J. v. Liebig, Anm. 59. Kap. „Der Ursprung und die Assimilation des Stickstoffs“, S. 51.

65) S. W. Johnson arbeitete 1852 in Liebigs Privatlabor in München: Von 1856 bis 1896 war

er Professor für Agrikulturchemie an der Yale University; als Nachfolger von Dana war

er von 1877 bis 1900 Direktor der Connecticut Experimental Station.

66) S. W. Johnson, Wie die Feldfrüchte sich nähren (deutsche Übers. von „How Crops

Feed“, von Hermann von Liebig), Braunschweig 1872, S. 261-62.

67) ebd. S. 268.

68) J. Sachs, Bericht über die physiologische Tätigkeit in der Versuchsstation in Tharandt.

IV. Vegetationsversuche mit Ausschluß des Bodens über die Nährstoffe und sonstigen

Ernährungsbedingungen von Mais, Bohnen und anderen Pflanzen, Landw. Vers. Stat.

2 (1860) S. 219-268 ; W. Knop, Über die Ernährung der Pflanzen durch wässrige

Lösungen unter Ausschluß des Bodens, ebd. 2 (1860) S. 65-98; Quantitative analytische

Arbeiten über den Ernährungsprozeß der Pflanzen, ebd. 3 (1861) S. 295-324; 7 (1865)

S. 93-107.

69) E. H. Acton, The assimilation of carbon by green plants from certain organic compounds,

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Proc. Roy. Soc. London, 47 (1889) S. 150-175; J. Laurent, Recherches sur la nutrition

carbonée des plant vertes à l’aide de de matières organiques, Rev. Gen. Bot. 16 (1904) S.

14-48, 96-119, 20-128, 155-166, 188-202, 231-241.

70) H. B. Hutchinson, N. H. J. Miller, The direct assimilation of inorganic and organic form

of nitrogen by higher plants, J. Agr. Sci. 3 (1909) S. 179-194.

71) I. Tanaka, Studien über die Ernährung der höheren Pflanzen mit den organischen

Verbindungen, Jap. J. Bot. 5 (1931) S..323-350.

72) C. Olsen, On the influence humus substances on the growth of green plants in water

culture, Compt. Rend. Lab. Carlsberg 18, (1930) S. 1-6.

73 D. Burk, H. Lineweaver, C. K. Horner, F. E. Allison, The relation between iron, humic

acid, and organic matter in the nutrition and stimulation of plat growth, Science 74

(1931) S. 522-524; Soil Science 33 (1932) S. 413-454, 455-488.

74) R. Chaminade, Recherches sur le role de la matière organic dans la fertilité des sols.

Influence de l’humus sur la nutrition minérale des végétaux, Ann. Inst. Rech. agronom.

(INRA) Sér. A, 3 (1952) S. 95-104.

75) J. M. van Bemmelen, Die Absorptionsverbindungen und das Absorptionsvermögen der

Ackererde, Landw. Vers. Stat. 35 (1888) S. 69-136.

76) J. Liebig, Anm. 55, 5. Aufl. 1843; 2. Teil, Kap. Der chemische Proceß der Gährung,

Fäulniß und Verwesung”, S. 339.

77) J. v. Liebig, Anm. 59, Kap. „Ursprung und Verhalten des Humus“, S. 21.

Für anregende Diskussionen zur Thematik dieses Artikels danke ich Herrn Dr. Hans-Peter

Blume, Universität Kiel, (K. D. S.).

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humus et humanitas:

Nachwirken Albrecht Daniel Thaers

Ulrich Köpke

1 Einleitung: Schwund der Organischen Bodensubstanz

Erhaltung und Mehrung der Organischen Bodensubstanz/des Bodenhumus gelten seit Thaers

Wirken für eine dauerfähige/nachhaltige Landbewirtschaftung mit hoher Bodenfruchtbarkeit

als essentiale, d.h. unverzichtbare Zielsetzungen. In neuerer Zeit wird der Mehrung des Koh-

lenstoffs im Boden auch eine Klimarelevanz zugesprochen, die im Vergleich zur ständigen

Zunahme des Kohlendioxid in der Atmosphäre allerdings kaum wirksam sein kann (Köpke,

2008). Vielmehr wird in den letzten drei Dekaden in verschiedenen wissenschaftlichen Publi-

kationen ein kontinuierlicher und zum Teil dramatischer Schwund organischer Bodensubstanz

in Ackerböden festgestellt (z. B. für England und Wales: Bellamy et al., 2005). Für Nordrhein-

Westfalen wurde noch in den 1980er Jahren ein Anstieg der Gehalte Organischer Bodensub-

stanz möglicherweise infolge allgemeiner Krumenvertiefung in den 1970er Jahren festgestellt;

ab 1990 dann eine landesweite Abnahme der Gehalte mit nicht absehbarem Ende dieses Trends

(Preger et al., 2006). Aus dem Boden als potentieller Senke für CO2 ist eine möglicherweise

klimarelevante CO2 – Quelle geworden. Die Ursachen sind unklar. Belastungen des Bodens

durch zunehmenden Fahrverkehr und höhere Temperaturen mögen eine Rolle spielen; weltweit

durchgeführte Meta-Analysen von Khan et al. (2007) und Mulvaney et al. (2009) weisen auf

mögliche Langfristwirkungen höherer mineralischer Stickstoffdüngung vor allem von Ammo-

niumdüngern hin.

Humus repräsentiert eine wesentliche Komponente nicht importierter, on-site gebildeter Bo-

denfruchtbarkeit. Die Mehrung der Humusmasse durch Krumenvertiefung und damit vorüber-

gehende Verringerung der Humusgehalte ist von Thaer schon beschrieben worden, freilich

ohne dass ihm Abbau- oder Aufbaukinetik von Organischer Bodensubstanz und damit die

natürlichen Begrenzungen für die Anreicherung von Humus bekannt waren.

2 Die feinere Bildung im Boden – Der Humusbegriff bei Thaer

Die vorgenannten Sachverhalte möglicher Klimarelevanz waren zu Lebzeiten Albrecht Daniel

Thaers unbekannt. Bodenhumus und Organische Bodensubstanz waren begrifflich anders ge-

fasst. Neben den organischen Düngern pflanzlicher und tierischer Herkunft, die er in ihren

Qualitäten deutlich unterschied, sah Albrecht Daniel Thaer im Humus – den er auch als Moder

bezeichnete – primär die Hauptkomponente der Bodenfruchtbarkeit und den wesentlichsten

Quellort der pflanzlichen Nährstoffaufnahme. Zudem war Thaer überzeugt, dass wiederholter

Anbau der Pflanzen und das Belassen ihrer Residuen die Bodenfruchtbarkeit mehren können

(wenig beachtet und gewürdigt auch Thaers sicherer Hinweis auf die Prozesse der Photosyn-

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these, die 1804 von Saussure beschrieben werden konnte: CO2 als Pflanzennährstoff aus der

Atmosphäre und Nutzung des Sauerstoffs aus dem Wasser zur Bildung der Assimilate) :

„Obwohl uns die Natur verschiedene unorganische Materien darbietet, wodurch die Vegetati-

on entweder mittels eines Reizes, den sie der Lebenstätigkeit geben, oder mittels ihrer zerset-

zenden Wirkung auf den Moder belebt und verstärkt werden kann, so ist es doch eigentlich nur

der thierisch-vegetabilische Dünger oder jener im gerechten Zustande der Zersetzbarkeit be-

findliche Moder (Humus), welcher den Pflanzen den wesentlichsten und notwendigen Teil ihrer

Nahrung gibt. Ich sage den w e s e n t l i c h s t e n ; denn es ist unbezweifelt,

daß sie auch durch die Zersetzung des Wassers und der gasförmig in der Atmosphäre enthalte-

nen Stoffe und deren Verbindung einen anderen Theil ihrer Nahrung erhalten, und dass durch

das Hinzutreten dieser Stoffe die Masse der vegetabilischen Materie auf der Oberfläche des

Erdbodens und auf jeder Ackerfläche sich vermehren würde, wenn man die darauf hervorge-

wachsenen Pflanzen nicht entfernte, sondern wieder auf ihrem Platze in Moder übergehen

ließe, wie die oft unerschöpflich s c h e i n e n d e Fruchtbarkeit des unkultivirten Bodens oder

der alten Wälder bezeugt“ (Grundsätze der rationellen Landwirthschaft, § 250)

„Selbst die Erden, welche die Pflanzen als integrierende Theile in geringem Verhältnisse zu

ihrer Masse enthalten, giebt ihnen der Humus in fein aufgelöster Gestalt…“ (ADT: Gegenwär-

tiger Standpunkt der Theorie über den Ertrag und die Erschöpfung der Ernten im Verhältnis zu

der Thätigkeit und dem Reichtum des Bodens, Abhandlungen der Akademie der Wissenschaf-

ten, Berlin, 1814).

Thaer bezeichnete als Humus bzw. Moder ganz offensichtlich nur jene dunklen Substanzen des

Bodens, die makroskopisch keinerlei Gewebestrukturen mehr erkennen lassen; eine Humusde-

finition wie sie später bspw. noch von Kononowa (1961) vertreten und auf die humifizierte

organische Substanz, die Huminstoffe, beschränkt wurde. Die Historie der Humusforschung

macht die intensiven Bemühungen, aber auch eine gewisse Ohnmacht deutlich, jene an der

Humusbildung beteiligten Prozesse zu verstehen, die letztlich die Huminstoffe synthetisieren.

Bei den Huminstoffen haben wir es nicht mit einer organischen Stoffklasse definierter Konsti-

tution zu tun. Es ist wohl diesem Nichtverstehen geschuldet, dass wir nunmehr in der moder-

nen Fachliteratur (z.B. Scheffer/ Schachtschabel 2010) Humus vereinfacht als die Gesamtheit

aller postmortalen organischen Substanz des Bodens bezeichnet finden; also alle in und auf

dem Mineralboden befindlichen abgestorbenen pflanzlichen, mikrobiellen und tierischen Stoffe

und deren organische Umwandlungsprodukte (Nach dieser Definition würde zum Humus dann

– gewiss nicht sachgerecht – auch Opas im Felde verlorener Spazierstock gehören…).

Die moderne Humusdefinition entspringt einer pragmatischen Vorgehensweise, die auch inso-

fern verständlich ist, als tote und belebte organische Substanz kaum analytisch getrennt werden

können. Heute wird der Gehalt organischen Kohlenstoffs im Boden analysiert und quantifiziert

und der ‚Humusgehalt‘ daraus vereinfacht durch Multiplikation mit dem Faktor 1,72 oder 2

bestimmt. Dabei wird freilich in Kauf genommen, dass damit auch synthetische organische

Stoffe, wie z. B. Pestizide oder andere C-haltige Xenobiotica als ‚Humus’ bestimmt werden.

Ob sich Thaer einer solchen Vorgehensweise bei der bekannt hohen Variabilität der C-Gehalte

der Organischen Bodensubstanz und deren Gleichsetzung mit Humus angeschlossen hätte,

darf bezweifelt werden.

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Der Humusbegriff (bei Thaer: ‚Moder‘. Man beachte die Wortähnlichkeit zu ‚Mutter‘; Moder-

boden gleich Mutterboden? Modder: z. B. Grabenaushub) ist bei Thaer gleichwohl relativ weit

gefasst. Thaer differenzierte bspw. nicht - wie heute üblich – weiter in Mull-Humus, Streu

etc…. Dieser Sachverhalt mag darin begründet sein, dass Moder-Humus auf den meist ver-

gleichsweise sauren Böden der Mark Brandenburg dominierte. Thaer trennte aber, wie noch

heute gültig, hinsichtlich der Humuswirkungen: Erstens, zwischen der Beeinflussung des ‚phy-

sischen Zustands des Bodens’, also die Beeinflussung des Bodengefüges (Grundsätze, 3.

Hauptstück, § 126) und zweitens, der Nährstoffwirkung, nämlich, dass ein Teil des Humus in

organischer Form der wichtigste Nährstoff für die Pflanzen sei. Wichtig auch der Hinweis, dass

der im Humus erhaltene Nährstoff nicht unmittelbar als ‚Gewächserde‘ aufgenommen werden

kann, sondern nur in ‚aufgelöster Gestalt’ (s.o.), als sog. ‚Extraktivstoff‘ (Thaer, Leitfaden, S.

113f.)

3 Humustheorie (Humuslehre?) vs. Mineralstofflehre (Mineralstofftheorie?)

Bekanntlich wurde die Humustheorie Thaers später heftig angegriffen. Häufig wird die Auffas-

sung vertreten, die Humustheorie sei durch die Mineralstofflehre widerlegt worden. Dieserhalb

sind einige Überlegungen vor dem Hintergrund unseres heutigen Kenntnisstandes nötig und

einige Korrekturen angebracht.

Humustheorie und Mineralstofftheorie wurden immer wieder als Gegensätze dargestellt, ein

Umstand, der gewiss den markanten Auftritten Justus von Liebigs geschuldet ist. Justus von

Liebig sprach dem Humus jeglichen Einfluss auf das Pflanzenleben ab; weder als Nährstofflie-

ferant noch in anderer Beziehung - er sah im Humus aber eine stetig fließende Kohlenstoff-

quelle. Die Bedeutung des Humus für die Bodenfruchtbarkeit schätzte Liebig gering ein. Den-

noch wurden mit der Humustheorie Thaers wichtige Grundlagen für die Entwicklung der Mi-

neralstofftheorie geschaffen (Klemm/Meyer 1968). Es war Thaer bekannt, dass im Humus

Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Phosphor und Schwefel vorhanden waren. Die

Schüler Thaers, insbesondere Carl von Wulffen, der in ersten Ansätzen die Reproduktion der

Organischen Bodensubstanz berechenbar machte, und Carl Sprengel bauten auf Thaers Vor-

stellungen von der Pflanzenernährung auf. Die mengenmäßige Bedeutung des Pflanzennähr-

stoffs CO2, der aus dem Abbau Organischer Bodensubstanz frei wird, hat Thaer – ebenso wie

Liebig – überschätzt. Auch hier muss Thaer vor dem Hintergrund des Wissenstandes der Goe-

thezeit – auch der von Goethe verwendeten naturwissenschaftlichen Methoden – verstanden

werden. (Goethes Gedicht zum 50. Doktorjubiläum Thaers – von C. F. Zelter vertont – kündet

ja von der hohen Wertschätzung, die Goethe gegenüber Thaer empfand und darf wohl auch als

Ausdruck der Begeisterung Goethes über Thaers wissenschaftliche Arbeiten vor dem Hinter-

grund seiner eigenen bewertet werden. Auch Thaer war mit seinen Erkenntnissen ein Kind

seiner Zeit).

Schon Klemm und Meyer (1968) erklären den Gegensatz zwischen Humus- und Mineral-

stofftheorie als ‚teilweise konstruiert’ und unterstreichen, dass „die Humustheorie eine wichti-

ge Vorstufe für die von Sprengel und Justus von Liebig entwickelte Minerallehre (war)“.

(Weshalb diese Autoren -theorie und -lehre in dieser Weise differenziert zuordnen, bleibt dem

Verfasser gleichwohl unverständlich.) Entsprechend resümieren Klemm und Meyer dann auch

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richtig „…der Versuch, die (bis dato vorliegenden) Theorien zur Pflanzenernährung zu syste-

matisieren und für die landwirtschaftliche Praxis auszunutzen, ungeachtet der naturwissen-

schaftlichen Fehler (von denen die meisten nur vermeintliche Fehler sind, Anm. d. Verf.), zählt

zu den bedeutendsten wissenschaftlichen Leistungen Thaers, weil dadurch die Notwendigkeit

einer geregelten Humuswirtschaft theoretisch begründet wurde“ (Klemm/Meyer, S. 115).

4 Albrecht Daniel Thaer und Justus von Liebig – unverstandene Brüder im Geiste?

Beide, Albrecht Daniel Thaer und Justus von Liebig, haben die zentrale Rolle des Stickstoffs

für Landwirtschaft und Umwelt nicht erkannt. Im sogenannten Extraktivstoff Thaers mag man

heute vielleicht die bspw. von Sladky (1959) nachgewiesenen, die Bewurzelung fördernden

Effekte von Humin- und Fulvosäuren sehen, oder aber schlicht die Wirkungen des aus der

organischen Substanz mineralisierten Stickstoffs. Eine zielgerichtete Zufuhr von minerali-

schem Stickstoff, wie sie heute den modernen Landbau des mainstream dominiert, hat auch

Liebig nicht propagiert. Bekanntlich war Liebig der Meinung, dass mineralischer Stickstoff-

Dünger nicht notwendig sei, da von ihm im Boden große Mengen Gesamtstickstoff analysiert

wurden. Mit der sogenannten Liebig-Düngung wurde lediglich die Zufuhr von Phosphor- und

Kaliumdüngern propagiert – ein Sachverhalt, der heute selbst im Organischen Landbau Akzep-

tanz findet.

Eine vom Verfasser immer wieder gerne gezeigte Illustration auf der Titelseite von ‚Der Che-

mische Ackersmann‘, gegründet 1855 von Adolph Stöckhardt, ebenfalls ein Schüler Albrecht

Daniel Thaers, lädt auch hier wieder zu genauerer Betrachtung ein. Dem Journal wurde der

Leitspruch “Praxis mit Wissenschaft“ vorangestellt. Böhm (1997) lobt die von Stöckhardt bis

1875 herausgegebenen 21 Bände, „die am eindrucksvollsten beweisen, wie er in allgemeinver-

ständlicher Sprache, mit viel Humor und tief beeindruckender Anschaulichkeit naturwissen-

schaftliche Erkenntnisse für die landwirtschaftliche Praxis aufbereitete“. Stöckhardt war stark

von Liebigs Arbeiten über den Einsatz mineralischer Düngemittel beeinflusst, wobei er sich

mit diesem heftige Wortgefechte über die Notwendigkeit des Einsatzes mineralischer Stick-

stoffdünger lieferte. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass sich an der von Stöckhardt gegrün-

deten Forschungs- und Ausbildungsstätte in Tharandt, in Sachsen erfolgreich auch Hermann

Hellriegel betätigte, der dann mit Hermann Wilfarth 1886 die symbiotische Stickstofffixierung

bei Leguminosen nachwies, nicht lange nachdem Stöckhardt 1883 in den Ruhestand versetzt

wurde. Wir wissen nicht, ob auch die in Abb. 1 gezeigten Buchillustrationen der Feder Stöck-

hardts entstammen.

Was ist dargestellt? Eine Szene, wie sie für Mitteleuropa in der Mitte des 19. Jahrhunderts

typisch ist. Auffällig ist die auch stimmungsmäßig deutliche Trennung zwischen der Szenerie

oberhalb und unterhalb der Ackerkrume.

Oben: Eine von Sonnenlicht durchflutete Landschaft. Ernteszenen mit Schnitter und Erntewa-

gen, lagernde, wiederkäuende Rinder, grasende Schafe, im Pfluggespann verharrende Zugpfer-

de. Im Zentrum dieser ‚heilen Welt’ die Kirche und oben am Himmel mit durchbrechender

Sonne wird gelesen: ...‘AN GOTTES SEGEN IST ALLES GELEGEN ’. Rechts vorn ein städ-

tisch gekleideter behüteter Mann; kein Bauer. Er stopft sich – von einem Hunde beobachtet –

die Pfeife, gelehnt an zwei auf dem Boden liegende Säcke; darauf die Inschriften ‚Knochen-

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mehl‘, und ‚Guano‘. Für den Einsatz dieses damals neuen und auch von A l e x a n d e r v o n

H u m b o l d t propagierten organo-mineralischen Düngers hatte sich Stöckhardt in seinen

Wanderpredigten für Landwirte nachdrücklich eingesetzt. –

Abb. 1: Titelblatt-Illustration ‚Der Chemische Ackersmann’ (1855).

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Unterhalb der Humusschicht mit der Inschrift ‚Praxis mit Wissenschaft’, sehen wir eine gänz-

lich andere Welt. Statt Sonnenlicht: künstliches Licht; geschäftige Gnome, köchelnde Agenzi-

en. Die zerlegenden, analysierenden Aktivitäten finden in einer drei-schiffigen dunklen ‚Wis-

senschaftskathedrale‘ statt; gefunden werden Schädel und Knochen, Symbole des Toten.

Zweifellos will der Illustrator eine Wissenschaft charakterisieren, die sich vom Leben entfernt,

die ihm fremd ist und eher Unwohlsein stiftet. In der Illustration ist nichts weniger dargestellt,

als die Spannung zwischen der Aufklärung - mit Reduktion der Weltzusammenhänge auf die

Stofflichkeit im naturwissenschaftlichem Weltverständnis (in der dunklen Wissenschaftska-

thedrale ersetzt der Labortisch den Altar, die Laborwaage das Kreuz) - und der aufkommenden

Romantik als Reaktion auf das Monopol der vernunftgerichteten Philosophie der Aufklärung

und die Strenge des durch die Antike inspirierten Klassizismus.

Offensichtlich war nach Thaers wissenschaftlichen Arbeiten doch eine gewisse Empfindung

vorhanden, dass durch die rationelle Landwirtschaft "die Seele der Landwirtschaft" vielleicht

verloren gehen könne. So greift denn auch Dr. William Löbe (1865) in seinem "Handbuch der

r a t i o n e l l e n (sic!) Landwirthschaft für praktische Landwirthe und Ökonomieverwalter"

weiter aus: Im Unterkapitel "Bedeutung der Landwirtschaft" findet sich ein Zitat von

W i l h e l m v o n H u m b o l d t mit dem der Verfasser auf den Einfluss des Ackerbaues

auf die F o r t b i l d u n g , und die V e r e d e l u n g der M e n s c h h e i t hinweist. Es ist, als

würde hier nur der obere durchsonnte Teil der o.g. Illustration angesprochen:

„Es zeichnet sich in der Geschichte der Charakter aus, welchen der ungestörte Landbau in

einem Volk bildet. Die Arbeit, welche es dem Boden widmet, und die Ernte, womit derselbe es

wieder belohnt, fesseln es süß an seine Äcker und an seinen Herd; Theilnahme der segenvollen

Mühe und gemeinschaftlicher Genuss des Gewonnenen schlingen ein liebevolles Band um jede

Familie, von dem selbst der mitarbeitende Stier nicht ganz ausgeschlossen wird. Die Frucht,

welche gesäet und geerntet werden muss, aber alljährlich wiederkehrt und nur selten die Hoff-

nung täuscht, macht geduldig, vertrauend und sparsam; das unmittelbare Empfangen aus der

Hand der Natur, dass immer sich aufdringende Gefühl, dass, wenngleich die Hand des Men-

schen den Samen ausstreuen muss, doch nicht sie es ist, von welcher Wachstum und Gedeihen

kommt, die ewige Abhängigkeit von günstiger und ungünstiger Witterung flößt den Gemüthern

bald bange, bald frohe Ahnungen, wechselweise Furcht und Hoffnung ein und führt zu Gebet

und Dank; das lebendige Bild der einfachsten Erhabenheit, der ungestörten Ordnung und der

mildesten Blüte bilden die Seele einfach, sanft und der Sitte und dem Gesetz froh unterworfen.

Immer gewohnt, hervorzubringen, nie zu zerstören, ist der Ackerbau friedlich und von Beleidi-

gung und Rache fern, aber erfüllt von dem Gefühl der Ungerechtigkeiten eines ungereizten

Angriffs und gegen jeden Störer seines Friedens mit unerschrockenem Muthe beseelt…."

(S.328)

Im folgenden Kapitel des gleichen Werkes, betitelt mit „Annehmlichkeiten der Landwirth-

schaft", weist Löbe auf die Ä s t h e t i k landwirtschaftlichen Tuns hin:

"Noch ungleich mehr Annehmlichkeiten wird aber die Landwirtschaft dann bereiten, wenn der

Landwirth Sinn und Geschmack für Verschönerungen besitzt, wenn er das Nützliche mit dem

Schönen, das Angenehme mit dem Zweckmäßigen überall in Verbindung zu bringen weiß. Der

Landwirth soll nicht bloß darauf sinnen, auf welchem Wege er dem Grund und Boden die

höchste Rente abzugewinnen vermag, sondern er soll auch Rücksicht auf die Befriedigung des

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ä s t h e t i s c h e n Gefühls nehmen. Der Quell aber, aus welchem die Kunst den ästhetischen

Geschmack schöpft, ist die schöne, die erhabene Natur. Der Anblick der unendlichen Pracht

und Regelmäßigkeit, womit die Natur ihren unübersehbaren Schmuck in zahlloser Mannigfal-

tigkeit schafft, muss insbesondere in dem Landwirte das Gefühl für das Schöne wecken und

nähren; denn in der schönen Natur sucht alle Kunst ihre Muster, und nach diesen Mustern

schafft die Phantasie ihre Ideale.“(S. 333)

Weiter führt Löbe aus:

„Wie könnte sich wohl der Landwirth ausschließen von dem Einfluss, den die Natur auf das

ästhetische Gefühl des Menschen übt, der Landwirth, welcher täglich mit der Natur verkehrt?

Sind doch - wie Wanieck treffend sagt - alle Produkte in seine Hände gelegt: der Schmuck der

Wiesen, der Forst mit seinen Bäumen, der Silberglanz der Teiche, das Meer der goldenen Saa-

ten, das weite Reich der nutzbarsten Thiere. Der Landwirth soll nun alles dieses nicht bloß

erhalten, sondern er soll es auch verschönern, veredeln, damit die Landwirtschaft für ihn noch

annehmlicher werde. Da nun fast alles Land in der Hand des Landwirths ist, so hat er eine

große Macht, jedoch auch eine große Pflicht. Baut auch der Landwirt das Brot für die ganze

Menschheit, liefert er auch Stoffe zur Bekleidung und erhält so den physischen Theil des Le-

bens, so gibt es aber auch ein Reich der Gefühle. Im fortschreitenden Streben nach Vollkom-

menheit soll der Landwirth nicht bloß den Verstand ausbilden, dem das Zweckmäßige, das

Notwendige entspricht, sondern er soll auch sein Herz erweitern, seine Gefühle beleben, er soll

deshalb auch nach Befriedigung des Schönen streben; denn sein Bestreben soll nicht bloß

dahin gehen, sein Dasein zu fristen, sondern er soll sich seines Daseins auch auf eine ange-

nehme Weise bewusst werden." (S. 333-334)

Kein Zweifel: Löbe will in Thaers Nachfolge etwas nachreichen, das er bei diesem in der ratio-

nellen Landwirtschaft zu vermissen glaubt. Die ‚Kühle‘, die für manchen von Thaer und seinen

aufklärerischen rationalen Zeitgenossen ausgehen mochte, wurde wohl in mannigfaltiger Weise

kompensiert und es findet sich manche Polarität:

Schinkelplatz, Berlin: Peter Wilhelm Beuth, der aus Preussens Agrarstaat den modernen In-

dustriestaat formen sollte, hat an seiner Seite keinen Fortschritt und Technik repräsentierenden

Pflug, wie ihn am selben Platze Thaers Statue auf dessen linker Seite zeigt. An Beuths rechter

Seite findet sich ein abgesägter Baumdipol; Beispiel für die Natur, die dem zivilisatorischen

Fortschritt weichen muss. Wer würde heute wagen, Fortschritt so darzustellen?

Auf dem Sockel des Beuth-Denkmals dann aber das Goethe-Zitat:

‚Denn die Natur ist aller Meister Meister,

sie zeigt uns erst den Geist der Geister‘

Interessant ist in diesem Gesamtzusammenhang das Verhältnis der Humboldt-Brüder zu Alb-

recht Daniel Thaer und Justus von Liebig. Wilhelm, der Kulturwissenschaftler, beruft Thaer

1810 auf eine Professur an die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Alexander wird auf

Liebigs eindrucksvolles Wirken als Chemiker an der Pariser Sorbonne aufmerksam; später

widmet Liebig sein Hauptwerk ‚Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiolo-

gie‘ dem Naturforscher Alexander von Humboldt.

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5 Einschub: Rezeption Albrecht Daniel Thaers durch die Kommunität des

Ökologischen Landbaus

Aus den verschiedensten landwirtschaftlichen Kreisen und Gesellschaften wird gern auf Thaer

verwiesen, ein Sachverhalt, der für den Begründer des wissenschaftlichen Landbaus angemes-

sen und verständlich ist; erlaubt doch das breite Spektrum der von ihm bearbeiteten landwirt-

schaftlichen Themen vielerlei Bezug.

Weshalb Thaer aber in der Kommunität des Ökologischen Landbaus eine vergleichsweise

geringe Anerkennung hat, ist angesichts seiner vielfältigen Arbeiten, die ja dem Ökologischen

Landbau heute immer noch zugrunde liegen, schwer verständlich. So ist die standortspezifische

Fruchtfolgegestaltung ein Kernstück der Betriebsorganisation im Ökologischen Landbau –

schon wegen ihrer vielfältigen Effekte betreffend Nährstoffmanagement, Unkrautregulation

und Kontrolle von Krankheiten und Schaderregern (Köpke, 2011). Verglichen mit dem

mainstream spielt auch eine angepasste Bodenbearbeitung mit dem treffgenau ausgewählten

Gerät eine deutlich größere Rolle im Ökologischen Landbau. Ebenso ist die Bilanzierung der

Organischen Bodensubstanz/ des Humus für diesen unverzichtbar, da Humuserhaltung und

Humusmehrung in direkter Korrelation zur bodenbürtigen Stickstoff- (Nährstoff-) Freisetzung

stehen. Klingt hier die Idylle der Pioniere des Ökologischen Landbaus nach, die die Vielgestal-

tigkeit des landwirtschaftlichen Betriebsorganismus vielleicht primär als Kulturmoment sahen

und denen die Sicht auf die Landwirtschaft als ‚ein Gewerbe zum Zwecke des Geld Verdie-

nens’ zu profan erschien? Wird Albrecht Daniel Thaer als ein Liberaler angesehen, der ver-

meintlich opportunistisch handelte und Werte und Ziele des Ökologischen Landbaus (von dem

er ja zu seiner Zeit nicht wusste) nicht erfüllt?

Da mag auch Thaers Religionsferne (s.u.) und seine klare Ausrichtung auf die Aufklärung eine

Rolle spielen. Es ist gewiss der Mühe wert, dieser Frage mangelnder Akzeptanz von Thaer in

Kreisen des Ökologischen Landbaus forschend nachzugehen, zumal Justus von Liebig in der

Literatur des Ökologischen Landbaus sogar als einer seiner Väter vermittelt wurde (von Haller,

1986, Stiftung Ökologischer Landbau).

Thaer kann als bürgerlicher Aufklärer mit humanistischem Bildungsideal angesehen werden

(Klemm/ Meyer, 1968, S. 74). Dies, obwohl er – modern gesonnen – die Altsprachen nicht

erlernt hatte, stattdessen fließend Englisch und Französisch sprach, ein Sachverhalt, der ihm

bekanntlich für seine ersten Schriften durch die Übersetzungen englischen Schrifttums Einblick

in die dort praktizierte Landwirtschaft ermöglichte. Er war bemüht, die Ausbildung der Inhaber

bäuerlicher Betriebe zu verbessern (Klemm/ Meyer 1968, S. 89). Sein reformerischer Geist war

bestrebt, atavistisches Bauerntum und mangelnde Bildung zu überwinden. Der Analphabetis-

mus der Bauernjugend verhinderte ja den Besuch der Lehranstalten in Celle und Möglin – und

die verglichen mit heute vglw. hohen Studiengebühren von über 500 Reichstaler, die nur wirt-

schaftlich Privilegierten den Zugang erlaubten, wurden von Thaer als Folge der sozialen Ver-

hältnisse gewertet und waren nicht primär von ihm gewünscht (Klemm und Meyer, 1968).

Oder widerspiegelt sich in der Distanz von Vertretern des Ökologischen Landbaus zu Thaer die

auch heute noch latent verbreitete Skepsis gegenüber einer nach wissenschaftlichen Grundsät-

zen vernunftgeleiteten, wohlorganisierten und rationellen Landwirtschaft? – obwohl Thaer

dieses Gewerbe handwerklich und künstlerisch geprägt verstand und nicht nur wissenschaftlich

rationell betrieb.

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Oder ist es gar das Hadern um Worte: ‚Rational‘ oder ‚rationell‘?

Weshalb Albrecht Thaer sein Hauptwerk ‚Grundsätze der rationellen Landwirthschaft’ betitel-

te, könnte aus heutiger Sicht einige Überlegungen wert sein. Geprüft werden muss dabei, ob

die Worte rational und rationell zu Thaers Zeiten synonym verstanden wurden. Den Lebens-

maximen Thaers entsprechend, wäre der Titel Grundsätze der r a t i o n a l e n Landwirtschaft

eigentlich angemessener gewesen. Aus heutiger Sicht würde die Verwendung dieses Wortes

auch mit dem der Aufklärung verbundenen Thaer verständlicher: Die Durchführung einer

Landwirtschaft, die auf der Vernunft und der Erkenntnis, auf Basis wissenschaftlicher Er-

kenntnis basiert.

Rationalistisches Denken stellt in jedem Falle die Vernunft als Ausgangspunkt allen Denkens

und Handelns in den Mittelpunkt. Demgegenüber beschreibt das Wort r a t i o n e l l nach heu-

tiger Interpretation eine gemäß der angestrebten Ziele z w e c k m ä ß i g e / s p a r s a m e

Landwirtschaftsweise. Ist es dieser Umstand, der zu einer so unterschiedlichen Rezeption der

Thaerschen Lehren in der Ökologischen Kommunität geführt hat und/oder ist es der profane

vermeintlich dominierende Aspekt des Haushaltens und Zuteilens, des Rationierens im Sinne

der Thaerschen Buchhaltung und Mikroökonomie?

6 Die Erziehung des Menschengeschlechts – Albrecht Daniel Thaer als Ideengeber?

Wie eingangs ausgeführt, sind die Prozesse des Entstehens von Humus und seine lange Ver-

weildauer im Boden auch nach 200 Jahren Forschung immer noch weitgehend ungeklärt; Hu-

mus umgibt damit etwas Mystisches. Ähnliches gilt hinsichtlich einer vermeidlichen Autoren-

schaft Thaers – zumindest an Teilen der von Gotthold Ephraim Lessing herausgegebenen

Schrift ‚Die Erziehung des Menschengeschlechts’. So lesen wir noch im Einladungsschreiben

der Fördergesellschaft Albrecht Daniel Thaer zur Mitgliederversammlung 2011 in Braun-

schweig-Völkenrode:

‚Auf der Rückreise von einem längeren Aufenthalt in Berlin nach Celle besuchte Thaer 1776

für zwei Tage Gotthold Ephraim Lessing in Wolfenbüttel, der dort seit 1770 Bibliothekar war.

Thaer berichtete von intensiven Gesprächen. Lessing gab später die Texte „Fragment eines

unbekannten Verfassers“ und „Die Erziehung des Menschengeschlechtes“ heraus. Wilhelm

Körte, Thaers erster Biograf, vermutet, dass diese Texte viele Gedanken Thaers enthalten.

Nach aktueller Auskunft von Helmut Bertold von der Lessing-Akademie e.V. in Wolfenbüttel

ließ sich diese Vermutung bisher nicht erhärten‘.

Zahlreiche kryptische Äußerungen Thaers, sowohl in seinem privaten Brief an die von ihm

umworbene, religiös gesonnene Philippine von Willich, als auch Lessings Brief an H.S.

Reimarus vom 16. April 1778, in dem dieser darauf hinweist, die Schrift sei von einem „guten

Freund“, der häufig „allerlei Hypothesen und S y s t e m e … mache“, um später „das Ver-

gnügen zu haben, sie wieder einzureißen“, haben die These genährt, dass Thaer zumindest

Mitautor der ‚Erziehung‘ sei.

Thaers privater an seine angehende Verlobte gerichtete Bekenntnisbrief vom Oktober 1785

(erstmals veröffentlicht bei W. Körte, 1839: Albrecht Thaer. Sein Leben und Wirken als Arzt

und Landwirth, Leipzig) lässt diesen Sachverhalt bei vorgefasster Meinung ebenfalls anmuten.

Simons (1929) gibt diesen Brief vollständig wieder.

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Nach Auswertung von zwei seit etwa 60 Jahren zugänglichen, aber immer wieder übersehenen

Quellen (Wagner, 1943; Schneider, 1948) ergibt sich dem Verfasser inzwischen ein sicheres

Urteil, das umso mehr wiegt, als er sich selbst zunächst die Hypothese „Thaer, ursprünglicher

Verfasser der Hauptlinien der ‚Erziehung‘ “ formulierte. Dies vor allem deshalb, weil Thaer

theologiekritisch und der Aufklärung verbunden, der ja im 17. und 18. Jahrhundert die Beru-

fung auf die Vernunft als die quasi universelle Urteilsinstanz und die Hinwendung zu den Na-

turwissenschaften immanent und damit eine Deckung von Thaers hypothetisierter Lebensma-

xime mit den Inhalten der offiziell Lessing zugeschriebenen kritischen Schrift gegeben war.

Die entscheidenden Sachverhalte können auf Basis dieser Quellen wie folgt zusammengestellt

werden:

• 1777 erscheinen die ersten 53 Paragraphen der “Erziehung ”

• 16. April 1778 Brief Lessings an H.S. Reimerus: …die Schrift sei von einem “guten

Freund”, der sich gern …“allerlei Hypothesen und S y s t e m e ” mache, …”um das Ver-

gnügen zu haben, sie wieder einzureissen”

• Oktober 1785 - vier Jahre nach dem Tode Lessings - A. D. Thaers “Bekenntnisbrief” an

seine angehende, sehr religiöse Verlobte Philippine v. Willich; erstmals veröffentlicht in W.

Körte (1839)

• Nach diesem Brief hatte Thaer anfangs der siebziger Jahre (1773 als Student in Göttingen)

ein S y s t e m des Christentums niedergeschrieben, dass später zum Teil von einem “gro-

ßen Mann” als Fragment eines unbekannten Verfassers herausgegeben worden sei. Weiter-

hin hier die Erwähnung des – anderweitig nicht bezeugten (!) – Wolfenbüttelers Besuchs

(angeblich zwei Tage) bei Lessing mit seinem Freunde Leisewitz auf der Rückreise von

Berlin

• Leisewitz reiste am 2. oder 3. August 1776 von Berlin ab. Thaer, sein Reisebegleiter,

müsste dementsprechend das Manuskript im August oder September 1776 an Lessing

übergeben haben.

• Lessing war aber im gesamten August 1776 nachweislich nicht in Wolfenbüttel anwesend,

sondern weilte in Hamburg. Somit ist es extrem zweifelhaft, ob Leisewitz einen mitgeführ-

ten Brief des Bruders Karl Lessing – in Berlin erhalten – mit oder ohne Thaerss Begleitung

direkt an G.E. Lessing übergeben konnte.

• 1780 ist ein Besuch von ADT zusammen mit Leisewitz in Wolfenbüttel bei Lessing ein-

deutig belegt (Tagebucheintrag Leisewitz)

• Ein weiterer Beleg: Lessings Brief vom 16. Juli 1780 an Eschenburg, mit dem er anfragt,

ob er am nächsten Tag den Besuch von Eschenburg, Leisewitz und dem “H. Doctor, den

ich noch nicht zu nennen weiß” bei sich zum Essen erwarten dürfe.

• Dieser “Herr Doctor” wird nach Schneider in der Lachmann-Munckerschen- Ausgabe der

Lessingbriefe in einer Anmerkung nach dem Tagebuch von Leisewitz eindeutig als ADT

identifiziert.

• Damit ergibt sich die indirekte Beweisführung Wagners, dass Thaer nicht der Mann sein

konnte, mit dem Lessing gemeinschaftlich seine Schrift “Die Erziehung des Menschenge-

schlechts” drei Monate vorher, zur Ostermesse 1780, veröffentlicht hatte.

• Die Daten der Reise Thaers von Celle nach Braunschweig waren nach Leisewitz’ Tagebuch

die folgenden: Mittwoch, den 12. Juli [1780] Nachmittags: Ankunft in Braunschweig;

Donnerstag, den 13.: Spaziergänge, Unterhaltungen, Besuche bei Freunden; Freitag, 14. 7.:

unter anderem kurze, zufällige Begegnung mit Lessing auf der Straße; Sonnabend den

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15.: Partie nach dem Weghause; Montag, 17. 7.: Fahrt mit der Post nach Wolfenbüttel

zu Lessing; Dienstag den 18. 7.:“früh um 7:00 Uhr” Rückreise nach Celle.

• Wenn Lessing Leisewitz mit seinem ihn besuchenden Freund Dr. Thaer aus Celle der ihm

kurz vorgestellt wurde - ohne dass er den Namen verstand - am 14. Juli zufällig auf der

Straße traf, dann muss dies als das erste Zusammentreffen der beiden Männer Lessing

und Thaer gewertet werden und es ist auszuschließen, dass sie sich im Spätsommer oder

Herbst 1776 schon einmal kennen gelernt oder eine sonstige persönliche Beziehung damals

angebahnt hätten. Bewiesen ist vielmehr das Thaer und Lessing sich 1780 tatsächlich zum

ersten Mal trafen.

• Unverständlich und nicht einzuordnen die Worte von Thaer über den Besuch am 17. Juli

1780, wenn er ausführt, dass er bei Lessing „Dinge gehört und gesehen [!] habe, die bis da-

hin noch in keines Menschen Auge und Ohr gekommen waren”...und die er „nur halb ver-

stand”.

• Gemäß Tagebuch Leisewitz kam man am 17. Juli um 10:00 Uhr mit der Postkutsche in

Wolfenbüttel an, ging sofort zu Lessings Wohnung, wo man auch den späteren Amtsnach-

folger von Lessing, Ernst Theodor Langer, antraf. Leisewitz verließ die Runde am Nach-

mittag, um in Wolfenbüttel Verwandte zu besuchen die er aber nicht antraf. Für einen Dia-

log zwischen Thaer und Lessing über jene oben aufgezeigten mysteriösen Zusammenhänge

wäre dementsprechend nur Zeit zwischen etwa 15:00 und 17:00 Uhr gewesen und man

muss annehmen, dass Langer dann auch noch zugegen war.

• Dass das von Thaer wohl in Göttingen verfasste „Gebäude der Tugend” bzw. sein „neues

S y s t e m” von seinem Freunde Johann Christoph Unzer einem gewissen „M.“ gegeben

wurde, der es seinen eigenen „theologischen Trompetenstößen” einfügte und der vermutlich

richtig mit dem Freigeist Jakob Mauvillon identifiziert wurde (“Das einzig wahre S y s t e

m (sic!) der christlichen Religion“, 1787 bei Unger in Berlin anonym erschienen) geht aus

einem Brief von Unzer an Thaer vom 5. November 1777 abgesandt aus Altona hervor: „es

ist nun über drei Jahre, dass ich keine Zeile darüber [Antwort auf eine Frage] von Dir er-

halten habe. Ist in der Medizin was wichtiges zum Vorschein gekommen, so melde es mir.

Oder bist Du wieder ein Stockwerk herunter geklettert? Das wird bei mir keinen guten Ein-

gang finden. Ernsthaft mein Getreuer, es hat mich erschrocken, wie Du über Dein Gebäude

der Tugend loslegst. Wie froh warest Du endlich als Dein Bruder es Dir vortrug und M. es

unter seine theologischen Trompetenstöße aufnahm. Du konntest nicht klein genug davon

denken. Du hast Witz, du hast Kenntnisse, du hast Herz. Soll das alles in Zelle zum Teufel

gehen? Willst du mächtiger Sünder ein kindischer Bußprediger sein? Ich glaub‘s nicht.

Oder haben Dir die Berliner Pfaffen zugesetzt, dass sich das kalte Blut einer [unlesbar] zu

dem seichten Gewässer des Moralgeschwätzes abgewallt hat? Ich glaub auch das nicht.“

Somit ergibt die detaillierte Recherche, dass Albrecht Daniel Thaer der ‚Erziehung des Men-

schengeschlechts’ keinen direkten substantiellen Beitrag geliefert hat. Dieserhalb hat er – auch

wenn das viele Anhänger sich wünschten – zu humanitas, zu höherer und feinerer Bildung

nicht beigetragen. Hat er Anstand vermissen lassen? Hier muss man mit Schneider (1948) einig

sein. Thaers Schweigen und Offenlassen seiner vermuteten Rolle in Beziehung auf die ‚Erzie-

hung’ ist schlicht seinem Handeln gemäß humanitus; also ‚nach menschlicher Art‘ und – damit

wohl entschuldbar – seinem Werben um die adelige religiöse Philippine geschuldet, der er sich

als theologiekritischer Aufklärer aus niederer gesellschaftlicher Schicht näherte, mit einem

Hinweis auf die von ihm erstellte Schrift zu seinem religiösen System, das er schon in Göttin-

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ger Studentenzeiten entworfen hatte. Selbst wenn sein Verhalten, dass er die Frage, ob er zu-

mindest in großen Teilen der Autor der ‚Erziehung’ – und Lessing damit ein früher Plagiator

war – offen ließ, ist ja keine Falschaussage oder Falschdarstellung sondern allenfalls menschli-

che Schwäche, resultierend aus einer menschlichen Zuneigung, die auf diesem Wege leichter

zu gewinnen war (da erinnern wir die Gretchenfrage: „Nun sag, wie hast du's mit der Religi-

on?“ Nach Fausts verschraubter Antwort, dieselbe: „Ungefähr sagt das der Pfarrer auch. Nur

mit ein bißchen andern Worten.“).

7 Brüder im Geiste: Lessing und Thaer

Auch in ihren didaktisch erzieherischen Ansätzen gibt es Ähnlichkeiten bei Lessing und Thaer,

bspw. dass in den religionsphilosophischen Schriften Lessings stets ein Dialogpartner/ ein

Gegenüber gedacht werden muss, ein Sachverhalt, der im didaktischen Konzept bei Thaer

schon in der Ausbildungsstätte zu Celle verfolgt wurde, wo weniger ‚Frontalunterricht’ statt-

dessen im ‚Dialektischen Lehrgespräch‘ Dialog mit den Auszubildenden dominierte.

Modern ausgedrückt finden wir hier schon Elemente dialogisch-reflexiver Wissenschafts-

Vermittlung (s. dazu Köpke, 2007).

Abb. 2: Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781);

Anton Graff (1736 – 1813) Herzog August Bibiothek Wolfenbüttel.

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8 Resümee

Humus ist auch heute noch eine - modern ausgedrückt - ‚fuzzy structure’ im Boden, die

gleichwohl bislang nicht direkt steuerbar/ beeinflussbar ist, da die Prozesse seiner Bildung und

ihrer Beeinflussung immer noch unverstanden sind. Humus ist gleichwohl entscheidendes

Element sogenannter ‚Systemstabilität’ oder – mit einem neueren aber ebenfalls schon über-

strapazierten Begriff ausgedrückt: ‚Resilienz’ – verantwortlich. Rationelle Landwirtschaft –

dies ist paradox – beim Humus kommt sie an ihre Grenzen!

Beim Humus ist es wie mit Bildung und Erziehung. Organische Primärsubstanz wird dem

Boden zugeführt, in ihm mit Evolution von CO2 abgebaut und mit weitgehend unverstandenen

Prozessen langfristig stabil im Boden deponiert. Erziehung und Bildung werden mit gleichem

Hoffnungsprinzip eingesetzt: dass da etwas strukturiert angelegt - dauerfähig - Quellort fürs

tätig kreative Leben bleibt.

Albrecht Daniel Thaer war als aufklärerischer Geist und Wissenschaftler Fortschrittsoptimist.

Er wollte atavistisches, abhängiges Bauerntum hinführen zu wissenschaftlich basiertem ver-

nunftgeleitetem Tun, d.h. rationaler/rationeller Landwirtschaft. Sein segensreiches Wirken ist

zunächst aus seiner Zeit und für sein Land zu verstehen – später für die gesamte Menschheit

wertzuschätzen. Albrecht Daniel Thaers Bedeutung und Größe bedarf keiner Mutmaßungen

über eine (Mit-) Autorenschaft betreffend G.E. Lessings “Die Erziehung des Menschenge-

schlechtes”.

Literatur

Bellamy, P. H., Loveland, P. J., Bradley, R. I., Lark, R. M., Kirk, G. J. D. (2005): Carbon loss-

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Die Bedeutung von Albrecht Daniel Thaer

für die Entwicklung von

Carl Phillip Sprengel zum Wissenschaftler

Hans-Peter Blume und Martin Frielinghaus

1 Einführung

Der Agrikulturchemiker und Landwirtschaftswissenschaftler Carl Sprengel (1787 - 1859) gilt

bis heute in Fachkreisen vor allem wegen fünf Büchern als herausragender Wissenschaftler des

19. Jh. In seiner Chemie für Landwirthe, Forstmänner und Cameralisten von 1831/32 formu-

lierte er nach Untersuchungen der chemischen Zusammensetzung von Böden und Kulturpflan-

zen (Sprengel 1828) das Gesetz vom Minimum: Wenn eine Pflanze 12 Stoffe zu ihrer Ausbil-

dung bedarf, so wird sie nimmer aufkommen, wenn nur ein einziger an dieser Zahl fehlt, und

stets kümmerlich wird sie wachsen, wenn einer derselben nicht in derjenigen Menge vorhanden

ist, als es die Natur der Pflanze erheischt. Er meinte die Elemente C, H, O, N, Ca, Mg, Al, Si,

Fe, Mn, S und P, die er in seiner Lehre vom Dünger (1839) um Cl, K und Na ergänzte. Damit

wird er von heutigen Pflanzenernährern als Begründer der Mineralstofftheorie der Pflanzener-

nährung angesehen (Wendt 1950; Böhm 1987; van der Ploeg et al. 1999; Schwenke 2008,

Jungk 2009). Mit seinem Buch Die Bodenkunde oder die Lehre vom Boden nebst einer voll-

ständigen Anleitung zur chemischen Analyse der Ackererden von 1837 hat er sich für viele

Bodenkundler als der erste große deutsche Bodenkundler etabliert (Schroeder 1987). Gleiches

gilt für viele Kulturtechniker im Hinblick auf sein Werk über Die Lehre von den Urbarma-

chungen und Grundverbesserungen von 1838 (Frede 2004) und für Pflanzenbauer im Hinblick

auf die 1847-1852 erschienenen Erfahrungen im Gebiete der allgemeinen und speciellen

Pflanzen-Cultur (Böhm 1997).

Sprengel hat in den genannten Büchern einige andere Autoren zitiert; im Vorwort wurde teil-

weise Thaers Mitarbeitern Georg E. Crome (1780 - 1813) und Heinrich Einhof (1778-1808)

posthum gedankt; seinen Lehrer A. D. Thaer hat er aber praktisch nicht erwähnt. Nach dem

vorliegenden Material ist allerdings auch Thaer nie explizit auf die Arbeiten Sprengels einge-

gangen. Daher kann der Einfluss Thaers auf Sprengel nur indirekt erschlossen werden.

2 Schüler von Albrecht Daniel Thaer in Celle

C. Sprengel wurde als Sohn eines Landwirts und Postverwalters in Schillerslage bei Burgdorf

/Niedersachsen in seinem Elternhaus bis 1802 von privaten Lehrern unterrichtet. Bereits in

dieser Zeit hatte er Thaer kennen gelernt, da dieser bei seinen häufigen Reisen von Celle zur

Residenzstadt Hannover stets in Schillerslage beim Posthalter Anton L. Sprengel Station mach-

te (Böhm 1987). Sprengel wurde bereits 1802 Schüler an Thaers Experimentalwirtschaft in

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Celle. Mitschüler waren u.a. auch Johann H. von Thünen (1783-1850), später Tellow, und Max

Schönleutner (1778-1831), später Weihenstephan.

Thaer hatte im Jahre 1802 ein Landwirthschaftliches Lehr-Institut zu Celle mit kleinem inte-

grierten Versuchsbetrieb gegründet und sich gründlich darauf vorbereitet. Als Arzt war er be-

reits seit 1784 aktives Mitglied der 1764 gegründeten Königlich Großbritannischen und Kur-

fürstlich Braunschweig-Lüneburgischen Landwirtschafts-Gesellschaft in Celle, besuchte deren

Sitzungen und war Mitherausgeber und dominierender Autor von deren Annalen der Nieder-

sächsischen Landwirthschaft (Thaer & Beneke 1799-1804). Auf Reisen durch Niedersachsen,

Schleswig-Holstein und Mecklenburg besuchte er landwirtschaftliche Betriebe. 1797 lernte er

die von Casper Voght (1752-1839) in Flottbek bei Hamburg gegründete und von Lucas Andre-

as Staudinger (1770-1842) geleitete Landwirtschaftsschule kennen (Stamer 1996). Nach inten-

siver Lektüre vor allem englischer, deutscher und französischer Literatur der Landwirtschaft

und Kameralistik veröffentlichte er 1798 den ersten Band der Einleitung zur Kenntniß der

englischen Landwirthschaft, der ihm als Lehrbuch für seine Zöglinge diente. Dieses Buch

weist inhaltlich und konzeptionell bereits vieles von dem auf, was ihn später mit seinen vier-

bändigen Grundsätzen der rationellen Landwirthschaft (1809-1812) international berühmt

machte. Es enthielt auch die detaillierte Konzeption für eine landwirtschaftliche Lehranstalt mit

Versuchsbetrieb.

Nach Thaer (1803) hielt er selbst Vorlesungen über:

1. Agronomie (Lehre von der Beschaffenheit, Kenntniß, Beurtheilung und Schätzung des

Bodens in Hinsicht a) seiner physischen, b) seiner relativen und unkörperlichen

Eigenschaften),

2. Agricultur (Lehre von der Bearbeitung und Befruchtung des Bodens)

3. Production (Lehre von der Erzielung a) vegetabilischer b) animalischer Substanzen)

4. Oekonomie im eigentlichen Verstande (Lehre von Einrichtung und Verbindung des Ganzen

zur Erreichung des … möglich größten reinen Ertrages).

Mitarbeiter und Freund Heinrich Einhof (1777-1808) lehrte als gelernter Apotheker: Chemie

und Kräuter-Kunde, sowie privatim Physik, Naturgeschichte, und Theorie des technischen

Gewerbes. In einer Übung lehrte er Aufschluss und Bestimmung chemischer Elemente von

Boden- und Pflanzenproben.

Ein Mathematiklehrer unterrichtete Theorie und Praxis des Feldmessens, sowie auf Verlangen

die Grundsätze der Mechanik, Hydraulik und Baukunst.

Thaers Schreiber Gotthard war für Kost, Logis und Nutzung der Bibliothek zuständig, lehrte

den Einsatz der Ackerwerkzeuge und organisierte das Beobachten der Feldarbeit auf dem Ver-

suchsbetrieb.

In der Agronomie- Vorlesung über den Erdboden beschrieb Thaer die Eigenschaften der

ackerbaren Krume als Damm- bzw. Pflanzerde und des Untergrundes. Beide bestehen aus

Teilchen unterschiedlicher Größe und chemischer Zusammensetzung und wurden von ihm je

nach der Dominanz bestimmter Eigenschaften u.a. als Klay (= Ton) -, Lehm-, Sand- oder Kalk-

boden bezeichnet. Die Krume enthält zudem Humus in unterschiedlichen Anteilen (s. Thaer

1798, S. 87ff).

In der Agricultur- Vorlesung beschrieb Thaer die Techniken der Bodenbearbeitung nebst sinn-

voller Geräte, sowie die Düngung. Als Dünger behandelte er (nach Thaer 1798: 5. Kap. Vom

Dünger) 1. die (seit Jahrhunderten üblichen) Kalken nebst organischen (z.B. Stall- und Grün-

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düngung) Dünger (deren Einfluß auf den Pflanzenwuchs er auf S. 140-150 klassisch nach der

Phlogistontheorie von Georg E. Stahl (1659-1734) 1697 und anderen erklärte: Phlogiston bzw.

Oleum = Brennbares; s.. hierzu Blume 2003, Abschnitte 5.1.3 u. 6.4.4, außerdem Sticher 2005,

Abschnitt 2) erkärte. 2. behandelte er als Fußnote (S.142-147) die vor wenigen Jahrzehnten

entdeckten Nährelemente, zu denen er nach Anton L. Lavoisier (1743-1794) u.a. Kohlendi-

oxid, Sauerstoff, Ammoniak und Salpetersäure zählte, außerdem neben Gips auch Abfälle von

Kochsalzwerken. Diese vom Kochsalz abgeschiedenen Salze, sind, wie der Gips, schwefel-

oder vitriol-sauer. Es handelte sich demnach um Kalium- und Magnesium-Sulfate, die nach

Thaer erfolgreich zur Düngung eingesetzt werden können. Er schrieb dazu: Durch das neuere

antiphlogistische, Lavoisiersche oder französische System ist diese sonst so verworrene und

schwere Wissenschaft zu einer Klarheit und Deutlichkeit gekommen, welche die Erlernung

derselben, im allgemeinen, jedem aufmerksamen Kopfe äußerst leicht und angenehm macht.

Thaer bezieht sich dabei wohl auf Lavoisiers Traité élémentaire de chimie von 1789, das vom

Berliner Chemiker und Mentor Thaers Sigismund F. Hermbstädt (1760-1833) im Jahre 1792

als System der antiphlogistischen Chemie übersetzt und heraus gegeben wurde. In diesem

Werk hat Lavoisier auch über umfangreiche Düngeversuche auf seinem Landgut berichtet

(Näheres s. H. Sticher 2004, Abschnitt 3.1). Thaer (1798: S. 109) verwies auch auf den Apo-

theker und Fabrikanten Georg C. Rückert (1763-1800), der (nach Böhm 1997: S. 268) im 1.

Band (1789: S. 38) seines Feldbau chemisch untersucht, um ihn zu seiner letzten Vollkommen-

heit zu erheben, empfahl, die durch Kulturpflanzen dem Boden entzogenen Mineralstoffe in

Form von Düngemitteln zurückzuführen (Ersatztheorie): … denn das, woraus die Pflanzen

bestehen, befördere auch ihren Wachsthum (s. auch Fraas 1865: S.341f).

In der besonderen Übung in Zersetzung und Analysirung etwa mitgebrachter Erden und ande-

rer Materialien hat Einhof den Schülern beigebracht, Exkremente, Pflanzen- und Torfproben

zu veraschen und deren Gehalte an Al, Fe, Ca, Si und P mittels Fällungsreaktionen zu bestim-

men, sowie von Bodenproben den Humus als Glühverlust zu ermitteln, die Sandfraktion (mit

überwiegend SiO2 bzw. Quarz) als Schlämmrückstand zu erfassen und im Abgeschlämmten

chemische Elemente (bzw. deren Oxide) nach Säureaufschluss wie oben mittels Fällungsreak-

tionen zu analysieren (Methodik s. Thaer u. Einhof 1804, 1804a; Einhof 1805, 1805a, 1806/7).

Für Ausbildungs- und Versuchszwecke diente ein landwirtschaftlicher Betrieb mit 28,6 ha

Ackerland (3 Bodenarten von Sand bis staunassem Lehm), 4,7 ha natürliche Wiesen, 18 Rin-

dern, 2-3 Pferden, Schweinen, 2 Arbeitskräften und Tagelöhnern (Mügge 1802; Gellermann

2006).

3 Mitarbeiter von Albrecht Daniel Thaer in Möglin

Thaer wechselte im Jahre 1804 nach Möglin in Brandenburg, zusammen mit seiner Familie,

Einhof als Lehrer und weiteren Mitarbeitern, u.a. Sprengel. Dieser hatte ihm bereits in Celle

bei der Planung der neuen landwirtschaftlichen Lehr- und Forschungsanstalt für ca. 20 in Voll-

pension unterzubringende Schüler nebst Lehr-, Bibliotheks- und Laborräumen geholfen. Thaer

kaufte das Rittergut Möglin mit 250 ha Ackerland (sehr unterschiedliche Parabraunerden und

Pseudogleye mit Bodenarten zwischen Sand und Lehm) mit 20 ha feuchten Brüchen, die 1808

in Schwemmwiesen umgewandelt wurden, und Gartenland. Im benachbarten Oderbruch wurde

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zudem das Vorwerk Königshof mit 75 ha überwiegend tonreichen Auengleyen unter Grünland

übernommen, die er in Ackerland umwandelte. Stallungen für 40 Milchkühe und Bullen, 26

Arbeitsochsen, 11 Pferde und 350 Schafe waren ebenso zu renovieren bzw. neu zu bauen wie

Gebäude für Maschinen, Vorräte und Ernteprodukte (Frielinghaus 2005). Sprengel unterstützte

Thaer auch beim Aufbau in Möglin und leitete später das Rittergut, bevor er 1808 Möglin

verliess. Für Thaer war er … einer meiner geschicktesten und mich ganz verstehenden Schüler

(Frielinghaus 2005: S. 10).

Infolge französischer Besetzung Brandenburgs konnte der Lehrbetrieb in Möglin erst im No-

vember 1806 beginnen. In der Zwischenzeit hatte Einhof bereits mit intensiven chemischen

und physikalischen Laboruntersuchungen von Boden-, Dünger- und Pflanzenproben begonnen

und wurde darin auch von dem sehr lernbegierigen Sprengel unterstützt (Schwenke 2006;

Sprengel 1831: Vorwort). Einhof führte auch Gefäß- und Feldversuche zur Düngewirkung von

Schwefel- und Salpetersäure durch. Für deren Ergebnisse sah Sprengel später eine Mit-

Autorenschaft in seinem Prioritätsstreit mit Justus Liebig (1803-1873) um die Mineralstoffthe-

orie (Sprengel 1845; Giesecke 1958, S. 33): Einhofs diesbezügliche, posthum gedruckte Publi-

kation von 1809 enthält keine Hinweise auf Sprengel.

Einhof lehrte eine ganz auf die Bedürfnisse von Landwirten abgestimmte Chemie und zwar die

unzerlegten Stoffe des Lavoisierschen Systems nebst Säuren und Salzen, die organischen Kör-

per des Pflanzen- und Tierreichs, die Prozesse der Gärung, Fäulnis und Verwesung, sowie die

angewandte Chemie der technischen Gewerbe (u.a. Bier- und Essigbrauerei, Branntwein-,

Kohle-, Kalk- und Ziegelbrennereien), sowie die chemischen und physikalischen Eigenschaften

von Böden und Düngemitteln nebst deren Untersuchung (Thaer 1806). Nach Einhofs Tod im

Jahre 1808 veröffentlichte Thaer posthum dessen Aufzeichnungen u.a. als Grundriß der Che-

mie für Landwirthe (Einhof 1808). Einhofs Nachfolger als Lehrer und Forscher wurde 1808 der

Apotheker und Naturwissenschaftler Georg E. Crome (1780-1813), der 1812 mit seinem Buch

Der Boden und sein Verhältniß zu den Gewächsen, als wohl erster den Zeigerwert von Wild-

pflanzenarten als Hilfsmittel der Standortsbeurteilung beschrieben hat (s. auch Böhm 1997).

Thaer begriff Böden als Nutzpflanzenstandorte, deren Untergrund (bis ca. 1 Meter Tiefe) eben-

so bedeutsam als Wurzelraum ist wie deren humose Krume. Für ihn waren Bodenart, Grund-

wasserstand, Klima und Reliefposition für den Pflanzenwuchs bedeutsam: Für ihn waren ton-

reiche Böden wegen ihrer höheren Wasserkapazität fruchtbarer als sandige Böden (Thaer

1810a: 3. Agronomie), während Einhof und Sprengel auch deren als Nährelemente angesehene,

höhere Aluminiumgehalte dafür verantwortlich machten.

Hermbstädt brachte von 1803-1818 ein Archiv der Agriculturchemie heraus, in dem die mo-

derne Chemie von Lavoisier (1789) als für die Landwirtschaft bedeutsame Agriculturchemie

und –physik dargestellt werden sollte. Thaer selbst und seine Mitarbeiter Einhof und Crome

publizierten darin wie u.a. auch der Naturkundler A. v. Humboldt (1769-1859) 1803, der Gen-

fer Pflanzenchemiker Nicolas T. Saussure (1767-1847) 1804 und 1808, der englische Agrikul-

turchemiker Humphrey Davy (1778-1829) 1807 und 1815, und später Sprengel selbst (Näheres

s. Schwenke 2007). Im Jahre 1804 hatte nach Sticher (2004) N. Saussure als erster die neue

Chemie von Lavoisier konsequent auf Pflanzen angewandt (Saussure 1804a), die in Auszügen

von Hermbstädt übersetzt wurde (Saussure 1804, 1808). In Saussure 1804a findet sich (nach

Sticher 2004 in dt. Übersetzung) u.a. auf Seite 280: Die alkalischen Salze des Kalis und des

Natrons, die phosphorsauren Erden des Kalks oder der Magnesia, der freie oder kohlensaure

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Kalk, die Kieselsäure und die Oxyde des Eisens und des Mangans bilden … die wichtigsten

Bestandteile der (Pflanzen-)Aschen, welche durch die Wirkung des zur Verbrennung benutzten

Feuers nicht verflüchtigt werden können (wie Kohlenstoff und Stickstoff). Auf Seite 269f

steht: … dass alle in Wasser löslichen Stoffe, welche aus dem Boden herrühren, und welche in

die Wurzeln einer grünen Pflanze eindringen … trotz ihrer geringen Menge einen mächtigen

Einfluss auf das Wachstum der Gewächse ausüben. … Man erkennt, dass ihr Kohlenstoff aus

der Atmosphäre in größerer Menge geliefert wird als aus irgend einer anderen Quelle; dass

aber der Stickstoff, die Salze und die Erden … aus den aus dem Humus durch die Wurzeln

geschöpften Lösungen herrühren. In Saussure (1804a) findet sich auch, dass verschiedene

Pflanzenarten aus dem gleichen Boden unterschiedliche Mengen in unterschiedlichem Verhält-

nis aufnehmen, Pflanzen sich mithin Nährstoffe selektiv aus dem Boden aneignen. Auch Thaer

und Einhof (1804, 1804a) hatten bereits in Celle die Mineralstoffe der Aschen tierischer Ex-

kremente und Torfe bestimmt, und Einhof (1805, 1805a) in Möglin Entsprechendes von Kul-

turpflanzen.

Für Thaer gehörten seitdem zum Bodenhumus als Pflanzendünger neben den verbrennbaren

C- und N- Verbindungen auch die Mineralstoffe der Asche (Thaer 1810a: Lehre von den Dün-

gern), was er noch einmal am 3. Februar 1814 in einer Sitzung der Akademie der Wissenschaf-

ten zu Berlin als deren Mitglied betonte: Selbst die Erden, welche die Pflanzen als integrieren-

de Theile in geringem Verhältnisse zu ihrer Masse enthalten, giebt ihnen der Humus in fein

aufgelöster Gestalt … (Thaer 1814/15: Top 15.). Dass Nährelemente der Pflanzenaschen als

Erden bezeichnet wurden, hängt damit zusammen, dass sie in den Aschen als Oxide oder Salze

analysiert wurden (Blume 2012: Abschnitt 2.1). Bereits für Thaer waren also die Mineralstoffe

nicht bloß Reizstoffe des phlogistischen Systems sondern für den Pflanzenwuchs bedeutsam (s.

hierzu auch Krafft et al. 1880: S.185).

A. von Humboldt (1803) hat in Experimenten mit feuchten Bodenproben unter einer dichten

Glocke festgestellt, dass die Sauerstoffgehalte der eingeschlossenen Luft umso stärker abnah-

men und die Kohlendioxidgehalte umso stärker zunahmen, je höher die Humus- und/oder Ton-

gehalte der Bodenproben waren. Humboldt hat damit unbeabsichtigt die Bodenatmung ent-

deckt (Blume & Sticher 2005), während Hermbstädt das Experiment als Möglichkeit ansah, die

Bodenfruchtbarkeit von Böden zu kennzeichnen.

Thaer legte (wohl mit Sprengel) 1806 in der Büchnitzaue seines Betriebes Schwemmwiesen

an. Er liess dazu durch Bachwasser, was im Oberlauf angestaut und dann durch einen Graben

abgeleitet wurde, Bodenmaterial einer Moräne erodieren und deren Sandfraktion mehrere dm

mächtig in der Aue sedimentieren, die damit erhöht, geebnet und damit nutzbarer und fruchtba-

rer wurde (Bork et al. 2004). Er folgte einer Technik, die er zuvor bereits bei Celle kennen

gelernt hatte (Thaer 1800) und die von Meyer (1800) eingehend beschrieben worden war (s.

auch Thaer 1810b: S. 205-224, Tafeln V, XIII, XIV).

Sprengel verliess Möglin nach dem Tode seines Mentors Heinrich Einhof im Jahre 1808, um

Berater landwirtschaftlicher Großbetriebe in Thüringen zu werden. Er tat das zum Leidwesen

von Thaer (1807, S. 645ff: berichtet Thaer als Eigentümer und Bewirtschafter von Möglin und

betont, dass er sich nicht mehr operativ einschalten müsse, da einer meiner geschicktesten und

mich ganz verstehenden Schüler die Wirthschaft führt, bedürfte es dessen überall nicht mehr.

… Ich kann das thun, da ich mir meinen Wirthschaftsaufseher (Sprengel) von Jugend an selbst

erzogen habe, da er mich ganz versteht, und er jetzt ein völlig gesetzter Mann ist. 1815, S. VIf:

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… Außer diesen, der Welt Entnommenen (Einhof und Crome) verließen mich mehrere andere.

Ein junger Mann von Talent, den ich selbst gebildet, mit hierhergebracht habe und hauptsäch-

lich für das Experimentalische bestimmt hatte, verließ mich, zu einem unüberlegten Ankauf

eines Grundstücks verleitet: wohl Sprengel).

4 Bedeutsame Werke von Sprengel

4.1 Sprengels Chemie (1831/32) und Lehre vom Dünger (1839)

Sprengel studierte von 1821-1823 in Göttingen Naturwissenschaften, vor allem Chemie (Böhm

1987). Nach der Promotion untersuchte er Pflanzen und Bodenproben mit den vor allem von

Einhof und Saussure gelernten Methoden. Im Jahre 1826 bestätigte er die Meinung Thaers

(1810a, 1814/5), dass die düngende Wirkung des Humus neben den physikalischen Eigen-

schaften auf die in ihm enthaltenen Mineralstoffe zurück zu führen ist. Im Jahre 1828 erweiter-

te er die von Saussure (1804a) stammende Vorstellung von der Bedeutung der Mineralstoffe

für den Pflanzenwuchs zum Gesetz vom Minimum (Wortlaut s. Einleitung). Diese geniale,

heute anerkannte Formulierung beruhte im Wesentlichen auf dem Nachweis bestimmter Mine-

ralstoffe in Pflanzenaschen, die vorrangig aus dem Boden aufgenommen wurden, ohne dass er

in Düngerversuchen deren Notwendigkeit nachgewiesen hätte: Heute wissen wir, dass von den

12 bzw. 15 essenziellen Nährelementen Sprengels Al nicht und Na sowie Si nicht für alle höhe-

ren Pflanzenarten als essenziell anzusehen sind. Sie werden aufgenommen, weil Pflanzenwur-

zeln nur unvollständig das Notwendige zu selektieren vermögen (s. z. B. Finck 2007).

Im Jahre 1826 habilitierte sich Sprengel in Göttingen. Im Wintersemester 1827/28 hielt er eine

fünfstündige Vorlesung über Agrikulturchemie (Böhm 1987), zu der er wohl von seinem Vor-

bild Sir Humphrey Davy (Sprengel 1831: Vorwort) inspiriert wurde, der zwischen 1802 und

1812 vor dem British Board of Agriculture eine Reihe von Vorlesungen hielt, die er 1813 in

überarbeiteter Form als Elements of Agricultural Chemistry herausgab (Sticher 2004).

Im Jahre 1831 publizierte Sprengel den allgemeinen und anorganischen Teil seiner Chemie für

Landwirthe … , in der er didaktisch gekonnt das damalige Wissen (und was mein unvergessli-

cher Lehrer Einhof … und mehrere andere treffliche Chemiker (teilweise) schon früher… lehr-

ten: Vorwort, S. XIII) darstellte.

Der 1832 als Organische Chemie publizierte 2. Teil ist eine Pflanzenchemie. Zunächst werden

verschiedene organische Säuren wie die Benzoësäure nebst Salzen, Alkaloide als vegetabili-

sche Salzbasen und indifferente Pflanzenstoffe wie Zucker, Gummi, Stärke, Fette und Farbe-

stoffe behandelt. Es folgen Produkte, die bei der Zersetzung der Pflanzenkörper entstehen.

Dabei werden Gärung und Fäulnis als chemisch-physikalische Prozesse angesehen (z.B. S.

278: Zur Selbstentmischung der Pflanzenstoffe … ist Luftzutritt, Wasser und Wärme erforder-

lich. S. 281: Der Zucker … erleidet die Weingährung, als wenn er, in Wasser gelöst, mit Stick-

stoff enthaltenden Pflanzen- oder Thierkörpern in Berührung kommt. S. 296: Die Fäulnis, oder

die letzte freiwillige Zersetzung der Pflanzenstoffe erfolgt nur unter der Bedingung, dass die-

selben feucht … sind, Sauerstoff der Luft Zutritt hat und … Wärme vorhanden ist). Der Humus

wird als Ergebnis der Fäulnis angesehen. Er wird in milden, sauren und kohligen unterschie-

den; hierdurch bezeichnet man zugleich sein Verhalten gegen die Vegetation, denn die Taug-

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lichkeit des Humus als Pflanzennahrung wird durch seine Bestandtheile bedingt. … Beson-

ders günstig zeigt er sich der Vegetation, wenn er humussaures Ammoniak,… humussaure

Kalk- und Talkerde besitzt (S. 302). Sprengel vertritt hier eine Meinung, die bereits Thaer

(1814/15) in ähnlicher Weise formuliert hat (s. oben). Es folgen chemische Bestandteile ver-

schiedener Kulturpflanzen, Baumarten, Algen und Pilze, die überwiegend der Literatur ent-

nommen wurden. Zum Beispiel S. 446: Körner des Gemeinen Weizen … enthalten nach Einhof

12,5 Hülsentheile, 9,5 Feuchtigkeit, 5,0 Schleimzucker, 12,5 Kleber, und 60,5 Stärkemehl.

Nach v. Saussure bestehen100 Gwthl. Asche des Weizenstrohs aus 12,5 kohlensaurem Kali, 5,0

phosphorsaurem Kali, 3,0 salzsaurem Kali, , 2,0 schwefelsaurem Kali, 6,26 phosphorsauren

Erden, 1,0 kohlensauren Erden, 61,5 Kieselerde, 1,0 Metalloyden und 7,6 Verlust. Den Ab-

schluss des Buches bildet die Thierchemie.

Abb. 1: Sprengel, Ölbild von P. Stankiewicz (1878).

Im Jahre 1839 publizierte Sprengel Die Lehre vom Dünger. In der Einleitung werden die 15

von ihm als essenziell für den Pflanzenwuchs angesehenen Nährelemente wiederholt, abgelei-

tet aus der Analyse von Pflanzenaschen. Es folgt eine Darstellung der Kulturpflanzen-Organe

nebst deren Funktionen. Entsprechend Thaer (1810a) werden dann organische Dünger wie

Exkremente (teils mit Einstreu) nebst Schlachtabfällen und Plaggen behandelt, gefolgt von

mineralischen Düngern wie Kalk, Mergel, Ton und Sand, Aschen, Gips, Salpeter und wasser-

lösliche Düngersalze, wobei auch die chemische Zusammensetzung dieser Materialien und

deren Wirkung auf den Pflanzenwuchs geboten werden.

4.2 Sprengels Bodenkunde von 1837

Nach Thaers (1810) Agronomie (oder die Lehre von den Bestandtheilen des Bodens), der Ag-

ronomie als 2. Band der vom Tübinger Naturwissenschaftlers Gustav Schübler (1787-1834) im

Jahre 1831 publizierten Grundsätze der Agriculturchemie, und Die Bodenkunde in land- und

forstwirthschaflicher Beziehung des Gießener Forstwissenschaftler Johann C. Hundeshagen

(1783-1834) von 1830 publizierte Sprengel als vierter Autor 1837 eine gewichtige Bodenkun-

de als Handbuch für Landwirthe, Forstmänner u.a. in deutscher Sprache.

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Im Unterschied zu den Vorgenannten beginnt Sprengel mit einer detaillierten Darstellung der

Ausgangsgesteine von Böden, wobei er sich auf Beche (1831) bzw. Dechen (1832) als dessen

deutsche Übersetzung bezieht. Er unterscheidet zwischen A. Krystallini-schen Gesteinen (41:

z.B. Quarzfels, Granit, Gabbro, Basalt, Thonstein, Kalkstein) und B. Nicht krystallinischen

Gesteinen (27: z.B. Quarzsandstein, Kalk- Conglomerat, Thon, Eisensand), deren Mineralbe-

stand (nebst chem. Zusammensetzung), Verwitterbarkeit und Verbreitung vor allem in Europa

er angibt. Es folgt das von Wasser (im Gebirge verwitterte und erodierte) und in Senken bis

Ebenen sedimentierte Schwemmland, das er in älteres Diluvium (z.T. mit Fossilien, z.T. mit aus

Skandinavien stammenden Granitblöcken) und jüngeres Alluvium (u.a. Gerölle, Dünen, Torfe,

Marschböden, Kalktuff, Raseneisenstein) untergliedert und deren obere Bereiche dem Pflan-

zenwuchs dienen, mithin für ihn Böden sind.

Er bezeichnet Böden als Ackererden, deren humose Krume und deren Untergrund er entspre-

chend Thaer (1810a) als für den Pflanzenwuchs bedeutsam ansieht. Er bietet Bewertungen der

Ackererden im Hinblick auf verschiedene Standortfaktoren wie Relief, Feuchte, Wärme und

verfügbare Nährstoffe, wobei neben dem Optimum auch Folgen eines Unter- ebenso wie Über-

schusses behandelt werden. Auch deren Bearbeitbarkeit und deren Eignung für verschiedene

Kulturpflanzen werden dargestellt. Als ungünstig sieht er generell an, wenn sich Krume und

Untergrund z.B. in ihrer Körnung stark unterscheiden. Als Summenparameter stellt er entspre-

chend Crome (1812) auch Bezüge zwischen Bodeneigenschaften und Wildpflanzenarten dar.

Es folgt eine ausführliche Darstellung der landwirtschaftlich relevanten Eigenschaften von

Bodenarten, die er nach Körnung, Humus-, Kalk- und Salzgehalt in 12 Klassen mit jeweils

einer bis neun Untereinheiten gliedert. Der %-Anteil an Ton (bzw. Abschlämmbarem) und

Sand wurde ebenso angegeben wie Farbe, Fleckung, Humus- und Elementgehalt, Wasserhalte-

fähigkeit und Kapillaraufstieg. Die Mehrzahl der Einheiten wurde durch Angabe von durchaus

20 bis 30 zu erwartender Wildpflanzenarten (und Baumarten unter Wald) charakterisiert, au-

ßerdem gab er kultivierbare Kulturpflanzenarten nebst mehrerer sinnvoller Fruchtfolgen an.

Die Beschreibungen waren so detailliert, dass sich z.B. Bleierden als Podsole, eisenschüssige

Lehmböden als Pseudogleye oder salzige Thonböden mit Maibolt (bzw. Bettelerde) als sul-

fatsaure Organomarschen nach heutiger Nomenklatur identifizieren ließen. Eine Bewertung des

Ertragswertes der beschriebenen Bodeneinheiten, wie sie Thaer (1810) als Vorläufer moderner

Bodenschätzung formuliert hatte, erfolgt hingegen nicht.

Es folgen (wie auch bei Schübler 1831) ausführliche Beschreibungen der benutzten bodenche-

mischen und –physikalischen Methoden, die teilweise gegenüber denen von Einhof und Saus-

sure verbessert wurden. Den Abschluss bilden die Ergebnisse chemischer Bauschanalysen von

jeweils Oberboden und Untergrund von Böden aus aller Welt.

Insgesamt ist gegenüber den Vorläufern ein deutlicher Erkenntniszuwachs gegenüber bisheri-

gen Werken zu konstatieren.

4.3 Sprengels Lehre von den Urbarmachungen und Grundverbesserungen von 1838

Sprengels Lehrbuch der Kulturtechnik spiegelt in weitgehend sehr gelungener Weise den

Kenntnisstand seiner Zeit in Mitteleuropa wider. Sehr ausführlich werden Möglichkeiten der

Entwässerung nasser Flächen mittels offener Gräben oder offener bzw. mit porösem Material

bestückter Röhren behandelt, selbst die in England gerade begonnene Fertigung gebrannter

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Tonröhren. Hier wurden wohl auch Erfahrungen aus Möglin und dem Oderbruch berücksich-

tigt. Weniger gelungen ist die Darstellung des Küstenschutzes durch die Anlage von Deichen

nebst Schleusen sowie Lahnungen und Grüppen im Vorland.

Wie bereits von Thaer (1810b) werden dann die Verbesserung von Wiesen nebst Anlage von

Schwemmwiesen behandelt, deren Anlage Sprengel in Möglin kennen gelernt hatte. Er kriti-

siert entsprechende Anlagen bei Lüneburg, während diejenigen bei Siegen besser seien, weil

bei diesen die Grasnarbe vor dem Aufspülen des Sandes abgerollt und später wieder aufgetra-

gen würde. Nach Abb. 5 in Bork et al. (2004) ist das wohl auch in Möglin geschehen.

Es folgen die Verbesserung der Ackerkrume durch (in Abhängigkeit von deren Mächtigkeit,

Bodenart, Humus-, Kalk- und Steingehalt) mechanische Krumenvertiefung, Entfernen von

Steinen, Zusätze von Mergel, Kalk, Gips, Torf, Sand, Ton, Asche oder lösliche Salze, die über

das von Thaer Gebotene hinaus geht. Ähnlich Thaer (1810b) werden hingegen die Anlage von

Hecken und Knicks mittels verschiedener Strauch- und Gehölzarten behandelt.

Eigene Kapitel sind der Kultivierung von Sandwehen und Dünen, Hochmooren, Brüchen, Wäl-

dern und Wüstungen für eine landwirtschaftliche Nutzung gewidmet. Dabei wurden neben

erforderlicher Tiefenbearbeitung und Meliorationsdüngung auch spezielle Dinge wie das Ro-

den der Bäume, der Torfabbau, die Ebnung der Bodenoberfläche eingehend auch mittels in-

struktiver Zeichnungen geschildert, und zwar einschließlich der erforderlichen Geräte. Selbst

die Geländeterrassierung, der Wege- und Brückenbau sind nicht vergessen worden. Deren

Darstellungen gehen weit über das hinaus, was von Thaer geboten wurde (Näheres s. auch

Frede 2004).

4.4 Sprengels Erfahrungen im Gebiete der Pflanzen-Cultur (1847-1852)

Als letztes großes Werk erschien Sprengels Allgemeine und specielle Pflanzencultur. Im 1.

Band von 1847 befasst er sich mit der Bodenbearbeitung, dem Pflanzenbau allgemein, sowie

dem Anbau von Getreide, Leguminosen und Buchweizen. Im 2. Band folgen 1850 die Futter-

pflanzen und im 3. Band 1852 die Handelsgewächse wie Raps, Senf, Gespinst-, Gewürz-, Arz-

nei- und Färbepflanzen sowie der Tabak.

Die Bearbeitung des Bodens wird im Bezug auf deren Ziele, Formen und Tiefe nebst organi-

scher Düngung in Abhängigkeit von den Standortverhältnissen sehr viel intensiver als von

Thaer (1810b) behandelt. Thaer hat die erforderlichen Geräte allerdings detailliert beschrieben,

deren Kenntnis Sprengel weitgehend voraussetzt.

Beim Pflanzenbau behandelt Sprengel sehr ausführlich die Standortbedingungen der einzelnen

Kulturpflanzen. Von vielen Pflanzenarten werden Analysen der organischen Substanz und der

Asche des Ernteguts (wie Körner und Stroh, Knollen) geboten, die von ihm oder anderen Auto-

ren stammen. Daraus leitet er teilweise Düngungsanforderungen ab.

Böhm (1997) bezeichnet dieses Werk als eines der besten Pflanzenbau-Lehrbücher, die je in

deutscher Sprache geschrieben worden sind. Zu kritisieren ist allerdings, dass er auch in die-

sem Werk die für die Nährstoffmobilisierung im Boden erforderlichen Prozesse der Gärung

und Verwesung, Reduktion und Oxidation noch als rein chemische Vorgänge sieht, obwohl

inzwischen vor allem von dem Boden-Mikrobiologen Christian Ehrenberg (1795-1878) nach-

gewiesen wurde, dass in erster Linie Infusorien bzw. Mikroorganismen diese Leistungen voll-

bringen. Ehrenberg hatte das ab 1832 mehrfach in der Akademie der Wissenschaften zu Berlin

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vorgetragen, und u.a. in seinem Buch Die Infusionsthierchen als vollkommene Organismen

(1838) nebst Atlas mit Bildern der beschriebenen Bakterien, Pilze und Protozoen (1838a) pu-

bliziert (Blume et al. 2012). Sprengel hat zwar 1838 in seiner Kulturtechnik (S. 195) über das

Auftreten von Infusionsthierchen im Moder von Böden berichtet, ohne aber deren Bedeutung

zu recherchieren.

5 Epilog

Carl Sprengel wurde während seiner sechsjährigen Tätigkeit als Lernender und später Mitar-

beiter in Celle und Möglin durch Thaer und Einhof stark geprägt, sowohl als Forscher und als

auch späterer Lehrer. Er hat die praktische Landwirtschaft ebenso kennen gelernt wie die che-

mische Analyse von Ernteprodukten und Bodenproben, die Entwässerung und Berieselung von

Böden sowie die Durchführung von Gefäß- und Feldversuchen. Entgegen Günter Wendt

(1950) und anderer hat Thaer den Bodenhumus nicht als Nährstoff der Pflanzen gesehen son-

dern als für den Pflanzenwuchs bedeutsam wegen seines Wasserbindungsvermögens und seiner

Nährstoffgehalte. Das belegen eindeutig Thaer (1898, 1809-12, 1814/15) sowie vor allem die

von Krafft et al. (1880) kommentierte Fassung von Thaers Grundsätze der rationellen Land-

wirthschaft. Sprengel lernte Das System der antiphlogistischen Chemie von A.. L. Lavoisier

(1789/92) und den Einfluss des Bodens auf die (mineralischen) Bestandteile der Pflanzen von

N.T. Saussure (1804) während seiner Zeit in Celle und Möglin kennen.

Sprengel erweiterte in seiner Bodenkunde (1837) Thaers (1810: 3. Agronomie) Lehre von den

Bestandteilen, physischen Eigenschaften, der Beurteilung und Wertschätzung des Bodens um

die Bedeutung des Ausgangsgesteins der Böden, übernimmt aber nicht Thaers Bewertung des

Ertragswertes der beschriebenen Bodeneinheiten als Vorläufer moderner Bodenschätzung.

Sprengel bietet von verschiedenen Bodenarten die chemischen Gesamtgehalte chemischer

Elemente wie u.a. Si, Al, K, Mg, Ca. Aus diesen lassen sich gewisse Schlüsse auf den Mineral-

bestand der Böden ziehen; sie sind aber völlig ungeeignet, um Aussagen über die Nähr-

stoffverhältnisse der Böden zu machen. Hierzu hätte er Saussure (1804a) folgen sollen, der die

Gewinnung der wässerigen Bodenlösung nasser Böden mittels einer hydraulischen Presse

vorschlägt, um deren chemische Eigenschaften zu analysieren. Auch der Forstbodenkundler

Ferdinand Senft (1810-1893) schlug 1857 im Lehrbuch der forstlichen Geognosie, Bodenkunde

und Chemie vor, die verfügbaren Nährstoffe im Wasserextrakt zu bestimmen. Allerdings wäre

es zur damaligen Zeit äußerst schwierig gewesen, infolge geringer Nährstoffkonzentrationen zu

präzisen Ergebnissen zu kommen. Das ist erst der Hohenheimer Agrikulturchemikerin Marga-

rete von Wrangell (1877-1932) 1931 geglückt, ist aber heute allgemeine Praxis, zumindest in

der Forstwirtschaft.

Sprengel (1838) übernimmt in seine Urbarmachungen und Grundverbesserungen einige Anre-

gungen aus Thaers (1810a) Agrikultur 2, schreibt aber ein herausragendes Werk über den

Ackerbau und die Kulturtechnik seiner Zeit.

Auch Sprengels letztes großes Werk Meine Erfahrungen im Gebiete der Pflanzen-Cultur von

1847 bis 1852 ist nach dem Göttinger Pflanzenbauer und Agrar-Historiker Wolfgang Böhm

(1997) eines der besten Bücher seines Fachgebietes. Hier hätte Sprengel allenfalls anstelle der

überholten, rein chemischen Oxidation organischer Stoffe die von Christian Ehrenberg im

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Jahre 1838 beschriebene Verwesung der Ernterückstände nebst Mobilisierung organisch ge-

bundener Nährstoffe durch Mikroorganismen behandeln können. Dieser Vorwurf trifft auch

Justus von Liebig, der sich aber zumindest in einem seiner Chemischen Briefe 1843/1859 in-

haltlich intensiv mit den Vorstellungen Ehrenbergs auseinander gesetzt hat (s. auch Blume et

al. 2012).

Der Zeitzeuge Julius A. Stöckhardt (1809-1886) aus Tharandt schrieb in seinem Nachruf über

Sprengel im Jahre 1861: … Sprengel stand mit an der Wiege der Agrikulturchemie, denn er

war ein Schüler und Gehülfe Einhofs und Thaers … Schon vor 30 Jahren lehrte er, daß jede

Pflanze zu ihrer völligen Ausbildung eine bestimmte Quantität mineralischer Stoffe: Kali, Kalk,

Phosphorsäure ec. bedürfe; daß sie niemals ihre höchste Ausbildung erreichen könne, sobald

von einem einzigen Stoffe nicht die erforderliche Menge vorhanden sei. Wenn Sprengel … der

Chemie … mehr zutraute, als sie zu leisten …

Danksagung

Wir danken den Kollegen Wolfgang Böhm, Göttingen, und Hans Sticher, Zürich, für wertvolle

Anregungen, den Kollegen Ulrich Fellmeth und Karl Stahr, Stuttgart-Hohenheim, für deren

Hilfe bei den Literaturrecherchen.

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Erster Band (1847): Bearbeitung des Bodens; Cultur der Pflanzen im Allgemeinen; Cultur der

Getreidepflanzen und Hülsenfrüchte

Zweiter Band (1850): Kultur der Futterpflanzen

Dritter Band (1852): Kultur der Handelsgewächse

Stahl, G. E. (1697): Zygmotechnica fundamentalis sive fermentationis theoria generalis; Hal-

le/Saale

Stamer, H. (1996): Vorgeschichte der Agrarwissenschaften in Schleswig-Holstein. Kap. A2 in

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1996. W. Mühlau, Kiel

Sticher, H. (2004): Die chemische Tradition. Kap. 1.3.2.3 in Blume et al. (1996ff)

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Thaer, A. (1798): Einleitung zur Kentniß der englischen Landwirthschaft und ihrer neueren

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Thaer, A. (1800): Vorrede. Annalen Niedersächs. Landwirthschaft 2, 3: I-VII

Thaer, A. D. (1803): Landwirthschaftliches Lehr-Institut zu Celle. Beitrag VII des 3. Stücks

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henden Aufsatzes. Annalen des Ackerbaus 5: 654-656

Thaer, A. D. (1809-12): Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Realschulbuchhandlung,

Berlin

1. Band (1809): 1. Begründung; 2. Oekonomie 1

2. Band (1810): Oekonomie 2; 3. Agronomie; 4. Agricultur 1 (Düngung)

3. Band (1810a): 4. Agrikultur 2 (Bearbeitung, Kulturtechnik, Grünlandnutzung)

4. Band (1812): 5. Produktion vegetabilischer Substanzen; 6. Die Viehzucht

Thaer, A. D. (1814/15): Gegenwärtiger Standpunkt der Theorie über den Ertrag und die Er-

schöpfung der Ernten im Verhältniß zu der Thätigkeit und dem Reichthum des Bodens. Ab-

handl. der Königl. Akad. der Wissenschaft. zu Berlin. Physikal. Klasse. S. 35-52

Thaer, A.D. (1815): Geschichte meiner Wirthschaft zu Möglin. Realschulbuchhandlung, Berlin

Thaer. A. D., Beneke, J. C. (Hg.; 1799-1804): Annalen der Niedersächsischen Landwirthschaft.

6 Jahrgänge mit jeweils 4 Stück. Organ der Königl. Churfürstl. Landwirthschafts–Gesellschaft

zu Zelle. G. Schulze, Zelle

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Anhang: Sprengel in Regenwalde (Resko)

Carl Sprengel war zwischen 1839 und 1854 als Ökonomierat Generalsekretär der Pommer-

schen Ökonomischen Gesellschaft mit dem Sitz in Regenwalde, heute Resko, 60 km nordöst-

lich von Szczecin (Stettin). Die Gesellschaft fungierte als landwirtschaftlicher Zentralverein für

die hinterpommerschen landwirtschaftlichen Vereine bis zur Oder. Ab 1842/1844 betrieb die

Gesellschaft in Regenwalde ein Versuchsfeld. Sprengel rief 1842 eine private Lehranstalt ins

Leben, die „Landbau-Academie zu Regenwalde“ und beteiligte sich 1841/1843 an der Grün-

dung einer Ackerbaugerätefabrik. Das Gebäude der Akademie hat den zweiten Weltkrieg nicht

überstanden. Das Fabrikgelände wird noch heute genutzt. Gegenüber der Fabrik wurde 1881

ein Obelisk zu Ehren Sprengels errichtet. Sprengel starb 1859 und erhielt seine letzte Ruhestät-

te in Regenwalde.

Aus Anlass des 145. Todesjahres war es 2004 möglich, den Obelisken und das Grab zu sanie-

ren. Die Federführung hierbei hatte die Fördergesellschaft Albrecht Daniel Thaer in enger

Kooperation mit Dr. Wereszczeka von der damaligen Landwirtschaftlichen Akademie zu

Szczecin

Abb. 1: Hochzeitsbild von 1841, mit Perücke, die er nach Giesecke

(1958) nur selten trug, dekoriert mit dem Roten Adlerorden IV.

Klasse. Quelle: Universitätsbibliothek Göttingen.

Abb. 2: Sprengel mit Perücke nach 1841 in Resko;

Quelle: Fördergesellschaft Albrecht Daniel Thaer (FGADT).

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55

Abb. 3: Sprengel 1878 von P. Stankiewicz, 19 Jahre nach

Sprengels Tod; Quelle: FGADT, vormals Akademie der

Landwirtschaftswissenschaften der DDR, ab 1965 Institut

für Düngungsforschung Potsdam, heute Landesamt für

Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneu-

ordnung, Land Brandenburg.

Abb. 4: Lageplan der Versuchsflächen von 1857 in Regenwalde; Quelle: FGADT.

Abb. 5: Landbauakademie vor 1945;

Quelle: FGADT.

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56

Abb. 6: Sprengel-Obelisk vor 1945; Quelle: FGADT.

Abb. 7 : Sanierter Obelisk von 2004; Quelle: FGADT.

Abb. 8: Die Sprengelsche Fabrik gegenüber dem Obelisken 2004; Quelle: FGADT.

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Abb. 9: Das sanierte Grab im Jahre 2004; Quelle: FGADT.

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Die Bodenbonitierung nach Albrecht Daniel Thaer

und ihre Weiterentwicklung durch

Walter Rothkegel,

den Initiator der Reichsbodenschätzung1)

Manfred Altermann und Karl Ludwig Freund

1 Vorbemerkungen

Die Bodenschätzung in Deutschland gilt als ein Jahrhundertwerk, das seinesgleichen in der

Welt sucht. Seit der Verkündung des Bodenschätzungsgesetzes vor fast 80 Jahren erfolgt die

Bodenschätzung nach gleicher Methodik, deren Ursprung zu einem wesentlichen Teil auch auf

Albrecht Daniel Thaer (1752 – 1828) zurückgeht. Deshalb sollen in diesem Beitrag das Wirken

von Albrecht Daniel Thaer zur Bonitierung der Böden herausgestellt und der Wegbereiter der

einheitlichen Reichsbodenschätzung, Walter Rothkegel (1874 – 1959), gewürdigt werden. A.

D. Thaer war richtungweisender Ideengeber für die von Walter Rothkegel und seinem

Mitarbeiter Heinrich Herzog (1896 – 1969) im Zusammenwirken mit dem

Reichschätzungsbeirat erarbeitete Schätzmethodik.

Der Begriff Bodenschätzung ist wahrscheinlich erst mit der Gesetzgebung 1934 entstanden.

Rothkegel (1935) schreibt dazu:

„Die Reichsregierung hat am 16. Oktober 1934 das Gesetz über die Schätzung des

Kulturbodens (Bodenschätzungsgesetz) erlassen, das eine Bodenschätzung – für das

bisher übliche Fremdwort „Bonitierung“ ist bewusst das Wort „Bodenschätzung“

gewählt worden – für den gesamten landwirtschaftlich genutzten Boden anordnet.“

A. D. Thaer (1813, 1833) verwandte die Formulierung Bonitierung oder Abschätzung des Bo-

dens und Eichholtz (1900) den Begriff Bodeneinschätzung. In den Veröffentlichungen Rothke-

gels taucht die Bezeichnung Reichsbodenschätzung erst ab dem Jahr 1939 auf, vorher schreibt

er lediglich Bodenschätzung! Nach dem Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm sind die

Begriffe Schätzung (Schatzung) und Schätzen schon seit jeher in der deutschen Sprache be-

kannt. Belege gibt es seit dem Alt- und Mittelhochdeutschen. Bekanntlich wurden sie auch von

Martin Luther bei seiner Bibel-Übersetzung ins Deutsche verwendet (z. B. in der Weihnachts-

geschichte des Lukas-Evangeliums). In der Literaturquelle der Gebrüder Grimm wird für

Schätzung, Schatzung u. a. folgendes erläutert:

Beurteilung, Taxierung, gerichtliche Feststellung des Wertes einer Sache (lat. docimasia,

aestimatio, taxatio);

Auferlegung von Abgaben und der Tribut selbst (lat. tributum, stipendium);

Schatzung ist insbesondere die öffentliche Abgabe auf Grund auf Boden, Vermögen oder

Einkommen. 1)

Für diesen Beitrag wurden mehrere Kapitel aus der Veröffentlichung von Altermann, Freund,

Capelle und Betzer (2012) übernommen.

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60

2 Geschichte der Bodenschätzung in Deutschland

Der Besitz an Grund und Boden war seit jeher ein Besteuerungsgegenstand. „Die älteste Steu-

er, die in allen Kulturstaaten zu finden ist, ist die Steuer auf Grund und Boden, die Grundsteu-

er, zu nennen.“ (Wallroth 1947). Zunächst war die Flächengröße, die durch Karten und Listen

festgehalten wurde, das Bewertungsmerkmal. Später erkannte man, dass es gerechter war, den

Boden auch nach seiner Produktivität zu besteuern. Die Flächenerhebungen wurden deshalb

zunehmend durch Bodenbonitierungen ergänzt.

Im 17. und 18. Jahrhundert wurden in vielen deutschen Territorialstaaten alte Besteuerungs-

formen (z. B. Abgabe des „Zehnten“) durch neue Steuermerkmale ersetzt und die Besteuerung

nach Flächengröße und Bonität auf der Grundlage von Katastern vorgenommen. Rothkegel

(1930, 1950) hat die unterschiedlichen Besteuerungsverfahren in den deutschen Ländern sehr

detailliert beschrieben. Dabei sind vor allem die Verfahren einiger größerer Flächenländer wie

Mecklenburg, Sachsen und Preußen von Bedeutung gewesen.

In Mecklenburg erfolgte die Besteuerung seit dem 16. Jahrhundert entsprechend der Bonitie-

rung nach dem Flächenmaß „Scheffel Aussaat“. Hierbei ging man von der Überlegung aus,

dass für geringe Böden nur eine geringe Aussaatmenge, für bessere Böden eine größere Aus-

saatmenge notwendig war. Dieses Vorgehen – auch in anderen deutschen Ländern praktiziert –

wurde später von Albrecht Daniel Thaer als unrichtig erkannt.

Im 18. und 19. Jahrhundert beschritt man dann den Weg, die Steuerfestsetzung auf der Grund-

lage von Bodenklassen unterschiedlicher Bonität vorzunehmen (Mohr & Ratzke 2009).

Sachsen führte 1843 ein sehr differenziertes Verfahren für die Grundsteuererhebung ein, das

auf einer Reinertragsfestlegung für eine große Anzahl unterschiedlicher Klassen bei Ackerland

und Grünland basierte (Marre´ 1956). Diese Bonitierung durch Festsetzung eines generellen

Reinertrags auf der Grundlage der Einteilung der Kulturarten in Bodenklassen mit schemati-

scher Errechnung des Rohertrags kann man als einen Vorläufer der Schätzungsrahmen der

Reichsfinanzverwaltung ansehen (Mohr & Ratzke 2009).

In Bayern wurden einfache Rohertragsbonitierungen auf der Grundlage geschätzter Kornerträ-

ge für die jeweiligen Bonitätsklassen als ausreichend für die Grundsteuerfestsetzung angese-

hen. Die Feststellung der Steuerleistungsfähigkeit nach dem bayrischen Grundsteuergesetz von

1828 nahm jedoch nicht Bezug auf die wissenschaftlichen Untersuchungen Thaers von 1813,

der bereits Berechnungen relativer Reinerträge ausgeführt hatte, die sich durch Einreihung in

ein zehnklassiges Bodenartensystem mit 130er Wertskala ergaben (Rothkegel & Herzog 1928;

siehe Kapitel 3).

Von besonderer Bedeutung für die spätere Entwicklung in Deutschland waren die Maßnahmen,

die Preußen zur Verbesserung der Grundsteuererhebung ergriff. Zunächst führte Friedrich

Wilhelm I. ab 1715 in Ostpreußen den „Generalhufenschoß“ (Schoß = Steuer) ein, der eine

Grundsteuererhebung auf der Grundlage von 9 Ertragsklassen erlaubte und mit einer Neu-

vermessung verbunden war (Marre´ 1956; Mohr & Ratzke 2009). Diese einheitliche Grund-

steuererhebung wurde später auch in Westpreußen angewandt.

Von größerer Bedeutung aber war die Neuregelung der Besteuerung des Grund und Bodens

nach dem preußischen Grundsteuergesetz von 1861. Ihr lag eine Einteilung des landwirtschaft-

lichen Kulturbodens in die von Thaer (1813) beschriebenen Bodenarten zugrunde (s. Kapitel

3). Das Ergebnis war die sog. Silbergroschenbonitierung, die in ganz Preußen für möglichst

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einheitliche Taxbezirke, sog. Klassifikationsdistrikte, durchgeführt wurde. In jedem Bezirk gab

es einen Klassifikationstarif mit bis zu 8 typischen Bonitätsklassen, in die alle Grundstücke

eingereiht werden mussten. Jede Klasse entsprach einer Grundsteuerreinertragszahl, die zwi-

schen 3 und 300 Silbergroschen (30 Silbergroschen = 1 Taler) pro Morgen je nach Bodengüte

betragen konnte (Petersen 1934).

Voraussetzung für den Erfolg der preußischen Grundsteuerregelung war eine allgemeine

Vermessung und Schaffung eines landesweiten Katasters unter der Leitung von Friedrich Gus-

tav Gauß (1829 – 1915). Dieses Kataster wurde in wenigen Jahren fertig gestellt. Es vereinigte

ein Kartenwerk aller vermessenen Grundstücke mit einem Register über die Bonitierung dieser

Grundstücke (Friedrich 1999). Zwar eignete sich die differenzierte preußische Grundsteuerneu-

regelung wegen des von Bezirk zu Bezirk differierenden Bonitierungsrahmens nicht für spätere

großflächige Lösungen, aber als Beispiel für eine planmäßige Umsetzung schuf sie ebenso wie

die Einrichtung eines preußischen Katasters die verwaltungsmäßigen Grundlagen für eine

spätere Reichsbonitierung und ein Reichskataster. Das wissenschaftliche Fundament dazu legte

Thaer, dessen System später von Koppe, v. Flotow, Settegast u. a. verfeinert werden konnte

(Aereboe 1919).

Nach der Gründung des Deutschen Reiches von 1871 verblieb die Finanzhoheit zunächst bei

den einzelnen Ländern. Gleichwohl wurde die Notwendigkeit erkannt, die unterschiedlichen

Steuersysteme der Länder im Sinne von mehr Steuergerechtigkeit für die Bürger einander

anzugleichen. Für ein solches Vorhaben kam aber nur eine neue, einheitliche Reichsbonitie-

rung in Betracht, da die einzelnen Bonitierungsverfahren zu unterschiedlich waren.

Von Herzog (1937) wurden die länderspezifischen Grundsteuergesetze zusammengestellt

(siehe Abb. 1), und er schreibt dazu: „Schon in dieser Vielzahl der Schätzungen liegt ihr

Hauptmangel begründet.“ (Herzog 1937, S. 8).

Nach dem 1. Weltkrieg ging die Finanzhoheit der Länder ab 1919 auf das Reich über. Als

Konsequenz der Vielzahl der unterschiedlichsten Ländergesetze wurde mit dem Reichsbewer-

tungsgesetz von 1925 eine einheitliche steuerliche Bewertung des gesamten deutschen Grund

und Bodens, die sog. Einheitsbewertung, auf den 1. 1. 1925 angeordnet. Damit sollte eine ein-

heitliche Bemessungsgrundlage insbesondere für die Grundsteuer, die Vermögensteuer und die

Erbschaftsteuer geschaffen werden. Dazu erfolgte eine kurzfristige Neubewertung sämtlicher

Flächen und Betriebe im Angleich an ein Netz von Vergleichsflächen und Vergleichsbetrieben.

Die unterschiedlichen alten Bonitierungsergebnisse, die überwiegend auf den Reinertrag ausge-

richtet waren, konnten wegen des eingetretenen Zeitablaufs und der daraus resultierenden Än-

derung der Ertragsverhältnisse nicht mehr verwendet werden. Es war also eine einheitliche

Bewertungsgrundlage notwendig, denn die bis dahin vorliegenden unterschiedlichen, nicht

vergleichbaren Landesbonitierungen erfüllten schon jede für sich die neuen Anforderungen

nicht, da

sie auf veralteten bodenkundlichen und betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen des 19.

Jahrhunderts beruhten,

die Bonitierungsergebnisse nach der Veränderung von Ertragsbedingungen und

Kulturarten nicht aktualisiert wurden und

die monetäre Festlegung der Ertragswerte durch veränderte Betriebswirtschaft und

Entwicklung der Technik sowie der Geldwertentwicklung überholt waren (Freund 1998).

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Abb. 1: Zusammenstellung der Grundsteuereinschätzungen in den deutschen Staaten im 19.

Jahrhundert (aus: Herzog 1937).

Das Reichsbewertungsgesetz von 1925 hatte das Ziel, in Deutschland die Steuergesetzgebung

zu zentralisieren. Auf Grund dieser Situation forderte der Deutsche Landwirtschaftsrat ein

Sachverständigen-Gutachten für eine einheitliche Reichsbonitierung der landwirtschaftlichen

Kulturböden Deutschlands (Mohr & Ratzke 2009). Das Gutachten erstellten gemeinsam Fried-

rich Aereboe (1865-1942), Georg Felber (geb. 1870), Walter Rothkegel (1874-1959) und Bert-

hold Sagawe (1883-1945) im Jahre 1925. Die Aussagen in diesem Gutachten und die Vor-

schläge für durchzuführende Maßnahmen waren ein entscheidender Impuls und somit der

Startschuss für die Konzipierung einer reichseinheitlichen Bodenbonitierung, der Bodenschät-

zung. Walter Rothkegel wurde daraufhin 1925 in das Reichsfinanzministerium als Referatslei-

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ter berufen, um in Zusammenarbeit mit seinen Mitarbeitern, insbesondere Heinrich Herzog,

und dem Reichsbewertungsbeirat entsprechende Vorarbeiten zu leisten (s. Kapitel 4).

Am 16. 10. 1934 erfolgte die Verkündung des Gesetzes über die Schätzung des Kulturbodens

(Bodenschätzungsgesetz) (Rothkegel 1935; siehe Abb. 2a und 2b). Die Schätzungsarbeiten

nahmen danach Rothkegel und Herzog unter Einschaltung des neuberufenen Reichsschät-

zungsbeirats zügig in Angriff. Bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges 1939 war bereits der größ-

te Teil der Erstschätzungen erfolgt. Sie umfassten auch die Flächen in Österreich, das 1938

dem Deutschen Reich angeschlossen wurde. Nachdem infolge des 2. Weltkriegs die Schät-

zungsarbeiten zum Erliegen gekommen waren, konnten sie ab 1946 bzw. 1948 in beiden Teilen

Deutschlands wieder aufgenommen werden. Die Erstschätzungen waren in der Bundesrepublik

bis Ende der 1960er Jahre abgeschlossen, in der DDR wurden die Schätzungsarbeiten 1955

beendet (Petersen 1956). Berlin setzte die Schätzungsarbeiten wegen des Viermächtestatus aus.

Abb. 2a: Bodenschätzungsgesetz von 1934 – Titelblatt.

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Abb. 2b: Bodenschätzungsgesetz von 1934 – erste Textseite des Gesetzes.

3 Albrecht Daniel Thaers Methodik zur Bonitierung des Bodens

Albrecht Daniel Thaer ist als der große Agrar-Reformer und als Begründer der

Landwirtschaftslehre in die Geschichte der deutschen Landwirtschaft eingegangen

(Krzymowski 1951). Er war ein Vertreter der sog. Humustheorie. „Darunter versteht man die

Lehre, daß die Pflanze ihre Nahrung aus dem Boden in Form von Humus aufnimmt.“

(Krzymowski 1951, S. 217).

In seinem mehrbändigen Hauptwerk „Grundsätze der rationellen Landwirtschaft“ (Thaer

1809-1812; Autorenkollektiv 2004) befasste sich A. D. Thaer auch mit der Bonitierung der

Böden und nannte ausdrücklich als Bewertungsparameter die Zusammensetzung

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(physikalisch/chemische Eigenschaften), den Untergrund, das Klima, die Höhenlage, die

Oberflächengestalt, die Bodenfeuchte und die potentiellen Erträge. Seine Grundzüge zur

Bonitierung hat er bereits 1810 dargelegt und dann 1813 konkretisiert. So hatte Thaer (1810,

1813, 1833; Rothkegel 1930) schon früh erkannt und erstmalig 1810 darauf hingewiesen, dass

eine genauere Bestimmung und Einteilung der Bodenarten erforderlich ist. Die Beurteilung der

Ertragsfähigkeit der Böden muss auf den physikalischen und chemischen Bodeneigenschaften,

also der Bodenzusammensetzung (Bodenarten, differenziert nach Ton-, Sand- Humus- und

Kalkanteil) begründet sein – und nicht wie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auf der Eignung

für bestimmte Kulturen. Thaer hat eine für die damalige Zeit beachtenswerte Übersicht über

die wichtigsten Bodenarten des landwirtschaftlich genutzten Bodens erstellt und gruppierte in

Sandböden (unterteilt in schlechte Sandböden mit max. 10 % Ton und lehmige Sandböden mit

10–20% Ton), Lehmböden (unterteilt in sandige Lehmböden mit 20-30% Ton und Lehmboden

mit 30-50% Ton), Tonböden (>50% Ton), Mergelböden (5-20% Kalk), Kalkböden (>20%

Kalk) und Humusböden mit > 5% Humus (Thaer 1812, S. 361-516; Rothkegel 1930, S. 114-

115). Diese 8 Bodenklassen wurden nach dem Kalkgehalt und Humusanteil in Unterklassen

weiter differenziert. Neben der Zusammensetzung muss in die Bewertung eines Bodens dessen

Tiefe eingehen, und Thaer schreibt: „Wir nehmen daher 6 Zoll als die mittlere Tiefe an, die der

Boden haben muß, wenn er fehlerfrei seyn und nicht unter dem Werthe herabsinken soll, den

wir ihm seinen Bestandteilen nach beimessen.“ (Thaer 1810, S. 120-152; 6 Zoll entspricht

maximal 18 cm).

Um die Bonitierung der Böden zu ermöglichen, hat Thaer (1813) wohl den ersten brauchbaren

Schätzungsrahmen geschaffen, der auf der natürlichen Beschaffenheit des Bodens fußt. Der

von Thaer (1813, 1833) vorgelegte Schätzungsrahmen (Ausschnitt siehe Abb. 3 und 4) war ein

wertvolles Schätzungshilfsmittel, der auch Rothkegel als Vorbild diente. In der Veröffentli-

chung von Thaer (1813, 1833) ist der Schätzungsrahmen nicht in Tabellenform gestaltet, son-

dern fortlaufend abgehandelt. Vermutlich hat Rothkegel (1930) die Tabellenform selbst entwi-

ckelt.

Thaer teilte das Ackerland auf der Basis seiner Bodenartendifferenzierung in 10 Klassen einer

sog. „Bodenklassifikation“ ein (Thaer 1813, 1833). Da er für drei Klassen noch Unterklassen

gebildet hat, liegen eigentlich 13 Klassen vor (Rothkegel 1930). Diese „Bodenklassifikation“

differenzierte Thaer (1813, 1833) weiter in die „chemische“ oder „physische“ sowie in die

„ökonomische“ Klassifikation. Für erstere kennzeichnet Thaer die einzelnen Klassen (siehe

Abb. 3 und 4) nach der Zusammensetzung (Bodenart – mit Beispielsangaben der prozentualen

Anteile von Ton, Sand, Humus und Kalk), ferner nach der Tiefe (Mächtigkeit der humosen

Krume), Zusammensetzung und Eigenschaften des Untergrundes (z. B. Durchlässigkeit), die

Lage (Geländegestalt, Überschwemmungsgefahr), Beackerung (Bearbeitungsschwere), Anbau

der Früchte, landläufige Bezeichnung für die Klasse der Böden (z.B. reicher Marsch-

Kleiboden, ausgezeichnet fruchtbarer Weizenboden) und schließlich das Vorkommen der Bö-

den (z.B. …an den besten Stellen der Weichsel- und Elbtalniederungen, selten in den Odernie-

derungen). Thaer hat in seinem Schätzungsrahmen die (auch klimatisch) verschiedensten Ge-

biete Deutschlands zusammengefasst (siehe Abb. 3 und 4), was von Rothkegel (1930) abge-

lehnt wurde.

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66

Abb. 3: Ausschnitt aus dem Schätzungsrahmen von Thaer (1833, S. 44-45).

Beispiel Klasse IX: Sand mit wenigem Humus (humusarme Sandböden) mit dem durch-

schnittlichen Reinertrag als Verhältniszahl - angegeben unter n) als Durchschnittswert von 8

(Schwankung von 6-9) der 130er Wertskala – Wiedergabe etwas gekürzt.

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Abb. 4: Albrecht Thaers Einteilung des Ackerlandes nach einer 130 gradigen Skala

(Reinertragsverhältniszahlen) nach dem Schätzungsrahmen von Thaer (1833), tabellarisch

zusammengestellt von Rothkegel (1930, S. 182-183); nur Ausschnitt abgebildet.

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In der ökonomischen Klassifikation hat er „Unter der Voraussetzung der damals üblichen

Dreifelderwirtschaft ….sodann für jede Klasse den erzielbaren Rohertrag, die aufzuwendenden

Arbeitskosten und den Reinertrag in Verhältniszahlen einer 130 gradigen Wertskala

berechnet.“(Rothkegel 1930, S. 152). Die „Normalsätze“ sind durch Schwankungsbereiche

ergänzt (z.B. Erhöhung durch tiefen verbessernden Untergrund, ausbleibende Vernässung

usw.). Zusätzlich zu seiner 130er Skala sind für die einzelnen Klassen die Verhältniszahlen

noch in Hundertsätzen (Rothkegel 1930) angegeben (Höchster Wert 100, geringster Wert 5),

allerdings sind bei Thaer (1833) diese Hundertsätze nicht ausgewiesen! Mit den von Thaer

(1833) ermittelten Verhältniszahlen kommt bereits die Affinität zu den Rothkegelschen

Bodenzahlen zum Ausdruck.

Bezüglich der Bewertung der Böden beschreibt Thaer folgende interessante Zusammenhänge:

„Die physische Agronomie wird für die ökonomische um so nutzbarer arbeiten, wenn sie durch

eingezogene historische Erkundigungen möglichst genau auszuforschen sucht, welche Ertrags-

fähigkeit die von ihr untersuchten Bodenarten haben, und in welcher ökonomischen Klasse sie

zu ordnen seyen. Die hierdurch gesammelten und verglichenen Thatsachen werden uns i n

d e r F o l g e wahrscheinlich dahin führen, daß wir geradezu bestimmen können, welchen

Ertrag jede Bodenart, deren chemischen Bestandtheile und physische Lage bekannt sind, zu

geben vermöge.“ (Thaer 1833, S. 10). Hier drückt sich auch die enorme Weitsicht aus, die A.

D. Thaer auszeichnete!

Thaer hatte bereits herausgearbeitet, welche Standortsfaktoren zur Bewertung der Böden in die

„ökonomische Klasse“ einfließen. Interessant ist Thaers Auffassung zur „ökonomischen Klas-

se“ (also die Reinertragsverhältniszahlen, die den ökonomischen Wert ausdrücken): „Denn

dieser (der ökonomische Wert) ist das Resultat seiner chemischen Bestandteile, seines Unter-

grundes, seiner trockenen oder feuchten Lage, seines Düngungszustandes und des Klimas,

welches unzählige Unterabtheilungen erfordern würde.“ (Thaer 1833, S. 9). Thaer hat durch-

aus die Bedeutung des Klimas für die Bonität des Ackerlandes erkannt, jedoch war es in der

damaligen Zeit nicht möglich, mit Hilfe von Klimadaten eine klimatisch determinierte Diffe-

renzierung der Bonitierung vorzunehmen.

Thaer legte einen Schätzungsrahmen für Ackerland vor, für Wiesen und Weiden gab es von

ihm keine Entsprechung. Die Bewertung der Wiesen hielt er für schwierig, insbesondere die

Beurteilung der Wasserverhältnisse. Die Bonitierung der Wiesen sollte nach Thaer (1833) mit

Hilfe des Heuertrags mehrerer Jahre erfolgen. Die Weiden sollten nach der Bonitierung des

Ackerlandes bewertet werden. Deshalb sind in seinem Schätzrahmen für Acker auch die Rein-

ertragsverhältniszahlen bei Weidenutzung angegeben. Dabei ließ er sich davon leiten, „wie viel

Vieh gewisser Art auf der natürlichen Weide seine zureichende Nahrung findet…..“(Thaer

1833).

Zusätzlich hat Thaer (1813, 1833) die Entfernung des Hofes vom „sichersten und vorteilhaf-

testen Markt“ (von Rothkegel, 1930, als „äußere Verkehrslage“ übernommen) sowie die Ent-

fernung der Ackerstücke vom Hof (sog. innere Verkehrslage nach Rothkegel 1930) in die Be-

wertung einfließen lassen. Wurden die aus bestehenden Beispielen für jede Bodenklasse zu-

grunde gelegten Normalsätze unter- oder überschritten, gab es prozentuale Zu- oder Abschläge

von den Reinertragszahlen. Im Prinzip wandte später auch Rothkegel (1930) die gleiche Ver-

fahrensweise an.

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Thaer hat auch ausführlich die Durchführung der Abschätzung des Ackerlandes beschrieben.

Er wies auf die Notwendigkeit der Vermessung des Ackerlandes hin und hielt eine Leitung als

„Dirigent des Geschäfts“ für erforderlich (Thaer 1833, S. 8). Das Protokollieren der Abschät-

zung, die Verfahrensweise bei Widersprüchen und andere Durchführungsvorschriften werden

ausführlich erläutert (Thaer 1833). Auch die Offenlegung der Taxergebnisse ist von Thaer

(1833) bereits geregelt, und er schreibt dazu: „Das Bonitierungsprotokoll und die Taxe – oder

wenn eine allgemeine Taxation nicht nöthig befunden wäre – die Ausgleichungssätze mit ihrer

Anwendung auf jeden speziellen Fall nach der Wichtigkeit des Gegenstandes vierzehn Tage bis

vier Wochen an einem dazu bestimmten Orte zu jedermanns Einsicht offen, und daß sie dort

vorliegen, wird von der Commission auf eine angemessene Art bekannt gemacht.“ (Thaer

1833, S. 114).

Für die Bonitierung hielt bereits Thaer (1833) Vergleichsflächen für erforderlich, die in den

Feldfluren den „Normalboden“ für jede Klasse der Bodenarten repräsentieren, auf die in zwei-

felhaften Fällen verwiesen werden sollte. Auch dieser methodische Ansatz findet sich bei Rot-

hkegel (1930) in den „Musterstücken“ wieder.

Thaer (1833) forderte auch eine einheitliche Sprache (Bodenansprache) bei der Bonitierung

und schreibt dazu: „Die Bodenklassen oder die Bonitierungsgrundsätze waren zu unbestimmt

und die Begriffe davon in den verschiedenen Districten zu wenig übereinstimmend.“ Diese

Forderung ist teilweise noch heute in der Bodenkunde aktuell!

Die Bonitierung des Ackerlandes nach der Methodik von Thaer (1813, 1833) war gemäß dem

Kenntnis- und Anschauungsstand der damaligen Zeit – mehr als 100 Jahre vor der Konzipie-

rung der Reichsbodenschätzung – eine revolutionierende Leistung auf dem Agrarsektor! Die in

den Folgejahren vorgelegten Schätzmethoden bzw. Schätzungsrahmen von Koppe, Flotow, von

der Goltz, Block, Pabst, Settegast u. a. bauten letztlich auf Thaers Vorschlägen auf. Auch die

Methodik der Reichsbodenschätzung lehnt sich eng an Thaers (1813, 1833) Vorarbeiten an,

und seine Ideen wurden von den Schöpfern der Reichsbodenschätzung aufgegriffen.

Der Begründer der wissenschaftlichen Bodenbonitierung (Bodenschätzung) in Deutschland

war Albrecht Daniel Thaer! Mit der Konzipierung der Reichsbodenschätzung wurde die Me-

thodik von Thaer zur Bonitierung des Bodens weiter ausgebaut, ergänzt, verbessert sowie den

Anforderungen und dem Wissensstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts angepasst. Das betrifft

im Wesentlichen folgende Inhalte und Sachverhalte:

Erarbeitung unterschiedlicher Schätzungsrahmen für Ackerland und Grünland;

stärkere Untergliederung der Körnung des Bodens (statt der von Thaer definierten Boden-

arten nach Ton-, Sand-, Kalk- und Humusgehalt wurden stärker differenzierte Körnungsar-

ten – spezifiziert nach Gruppen der „geologischen Herkunft“ – als Klassifizierung zugrun-

de gelegt; stärkere Berücksichtigung des Skelettgehalts;

Berücksichtigung der Klimaverhältnisse (Bezug auf das Klima der Magdeburger Börde,

Abweichungen erhielten Zu- oder Abschläge);

Bodenbewertung bis zu einer Tiefe von 1 m unter Flur (Ausweisung einer Durchschnitts-

bodenart);

Berücksichtigung bodengenetischer Prozesse sowie der Erkenntnisse über Bodentypen

(Stremme 1930; Wolf, v. Bülow u. Görz 1933) bei der Bewertung durch Einführung von

Zustandsstufen;

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Trennung zwischen einer Bewertung des Bodens durch Ausweisung von Boden- bzw.

Grünlandgrundzahlen sowie der Berücksichtigung von Zu- oder Abschlägen zur Bewer-

tung weiterer Standortsfaktoren (Klima, Relief, Wasserverhältnisse) durch Ausweisung

von Acker- bzw. Grünlandzahlen;

Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre und

der Taxationswissenschaft (Petersen 1934; Rothkegel 1935; Mohr & Ratzke 2009).

4 Methodik zur Einheitsbewertung und Bodenschätzung – erarbeitet von

Walter Rothkegel mit dem Reichsbewertungsbeirat

Walter Rothkegel wurde 1925 der verantwortliche Leiter für die Konzipierung und

Durchführung der reichseinheitlichen Bodenschätzung. Mit der zunehmend zentralisierten

Steuergesetzgebung erhielt die von Rothkegel (1930) vertretene Schätzungslehre großen

Auftrieb. Für seine Aufgaben konnte Rothkegel das Wissen und die Erfahrungen der deutschen

Länder (siehe Abb. 1) bei der Durchführung der jeweiligen Schätzungen nutzen. So lag z. B.

bereits seit 1900 von T. Eichholtz ein prägnantes Werk über Die Bodeneinschätzung auf der

Basis der dafür in Preußen erlassenen Bestimmungen vor (Eichholtz 1900). Neben den

geologischen und bodenkundlichen Grundlagen für die Bodenbewertung werden in diesem

Buch die Einschätzungen der landwirtschaftlichen Nutzflächen ausführlich erläutert. Darüber

hinaus gab es auch bereits Schätzungshilfsmittel, wie Schätzungsrahmen. Diese hatten jedoch

keine allgemeine Anerkennung gefunden (das betrifft z. B. auch die Ackerklassifikation nach

Johann G. Koppe (1782-1863) sowie die Ackerklassen nach Aereboe, zit. in Rothkegel 1930).

Aereboe (1924) wollte nur Schätzungsrahmen für kleinere Schätzungsbezirke. Der neu

erarbeitete Schätzungsrahmen der Reichsfinanzverwaltung (Abb. 5) musste jedoch erstmalig

für das gesamte Reichsgebiet mit den unterschiedlichsten natürlichen und ökonomischen

Boden- und Standortbedingungen erstellt werden, und damit waren erstmalig die

Wertverhältnisse eines so großen und verschiedenartigsten Gebiets….miteinander in Beziehung

zu bringen und gegeneinander abzuwägen (Rothkegel 1930). Das Verfahren der

Reichsfinanzverwaltung wurde bereits 1928 von Rothkegel und Herzog publiziert.

Im Schätzungsrahmen des Reichsfinanzministeriums aus dem Jahre 1928 (Abb. 5) werden 8

Bodengruppen ausgewiesen, die nach den Bodenarten unter Berücksichtigung des

Humusanteils, nach der Krumentiefe (in Spannen), dem Tongehalt (und dessen

Schwankungsbereich) gekennzeichnet sind. Für diese 8 Bodengruppen – jeweils nach Körnung

und Humusgehalt durch 3 bis 5 Untergruppen unterteilt – wird der durchschnittliche Reinertrag

in Verhältniszahlen – den sog. Bodenzahlen – im Schwankungsbereich und im Mittel

angegeben. Der Schätzungsrahmen der Reichsfinanzverwaltung des Jahres 1928 hielt sich

bezüglich der Differenzierung der Bodenarten mit Hilfe der Körngrößenzusammensetzung

(Tongehalt) und des Humusgehalts sowie mit dem Kriterium der Krumentiefe noch eng an das

Thaer´sche Vorbild.

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Abb. 5: Schätzungsrahmen des Bewertungsbeirates der Reichsfinanzverwaltung von 1928

(aus Rothkegel & Herzog 1928).

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Für die Ausarbeitung des Schätzungsrahmens wurden die Betriebe nach Bodenbeschaffenheit,

Betriebsgröße, Verkehrslage, Betriebssystem und Wirtschaftsintensität gruppiert. Weiterhin war

es auf Grund der großen Mannigfaltigkeit der landwirtschaftlichen Verhältnisse erforderlich,

die Betriebe nach Wirtschaftsgebieten zu ordnen, in denen etwa die gleichen wirtschaftlichen

und klimatischen Bedingungen vorliegen. In jedem Wirtschaftsgebiet mussten die Betriebe zu

Gruppen aggregiert werden. Die Charakterisierung der Betriebsgruppen erfolgte mittels des

Normal- oder Idealtyps (Rothkegel 1930). Für den Bewertungsbeirat war es unzweckmäßig,

für die verschiedenen Gebiete des Reichs gesonderte Schätzungsrahmen aufzustellen. Die

damals noch unterentwickelte Betriebsstatistik ließ es nicht zu, für alle im Reich infrage

kommenden Ertragsverhältnisse Normaltypen herauszuarbeiten. Das sollte nach Rothkegel

(1930) aus damaliger Sicht eine unumgängliche Zukunftsaufgabe sein. So schreibt er: „…denn

ein in jeder Hinsicht vollständiger und befriedigender Schätzungsrahmen, der das ganze Reich

umfasst, wird sich erst ausarbeiten lassen, wenn die landwirtschaftliche Buchführung und

Betriebsstatistik bei uns einen noch höheren Stand erreicht haben wird.“ (Rothkegel 1930, S.

301 – 302).

Der 1928 herausgegebene Schätzungsrahmen der Reichsfinanzverwaltung (s. Abb. 5) wurde

von Herzog strukturiert, weiter entwickelt und vervollkommnet mit den Entstehungsarten D,

Al, Lö, V, Vg. Dadurch erfolgte eine Unterteilung der Bodenarten nach lithologischen (und

damit auch mineralogischen) Gruppen. Somit erhielt die Differenzierung nach der

Korngrößenzusammensetzung durch die Einführung der Entstehung („geologische Herkunft“)

eine neue Qualität! Die zusätzliche Unterscheidung der Bodenart nach Humus- und Kalkgehalt

ist im neu strukturierten Schätzungsrahmen nicht mehr enthalten. Diese Parameter werden bei

der Bodenschätzung zwar erfasst, aber letztlich gehen diese nicht mehr unmittelbar in die

Bodenart sondern teilweise in die Zustandsstufe ein. Die 7 Zustandsstufen wurden – als

Zugeständnis für die Kritik von bodengenetischer Seite – nach Vorschlägen von Wolff, v.

Bülow und Görz 2)

(zit. bei Freund 1998; siehe auch Görz 1930) eingeführt. Der endgültige

Schätzungsrahmen – getrennt für Acker- und Grünland – wurde 1935 bekannt gegeben und

verbindlich (s. Abb. 6a und 6b). Korrekturen zu den Schätzungsrahmen und zum

Verfahrensverlauf erfolgten nach der Felderprobung durch ergänzende Vorschriften bis ca.

1939.

Den Acker- und Grünlandschätzungsrahmen kennzeichnen im Aufbau sowie in der Auswahl

und Anzahl der zu bewertenden Parameter folgende Unterschiede (Tab. 1; siehe auch Abb. 10).

2)

Für seine Aufgaben hielt Rothkegel auch enge Kontakte mit den Bodenkundlern der damali-

gen Zeit [u. a. mit Hermann Stremme (1879-1961)] sowie mit Vertretern der bodenkundlich-

geologischen Arbeitsrichtung in der Preußischen Geologischen Landesanstalt, wie K. V.

Bülow, G. Görz und W. Wolff.

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Abb. 6a: Schätzungsrahmen des Bodenschätzungsgesetzes für Acker (aus Rösch & Kurandt

1941, S. 40).

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Abb. 6b: Schätzungsrahmen des Bodenschätzungsgesetzes für Grünland (aus Rösch & Kurandt

1941, S. 52).

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Tabelle 1: Kriterien des Acker- und Grünlandschätzungsrahmens (nach Petzold 2010).

Parameter Ackerland Grünland

Bodenarten

(besser Körnungsarten) 9 5

Entstehungen

(geologische Herkunft) 5 entfällt

Zustandsstufen (Acker)

Bodenstufen (Grünland) 7 3

Klimastufen entfällt 4

Wasserstufen entfällt 5

Wertzahlenklassen

Reinertragsverhältniszahlen

Bodenzahlen

7 - 100

Grünlandgrundzahlen

7 - 88

Die von der Bodenschätzung ermittelten Parameter werden – wie von Rothkegel vorgesehen –

im Schätzungsrahmen miteinander verknüpft sowie die Ertragsfähigkeit durch Wertzahlen zum

Ausdruck gebracht. Dabei sind diese Wertzahlen Verhältniszahlen, die die Unterschiede des

bei allgemein üblicher und ordnungsgemäßer Bewirtschaftung nachhaltig erzielten Reinertrags

in Bezug auf die natürliche Ertragsfähigkeit des Bodens als Bodenzahlen bzw. Grünlandgrund-

zahlen wiedergeben. Die Verknüpfung der Bewertungskriterien ist dabei genial gelöst und

wurde bisher für andere Boden-Bewertungsziele nicht wieder erreicht bzw. ist nicht in derarti-

ger Breite zur Anwendung gekommen. Weitere Standortsparameter (z. B. Klima bei Acker-

land, innere und äußere Verkehrslage) werden durch Zu- oder Abschläge von den ermittelten

Bodenzahlen bzw. Grünlandgrundzahlen berücksichtigt, so dass als Ergebnis der Bodenschät-

zung Ackerzahlen bzw. Grünlandzahlen ausgewiesen werden. Nach dem Grünlandschätzungs-

rahmen erfolgt die Bonitierung abweichend vom Ackerschätzungsrahmen durch stärker aggre-

gierte Körnungsarten, Bodenstufen, Klimagruppen und durch Differenzierung der Wasserver-

hältnisse in 5 Stufen (s. Abb. 10). Thaer (1813, 1833) hatte auf die Schwierigkeit zur Erfassung

der Wasserverhältnisse auf Wiesen herausgestellt. Dieses Problem haben Rothkegel und Her-

zog – wenn auch nicht kritiklos – gelöst.

Als Vergleichsbetrieb für das gesamte Reich hätte man einen Idealbetrieb, bei dem alle Vorzü-

ge zusammentreffen, konstruieren können, um diesen als Ausgangspunkt zu nehmen. Dem

Bewertungsbeirat unter der Leitung von Rothkegel erschien es aber einfacher, statt eines künst-

lichen Betriebes einen ganz bestimmten existierenden Betrieb auszusuchen, bei dem die neben

der Bodenbeschaffenheit für den Reinertrag mitwirkenden Faktoren nicht allzu weit vom Mit-

tel entfernt liegen. Dafür wurde ein in der Magdeburger Börde in der Gemeinde Eickendorf

liegender Betrieb bestimmt. Die Magdeburger Börde galt damals als das ertragreichste Boden-

gebiet Deutschlands und Rothkegel schreibt: „Die Börde weist darum für eine ganze Reihe der

wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturpflanzen regelmäßig die höchsten Ernten auf, die in

Deutschland überhaupt vorkommen, und zwar nicht nur in Menge, sondern auch der Beschaf-

fenheit nach. Das angebaute Getreide liefert durchweg vortrefflich ausgebildete Körner, und

die Zuckerrüben haben den höchsten Zuckergehalt. Die klimatischen Verhältnisse der Börde

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sind darum für den dort vorkommenden Lößboden als besonders günstig anzusehen.“ (Roth-

kegel 1930, S. 213).

Außerdem lagen für das Bördegebiet besonders zuverlässige betriebliche Unterlagen vor, wel-

che die Reinertragsberechnungen ermöglichten. Der Landwirtschaftsbetrieb der Witwe Else

Haberhauffe (Eigentümerin des Hofes bis 1938; jedoch ab 1925 von ihrem Schwiegersohn

Willy Jäger bewirtschaftet) wurde somit Reichsspitzenbetrieb mit den höchstbewerteten Böden

Deutschlands. Nach Jannermann (2011) begann die Suche des Bewertungsbeirats nach Ver-

gleichsbetrieben bereits 1925 mit reiner fiskalischer Absicht (Einheitswert) im Zusammenhang

mit der Bildung der landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebiete innerhalb der Länder. Dazu wur-

den zunächst die Wirtschaftsgebiete nach bisheriger Einschätzung (Bonitierungen von vor

1925 und Ertragssteuererfahrungen) klassifiziert. Dabei kam die Magdeburger Börde mit dem

Wirtschaftsgebiet Magdeburg I und dem (damaligen) Kreis Calbe, zu dem Eickendorf zählte,

an die erste Stelle. Bei der Auswahl der Vergleichsbetriebe spielten neben vorangegangenen

Bonitierungen eine mittlere bäuerliche Betriebsgröße (Gruppe 20 – 50 ha bevorzugt), eine

arrondierte Lage (Flächen im Umkreis vom Hof bis 1 km), gute Infrastruktur (Verkehrs- und

Absatzverhältnisse), betriebstypische Kapitalausstattung und gute Bewirtschaftung sowie keine

auffallende Schuldenbelastung eine entscheidende Rolle. Jannermann (2011) vermutet, dass

neben all diesen zutreffenden Kriterien vor allem die arrondierte Lage des Betriebes Haber-

hauffe den Ausschlag für dessen Auswahl gab. Die Vergleichsbetriebe wurden bereits 1926 im

Reichssteuerblatt (Gesetzblatt Nr. 14 v. 11. Mai 1926) veröffentlicht. Der Betrieb Haberhauffe

in Eickendorf steht dabei mit der ausgewiesenen Ertragsfähigkeit von 100 an erster Stelle. Dem

Spitzenbetrieb und weiteren Vergleichsbetrieben in den Ländern und Kreisen kam eine Bei-

spiels- und Maßstabsfunktion zu. Von diesen Betrieben leitete sich die Bewertungszahl aller

anderen Betriebe ab. Bei der 1964er Einheitsbewertung waren sie nur noch Hauptbewertungs-

stützpunkte, die als besondere Bewertungsbeispiele dienten.

Bei der Konzipierung und Vorbereitung der Bodenschätzung spielte der vom Reichsminister

der Finanzen 1934 zu seiner Unterstützung berufene Reichsschätzungsbeirat als Zentralinstanz

des Reichsfinanzministeriums eine herausragende Rolle. Rothkegel übte darin die ständige

Vertretung des Ministers sowie die Leitung aus. Dem Reichsschätzungsbeirat oblagen dabei die

Schätzung der Musterstücke der Bodenschätzung sowie die Bewertung der zahlreichen

Vergleichs- und Einreihungsbetriebe. Auf den dazu notwendigen ausgedehnten Reisen lernte

Rothkegel die Vielfalt der Böden in Deutschland kennen (Rothkegel 1930). In den

Reichsschätzungsbeirat (15 Mitglieder, außerdem 8 Forstwirte) wurden sowohl Landwirte als

auch Agrarwissenschaftler (z. B. B. Sagawe, Breslau; W. Woermann, Halle und Göttingen) und

Geologen (G. Görz, Berlin; A. Hock, München) berufen.

Obwohl im Bodenschätzungsgesetz von 1934 nur die Schätzung der landwirtschaftlich

nutzbaren Flächen (siehe Abb. 2a und 2b) festgeschrieben ist, war ursprünglich vorgesehen,

auch die Forstflächen mit einzubeziehen. Deshalb wurden ab 1937 zur Mitarbeit im

Reichsschätzungsbeirat acht Forstwissenschaftler mit besonderen Erfahrungen auf dem Gebiet

der Bodenkunde benannt, so u. a. Karl Abetz (Freiburg), Friedrich Karl Hartmann (Hann.-

Münden), Gustav A. Krauss (München) (Freund 1998). Zur Forcierung der vorgesehenen

Bewertung der Forstflächen hatte Rothkegel Hartmann aufgefordert, „Vorschläge über die

Durchführung der Bodenschätzung in der Forstwirtschaft im einzelnen auszuarbeiten, um auf

diese Weise eine Erörterungsgrundlage über das Vorgehen im einzelnen zu schaffen.“

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(Hartmann 1936, S. 3). In seiner Schrift „Zur Durchführung des Bodenschätzungsgesetzes…“.

analysiert Hartmann (1936) die Anwendbarkeit der Methoden der Bodenschätzung auf

Forststandorte. Einen Forst-Schätzungsrahmen wollte er nach Bodenarten, Bodentypen und

Zustandsstufen, Entstehungsarten (geologische Herkunft), Steingehalt und Grobkörnigkeit,

Wasserverhältnisse sowie Klima und Lage gliedern. Er schlussfolgerte: „Das Verfahren lässt

sich im Rahmen der bisherigen Erörterungen unter Zugrundlegung des erwähnten

Waldlandschätzungsrahmens sinngemäß auf die Schätzung der Waldböden übertragen, soweit

nicht in Spezialfällen ergänzende Anweisungen zweckmäßig werden.“ (Hartmann 1936, S. 42).

Trotz dieser positiven Aussage zur Anwendung und Durchführung der Bodenschätzung in den

Forsten wurde sie nicht in Gang gesetzt. Das Reichsfinanzministerium und der

Reichsschätzungsbeirat kamen nämlich zu der Erkenntnis, dass der Ertragswert einer

Forstfläche nicht in erster Linie vom Boden und weiteren Standortbedingungen abhängig ist,

sondern ganz wesentlich durch den Bestand an aufstehendem Holz, sein Alter, seine

Ertragsklasse, den Wert und die Umtriebszeit beeinflusst wird. Nach dem 2. Weltkrieg ging die

Forstwirtschaft in Deutschland eigene Wege, und in den Ländern wurden meistens

unterschiedliche Kartierungs-Verfahren konzipiert und realisiert. Für Ostdeutschland (Gebiet

der neuen Bundesländer) liegt hingegen eine einheitliche forstliche Standortserkundung mit

Standortskarten i. M. 1:10 000 vor (Kopp & Schwanecke 1994).

Von richtungweisender Bedeutung war das Bodenschätzungsgesetz auch für das deutsche

Vermessungswesen, denn „Es ist der Anstoß zur Mobilisierung des Katasterkartenwerks und

zur völligen Umarbeitung unserer bisherigen Kataster ….und zur Schaffung des Reichskatas-

ters, des neuen Liegenschaftskatasters…“ (Dräger 1960).

5 Würdigung der Leistungen Rothkegels zur Durchsetzung der Reichsbodenschätzung

in Deutschland

Mit dem im Oktober 1934 verabschiedeten Bodenschätzungsgesetz (Abb. 2a und 2b) ist der

Name Walter Rothkegel untrennbar verbunden. Rothkegel hat in der langen Vorbereitungszeit

das wissenschaftliche Fundament dieses Gesetzes zusammen mit seinen Mitarbeitern, vor

allem Heinrich Herzog, gelegt. Die Gesetzesformulierung von 1934 geht im Wesentlichen auf

die Initiativen von Rothkegel und Herzog zurück. Nach dem offiziellen Beginn der

Bodenschätzung hat Rothkegel im Reichsfinanzministerium als verantwortlicher Referatsleiter

im Range eines Ministerialrats bis 1945 gewirkt. Seine Mitarbeiter waren H. Herzog, R.

Schlüter, W. Metzner und W. Taschenmacher (Freund 1998). Rothkegel war also der „Chef“

der Bodenschätzung.

Für die Schaffung einer reichseinheitlichen landwirtschaftlichen und gärtnerischen

Betriebsbewertung war eine einheitliche Bodenbonitierung Voraussetzung. Deutschland

verfügte nicht über eine großmaßstäbige Bodenkartierung, die den Anforderungen einer

Ertragsbonitierung genügte. Es ist das Verdienst von W. Rothkegel, das er erstmalig und bisher

einmalig eine einheitliche Bodenbonitierung und damit zugleich auch großmaßstäbige

Bodenkartierung für Deutschland durchgesetzt und flächendeckend realisiert hat.

Die Bodenschätzung wird in Deutschland nun bereits seit fast 78 Jahren nach der gleichen

Methodik durchgeführt, zählt man die Vorbereitungsjahre seit 1925 dazu, so kann man das

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„Alter“ der Bodenschätzung mit 86 Jahren angeben! Das Bodenschätzungsgesetz ist in

Deutschland das einzige auf den Boden bezogene Gesetz mit solch einer langen Gültigkeit. Die

2007 erfolgte Novellierung des Gesetzes hatte keine Auswirkungen auf die Methodik der

Bodenschätzung. Rothkegel war es vergönnt, seine damaligen Vorstellungen einer Symbiose

zwischen Ökonomie und Naturwissenschaft in einem Gesetz und damit verbindlich

umzusetzen. Das war vorher noch nicht gelungen. Dabei beabsichtigte Rothkegel nicht nur, die

standortbedingten finanziellen Ertragsunterschiede zu erfassen, sondern er kalkulierte schon

vom Ansatz her die wirtschaftliche Dynamik ein und forderte entsprechende Überprüfungen.

Diese auch gesetzlich verankerten Nachschätzungen und Novellierungen wurden jedoch nur

unvollkommen realisiert.

Der Erfolg der Bodenschätzung ist letztlich ein großer Erfolg der Ideen und der Initiative von

Rothkegel. Dieser Erfolg fußt vor allem auf 3 Prinzipien:

Einheitlichkeit: Die Arbeiten wurden trotz aller Kritik an der Methodik – und vielleicht

auch trotz des (zwar nicht belegten, aber zu vermutenden) Unwillens über die „zentrale

Durchführung und Steuerung“ der Bodenschätzung – in allen Ländern Deutschlands

einheitlich praktiziert! Dies wurde in anderen bodenkundlichen Kartenwerken mittlerer

und großer Maßstäbe bisher nicht flächendeckend erreicht. Die deutschlandweit

einheitliche Durchführung der Bodenschätzung ist ein entscheidendes Verdienst

Rothkegels.

Einfachheit: Die Ergebnisse der Bodenschätzung sind leicht überschaubar und insbeson-

dere auch auf die Akzeptanz in der landwirtschaftlichen Praxis abgestimmt. Die Boden-

schätzung hat damit schnell in verschiedene Bereiche der Bodennutzung Eingang gefun-

den. Mit Hilfe der Ergebnisse der Bodenschätzung kann jeder Boden mit einer einzigen

Zahl hinsichtlich seiner Ertragsfähigkeit charakterisiert werden. Rothkegel hatte von An-

fang an auf die Verständlichkeit der Arbeiten Wert gelegt und sich bewusst auf wesentli-

che Bodenmerkmale beschränkt.

Perfekte Organisation der Durchführung im damaligen Reichsgebiet: Nur die perfekte

Organisation bei der Realisierung der Bodenschätzung konnte deren Einheitlichkeit und

Vergleichbarkeit garantieren und den Abschluss der Schätzungsarbeiten – trotz Unterbre-

chung durch den 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit – in einem relativ kurzen Zeitraum

von etwa 20 Jahren absichern. Von diesen 20 Jahren zwischen 1934 und 1955 konnten

aufgrund des Krieges und des Nachkriegschaos letztlich nur etwa 10 Jahre für die Schät-

zung genutzt werden. Immerhin wurden im genannten Zeitraum in Deutschland etwa 17

Mill. ha kartiert und außerdem 4 534 rechtsverbindliche Musterstücke und etwa 20 Mill.

Grablochbeschriebe dokumentiert, nicht eingerechnet ist dabei die bis Kriegsende erfolgte

Bodenschätzung in den ehemals deutschen Ostgebieten und in Österreich. Zur Durchfüh-

rung wurden Technische Anweisungen erlassen, in denen Einzelheiten des Vorgehens vor-

geschrieben sind.

Ein weiteres Verdienst von W. Rothkegel ist die von Anbeginn an festgeschriebene Ausrichtung

der Bodenschätzung auch für die nichtsteuerliche Auswertung und Anwendung der Ergebnisse.

Diese im Bodenschätzungsgesetz verankerte bodenkundliche Zielstellung (§1 des Gesetzes;

siehe Abb. 2b) ist zweifelsohne die Idee von W. Rothkegel. Bereits 1938 erschienen die

„Richtlinien für die Nutzbarmachung der Ergebnisse der Bodenschätzung für nichtsteuerliche

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Zwecke“ (s. Abb. 7). In diesen Richtlinien ist ausgeführt, dass aus den Ergebnissen der

Bodenschätzung sowohl eine großmaßstäbige (i. M. 1:1.000 – 1:5.000) als auch eine

Übersichtskarte i. M. 1:25.000 erstellt werden sollte: „Die großmaßstäbliche Bodenkarte soll

eine eingehende und restlose Darstellung der bei der Bodenschätzung festgelegten

Bodeneigenschaften bringen... Die kleinmaßstäbliche Bodenkarte soll einen Überblick über die

bodenkundlichen Verhältnisse eines größeren zusammenhängenden Gebiets geben.“ (aus den

Richtlinien für die Nutzbarmachung der Ergebnisse der Bodenschätzung für nichtsteuerliche

Zwecke).

So waren die letzten Jahre Rothkegels amtlicher Tätigkeit im Finanzministerium ausgefüllt mit

Vorarbeiten für ein umfassendes Bodenwerk in den genannten Maßstäben, das eine Darstellung

der Bodenverhältnisse in Deutschland auf der Grundlage der Ergebnisse der Bodenschätzung

sein sollte. Leider haben der 2. Weltkrieg und der Zusammenbruch 1945 die Weiterarbeit an

diesem Werk unmöglich gemacht. Lediglich für Teile von Brandenburg und Bayern wurden

nach 1945 Bodenschätzungskarten i. M. 1:25.000 (Übersichtskarten im Sinne von Rothkegel)

erstellt. Als Beispiel für eine nach Abschluss der Bodenschätzung erarbeitete großmaßstäbige

Bodenkarte soll die für Nordrhein-Westfalen flächendeckend vorliegende „Bodenkarte auf der

Grundlage der Bodenschätzung i. M. 1: 5.000“ genannt werden (Arens 1960).

Mit der Vorbereitung und Realisierung der Bodenschätzung hatte Rothkegel seine

Lebensaufgabe gefunden, der er bis zu seinem Tode treu geblieben ist und für die er durch

zahlreiche Schriften und Vorträge unermüdlich in der Öffentlichkeit gewirkt hat. Rothkegel

„war ein hervorragender Organisator mit großem Durchsetzungsvermögen, Beharrlichkeit und

gutem Durchblick. Er war hochintelligent und von nüchterner praxisrelevanter Logik,

andererseits auch ein sehr bescheidener Mensch. … Er verstand es, Spezialisten einzubeziehen

und durch Auswertung neuester naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zur Standortansprache

ein praktikables ökonomisches Taxsystem aufzubauen, welches schon zu seiner Zeit Praktiker

und Behörden überzeugte.“ (Jannermann 2011).

Zur Würdigung der Leistungen Rothkegels ist weiterhin anzuführen, dass er seit 1922 bis in die

50er Jahre – lediglich unterbrochen von 1945 bis 1947 – einen Lehrauftrag an der

Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin und später an der Technischen Hochschule bzw.

Technischen Universität Berlin hatte. Er hielt Vorlesungen über „Schätzungslehre für

Grundbesitzungen.“

Mit zahlreichen Publikationen in wissenschaftlichen Fachorganen und in land- und

forstwirtschaftlich praxisnah ausgerichteten Zeitschriften sowie mit der Herausgabe mehrerer

Bücher hat sich Rothkegel nationale und internationale Anerkennung als Bodenkundler,

Taxator und Wirtschaftswissenschaftler erworben. Diese Kombination der wissenschaftlichen

Kompetenz für die genannten Fachbereiche ist sicher äußerst selten, sie war jedoch der

Schlüssel für den Erfolg Rothkegels. Er hat eine große Zahl von Veröffentlichungen verfasst.

Altermann, Freund, Capelle und Betzer (2012) konnten mehr als 60 Titel in seiner

Bibliographie belegen.

Bis etwa 1912 erörterte er in seinen Publikationen im Wesentlichen die Preise

landwirtschaftlicher Betriebe und Erzeugnisse, danach bildeten die Neuregelung des

Taxwesens, das Schätzungswesen und die Problematik der steuerlichen Veranlagung von

Landwirtschaftsbetrieben den Schwerpunkt seiner Veröffentlichungen.

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Abb. 7: Richtlinien für die Nutzbarmachung der Ergebnisse der Bodenschätzung für

nichtsteuerliche Zwecke (Titelblatt).

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In seiner Dissertation befasste er sich mit den Bodenpreisen. Sein erstes grundlegendes Werk

legte er 1928 zusammen mit Herzog über „Das Verfahren der Reichsfinanzverwaltung bei der

Bewertung landwirtschaftlicher Betriebe“ vor. Bald danach erschien sein zweibändiges

Hauptwerk als Lehrbuch und „Handbuch der Schätzungslehre für Grundbesitzungen. Für

Studierende, praktische Land- und Forstwirte, Finanz- und Katasterbeamte, Kreditanstalten,

Grundstücksmakler usw.“ In den Folgejahren erschienen mehrere Beiträge – z. T. zusammen

mit Herzog – über das Bodenschätzungsgesetz (Kommentare und Erläuterungen). Interessant

ist sein Beitrag von 1938 über „Die Verwendung der Ergebnisse der Bodenschätzung für

Planungszwecke.“ Auch 1944 und 1951 hat er sich in Beiträgen mit der wissenschaftlichen

Auswertung der Bodenschätzung auseinandergesetzt. Auf Kritiken zur Bodenschätzung seitens

der Bodenkunde ist er in mehreren Artikeln eingegangen. Die bedeutendsten Veröffent-

lichungen von Walter Rothkegel sind nachfolgend aufgelistet:

Handbuch der Schätzungslehre für Grundbesitzungen. Für Studierende, prakt. Land-

u. Forstwirte, Finanz- u. Katasterbeamte, Kreditanstalten, Grundstücksmakler usw.,

P. Parey, Berlin

Band 1: Die wirtschaftswissenschaftlichen Grundbegriffe und die theoretische und

praktische Schätzungslehre der Landwirtschaft. 1930

dito Band 2: Die theoretische und praktische Schätzungslehre der Forstwirtschaft.

1932

Grundriß der forstlichen Schätzungslehre. Verlag P. Parey, Berlin/Hamburg 1949

Geschichtliche Entwicklung der Bodenbonitierungen und Wesen und Bedeutung der

deutschen Bodenschätzung. E. Ulmer, Stuttgart 1950

Landwirtschaftliche Schätzungslehre. E. Ulmer, Stuttgart, 2. Aufl. 1952

Das 1930 (1. Band) und 1932 (2. Band) herausgegebene „Handbuch der Schätzungslehre“ ist

Rothkegels bedeutendste Veröffentlichung und das Ergebnis einer mehr als 20-jährigen

Beschäftigung mit Schätzungsfragen. Es ist ein umfassendes Werk des Schätzungswesens für

Unternehmungen (Landwirtschafts-, Weinbau-, Forst-, Fischereibetriebe, Gärtnereien und

Unternehmungen des städtischen Grundbesitzes), die als sogenannte Bodenwirtschaften den

Boden bzw. „die mit ihm verbundenen Stoffe und Kräfte“ als Produktionsmittel bzw. als

Standort nutzen. Bei diesen Betrieben kommt es darauf an, die Ertragsfähigkeit eines Bodens

richtig abzuschätzen (Rothkegel 1930). Dabei versteht Rothkegel unter der Schätzungslehre ein

Wissensgebiet, das sich mit der Wertermittlung von wirtschaftlichen Unternehmungen im oben

genannten Sinne (ohne Handelsbetriebe) befasst.

Der theoretische Teil seines Handbuches hat enzyklopädischen Charakter, da sich der Verfasser

mit den verbreiteten Lehransichten auseinandersetzt. Ausführlich stellt er „Die Bedingungen

für die Höhe des Reinertrags von landwirtschaftlichen Betrieben“ dar. Die Naturbedingungen

werden ausführlich abgehandelt. Dabei berücksichtigt er eingehend die Parameter zur

Kennzeichnung der Bodenbeschaffenheit und des Klimas unter Verwendung umfangreicher

Klimatabellen. Neben diesen Naturbedingungen müssen auch die wirtschaftlichen

Ertragsbedingungen, wie z. B. Betriebsgröße, innere und äußere Verkehrslage in eine

Schätzung mit einfließen. Ausführlich und bisher einmalig sind im Buch von Rothkegel (1930)

die in den einzelnen deutschen Staaten bis zur Reichsbodenschätzung gebräuchlichen

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Grundsteuer-Einschätzungen abgehandelt und deren Brauchbarkeit beurteilt. Er leitet daraus

die Ausarbeitung eines Schätzungsrahmens für das Deutsche Reich ab und fordert diesen für

Acker einerseits sowie für Wiesen und Weiden andererseits.

Im praktischen Teil der Schätzungslehre werden die Verfahren und Hilfsmittel zur Schätzung

(Schätzungsregeln, Bedeutung der Schätzungsrahmen, Berücksichtigung der Kaufpreise u. a.)

detailliert herausgestellt. Des Weiteren führt er in seinem Handbuch die zur Schätzung

notwendigen Karten (Katasterkarten, Messtischblätter, Klimakarten) und Geräte auf. Die von

Rothkegel (1930) beschriebenen örtlichen Schätzungsarbeiten sind sehr ausführlich und im

Detail dargelegt und durchaus mit den heutigen bodenkundlichen Kartieranleitungen

vergleichbar. Hier spiegeln sich seine ausgezeichneten Kenntnisse über die Böden und deren

Eigenschaften wider. Diese Kapitel sind eine komprimierte Geländebodenkunde nach dem

damaligen Stand.

Im zweiten Band seines Handbuches (Rothkegel 1932) – ähnlich aufgebaut wie der erste –

behandelt er die theoretische und praktische Schätzungslehre der Forstwirtschaft. Dieses Buch

zeugt auch vom großen forstlichen Sachverstand Rothkegels. Sein zweibändiges Handbuch

bzw. Lehrbuch ist eine äußerst wertvolle Fundgrube mit großem wissenschaftshistorischem

Wert!

6 Rothkegels und Herzogs Reaktion auf die Kritik an der Bodenschätzung

An der Methodik der Bodenschätzung wurde auch Kritik geübt. A. Petersen (1934) lehnte

einen reichseinheitlichen Schätzungsrahmen ab und forderte lokal gültige Schätzungsmaßstäbe.

Rothkegel bevorzugte – seiner Aufgabe entsprechend – jedoch einen reichseinheitlichen

Schätzungsrahmen. Auch wandte sich Petersen gegen die Unterstellung der mittleren

Klimaverhältnisse (Bördeklima) (Rau 1992). Dieses Problem war Rothkegel auch bekannt, was

er aber mit der Handhabung von Zu- und Abschlägen regeln wollte. Rothkegel erkannte auch

damals schon, dass die Klimadatenbasis in Deutschland den Anforderungen der

Bodenschätzung nicht gerecht wurde und zu verbessern ist, denn es konnten nur die Unterlagen

von 268 meteorologischen Stationen ausgewertet werden. In Österreich wird seit 1970 im Zuge

der Novellierung des Bodenschätzungsgesetzes eine stärker klimaabhängige Variante des

Rothkegelschen Systems realisiert und seit 1997 mit einer „weiter entwickelten

Bodenschätzung“, einschließlich regionaler Klimarahmen, gearbeitet (Wagner 2001). Petersen

(zuletzt 1956) kritisierte außerdem die ungenügende Berücksichtigung der Wasserverhältnisse

(weitgehend berechtigt), die Unterschätzung der anlehmigen Sandböden, die Überschätzung

der schweren Böden sowie die ungenaue Definition der geologischen Entstehung. Er forderte

Aufgrabungen und Bohrungen auch über 1m Tiefe. Nach dem damaligen Kenntnisstand des

Acker- und Pflanzenbaus sowie der Pflanzenzüchtung genügte aber eine Erkundungstiefe bis

1m, da man damit den Hauptwurzelraum der Kulturpflanzen erfasste. Der Funktion des tieferen

Untergrundes – also unterhalb 1m unter Flur – für Wasserhaushalt und Stoffspeicherung maß

man damals nicht die Bedeutung zu wie heute.

Rothkegel und Petersen standen übrigens in Konkurrenz, denn Petersen bevorzugte die

Pflanzenanzeiger als Grundlage der Bewertung, während Rothkegel seine Methode auf die

Bodenbeschaffenheit und weitere Naturfaktoren ausrichtete (Jannermann 2011). Rothkegel

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konnte sich durchsetzen. Petersen hat seine grundsätzliche Kritik zuletzt 1956 formuliert: „Ich

möchte also nur helfen, nicht niederreißen, wie es manchmal den Anschein haben könnte, wenn

man die kritischen Auseinandersetzungen nicht im Zusammenhang des Ganzen sieht. Und als

einer der wenigen Kenner der Bodenschätzung von Anfang an, ja lange vor den ersten

Anfängen, werde ich, so hoffe ich doch, etwas helfen können.“ (Petersen 1956, S. 5). Letztlich

setzten sich Petersen und Rothkegel nach 1945 noch aktiv für die Schulung von

Bodenschätzern ein und arbeiteten dabei zusammen.

Stremme (1939) wollte als Haupteinteilungsprinzip bei der Bodenschätzung die Bodentypen

zugrunde legen, ohne dafür allerdings ein entsprechendes Konzept zu präsentieren. Nach der

Kritik von Stremme sind die Erkenntnisse der Bodentypenlehre nicht in die Bodenschätzung

eingeflossen – eine ähnliche Meinung vertrat auch Laatsch (1937). Der Bewertungsbeirat, also

auch Rothkegel, nahm diese kritischen Argumente der herausragenden deutschen

Bodenkundler sehr ernst und Herzog (1937) bemerkte zur Kritik von Stremme: „Bei der

Bodenschätzung wird der Ausdruck Bodentyp und die in der Typenlehre gebräuchlichen

Bezeichnungen, wie Schwarzerde-Boden, brauner Waldboden, gebleichter Waldboden, nicht

angewandt. Diese Bezeichnungen sind für den praktischen Landwirt nicht brauchbar, zumal sie

auch in den wissenschaftlichen Kreisen, die sich mit Bodenkunde befassen, nicht einheitlich

angewandt werden. Bei der Bodenschätzung ist man einem Vorschlag der Preußischen

geologischen Landesanstalt gefolgt, die die verschiedenen Bodentypen wertmäßig in ein

Schema eingeordnet hat, in dem sie die einzelnen Glieder als „Zustandsstufen“ bezeichnet. In

dem Begriff „Zustandsstufe“ erscheint also die Lehre vom Bodentyp in der Bodenschätzung.“

Von Vertretern der Bodenkunde – und von Petersen – wurde auch gegen den von Rothkegel

formulierten Hilfsbegriff für das bodenartliche Gesamtgepräge als gemittelte Summe der

Bodenarten aller Horizonte und Schichten des Bodenprofils (Grabloch, Bohrung) polemisiert,

da dies viel Subjektivität der Schätzer zuließ (Rau 1992). Rothkegel (1939) entgegnete:

„….kommt (es) darauf an, die Gesamtwirkung zu erfassen, die der Boden durch seine

Beschaffenheit auf die landwirtschaftliche Fruchtbarkeit ausübt und dafür einen

zusammenfassenden Gesamtausdruck zu finden.“

Von bodenkundlicher Seite gab es aber auch Anerkennung der Bodenschätzung.

Mückenhausen bezog 1975 zur Bodenschätzung Stellung, insbesondere bezüglich der

Verbesserung des Verfahrens: „Um das Ziel der Bodenschätzung in möglichst kurzer Zeit zu

erreichen, musste das praktische Bewertungsverfahren dem damaligen Forschungsstand der

Bodenkunde gerecht werden und gleichzeitig für einen großen Stab von Schätzern schnell

erlernbar sein. Vor allem musste gewährleistet sein, daß die Schätzung einheitlich gehandhabt

wurde. Zurückschauend ist anzuerkennen, daß dieses Ziel erreicht wurde. Die Bodenkunde hat

in den letzten 30 Jahren (gemeint ist 1945 – 1975) große Fortschritte gemacht, und man ist

deshalb geneigt anzunehmen, man könne die Bodenschätzung heute wesentlich besser machen.

Das stimmt indes nur dann, wenn man die neuen Erkenntnisse in einem praktischen Verfahren

sicher und einheitlich anwenden könnte. Die diesbezüglichen Versuche des Auslandes zeigen,

daß das zur Zeit nicht möglich ist. Von dieser Warte gesehen, behält unsere Bodenschätzung

ihren hohen Wert.“

Eine besondere Würdigung der Bodenschätzung gaben Mückenhausen & Schönhals (1989, S.

9) ab: „Das Gesamtwerk der Bodenschätzung ist als eine beachtenswerte Leistung und als ein

Beweis für das bodenkundliche Wirken in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts anzusehen.“

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Bezüglich der Beurteilung des Wasserhaushalts gab es bereits nach dem Abschluss der

amtlichen Schätzung Zweifel an der Auswahl des Reichspitzenbetriebes. So weisen die

höchstbewerteten Musterstücke im Raum Halle-Weißenfels, in der Hildesheimer Börde, in der

Kölner Bucht und im Raum Heidelberg-Karlsruhe-Freiburg durch unterschiedlich hohe

Klimazuschläge höhere Ackerzahlen als der Spitzenbetrieb Eickendorf auf (Klimazuschläge

Magdeburger Börde +4 bis +6 v. H.; Kölner Raum +10 bis +14 v. H., Heidelberg/Karlsruhe

+12 bis +20 v. H.). Dabei erhielten die höchsten Ackerzahlen ein Betrieb in Hückelhoven (FA

Köln) mit 120 und ein Betrieb in Machtsum (FA Hildesheim) mit 108. Allerdings führte bereits

Rothkegel (1930) aus, dass das Nördliche Rheinland und Teile der Oberrheinischen Tiefebene

das „beste Klima für den Ackerbau in Deutschland“ (Rothkegel 1930, S. 216-217) aufweisen

und die Bodenzahlen bei lehmigen Sandböden klimabedingte Zuschläge bis zu 14 v. H.

erhalten. Ergänzend ist zu dieser Problematik zu bemerken, dass gegen die Bodenschätzung in

Eickendorf vom März/April 1935 folgende Einsprüche geltend gemacht wurden: „Die für die

Festsetzung der Klimazuschläge zugrunde gelegte jährliche Niederschlagsmenge von 483 mm

ist in den letzten 10 Jahren bei weitem nicht erreicht worden. … In den letzten 6 Jahren ist der

Grundwasserstand wesentlich gesunken. Aus diesem Grunde erscheint es uns nicht

gerechtfertigt zu sein, noch einen Klimazuschlag von 4 % zu machen.“

(Bodenschätzungsunterlagen Eickendorf, s. Altermann et al. 1992, S. 306).

Rothkegel & Herzog (1928) waren damals durchaus die Niederschlagsverhältnisse in der

Magdeburger Börde bekannt, denn sie schrieben: „Die Magdeburger Börde liegt im

Regenschatten des Harzes und ist infolgedessen ein ausgesprochenes Trockengebiet. Die

Niederschlagsmengen betragen 520 – 500 mm und darunter und gehören zu den geringsten,

die in Deutschland überhaupt beobachtet werden. … Die Niederschlagsmenge in der Börde ist

gering; sie reicht aber doch für die Ernährung der Kulturpflanzen aus, weil die

außerordentlich günstige physikalische Beschaffenheit des Schwarzerdelößbodens der Börde es

bewirkt, dass die Regenmengen sehr schnell aufgenommen und festgehalten werden…“

(Rothkegel & Herzog 1928, S. 26). Dem widersprechen heute allerdings die Ertragsstatistiken

für das Gebiet der neuen Bundesländer aus den 70er bis 80er Jahren des vergangenen

Jahrhunderts. Diese belegen, dass die niederschlagsbegünstigten sächsischen Parabraunerde-

Lößgebiete der Magdeburger Börde im Ertrag überlegen sind (Lieberoth & Dunkelgod 1975;

Lieberoth 1982; Kindler 1992). Nach Adler (1986) müssten bei heutiger Festlegung für die

Trockengebiete Sachsen-Anhalts die Ackerzahlen sogar bis zu 20 Punkten niedriger angesetzt

werden! Durch diese Ertragsanalysen wird der Schwachpunkt der Bodenschätzung bezüglich

der Berücksichtigung der Klimaverhältnisse bei der Bewertung offenbar (siehe auch Werstat

1989).

Die Methodik der Bodenschätzung ist seit fast 80 Jahren konstant geblieben. In dieser Zeit

haben sich in den Landwirtschaftsbetrieben die Ertragsbedingungen (u. a. durch Fortschritte

der Pflanzenzüchtung, der Intensivierung der Bewirtschaftung usw.) sowie die Naturalerträge

deutlich verändert. Auch klimatische Veränderungen sind für diese Zeit zu verzeichnen. Die

wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich seit 1934 wesentlich gewandelt und sie sind zu selten

fortgeschrieben worden. Jedoch hat Rothkegel von Anbeginn ständige Nachprüfungen und

Nachschätzungen konzipiert. Das betrifft auch die Relativierung der

Reinertragsverhältniszahlen, deren Überprüfung bzw. Anpassung Rothkegel in einem Zeitraum

von 20 Jahren forderte, was aber nie regelmäßig geschehen ist (Jannermann 2011). So fußen

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die Reinertragsverhältniszahlen auf den Wirtschaftsverhältnissen von vor 1933! Die Kritik von

ökonomischer Seite erreichte aber erst in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts – wegen

der grundlegenden wirtschaftlichen Veränderungen gegenüber 1925 bis 1933 – einen gewissen

Höhepunkt. Sie spielt aber gegenwärtig keine große Rolle mehr (Jannermann 2011). Trotzdem

ist bisher nach Ansicht führender Ökonomen die Einheit von standortskundlicher und

ökonomischer Bewertung durch die Reinertragsverhältniszahlen der Bodenschätzung

problematisch und genügt den Ansprüchen der Ökonomen nicht mehr (Jannermann 2011).

Nach heutigem Kenntnisstand und auf Grund der gegenwärtigen Anforderungen müssten für

die Wertermittlung die Fortschreibung der Bodenschätzung abgesichert und die Klima-

verhältnisse besser berücksichtigt werden. Für bodenkundlich-standortskundliche

Auswertungen sollte die Bodenschätzung im Wesentlichen durch folgende Erhebungen

ergänzt werden (siehe hierzu auch Mohr & Ratzke 2004):

Aufnahmetiefe des Bodens auf 2 m erweitern;

Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten natürlichen und anthropogenen

Bodenveränderungen durch turnusmäßige Nachschätzungen. So sind z. B. in der Löß-

Schwarzerdelandschaft in einigen Gegenden bereits 1/3 der Schwarzerden durch Erosion

in Pararendzinen umgewandelt.

Stärkere Differenzierung zwischen einerseits aktuellen und andererseits historischen (z. B.

bei Grundwasserabsenkung) sowie ererbten (z. B. bei Rekultivierungsflächen) Profil-

merkmalen;

Ausweisung der Sand-, Schluff- und Tonanteile nach Bodenkundlicher Kartieranleitung

(nach der Bodenschätzung wird die Schlufffraktion aufgespalten und verschiedenen

Körnungsklassen zugeschlagen), da die bodenkundlichen Auswertungen auf den Anteilen

dieser drei Korngrößenklassen fußen.

Differenzierte Kennzeichnung der Schichten-/Bodenartenabfolge, da die meisten Böden

einen mehrschichtigen Aufbau haben, was durch die Ausweisung der Durchschnittsboden-

art im Klassenzeichen nicht berücksichtigt werden kann.

Stärkere Berücksichtigung von nicht sichtbaren Bodenmerkmalen wie der

Lagerungsdichte in Neulandböden (z. B. Rekultivierungsflächen);

Intensivere analytische Begleitung der Schätzung (z. B. für die Grobbodengehalte, den

Humusgehalt etc.).

Diese besonders für bodenkundliche Auswertungen erforderlichen zusätzlichen Erhebungen

sind nach der Fertigstellung der Bodenschätzung in Deutschland teilweise umgesetzt worden,

um die „Lücken“ im Verfahren zu schließen. Hier ist die Einführung eines neuen

Feldschätzungsbuches bei der Bodenschätzung seit 1995 zu nennen, wodurch die

Datenspeicherung erleichtert und automatisierte bodenkundliche Auswertungen ermöglicht

werden (u. a. Angabe der Bodenhorizonte und des Bodentyps; siehe auch Pfeiffer et al. 2003).

Auch in der DDR erfolgten Ergänzungserhebungen zur Bodenschätzung, so die

„Standortkundliche Ergänzung der Bodenschätzung“ (Kasch 1967), die u. a. die Zerlegung der

Durchschnittsbodenart in die tatsächliche Bodenartenabfolge und die Angabe bodengenetischer

Daten zum Ziel hatte (vgl. hierzu auch Altermann 1992).

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7 Rothkegels Lebensweg und beruflicher Werdegang

Walter Rothkegel wurde am 9. 11. 1874 in Groß Strehlitz (Oberschlesien, heute Strzelce

Opolskie) als Sohn des Gymnasialprofessors Franz Rothkegel und seiner Frau Anna, geb.

Salzbrunn geboren. Von 1882 – 1885 besuchte er die Volksschule in Groß Strehlitz, anschlie-

ßend von 1885 – 1892 das Gymnasium in Glatz (Niederschlesien, heute Kłodzko). Nach seiner

Lehre von 1893 – 1895 in einem Landmesserbüro begann seine wissenschaftliche Ausbildung

an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin, insbesondere in den Fächern Geodäsie und

Kulturtechnik (1895-1897). Diese vielfältige Ausbildung hat ihn offenbar entscheidend ge-

prägt. 1897 legte er das Landmesser-Examen und an der Landwirtschaftlichen Hochschule

Berlin die erweiterte kulturtechnische Prüfung ab. Danach arbeitete er von 1898 – 1905 in der

Preußischen Katasterverwaltung in Schlesien, Westfalen und im Rheinland. Hier war er vor-

wiegend mit Vermessung und Steuerveranlagungsarbeiten beschäftigt, und er befasste sich

bereits mit dem Schätzungswesen. Dabei lernte er die Bedeutung der Schätzungsrahmen für die

Durchführung von Schätzungen kennen. In diese Periode (1904) fiel auch seine 2. Berufsprü-

fung für Katasterbeamte. Von 1906 bis 1910 bearbeitete er im Preußischen Finanzministerium

statistische Aufgaben und Vermessungsangelegenheiten. Zur gleichen Zeit (1907 – 1910) stu-

dierte er in Berlin Staatswissenschaften. Von 1910 – 1914 war er Katasterkontrolleur, später

Leiter im Katasteramt Berlin-Tempelhof. Diese Zeit charakterisiert er in seinem Lebenslauf:

„Auch in dieser Tätigkeit blieb mir genügend Zeit, wissenschaftlich weiter zu arbeiten und ……

auch in Wort und Schrift vornehmlich für den Ausbau des Schätzungswesens zu wirken.“

1913 heiratete Walter Rothkegel Margarethe Görke (1884 – 1940), 1961 wurde die Tochter

Barbara und 1922 der Sohn Joachim geboren. 1914 studierte er in Basel Wirtschafts- und

Staatswissenschaften. Nach seinem Kriegsdienst (1914 – 1918) wurde er von 1920 – 1924

Leiter der taxwissenschaftlichen Abteilung der Kur- und Neumärkischen Hauptritterschaftsdi-

rektion in Berlin mit der Aufgabe, die von Friedrich Aereboe (1865-1942) geschaffene Neu-

ordnung der Taxgrundsätze zu ergänzen und fortzuführen und damit das Schätzungswesen für

die Landwirtschaft weiter zu entwickeln (Rothkegel 1930). 1920 wurde er an der Universität

Berlin zum Dr. phil. promoviert mit der Dissertation „Bodenpreise, Mietpreise und Bodenver-

schuldung in einem Vorort von Berlin“ (Doktorvater Prof. Max Sering). Auf Vorschlag von

Aereboe übertrug man ihm 1925 das Bewertungsreferat im Reichsfinanzministerium, das er bis

1945 leitete. Zusammen mit dem Reichsbewertungsbeirat (1925 eingesetzt) sollte er in seiner

Zuständigkeit für das Reichsbewertungsgesetz und die Einheitsbewertung des Grundbesitzes

sowie für die Bodenschätzung Grundlagen für eine einheitliche Bewertung des landwirtschaft-

lichen, forstwirtschaftlichen und Weinbau-Vermögens für das gesamte Deutsche Reich erarbei-

ten (Rothkegel 1930). Nach Verkündung des Bodenschätzungsgesetzes von 1934 arbeitete er

engagiert mit dem neu berufenen Reichsschätzungsbeirat zusammen, um durch weitere Ver-

waltungsvorschriften, Schätzung der Musterstücke und Klärung von Zweifelsfragen den Fort-

gang der Schätzungsarbeiten zu sichern. Von 1922 bis 1945 hatte er einen Lehrauftrag an der

Landw. Hochschule Berlin, später an der Technischen Hochschule Berlin. 1936 wurde ihm der

Titel Honorarprofessor der TH Berlin verliehen.

1940 starb seine Ehefrau, und er heiratete Helene Kolczyk. Nach dem Zusammenbruch 1945

war er als Berater, u. a. auch zur Bodenreform tätig und konnte 1947 seine Lehraufgaben an

der TU Berlin fortführen.

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Abb. 8: Prof. Dr. phil. Dr. agr. h.c.

Walter Rothkegel (1874 – 1959).

In Rothkegels Lebenszeit erschütterten zwei Weltkriege, die Inflationszeit und die

Weltwirtschaftskrise Deutschland und die Welt! In den Kriegsjahren wurde die

Bodenschätzung eingeschränkt und bereits vor Kriegsende unterbrochen und nach 1946

regional mit unterschiedlicher Intensität fortgesetzt. Dabei ist es als Glücksumstand zu werten,

dass Rothkegel auch nach Erreichen des Alters zur Pensionierung 1939 weiter in seiner

Funktion beim Reichsfinanzministerium tätig war. Sicher galt er als unabkömmlich und wollte

sein Werk auch unter den damaligen komplizierten Bedingungen fortsetzen.

In seinem hohen Alter bedrückte es ihn sehr, „daß die Verzögerung der dringend notwendigen

Neubewertung in der Bundesrepublik den Abschluss dieser Arbeiten verhinderte.“(Herzog

1959). Er bezog sich dabei auf die noch ausstehende Einheitsbewertung auf der Basis der

Bodenschätzung, die erst mit der Hauptfeststellung auf den 01. 01. 1964 (in den alten

Bundesländern der BRD) erfolgte. Am 3. 11. 1959 starb Walter Rothkegel in Berlin-Dahlem

kurz vor der Vollendung seines 85. Lebensjahres. Er wurde auf dem Waldfriedhof Dahlem

beerdigt.

8 Ehrungen für Walter Rothkegel

Walter Rothkegel lebte und wirkte in einer Zeit, in der – abgesehen von den Kriegsjahren –

kaum Ehrungen bzw. die Verleihung von Orden erfolgten. Heute wäre er vermutlich mit hohen

staatlichen Auszeichnungen geehrt worden. Jedoch erhielt er von der Technischen Universität

Berlin, Fakultät für Landbau, wo er auch noch im hohen Alter lehrte, 1952 die

Ehrendoktorwürde. Anlässlich seines 80. Geburtstages verlieh ihm der Verein für das

Vermessungswesen die Ehrenmitgliedschaft.

Eine erste Würdigung des Lebenswerkes von W. Rothkegel erfolgte anlässlich seines Todes in

den Mitteilungen der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft von seinem engsten Mitarbeiter

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und Nachfolger Heinrich Herzog (Herzog 1959)3)

:

„Jetzt ruht die Feder dieses unermüdlichen Mannes, der sich um das land- und

forstwirtschaftliche Schätzungswesen große Verdienste erworben hat und dessen Name mit der

Einheitsbewertung und Bodenschätzung für immer verbunden sein wird. Denen aber, die lange

Jahre mit ihm zusammengearbeitet haben, bleibt außer der Würdigung seiner beruflichen

Leistung die Erinnerung an einen liebenswerten, vornehmen Menschen, dessen Kameradschaft

und Vorbild sie viel zu verdanken haben.“

Die Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft (DBG) hat seit 1990 durch mehrere Initiativen die

Leistungen der Bodenschätzung gewürdigt. So wurde das Wirken von Rothkegel und Herzog

im Rahmen einer DBG-Veranstaltung von Altermann (1995) herausgestellt. Auch sei hier an

die Anbringung einer aus Spenden der DBG-Mitglieder und aus Mitteln des

Bundesministeriums für Finanzen finanzierten Erinnerungstafel am Eickendorfer

Spitzenbetrieb der Einheitsbewertung erinnert, die eine Würdigung der Leistungen der

Bodenschätzer beinhaltet (Abb. 9). Die Anbringung der Tafel erfolgte im Rahmen einer Tagung

der Kommission V der DBG in Halle mit dem Thema: Bodenschätzung – gestern – heute –

morgen (s. Altermann et al. 1992).

Außerdem wurde von der DBG im Zusammenwirken mit den Finanzbehörden auf dem Hof des

genannten Spitzenbetriebes Haberhauffe/Jäger ein kleines, vom Enkel der Witwe Else

Haberhauffe, Willy Jäger, privat geführtes Museum Bodenschätzung eröffnet, um einer

breiten Öffentlichkeit die Ziele, Ergebnisse und Leistungen der Bodenschätzung sowie die

Bedeutung des Bodens nahezubringen. In diesem Museum konnte inzwischen eine

Erinnerungstafel zur Würdigung des Initiators der einheitlichen Bodenschätzung in

Deutschland, Walter Rothkegel, angebracht werden. Der Bedeutung der Bodenschätzung für

die Bodenkunde Rechnung tragend, wurde auf Initiative der Leitung und von Mitgliedern der

Kommission V der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft 1996 die Arbeitsgruppe

Bodenschätzung und Bodenbewertung mit dem Ziel gegründet, Bodenschätzer und

Bodenkundler für Erfahrungsaustausche und gemeinsame Aufgaben enger zusammenzuführen.

Durch das Wirken der DBG ist die Kooperation zwischen Bodenschätzung und Bodenkunde in

besonderer Weise gefördert und verbessert worden. Dabei wird ein Vermächtnis von Walter

Rothkegel erfüllt, der bereits zu Beginn der Bodenschätzung eine enge Zusammenarbeit mit

der Bodenkunde forderte! Auch in Zukunft werden die aus verschiedensten Fachgebieten

kommenden Nutzer der Bodenschätzungsdaten sich an Walter Rothkegel für die Durchsetzung

seiner weitsichtigen und bahnbrechenden Ideen dankbar erinnern. 3)

H. Herzog war der zweite führende Kopf der Reichsbodenschätzung. Er war Vertreter

Rothkegels und sein engster Vertrauter. Herzog wurde am 9.9.1896 geboren, studierte

Agrarwissenschaften in Göttingen und wurde 1922 mit einer Arbeit über Entstehung und

Entwicklung der jeverländischen Marschwirtschaft zum Dr. phil. promoviert. 1926 trat er in

den Dienst des Reichsfinanzministeriums und wurde 1941 neben Rothkegel Referatsleiter für

Bodenschätzung und Einheitsbewertung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens. Von

1949 bis 1960 leitete er als Ministerialrat das entsprechende Referat im Bundesministerium der

Finanzen. Nach seinem Ruhestand 1960 war er noch bis 1967 Mitglied des Bewertungs- und

Schätzungsbeirats. Auch an der neuen Einheitsbewertung 1964 hatte er entscheidenden Anteil.

Herzog wurde mit seinem umfangreichen Wissen stets geschätzt und verehrt. Er publizierte

zahlreiche Arbeiten über Fragen seines Fachgebiets. Er starb am 20. 8. 1969 in Ostfriesland.

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Abb. 9: Erinnerungstafel am ehemaligen Spitzenbetrieb der Einheitsbewertung in Eickendorf.

9 Die Bedeutung der Bodenschätzung in Gegenwart und Zukunft

Die große Bedeutung der Bodenschätzung ist unbestritten. Dabei „soll nicht unerwähnt

bleiben, dass die Bodenschätzung der Finanzverwaltung keine Erfindung der Machthaber des

Dritten Reiches ist; denn sie wurde bereits Mitte der zwanziger Jahre vorbereitet“

(Sommerfeldt 1994). Die Konzipierung der Bodenschätzung war also 1933 bereits weitgehend

abgeschlossen, lediglich die Verabschiedung des Gesetzes erfolgte erst danach.

Die nun in über 80 Jahren (Vorbereitungszeit eingerechnet) im Wesentlichen unverändert

durchgeführte Bodenschätzung ist ein Phänomen, um das Deutschland beneidet wird! Die

Ursache dafür liegt sicher auch in der dualen Aufgabenstellung. Die fiskalische Bedeutung der

Bodenschätzung ist heute eher zweitrangig, da insbesondere die Grundsteuer, zu deren

Veranlagung die Bodenschätzung vor allem diente, im Verhältnis zu anderen Steuerarten an

Bedeutung verloren hat. „Eine akute Belastung der Betriebe durch die Einheitsbewertung ist

inzwischen infolge anderer, viel ernster zu nehmender differenzierender Faktoren gewichen.“

(Jannermann 2011).

So steht heute der zweite Zweck der Bodenschätzung eindeutig im Vordergrund. Rothkegel

(1930) hat als einer der ersten den Wert unserer Böden erkannt und kennzeichnete „…. den

Boden als Besonderheit der ausdauernden Güter, d.h. der Boden gleicht einer dauernd

fließenden Quelle von Nutzleistungen und ist nicht reproduzierbar“ (Rothkegel 1930). Es ist

nicht auszuschließen, dass das zweite Ziel der Bodenschätzung bei Rothkegel sogar das Primat

hatte. So kann Rothkegel durchaus als einer der ersten Bodenschützer gelten! Die Umsetzung

der in Deutschland verbindlichen Bodenschutzgesetze wäre ohne die einheitliche Datenfülle

der Bodenschätzung nicht zu verwirklichen.

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Die Bodenschätzung ist ihrem Charakter nach eine Standortskartierung, denn die wichtigsten

Standortsfaktoren sind – nach dem Wissenstand der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts –

erfasst, und somit ist das Konzept der modernen Boden- und Standortansprache im Ansatz

bereits bei der Bodenschätzung verwirklicht (Abb. 10).

Abb. 10: Erfassung der Standortsfaktoren durch die Bodenschätzung.

Heute erfolgt die Bodenkennzeichnung mit der Bodenform, einer Kombination, die im

Wesentlichen mit dem Bodentyp den bodengenetischen Zustand sowie als lithogenes Element

die Substratzusammensetzung und Substratgenese ausdrückt. Obwohl die Zustandsstufe als

eine zentrale Größe der Bodenschätzung einst und jetzt stark der Kritik ausgesetzt ist, spiegeln

sich in deren Kriterien durchaus bodengenetische Aspekte wider. Die Substrat-

zusammensetzung wird durch die Bodenart angegeben und hohe Skelettgehalte sind ergänzend

dokumentiert. Dabei war die Aggregierung der Bodenarten in der Vertikalabfolge

(Substratschichtung) zur Durchschnittsbodenart für das Bewertungsziel zwar notwendig,

jedoch aus heutiger Sicht ein Nachteil, der nur durch hohen Auswertungsaufwand ausgeglichen

werden kann. Schließlich lassen sich die großen Gruppen der Substratgenese in der

geologischen Herkunft wiederfinden. Die Kriterien der Standortkennzeichnung

landwirtschaftlicher Zielrichtung sind in der Bodenschätzung ebenfalls auf vereinfachte Weise

umgesetzt. Der Boden geht mit einer Zahl – Bodenzahl oder Grünlandgrundzahl – in die

Standortbeurteilung ein. Die Klima- (bei Acker) und Reliefverhältnisse (bei Acker und

Grünland) werden bei Abweichungen von den für Deutschland festgelegten durchschnittlichen

Bedingungen durch Zu- oder Abschläge von der Bodenzahl berücksichtigt. Unterschiedliche

Nutzungs- und Vegetationsverhältnisse sind durch die beiden verschiedenen Schätzungsrahmen

umgesetzt. Die Wasserverhältnisse – von Kritikern als Schwachpunkt der Bodenschätzung

herausgestellt – sind beim Grünland durch die Wasserstufe ausgedrückt, beim Ackerland sind

besonders günstige oder ungünstige Wasserverhältnisse durch zusätzliche Angaben zum

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Klassenzeichen der jeweiligen Klassenfläche dokumentiert.

Der große Wert des bodenkundlichen Inhalts der Bodenschätzung liegt heute vor allem darin,

dass in einem relativ kurzen Zeitraum ein flächendeckendes, einheitliches, großmaßstäbi-

ges Kartenwerk vorgelegt wurde;

dass in Deutschland im Rahmen der Bodenschätzung nun seit Jahrzehnten nach einer ein-

heitlichen Methodik großmaßstäbig bodenkundlich kartiert wurde und wird;

dass eine mustergültige, einheitliche Dokumentation der Arbeitsergebnisse vorliegt, die

den Bodenkundlern jetzt und in Zukunft zur Verfügung steht (sofern die Unterlagen durch

Kriegs- und Nachkriegswirren nicht verloren gegangen sind);

dass die Arbeitsmethodik trotz aller, auch von den Schöpfern erkannter Schwächen grund-

sätzlich beibehalten wurde, wodurch eine Vergleichbarkeit auf lange Zeit abgesichert ist.

Gegenwärtige und zukünftige Generationen von Bodenwissenschaftlern bauen auf den

umfangreichen, hoch auflösenden Datensätzen der Bodenschätzung auf. Eine große Anzahl von

bodenkundlichen Kartenwerken und vielfältiger bodenkundlicher Aufgabenstellungen ist erst

durch die Nutzung der Bodenschätzungsdaten möglich geworden (z. B. Bodenkarte 1:5.000 auf

der Grundlage der Bodenschätzung für Nordrhein-Westfalen, Bodenschätzungskarten i. M.

1:10 000 sowie die Mittelmaßstäbige Landwirtschaftliche Standortskartierung – MMK – für

das Gebiet der neuen Bundesländer; Lokalbodenformenkarten, Hofbodenkarten etc.). Nähere

Erläuterungen hierzu findet man u. a. bei Ostendorff (1942), Haase (1956), Arens (1960),

Schmidt & Diemann (1981), Lieberoth (1982), Altermann (1992), Pfeiffer et al. (2003), Boess

(2007a, b), Capelle et al. (2008).

Die Ergebnisse der Bodenschätzung werden heute im nichtsteuerlichen Bereich im Wesentli-

chen für folgende Aufgabenstellungen herangezogen:

Herstellung von Bodenkarten verschiedener Maßstäbe (insb. 1:5.000 - 1:25.000),

Aufbau von Bodeninformationssystemen,

vielfältige Aufgaben im Rahmen des Bodenschutzes,

Teilflächenspezifische Landbewirtschaftung (precision farming),

Flurbereinigung und Landesplanungen,

agrarpolitische Programme, Förderung der Landwirtschaft in benachteiligten Gebieten,

Wertmaßstab für Kauf- und Pachtpreishöhe landwirtschaftlicher Grundstücke,

amtliche Kaufpreisstatistik für landwirtschaftlichen Grundbesitz,

Grundlage für die Ermittlung der Beleihungsgrenzen im landwirtschaftlichen Kreditwesen,

Bemessung von Entschädigungen.

Die Digitalisierung der Bodenschätzungsdaten erweiterte deren Anwendungsfelder und

-umfang ganz immens, zumal dabei die Daten teilweise auch in die gegenwärtigen

Klassifikationen der Bodenkunde transferiert wurden und werden. Mit der Novellierung des

Bodenschätzungsgesetzes im Jahre 2007 sind im „Gesetz zur Schätzung des

landwirtschaftlichen Kulturbodens (Bodenschätzungsgesetz)“ erstmalig als weiterer Zweck der

Bodenschätzung der Bodenschutz und der Aufbau von Bodeninformationssystemen genannt

(Etzkorn 2009).

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10 Ausblick

Die Bodenschätzung hat sicher einen bleibenden Wert in der Bodenkunde auch noch für

folgende Jahrzehnte. Rothkegel erkannte die Bedeutung des Bodens und konnte seine Vision

der Verknüpfung von Naturwissenschaft (Boden, Klima, Relief) und Ökonomie mit der

Bodenschätzung verwirklichen. Die weltweit zunehmende Bodenvernichtung – lediglich als

Flächenverbrauch deklariert (in Deutschland immer noch etwa 100 ha/Tag) – erfordert einen

verstärkten umfassenden Bodenschutz (Bodenfunktionsschutz) sowie eine nachhaltige Nutzung

auf schrumpfender Freifläche. Die unumgänglichen Maßnahmen zum komplexen Boden- und

Standortschutz erfordern jedoch nach nun fast 80 Jahren Bodenschätzung die Ermittlung

weiterer und neuer umfangreicher Daten auf großmaßstäbiger Grundlage. Deshalb sollten

heutige und kommende Bodenforscher-Generationen die Vision einer auf umfassende

Nachhaltigkeit ausgerichteten Gesellschaft mit einer ökologischen Standorts- und

Naturraumbewertung fördern, die auf einer großmaßstäbigen europaweit einheitlichen

Standortskartierung basiert. Eine duale Methodik, bestehend aus der Aufbereitung aller

verwertbaren relevanten Daten unter Nutzung moderner Kartierungsverfahren (digital erzeugte

Bodenkarten, neuronale Netze unter Verwendung von Landschaftsmodellen, u. ä.) und aus

Neuerkundungen im Gelände garantieren eine effektive Erreichung dieses Ziels. Die

Konzipierung dieser komplexen Aufgabe sollte bald beginnen, wobei Deutschland auf Grund

der großen wissenschaftlichen, praktischen und organisatorischen Erfahrungen mit der

Bodenschätzung eine führende Rolle übernehmen kann. Mit der Realisierung dieser

Zielsetzung – beginnend etwa 100 Jahre nach der Konzipierung der Bodenschätzung – können

wir sicher sein, dass wir im Sinne des großen Vordenkers der Bodenbewertung, Albrecht

Daniel Thaer, und des Wegbereiters der Bodenschätzung in Deutschland, Walter Rothkegel,

handeln!

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Danksagungen

Dem Sohn von Walter Rothkegel, Herrn Prof. Joachim Rothkegel, und den Enkeln Frau

Gislind Stuut-Rothkegel und Herrn Wolfram Rothkegel danken wir für vielfältige

Informationen und Überlassung von Bildmaterial.

Herrn Prof. em. Dr. habil. Dr. h.c. Gerhard Jannermann, Altkalen (ehemals Universität

Rostock) danken wir für wertvolle Hinweise und Ratschläge.

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Die Gräber der Thaerfamilie

Martin Frielinghaus

Das Ziel der kurzen Ausarbeitung besteht darin, über die Gräber von Albrecht Daniel Thaer,

seiner Kinder und einiger Enkel zu informieren. Nur in einem Fall besteht auch ein Bezug auf

die Mitte des 20. Jahrhunderts.

1 Möglin

Albrecht Daniel Thaer starb am 26. Oktober 1828 in Möglin und wurde dort im Gutspark bei-

gesetzt, gemeinsam mit seiner Frau Philippine, geb. von Willich (1760 – 1835). Das Grab

umgab wohl von Anfang an ein Eisengitter, das oben mit Blumenhalterungen begrenzt war.

Jedenfalls zeigen Darstellungen der Jahre 1830 und 1833 ein solches Gitter (M. Frielinghaus

u.a.: Albrecht Daniel Thaer in Brandenburg und Berlin, 2004, S. 23/24). Auch ein Gedicht von

1851/1852 erwähnt eine solche Umgrenzung (P. Bloch u.a.: Denkmal Albrecht Daniel Thaers,

Dahlemer Materialien 3, 1992, S. 79/80). Das Gitter hat sich mit einigen Sanierungen bis heute

erhalten.

Meines Erachtens ist sehr bemerkenswert, dass die Grabstelle offenbar nie einen Grabstein

oder ein Grabmal besessen hat. Sie trug nur eine Blumenpyramide/Erdpyramide, zumindest im

Sommer mit Blumen bepflanzt. Allerdings ist auf der oben erwähnten Darstellung von 1833

keine Pyramide zu sehen. Dies vielleicht ein Herbst- bzw. Winteraspekt. Aus den unveröffent-

lichten Erinnerungen des Ur-Ur-Enkels Clemens Adolf Thaer ist zu entnehmen, dass Thaers

Grab auf seinen ausdrücklichen Wunsch keinen Grabstein erhielt.

Theodor Fontane schrieb in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, Teil Das Oder-

land – Möglin, mit dem Stand von 1863 auch über das Thaergrab im Mögliner Gutspark neben

der kleinen Kirche. Er sah eine sich terrassenförmig zuspitzende Erdpyramide, deren Treppen-

stufen mit Blumen bepflanzt waren. Im Handexemplar Fontanes der ersten Auflage seiner

Wanderungen wird auf der Seite 249 von 400 Blumen auf dem Grabhügel geschrieben. Er

bezieht sich dabei wohl auf eine handschriftliche Notiz des Thaersohns Albrecht Philipp: „Auf

dem Grabe meiner Eltern befinden sich 400 Blumentöpfe etwa 250 auf dem nahen Grabe mei-

ner beiden Frauen, meiner fertigen Stätte neben dem Kirchlein, Zeuge vieler wichtiger Schritte

meines Lebens“ (P. Bloch u.a.: Denkmal Albrecht Daniel Thaers, Dahlemer Materialien 3,

1992 S. 76).

Der Thaersohn Albrecht Philipp (1794 – 1863), der unmittelbare Nachfolger und Erbe in Mög-

lin, Landesökonomierat, fand nördlich der Dorfkirche seine letzte Ruhestätte, zusammen mit

seiner ersten und zweiten Frau, den Schwestern Oelsner. Die Grabstätte lag neben dem Grab

seiner Eltern. Siehe Abbildung 1. Die Anlage wurde nach den Zerstörungen gegen Ende des

Zweiten Weltkrieges nicht wiederhergestellt. Nur die Grabplatte Albrecht Philipps kam später

im umzäunten Areal des elterlichen Grabes zur Aufstellung (Abb. 2). 1928 war der hunderste

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Todestag Thaers für die Gesellschaft für Geschichte und Literatur der Landwirtschaft in Wei-

mar der Anlass, am Grabzaun eine ehrende Bronzetafel anzubringen (Abb. 3).

Östlich des Grabes von Thaervater befindet sich auch heute noch das Grab seiner unverheirate-

ten Tochter Dorothea Charlotte Wilhelmine (1787 – 1865), Chanoinesse im Kloster Wienhau-

sen.

Der Gutspark ist für eine Pflege mit der Sense etwas zu groß. Die heute zur Verfügung stehen-

de Mähtechnik gab es in früheren Jahrzehnten nicht. Da kamen dann wohl auch Schafe zum

Einsatz, um deren Zucht und Wollqualität sich Thaer ja sehr verdient gemacht hat. Im Jahre

1971 gaben G. und Th. Erler den Sammelband „Von Rheinsberg bis zum Müggelsee – Märki-

sche Wanderungen Theodor Fontanes“ heraus. Auf den Seiten 216/217 findet sich die Abbil-

dung 4.

Die Abbildung 5 zeigt die Gesamtansicht der Thaergäber im Mögliner Gutspark mit dem Stand

des Jahres 2011.

Abb. 1: Das Thaergrab mit den beiden Tafeln. Das Grab des Thaersohns lag dahinter.

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Abb. 2: Grabplatte Albrecht Philipp Thaer

Abb. 3: Gedenktafel von 1928

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Abb. 4: Schafweide im Gutspark im Jahre 1971 mit dem Schäfer Alfred Kühn, Kirche und

Thaergrab im Hintergrund (Foto: H. Krüger).

Abb. 5: Die Thaergräber im Mögliner Gutspark im Jahre 2011. Im Vordergrund die Tochter,

dann das umzäunte Areal des Grabes des Ehepaars Thaer, dahinter die nicht wiederhergestellte

Grabstätte des Thaersohns.

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2 Lüdersdorf

Die Thaertochter Sophia Caroline Luise, geboren 1788, verwitwete Crome, verheiratete Körte,

starb 1845 und wurde im Möglin benachbarten Lüdersdorf beigesetzt. Das Gut befand sich im

Besitz der Familie Körte. Prof. Dr. habil. Franz Körte (1782 – 1845) war ab 1815 Professor für

Naturwissenschaften in Möglin. Später arbeitete er als Stellvertreter Thaers in der Leitung der

Akademie des Landbaues und dann bis 1830 als Direktor der Akademie. Danach stand er wei-

ter als Lehrkraft zur Verfügung.

Julius E. Störig, Dozent in Möglin und ab 1827 als Nachfolger Thaers Extraordinarius für

Landwirtschaft an der Berliner Universität, verfasste nach Körtes Tod eine kleine ehrende

Schrift: „Des Professors Körte Leben und Wirken als Landwirth, Gelehrter und Mensch. Ein

dem Andenken des Entschlafenen schuldiger Tribut langjähriger Freundschaft und Liebe von

seinem früheren Collegen“. Sonderdruck aus: Allgemeine Landwirtschaftliche Monatsschrift,

1845, 15, S. 132 – 139.

Die Grabstelle ist nicht mehr exakt nachzuweisen. Hans-Heinrich Stamer vermutete sie zwi-

schen dem rechten und mittleren Kirchenfenster.

Abb. 6: Kirche in Lüdersdorf heute. Mutmaßliche Lage des Grabes zwischen dem rechten und

dem mittleren Kirchenfenster.

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3 Berlin

Der Thaersohn Dr. med. Andreas Ernst, geb. 1790, starb 1837 in Berlin, seine Frau Ferdinande,

geb. Froelich (Fröhlich) 1864. Die Grabstelle existiert nicht mehr, nur noch die Grabplatte

(Abbildung 7). Sie wurde zu einem nicht mehr ermittelbaren Zeitpunkt auf der Körtegrabstelle

angebracht. Dies ist das Grab 27 auf dem Dorotheeenstädtischen Friedhof in Berlin, Chaussee-

straße 126, dessen Pflege zunächst bis 2015 gesichert ist.

Abb. 7: Grabplatte von Andreas Ernst Thaer und seiner Frau

Abb. 8: Gesamtansicht des Grabes 27

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Abb. 9: Detailaufnahme von Grab 27

Abbildung 9 von links nach rechts: Marie Körte, geb. Thaer (1832 – 1898), Thaerenkelin; Ihr

Mann Dr. Friedrich Körte (1818 – 1914); die Thaerschen Urenkel Prof. Dr. Werner Körte

(1853 – 1937), Baurat Friedrich Körte (1854 – 1934) und Margarete Körte (1864 – 1918);

dahinter die Grabplatte von Andreas Ernst Thaer.

Die 1810 gegründete Berliner Gesellschaft für Natur und Heilkunde besuchte Möglin aus An-

lass der 200. Wiederkehr ihrer Gründung im Mai 2010. Albrecht Daniel Thaer wurde unter der

Matrikelnummer 22 bereits 1810 Mitglied dieser Gesellschaft. Das hatte der erste Thaer-

Biograf Wilhelm Körte in seiner Übersicht von 1839 zu Thaers Mitgliedschaften übersehen.

Thaersohn Andreas Ernst, Mediziner in Nauen und Berlin, ist unter der Matrikelnummer 56

ebenfalls als Mitglied der Gesellschaft vermerkt. Der Urenkel Thaers Prof. Dr. Werner Körte

hat die Mitgliedsnummer 206. Er war Direktor der Chirurgischen Abteilung des Berliner Kran-

kenhauses Am Urban und starb 1937.

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4 Panten

Der Thaersohn Georg Andreas Ludwig (1789 – 1857), Intendant der vom Vater eingerichteten

Königlichen Stammschäferei Panten, Bezirk Liegnitz in Schlesien, wurde in Panten beerdigt.

Er war Pächter der Domäne Panten und Amtsrat. Nach dem Verlust der Domänenpacht erfolgte

die Umbettung zur Familiengrabstätte in Liegnitz (Mitteilung von Margarethe Deecke, geb.

von Thaer).

Sein Sohn Georg Ernst (1834 – 1898), also ein Thaerenkel, erhielt 1867 den Preußischen

Adelstitel. Der Familienzweig ist 1964 im Mannesstamm ausgestorben. Der letzte Namensträ-

ger war der Ur-Ur-Urenkel Thaers Hans Albrecht von Thaer, der in Celle begraben wurde.

5 Gießen

Der älteste Thaerenkel, Sohn von Albrecht Philipp Thaer, Conrad Wilhelm Albrecht Thaer,

lebte von 1828 bis 1906. Er verkaufte Möglin 1872, brach seine Zelte in Brandenburg ab und

übernahm den ersten Lehrstuhl für Landwirtschaft an der Landesuniversität Gießen.

Er brachte 1880 zusammen mit Fachkollegen eine kommentierte Neuausgabe der „Grundsätze

der rationellen Landwirthschaft“ seines Großvaters heraus. Er schrieb u.a. „Denkschrift über

die Lage der Drainkultur in Preußen“, „System der Landwirtschaft“, „Die landwirtschaftlichen

Unkräuter“, „Die altägyptische Landwirtschaft“ und „Die Wirtschaftsdirektion des Landgutes“.

1901 schied er aus dem Dienstverhältnis aus.

Die Stadt Gießen unterhält eine Grabstätte der Thaerfamilie im Osten des Alten Friedhofs in

Richtung der Straße Lutherberg. Fotos von Albrecht Thaer aus dem Jahre 2007. Auf der Abbil-

dung 10 von links: Ur-Ur-Urenkel Albrecht Moritz Thaer, die Frau des Thaerenkels Adelaide

(Ida) Clementine, geb. Mannkopf und Thaerenkel Conrad Wilhelm Albrecht Thaer.

Abb. 10: Das Familiengrab in Gießen

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Abb. 11: Grabstein für Prof. Dr. Conrad Wilhelm Albrecht Thaer

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25 Jahre organisiertes Thaer-Gedenken

in Möglin

Nach dem Vortrag am 25 Juni 2011 im Mögliner Gutshaus

Ernst Schnorr

Es gab immer wieder Einzelpersonen im Vorfeld des Thaervereines, die auch zu DDR-Zeiten

dafür sorgten, dass der Name des Begründers der Landwirtschaftswissenschaften in der Regi-

on nicht in Vergessenheit geriet.

Der Wichtigste unter ihnen war Hans-Heinrich Stamer. Die Ergebnisse seiner Forschungen im

Thaerarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin und in anderen Quellen stellte er in der Be-

zirkszeitung vor. Zu Beginn hatte er ideologische Schwierigkeiten, da er einen Bürgerlichen

ehrte. Das war so ohne weiteres der damaligen Obrigkeit nicht zu vermitteln. Leichter wurde

es für ihn, als die Führung Karl May als Vorkämpfer für den Sozialismus erkannte. Das Auf-

stellen des Denkmals des „Alten Fritz“ Unter den Linden in Berlin zeigte ein Umdenken in der

Geschichtsauffassung. Somit war der Weg frei, auch Thaers Bedeutung für die Landwirtschaft

herauszuarbeiten.

In den Mittelpunkt seiner Dissertation und anderen wissenschaftlichen Darlegungen stellte

Stamer immer den Bezug der Erkenntnisse Thaers zu unserer Zeit. Was sagt uns heute Thaer?

Um den Menschen das Wirken Thaers verständlicher zu machen, kam er auf die Idee, die

nutzbaren Ackergeräte des großen Lehrers nachzubauen. In den Schmiedemeistern Rollin und

Müller sowie in dem Polytechniklehrer Walter Henkel fand er bereitwillige Mitstreiter. In der

ehemaligen Wirkungsstätte Thaers wurde ein Ausstellungsraum für die Ackergeräte und ande-

re Materialien eingerichtet. Der damalige Schulrat Volker Knospe hatte ein bescheidenes

Honorar für diese drei Helfer nach jeder Fertigstellung bereit. Die Geräte waren ausschließlich

für Möglin bestimmt.

Unterstützung bekam Hans-Heinrich Stamer auch von den Möglinern selbst. Erinnert sei an

den Ausbildungsleiter und späteren Bürgermeister Ottfried Anklam, an die Bürgermeisterin

Erna Strehlow, an Hermann Schirrmeister, die damaligen Vorsitzenden der LPG Herbert Lo-

renz und Walter Zahn. So konnte Hermann Schirrmeister als Ureinwohner ihm die

Schwemmwiesen, die Mergelgrube u. a. aus der Thaerzeit zeigen.

Die Mögliner vertraten immer die Auffassung, Thaer gehört zu uns, Thaer gehört nach Mög-

lin. Das ist bis heute so geblieben.

1986 wurde auf Initiative des damaligen Ratsmitgliedes für Kultur im Kreis Bad Freienwalde,

Frau Ingrid Linke, der Arbeitskreis A.D. Thaer im Kulturbund der DDR gegründet. Das ist die

Begründung für die 25 Jahre in der Überschrift. Zur Vorsitzenden konnte Frau Anni Darkow

und zum Stellvertreter Hans-Heinrich Stamer gewählt werden. Die Aktivitäten der einzelnen

Personen ließen sich jetzt in einem Verein des Kulturbundes bündeln. Es war auch möglich,

neue Initiativen anzustoßen.

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Im Frühsommer 1990 gab es ein zufälliges Zusammentreffen mit Dieter Bellgardt von der

Kreisverwaltung, Ottfried Anklam und weiteren Personen. Es war die Frage zu beantworten:

wie weiter mit Möglin?

Die Beteiligten wurden sich einig: wir gründen zwei Vereine. Ein Verein befasst sich mit dem

wissenschaftlichen Erbe Thaers und übernimmt die Arbeitsgruppe aus dem Kulturbund. Der

zweite Verein beschäftigt sich mit der praktischen Seite der Thaerschen Landwirtschaft und

übernimmt den Betriebsteil Möglin der LPG „Karl Marx“ Schulzendorf aus der Liquidation.

Dafür gab es zunächst Voraussetzungen. Finanzielle Unterstützung kam vom Arbeitsamt, da

zu diesem Zeitpunkt die anderen zwei Ausbildungsstätten der Landwirtschaft im Altkreis Bad

Freienwalde aufgelöst wurden und die Lehrlinge unter den neuen Bedingungen zum Berufsab-

schluss in Möglin geführt werden sollten. Was auch gelang. Ottfried Anklam stellte sich der

Aufgabe, als Geschäftsführer für den praktischen Verein zu wirken. Soweit dazu, nun zurück

zum Förderverein.

Mit einer Versammlung am 22. Juni 1991 in diesem Raum fand die Gründung der Förderge-

sellschaft Albrecht Daniel Thaer statt. Zum Vorsitzenden hatten wir den Agrarhistoriker Vol-

ker Klemm aus Berlin gewählt. Neben dem Vorsitzenden und dem Geschäftsführer erklärten

sich fünf weitere Personen für die Vorstandsarbeit bereit. Einer von Ihnen war der damalige

Staatssekretär im Potsdamer Landwirtschaftsministerium Günter Wegge. Er ging 1996 in den

Ruhestand und schied damit aus dem Vorstand aus. Eine Nachwahl aus dem Potsdamer Minis-

terium ist uns bis heute nicht gelungen.

Über das, ich möchte schon sagen, uninteressierte Verhalten seiner Potsdamer Kollegen ge-

genüber dem Thema Möglin war der damalige Präsident des Landesamtes für Landwirtschaft

in Frankfurt/Oder, Nischwitz verärgert. Es gab von seiner Seite mehrere Anrufe: wenn Sie am

Freitag nach 17 Uhr nichts Besseres zu tun haben, trinken Sie doch mit mir in Frankfurt einen

Kaffee, damit wir uns dabei über mein Mitwirken bei der Lösung der Mögliner Probleme

verständigen können. Der Präsident unternahm in Potsdam mehrere Versuche, z. B. den, eine

institutionelle Förderung zu erreichen. Die Potsdamer haben die Sachen liegen lassen und

damit kam es nicht zu dem Erfolg, den wir erhofft hatten. Selbst Freiherr Knigge war es trotz

des Bratens eines Ochsen am Spieß für den Ministerpräsidenten Manfred Stolpe nicht gelun-

gen, Bewegung in die Sache zu bringen.

1996 erklärte sich Frank Ellmer von der Landwirtschaftlich Gärtnerischen Fakultät der Hum-

boldt Universität zu Berlin zur Vorstandarbeit bereit. Damit hatten wir zur Fakultät den Ver-

bindungsmann, der uns bis dahin fehlte. Ebenfalls 1996 löste Hans-Rudolf Bork, Müncheberg,

Volker Klemm als Vorsitzenden ab. 1996 bis 1999 fungierte Siegfried Drechsler als stellver-

tretender Vorsitzender. Im Jahre 1999 schied Günter Darkow auf Grund seiner Krankheit als

Geschäftsführer aus. Die Geschäftsführung übernahm bis 2001 Siegfried Drechsler.

Hans-Rudolf Bork wechselte zur Universität in Kiel. Bedingt durch Überlastung gab er den

Vorsitz 2006 auf. Der rettende Einfall kam uns mit Matthias von Oppen. Er war ein internati-

onal erfahrener Wissenschaftler und was für uns noch wichtig war - ein praktizierender Land-

wirt. Matthias von Oppen erklärte sich 2007 für den Vorsitz bereit und führte die Geschäfte

bis Sommer 2011. In der Mitgliederversammlung wählten wir Ulrich Köpke zum neuen Vor-

sitzenden.

Martin Frielinghaus übernahm 2001 die Geschäftsführung von Siegfried Drechsler. Für unser

oberflächliches Verhalten bei der Übergabe der Geschäftsführung möchte ich mich nachträg-

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lich bei Martin Frielinghaus entschuldigen. Seiner Arbeit verdanken wir heute die Existenz

und den Entwicklungsstand der Fördergesellschaft. Ein Aktivposten in der Geschäftsführung

ist Frank Ellmer. Er hat als stellvertretender Vorsitzender seit 1999 die Fördergesellschaft über

so manches Personalproblem gerettet. Sein eigner Beitrag, aber auch der Einsatz seiner Stu-

denten für die Lösung bestimmter Aufgaben der Gesellschaft, haben die Arbeit sehr gut unter-

stützt.

Ein genialer Griff war uns mit der Mitarbeiterin Hermine Sell gelungen. Sie hat lange Jahre

die Buchhaltung geordnet und die Ausstellung durch Führungen und andere Tätigkeiten einen

unverkennbaren Beitrag geleistet. Sie hat der Arbeit der Fördergesellschaft ihren Stempel

aufgedrückt. Bedauernswert blieb bis zum Ende ihrer Tätigkeit, dass es uns nicht gelungen

war, sie mit einem angemessenen Gehalt zu vergüten.

Bei der Gründung der Fördergesellschaft stand die Pflege des Thaer-Erbes an oberster Positi-

on. Von der organisatorischen Seite bestand die Aufgabe, die Gemeinnützigkeit zu erreichen

und die Eintragung ins Vereinsregister. Viele Dinge mussten geregelt werden, die uns bis

dahin unbekannt waren. Ich persönlich habe in der Zeit der Wende so viel gelernt, wie in kei-

nem vorangegangenen Zeitraum.

Weitere Ziele der Satzung waren:

Aufbereitung und Verbreitung des wissenschaftlichen Erbes von Thaer

Herausstellung der Verbindung Thaers zu seinen Vorläufern und Schülern sowie die Dar-

stellung seines Werkes in der Gesamtheit

Erhaltung und Pflege der Thaerschen Wirkungsstätte in Möglin und ihre Entwicklung zu

einer würdigen Gedenkstätte mit ständiger Ausstellung

Die Ausbildung eines Thaerschen Tratitions- und Erbbewusstseins

Mitwirkung bei der Gestaltung einer wissenschaftlich fundierten und ökologisch ausge-

richteten Praxis

Unterstützung der landwirtschaftlichen Ausbildung in Möglin

Bis auf den letzten Punkt möchte ich die Vorhaben als gelungen einschätzen. Selbst bei der

Auswertung der Hochwassersituation im Oderbruch mischte sich die Fördergesellschaft mit

wissenschaftlichen Beiträgen ein.

Der ehemalige Landrat Friedhelm Zapf unterstützte die Mögliner Vorhaben, so gut er konnte.

Unter seiner Leitung fasste der Kreistag den Beschluss, die noch existierende Landwirt-

schaftsschule in Bad Freienwalde mit der Ausbildungsstätte Möglin zusammenzulegen. Dieses

Vorhaben scheiterte jedoch am Nichtinteresse des Ministeriums.

Ministerialrat Wöltje, ein Aktivposten der Albrecht-Thaer-Gesellschaft in Celle und Begrün-

der ersten Zuckerordnung der EU, lud Ottfreid Anklam und mich 1991 zu einem Besuch nach

Celle ein.

Er zeigte uns sehr anschaulich, wie Celle mit Gedenktafeln und Erinnerungstafeln die Ge-

schichte wach hält. Zum Schluss sagte er uns: Meine Herren, Ihre Gedenkstätte ist mit allen

Ihren Vorhaben zu groß. Sie werden keinen Beamten finden, der Sie arbeitsmäßig bei der

Verwirklichung unterstützt. Wie wahr, wie wahr! Dieser Satz bewahrheitete sich leider immer

wieder.

Grosse Unterstützung erfuhren wir dagegen vom Bundeslandwirtschaftsministerium durch den

Ministerialdirigenten Herbert Pruns. Für die Renovierung des Wohnhauses und des „Professo-

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renhauses“, was das ehemalige Inspektorenhaus war, vermittelte er uns ca. 700.000 DM För-

dermittel. Damit erhielt das Gutshaus ein besseres Aussehen und die Ausstellungsräume konn-

ten hergerichtet werden.

Für den ordnungsgemäßen Einsatz und den Verwendungsnachweis der Fördermittel ein-

schließlich kleinerer Zuschüsse aus Potsdam zeichnete Günter Darkow, den wir 1991 in der

erwähnten Gründungsversammlung zum Geschäftsführer gewählt hatten, verantwortlich. Die-

se Mittel kamen 1992/1993 zum Einsatz. In Verbindung mit einem ABM-Projekt konnte die

ständige Ausstellung im „Professorenhaus“ eingerichtet werden. 1993/94 wurde diese Ausstel-

lung erweitert. Der Aufbau einer eigenen Bibliothek mit Werken Thaers und anderer Autoren

aus Vergangenheit und Gegenwart ist uns gelungen.

In den Jahren 1994/95 gab die Gesellschaft zwei Text-Bildbände heraus. Einmal „Auf den

Spuren Albrecht Daniel Thaers“ und „Zwischen Strohm und Weydenbusch“.

Die jährlichen Mitgliederversammlungen der Fördergesellschaft konnten stets mit einer Wis-

senschaftlichen Tagung und Exkursionen gekoppelt werden. Auch ist die Mitwirkung anderer

Einrichtungen bei diesen Höhepunkten als gelungen zu bezeichnen. Die wissenschaftlichen

Beiträge der Tagungen sind in den jährlichen Bänden von THAER HEUTE veröffentlicht.

Dem praktischen Verein machten die Banken klar, dass sie einem Verein keine Finanzierung

einräumen: Der Verein muss zu einer GmbH umgebildet werden, dann kann die Sache kredit-

würdig sein. Er sollte auch einen Gesellschafter aufnehmen, der mit seinen Mitteln die Investi-

tionen stützen hilft. Was dann auch geschah. Wir glaubten in Eckhard Horstmeyer den Richti-

gen gefunden zu haben. Somit waren auch die Voraussetzungen geschaffen, dass der Kaufver-

trag zwischen der BVVG und der GmbH über die landwirtschaftlichen Flächen, das Gutshaus

und die Hofflächen geschlossen werden konnte. Die Zusammenarbeit mit dem Hauptgesell-

schafter der GmbH entwickelte sich aber zunehmend problematisch. Der Fördergesellschaft

kündigte er 2001 den Raum im Gutshaus, der bis dahin Ausstellungsstücke und die Bibliothek

beherbergte. Damit gab es für die Fördergesellschaft keinen Bezug zum Gutshaus mehr. Der

Platz wurde sehr beengt. Martin Frielinghaus war es gelungen, mit dem Pfarrer eine ständige

Ausstellung in der Mögliner Kirche zu vereinbaren. Mit dem Auslaufen der Bindungsfrist für

die Fördermittel erfolgte noch 2007 die Kündigung der Ausstellungsräume im Professoren-

haus.

Hier bewährte sich wieder die Standfestigkeit der Mögliner. Gemeinsam mit der Gemeinde

Reichenow-Möglin und dem Amt nahm die neue Ausstellung zunächst gedanklich Gestalt an.

Das Gemeindehaus wurde umgebaut und mit einer futuristischen Erweiterung war Platz für

die Ausstellung und den Sitz der Gesellschaft geschaffen. Die Finanzierung erfolgte durch die

Gemeinde und Fördermittel. Der Gemeinschaftsraum u. a. kleine Dinge werden gemeinsam

mit der Gemeinde genutzt. Am 19.03.2009 konnte mit Gästen die Ausstellung in den neuen

Räumen eröffnet werden. Hervorzuheben ist die unermüdliche Arbeit von Martin Frielingha-

us, der als Geschäftsführer wesentlich zum Gelingen des Projektes beigetragen hat.

Zwischenzeitlich gibt es einen neuen Eigentümer des Thaerhofes, die Lindhorst Gruppe. Der

Geschäftsführer stellte uns den Vorstandsvorsitzenden Jürgen Lindhorst vor. Dieser ermög-

lichte uns, die heutige kleine Veranstaltung im Gründungsraum der Fördergesellschaft durch-

zuführen. Wir erhoffen uns, dass wir mit ihm eine gute Zusammenarbeit organisieren können.

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Die Dissertation Albrecht Thaers von 1774

Über die Tätigkeit des Nervensystem

bei Infektionskrankheiten

Wilhelm Rimpau, Berlin

1 Der Student und Arzt Albrecht Thaer

„So holte ich mir ein damals grassierendes heftiges Faulfieber, wobei ich die sonderbarsten

Phantasien, zugleich aber völlige Überlegung und die ruhigste Gemüthsverfassung hatte.

Schröder, der Nächte durch bei mir wachte, sagte, in der Meinung, daß ich ihn nicht höre und

verstehe, trostlos zu den Umstehenden: `Das Springen der Sehnen nimmt zu!´–`Dann´, antwor-

tete ich ganz gelassen, `werde ich in vier Tagen sterben, nach dem und dem Satz des Hippokra-

tes; präparieren Sie meinen Vater darauf vor.´ – Ich kam indessen glücklich durch, hatte jedoch

nach der Krankheit mein Gedächtnis zum Theil völlig verloren. Manchen Namen meiner bes-

ten Freunde wußte ich nicht mehr, ja ich konnte selbst die Buchstaben zu einem Worte nicht

zusammenfinden. …. . Als ich wieder besser war, legte sich Schröder an demselben Fieber und

befahl seiner Frau, keinen Anderen zu Rathe zu ziehen, als mich; als er aber seine Besinnlich-

keit verlor, ließ sie alle Aerzte in Göttingen zusammenrufen und die curirten ihn offenbar zu

Tode.“ In der Biographie Albrecht Thaers von Wilhelm Körte 1839 werden Eigenberichte von

Thaer zitiert oder nacherzählt – so diese eindrucksvolle Episode einer Meningo-Encephalitis

(Hirnhautentzündung mit Beteiligung des Gehirns), die mit Fieber, Delir, Halbseitenlähmung

und Aphasie einherging. Faulfieber ist der alte Ausdruck für Fleckfieber, welches eine auch

heute unter ungünstigen hygienischen Bedingungen auftretende Rickettsieninfektion ist, über

Läuse, Milben und Zecken übertragen.

„Im 18. Jahr ging ich nach Göttingen. … . Gleich im zweiten halben Jahr fing ich an, gegen

den Rath aller Vernünftigen, praktische Collegia zu hören. Man wußte indeß nicht, wie stark

ich schon in den medicinischen Wissenschaften war, ehe ich auf die Universität ging, und wie

geübt ich war, alles für mich aus Büchern zu lernen. – Ich halte es für mein größtes Glück, daß

ich hier steif und fest bei meinem Vorsatz blieb; denn damals lebte noch der größte Lehrer der

practischen Medicin, der je auf einer Universität gewesen ist und je sein wird, der Leibmedicus

Schröder. Er wunderte sich selbst über meinen Vorsatz; als er aber sah, daß ich genug wußte,

um ihn zu verstehen, ward ich sein Liebling, wie es mir denn nie gefehlt hat, die Liebe und

Achtung derer zu erlangen, von denen ich sie wünschte. Er gab mir unentgeldlich Privatunter-

richt, führte und schickte mich zu seinen Patienten, und ließ mich alle Krankheiten am Kran-

kenbette selber studiren.“

Philipp Georg Schröder (1729-1772) aus Marburg war von 1754 bis 1762 Professor der Ana-

tomie und Chirurgie, Garnisonsarzt und Stadtphysikus zu Rinteln, seit 1763 erster Professor

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der Medicin und Stadtphysikus zu Marburg, seit 1764 Prof. der Medicin und Präses des chirur-

gischen Collegiums zu Göttingen. 1765 wurde er königl. churfürstl. Leibarzt.

Nach Schröders Tod am 21. April 1772 wird Ernst Gottfried Baldinger (1738-1804) 1773 von

Jena nach Göttingen berufen. Und wieder wird Thaer die „Liebe und Achtung“ seines neuen

Lehrers zuteil. Baldinger beauftragt ihn sicher nicht zufällig mit einem Dissertationsthema,

welches auch durch die eben überstandene Infektionskrankheit und den Tod des großen Leh-

rers Schröder vorgegeben zu sein scheint. Thaer weiss nicht nur, worüber er zu arbeiten hat,

sondern wovon er spricht, wenn er sich dem Thema der Infektionskrankheiten widmet. Die

eingangs erlebte und erlittene Episode wird er in seiner Dissertation in §32 in Erinnerung ge-

bracht, wenn er `die grundlegenden Symptome des Fiebers´ beschreibt: „Dem Fieber pflegen

Symptome als Vorboten voranzugehen, wie Mattigkeit des ganzen Körpers, Schwere der

Gliedmaßen, Gedankenverlorenheit, Trägheit der Sinne, Schwindel, ein Kältegefühl am Rü-

cken usw. Diese unangenehmen Dinge werden ja, wenn wir aufmerksam sind, vor dem Eintritt

von schwerem Fieber beobachtet. Besonders aber gibt es ein ungewöhnliches Verhalten des

Gemütes und eine bekannte Insuffizienz und irgendeine unangenehme Wahrnehmung, die

schmerzhaft erlebt, den Geist erregt. Dieser sitzt an keinem festen Ort, sondern er ist in jedem

Teil, den die Seele berührt, anzutreffen und damit ist seine Aufmerksamkeit einfach auch auf

die entlegensten Objekte gerichtet. Viel deutlicher, als ich es beschreiben kann, habe ich das

bei mir selbst beobachtet, und jeder, der sich ein- oder zweimal mit Fieber gequält hat, möge

sich an die Erscheinungen des vorangegangenen Tages erinnern.“

Abb. 1: Thaers Wohnhaus in Göttingen, Rote Str. 8 (Foto: Juliane Knust, Januar 2011).

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Abb. 2: Albrecht Daniel Thaer im Alter von 25 Jahren

(Quelle: Ausstellung Albrecht Daniel Thaer 2002,

Fördergesellschaft A. D. Thaer, Möglin).

Diese feine und differenzierende (Selbst-)Beschreibung ist eines der Markenzeichen der Thaer-

schen Dissertation. Eine nächste Qualität liegt in der ungeheuren Vielfalt und Kenntnis der

klassischen medizinischen Literatur wie der Aktualität zitierter Arbeiten aus allen Ländern

Europas und Nordamerikas. Thaer muß mit ungeheurem Eifer und Gründlichkeit gearbeitet

haben. Aber schon im Vorwort läßt er Selbstzweifel erkennen, wenn er meint, daß mit einer

Dissertation das Feld der Infektionskrankheiten nicht zu Genüge abgehandelt werden kann.

Auch bekennt er, „daß meine Art zu schreiben frei von jeder Eleganz und Kunstfertigkeit ist“.

Entsprechend steht die Arbeit unter dem Motto „Uns genügt es, den guten Willen gehabt zu

haben“. Am Ende wird er noch deutlicher: „Ich breche an dieser Stelle ab. Da die Zeit vergan-

gen ist, kann ich die Erörterung jetzt nicht weiterführen und halte hier inne.“ Sein Biograph

Körte (S. 28): „Thaer war erst willens die gesamten vom Nervenleiden herzuschreibenden

krankhaften Erscheinungen in den sogenannten bösartigen Fiebern zum Vorwurf seiner Disser-

tation zu machen; als er aber Nervenkrankheiten und Fieberlehre näher in´s Auge faßte, und in

den Schriften der bedeutendsten Meister fand, daß die Quelle jener Übel in einer uns tief ver-

borgenen Wesenheit der Nerven aufzusuchen sei, und daß nur diesen das eigentliche Fiebrische

beiwohne, so entschloß er sich, die Fieber und den Ursprung ihrer eigenthümlichen Phänome-

ne, insofern diese auf die Nerventhätigkeit zurückgeführt werden können, zum Gegenstande

seiner Untersuchungen zu wählen. Alles aber, was die Gränzen einer Dissertation überschreitet,

gedacht´ er einem späteren Werke vorzuenthalten und dann nicht allein die Unzulänglichkeit

dieser seiner Jugendarbeit zu beseitigen, sondern auch die Lehre von den einzelnen Fieber-

Arten und deren entsprechende Heilart ausführlicher darzustellen.“

Über etwa ein Jahr wird Thaer neben seinem Studium in Göttingen an dieser Doktorarbeit

gesessen haben. Mit 18 Jahren wurde er in Göttingen immatrikuliert, im Frühjahr 1772, mit 20

Jahren erkrankte er bzw. starb Schröder, 1773 wird Baldinger berufen, dessen Interesse an

Hallers Irritabilitätslehre das Thema vorgab, am 14. Mai 1774 feierte Thaer seinen 22. Geburts-

tag, zwei Tage später erschien die Arbeit „Über die Tätigkeit des Nervensystems bei Fiebern“

„mit Einwilligung des hochberühmten Gremiums der Ärzte für den Doktorgrad“ in Göttingen

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gedruckt von Johann Christian Dieterich. Die Arbeit wurde mit summa cum laude bewertet. In

Thaers Erinnerungen „Ich ward Doctor. Meine Patienten übergab ich Stromeyer´n, der dadurch

erst in Praxis kam. – Mit Lorbeeren gekrönt, mit Weihrauch beräuchert und mit Dank und

Thränen begleitet, zog ich aus Göttingen“.

„Im reservierten Celle setzte er sich nach Startschwierigkeiten durch, wurde Hofmedicus

(1780) und kurfürstlich hannoverscher und königlich englischer Leibmedicus (1796) und galt

bei seinen Patienten als `kloiker´(klüger) als `de Ole´(sein Vater, der 1778 starb). Seiner Zeit

weit voraus war er in seinen sozialmedizinischen Forderungen nach ausreichender ärztlicher

Versorgung auf den Dörfern, besserer Ausbildung von Ärzten, Krankenpfleger und Hebam-

men, nach einer Apothekenordnung und nach einer Landesmedizinalanstalt für das Fürstentum

Lüneburg. Diese Visionen seines erhalten gebliebenen `Medizinischen Testaments´ haben zum

Teil heute noch Aktualität“ (v. Lucke). In Körtes Biographie sind sowohl Teile der „Bekennt-

nisse“ Thaers nachgedruckt wie anschaulich seine ärztliche Praxis geschildert. Die erwähnten

„Startschwierigkeiten“ sind nachhaltiger: Da sind Thaers Zweifel an der altmodischen Praxis

seines Vaters; „die Methoden der hiesigen Aerzte war wenigstens um 15 Jahre zurück, um 15

für die Medicin sehr reichhaltige Jahre.“ Weiterhin leidet er unter ekelerregenden Symptomen

mancher Krankheiten und übermäßiges Mitleid mit seinen Kranken. Seine philosophischen

Interessen, die er mit seinem nächsten Freund, dem Schriftsteller Johann Anton Leisewitz

(1752-1806) teilt, überwiegen oft. Ein Viertel Jahr Aufenthalt im anregenden Berlin verheißen

neue Perspektiven. Eine Berufung nach Göttingen wird abgewogen. In ausführlichen Tagebü-

chern notiert Thaer seine ärztlichen Erfahrungen und setzt seine Studien fort. Thaer war seiner

Vaterstadt und deren Umgebung als der bedeutendste Arzt hochgeehrt und vorzugsweise ge-

sucht. Dies mag begründet sein in der schon in der Dissertation markant formulierten These

(§2), dass viele Ärzte sich deshalb der Theorie im Zitat berühmter Männer verpflichtet fühlen,

weil es Ruhm einträgt und nicht die Empirie, das vorurteilslose Beobachten und gewissenhafte

Mitteilen der Beobachtung vertreten. Es gehe nicht darum, immer nur zu fragen, wer etwas

gesagt hat, sondern auf die Qualität dessen zu achten, was gesagt wurde. Für Thaer galt die

Theorie immer weniger zuverlässig, die Praxis dagegen gründete sich auf rationelle Empirie.

Damit verbunden war für Thaer der Blick auf den individuellen Kranken und die Analyse sei-

ner Symptome, was dann zur sinnvollen Therapie führen konnte, wenn diese mit vertrauten

Krankheiten übereinstimmten.

Seine Dissertation hatte Thaer auch Johann Daniel Taube gewidmet. Dieser war Thaers Lehrer

in Celle vor Aufnahme seines Studiums in Göttingen, hatte ihn in Botanik, Naturgeschichte

und Anatomie unterrichtet. Wie später auch Thaer war der Stadt-, Hof- und Landesphysikus

Taube Mitglied der Königlichen Landwirthschafts-Gesellschaft. Neben seiner Praxis in Celle,

der er vom Vater übernommen hatte, „beschäftigte sich Thaer zur Erholung und zum Ausgleich

seiner Gemütsbewegungen mit Blumenpflege, die er aber seiner ganzen aufs Forschen und

Experimentieren gerichteten Art entsprechend, ebensosehr als Blumenzüchter wie als Blumen-

freund betrieb: er variierte Nelken und Aurikeln“ (Jumpertz). Vor den Toren Celles wurde

Thaers kleine Landwirtschaft als Modell- und Musterwirtschaft bekannt. Thaers Weg in die

Landwirtschaft war gebahnt, 1804 mit der Berufung als Geheimrat und Mitglied der physikali-

schen Abteilung der preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin und seit 1807 der

landwirtschaftlichen Lehranstalt Möglin vollzogen.

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Auf dem Wasserwege nach Berlin sind durch ein Unglück alle medizinischen Schriften Thaers

verloren gegangen. Erhalten geblieben sind nur sein Medizinisches Testament und die Disser-

tation. Thaer hatte mit 16 Jahren autodidaktisch Latein gelernt. Die Besonderheiten dieses

Latein haben uns nun zu schaffen gemacht. Herausgekommen ist eine Übersetzung und Les-

barmachung der Thaerschen Dissertation, die als Link unter www.albrecht-daniel-thaer.org

studiert werden kann.

Abb. 3: Titelblatt der Doktorarbeit.

2 Ausflug in die Medizingeschichte

Um Thaers Dissertation übertragen und verstehen zu können, war ein gründlicher Ausflug in

die Medizingeschichte, insbesondere die Zeit von Paracelsus (1500) bis Albrecht v. Haller

(1708-1777) angezeigt. Dies schlägt sich in den Fußnoten der vorgelegten Übersetzung der

Dissertation Thaers nieder. Hier, wie im Literaturverzeichnis dieser Übersetzung findet der

Leser Belege auch hier zitierter Literaturstellen. Im Folgenden soll in einer knappen Übersicht

gezeigt werden, wie sich über Jahrtausende hinweg insbesondere Wissenschaftler mit der Gei-

ßel der Menschheit, den Seuchen, auseinandergesetzt haben, welche Erklärungen und Behand-

lungsmethoden entwickelt wurden bevor mit den Entdeckungen von Robert Koch (1843-1910)

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die eigentliche Ursache in den Mikroorganismen gefunden (1876) und mit der Entwicklung der

Antibiotika (Alexander Fleming 1928) Behandlungsperspektiven eröffnet waren.

„Nicht allein medizinisches, auch ein allgemeines kulturhistorisches Interesse nehmen die

großen, gewaltigen Seuchenzüge der Vergangenheit in Anspruch. Die Verwüstungen, die im

Gefolge von Epidemien über ganze Länder und Völkerschaften sich ausgedehnt, die ungezählte

Menschenleben vernichtet, blühende Ansiedlungen entvölkert, Wohlstand und Besitz zerstört

haben, sind oft genug der Menschheit zu härterer Bedrängnis geworden, als sie die blutigsten

Kriege, schwere Hungersnöte oder die Naturkatastrophen herbeizuführen imstande waren“.

„So hat die große Verbreitung der Syphilis am Ausgang des Mittelalters, die Seuchennot des

Fleckfiebers und des Englischen Schweisses (Erreger bis heute unbekannt) im Zeitalter der

Reformation, zum guten Teil die Unfehlbarkeit der galenischen Doktrin erschüttert“ (Fossel).

Die Seuchen wurden zum Lehrmeister. „Nature“ berichtete im Oktober 2011, warum durch die

Pest, der Schwarze Tod, im 14. Jht. Millionen Menschen starben. Man schätzt, dass 30 Millio-

nen Tote in fünf Jahren um 1348 durch den über Flöhe übertragenen Erreger Yersinia pestis zu

beklagen waren. Noch heute sterben jährlich 2000 Menschen an der Pest.

Nach der über 2400 Jahre gültigen Vorstellungen der hippokratischen Medizin ist Krankheit

gestörte Harmonie, schlechte Mischung der Körpersäfte, Dyskrasie. Ein solcher Zustand konn-

te durch schlechte Beschaffenheit der Luft, des Wassers und des Bodens hervorgerufen wer-

den. Den Ausgleich der Säfte konnte die Physis des Menschen, seine Natur entweder selbst

oder mittels ärztlicher Hilfe, durch Pepsis (Dauung) bzw. Coctio (Kochung) wiederherstellen.

Im 2. Jht. n. Chr. wurden die wesentlichen Charakteristika der hippokratischen Medizin als

Humoralpathologie von Galen zu ihrer kanonischen Form ausdifferenziert. Therapeutische

Mittel waren die Diätetik, die maßvolle Form der gesamten Lebensführung, nicht nur des Es-

sens und Trinkens. In seiner Dissertation führt Thaer – der Galenschen Lehre folgend – als

Gründe des Fiebers die nachlassende Vitalkraft an, die zu einer schlechten Crasis der Säfte

führe. Schädliche Materie im Körper wird durch die Natur des Menschen durch einen Ko-

chungsprozess „reif“, weniger schädlich gemacht und im Stoffwechsel aufgenommen. Dieses

Stadium der Pepsis zeigt sich als Fieber. „Unverkochbare Schlacken“ mussten aus dem Körper

ausgeschieden werden. Aber auch die Miasmenlehre spielt weiterhin eine Rolle, weil Verun-

reinigung durch schlechte Ausdünstungen des Bodens, Wassers, feuchter Sumpfgebiete oder

krankmachender Bestandteile der Luft epidemische Krankheiten verursachten oder verbreite-

ten. Diese Vorstellungen führten zu präventiven Hygienemaßnahmen. So stützte sich die Seu-

chenbekämpfung im Athen um 480 v. Chr. auf Perikles. Als die besten Ärzte die Stadt vor der

Pestepidemie nicht retten konnten, rief Perikles Hippokrates. Dieser beobachtete, dass die

meisten Menschen erkrankt waren, nicht aber die Schmiede, die den ganzen Tag am Feuer

arbeiteten. Er befahl, um die Stadt große Feuer anzuzünden, wodurch die Pesterreger abgetötet

wurden (§41).

Thaer bezieht sich in seiner Dissertation auf einige hervorragende Wissenschaftler und Ärzte,

die wesentlich beigetragen haben, die Medizin und ärztliche Kunst von den theoretischen und

dogmatischen Vorstellungen Galens zu befreien. Sie zählen zu den Vorläufern einer naturwis-

senschaftlich begründeten rationellen Medizin seit Ende des 19. Jhts. Man macht es sich zu

leicht, wenn man die lange Ära davor als Magie, Hokuspokus, Aberglaube und Spekulation

abtut. Die Thaersche Dissertation ist ein schönes Zeugnis dafür, dass genaue Naturbeobach-

tung, sorgfältige klinische Untersuchung, Analyse der Lebensbedingungen der Menschen zu

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einer Fülle von Entdeckungen geführt hat. Damit einher ging eine sich verändernde Krank-

heitslehre und Theorie der Medizin. Die Berufung auf Dogmen und Autoritäten hatte Thaer mit

seiner Forderung, kritisch darauf zu achten, was jemand untersucht und gesagt hat, anstatt

autoritätsgläubig einfach nachzubeten, aufgegeben. Es konnte ihm sicherlich nicht vollständig

gelingen. Oft werden zeitgebundene Floskeln höchster Anerkennung berühmter Ärzte ver-

wandt. Entstehung und Behandlung von Infektionen war erst über 100 Jahre nach Thaers Dis-

sertation bekannt und ist bis heute nicht abgeschlossen. So mußte auch er Hypothesen bilden

und dabei zurückgreifen auf eine Begrifflichkeit vorangegangener Zeiten.

Johan Baptista van Helmont (Brüssel, 1580-1644) gilt als Begründer der Iatrochemie: entgegen

der Humoralpathologie wurden physiologische und pathologische Phänomene als körperche-

mische Vorgänge gedeutet. Insofern war er Anhänger des Paracelsus und Gegner der Galeni-

schen Dogmatik. Dies war schlicht auch damit zu erklären, dass er von Krätze befallen keine

wirksame Behandlung der Galenisten bekam, aber geheilt wurde, weil er die Quecksilber- und

Schwefel–Kur eines italienischen Alchemisten erfolgreich anwandte. Helmont stellte alle Le-

bensvorgänge als chemischen Prozess dar, die er Gärung nannte. Er synthetisierte als erster

diverse Kupfersalze und war der Wegbereiter der Experimentalchemie und Biochemie. Der

Begriff Gas geht auf ihn zurück. Er entdeckte das Kohlendioxyd. Experimente Helmonts wur-

den Mitte des 19. Jahrhunderts durch Louis Pasteur aufgegriffen, der 1862 nachweisen konnte,

dass Verunreinigungen der Luft durch mikroskopisch nachweisbare Mikroorganismen zurück-

zuführen war. In Erweiterung der Vorstellung Paracelsus vom obersten Lebensprinzip, dem

Lebensgeist, archeus, vermutete Helmont organspezifische Archei.

Abb. 4: Goldene Schmuckdose. Geschenk an Albrecht Thaer in Anerkennung seiner ärztlichen

Leistungen. Vom König von Großbritannien und Hannover Georg III, dessen Leibarzt Thaer

war? (Im Thaerschen Nachlass von seinen Erben verwahrt)

Ein späterer, sehr einflussreicher Vertreter der Iatrophysik war der Botaniker und Chemiker

Herman Boerhaave (Leiden, 1688-1738). Gesundheit und Krankheit wurden in Abhängigkeit

von der inneren physikalischen Struktur, der äußeren Form und der mechanischen Veränder-

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lichkeit interpretiert. Höhepunkt dieser Entwicklung war eine Maschinentheorie des Lebendi-

gen des Philosophen René Descartes (1596-1650). Boerhaaves Ruhm galt der Arzneiwissen-

schaft. Aus allen Ländern Europas kam man, ihn um Rat zu fragen. Als erster hat er seine Stu-

denten durch Unterricht am Krankenbett geschult. Boerhaave hat jedesmal sein Barett gelüftet,

wenn er im Kolleg ehrfurchtsvoll den Namen Thomas Sydenham (1624-1689, London,

Oxford) aussprach. Unter dem Einfluß des philosophischen Empirismus von Francis Bacon hat

Sydenham die strenge Naturbeobachtung, objektive Untersuchung des Kranken und des

Krankheitsverlaufes und naturgetreue Beschreibung des Krankheitsvorganges praktiziert und

gefordert. Boerhaaves medizinische Entdeckung – auch diese der mechanistischen Auffassung

folgend – war die Faser als der allgemeine Organbestandteil, der durch seine Spannung und

Erschlaffung die meisten Krankheitszustände verursacht. Für Boerhaaves ausgezeichnetsten

Schüler Albrecht von Haller wird diese Hypothese zum Schlüssel wiederum seiner Arbeiten,

an die die Dissertation Thaers anknüpfen wird. Sehr oft finden wir Thaers Zitate aus Bo-

erhaaves berühmtem Lehrbuch der praktischen Medizin, in der dieser eine geniale Klassifikati-

on der Krankheiten vorlegte.

Abb. 5: Dem Gründer der Ackerbauwissenschaft zum 14. Mai 1824 (Jubiläumstasse im Besitz

von Helga Thaer, Lüneburg).

Albrecht von Haller (1708-1777) promovierte bei Boerhaave; nach Reisen durch England und

Frankreich studierte er in Basel Mathematik und Botanik und wurde an der eben neu gegründe-

ten Universität Göttingen 1736 Lehrstuhlinhaber für Anatomie, Chirurgie und Botanik. Wie

kein Forscher vor und nach ihm hat Haller 50 Tausend Seiten Papier mit wissenschaftlichen

Texten beschrieben, er hat 400 Leichen präpariert und Hunderte von Tierexperimenten durch-

geführt. Die Experimente zur Bestimmung der Sensibilität und Irritabilität machten ihn zum

Begründer der modernen Physiologie (s. seine achtbändige Elementa physiologiae corporis

humani). Für die Pariser Encyclopédie verfasste er 200 Lexikoneinträge. In allein sieben Bän-

den erläuterte Haller Boerhaave. 12 Tausend an ihn gerichtete und 17 Tausend von ihm ge-

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schriebene Briefe sind in mehreren Bänden gesammelt. Thaers Dissertation wird er wohl nicht

mehr gelesen haben, war er doch 1753 in seine Heimatstadt Bern zurückgekehrt, beschäftigte

sich als Schulrat und Vorsteher eines Waisenhauses nebenamtlich mit der Schweizer Geschich-

te und den Alpen, schrieb Gedichte und Romane. Als Literaturkritiker hat er Zeit seines Lebens

derart viele Rezensionen verfasst, dass das Gerücht ging, er würde selbst auf dem Pferd noch

lesen. Das auf 1729 datierte Gedicht „Die Alpen“ kannte über Generationen jeder Deutsche.

Die Irritabilitätslehre geht auf Glisson 1672 zurück und meint zunächst die Erregbarkeit an den

Muskelfasern und die Empfindung davon. Auf der Suche nach lebenserklärenden Prinzipien

wurde 70 Jahre später durch Haller die Erregungsantwort auf Reize und die Sensibilität als

Empfindungs- und Reizleitungsphänomen der Nerven erklärt. Sein Schüler Johann Georg

Zimmermann (1728-1795) hat durch Experimente am dekapitierten Frosch das Phänomen der

Muskelirritabilität belegt. Jeder deutsche Medizinstudent hat noch heute im Physiologieprakti-

kum diesen Versuch durchgeführt. Zimmermann ist als wichtiger Rezensent der Dissertation

Thaers zu nennen. Die Idee der Lebenskraft – ebenfalls Thema der Thaerschen Dissertation –

gründet sich auf Hallers Entdeckung und das Animismuskonzept Stahls (1659-1734). Danach

begründet sich das Lebens- und Krankheitskonzept in der empfindenden, erkennenden, wol-

lenden und handelnden Seele. Der lebende Körper ist nicht länger „Mechanismus“ sondern

„Organismus“. So rücken diese frühesten Bemühungen um eine Psychotherapie, Stahls seelen-

beeinflussende Therapievorschläge und Affektlehre, in die Nähe der Anthropologie und Psy-

chiatrie Ende des 19. Jhts. und damit in die Nähe Sigmund Freuds. Französische Forscher ha-

ben vor allem den Animismus fortentwickelt und Thaer konnte sich in seinen Ausführungen

etwa auf Sauvages, Bordeu und Barthez berufen. Erst nach Thaer tritt Chr. W. Hufeland (1762-

1836) als Hauptvertreter des Vitalismus mit der Lehre von der Lebenskraft in Deutschland

hervor. Berühmt ist sein Buch über „Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern“.

3 Thaers Dissertation

In der Göttinger Staats- und Universitätsbibliothek findet sich die lateinische Fassung der

Thaerschen Dissertation auf 116 gedruckten Seiten, gegliedert in 42 Paragraphen. Diese sind

etwa zur Hälfte ohne Titel ausgeführt und stellen eigenständige Gedankengänge innerhalb

eines Themenkomplexes dar. Im Vorwort stellt Thaer klipp und klar fest, keine neue Fieber-

theorie aufstellen zu wollen, sondern allein die Hypothese zu begründen, warum die Symptome

des Fiebers bzw. der Infektionskrankheiten auf Nervenfunktionen beruht. Mit aller Schärfe

wendet sich Thaer gegen die seinerzeitige moderne mechanistische Theorie der Physiologie

und der Krankheitserklärung: „Das übermütige Geschlecht der Arzt-Mathematiker führte in

einfältiger Weise die Mechanik im menschlichen Körper ein“. In den folgenden Paragraphen

widmet sich Thaer der Empirie und dem Nutzen wahrer Theorie. Hier wird Sydenham zum

verehrten Kronzeugen der vorurteilslosen klinischen Beobachtung, die dogmatisch erstarrte

Theorie ersetzen soll. „Weil ich aber glaube, daß nie alles erkannt wird, was der Wahrheit

entspricht, werden alle mit mir in dieser Angelegenheit übereinstimmen, daß in der medizini-

schen Kunst die Theorie auf Erfahrung gegründet sein muß und sich damit der höchste Nutzen

für die Praxis ergibt.“ Damit bezieht Thaer sein Vorgehen auf Francis Bacon (1561-1626), der

in seinem „Organon“ die Notwendigkeit hervor hob, alle menschliche Erkenntnis auf experi-

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mentell und induktiv verfahrende Wissenschaft zu gründen. So sei auch Newton vorgegangen.

Mit einer knappen Einführung in die Hallersche Lehre von der Irritabilität und Sensibilität,

kommt Thaer zu einer ersten These, nämlich der, daß nicht allein die Nerven über ihre Wir-

kung auf die Muskeln zur Bewegung führen, sondern Nerven alle Organe innervieren und so

ihre Funktion ermöglichen. Auch die Wirkung von Heilmitteln, wie z.B. das Opium ist auf

Nervenfunktion zu beziehen. §4 beschreibt im Näheren Hallers Entdeckung von der Reizbar-

keit und Empfindbarkeit und weist auf seit alters her bekannte Phänomene hin, die durch die

mechanistische Schule missachtet seien. Die Frage, welche Grundsubstanz (Gluten bei Haller,

die Faser bei Boerhaave) in Muskeln und Organen vorliegt, an der Nerven ihre Wirkung über-

tragen, trennt mechanistische und animistische Vorstellungen. Mit der „Lebenskraft“ wird die

Nervenkraft deutlich, welche alle Funktionen lebender Körper steuert. Mit dem Kapitel „Reiz-

barkeit – eine pathologische Betrachtung“ schließt Thaer die Einleitung ab und formuliert die

These seiner Dissertation im Anschluß an eine unter Prof. Baldinger angefertigte Arbeit von

Weise (1772), in der es grundsätzlich um Hallers Irritabilität bei Krankheiten ging, während

Thaer diese Theorie auf das Fieber bezogen untersuchen sollte. Folgerichtig wird nun in §7 und

8 auf den empirischen Iatrochemiker Thomas Willis (1621-1675) zurückgegriffen, der in Ver-

änderung des Spiritus animales abnorme Nerventätigkeit beschrieb, insbesondere beim Fieber.

So bildete sich der Begriff „Nervenfieber“. Willis hat hirnanatomische Untersuchungen durch-

geführt. Die Fehlmischung des Blutes – insofern der alten Säftelehre folgend – erklärte Willis

mit unterschiedlichem Überwiegen chemischer Anteile. Ein zentraler Begriff, der sich weiter

durch die ganze Arbeit Thaers zieht, ist das Sensorium Commune, das Organ der Seele, wel-

ches die gemeinschaftliche Empfindungsstelle und Ursprung aller Nervenfasern mit Sitz im

Gehirn ist. Es würde ein Buch füllen, so Thaer, wollte man alle Befunde und Probleme zum

Sensorium Commune berichten. Für Thaer wichtig ist, daß durch Reize an einer bestimmten

Körperstelle Reaktionen auch an anderen ablesbar sind und auch ohne Empfinden ablaufen

können.

In den folgenden drei Abschnitten wird die Wechselwirkung Nerven – Sensorium Commune

erläutert und damit ein Kapitel besprochen, was heute den Titel Psychosomatik führen würde.

Der Seelen-Begriff des Aristoteles, die „natura“ des Hippokrates und die „rationalis anima“

Stahls sind gewissermaßen Vorboten einer auch heute wieder modern gewordenen Diskussion

über das Verhältnis von freiem Willen und Geist: „Alle stimmen darin überein, daß die Freiheit

ein regelmäßiges und feststehendes Attribut des Geistes ist, die sich ohne den Willen niemals

äußert und nicht unabhängig vom Willen gegen die Vernunft, …, etwas wollen kann … .“ Das

Sensorium Commune ist im Grenzbereich zwischen Körper und Geist angesiedelt und vermit-

tel „Befehle“ und „Rückmeldungen“. „Die Reizwahrnehmung geschieht nämlich im Sensori-

um; das Erkennen im Geist: von diesem geht der Wille aus; jenes ist für Bewegungen und

Handlungen (wir würden sagen Funktionen).“ Längere Ausführungen münden schließlich in

der Erläuterung dessen, was erst um 1800 von Bichat als vegetatives Nervensystem beschrie-

ben worden ist, die Brücke für Körpersymptome bei psychischen Erkrankungen, zu Thaers

Zeiten noch Pathemata genannt, die Leidenschaften. Thaer konnte auch nicht einen Brief ken-

nen, den ein englischer Arzt über die Angina pectoris 1772 schrieb und darin das autonome

Nervensystem verantwortlich machten – ein Brief der erst 1928 im British Medical Journal

gedruckt wurde. Thaers Beitrag hier hat aber besondere Erwähnung bei seinem Rezensenten

Zimmermann 1775 gefunden, die wiederum von Jean Paul exzerpiert und „Von der Wirkung

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der Seel´ auf den Körper und umgekehrt“ genannt wurde. Zimmermann hielt diesen Passus für

die Summe der Thaerschen Dissertation. Schon Hippokrates benutzte den Begriff „Sympathie“,

um das Zusammenspiel der Organe im Körper zu bezeichnen; bei Thaer ist es die Sympathetik,

die das Zusammenspiel von Nerven und Organen meint.

Nach diesen aufregenden § 9 bis 11 geht es jetzt um „Natürliche und unnatürliche Reizung“

(§12), „Die Wirkung des Sensorium Commune nach der Reizung“ (§13) und um „Die Nerven-

kraft in lebendigen Organen“ (§14-17). Die Nerven gelten normalerweise als Vollstrecker des

Willens, der vom Geist angeregt wurde. Ist aber das Sensorium Commune, bzw. die seelische

Funktion gestört, „überließ der äußerst kluge Schöpfer nicht einem schwächelnden Geist, er

wollte, daß die Vitalfunktionen von anderen Gesetzen gesteuert werden“. Und Thaer schildert

jetzt die Funktion der Kreislauforgane, Herz und Gefäße. Dabei werden auch heute gültige

klinische Beobachtungen herangezogen, wie Extrasystolen beim gastrokardialen Symptomen-

komplex, Herzfrequenzänderungen bei bestimmten Hirn- und Rückenmarkserkrankungen und

Herzjagen, was bei Geisteskrankheiten beobachtet werden kann. Dann geht es um die unter-

schiedlichen Ansichten, ob Nerven auch Gefäße versorgen, was bei entsprechenden Präparati-

onen noch nicht bestätigt war, von Thaer aber als sicher angenommen wurde. „Damit ich für

die, die wissen, daß dieser Sachverhalt schon hinlänglich dargestellt wurde, kein Überdruss

bin, verweise ich auf andere Arbeiten hervorragender Männer …“ und er nennt nun drei pro-

minente Namen. „So kann ich diese Debatte einfach vermeiden, was ich deswegen gern tue,

weil ich diese Hochachtung vor zu rühmenden Autoren für schädlich halte, weil sie mögliche

Kritik einschränkt.“ Viele klinische Beobachtungen weisen auf die Wechselwirkung des auto-

nomen (vegetativen) Nervensystems und der Blutgefäße hin, wobei sowohl körperliche wir

psychische Störungen zu beschreiben sind. Haller hatte schon beobachtet, daß „die Quelle der

Blutsbewegung selbst durch verstärktes Sprudeln angeregt wird, so daß ein Herzschlagen spür-

bar wird, was man bei Zorn, Freude oder Verlangen und Erwartung beobachtet“. Die Nerven-

kräfte, angeregt vom Sensorium Commune, stimulieren die Herz- und Gefäßtätigkeit.

Wir lernen hier auch etwas zu Medikamenten kennen, die mit der Nervenfunktion verbunden

sind. Relaxantia topica, ein Abführmittel, Moschus, heute in der Parfümerie benutzt, ein Sekret

einer Drüse männlicher Moschus-Hirsche. Ipecacuanha: portugiesischer Name für die giftige

Brechwurzel („Ruhrwurzel“) aus der Familie der Rötegewächse, in Südamerika beheimatet.

Ipecacuanha-Sirup enthält die Alkaloide Emetin und Cephaelin und wird auch heute in der

Medizin eingesetzt. Wichtig war die (Wieder-) Entdeckung von Cortex Peruvianus: peruani-

sches Pulver, von Sturm 1681 so genannt, Jesuitenrinde, Chinarinde nach dem China-China-

Baum benannt (C. v. Linné: Chinahona succirubra), auch „Fieber-Rinde“, enthält Chinin; ein

Alkaloid, von Sydenham bei Malaria angewandt (Methodus curandi febris, 1666); ausführlich

wird die Geschichte der Chinarinde vorgestellt in Winkle S. 758-72.: von de Vega 1638 in den

spanischen Kolonien entdeckt und nach der Gräfin Chinchon, Gattin des Vizekönigs benannt;

die Ureinwohner der Anden kannten bereits die fiebersenkende Wirkung; Chinin wird bis heute

bei der Malaria tropica eingesetzt.

Skorbut wurde damals noch als Infektionskrankheit angesehen. Umso erstaunlicher die Wir-

kung von Zitrusfrüchten, die der schottische Schiffarzt James Lind 1747 gegen diese Vitamin-

mangelerkrankung einsetzte.

Jetzt widmet sich Thaer in §18ff dem Fieber. Dieses wird nicht allein als Symptom unter-

schiedlicher Erkrankungen diskutiert, sondern „die Fieber“ bedeutet Seuchen bzw. Infektions-

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krankheiten. Allen körperlichen Erscheinungen des Fiebers (Atemnot, Druck in der Brust,

Übelkeit, Blässe, runzelige Haut, schwacher, zitternder und schneller Puls, Harnverhalt, dann

Hitzegefühl, Temperaturanstieg, Schweißbildung, Rötung der Haut) liegt eine krankhaft verän-

derte Gefäßfunktion zugrunde. Die Ursache für Fieber liegt in der nachlassenden Vitalkraft,

krankhafte Blutmischung ist die Voraussetzung. Thaer beschreibt, wie unterschiedlich Men-

schen auf Reize hin reagieren und deswegen mal die einen erkranken, was andere wieder unbe-

einflusst läßt. Neben diesen Dispositionen gibt es auch Gewohnheiten der Menschen, die ihre

Sensibilität vermindern. „Durch andere Einflüsse, die seltener einwirken, wird derselbe Körper

stark angeregt. Das ist der Grund, warum zarte Mädchen nackte Körperteile der eiskalten Luft

aussetzen und warum manche Scharfes ungestraft runterschlucken und sich damit einem spezi-

ellen Reiz aussetzen können und doch nicht vom Fieber ergriffen werden.“ „… auch im selben

Individuum können Reize auf wunderliche Weise unterschiedlich reagieren.“… „Hysterische

Frauen, die sich zeitweilig bester Gesundheit erfreuen und nicht durch bestimmte Reize erregt

werden, können zu einer anderen Zeit präsynkopale Symptome, Spasmen und Konvulsionen

erleiden.“ Fieber kann aus singulären und epidemischen Gründen auftreten. Die Beschaffenheit

der Luft und der Speisen betreffen alle, deswegen erkranken gleichzeitig viele Menschen.“

Bei Erkältungen (§20), Abkühlung des Körpers, ist die physiologische Schweißabsonderung

durch verschlossene Hautporen vermindert, was den Anteil schlechter Säfte vermehrt, dies

kann zu Fieber führen – so die alte Lehre. Thaer führt nun diverse Literaturverweise an, welche

belegen, daß die verminderte Perspiration nicht unbedingt zu Fieber führen muß. Immer haben

sich die Menschen, z.B. nach dem Bad, die Haut mit Öl eingerieben oder gesalbt, damit die

Poren verschlossen, ohne krank zu werden. Aber auch die Leidenschaften, Pathemata (§21)

können mögliche Fieberursachen sein. So kann Zorn, Aufregung, Trauer und Furcht Fieber

auslösen. Dieser Satz könnte von Sigmund Freud sein: „Dennoch ist auch sicher, daß seelische

Beeinträchtigungen, besonders wenn sie aufgedeckt wurden, das gesamte Nervensystem oder

den fieberhaften Körper wiederherstellen und daß damit eine Verbindung zwischen entstande-

nem Fieber und den Leidenschaft nachzuweisen ist.“

Die folgenden §22 bis 24 behandeln die Disposition für Fieber. Körperkonstitutionen und

Temperamente spielen eine Rolle, wie Alter und Geschlecht. Die Art der Lebensführung war

schon zu Galens Zeiten ein Thema, was bis ins 19. Jht. die Gesundheitslehre beherrschte – und

auch heutigen Empfehlungen entspricht: Die Art der Lebensführung kann willkürlich beein-

flusst werden und es sind, je nach ihrem vernünftigen oder unvernünftigen Gebrauch, zur Er-

haltung der Gesundheit oder aber zum Auftreten von Krankheit nötig: Luft, Essen und Trinken,

Schlafen und Wachen, Bewegung und Ruhe, Anfüllung und Entleerung sowie die Gemütsbe-

wegungen. Dies meinen wir heute mit Compliance.

Drei folgende Kapitel (§25-27) behandeln wieder das Sensorium Commune, bevor ausführlich

der Einfluß der Luft auf das Nervensystem und die Beschaffenheit der Luft besprochen wird

(§28-31). Besondere Eigenschaften des Sensoriums sind an der Heilung beteiligt, wie Nerven

dabei ihren Anteil haben. Allerdings seien die Mechanismen ungeklärt. Es sei zu beobachten,

daß Heilmittel, die auf Nerven wirken, Fieber beenden, ohne daß krankhafte Substanzen ausge-

schieden werden. Weil nun sicher sei, dass es einen Einfluß der Luft auf das Sensorium gebe,

wie Luft bei epidemischen Krankheiten eine Rolle spiele, gelte es nun dies zu besprechen.

Ohne Luft kein Leben. Vom babylonischen Mythos über die „Nahrung des Lebens“, zu Hippo-

krates Schrift „Über die Luft, die Wasser und den Ort“, zu Paracelsus „feurigem, flüchtigem

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und festen Prinzip“ hin zu Helmonts Beschreibung von Gas, der Mikroskopie des Lungenge-

webes, Klärung der Gaschemie und –physik und schließlich Klima, Meteorologie und Geogra-

phie – kein Aspekt der Menschheits- und Medizingeschichte, der hier nicht gestreift wird.

Noch war der Sauerstoff nicht entdeckt; erst 1777 beschrieb Lavoisier Sauerstoff und Kohlen-

dioxyd. Thaer rätselt um eben diesen „Grundstoff“ der Luft, will diese Diskussion aber hier

nicht führen: „Denn über die Vielzahl an Hypothesen, die schon genug Experten vorgetragen

haben, will ich nicht spekulieren, mich nicht in die damit verbundenen wallenden Wogen und

Stürme stürzen, besonders weil die wenige Zeit, die mir zur Verfügung steht, Kürze erfordert.“

Immer wieder diese Äußerungen des Zeitdrucks in Thaers Arbeit, warum eigentlich? Glauben

wir nicht, dass dies ein Problem unserer heutigen Tage sei?

Abb. 6: Goldenes Doktorjubiläum 1824 in Bad Freienwalde. Albrecht Thaer mit seiner Frau

und seinen drei Söhnen Albrecht, Ernst und Georg, sowie Schwiegersohn Körte. Die Begrü-

ßenden sind: Graf v. Itzenplitz, v. Bredow-Schwanebeck, Bath, v. Arnim-Neuensund, v.

Eckardstein-Prötzel und v. Treskow-Friedrichsfelde (Quelle: Fünfundreißigstes Jahresheft der

Albrecht-Thaer-Gesellschaft 2009).

Mit §32 beginnt die Auseinandersetzung Thaers mit Fieber unter Anwendung seiner von Haller

adaptierten Vorstellung der Nervenfunktion und damit These seiner Dissertation, die mit §42

abrupt abbricht: „Da die Zeit vergangen ist, kann ich die Erörterung jetzt nicht weiterführen

und halte hier inne.“ Sein Biograph Körte meint, dass Thaer in einem späteren Werk einmal die

Unzulänglichkeiten dieser seiner Jugendarbeit beseitigen und die Lehre von den einzelnen

Fieberarten und deren Heilungsmöglichkeiten ausführlicher darstellen wollte.

Zunächst beschreibt Thaer seine eigene Erkrankung, die hier in der Einleitung vorgestellt wur-

de. All den Vorzeichen einer fieberhaften Erkrankung liegen Nervenfunktionen zugrunde. Die

Lethargie der Sinne, die Schwäche der Muskeln, die Spasmen, z.B. Husten sind Folge patholo-

gischer Nerveneinflüsse. Was auch dadurch Thaer meint begründen zu können, weil z.B. die

Ablenkung der Aufmerksamkeit Husten vermindert oder Phrenitis (wir nennen dies heute Fie-

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berdelir) durch Musik geheilt wird und eine von Boerhaave beschriebene Massenekstase, spä-

ter `Epileptica Harlemensis´ genannt, durch Furcht vor einem glühenden Eisen erfolgreich

beendet wurde. Problem bereitet der Schauder, wir sagen wohl Schüttelfrost dazu, dessen Käl-

teempfinden mit hoher Temperatur verbunden ist. Diese kann jüngst mit dem Thermometer

gemessen werden, von Santario Santario zuerst 1626 beschrieben, seit 1725 durch Réaumur

und 1742 durch Celsius gebraucht. Thaer referiert eine lange Diskussion darüber, wie Tempe-

ratur im Körper erzeugt wird. Auch hier wieder ein Ausflug in abstrus und magisch anmutende

Theorien, wie der, dass Fieber infolge von Reibung von Schwefel mit flüchtigem Salz oder

Reiben der Blutkörperchen aneinander entstehe. Weil „die Sinne der Seele in einem fiebernden

Körper Kälte vermitteln“ müssen – so Thaer – Veränderungen im Nervensystem gesucht wer-

den. 1777, also drei Jahre nach Erscheinen der Dissertation Thaers, hat William Cullen, ver-

meintlich als erster, den Nachweis geführt, dass das Nervensystem eine dominierende Rolle im

Krankheitsgeschehen hat. 1958 wird der einzige Medizinhistoriker der jüngeren Zeit, der sich

Thaer gewidmet hat, Gernot Rath, feststellen: „so kann Cullen doch nicht als Inaugurator der

neuralpathologischen Gedankengänge angesprochen werden, die vor ihm – und unabhängig

von ihm – um 1770 in Deutschland Eingang gefunden hat.“ Rath sieht darin Thaers größtes

Verdienst.

Worin bestehen nun diese „neuralpathologischen Gedankengänge“? Der Grund für fiebrige

Hitze kann nicht mit dem beschleunigten oder verlangsamten Kreislauf zusammenhängen, wie

Eigenversuche Thaers zeigen, der mit heftiger körperlicher Übung seinen Puls auf 130/min

brachte, ohne dabei einen Temperaturanstieg messen zu können. Auch bei Hysterie gebe es

hohe Pulsraten ohne Temperaturanstieg. Schließlich fand sich eine gelähmte Hand, die kalt war

und selbst die Hitze des Feuers nicht wahrnahm; warum, fragt Thaer, wenn doch als Wärme-

quelle das Blut in den Adern ist. Heute wissen wir, dass Erkrankungen des Halsmarkes, wie die

Syringomyelie, nichts mit Durchblutungsstörungen zu tun haben, sondern mit Läsionen von

Nervenbahnen, die für Warm-Kalt-Empfinden, Schweißsekretion und Muskelfunktion zustän-

dig sind. Weil bisher, durch diese Beispiele belegt, keine ausreichende Erklärung für die fiebri-

ge Hitze gefunden war, glaubt Thaer eine Verbindung zwischen der Stärke der Vitalkraft und

dem Grad der Wärme postulieren zu können. Wieder nennt er lebenspraktische Beispiele und

klinische Beobachtungen und beschreibt die Wirkung des peruanischen Pulvers, welches er-

folgreich die Temperatur senke. Im Winterschlaf mancher Tiere ist durch fehlende Wärme die

Vitalkraft erniedrigt; dagegen schlüpfen Küken veranlasst durch Wärme aus dem Ei. So entste-

he zu Beginn des Lebens Vitalkraft und Wärme gleichermaßen. So hat man von alters her von

Lebensflamme gesprochen, die Grund für jede physiologische Funktion sei. Als Quelle der

natürlichen Wärme ist von zwei Haller-Schülern in Göttingen, Roederer und Wrisberg, auf

Gehirn- und Nervenfunktion kurz vor Thaers Dissertation beschrieben worden. Wieder wird

von Thaer fiebriger Schauder diskutiert, das gleichzeitige Auftreten eines Kälteempfindens bei

hohen Temperaturen. Verschiedene Krankheitsstadien bis zum Tod werden von Thaer erörtert.

Dabei sei das Sensorium Commune involviert.

Thaers Arbeit endet mit einer Begrifflichkeit aus der Säftelehre. Nach Hippokrates wird das

Krankheitsstadium der Rohheit, Cruditas (wörtlich `verdorbener Magen´), der `Kochung´ Coc-

tio oder Concotio und der `Crisis´ unterschieden, die in dieser Sukcession aufeinander folgen.

Dissens gibt es nun hinsichtlich der Abgrenzung dieser unterschiedlichen Krankheitsstadien.

Thaer führt in §38 seine eigenen Beobachtungen ins Feld, um die Natur zu beschreiben, die im

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Fieber einen Schutzfaktor hat. Er prüft alle Erklärungen gemäß der Säftelehre an der Kranken-

beobachtung. Hat er grundsätzlichen Zweifel? Für ihn ist es wahrscheinlich, dass das Fieber

selbst erst die Säfte verdirbt und die fiebrige Materie entsteht, die es auszuscheiden gilt und

Fieber nicht Folge der Dyscrasie sei. Schon van Swieten war dieser Ansicht gewesen. Dem

Fieber muß etwas anderes vorausgehen, etwas, das das Sensorium Commune betrifft.

Mit Hallers Irritabilität wurden alle organischen Bewegungen erklärt, die zuvor unter dem

Begriff Natur des Hippokrates oder Spirituslehre des Galen, Archaeus des Paracelsus und van

Helmont sowie der Anima Stahls gefasst waren. Thaers Aufgabe lag darin, die Irritabilität

hinsichtlich fieberhafter Erkrankungen zu untersuchen. Es sei ein „Ansturm der Nerven“ zu

konstatieren, der die ersten Symptome der Erkrankung erkläre. Ein heftiger, das Nervensystem

treffender Reiz verursacht eine Herzkontraktion, die das Blut plötzlich aus den Kammern in die

Peripherie treibt. Das große Blutangebot kann von den kleinen Gefäßen nicht so schnell aufge-

nommen werden; sie ziehen sich deshalb krampfartig zusammen, wobei sie sogar reißen kön-

nen. Dieser Spasmus äußert sich in einer Temperaturerhöhung des Körpers (Rath). In Thaers

Worten: „Fieber ist jener Effekt, der durch die Reizung des Nervensystems und die dadurch

vermehrte Irritabilität des Herzens und der Arterien unmittelbar hervorgerufen wird.“ Mit der

„vis irritabilis“ erweitert Thaer die Irritabilitätslehre des „Magnus Hallerus“ zum Zentrum des

Lebensprozesses. Zu Beginn jeden Krankheitsprozesses steht die Reizung der vis irritabilis des

Nervensystems. Auf nervösem Wege kommt es zu sekundären Störungen der Erregbarkeit

anderer Systeme oder Organe und damit zur Krankheit.

Abb. 7: Allegorische Darstellung auf einer der 8 Schmuckplatten am Thaer-Denkmal in Berlin:

Thaer steht nachdenklich zwischen Hygieia, der Göttin der Heilkunst, welche ihre Hand auf

seine Schulter legt, und Demeter, der Göttin des Ackerbaus, welche den Weg zur Landwirt-

schaft erleuchtet. (Quelle: Vierundreißigstes Jahresheft der Albrecht-Thaer-Gesellschaft 2007).

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126

4 Nachwirkung

„Seine Dissertation aber, überall mit großem Beifall aufgenommen, führte ihn höchst ehrenvoll

in die gelehrte Welt ein. Der damals berühmteste Arzt, Georg Zimmermann, recensierte sie

sehr ausführlich als ein ungemein wichtiges Werk, das im Wuste der Inauguraldissertationen

nicht übersehen werden dürfe, und das alle Aerzte, die Richter sein können, sorgfältig prüfen

müssen,… “ (Körte). Zimmermann kommentiert z.T. sehr kritisch Thaers Begrifflichkeit, In-

terpretation und manche seiner Schlussfolgerungen und Behauptungen. So schließt Zimmer-

mann seine Kritik an Thaer: „Sollten diese beyläufigen Erläuterungen, wie ich fürchte, bey

Aerzten wenig Eindruck machen; so werden sie doch den Philosophen dazu dienen können, die

Schriften der Aerzte, zum Vortheile der Seelenlehre, mit weniger Anstoße zu lesen, wenn sie

sich daraus die Sprache der Aerzte erklären lernen, die ihnen nothwendig seltsam vorkommen

muß, wenn sie lehren, daß die Seele nichts anders sey, als der freye Wille, daß die Empfindun-

gen, Einbildungen, Triebe, Leidenschaften nicht in der Seele, sondern nur im Sensorium woh-

nen, daß das Sensorium empfinde, die Seele aber sich der Empfindung nur bewußt sey, daß das

Gedächtnis im Gehirne seinen Wohnsitz habe, daß die meisten Leidenschaften blos körperlich

wären, daß keine Vorstellungen der Seele in den Körper wirken, außer der willkürlichen, u,

dergl. GZ.“

Von Rath waren wir schon aufmerksam gemacht worden, dass Thaers Fieberlehre und die von

Cullen Kongruenzen aufweist. Beiden gemeinsam ist das Primäre die gestörte Funktion des

Nervensystems. Beide haben mit hoher Wahrscheinlichkeit die Schriften des anderen nicht

gekannt. Eine Verwandtschaft der Vorstellungen Thaers ist auch mit denen des schottischen

Arztes John Brown (1735-1788) gegeben. Seine Elementa medicinae (1780/88) fanden hohe

Popularität. Brown entwickelte eine Lebens- und Krankheitslehre, die den Reiz als lebensför-

derndes Movens interpretierte. Krankheit und Gesundheit sind durch die Reizbarkeit des Orga-

nismus determiniert. Schon Jahre vor Brown, aber vergleichbar dessen Theorien hatte Thaer

die Entstehung aller Krankheiten aus einer Vermehrung oder einer Verminderung der „vis

irritabilis“ erklärt. Auch die Lebenskraftlehre von Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836)

kennt Krankheit als Beeinträchtigung der Lebenskräfte durch krankmachende Reize, auf die

die Lebenskraft selbstheilend reagiert. Weder bei Brown noch bei Hufeland wird allerdings der

Krankheitsbeginn wie bei Thaer in der Reizung der „vis irritabilis“ des Nervensystems gese-

hen.

„Aufgeblasen von Stolz kam ich hier in Celle an und ward mit Kaltsinn und Mitleiden aufge-

nommen.“ Die Umstände seines Berufseintritts in Celle hat Thaer in seinen „Bekenntnissen“

geschildert. Sie waren schwer für ihn. Allein „der große Beifall, womit meine Dissertation in

allen Journalen und gelehrten Zeitungen, selbst in Englischen und Französischen, aufgenom-

men wurde, ermunterte mich etwas und ich hoffte, daß dies einigen Eindruck auf meine Mit-

bürger machen würde.“ Dem war offenbar nicht so. Die Bemerkung über viele vorliegende

Besprechungen der Dissertation veranlasste eine Suche, die allerdings vergeblich war. Es sind

weder bei G. Rath noch mit üblichen Bibliothekshilfen weitere Rezensionen nachgewiesen. In

Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen unter Aufsicht der Königl. Gesellschaft der Wis-

senschaften. 1. Bd, auf das Jahr 1793 (gedruckt bey J. Chr. Dieterich) findet sich auf S. 1598

nur ein Satz zu Thaers Dissertation: „Dem Pathologen schätzbar, wenn man auch gleich man-

che Berichtigung, unter andern aus Chr. L. Hoffmanns Schriften, vermißt.“

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Chr. L. Hoffmann, 1721-1801, Leibarzt u.a. des Fürstbischofs in Münster und Köln, später

Direktor des Medizinalkollegiums von Mainz, welches vor 100 Jahren im Roman „Die Clubis-

ten in Mainz“ vorgestellt wurde. Hier werden die Wunderkuren und Wunderlichkleiten Hoff-

manns ausführlich erzählt.

Thaers Ruhm hielt jedoch an, denn knapp 20 Jahre nach Entstehen der Dissertation wurde sie

in den `Scriptores neurologici minores selcti´ von Christian Friedrich Ludwig in Leipzig neu

ediert. Wir wissen nicht, wie es dazu kam, wer dies veranlasste. Aber sicher ein Zeichen der

Wertschätzung Thaers und Bedeutung dieser seiner Dissertation. Nach ihrer Lektüre und Über-

setzung können wir mit G. Rath Bedauern darüber empfinden, dass dieser bedeutende Gelehrte

nicht in der Medizin seine geistige Heimat gefunden hat.

Erstaunlich ist, dass in einem zweibändigen Standardwerk seiner Zeit (1838) über „Die ge-

sammten nervösen Fieber, in sich begreifend die eigentlichen Nervenfieber nebst den Fieber-

seuchen und Wechselfiebern, theoretisch und praktisch abgehandelt“ von Ernst Bartels (Berlin)

Thaer nicht erwähnt ist. Dagegen wird von T. Laycock 1868 im British Medical Journal „A

new chapter in the Physiology and Pathology of the Nervous System“ diskutiert und auf die

Thaersche Arbeit verwiesen. Dies gibt Anlass kurz zusammenzufassen, dass es Thaer nicht um

einen Beitrag ging, der als Teil des später so genannten klinischen Faches Neurologie verstan-

den werden könnte, sondern darum, pathophysiologische Mechanismen zu klären, einen Bei-

trag zu leisten zur Lehre von den krankhaften Lebensvorgängen und gestörten Funktionen im

menschlichen Organismus bei Infektionskrankheiten. In einer Übersicht stellt der englische

Medizinhistoriker D. C. Smith 1981 den schon erwähnten William Cullen vor und gibt einen

Überblick über die Entwicklung des Begriffes „Nerve“ Mitte des 18. Jhts. Ohne Thaer zu er-

wähnen, dem G. Rath ja das Primat zugesprochen hat, wird der Unterschied zwischen infektiö-

sen und nervösen Ursachen von Fieber vorgestellt. Wie Smith 1981, so hatte Rath 1959 über

die „Neural pathology: a pathogenetic concept of the 18th and 19th century“ gearbeitet und

wurde von Smith zitiert. Die Würdigung der Verdienste Thaers steht also im Kontrast zu auf-

fallender Nichtnennung in einschlägigen Publikationen.

Mit dem Begriff der Reizbarkeit bzw. Irritabilität Hallers wird die Grundursache aller Le-

bensphänomene angedacht. Mit der Einführung des Begriffes „Incitabilität“, später Sensibilität

genannt, erweitert sich das Konzept und die Spekulation: die „Nerventhätigkeit“, zunächst nur

als Ursache der Reizbarkeit, dann auch allein für die Sensibilität beschrieben, führt dazu die

„Seele“ (Unzer) oder ein empfindendes Prinzip (Whytt) oder den „Nervengeist“ (Platner) und

die „Nervenkraft“ (Cullen) zu hypostasieren. Allein die Nerv-Muskel-Verbindung reichte nicht

aus, Lebensvorgänge zu erklären. Thaer erweiterte dieses Konzept einer spezifischen Sensibili-

tät und Irritabilität z.B. der Drüsen, Gefäße, Knochen etc. als charakteristische Vitalphänome-

ne, die dem Lebensprinzip und der Lebenskraft unterworfen sind. Vitalistische Theorien und

animistische Spekulationen erwiesen sich als unzureichend und immer häufiger wurden Beiträ-

ge zum Lokalisationsprinzip formuliert. Hierzu ist auch Thaers Ansatz und Cullens „Nervenpa-

thologie“ zu zählen, derzufolge jede organische Erscheinung von der „Nervenkraft“ und ihren

Abnormitäten abstammt. Danach wird bei Fieber infolge von Schädlichkeiten wie Kälte, Mi-

asmen, Kontagien eine „Schwäche“ des Gehirns (Spasmen der peripheren Gefäße mit „Fieber-

frost“; „Schaudern“ bei Thaer) erzeugt. Die Fortleitung dieses Krampfes auf Schlagadern und

Herz, Ansammlung des Blutes in den Organen wird Hitze und hoher Puls erzeugt bis der

Spasmus an der Peripherie überwunden ist. Soweit Cullen. An Haller anschießend haben A.

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Thaer, Chr. Elsner, Joh. Ulrich Gottl. Schäfer krankhafte Veränderungen auf veränderte Reiz-

barkeit oder Sensibilität untersucht. K. Sprengel (1766-1833) hat mit einem „Kompendium der

nervosistischen Solidarpathologie“ eine Übersicht verfasst (Neuburger).

Von dieser Entwicklung zu unterscheiden sind Entdeckungen, die unmittelbar die Neurologie

im heutigen Verständnis vorbereiteten. Diese betreffen Gehirn und Rückenmark, haben sich

mit der Lokalisation und Funktion innerhalb des zentralen und peripheren Nervensystems be-

schäftigt. Haller selbst hat sich immer gegen jede Lokalisation von Hirnfunktionen gewehrt. H.

Boruttau widmet sich auf einigen Seiten im Purschmannschen Handbuch (Geschichte der Phy-

siologie in ihrer Anwendung auf die Medizin III. Das achtzehnte Jahrhundert und seine Wen-

de) der Position Hallers und seiner Schüler einerseits und den Entdeckungen der Neuroanato-

mie. Jüngst hat das Konzept des „Hirnfiebers“, seine Entstehung und Verschwinden im 19. Jh.

Beachtung gefunden. Das „Hirnfieber“ als lokale Erkrankung hat nur mittelbar mit dem „Ner-

venfieber“ im Sinne Thaers zu tun (Voss). Das eine meint eben eine Erkrankung, das andere

die Pathophysiologie. Der Arzt Moritz Heinrich Romberg (1795-1873) hat in 2. Generation

nach Haller noch die Spätromantik und das Biedermeier durchlebt und kann als der Geburts-

helfer einer naturwissenschaftlichen Medizin gelten. Sein „Lehrbuch der Nerven-Krankheiten

des Menschen“ von 1840 ist das erste systematische Lehrbuch der Neurologie (Schiffter).

Es wird noch Jahrzehnte dauern bis Infektionskrankheiten ihrer Natur entsprechend beschrie-

ben und behandelt werden können. Um die Stimmung zu Anfang des 20. Jhts. einzufangen, die

die unsäglichen irrationalen Vorstellungen zu Beginn des 19. Jhts wertet, sei wieder aus dem

Purschmannschen Handbuch von 1903 zitiert: „Schlimmer als … in Frankreich war in

Deutschland die Erniedrigung des geistigen Lebens nach der `Sturm- und Drangperiode´, nach

der Klassiker gewaltigen Dichtwerke und Kants philosophischer Meisterlehre zu der Naturphi-

losophie der Schelling, Hegel und Konsorten. Ueber deren Wesen und Wirkung, über die damit

verbundenen, hier nicht her gehörigen Dinge, naturhistorisch-parasitäre Pathologie und die

anderen Afterdisziplinen – Homöopathie, Rademachersche Erfahrungsheillehre, über Mesmers

tierischen Magnetismus als Vorläufer des modernen Hypnotismus ist eine treffend-kritische,

brillante Darstellung gegeben worden durch Pagel ….“ (Boruttau in Purschmann). Die Heftig-

keit der Emotion ist zu verstehen, die Redlichkeit eines Wissenschaftlers und Medizinhistori-

kers kaum. Um das nachzuvollziehen, was Romberg miterlebte und Boruttau beschrieb, hier

eine Krankengeschichte.

Karl Friedrich Schinkel starb am 9. 10. 1841 in seiner Wohnung in der von ihm selbst 1836

erbauten Bauakademie. Er ist 60 Jahre alt geworden. Schinkel hat mehrere Schlaganfälle erlit-

ten, manche allein deswegen, weil seine Ärzte meinten, durch Aderlässe und Schröpfköpfe

helfen zu müssen. Man vermutete, dem schleichend entzündlichen Krankheitsprozess entge-

genzuarbeiten, indem man ableitende Mittel verabreichte. Unter schweren neurologischen

Symptomen mit Halbseitenlähmung, Aphasie, Sehstörungen, Inkontinenz, epileptischen Anfäl-

len hatte Schinkel über ein Jahr zu leiden. Die `spanische Fliege´ war ein Therapieverfahren,

bei dem man künstlich furunkolöse Geschwüre setzte. Diese nässenden und eiternden Wunden

sollten entsprechend der 2000 Jahre alten Säftelehre des Hippokrates und Galen die krank

machenden Säfte aus Schinkels Körper ableiten. Schinkels qualvolles Krankenlager und sein

Tod waren die Folge ärztlicher Dogmatik. Ob mit der empirischen Methode Thaers, orientiert

an Francis Bacon und Sydenham, das Schicksal Schinkels anders ausgefallen wäre, wir können

es nicht sicher sagen. Heute sind andere Fehlleistungen der Ärzte und Fehlentwicklungen der

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Medizin zu beklagen: viele überflüssige Operationen, Medikamentenverordnungen, apparative

Untersuchungen und die jeweiligen Folgen, Mangel an menschlicher Zuwendung und psycho-

somatischer Kompetenz, frustrierte Ärzte und Therapeuten in einem hektischen Arbeitsklima -

dank ökonomischer Zwänge, obskurer Außenseitermethoden und Modeerscheinungen des

modernen Medizin- und Wellness-Betriebes. Hüten wir uns angesichts des Schicksals Schin-

kels vor therapeutischem Aktionismus mit seinen Risiken und hinterfragen immer wieder aufs

neue jegliche Therapie (Schiffter).

Abb. 8a,b: Schinkelplatz in Berlin. Mit Beuth

(links), Schinkel (mittig), Thaer (rechts). Im Hin-

tergrund die Bauakademie und die Friedrichswer-

dersche Kirche. Das Thaer Denkmal war das letzte

Werk von Christian Daniel Rauch 1856.

Foto: W. Rimpau, 29.2.2012; vgl.: M. Frielinghaus

(2009): Das Thaer Denkmal auf dem Schinkelplatz

(Fünfundreißigstes Jahresheft der Albrecht-Thaer-

Gesellschaft, 63-71).

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Nehmen wir uns als Beispiel die einzigartige und überdauernde Innovation, die mit Sydenham,

Thaers großem Vorbild, gegeben war: „Seit dem Altertum haben westliche Ärzte ihre akusti-

sche, visuelle, taktile und olfaktorische Wahrnehmung sowie die Möglichkeiten, ihre Patienten

zu beobachten und ihnen zuzuhören, benutzt. … Trotzdem wurden bis ins frühe 19. Jht. hinein

arbiträre Kategorien von Symptomen ohne Voraussagekraft berücksichtigt. Eine Ausnahme

bildete im 17. Jht. der Arzt Thomas Sydenham, der seine Patienten sorgfältig beobachtete und

den Spontanverlauf ihrer Krankheiten beschrieb. … Durch seine Langzeitstudien hat demnach

Sydenham das Zeitelement in die Krankheitskategorien eingeführt und ihnen damit Voraussa-

gekraft verliehen“ (Pauli).

Thaer war 52 Jahre alt, als er seinen Arztberuf aufgab und nach Berlin bzw. Möglin ging und

als bedeutender Gelehrter der Landwirtschaft diente. Wir wissen, dass alle seine medizinischen

Aufzeichnungen beim Umzug verloren gingen. So läßt sich die Wahrscheinlichkeit nicht über-

prüfen, die nahelegt, dass Thaer seine Patienten in Celle über drei Jahrzehnte hinweg kannte

und behandelte und darüber Notizen machte. Wir hätten jetzt das „Zeitelement“ neben seinen

Krankheitskategorien studieren können und Thaer nicht nur als Mediziner und Fachmann für

das Nervenfieber kennen lernen können, sondern Thaer als Arzt.

So ist das Thaer-Denkmal auf dem Schinkelplatz vor der Bauakademie im Berliner Zentrum,

1860 eingeweiht, von Fontane beschrieben und 2008 nach dem Original mit Schinkel und

Beuth neugestaltet, auch ein hier passendes Bild gemäß der von Daniel Rauch überlieferten

Bemerkung, dass es sich bei den Geehrten um die ersten Helden ohne Degen auf öffentlichen

Plätzen handle.

Verwendete Literatur

(neben den Angaben in der Übersetzung der Thaerschen Dissertation)

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(2011) Über die Tätigkeit des Nervensystems bei Fiebern. Übertragen von Wilhelm Rimp-

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www.albrecht-daniel-thaer.org

VOSS, H. (2010) The 19th century concept of `brain fever´: its appearance, its disappearance,

its remainders. International Society for the History of the Neurosciences, ISHN, Paris

WINKLE, S. (1997) Geisseln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen. Düsseldorf,

Zürich: Artemis & Winkler

ZIMMERMANN, J. G. (GZ) (1775) Rezension: De actio systematis nervosi in febribus,

consentiente i. M. O. pro gradu Doctoris quaedam proponit Albrecht Thaer, Cellensis 1774.

Göttingae, litt. Dieterich. III 4. 15 Bogen. Allgemeine Deutsche Bibliothek 25, Bd II, 357-

75, Berlin, Stettin: Nicolai (in Deutsch, online Univ. Bielefeld)

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Anschriften der Verfasser

Hon.- Prof. Dr. habil. Manfred Altermann

Mitteldeutsches Institut für angewandte Standortkunde und Bodenschutz

Wilhelm-Raabe-Str. 9

06118 Halle

[email protected]

Prof. Dr. Hans-Peter Blume

Schlieffenallee 28

24105 Kiel

[email protected]

Ministerialrat a. D. Dr. Karl Ludwig Freund

Gothastr. 28

53757 St. Augustin

Prof. Dr. Martin Frielinghaus

Fördergesellschaft Albrecht Daniel Thaer

Hauptstr. 10, OT Möglin

D-15345 Reichenow-Möglin

[email protected]

Prof. Dr. Ulrich Köpke

Birkenweg 9

53639 Königswinter

[email protected]

Prof. Dr. med. Wilhelm Rimpau

Arzt für Neurologie

Freiherr-vom Stein-Str. 11a

10825 Berlin-Schöneberg

[email protected]

Dr. Ernst Schnorr

Sonnenburger Str. 3

16259 Bad Freienwalde

[email protected]

Prof. Dr. Klaus Dieter Schwenke

Klaus-Groth-Str. 1

14513 Teltow

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Literatur der Fördergesellschaft Albrecht Daniel Thaer e. V.,

15345 Reichenow-Möglin, Hauptstr. 10, Landesausstellung

Ausstellungskatalog

Albrecht Daniel Thaer, überarb. Aufl., 2002, 76 Seiten

Auf den Spuren Albrecht Daniel Thaers

Text/Bildband, Möglin und seine Umgebung, 1994, 117 Seiten

Ein sinnvoll ausgesprochenes Wort wirkt auf die Ewigkeit

Zitatensammlung, 1998, 112 Seiten

200 Jahre Thaer in Möglin

der Katalog zur Ausstellung in der Dorfkirche, 2004, 64 Seiten

Der wissenschaftliche Wert der Arbeiten Albrecht Daniel Thaers zu Problemen

der Messung und Steigerung der Bodenfruchtbarkeit

Dissertation Hans-Heinrich Stamer, 1968, 75 Seiten

Landwirtschaft und Umwelt

Zur Bodenfruchtbarkeit – von Thaer bis heute, 1994, 116 Seiten

Albrecht Daniel Thaers regionale Ausstrahlung und Bedeutung im Wandel der Zeit

mit zwei Beiträgen Thaers zur Tier- und Pflanzenwelt, 1995, 102 Seiten

Video: Auf der Suche nach dem Garten Eden, 2000, VHS 41 min

Video: Ein Denkmal kehrt zurück, Dokumentation, 2000, VHS 15 min

200 Jahre Thaer in Möglin, THAER HEUTE Bd. 1, 2004, 98 Seiten*

Wirken und Wirkung Thaers, THAER HEUTE Bd. 2, 2005, 113 Seiten*

200 Jahre Agrarwissenschaften in Berlin-Brandenburg, THAER HEUTE Bd. 3,

2006, 139 Seiten*

Thünen, Thaer und Koppe, THAER HEUTE Bd. 4, 2007, 147 Seiten*

Die Thaer-Schüler von Wulffen und Sprengel, THAER HEUTE Bd. 5, 2008, 92 Seiten*

Die Agrarregion um Möglin, THAER HEUTE Bd. 6, 2009, 151 Seiten*

Landwirtschaft und Energie. Ein dauerhaftes Spannungsfeld, THAER HEUTE Bd. 7,

2010, 142 Seiten

* auf Nachfrage sind diese Veröffentlichungen gegen Entgelt auf CD erhältlich

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Literatur in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung

(ZALF), 15374 Müncheberg, Eberswalder Str. 84

Die Bewirtschaftung von Niederungsgebieten in Vergangenheit und Gegenwart

ZALF – Bericht Nr. 34, 1998, 83 Seiten

Die Preußischen Agrarreformen und J. G. Koppe

ZALF – Bericht Nr. 49, 2002, 45 Seiten

Die Entwicklung der Mineraldüngung und Carl Sprengel

ZALF – Bericht Nr. 50, 2003, 95 Seiten

Geschichte der Landwirtschaft in Brandenburg

Hrsg.: V. Klemm, G. Darkow, H.-R. Bork, 1998, 259 Seiten

Literatur in Zusammenarbeit mit dem Findling-Verlag,

Dorfstr. 1, OT Kunersdorf, 16269 Bliesdorf

Albrecht Daniel Thaer in Berlin und Brandenburg

Agrarhistorischer und kulturhistorischer Reiseführer, 2004, 124 Seiten

Literatur in Zusammenarbeit mit dem DLG-Verlag, Frankfurt am Main

Albrecht Daniel Thaer – Ein Leben für die Landwirtschaft

2006, 167 Seiten

Sonstige Literatur

Möglin

Veröffentlicht 2003 für den „Freundeskreis Schlösser und Gärten der Mark“ in der Deutschen

Gesellschaft e. V., Hrsg. Sibylle Badstübner-Gröger, 22 Seiten,

Frau von Friedland

Eva Hoffmann-Aleith, Roman, überarb. Aufl. 1994, 179 Seiten

Diese Literatur kann über die Fördergesellschaft bezogen werden.

Telefon: 033456/35164

e-mail: [email protected]

Internet: www.albrecht-daniel-thaer.org (Shop)

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