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1 Öffentlicher Vortrag von Lama Lhündrub Freiburg, Historisches Kaufhaus, 26.12.2005 (wörtliche Abschrift) „Buddhas Lehre auf den Punkt gebracht“ Meine erste Aufgabe ist, da (auf den Tisch) hoch zu klettern! – Ich unterrichte lieber sitzend – nicht dass ich höher sitzen möchte als Sie, aber ich fühle mich sehr viel wohler, wenn ich sitzend unterrichte. Bevor ich mit dem Vortrag beginne, möchte ich gern selbst Zuflucht nehmen. Das sind Gebete, um mich innerlich mit der Segenslinie zu verbinden. Ich mache das auf tibetisch, Sie können einfach dabei meditieren, innerlich sich auch verbinden mit dem, was Ihnen am wichtigsten ist, was Sie heute hierher geführt hat, und die, die die Gebete kennen, dürfen gerne mit rezitieren. ... Der Titel für den heutigen Abend ist ja: „Buddhas Lehre auf den Punkt gebracht“, und ich möchte nicht, dass Sie das falsch verstehen, dass das anmaßend wäre, dass da jemand Buddhas Lehre auf den Punkt bringt. Zum Glück hat das der Buddha selbst schon gemacht, und ich werde Ihnen die verschiedenen Zusammenfassungen erklären, wie man Buddhas Lehre verstehen kann, wenn man das in relativ wenigen Worten machen möchte. Sie wissen vermutlich, dass Buddha Shakyamuni vor zweieinhalbtausend Jahren seine Lehre in vier Wahrheiten dargestellt hat, die „die vier edlen Wahrheiten“ genannt werden. Das ist die geläufigste komprimierte Darstellung der Lehre dessen, was wir den Dharma nennen. Die erste Wahrheit ist ganz einfach eine Beschreibung dessen, was ist, die Beschreibung dessen, was jeder von uns zunächst einmal sehen kann, wahrnehmen kann. Man nennt das die Wahrheit des Leides, die Wahrheit der nicht befriedigenden Beschaffenheit unseres Seins, des normalen Seins, des nicht erleuchteten Seins. Die zweite Wahrheit war für ihn die Wahrheit von der Ursache des Leides. Er hat die Diagnose vervollständigt durch eine Analyse der Ursachen: Wodurch entsteht eigentlich das Leid? Die dritte Wahrheit ist die von der Befreiung von Leid. Und die vierte Wahrheit ist die Wahrheit von dem Weg, der zur Befreiung aus allem Leid führt. Jetzt lässt sich natürlich zu jedem dieser Punkte sehr viel ausführen. Wichtig ist vor allen Dingen, dass er einen Bogen spannt zwischen dem, was jetzt ist, der Wahrheit dessen, wie wir jetzt sind - und dem, was er Leid nennt. Das ist nicht nur das offensichtliche Leid, sondern dass wir in der Dualität gefangen sind, in der Trennung von Ich und Du. Um aus dieser Trennung herauszukommen, spannt er den Bogen zu dem Zustand, wo wir aus der Nondualität heraus leben können. Der Weg beschreibt eben, wie wir dorthin kommen können. Dieses Dorthinkommen ist eigentlich ein Zurückkommen zu der Essenz dessen, was jetzt schon unsere Situation ist. Das ist die wahre Natur dessen, was wir erleben. Das ist also nicht ein Weg, der woanders hinführt, aus uns heraus, sondern zu dem, was wir in Wirklichkeit sind.

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Öffentlicher Vortrag von Lama Lhündrub Freiburg, Historisches Kaufhaus, 26.12.2005

(wörtliche Abschrift)

„Buddhas Lehre auf den Punkt gebracht“ Meine erste Aufgabe ist, da (auf den Tisch) hoch zu klettern! – Ich unterrichte lieber sitzend – nicht dass ich höher sitzen möchte als Sie, aber ich fühle mich sehr viel wohler, wenn ich sitzend unterrichte. Bevor ich mit dem Vortrag beginne, möchte ich gern selbst Zuflucht nehmen. Das sind Gebete, um mich innerlich mit der Segenslinie zu verbinden. Ich mache das auf tibetisch, Sie können einfach dabei meditieren, innerlich sich auch verbinden mit dem, was Ihnen am wichtigsten ist, was Sie heute hierher geführt hat, und die, die die Gebete kennen, dürfen gerne mit rezitieren. ... Der Titel für den heutigen Abend ist ja: „Buddhas Lehre auf den Punkt gebracht“, und ich möchte nicht, dass Sie das falsch verstehen, dass das anmaßend wäre, dass da jemand Buddhas Lehre auf den Punkt bringt. Zum Glück hat das der Buddha selbst schon gemacht, und ich werde Ihnen die verschiedenen Zusammenfassungen erklären, wie man Buddhas Lehre verstehen kann, wenn man das in relativ wenigen Worten machen möchte. Sie wissen vermutlich, dass Buddha Shakyamuni vor zweieinhalbtausend Jahren seine Lehre in vier Wahrheiten dargestellt hat, die „die vier edlen Wahrheiten“ genannt werden. Das ist die geläufigste komprimierte Darstellung der Lehre dessen, was wir den Dharma nennen. Die erste Wahrheit ist ganz einfach eine Beschreibung dessen, was ist, die Beschreibung dessen, was jeder von uns zunächst einmal sehen kann, wahrnehmen kann. Man nennt das die Wahrheit des Leides, die Wahrheit der nicht befriedigenden Beschaffenheit unseres Seins, des normalen Seins, des nicht erleuchteten Seins. Die zweite Wahrheit war für ihn die Wahrheit von der Ursache des Leides. Er hat die Diagnose vervollständigt durch eine Analyse der Ursachen: Wodurch entsteht eigentlich das Leid? Die dritte Wahrheit ist die von der Befreiung von Leid. Und die vierte Wahrheit ist die Wahrheit von dem Weg, der zur Befreiung aus allem Leid führt. Jetzt lässt sich natürlich zu jedem dieser Punkte sehr viel ausführen. Wichtig ist vor allen Dingen, dass er einen Bogen spannt zwischen dem, was jetzt ist, der Wahrheit dessen, wie wir jetzt sind - und dem, was er Leid nennt. Das ist nicht nur das offensichtliche Leid, sondern dass wir in der Dualität gefangen sind, in der Trennung von Ich und Du. Um aus dieser Trennung herauszukommen, spannt er den Bogen zu dem Zustand, wo wir aus der Nondualität heraus leben können. Der Weg beschreibt eben, wie wir dorthin kommen können. Dieses Dorthinkommen ist eigentlich ein Zurückkommen zu der Essenz dessen, was jetzt schon unsere Situation ist. Das ist die wahre Natur dessen, was wir erleben. Das ist also nicht ein Weg, der woanders hinführt, aus uns heraus, sondern zu dem, was wir in Wirklichkeit sind.

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Jetzt hat sich ein Wort eingeprägt, das all das zusammenfasst, und zwar ist das für uns der Begriff „Dharma“. Wenn wir unter uns Buddhisten sprechen - wir nennen uns nämlich gar nicht Buddhisten, wir nennen uns Dharmapraktizierende. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man an den Buddha noch einen -ismus anhängt und daraus dann eine Lehre macht, und dann ist man Anhänger dieser Lehre. Mir begegnen sehr viele Dharmapraktizierende, die gar keine Buddhisten sind. Das ist nicht unbedingt notwendig, Buddhist zu sein mit Betonung auf dem „-ist“ oder „-ismus“ . Was wichtig ist, ist, einen ganz tiefen Impuls zu haben, zur Wahrheit vorzudringen. Eine von den Bedeutungen von „Dharma“ ist Wahrheit. Ich werde Ihnen noch andere geben. Und zwar ist das nicht irgendeine Wahrheit: es ist die Wahrheit, die aus dem Leid befreit. Die Praxis dessen, was tatsächlich befreit, das nennen wir einen Dharmapraktizierenden, jemanden, der auf dem Weg ist, das umzusetzen, was ihn selbst frei macht, den Geist öffnet, das Herz öffnet, und was allen anderen um uns herum auch hilft, das Herz, den Geist zu öffnen. Das nennen wir Dharmapraktizierende. Da merken Sie gleich, dass wir, wenn wir das so beschreiben, keine Grenzen mehr ziehen können zwischen einer Religion und einer anderen, einer Glaubensrichtung, einer Philosophie. Wichtig wird dann zu wissen, was ist denn eigentlich die Wahrheit, die befreit? Das ist die eigentliche Frage, die sich uns dann stellt. Das ist das, was Menschen verbindet, die auf diesem Weg sind, diese Suche in sich spüren, und die dann das, was sie als Wahrheiten entdecken, auch jeweils umsetzen. Der Weg vollzieht sich, indem wir immer das leben, was wir als wahr erkannt haben, was wir als zutiefst hilfreich erkannt haben. Und dann erst kann der nächste Schritt kommen. Wir müssen erst das umsetzen, was wir schon erkannt haben. Das sind für mich Dharmapraktizierende, Menschen, die das, was ihre Weisheit, ihr Verständnis, aus dem Herzen geborenes Verständnis, ihnen sagt, was sie verstanden haben, das dann auch tun, das umsetzen. Dadurch ergeben sich Situationen, Möglichkeiten, neue Erkenntnisse. Wieder geht’s einen Schritt weiter. Der Buddha war so ein Dharmapraktizierender. Buddha war gar kein Buddhist, er war Hindu. Auch das war er eigentlich mehr im Sinne eines Suchenden. Wenn wir uns die Lebensgeschichte vom Buddha anschauen und lesen, dann haben wir die Beschreibung eines Suchenden, der dann etwas gefunden hat, was er beschreibt, und 45 Jahre lang lehrt und alle anderen anleitet, wie sie auch diesen Schatz finden können, wie sie diese Entdeckung machen können. Der Titel “Buddhist“ ist nach Aussage von Wissenschaftlern erst einige Jahrhunderte später entstanden. Das war gar nicht der ursprüngliche Begriff für die Dharmapraktizierenden. In Tibet – ich bin aus der tibetischen Tradition, aus der Kagyü-Tradition im tibetischen Buddhismus – hießen - und heißen sie auch heute noch - die buddhistischen Praktizierenden „Nangpas“. „Nang“ bedeutet innerlich, nach innen gehend, und „pa“ ist einfach die Silbe für eine Person. Das ist eigentlich jemand, der den inneren Weg geht, im Unterschied zu denen, die den Weg im Außen gehen, im Materiellen, die leben, ohne sich mit dem, was im Geist stattfindet, zu beschäftigen. Nangpas waren und sind diejenigen, die immer wieder schauen, was wirklich befreiend wirkt. Das ist ein Dharmapraktizierender. Mir ist es ein großes Anliegen, darüber zu sprechen, weil es Brücken schafft, Verständnis. Buddhas Lehre ist nicht etwa eine Lehre, die im Ausschluss von Hinduismus stattgefunden hätte, sondern er hat viele Elemente, die den Menschen vertraut waren, in Indien benutzt, um zu unterrichten. Sie kennen oder haben vielleicht gehört, die vierte edle Wahrheit, von der ich vorhin gesprochen habe, die Wahrheit des Weges, hat der Buddha als den achtfachen Weg erklärt. Es gab eben einen solchen achtfachen Weg , der schon im Yoga bekannt war. Denn den Indern war das sehr vertraut, einen Weg in acht Schritten beschrieben zu bekommen. So hat er viele

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andere Konzepte auch- das Konzept des Karma hat er aufgegriffen, also Ursache und Wirkung, und hat es neu beschrieben. Er wollte nicht einen neue Gruppierung schaffen in Abgrenzung zu anderem, sondern das bereits bestehende Verständnis vertiefen. Das zu tun, nennen wir Dharmapraxis. Wenn wir es auf einen Punkt bringen wollen, könnten wir uns als erstens Wort vielleicht „Dharma“ merken. Wenn wir das richtige Verständnis vom Wort „Dharma“ hätten, dann wüssten wir, was Buddhas Lehre ist. Nun ist mit Dharma aber sehr viel mehr gemeint als nur Wahrheit. Dharma bedeutet auch die Lehre. Dharma bedeutet auch die Lebensaufgabe. Wenn ich Dharma praktiziere, dann ist das meine höchste Priorität, diesen Wahrheitsweg, den Weg der Herzensweisheit zu gehen. Es wird zu meiner Lebensaufgabe. Es ist nicht einfach ein Anhängsel in meinem Leben, es ist das Zentrum meines Lebens. Das unterscheidet einen Dharmapraktizierenden von jemandem, der nur mit dem Dharma liebäugelt. Da würden wir sagen: ja gut, er interessiert sich für den Dharma, aber das ist noch nicht wirklich jemand, der das ganz ins Zentrum seines Lebens stellt. Dharma bedeutet auch Gesetz oder Recht. Warum der Buddha diesen Begriff gewählt hat, ist, weil er Gesetzmäßigkeiten beschreibt. Er beschreibt nicht Erfindungen, sondern er beschreibt für alle nachvollziehbare, beobachtbare Gesetzmäßigkeiten des Geistes. Der Buddha hat sich oft auch als einen Arzt bezeichnet im Gleichnis, jemand, der dir sagt: Wenn du diese Medizin einnimmst und das so und so machst, dann wirst du gesund werden. Aber du musst sie einnehmen, die Therapie muss sich vollziehen. Wir müssen die Schritte selbst vollziehen. Der Arzt kann nicht den Kranken gesund machen. Der Kranke muss seinen Teil beitragen und muss den Weg gehen. So beschrieb er auch die vier edlen Wahrheiten: zuerst Bestandsaufnahme, Anamnese, die Wahrheit des Leidens. Dann: Diagnose der Ursache. Ursache des Leidens: Ichbezogenheit. Heilung möglich oder nicht? Doch, Heilung möglich! Dritte Wahrheit, die Wahrheit der Befreiung. Heilung ist möglich. Patient kann noch gerettet werden. Vierte Wahrheit: Therapie. Der edle achtfache Weg, den wir auf viele Weisen darstellen können, - aber das ist, was dann angewendet werden muss, um zur Befreiung zu gelangen. Damit ist unsere eigene Anstrengung gemeint. Daher hat Dharma auch die Bedeutung von Praxis, das was uns am wesentlichsten im Leben ist, das was wir umsetzen, um unserem Leben einen wirklichen Sinn zu geben. Das ist für mich ein Wort, in dem wir Buddhas Lehre zusammenfassen können. Wenn ich es auf eine andere Art und Weise auf den Punkt bringen wollte, dann erinnere ich mich an Unterweisungen, die Buddhas Lehre immer mehr kondensieren. Da wird zuerst von den sechs befreienden Qualitäten, den sechs Paramitas, gesprochen, die sich auch im edlen achtfachen Weg wiederfinden. Das ist Freigiebigkeit, Disziplin, Geduld, freudige Ausdauer, tiefe Meditation oder geistige Stabilität, und Weisheit. All diese sind aus tiefem Mitgefühl geboren. Wenn man die zusammenfasst, kann man sagen: die ersten fünf sind direkter Ausdruck von Mitgefühl, Weisheit selbst steht für Weisheit. Das wäre Buddhas Lehre in zwei Worten ausgedrückt: Mitgefühl und Weisheit. Im Vajrayana, in der tibetischen Lehre des großen Fahrzeugs, wird das sogar noch kondensiert in zwei Silben. Da sagt man für Weisheit „eh“ und für Mitgefühl sagt man „wang“. In „eh wang“ ist schon alles vorhanden. Wenn man richtig versteht, was eh und wang bedeutet, dann ist in zwei Silben die ganze Lehre Buddhas enthalten. Wenn man das noch tiefer, noch mehr kondensiert, dann gibt es Dharmatexte, in denen davon gesprochen wird, dass die Silbe „AH“ alles enthält. Das mag Sie jetzt überraschen – das ist jetzt keine Zauberformel. Sie können nicht – wenn Sie „AH“ sagen, wird sich nichts ändern.

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Das Ah steht hier für die ursprüngliche Offenheit des Geistes, für das, was die völlige Herzensbefreiung symbolisiert. Das ist der offenste Klang, den wir Menschen kennen, und dieser alleroffenste Klang ist die Zusammenfassung von dem, worum es im Dharma geht: in völlige Offenheit hinein zu finden. Herzensöffnung! Das klingt jetzt vielleicht wie ein deutsches Modewort, aber der Buddha benutzte tatsächlich ein Wort, das sehr ähnlich ist. Er benutzte ein Wort, das auf Sanskrit Bodhicitta heißt. Citta heißt Herz, wurde aber in dem Sinn gebraucht von Geist, also Herzensgeist. Und Bodhi heißt Erwachen. Das erwachte Herz oder der Geist des Erwachens, der Erleuchtung, ist ein anderes Wort, das wir behalten können als eine Zusammenfassung von dem, was Buddhas Lehre ist. Bodhicitta. Mit Bodhi ist gemeint, wenn jemand einschläft und aufwacht. Dieses Aufwachen zu dem, was ist. Vorher war Traum, wir waren in einem Traum gefangen, und dann erkennen wir: ach, das war nur Traum. Dieses Aufwachen bedeutet auf Sanskrit Bodhi. Warum der Buddha ein Buddha genannt wird, das ist dieselbe Wortsilbe: er ist ein Erwachter. Er ist aus dem Schlaf der Unwissenheit, aus dem Traum der Unwissenheit erwacht zur durchdringenden Erkenntnis dieses Traumes, zur befreienden Erkenntnis dieses Traumes. Deswegen wird er Buddha genannt. Citta bedeutet Herz und meint auch das Herzzentrum. Für Asiaten ist der Geist im Herzen. Das ist jetzt erst neuerdings seit der neurologischen Forschung, dass wir auf den Kopf – auch die Asiaten – auf den Kopf zeigen, wenn sie vom Geist sprechen. Früher war das immer im Herzen, das Gefühl von Geist war im Herzen angesiedelt. Deswegen gibt es in vielen asiatischen Sprachen diese Doppelbedeutung von Herz und von Geist. Bodhicitta stellte der Buddha speziell in den Lehren des großen Fahrzeugs ins Zentrum als einen Begriff, der seine ganze Lehre zusammenfasst. Ich werde Ihnen diesen Begriff auch noch etwas näher bringen, etwas mehr erklären. Bodhicitta wurde ursprünglich benutzt, um die Geisteshaltung eines Buddhas zu beschreiben. Wenn wir den Geist eines Erwachten beschreiben, dann ist das ein erwachter Geist. Dann wurde viel – der Buddha lehrte 45 Jahre – wurde viel viel viel gesprochen über das, was er für am wesentlichsten hält auf dem Praxisweg. Er sprach sehr viel von den Qualitäten von Liebe, Mitgefühl, von Freude und von Gleichmut. Das werden die „Vier Unermesslichen“ genannt, die vier unermesslichen Qualitäten. Er sprach davon als Eintrittstor zur Praxis und als wichtigstes Mittel, um die Praxis zu vertiefen. Diese Unterweisungen über Liebe, Mitgefühl, Freude und Gleichmut wurden immer weiter vertieft und bilden im Wesentlichen das, was wir relatives Bodhicitta nennen. Den Geist des Erwachens, der mit der relativen Welt verbunden ist, weil sich Liebe, Mitgefühl usw. auf konkrete Menschen und Wesen bezieht und auf konkrete Situationen. Freude und Gleichmut entsteht auch zunächst aus Situationen. Und dann aber, je weiter wir in Liebe und Mitgefühl hinein gehen, desto mehr löst sich unser Geist aus der Ichbezogenheit. Es tun sich Räume auf, dank der starken Kraft der Liebe, der starken Kraft des Mitgefühls, wo Augenblicke entstehen, wo der Geist nicht mehr in Dualität gefangen ist. Diese Augenblicke nennen wir den letztendlichen Erleuchtungsgeist, das letztendliche Bodhicitta. Das ist der eigentliche Geist der Erwachten. Das ist der nicht in Dualität gefangene Geist, nicht in Projektionen von Ich und Du getrennt. Wenn ich jetzt vor Euch sitze, bin ich ein in der Dualität gefangenes Wesen, aber es wäre schön, wenn die Erfahrung eines Buddhas sich einstellen könnte, dass unser Geist nicht voneinander getrennt ist. Und dass wir trotzdem voll reaktionsfähig sind im Alltag! Die befreiende Entdeckung des Buddhas war, dass in der Auflösung der Ichbezogenheit, in der Auflösung dieser Dualität, auch das Leid sein Ende findet, weil die Identifikation ein Ende hat.

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Da wo wir meinen, wir könnten ohne Ich nicht funktionieren, tritt die spontane Weisheitskraft des Geistes in Aktion und übernimmt diese Funktion, die wir normalerweise dem Ich zuschreiben. In der westlichen Psychologie wird dem Ich die strukturierende, die integrierende Funktion zugeschrieben. Wir nennen das nicht Ich in der buddhistischen Lehre, im Dharma, sondern wir nennen das die Weisheitsfunktion. Die kann funktionieren, ohne ständig mit Central Headquarters innerlich Kontakt aufzunehmen und noch Zusatzgedanken zu produzieren, ob auch alles stimmt. Es gibt eine spontane Weisheit, die direkt unmittelbar in winzigsten Bruchteilen von Sekunden in Situationen agieren kann, ohne diese Rückmeldung zu einem Ichkonstrukt zu vollziehen. Das ist ein ganz einfacher, ein ganz natürlicher Geisteszustand. Diese Einfachheit nannte der Buddha den eigentlichen Dharma. Wir nennen es heute auch die Dimension des Dharma, ein Begriff, den der Buddha prägte: Dharmadhatu, der Raum der Wahrheit oder der Raum der Natur aller Phänomene. Darum geht es eigentlich in Buddhas Lehre. Wenn Sie es noch mal zusammengefasst haben wollen: Der Weg, so wie wir ihn im Großen Fahrzeug beschreiben, ist der Weg des Bodhicitta. Wir praktizieren Liebe und Mitgefühl als wesentliche Motoren der Praxis, um zu dieser Herzensöffnung zu kommen, die den Geist immer mehr weitet, bis sich das letztendliche Bodhicitta, der letztendliche Erleuchtungsgeist einstellt. So wäre Bodhicitta wieder ein Wort, das Sie mit nach Hause nehmen können, in dem eigentlich alles zusammengefasst ist, wenn wir das Wort richtig verstehen. Konnten Sie mir bis hierhin folgen oder sind da jetzt Fragen, bevor ich weitermache? Ist da jemand, den etwas bewegt dazu? Wenn nicht. dann lese ich Ihnen ein Zitat vor, das von Buddhas Schülern stammt, das in unseren Gebeten in der tibetischen Tradition täglich als Erinnerung der Zusammenfassung von Buddhas Lehre rezitiert wird. Ich hab das vorhin mal kurz noch aus den Tibetischen übertragen ins Deutsche. Ich les Ihnen die deutsche Übersetzung vor. Es sind zwei Zitate, die in diesem Gebet zusammengestellt sind. Ich will Ihnen aber erst die Geschichte erzählen. Der Buddha hatte zwei Schüler, die jetzt als seine Hauptschüler betrachtet werden: Shariputra und Mahamogilana. Die hatten sich verabredet - es waren enge Freunde - dass der erste, der einem Meister begegnen würde, der die Kraft hätte, sie noch weiter zu führen über ihren bisherigen spirituellen Horizont hinaus, dass der eine unbedingt den anderen benachrichtigen solle. Jetzt habe ich leider vergessen, wer dann derjenige war, der als erster einem Schüler des Buddha begegnete. Ich glaube, es war Mahamogilana, der einen Schüler des Buddha betteln sah und wartete, bis er seine Runde zu Ende gemacht hatte, und dann ist er zu dem Schüler hingegangen und gefragt: Wer ist denn dein Lehrer? Du siehst sehr inspirierend aus. Was unterrichtet dein Lehrer? Da sagte der Schüler, ja, mein Lehrer ist Buddha Shakyamuni. Sagte Mahamogilana: Kannst du mir einen Satz aus seinen Unterweisungen sagen? Und da sagte er diesen Satz: „Alle Dinge sind aus Ursachen entstanden. Der Thathagata, der so-Gegangene, hat ihre Ursache gelehrt, wie auch all das, was dieser Ursache ein Ende setzt.“ Dieser für uns völlig kryptische geheimnisvolle Vers, mit dem wir nicht viel anfangen können, denke ich mal - also ich jedenfalls konnte zu Anfang nicht viel damit anfangen - war für Mahamogilana der Moment, wo er zum ersten Mal in die Nondualität eingetaucht ist. Er hat den Sinn dieses Satzes in dem Moment, obwohl keine weiteren Erklärungen gegeben wurden, verstanden. Und er lief, um Shariputra aufzusuchen

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und sagte ihm von der Begegnung, und Shariputta fragte: Ja, was lehrt denn dieser Meister? Und Mahamogilana wiederholte ihm genau diesen Satz. Auch Shariputra erlebt darauf diesen ersten Moment der Nondualität, den ersten Moment völligen Freiseins von Ichbezogenheit. Die beiden schließen sich dann dem Buddha an und erreichen innerhalb von einer Woche die Arahatschaft, völlige Verwirklichung. Jetzt bin ich Ihnen natürlich die Erklärung schuldig, was mit dem Satz gemeint ist. Ich lese ihn Ihnen noch mal vor: „Alle Dinge sind aus Ursachen entstanden. Der Thathagata hat ihre Ursache gelehrt, wie auch all das, was dieser Ursache ein Ende setzt.“ Im Grunde genommen sind da die vier Wahrheiten drin enthalten. Mit „allen Dingen“, allen Phänomenen, ist gemeint, alle Erscheinungen in unserem Geist und alle Erscheinungen Samsaras, alle Erscheinungen der normalen Welt der Projektionen, solange wir in der Dualität leben. „Sind aus Ursachen entstanden“ – aus was für Ursachen? Aus Ichbezogenheit und aus ichbezogenen Handlungen entsteht immer wieder der Eindruck einer dualen Welt. Auch alles Leid, alle Emotionen nähren sich daraus. Der Thathagatha hat ihre Ursache eben so gelehrt. Es gibt viele Ursache-Wirkungsbeziehungen, die dahin führen, dass zum Beispiel jetzt unsere menschliche Situation entsteht. Aber er hat auch gelehrt, was dieser Ursache ein Ende setzt, nämlich den Weg des Loslassens der Ichbezogenheit, des Auflösens der Ichbezogenheit mit all dem, was dazu gehört. Das ist ein immenses Thema. Das werden wir heute Abend nicht behandeln können. Da Mahamoghilana und Shariputra schon so fein in ihrer Praxis waren, so weit fortgeschrittene Yogis waren, brauchten sie bloß diese Zusammenfassung mit dem Segen des Verständnisses, das durch den Schüler hindurch zu ihnen kam, und es öffnete sich schon. Für spätere Schüler gibt es eine andere Zusammenfassung, die unmittelbar anschließend von uns rezitiert wird, die oft der Dalai Lama zum Beispiel benutzt, wenn er gefragt wird, was denn eigentlich die Lehre Buddhas ist, auch der Karmapa hat in seinem ersten westlichen Interview auf die Frage: „Was ist denn die Lehre Buddhas?“, geantwortet mit diesem Vierzeiler:

Tue nichts, was schadet, handle heilsam auf die beste Weise,

bezähme deinen Geist, dies ist die Lehre Buddhas.

Das ist ganz kurz zusammengefasst. Jetzt fragt man natürlich, was ist jetzt der Unterschied zum Christentum? „Tue nichts was schadet. Handle heilsam auf die beste Weise. Bezähme deinen Geist“. Da ist erst mal gar kein Unterschied zu sehen, es könnte durchaus eine christliche Formulierung sein oder aus einer anderen Religion – aber ich nehme an, die meistens von uns haben christliche Wurzeln. Jetzt bin ich Ihnen auch da eine Erklärung schuldig. „Tue nichts was schadet“: das Tun bezieht sich im Dharma auf Körper, Rede und Geist. Das heißt, das Handeln ist sowohl geistiges Handeln, also das, was wir denken, das, was wir sagen, das was wir mit dem Körper tun. Also mit Körper, Rede und Geist nichts tun, keine Handlungen ausführen, die schaden. Was ist jetzt eigentlich schädlich? Schädlich ist alles, was zu einem engeren Geist führt, was das Herz enger macht, was uns aus der ursprünglichen Freiheit herausführt in eine viel begrenztere Welt hinein. All das wird als im Grunde schädlich eingestuft zusätzlich zu dem,

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was ganz offensichtlich schädlich ist, wo wir jemand anderem wehtun, uns unfair verhalten usw., das wo wir uns alle einig drüber sind, was einfach zu sehen ist. Aber wir nehmen auch Schaden an all den Sichtweisen und Verhaltensweisen, Denkweisen, die unser Herz engmachen, uns belasten und uns entfremden von dem, was eigentlich unsere wahre Natur ist. „Handle heilsam auf die beste Weise“ – es ist nicht nur: „Handle heilsam“, also handle so mit Körper, Rede und Geist, dass es zur Befreiung führt, sondern immer „auf die beste Weise“. Das bedeutet für einen Dharmapraktizierenden immer auch mit Blick auf alle anderen, die größtmögliche Anzahl Wesen, die von unseren Handlungen betroffen sind, und von unseren Worten, unseren Gedanken auch. Die beste Weise ist nur die, die alle Menschen und alle Wesen berücksichtigt. Da ist diese umfassende Sicht drin. Es heißt, dass das beste Handeln das ist, das alle zur Erleuchtung bringt, das alle zum Erwachen des Herzens, des Geistes führt. Deshalb heißt es nicht nur einfach: „Handle heilsam“. Das Heilsame ist schon sehr profund, weil es geht darum, die Dualität aufzulösen, es geht darum, die Ichbezogenheit aufzulösen, Liebe, Mitgefühl, Freude, Gleichmut zu praktizieren und die vielen anderen Qualitäten, die Teil des Erleuchtungsweges sind. Und dann halt nicht nur für uns, sondern so, dass alle davon Nutzen haben. Mit „ allen“ meinte der Buddha explizit nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere und auch all die Wesen, die wir nicht mit den eigenen Augen sehen können. Das ist für uns schwer vorstellbar, aber diese „alle“ ist allumfassend. Wo immer es Wesen gibt im Universum, und wenn dieses Universum nicht das einzige sei, dann in allen Universen, die es geben mag: zum Wohle aller Wesen zu denken, zu sprechen und zu handeln, das ist hier gemeint mit „Handle heilsam und auf die beste Weise“. Der dritte Satz heißt: „Bezähme deinen Geist. Dies ist die Lehre Buddhas“. „ Bezähme deinen Geist“ ist ein Satz, der ganz oft missverstanden wird. Mit „ zähmen“ ist wie das Zähmen eines wilden Tieres gemeint, das ist ein sehr kräftiger Begriff. Der Buddha verglich uns mit schwerkranken, sehr wilden Tieren – er hat nie gesagt, dass wir Tiere sind, aber er hat uns als sehr wild betrachtet. Mit Bezähmern ist schon gemeint, dass man aus Barbaren zivilisierte Menschen macht. Es ist schon auch in dem Sinne gemeint. Aber er meinte damit auch sich selbst. Was da zu bezähmen ist, ist diese immens starke Tendenz, den eigenen Emotionen Glauben zu schenken, den eigenen Projektionen Glauben zu schenken. Da müssen wir sehr stark sein. Das ist aber kein Weg, wo wir uns mit Macht, mit dem Willen Gewalt antun und uns dann „bezähmen“, sondern das „zähmen“ geht über einen Prozess der immer größeren Öffnung, der immer größeren Entspannung, tieferen Entspannung. Immer feiner hinschauen, immer tiefer ein Verständnis entwickeln, von dem was läuft, um noch offener werden zu können. Wenn wir vom „Bezähmen des Geistes“ in der Meditationspraxis sprechen, ist ein ganz waches, weites offenes Sein. Da ist nichts von Enge und von Zähmen und von Schraubzwinge – das völlige Wegfallen alles Schraubzwingen, weil sie nicht mehr nötig sind, weil völlige Weisheit Einzug hält. Das ist mit „Bezähmen“ gemeint im Dharma, wenn wir dieses alte Wort benutzen. Wenn wir sagen, die Emotionen müssten bezähmt werden oder überwunden werden, sind das bloß plastische Ausdrücke für einen subtilen Prozess des Akzeptierens, des Sich-Entspannens dahinein, des Loslassens, immer wieder Öffnens, Hinschauens, um Schritte in immer größere Offenheit zu gehen. Das waren zwei Zusammenfassungen, die aus der buddhistischen Tradition kommen. Die letzte war:

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Tue nichts, was schadet, handle heilsam auf die beste Weise,

bezähme deinen Geist, dies ist die Lehre Buddhas.

Das war eigentlich schon die Kurzdarstellung – wenn wir die Dinge auf einen Punkt bringen wollen, dürfen wir nicht zu lange reden! Aber ich wäre sehr froh, wenn Sie Fragen hätten und könnte dann noch etwas ausführen zu Ihren Fragen. Frage: ... was mit der Dualität passiert, wenn es keine Menschen gibt? Wie sieht das dann aus? Das übersteigt natürlich weit meine Fähigkeiten , das aus eigener Erfahrung zu beantworten. Dualität - Als Grundlage braucht es Geist, braucht Gewahrsein. Wenn wir von Dualität sprechen, sprechen wir gleichzeitig auch von einem Gewahrsein, in dem sich diese Projektionen von Subjekt und Objekt einstellen. Ihre Frage würde ich so verstehen, wenn es keine Menschen gibt, gibt es dann anderswo noch Gewahrsein? Das kann ich mit Ja beantworten. Dualistisches Gewahrsein gibt es auch in für uns nicht sichtbaren Bereichen, bei Geistwesen, es gibt sie auch bei Tieren. Dualistisches Gewahrsein ist nicht an das Menschendasein gebunden. Offenbar auch – aber da muss ich wirklich zitieren – nicht an den Planeten Erde. Die buddhistischen Meister gehen fest davon aus, dass Gewahrsein nicht nur auf dem Planeten Erde existiert. Aber wie gesagt: da muss ich auch noch ein bisschen praktizieren... Beantwortet das ihre Frage? Nicht ganz. Tiere zum Beispiel, wie erfahren die ... was haben die für eine Stellung? Tiere erleben auch in Form von Ich und Du. Das ist sicher so. Ich weiß jetzt nicht – die buddhistischen Meister haben sehr genaue Beschreibungen abgegeben von diesen Prozessen. Sie sagen, dass die kleinsten Tiere, die Insekten – die normalen geistigen Fähigkeiten, über die wir normalerweise verfügen, die uns zur Verfügung stehen, stehen ihnen nicht in vollen Umfang zur Verfügung. Sie haben ein rudimentäres Gewahrsein, wo aber diese dualistischen Prozesse - ich will/ich will nicht - durchaus stattfinden. Das was die Dharmapraktizierenden, die Buddhisten, als ein Lebewesen definieren, ist ein Gewahrseinsstrom, der Entscheidungen treffen kann. Beispiel: eine Ameise läuft auf eine Pfütze zu, kommt an den Rand der Pfütze, hält inne, identifiziert Wasser, also Gefahr, und geht anderswo lang. Diese einfachen Entscheidungsprozesse, verbunden mit der Fähigkeit, den Aufenthaltsort zu wechseln, nennt man „Lebewesen“ in der buddhistischen Lehre. Da finden „ich und du“ - Prozesse statt: ich und das äußere, ich und das andere. Diese ganz rudimentäre Dualität findet dort statt, aber vielleicht haben Sie viel subtilere Form von dualistischem Prozess gemeint. Frage – ganz allgemein der Unterschied vom Mensch zum Tier... Ja, der Mensch hat viel größere Fähigkeiten. Der Mensch kann über sein Sein reflektieren, was von einem Tier nicht angenommen wird. Dass ein Tier über sein Sein reflektieren könnte und dann z.B. in seinem Tierkörper, in seiner Tierexistenz, Erleuchtung finden könnte, diese Möglichkeit ist für ein Tier nicht gegeben. Das Entdecken der eigenen Kurzschlüsse in der Wahrnehmung der Umwelt, das ist etwas, das wirklich spezifisch menschlich ist, das uns deutlich unterscheidet. Andere Fähigkeiten unterscheiden uns nicht vollständig, aber doch in großem Maße: die Fähigkeit der Liebe und des Mitgefühls ist bei hochentwickelten Säugetieren schon merkbar. Das wissen wir, wenn wir Hunde haben oder Katzen, aber diese Fähigkeit nimmt immens ab, wenn wir in niedere Tierformen hineinschauen. So gibt es viele Qualitäten, die im Menschenbereich sehr viel stärker entwickelt sind und viel mehr zur Verfügung stehen als im

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Tierbereich - vor allem die Fähigkeit nachzudenken. Der Buddha beschrieb das als die Fähigkeit, Heilsames von Schädlichem zu unterscheiden. Die Idee vom Heilsamen und Schädlichen auszudehnen auf den anderen - also nicht nur was für mich gut ist, für mich heilsam ist und schädlich, sondern das auch auf den anderen auszudehnen – da sind große Unterschiede zwischen Menschen und Tieren. Frage: Wie wirkt sich der Entwicklungsstand des Menschen beim Tod aus, im Erleben des Jenseits? Ja, das macht große Unterschiede. Jemand, der schon zu Lebzeiten in diese Nondualität hieneingefunden hat, scheint im Todesprozess – so wie die Meister das beschreiben – leichten Zugang zu dieser Nondualität zu haben und kann darin aufgehen. Dann gibt es verschiedene Möglichkeiten, je nachdem, was für Wünsche vorher gemacht wurden, ob man wieder zurückkehren möchte als Mensch, ob man in reine Daseinsbereiche gehen möchte, oder ganz in dieser Nondualität aufgehen möchte, da gibt es verschiedene Wege. Die Intensität oder Tiefe der Verwirklichung macht da auch einen großen Unterschied. Da gibt es ausführliche Unterweisungen darüber, die das dann exakt belegen. Frage: Wieso gibt es überhaupt diese Dualität? Es wäre doch alles viel einfacher, wenn es die nicht geben würde! Ja, das finde ich auch. Ich hab mich schon oft gefragt, warum nicht einfach so einfach sein? Und wer denn diese Einfachheit entdeckt, hat tatsächlich auch nicht den Wunsch, diese Komplexität der Dualität weiter zu nähren. Das wird der erste Moment der Befreiung genannt, wenn das zutiefst erfahren wurde und Dualität nicht mehr als etwas ganz Normales oder sogar Erstrebenswertes erfahren wird, sondern tatsächlich: Dualität wird dann als ein Gefängnis erfahren, als eine leidvolle Dualität, nicht nur eine einfache Gegebenheit des Lebens. Wann das angefangen hat? Der Buddha schwieg zu dieser Frage. Er sagte: es hilft euch gar nichts, wenn ich darauf eingehe, es ist nicht wichtig für den Erleuchtungsweg, das zu wissen. Es gibt Erklärungsversuche. Es gibt keinen befriedigenden Erklärungsversuch. Es scheint seit anfangsloser Zeit so zu sein, und wenn wir dann aber uns in diese Offenheit anfangen hineinzufinden, dann fällt der Zeitbegriff in sich zusammen. Das heißt, die Erklärung „Das gibt es schon seit anfangsloser Zeit“, selbst die fällt in sich zusammen, weil in der wirklichen nondualen Offenheit auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als solche nicht mehr präsent sind. Da sind wir in einer zeitlosen oder ewigen Dimension, je nachdem, wie Sie das lieber ausdrücken möchten. Deswegen haben die meisten buddhistischen Meister es abgelehnt, darüber zu spekulieren, wann das mal in einer chronologischen Reihenfolge angefangen haben könnte, weil solche Erklärungen letzten Endes wohl der Erfahrung der Erleuchtung wohl nicht standhalten. Diese Erklärungen sind nur vordergründig. Einen Lehrer, Dilgo Kyentse Rinpoche, hab ich erklären hören. Er hat gesagt, es hat mit einem Moment der Unachtsamkeit angefangen. Das war seine Antwort. Ein berühmter Text im tibetischen Buddhismus, der „Tiefe innere Sinn“ heißt der Titel übersetzt, beschreibt das als einen Prozess, dass der spielerische Geist, das spielerische Gewahrsein sich in seinem eigenen Spiel verwickelt hat und Geschmack gefunden hat am Spiel und schließlich geglaubt hat, dass das Spiel Wirklichkeit ist. Das sind Erklärungsversuche, die uns vielleicht ein bisschen helfen können. Es ist aber nicht erklärt, warum sich dieses Gewahrsein in seinem eigenen Spiel verfängt. Aber da scheint eine Faszination eine Rolle zu spielen. Das ist genau das, was Dilgo Kyentse mit dem Moment der Unachtsamkeit meinte. Unachtsamkeit bedeutet: da ist ein Moment des Haftens, da ist ein Moment des Ergreifens, des Fasziniertseins im Sinne von Habenwollen. Das ist der Moment der Dualität.

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Frage: Das haben eigentlich auch Pflanzen, die wenden sich auch zum Licht oder ab von einer Hitzequelle – eigentlich gehört das überhaupt zum Lebendigen. Ja, Pflanzen gehören eindeutig zum Lebendigen. Die buddhistischen Lehrer sprechen der Pflanze ab, dass sie das aus eigenen Stücken tut. Sie sagen, dass die Pflanze das automatisch tut und dass da nicht eine freie Entscheidung ist. Das heißt, die Nachtpflanzen gehen nachts auf automatisch, die Tagpflanzen können gar nicht anders, als ihre Blüten aufzumachen, wenn die Sonne kommt. Das ist keine Entscheidungsfreiheit. Um sie als ein erleuchtungsfähiges Lebewesen zu definieren, braucht es diese Entscheidungsfähigkeit. Nun bin ich aber nicht sensibel genug, um zu wissen, ob es nicht heute unter den Pflanzen auch solche entscheidungsfähigen Pflanzen gibt. Aber was wir so allgemein beobachten, ist, dass sie völlig vorhersehbar reagieren. Das ist kein Agieren, das ist ein automatisches Reagieren. Aber sie sind Lebewesen, nur keine erleuchtungsfähigen Lebewesen. Sie sind lebendig, aber – eine Pflanze kann nicht sagen: ich will nicht hier wachsen, ich will woanders wachsen. Oder: heute habe ich keine Lust. Ich schlaf heute, ich lasse die Sonne vorbeigehen. Das ist nicht. Das ist der Unterschied. Das ist kein Unterschied, der die Pflanzer in irgendeiner Weise beleidigen soll, zurücksetzen soll, sondern das ist eine Beobachtung zu dem, was offenbar Pflanzen von Tieren unterscheidet und vom Menschen. Wobei es dann Phänomene gibt, wo Pflanzen – wir kennen diese Phänomene, das sind Gefühle, Reaktionen, wo Menschen in den Raum kommen usw. Das ist hochinteressant, weil auch Buddha Aussagen macht in einzelnen Sutren, wo er Pflanzen eine hohe Sensibilität zuspricht. Dann gibt es aber ein Mischphänomen, wo es offenbar unsichtbare Wesen gibt, die sich mit Pflanzen identifizieren und die Reaktion der Pflanzen sind nicht die Reaktionen der Pflanze, sondern des unsichtbaren Wesens, das mit dieser Pflanze verbunden ist. Da entstehen einige dieser Phänomene - es gibt viele Geschichten über Bäume, die außerordentliche Kräfte zu besitzen scheinen, das scheint mehr mit den Geistwesen zu tun zu haben, die sich mit dem Baum identifizieren. Ich schenke Ihnen da reinen Wein ein. Ich könnte auch diese Wesen gar nicht erwähnen, aber das ist so wichtig in Buddhas Lehre, dass wir nicht nur an den menschlichen Bereich denken, an den Tierbereich, sondern dass es auch andere gibt, mit denen wir zusammen leben. Ich hoffe, dass ich niemanden damit allzu sehr schockiere. Das gehört wirklich auch mit zu Buddhas Lehre. Frage: Ist dem Menschen eine nicht-menschliche Wiedergeburt möglich, also als Tier oder als Pflanze? Ja, als Pflanze – ja, doch, es gibt auch Gleichnisse... aber normalerweise sagt die buddhistische Lehre, dass das als Pflanze nicht geht. Aber als Tier durchaus. Das ist der große Unterschied der buddhistischen Lehre und auch all der Meister, die diesen Prozess von Geburt und Wiedergeburt gemeistert haben, die bewusst wiederkommen, alle sprechen darüber, dass Menschen, die ihr Leben nicht gut nutzen, tatsächlich abgleiten können in eine Tiergeburt. Was auch der Grund ist, warum Buddha und an der Meister so intensiv darüber sprechen, dieses Leben gut zu nutzen, damit man nicht in solches Leid oder noch stärkeres Leid als das hineinfällt, sondern einfach dieses Leben wirklich gut nutzt. Können Sie damit was anfangen? Frage: Wodurch unterscheidet sich nach deiner Erfahrung der christliche Dharmapraktizierende vom buddhistischen? Oder haben sie ähnliche Wege? Hm, muss ich erst mal nachdenken. Oder nachfühlen einen Moment. Ich komme aus einer sehr christlichen Familie. Mal gucken. Ich möchte ehrlich antworten. Ich weiß nicht, ob ich das einfach so für alle Christen sagen kann. Es gibt so viel unterschiedliche Christen. Es gibt Christen, die eindeutig Erfahrungen von Nondualität haben. Es gibt Christen, die undogmatisch einen echten Weg der

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Wahrheitssuche gehen. Und dann gibt es das, was wir so als Christentum kennen, was gelehrt wird und was als Dogmen auch festgeschrieben wurde, als Glaubenssätze. Da fällt mir ein wesentlicher Mangel auf in den Glaubenssätzen - ich spreche jetzt nicht über die Christen, sondern über die Glaubenssätze! – ein Mangel an dieser letztendlichen Weisheit, dieses Wissen um das Nonduale. Da wo eigentlich Gott die nonduale Dimension sein könnte, dieses schöpferische Gewahrsein, aus dem heraus alles entsteht, dort wird konkretisiert und eine ich-und-du-Beziehung aufgebaut zu einem Gott, der unser Retter ist. Aber eigentlich ist unser Retter das Eintreten in die Nondualität aus meinen Augen. Das wäre in buddhistischem Sinne Gott. Für mich ist das ein Mangel an letztendlicher Weisheit. Ich glaube, das ist für mich der wesentliche Unterschied. Sonst kann ich ganz ganz viele Brücken finden. Ich habe nur wenig esoterische christliche Literatur gelesen, aber Sie kennen alle Meister Eckehart. Als ich das gelesen habe, war ich sehr berührt von der Authentizität der Erfahrungen, die dort angesprochen werden, und würde das für authentisch halten, wirklich für Erfahrungen von Nondualität, die befreiend wirken, die auf ihn befreiend gewirkt haben. Ich würde dann sagen: was dann noch fehlt, ist: Wie geht’s von da an weiter bis zur Buddhaschaft? Da gibt es in der buddhistischen Lehre ganz ausführliche Beschreibungen und Hilfen, wie der Weg vom ersten überzeugenden Eintritt in die Nondualität weitergeht bis zum völligen Aufgehen in dieser erwachten Dimension. Das nennen wir die zehn Bodhisattvastufen. Dieser Weg wird aus der Erfahrung heraus beschrieben, der ist immer noch lebendig. Es gibt immer noch Meister, die diesen Weg aus der Erfahrung kennen. Es gibt auch viele viele Texte dazu, die die einzelnen Etappen auf diesem Weg beschreiben. Da würde ich die großen Unterschiede sehen. Und das andere: Ich würde das nicht überbetonen mit Liebe und Mitgefühl, dass die Buddhisten scheinbar noch weitere Liebe und Mitgefühl hätten, weil sie an alle Wesen, auch an die unsichtbaren, denken – ehrlich gesagt, wer von uns hat schon dieses Mitgefühl und diese Liebe – also da machen wir lieber kleine Brötchen, das ist nicht der wesentliche Unterschied. Ich hoffe, dass ich Ihnen da nicht auf den Schlips getreten bin oder Ihnen zu nahe gekommen bin – weil – das ist ein langer Weg. Auch für mich ist es ein langer Weg herauszufinden, was verbindet uns, was trennt – eigentlich trennt uns gar nichts. Das einzige, was uns trennt, ist, wenn wir an einem Gottesbegriff festhalten, der trennend wirkt. Es wäre sehr einfach. Wenn ich heute die Bibel aufschlage, dann habe ich das Gefühl, sehr viel mehr zu verstehen als ich je gehört habe an Erklärungen dazu, ganz einfach weil ich den Gottesbegriff ersetze innerlich mit Dharmakaya, den Körper des Dharma, also die Dimension der Wahrheit. Und dann werden die Dinge ganz einfach. Es wird sehr offenkundig so. Mein Bruder ist Pastor, mein Vater auch. Wir haben da sehr interessante Austausche schon gehabt. Frage: Was das Erlebnis der Nondualität betrifft, würdest du sagen, dass es da qualitative Unterschiede gibt? Ob man zunächst mal nur in der direkten Umgebung Nondualität erleben kann? und später das dann räumlich immer weiter ausdehnt In welcher Hinsicht Umgebung? Zum Beispiel bezogen auf konkret eine Person, oder einen Gegenstand, und das ganze Drumherum ist noch dual... Ja, du sprichst jetzt da einen Erfahrungsbereich an in der Meditation, den wir noch nicht die letztendliche Nondualität nennen. Man kann zum Beispiel auf ein Objekt meditieren und dabei eine Erfahrung machen, dass – es gibt verschiedene Erfahrungen. Eine wäre zum Beispiel das Gefühl von Einheit mit dem Objekt. Dann gibt es eine andere Erfahrung, dass das Objekt verschwindet, dass es nicht mehr als Sinnesobjekt wahrnehmbar ist. Dann gibt es eine Erfahrung von völligem Nicht-getrennt-Sein, alles das sind noch keine Erfahrungen der letztendlichen Nondualität.

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Wir würden nie die letztendliche Nondualität in Bezug auf ein Objekt beschreiben oder auf eine Person. Es ist etwas, wo das normale Funktionieren in unserem Geist – wie soll ich das jetzt sagen - weg ist – es ist ein klares offenes Gewahrsein. In diesem Gewahrsein ist nicht mal die Idee, dass da eine Erfahrung stattfindet. Da ist nicht mal eine Kontrollfunktion, die schaut, was jetzt eigentlich passiert. Das ist die eigentlich nonduale Erfahrung. In diesem Gewahrsein kann alles Mögliche stattfinden. Ganz viel Manifestation kann da sein, aber es ist immer diese Nicht-Ichbezogenheit, die diese Erfahrung ausmacht. Die kann nicht eingeschränkt sein. Die kann nicht nur auf eine Person oder ein Objekt bezogen sein. Das ist unmöglich. Dann ist es nicht die eigentliche Nondualität, sondern nur eine Meditationserfahrung, die ein bisschen ähnlich schmeckt. Übrigens eine große Falle für Praktizierende. Ich bin da auch mehrfach reingetappt. Man ist überzeugt, dass es das ist, man ist wirklich überzeugt, das wäre jetzt die Nondualität. Frage: Ich hab eine Frage zu den heilsamen Handlungen. Manchmal weiß mans einfach nicht. Es scheint dann so, als wärs für manche heilsam, aber für andere vielleicht eine Verletzung. Wie erkennt man, dass es eine heilsame Handlung ist? Es gibt ein Erkennen, wo du Bezug nimmst auf deine jetzige Qualität deines Gewahrseins, und es gibt ein Erkennen, das nur durch Beobachten der langfristigen Auswirkungen entsteht. Das eine ist, dass heilsame Handlungen davon geprägt sind, dass sie in unserem Geist eine Öffnung, eine Herzensöffnung bewirken. Eine heilsame Handlung wird nicht mit einem verschlossenen Herzen ausgeführt. Wenn wir einen heilsamen Gedanken haben, dann merken wir, dass der was auftut, der entspannt uns, der öffnet uns, der setzt Freude frei. Das sind innere Anzeichen dafür, dass es etwas Heilsames ist, dass es zur Gesundung beiträgt, zur inneren Öffnung. Das sind nicht völlig verlässliche Zeichen, so lange man nicht seinen eigenen Geist sehr gut kennt. Es gibt auch – zum Beispiel wenn ich einer sehr angenehmen Erfahrung begegne, einer Sinneserfahrung, einer geliebten Person, da entstehen auch diese Momente von Offenheit. Das heißt nicht, das es dann unbedingt bedeutet, dass es heilsam ist. Aber wenn es mit einer bewussten Handlung – wenn ich zum Beispiel abzuwägen habe, welche Art von Handlung führe ich aus? Ich kann sie in den Test hineinnehmen, mir vorstellen, ich führe diese Handlung aus, was erlebe ich dabei, wenn ich mir vorstelle, ich führe diese Handlung aus? Was bewirkt das? Ich kann genau in meinen Geist schauen, was das alles auslöst. So kann ich verschiedene Handlungsalternativen testen. Dann erspart uns das aber nicht ein feines Beobachten der Auswirkungen unserer Handlung, Und nicht aufzuhören, diese Beobachtung immer weiter fortzusetzen: Vor fünf Jahren hab ich mich mit der Person so verhalten. Das und das ist passiert. Heute hat diese Person diese Beziehung mit mir. Dann weiter gucken, es hat noch nicht aufgehört. Was ist die Spätwirkung all der Handlungen, die stattgefunden haben oder der einen großen Handlung, die mal stattgefunden hat. Je mehr wir Ursache und Wirkung in unserem Alltag beobachten, in unserem Leben, desto weiser werden wir. Weise – das heißt Wissen, Erfahrung, da stellt sich Erfahrung ein. Und immer sicherer wissen wir: die Art von Handlung führt zu der Art von Folgen, von Konsequenzen, von Auswirkungen. Wir werden immer sicherer. Diesen Lernprozess kann uns niemand abnehmen. Das ist das, wodurch eigentlich Weisheit entsteht: das aufmerksame Beobachten von all den Ursache-Wirkungs-Ketten. Frage: Eine theoretische Frage: Kannst du den Begriff des Gewahrseins gegen den des Bewusstseins abgrenzen? Den Begriff des Gewahrseins vom Begriff des Bewusstseins abgrenzen – das ist tatsächlich eine theoretische Frage. Um sie genau zu beantworten, müsste ich jetzt auf tibetische oder

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Sanskrit Ausdrücke Bezug nehmen. Ich hab als Übersetzer eine Wahl getroffen, dass ich „Gewahrsein“, weil das die Silbe „wahr“ drin hat, für die Art von Bewusstsein reserviere und benutze, die das eigentlich Wahre erkennt. Während der Begriff „Bewusstsein“ das bloße Wissen um das Auftauchen von Geistesinhalten beschreibt. Frage: Ist es in der Theorie möglich, dass Sie als Meditierender und erfahrener Meditierender einem nicht so erfahrenen Meditierenden helfen? Das muss ich leider den ganzen Tag! Ich meine im Sinne von sich auf diese Person konzentrieren und ... Ach so, richtig so hochmeditieren jemanden? Ja! Ja, wenn das so einfach ginge! Ich hab ja nicht gesagt, dass es einfach ist! Ja, ich will das nicht aus meiner Erfahrung mit meinen Schülern beschreiben, sondern lieber von mir als Schüler mit meinem Lehrer. Da fühle ich mich besser, wenn ich es aus der Perspektive beschreibe. Wenn ich zu Gendün Rinpoche in den Raum kam, er saß, so wie ich jetzt, und war auf seinem Meditationsplatz, wo er auch aß und wo er Leute empfing – allein da reinzukommen und mich hinzusetzen, war für mich, als wär alles plötzlich sehr viel leichter, das Loslassen in meinem eigenen Geist war einfach so viel leichter, die Offenheit stellte sich so viel selbstverständlicher ein, es war einfach da. Es war wie wenn seine Gegenwart uns – ich spreche jetzt nicht nur aus meiner Erfahrung, ich kenne ganz ganz viele, die das erfahren haben – es uns erleichtern würde, Zugang zu weit offenen Geisteszuständen zu haben. Da könnte man annehmen, wenn ich jetzt Ihre Frage nehme, dass er uns geholfen hat, da hineinzufinden. Hat er aber nicht. Er war einfach erleuchtet, wie er ist. Er hatte gar nicht die Idee, uns zu helfen. Er war da, um uns zu helfen, klar, aber er meditierte nicht speziell irgendetwas, damit das passiert. Er machte nicht irgendwelche Anstrengungen aus seinem Geist heraus, um jetzt noch ein spezielles Kraftfeld zu erzeugen, das unseren Geist dann noch weiter öffnen würde. Er war einfach in dieser Offenheit, und diese Offenheit hat etwas Ansteckendes., also etwas Einladendes. Vielleicht kann man es so sagen. Sie lädt ein, und es ist scheinbar so viel leichter, die noch verbleibenden Schranken loszulassen. Jeder lässt so ein bisschen von seiner Schranke los und erlebt ein bisschen mehr Offenheit. Der Lehrer setzt sich nicht hin und sagt: Schüler, setz dich vor mich, und dann, jetzt schließ die Augen, und dann meditier ich mal auf deine Chakren ... Nie! Hat er nie gemacht! Es ist nicht unmöglich, das zu machen, aber es ist nur von sehr kurzfristigem Nutzen. Frage: Wie sah ihr Berufsweg aus nach der Schule? Ihr persönlicher Lebensweg? Oh, mein Lebensweg. Ich hab zum Glück was vorzuweisen. Ich hab hier in Freiburg mein Medizinstudium abgeschlossen als Arzt und bin auch jetzt als Arzt in Frankreich eingeschrieben, war auch Homöopath, hab hier in Freiburg ein bisschen Homöopathie unterrichtet, hatte bei Dr. Köhler gelernt, das war unser gemeinsamer Lehrer. Es gibt noch ein paar damalige Kommilitonen, die hier aktiv sind. Ich habe während des ganzen Studiums meditiert, und hatte zum Abschluss des Studiums mit meiner Frau den Wunsch, intensiver zu meditieren. Als Homöopath behandelte ich schon während des Studiums, unentgeltlich, und merkte, dass die Menschen mir immer mehr mit Fragen kamen, mit Problemen, die mit ihrem Geist zu tun hatten. Und ich wollte meinen Geist besser kennenlernen. Ich habe dann zunächst mit meiner Frau dreieinhalb Jahre in einem Wald unter Leitung von Gendün Rinpoche meditiert. Dann haben wir beide Mönchs- und Nonnengelübde genommen

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und haben noch mal ein traditionelles Dreijahresretreat in der Gruppe gemacht in Frankreich. Wir sind beide heute unterrichtende Lamas, und Gendün Rinpoche hat mich halt gebeten, jetzt dies Retreatzentrum zu leiten zusammen mit anderen, zwei Männern und drei Frauen, kümmern wir uns im Moment um 85 Menschen, die zur Hälfte im ersten Dreijahresretreat sind und zur Hälfte im zweiten Dreijahresretreat. Von daher ist mein Lebensweg sehr leicht beschrieben. Es gab diese Stationen Abitur, Studium, dann persönliche Klausurzeit. Seit 11 Jahren mache ich jetzt die Betreuung von Meditierenden, bin Meditationslehrer und nebenbei auch der Arzt unseres Klosters und unseres Retreatzentrums. Aber das ist wirklich eine Nebenaufgabe geworden. Ich bin auch Übersetzer von Texten aus dem Tibetischen ins Deutsche. Frage: ... Nein, wie gesagt, unser Lehrer ist zu uns gekommen. Er hat gemeint, ich bräuchte nicht mal tibetisch sprechen zu lernen, es würde reichen, wenn ich die Texte so übersetzen könnte. Andere von uns haben das Sprechen gelernt – ich bin noch nie weiter als bis Indien gekommen. Jetzt bin ich für diese Zentren zuständig, da kann ich gar nicht so ohne Weiteres weg und es ist auch nicht gut, große Risiken auf mich zu nehmen, die mich verhindern würden, dann wieder zurück zu kommen. Frage; Ich hab noch die Frage, wie es kommt, dass die Menschen so sehr zugenommen haben in der Zahl – wenn die Menschen immer wiedergeboren werden, wie kann sich das denn so beschleunigen? Ja, weil sie auch aus anderen Dimensionen wiedergeboren werden. Manchmal gelingt es einigen Tieren, Zugang zur Menschenwelt zu finden, manchmal auch unsichtbaren Wesen, die Zugang dazu finden – das sind leichte Verschiebungen innerhalb der universalen Bevölkerungsstatistik. Kleine Verschiebungen! Was für uns immens ausschaut, ist für die Gesamtperspektive all der Wesen, die existieren, eine minimale Verschiebung. Es braucht nur ein minimaler Prozentsatz von Tieren mehr Zugang zur Menschenwelt zu finden, und schon ist unsere Menschenwelt rappelvoll! Aber ich versteh Ihre Frage. Ich habe sie mir auch gestellt. Die Antwort, die mir gegeben wurde, und die auch schlüssig ist, ist genau diese. Frage: Würde das dann im Umkehrschluss heißen, wenn wir die Geburtenkontrolle ausweiten würden und die Verhütung weiter publizieren würden, dass wir dann Wesen den Zugang zur Menschwerdung verwehren würden? Gute Frage. Gute Frage. - - Kann ich so aus meinem eigenen Wissen nicht beantworten. Ich hab noch nie einen buddhistischen Lehrer gefunden, der gegen Empfängnisverhütung wäre. Das hab ich noch nicht gehört. Was ich gehört hab, ist, dass die die wirklich das Karma haben, als Menschen zu kommen, die werden als Menschen wiedergeboren. Da brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Dazu sind mir keine weiteren Diskussionen bekannt. Die Dharmapraktizierenden, die wir so Buddhisten nennen, haben sich auch nicht zusammen geschlossen zu einer gross-buddhistischen Kirche, wo es dann jemanden gäbe, so ein Konzil, das Ratschläge geben würde. Jeder Lehrer, jeder Meister steht selbst in der Tradition und muss aus seinem Wissen heraus, auch aus seiner Textkenntnis heraus Antworten geben, die der jeweiligen Situation entsprechen. Wenn wir unseren Tibetischlehrern solche Fragen gestellt haben - das sind durchaus keine ungewöhnlichen Fragen - dann haben sie uns so geantwortet, wie ich das jetzt versucht habe. Dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen: die die wirklich das Karma haben, wieder als Menschen zu kommen, die werden kommen. Trotz Verhütung!

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Frage: den Unterschied zwischen Buddhist und Dharmapraktizierendem, das war mir vorher zu kurz. Der Unterschied ist – wenn du mich fragst: Bist du Buddhist?, dann hab ich immer Mühe, ja zu sagen. Wenn man mich fragt, ob ich Dharmapraktizierender bin, dann sag ich, ja, das ist mir wirklich ein Anliegen. Es ist mir wirklich ein Anliegen, ein Dharmapraktizierender zu sein. Bei „Buddhist“ ist immer so ein Gefühl, in einer Ecke zu landen, in so einem Kasten, ein Buddhist muss doch an Karma glauben, ein Buddhist muss doch an Wiedergeburt glauben – dabei hat das nie jemand gesagt, dass ein Buddhist an Wiedergeburt glauben muss. Ein Dharmapraktizierender ist jemand, der auf dem Weg ist, die Wahrheit zu entdecken immer mehr. Für mich hats Jahre gebraucht, bevor ich eine innere Überzeugung von Wiedergeburt hatte. Das hat lange Zeit gebraucht. Das hat auch nie jemand von mir verlangt, dass ich daran glaube. Wenn man an „Buddhist“ denkt, denkt man an jemanden mit einem bestimmten Satz von Glaubenssätzen, das meine ich damit. Es ist keine Schande, Buddhist zu sein. Überhaupt nicht. Es ist nur, dass man sich leicht selbst in Schubladen tut. Da gibt es dann Buddhisten, die zu mir kommen, „Lhündrub, ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt buddhistische Praxis ausführen kann, ich kann nicht an Wiedergeburt glauben, es fällt mir einfach schwer, es geht nicht rein bei mir.“ Dabei ist das überhaupt kein Problem! Das kommt nur aus diesen Konzepten, dass man denkt: ich werde Buddhist, und wenn ich Buddhist werde, dann muss ich das und das glauben – und das sind Irrtümer. Mit denen würden wir gerne aufräumen. Das sind wirklich Irrtümer, die dem Dharmaweg im Wege stehen. War das jetzt ausführlich genug? Ja! Gut! Frage: Für mich ist das sehr sympathisch, weil für mich ist diese Verbindung zu anderen Religionen sofort da. Das heißt ich kann den Dharma praktizieren, also den Weg der Wahrheit suchen, egal welche Grundreligion ich habe. ... Als Dharmapraktizierenden können wir jeden ansprechen, und für mich ist es so beglückend, diesen Weg als Dharmaweg lehren zu können – so hat unser Lehrer auch gelehrt. Das ist nicht, dass ich eine Neuauslegung mache. Wenn unser Lehrer, Gendün Rinpoche, Zuflucht gegeben hat – das ist so ein Wort, das bedeutet, dass man sich formell im Beisein vom Lehrer als Zeuge entscheidet, den Dharmaweg zu gehen - dann hat er jedes Mal erklärt, dass, wenn wir Zuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha nehmen, es eine universelle Zuflucht ist, die bedeutet, sich auf die Erleuchtung auszurichten: Buddha als das völlige Erwachen mit dem Beispiel des Buddha Shakyamuni und anderer Buddhas, die dieses Erwachen manifestiert haben, Dharma als die Wahrheit, die im eigenen Geist, die überall zu entdecken ist, und nicht nur als die Schriften und die Lehren, auf die wir dann so quasi einen Eid leisten, und Sangha als diejenigen, die den Dharmaweg tatsächlich kennen und uns helfen können, auf diesem Weg zu dieser Wahrheit durchzudringen. Es gab und gibt Priester und Pfarrer, die Zuflucht genommen haben. Niemand braucht aus seiner bisherigen Religion auszusteigen, um Zuflucht zu nehmen. Um ein Dharma-praktizierender zu sein und um das formell auch zu bekräftigen, ein Dharmapraktizierender zu sein, wird man nicht mal gefragt, ob man zu einer anderen Tradition gehört oder von woanders her kommt – das ist völlig unerheblich. Wichtig ist, dass man tatsächlich zu einem Dharmapraktizierenden wird. Da nimmt jeder mit auf den Weg, was er an Gutem schon gefunden hat in seinem Leben. Das was wir an Hilfreichem gefunden haben und was sich als hilfreich weiter bewährt, sollten wir nicht über Bord werfen, sondern mitnehmen auf den Weg als Dharmapraktizierender.

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Das sind große Irrtümer, die in der Anfangszeit des Buddhismus in Europa immer wieder passiert sind, dass Menschen tatsächlich auch so gehandelt haben und sich innerlich dazu überzeugt haben, dass sie alles, was sie bisher verstanden hatten und gehört hatten, quasi hinter sich lassen wollten, weil sie jetzt dann halt Buddhisten waren. Das Neue war das einzig Gute. Als wäre das, was wir vorher schon gelernt haben und verstanden haben, als wäre das nicht mehr gültig, bloß weil wir jetzt mit einer neuen Lehre Kontakt aufnehmen. Da sind viele Fehler passiert. Aber jetzt machen wir diese Fehler nicht mehr. Wir sind jetzt im Westen etwas reifer geworden und können das vermeiden, dass diese Irrtümer entstehen. Frage: Ich sehe einen ziemlich großen Unterschied zwischen dem Dharma und dem Christentum, weil ... man muss sich entscheiden, was man für einen Weg gehen will... Ja. Ich würde nie behaupten, dass Dharma und Christentum dasselbe seien. Ich würde sagen, dass im Christentum sich viele Elemente finden, die wahr sind - und die hilfreich sind. Hilfreiche Wahrheit. Befreiende Wahrheit. Da muss jeder den Weg gehen. Es gibt z.B. auch im buddhistischen Dharma viele Erscheinungen, so wie Christus dem Saulus erschienen ist, wodurch er zum Paulus wurde, genauso gibt es Erscheinungen im Buddhismus, wo Meister Buddha Shakyamuni und andere Meister Leuten erscheinen und entscheidende Kehrtwendungen im Leben bewirken. Das ist z.B. eine Wahrheit, die würde ich nie bezweifeln, dass der damalige Saulus solch eine Erscheinung gehabt hat. Frage: ... (unverständlich) Was die Christen das Jenseits nennen, ist aus der Sicht der buddhistischen Meister unglaublich bevölkert. Das heißt, es gibt ganz viele Lichtwesen, Wesen mit einem Lichtkörper. Man kann die sehen, die können sich manifestieren, die können sich sichtbar machen oder wir können innerlich die Sicht entwickeln, um diese Lichtwesen wahrzunehmen. Es gibt Buddhas, die sich in Lichtgestalt manifestieren, es gibt Bodhisattvas, das heißt noch nicht voll erleuchtete Wesen, die sich als solche manifestieren, und es gibt auch ganz gewöhn-liche Wesen, die zu dem normalen Götter- und Halbgötterbereich gezählt werden, die auch sich in Lichtgestalt manifestieren, aber selbst noch gefangen sind im Daseinskreislauf. Es gibt eine unglaubliche Abstufung, ich habe jetzt nur drei grobe genannt, aber es gibt immense Abstufungen von Wesen, die sich in Lichtgestalt manifestieren können. Es gibt darüber hinaus das, was die Buddhisten Parinirwana nennen, das ist das völlige Aufgehen in diese Offenheit, wo es keine Person mehr gibt, nichts Personifiziertes mehr. Das ist das letztendliche Aufgehen im Dharmakaya. Das gibt es auch. Da ist dann keine Lichtgestalt, keine Form mehr. Das wird auch beschrieben. Frage: Heißt das dann, der vorher personifizierte Geist löst sich dann in... Ja, es gibt keine Kräfte mehr, die Personifizierung ermöglichen oder zusammenhalten, die noch zu einer Kristallisation um einen vermeintlichen Wesenskern führen. Buddhas, wenn sie sich als Form manifestieren, - was die Kräfte zur Manifestation bewirkt, ist das Bodhicitta: der Entschluss und der immer wieder wiederholte Wunsch, zum Wohl der Wesen unendlich oft sich manifestieren zu können, dieser Wunsch entwickelt auch eine Kraft, diese Kristallisation – das ist ein schlechtes Wort, aber ich weiß jetzt grad nicht, wie ich es ausdrücken soll - diese „Ballung von Energie“ zu ermöglichen, die dann tatsächlich eintritt in eine Form, eine Gestalt. Frage: kann man das als Soße betrachten, wo der Geist, der vorher kristallisiert war, sich auflöst, aus der dann diese Manifestation stattfindet? Klar, man kann das als Soße betrachten, das bleibt jedem überlassen, wie er das nennt.

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Frage: Mich würde interessieren, wie viel Menschen schaffen es zur Erleuchtung, denn der Weg ist ja sehr schwierig, sehr langwierig, scheint der menschlichen Natur nicht so natürlich zu sein. Gibt’s da irgendwelche Zahlen? Die Statistiken werden von Jahr zu Jahr schlechter! Es gibt immer weniger offenbar! Ich kann keine Zahlen nennen. Zu Buddhas Zeiten gab es Hunderttausende, die dieses Erwachen ver-wirklicht haben, in Menschenform. Es gibt heute immer noch Menschen, die das verwirk-lichen. Aber sie werden selten. Viele, die in diesem Körper, in diesem Leben, nicht in dieses Erwachen hineinfinden, richten sich darauf aus, nicht unbedingt als Menschen wieder-zukommen, sondern in - was wir nennen: die reinen Bereiche zu gehen, und dort den Weg weiter zu gehen, nicht in Menschenform, sondern in Lichtgestaltform, und dort das Erwachen zu verwirklichen und von dort dann weiter zu gehen, entweder um wieder hilfreich zu sein oder in dieser großen „Suppe“ aufzugehen. Viele scheinen das Erwachen nur hier vorzubereiten, auf Erden heutzutage, und die eigentliche tiefe Öffnung, vollständige Öffnung findet dann nach den Tod statt. Frage: Gab es denn in letzter Zeit einen Erleuchteten? Denn wenn der selbst der Lama sagt, ich bin nur ein einfacher Mönch, ... Deswegen halten wir ihn ja auch für erleuchtet! Erleuchtung – wir stellen uns immer was ganz Großartiges darunter vor. Erleuchtung bedeu-tet, der einfachste und offenste Mensch der Welt zu werden, also nicht der Welt im Vergleich zu anderen, sondern einfach so offen und so einfach und natürlich, wie man sich das nur vor-stellen kann. So unkompliziert, weil kein Anhaften mehr da ist, das Komplikationen schafft. Ich weiß nicht, ob der Dalai Lama erleuchtet ist, aber es scheint unglaublich einfach zu sein, mit ihm zu reisen, mit ihm zu sprechen, mit ihm zu sein... es scheint sehr einfach zu sein. Was ich bei unserem Meister gesehen habe, der auch sagte: „Ich bin ein Sack voller Emotionen, ich habe nur Tsampa gegessen und Tee getrunken, das ist meine Lebensgeschichte“ - was wir erlebt haben, ist, dass er der unkomplizierteste Mensch war, den man sich nur vorstellen konnte, dass er immense Segenskraft hatte, in seiner Gegenwart Herz und Geist aufgingen, und er uns den Dharma in einer Weise erklären konnte, die man völlig wiederfindet, die völlig gespiegelt ist in den Schriften des Buddhas und der Erleuchteten. So kann man vielleicht denken, dass es noch erwachte Meister gibt. Ob sie dann wirklich völlig erleuchtet sind, ganz so sind wie Buddha Shakyamuni, das streiten alle ab und gleichzeitig sagen sie alle, es wäre möglich. Es ist müßig, darüber nachzudenken, weil es ist möglich, tatsächlich zu erwachen, da ist kein Zweifel dran. Jetzt in diesem Leben, in diesem Körper ist es möglich zu erwachen. Wie das dann weitergeht, das – sieht dann jeder selbst. Frage: ... könne er oder sie sich entscheiden, ob man wiederkommen will, um weiter heilsam zu sein... Die Entscheidung findet meistens vorher statt. ... Oder, ich nehm jetzt mal das Wort, in der Suppe aufzugehen. Ich frag mich, obs das wirklich gibt, was soll das bringen, in der Suppe aufzugehen? ... Das ist sehr differenziert. Wir nennen das jetzt „Suppe“, das heißt Nirvana auf gut buddhistisch. Nirvana und dazu noch Parinirvana sind sehr fein. Das ist sehr sehr fein, was da passiert. Es hängt offenbar sehr stark damit zusammen, was der Praktizierende vor seinem Nirvana sich gewünscht hat – wenn dann das große Erwachen sich vollzieht, was möge dann sich einstellen? Wo möge dann dieser Gewahrseinsstrom weitergehen? Ein völlig Erwachter in dem Zustand der Nondualität hat keine persönlichen Vorlieben, der entscheidet sich nicht, irgendwohin zu gehen. Da ist ein spontaner Ausdruck der liebevollen

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Weisheit, die tatsächlich mit den Wesen, die noch in Verwirrung gefangen sind, weitergehen können wieder zu einer Manifestation, wieder auf Erden zum Beispiel zu erscheinen. Das ist, wenn starke solche Wünsche auch gemacht wurden, dann ist diese Hinwendung da. Es scheint so zu sein, dass nach unendlich langer Zeit des sich Manifestierens immer wieder zu Buddha-Wesen es offenbar schwierig wird, immer noch wieder diese Manifestation hervorzubringen. Das ist nicht eine Schwierigkeit des Nicht-mehr-tun-Könnens, aber es gibt keinerlei persönliche Impulse. Das nennen wir das Aufgehen im Parinirvana. Das sind ganz unbeholfene Worte, die ich über dieses Thema nur sprechen kann. Als der Buddha sein Nirvana erlangte, also der Moment, als er mit 35 Jahren die Erleuchtung erlangte, das nennt man jetzt dann Nirvana, ging sein Geist in völliger Offenheit auf, und dann folgten Samadhis, tiefe Meditationen, in denen er mit dieser Schau, diesem Wissen um das Eigentliche, ins Relative hineinging und den Zyklus von Geburt und Wiedergeburt der Menschen und der Tiere und der anderen Wesen beobachtete und schaute, hin und zurück, und guckte, wodurch entsteht Leid – immer tiefe tiefe Meditationen, wo – und das ist für uns so schwierig nachzuvollziehen - auf nicht begriffliche Weise, ohne dass da Sätze sich geprägt hätten, ein Wissen um die Dinge entstand. Beim ersten Hinschauen war es tatsächlich so, dass er das Gefühl hatte, da gibt es ja eigentlich gar keinen, dem ich das vermitteln könnte, der schon bereit wäre, das aufzunehmen. Wie soll ich denn das Unsagbare mit Worten ausdrücken? Wie soll ich das kommunizieren? Wer hat denn die Ohren und das Herz, um da hinhören zu können, das verstehen zu können? Dann sagt die Legende, dass er gebeten wurde, von Indra und Shakra usw., doch noch mal hinzuschauen, da gäbe es doch bestimmt welche, die dazu bereit wären! So, durch Bitten, die von außen kamen, und durch erneutes Schauen entstand das, was wir das „Drehen des Rades des Dharma“ nennen. Es entstand dann tatsächlich eine Bewegung, eine Hinwendung zur Welt, diese so schwer zu vermittelnde Weisheit dann doch zu versuchen auszudrücken und zu vermitteln, die Menschen auch gezielt aufzusuchen, die das Karma hatten dafür, das heißt, die aufgrund ihres Denkens, Sprechens, Handelns bereit waren dazu, das aufnehmen zu können. Dann hat es tatsächlich auch geklappt, und die haben ihrerseits angefangen zu unterrichten. So ist der Schneeball ins Rollen gekommen. Am Ende seines Lebens hat der Buddha das vollzogen, was wir Parinirvana nennen. Von Buddha Shakyamuni wird nicht gesagt, dass er nach seinem Parinirvana noch mal Geburt angenommen hätte. Es war seine letzte Geburt. Er ist in dieser „Suppe“ dann aufgegangen! Aber offenbar ist es eine sehr kreative „Suppe“, weil es nicht aufgehört hat, dass Buddha Shakyamuni sich vor dem inneren Auge von Praktizierenden manifestiert hat. Bis heute gibt es Praktizierende, die Visionen von Buddha Shakyamuni haben. Man weiß nicht, wo die herkommen. Das heißt nicht unbedingt, dass da vielleicht irgendwo ein Buddha Shakyamuni sitzt, der Visionen schickt - das kann sein, dass es einfach spontan so passiert. Es muss nicht unbedingt da jemand sein, der das macht. Das völlige Aufgehen in diesem ursprünglichen, diesem zeitlosen Gewahrsein ist nicht unbedingt das Ende einer heilsamen Aktivität. Das sind schon noch Rätsel, die da auf uns warten, die ergründet werden müssen. Ich wünschte, jetzt säße da jemand vor euch, der das wie Gendün Rinpoche erklären könnte. Das sind sehr subtile Bereiche, über die wir jetzt gerade sprechen. Frage: Es gibt ja zwei Karmapas Was das bedeuten soll, ich versteh das nicht. Ist es so, dass es einen Richtigen gibt und eine Falschen, Hochstapler,? Oder hat es eine tiefere Bedeutung? Alle behaupten, es gibt einen richtigen und einen falschen. Viele behaupten das. Gendün Rinpoche sagte das nicht, dass es einen richtigen und einen falschen gibt. Er hat uns immer gesagt: Denkt dran, dass es sich um erleuchtete Aktivität handelt.

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Die Spaltung vollziehen die Menschen, die unbedingt den richtigen haben müssen. Das ist unser dualistischer Geist, der diese Spaltung vollzieht. Er hat uns einfach gesagt: Er als Lehrer, und die Visionen, die er hatte, die sind mit diesem Karmapa verbunden. Es ist nicht notwendig zu sagen, der andere ist ein falscher, bloß weil man eine stärkere Beziehung mit dem Karmapa hat. Frage: Aber er kann sich doch nicht zweimal manifestieren! Er kann sich viel mehr als zweimal manifestieren. Es gibt andere Lehrer, die sich als fünf manifestiert haben, es gibt andere, die sich als noch mehr manifestiert haben. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist nur, dass es da um Macht und Geld geht. Das ist das eigentliche Problem. Frage: Der andere hat ja ganz viele Anhänger und wurde vom Dalai Lama forciert und gefördert... Ja! --- Und? Frage: Da geht’s um Macht und Geld? Ja. Offenbar. Die Streitereien gehen alle um Macht und Geld. Da geht’s drum, wer hat das Sagen in Rumtek, wer kriegt die goldene Krone mit ihren Juwelen, die schwarze Krone mit dem goldenen Rand usw., die Streitereien gehen alle darum, wer hat Macht über was. Die Streitereien gehen gar nicht darum, ob der jetzt erleuchtet ist oder nicht, ob er gute Meditationen hat oder nicht, ob er Bodhicitta hat oder nicht, da scheint sich niemand drum zu kümmern, ob diese beiden jungen Männer tatsächlich das Herz auf dem richtigen Fleck ha-ben, das scheint in den Diskussionen wenig Rolle zu spielen. Immer wieder, wer hat Einfluss, immer wieder fallen wir in dieses Schema gut und schlecht, bin ich auf der richtigen Seite... Das ist das Große an unserem Lehrer Gendün Rinpoche gewesen, dass er uns einen Weg gewiesen hat, wie wir nicht immer in dieses zweigleisige Denken... - dass das nicht das Entscheidende ist, sondern dass das Entscheidende ist, den Dharma zu praktizieren. Er hat immer gesagt, den Karmapa werdet ihr daran erkennen, dass er die Dharmapraxis fördert. Das ist Karmapa. Was die Dharmapraxis fördert, was den Weg des Erwachens fördert. Das ist erleuchtete Aktivität. Daran werden wir ihn erkennen. Wir können ja nicht den Geist sehen von einem Erleuchteten und unterscheiden, wer ist mehr erleuchtet und wer weniger. Das ist uns ja völlig unmöglich. Wir können gucken - ich hab unseren Karmapa über den anderen sagen hören: „Ja, der macht aber eine gute Aktivität! Das gefällt mir aber.“ Er hat Gedichte gelesen, die vom anderen kamen, und gesehen, was er für einen Brief an seine Mönche geschrieben hat: „Oh, schön!“ Immer auf den Dharma! Deswegen ist es so wichtig, über die Essenz zu sprechen. Alles andere ist so – klerikales Umfeld... Da sind große Emotionen im Spiel. Da müssen wir sehr aufpassen, dass wir da nicht reintappen. Frage: Ich bräuchte nur einen guten Satz auf den Heimweg, wie ich das zusammenkriege: Ärger und Wut über Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft – und das, was ihr vielleicht Gelassenheit oder Nicht-Anhaften nennt, ... das Spannungsfeld ist schwer auszuhalten. Dann soll ich jetzt noch das Wort zum Sonntag sprechen? Für den Alltag! Ja, gut. Ich kann dieses Empören zutiefst verstehen. Das Empören über die Ungerechtigkeit in der Welt und über all die Aggressivität, und auch das tiefe Traurigsein darüber und die Wut darüber. Gelassenheit kommt, wenn in diese Wut hinein Weisheit Eingang findet. Wenn ich merke, dass ich mit der Wut überhaupt nichts verbessere, und dass Wut bzw. Ichbezogenheit auch schon mit Auslöser all dieser Ungerechtigkeiten ist, dieser Aggressivität, die ich bemer-

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ke, und dann sage: Wenn dann Ichbezogenheit Auslöser und Ursache von all dem ist, dann lass mich an meiner Ichbezogenheit arbeiten. Darin finde ich meine Gelassenheit wieder. Aber – die Empörung wird auch wieder kommen. Dann müssen wir wieder damit arbeiten. Immer wieder schauen: hilfreich zu sein in dieser Welt, wo so viel Gewalt und Ungerech-tigkeit ist, das können wir nur, wenn wir einen freudigen Geist haben, einen offenen Geist. Frage: Was motiviert den Karmapa, was motiviert dich, was motiviert alle anderen Lamas, Dharmapraktizierenden, den Dharma zu praktizieren? Das ist eine sehr schöne Frage. Ob ich das so unbedingt vom Karmapa und allen anderen sagen kann, weiß ich nicht. Meine Motivation hat sich gewandelt auf dem Weg. Zu Anfang war meine Motivation die Erfahrung, dass es mir deutlich besser geht, wenn ich den Dharma praktiziere, dass es mir wirklich gut tut. Das war das erste. Mehr und mehr wurde diese Motivation zu einer Motivation, wo ich merkte, dass es nicht nur mir gut tut, sondern allen gut tut. Das würde man heute vielleicht Bodhicitta nennen. Ehrlich gesagt, mein Leben ist jetzt so, dass ich gar keine Motivation im üblichen Sinn mehr brauche, um Dharma zu praktizieren. Es gibt keine Notwendigkeit, mich anzuspornen dazu oder mich zu motivieren, sondern – weil die Dinge so sind, bleibt gar nichts anderes übrig, als den Dharma zu praktizieren! Es gibt nichts Anziehendes an der Unwissenheit, es gibt nichts Anziehendes an dem Verfangensein in Ichbezogenheit, es gibt nichts Anziehendes an einem stumpfen Geist, an einem verschlossenen Herzen. Was bleibt denn da noch übrig? Dharma steht für all die Qualitäten, die mir wichtig sind im Leben und von daher ist es jetzt einfach de facto so, dass ich Dharma praktiziere. Es ist einfach, weil es anders gar nicht mehr möglich ist. Zu Anfang war es noch so, als ich Student war in Freiburg, dass ich jemand war, der dem Dharma begegnete wie etwas Neuem, etwas Fremden, sehr inspiriert war dazu, diese Inspiration mich öffnete, mich motivierte, um dann weiterzugehen. Aus dieser dualen Bezieh-ung mit dem Dharma ist jetzt was anderes geworden. Ich kann jetzt nicht mehr sagen, dass der Dharma etwas außerhalb von mir ist – was mich dann motivieren würde, etwas anderes zu praktizieren als mich selbst oder das eigene Gewahrsein. Ok? Frage: Ich kann den logischen Weg nachvollziehen, aber ich hab manchmal meine Schwierigkeiten damit. Vielleicht wolltest du ja auch einen besonders motivierenden Satz, um den Dharma zu praktizieren? Frage: Es ist einfach manchmal schwer so im Alltag, wenn man so gefangen ist. Es ist schwer für mich, die Kurve zu kriegen. Wenn wir gefangen sind im Alltag, such den Dharma nicht anderswo, sondern durchdringe das Gefangensein mit deiner Achtsamkeit. Dann bist du schon im Dharma. Wenn du voll und ganz das Gefangensein spürst, und das ganz lebst, auch die Enge, das Verzweifeltsein, auch die Faulheit, die Trägheit, was auch immer da ist, dieses Gefangensein voll und ganz zu schmecken und nicht woanders zu suchen, da bist du schon im Dharma. Nicht mehr weglau-fen. Einfach da sein mit dem was ist. Da beginnt es schon. Dann brauchst du dich gar nicht mehr zu motivieren, noch den Dharma zu praktizieren, das kommt dann von selbst. Also wenn wir das Gefühl haben, Dharmapraxis wäre: ich muss jetzt meinen Text nehmen, das Gebet rezitieren, dann meditieren, ich muss auf meinem Kissen sitzen, dann praktiziere ich den Dharma – das ist nicht unbedingt Dharma. Das könnte auch Kultivieren von Ichbezogen-heit sein. Wirklicher Dharma ist immer, wenn wir Einkehr halten mit uns selbst, wirklich da sind und wach, wacher, offener Geist. Das ist nicht ans Kissen gebunden. Auf

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dem Kissen lernen wir vielfach, wie das geht, wach und offen zu sein, also ohne das Kissen geht’s dann doch nicht! Aber das Kissen ist keine Garantie dafür, dass wir ein Dharmapraktizierender sind. Garantie dafür ist nur, dass wir wach sind, dass wir wirklich da sind. Mit allen unange-nehmen Schmerzen usw., und mit allem Angenehmen. Wenn es uns gerade besonders gut geht, auch da wirklich wach zu sein, uns nicht einlullen zu lassen vom Angenehmen, vom Glücklichen, vom Freudvollen. Sondern auch da offen zu bleiben, nicht anzuhaften daran. Das ist Dharma. Ich weiß jetzt nicht, ob dich das mehr motivierte... Auf jeden Fall! Ich glaub es ist Zeit, oder? Ich spreche noch eine Widmung. Zu Abschluss einer Dharmapraxis widmen wir alles Heil-same, was entstanden ist, dem Wohl aller Wesen, dass alle die Erleuchtung erlangen mögen. ... Ich danke Ihnen ganz herzlich.