Guyon Lehre

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    Ausgewhlte Abschnitte

    aus den

    R E C H T F E R T I G U N G E N

    der Lehre

    der Madame de la MotheGuyon

    Herausgegeben von F. de Fenelon

    Erzbischof von Cambray

    Gedruckt in Paris 1790bersetzt aus dem Franzsischen und Englischen

    nach einer Ausgabe

    von George W. McCall aus dem Jahre 1915

    Nachdruck und Bindung:

    Christlicher Schriftenversand

    Rolf Wolters, D 75045 Walzbachtal

    1993 / 2006

    Vorwort

    Rechtfertigungen (Justifications) so der Titel der vorliegenden Broschre sind zu Rechtden wahren Christusnachfolgern alter und neuer Zeit fremd. Erinnern sie doch nicht zuletzt anweltfrmige Selbstbehauptung, Leugnung vorhandener Schuld, an ichhaftes Aufbumen desfleischlich gesonnenen Menschen. Die vorliegende Textauswahl aus dem im franzsischen

    Original ber 1200 Seiten umfassenden Werk entstammt jedoch einem anderen Grunde underffnet eine andere Absicht.

    Madame de la MotheGuyon verfasste diese umfangreiche Darlegung als Verstndnishilfe freine bischfliche Untersuchungskommission unter dem Vorsitz von Bischof J. B. Bossuet, umden Einklang ihrer unter Verdacht der Hresie geratenen Lehre mit Lehraussagen derKirchenvter und Kirchenlehrer und Zeugnissen anerkannter Mystiker zu unterlegen.

    So ist diese einmalige Abhandlung ber die Stnde des inneren Christenlebens, desverborgenen Lebens mit Christo in Gott, trotz der unausbleiblich erscheinendenGefangennahme der Madame Guyon unter dem berschumenden Druck kirchlicher undpolitischer Krfte, ein nach wie vor beredtes apostolisches Zeugnis nach dem Petruswort:Heiliget aber den Herrn Christus in euren Herzen, und seid stets vor jedem zurVerantwortung bereit, der ein Wort von euch fordert, was die Erwartung betrifft, die in euchist; jedoch tut es mit Sanftmut und Furcht, so da ihr ein gutes Gewissen habt, damit sie

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    zuschanden werden, worin sie euch als beltter verleumden, da sie euren guten Wandel inChristus verunglimpfen. Denn es ist besser, wenn der Wille Gottes es will, fr Gutestun zuleiden als fr beltaten. (l. Petr. 3,1517).

    Viele sind bereitwillig das Kreuz zu tragen, aber kaum findet sich ein einzelner, der auch dieEntblung und Verchtlichmachung zu tragen bereit ist.

    Madame Guyon

    Wie tiefgehend sind wir gewillt, unseren eigenen Willen an Gott zu berlassen? Und wie weitist solches angemessen? Wo sind die Grenzen des Gehorsams zu ziehen, die Endpunkte derberlassung auszuloten, und wie abgrundtief kann die letztendliche Ergebenheit des Willens

    gehen? Das Hohelied gibt uns hiezu einen mglichen Anhaltspunkt in Kapitel 5, denn dortsehen wir eine Seele, die sogar ihre Hoffnung auf das ewige Leben aufgibt.

    Damit ist nicht gesagt, da dieser Seele das ewige Leben nun auch genommen wre. Sie gingin ihrer Hingabe lediglich so weit, da sie sogar diese Hoffnung Gott darbrachte. Nun bliebihr nichts anderes als ihre gegenwrtig Gott hingegebene Liebe. Jede Hoffnung auf irgendeinepersnliche Belohnung fr die Liebe zu Gott hat sie dahingegeben und geopfert.

    Vom menschlichen und irdischen Standpunkt aus gesehen scheint es so, als ob sich die Seelein den Hnden des grimmig wtenden Feindes befnde. Es hat sogar den Anschein, als htteGott sie verlassen und verworfen. Sie mag sich sogar selbst fr verloren halten Ohne Zweifelist auch sichtbar, da sie ihre Hoffnung auf Erlsung aufgegeben hat.

    Hier sehet ihr ein wahrhaftiges und gromtiges Opfer, nmlich das gewaltige Unterwerfeneiner Seele, die sich selbst in Gott verliert. Es wird uns hier anschaulich ein strahlend reinesOpfer gezeigt. Diese Opferhingabe ist aus lauterer Liebe geboren, ja aus berstrmendverzehrender Liebe. Die Seele verliert ihre bisherigen selbstschtigen Bestrebungen.

    Wir entdecken dabei, da sie lieber die Hlle als die Snde whlt! Trotzdem kann sie dabeinach wie vor das Gefhl haben, eine schreckliche Snde zu begehen was natrlich nicht derFall ist. Dieses Schmerzgefhl kann ungewhnlich tief eindringen. Der Schmerz ist deshalbvorhanden, weil sie nun ein feineres Empfindungsvermgen dafr hat, da sie Gott beleidigthaben knnte. Sie mag sogar laut ausrufen: Zerbrich und zerstre mich, o mein Herr, aberlass nicht zu, da ich gegen dich sndige!

    Andere Glubige mgen Furcht vor der Hlle hegen, weil sie darin die Strafe fr ihre Sndensehen. Aber hier ist eine Seele, die danach verlangt, lieber in die Hlle gestoen zu werden,als willentlich gegen ihren Gott zu sndigen. Wenn sie geistlich mehr gefrdert ist, wirddieses Gefhl der Unwrdigkeit vor dem Herrn schwinden. Es verliert sich aber als Frucht derbergabe, der Geduld und der inwendigen Stille.

    Lasst uns diese auerordentliche Sichtweise von Hingabe und berlassung vor Augen haben,wenn wir uns auf die Wege des inneren Lebens begeben.

    Vom Segen des Winters

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    Die Jahreszeit des Winters ist ein ausgezeichnetes Beispiel, um das Werk der Umgestaltungzu verdeutlichen, das der Herr im Leben eines Christen vornimmt. Wenn der Winter sicheinstellt, sieht man in der Pflanzenwelt das Bild einer Luterung, die Gott vornimmt, um dasLeben seiner Kinder von ihren Unvollkommenheiten zu reinigen.

    Wenn die Winterstrme kommen und die Klte einzieht, verlieren die Bume nach und nachihre Bltter. Das Grn verfrbt sich zusehends in das Braun eines Trauerzuges, und schonverwehen die Bltter und verwelken. Betrachtet nun wie so ein Baum aussieht! Sein Anblickerscheint uns entblt, ja trostlos. Betrachtet den Verlust des wunderschnen Sommerkleides.Was bemerkt ihr beim Anblick des Baumes? Ihr sehet hier eine Offenbarung.

    Unter all den herrlich prangenden Blttern verbargen sich ungezhlte Verwachsungen undVerunstaltungen. Bisher waren sie unsichtbar geblieben, bedeckt von herrlichem Blattwerk.Nun treten sie berraschend ans Tageslicht! In seiner ueren Erscheinung ist der Baum nunaller Schnheit beraubt. Aber hat er sich wirklich verndert? nicht im geringsten. Alles an ihmist wie sonst, nur die Bltter sind nicht mehr da, welche seinen tatschlichen Zustandverbargen. Das anmutige, uere Laubwerk hatte bis jetzt alle seine Ble verhllt. Das

    gleiche gilt ebenso fr euch, und gilt fr alle Glubigen. Wir alle vermgen so herrlich zuerscheinen ... bis das uerlich Auffllige zurcktritt. Dann wird jede Seele in der ganzenFlle ihrer Wachstumsfehler offenbar. Wenn der Herr sein Werk der Luterung in euchvorantreibt, wird es euch und anderen so vorkommen, als httet ihr niemals Tugendenbesessen! Das Leben im Baum aber sammelt sich innerlich, und auch euer Zustand hat sichnicht wirklich verschlechtert. Nun sehet ihr euch zum erstenmal in eurem Leben so, wie ihrwirklich innerlich seid. Tief im Inneren des winterlichen Baumes waltet noch genau daelbeLeben, das auch die sprossenden Triebe des vergangenen Frhlings hervorbrachte.

    Also hat der innerste Wesensgrund der Seele nichts von seinen wesensechten Tugendenverloren. Was sie verloren hat, waren in Wahrheit keine Vortrefflichkeiten. Sie hat lediglich

    etwas sehr Menschliches verloren, nmlich die berzeugung von ihrer eigenenVorzglichkeit. Zudem entdeckte sie ihr uerstes Elend und ihre Verdorbenheit. Sie verfgtnun nicht mehr ber die scheinbare Unbeschwertheit, die bis jetzt ihren Glaubenswegkennzeichnete, weil es eine Leichtigkeit war, die mehr aus einem vollstndigen Mangel anSelbsterkenntnis herrhrte. Wie es mit dem Baum ist, so ist es mit euch. Die Seele, nunausgeplndert und unverhllt, sieht sich rcksichtslos entschleiert. Ihre ganze Umgebungsieht ihre Fehler zum erstenmal. Es sind Fehler, die bisher verhllt waren, verborgen durchuerliche Gnadenlichter und Begnstigungen.

    Zuweilen ist eine solche Entblung so niederschmetternd fr den Stolz einer Seele, da siesich kaum mehr von diesem Schlag erholen kann. Da kann es vorkommen, da sie sich dazuentschliet, ihr christliches Leben auf einer unvollkommeneren Stufe fortzusetzen, oder siegibt es sogar vllig auf, dem Herrn nachzufolgen.

    Menschliches und gttliches Verlangen

    Lasst uns nun das Leben eines Menschen betrachten, der sich ganz dem Herrn ausgelieferthat. Ich finde es schwer zu glauben, da jemand, der seine ganze Glckseligkeit, sein ganzesSein in die Hnde Gottes gelegt hat, weiterhin eine Flle selbstschtiger Wunschtrume hegen

    kann, die er nun ununterbrochen vor Gott ausbreitet. Nur wer durch die Liebe in Gott lebt,vermag seine ganze Glckseligkeit auch allein in Gott zu finden. Es ist dagegen einentsetzlicher Zustand und armseliger Beweggrund, in Gott seine Freude durch die Kraft des

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    eigenen Willens zu suchen, oder auch aus Furcht, oder um Gott zu gefallen.

    Schon die Liebe allein sollte fr jeden Grund genug sein, seinen Willen dem Herrn zubergeben. Entspringt eine solche Unterwerfung nicht allein aus der Liebe, so entwickelt siesich zur Unvernunft und Rohheit. Wenn der Glubige seine Seele, seinen Willen und sichselbst ganz dem Herrn bereignet, und nichts von sich selber erwartet, und nur Gott umGottes willen verlangt, in einem Zustand leidenschaftlicher Liebe, dann knnen wir wissen,da er einen guten Anfang gemacht hat. Warum? weil eine solche Gesinnung nicht aufselbstbezogene Vergnglichkeiten abzielt! Die Herrlichkeit des Himmels soll nicht deinBeweggrund sein. Auch nicht das liebliche Empfinden der Gegenwart des Herrn. Also darfweder ein irdischer noch himmlischer Beweggrund das Ziel eures Verlangens sein. Es istgenug, wenn ihr Ihn geliebt habt, euch in seine Liebe verliebt habt, und im Stande gttlicherLiebe verbleibt.

    Jemand hat die weise Erkenntnis geuert: Der Beweggrund ist immer nur das Kind derLiebe. Wenn ich Gott allein liebe, werde ich auch nur nach Gott allein verlangen. Wenn ichGott allein um seiner selbst willen liebe, ohne eigenliebige Gedanken, so wird mein Sehnen

    allein nach Ihm sein. Was auch immer in diesem Stande dem inneren Leben entspringt, wirdgewiss lauter und ohne selbstherrliche Motive sein.

    Dieses Liebesverlangen wird nicht von Lebhaftigkeit beherrscht. Es birgt immer Stille undRuhe in sich. Reine Beweggrnde, geheiligtes Sehnen, sind ruhig und still, erfllt undgesttigt. Wenn eine Seele dem unendlich reichen Gott ihre Liebe erweist, und diese Liebeihren Ursprung in Ihm nimmt, und wenn sie kein anderes Ziel hat als die GlckseligkeitGottes, knnen sich ihre Herzenswnsche nicht in Nebendingen, wie rastlosem undumtriebigem Verlangen, erschpfen. Ein Empfinden der Ruhe hat keinen unbefriedigtenWunsch und kein unerflltes, persnliches Verlangen. Und das ist die rechte Grundhaltung,welche allein das wahre Fundament das einzig unerschtterliche Fundament fr den

    Fortgang des geistlichen Lebens einer Seele sein soll. Seid dessen eingedenk, da derGrossteil der Glubigen die Liebe zu Gott nur in einer Mischung verschiedensterBeweggrnde und innerer Zustnde auslebt. Ihre Liebe zu Gott ist durchtrnkt mitbertriebener Rcksichtnahme auf das Selbstleben und ihre Bedrfnisse.

    Noch weitaus schrecklicher und noch mehr anzutreffen sind Glubige, deren ihre Gottesliebenur darin besteht, eine Liebe und Verlangen zu haben nach der eigenen Glckseligkeit. Siesuchen Gott um der Gefhle willen, die sie immer dann empfinden, wenn sie den Herrnlieben. Erstirbt diese Liebe (d.h. wenn die Gefhlsempfindungen ersterben, welche sie durchihre Liebe zu Gott empfangen), so verlieren solche Glubige weitgehend ihr Interesse an Gott.

    Diese Stnde des Eigengesuchs mssen losgelassen werden, wenn unser Fortgang wahrhaft

    geistlich sein soll. Wir mssen Ihn lieben ohne Weise, ohne Absicht, und sogar ohnemerkliche Regungen der Gefhle, auf denen wir uns abzusttzen suchen. Wir mssen Ihnlieben, ohne den Zeiten der Trockenheit und des geistlichen berflusses irgendwelcheAufmerksamkeit zu widmen. Unsere Liebe zu Gott mu himmelweit hinausreichen ber denempfindsamen Genuss, sonst besteht unser Fundament nur aus verwehtem Sand.

    Es ist wahr, da Gott viele bestimmte Neigungen in unsere Herzen hineinlegen kann. Erpflanzt Wnsche in die Herzen der Seelen ein. Paulus konnte daher laut ausrufen: Ich weinicht was ich erwhlen soll. Beides liegt mir hart an: Ich habe Lust abzuscheiden und beiChristus zu sein, was auch viel besser wre; aber es ist ntiger im Fleisch zu bleiben umeuretwillen.

    Aber bedenkt, da derselbe Paulus, bewegt von glhender Christusliebe, fr seine hebrischenBrder ausrufen konnte: Ich selber mchte verflucht und von Christus geschieden sein,meinen Brdern zugute. (Rm. 9,3).

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    Diese Worte rief er mit einer Liebe aus, die von Gott in ihn eingegossen war. Als er diesenAufschrei seines Herzens hren Hess, war er gnzlich frei von persnlichen Erwgungen,ohne Beteiligung seines Eigenlebens. Seine uerungen scheinen sich zu widersprechen, aberin den Tiefen des menschlichen Geistes bilden sie einen wundervollen Einklang. Es sindverborgene Vorgnge in den Tiefen des Geistes, die sich niemals verndern.

    Die einzige Freude, das alleinige Streben der Seele ruht in der Glckseligkeit Gottes, fr Gottund in Gott. Alle unterscheidbaren Wnsche der Seele sind verschmolzen, aufgegangen imSehnen nach Gott. Tief in ihrem Inneren eingebettet lebt ein gottursprngliches Verlangen;ein Verlangen, das Beste fr Gott und fr sein Knigreich herbeizusehnen. In diesem Stand istsie nun weit entfernt von jeder Art von Selbstsucht, denn selbstschtiges Verlangen undselbstbezogene Eigenheiten sind Frchte eines noch ungereinigten Willens. Euer Herr sehntsich danach, euren Eigenwillen vernichtigen zu drfen, und das so weit, bis euer Willevollends in den Willen Gottes verloren ist. Daher wird Er von Zeit zu Zeit eure eigenliebigenWnsche abschpfen ja, zerschlagen.

    Woran kann man erkennen, ob man sich im Stande eigenliebiger Wnsche befindet oder im

    Willen Gottes? Oh, die Antwort ist ganz einfach, und ist ganz leicht zu erkennen. Eine Seelebefindet sich dann nicht im Stande eines gottfrmigen Willens, wenn sie z.B. durch schwereLeiden verbittert wird, oder durch andere Menschen enttuscht wird. Vor allem aber dann,wenn sie sich von Gott enttuscht fhlt, von seinem Handeln, da sie unzufrieden ist miteinem so ungerechten Gott. Wer so denkt und empfindet, dessen Herz wird noch von derSelbstsucht beherrscht.

    Wir knnen den Willen Gottes nicht immer begreifen und verstehen, aber wir knnen seinerAllmacht immer vertrauen. Darum soll sich eine Seele nicht ein Wunschbild von Gott formen,oder sich Vorstellungen ber sein Handeln machen, denn sonst wird sie unweigerlichenttuscht werden. Eine solche Seele kann ihr Herz nicht der

    Vorsehung Gottes anvertrauen, weil sie nicht allein das Glck und Wohl Gottes im Augehatte. Ihre Beweggrnde sind vermischt, so da ihr inwendiger Wandel mit dem Herrnzerstrt wird.

    Wenn sich aber die Seele hingibt, um in Christus verloren zu werden, so wird sie die uerenVerhltnisse nicht mehr empfinden, und sich nicht mehr gegen sie auflehnen, es seien nunVerfolgungen oder erlittenes Unrecht. Und auch das wird sie nicht mehr berhren knnen,was als Ungerechtigkeit und Missfallen Gottes angesehen werden knnte.

    Sein Wille der unsere

    Wie pflanzt nun der Herr sein Verlangen in den Schoss der Seele?

    Zu einem gewissen Zeitpunkt kann der Herr in seinem Ratschluss beabsichtigen, einer Seelebestimmte geistliche Segnungen zu geben, oder da sie sonst eine innerliche Erfahrungmachen darf. Fr den Empfang bereitet der Herr nun das Herz der Seele vor, da Er dann dasVerlangen, das aus ihrem eigenen Herzen aufspriet, zu erfllen gedenkt (Ps. 37,4).

    Wie tut Er das?

    Der Geist Gottes, der in euch wohnt, beginnt frbittend fr euch einzutreten. Diese Frbitte istfr euch, und sie stimmt mit dem Willen Gottes berein. Er erbittet in eurem Inneren genaudie betreffende Sache, die das Verlangen seines Herzens fr euch ist. Die Segensabsicht

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    Gottes und seines Geistes wird nun auch zum Herzenswunsch der Seele, der in ihr vom Geistaufgekeimt ist.

    Die Bitte entstammt in Wahrheit dem Wirken des Heiligen Geistes, so wie das Verlangen desSegens vom Vater ausgeht. Der Wille der Seele wird eins mit dem Verlangen Gottes.

    Das Verlangen nach Demtigungen ist ein weitaus niedrigerer Zustand als das Verlangen,Gott zu lieben. Und dennoch gefllt es Gott zuweilen, die Seele zu demtigen, manchmalauch durch ausgestreute Verleumdungen. Dazu flsst ihr der Herr einen gewaltigen Durstnach Demtigungen ein. Ich bezeichne dies als Durst. Ich gebrauche absichtlich das WortDurst, um es vom Verlangen zu unterscheiden.

    Zu anderen Zeiten kann der Herr das Herz des Glubigen geneigt machen, fr bestimmteAngelegenheiten zu beten. Dem Glubigen soll aber dabei bewusst sein, da das Gebet nichtaus einem eigenen Antrieb seines Willens entsprang. Vielmehr haben das Gebet und dasVerlangen zu bitten ihren Ursprung aus Gott genommen. Daher liegt es oft nicht in unseremErmessen, fr wen wir beten, fr was wir beten, und sogar wann wir beten.

    Obwohl dies eine gar vorzgliche Weise des Gebets ist, so ist der Glubige deswegen dochniemals aufgeblasen oder stolz. Er beglckwnscht sich selbst nicht zu den besonderenGebetserhrungen. Er ist zuinnerst davon berzeugt, da sein Gebetsverlangen vom Herrnausging, da der Herr in ihm betete, und Ihm schlielich die Erhrung seiner eigenen Bittegewhrte.

    Dies alles stellt sich in meinem Sinn so unendlich viel klarer dar, als ich es in diesen Zeilenauszudrcken vermag.

    Die Kraft der Einfachheit

    Je reiner ein Element ist, desto einfacher ist seine Struktur. Daraus folgt, da ein Element umso vielfltiger verwendet werden kann, je weniger Besonderheiten sein Eigencharakter hat.Ich will mich nher erklren.

    Nichts knnte reiner und klarer sein als das Wasser. Trotzdem hat nichts auf dieser Erde einenvielfltigeren Verwendungsbereich. Warum? wegen seiner Fliessbarkeit. Es nimmt keineeigenen Formen an. Es ist damit zufrieden, alle nur erdenklichen Arten von Eindrckenaufzunehmen. Es ist ohne eigenen Geschmack, kann aber eine unendliche Vielfalt von

    Geschmacksstoffen bermitteln. Es hat keine Eigenschaften wie Farbe und Geruch, sieknnen aber eingegossen werden durch das was man ihm gibt. Diese Fhigkeit, keinenGeschmack und keine Farbe zu besitzen, klar und rein zu sein, erlaubt es dem Wasser,vielfltig verwendet zu werden.

    Wenn du das Wasser fragst: Welches sind deine Eigenschaften?, so wird es antworten:Meine Eigenschaften sind, berhaupt keine Eigenschaften zu haben. Ich nehme alles duldendund leidend an. Aber, knntest du erwidern, ich sehe doch deine rote Farbe. Da wird dasWasser antworten: Ich darf wohl behaupten, da ich von Natur nicht diese rote Farbe habe,da ich aber gewhnlich nicht danach frage, was mir geschieht, so ist mir diese rote Farbeeingegossen worden.

    Und wie es das Wasser mit der Farbe hlt, so verhlt es sich auch mit der Form. Es ist flssigund anpassungsfhig. Es nimmt sofort und ganz genau die Form des Gefes an, in welcheses gegossen wird. Htte das Wasser eine eigene Festigkeit, so wre es nicht in der Lage, sich

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    einer anderen Form anzupassen; wie es auch nicht fhig wre, jeder Tnung von FarbeAusdruck zu verleihen.

    Wir knnen das bertragen auf die Inwohnung des Heiligen Geistes und auf denmenschlichen Willen, sofern sich der Wille im Zustand der Einfalt und Reinheit befindet.Wasser hat weder Geschmack noch Farbe. Wie das Wasser sein Aussehen und seinenGeschmack dem verdankt der in ihm wohnt, so ist es mit dem menschlichen Willen, der inGott gelassen und verloren ist. Gott ist der alleinige Urheber seiner smtlichen uerungen.

    So sehe ich die Gottgeziemende Haltung des menschlichen Willens. Die Seele unterscheidetnichts mehr und verliert sich selbst aus dem Gesicht. Der Wille beansprucht nichts mehr frsich. Darin liegt seine Reinheit. Was vom Herrn in ihn hineinkommt, das empfngt er, ohnees mehr in Eigenheit festzuhalten.

    Dieser Verlust alles Eigenen bringt dem Wasser einen groen Gewinn. Ja es wre einunermesslicher Verlust fr alle, wenn es diese Verlierung nicht gbe. Wie lieblich doch dasWasser uns darauf aufmerksam macht.

    Der zu oft betretene Pfad

    Wer sich selig in Gott erfreuen kann, hat durch seine Erfahrungen einen verfeinerten,veredelten Geschmack erworben, und ist gewhnlich nicht mehr mit irdischen Dingenzufrieden zu stellen, da er diese erhabenen Stnde aus ureigener Erfahrung kennen gelernt hat.Sollte es aber doch vorkommen, da er sich wieder vom Herrn abkehrt, und sichirgendwelcher Vergehen gegen Ihn schuldig macht, so ist das ein Zeichen, da er Gott bisher

    nur um der eigenen Erquickung und um Seiner Gte willen gesucht hat, und nicht um Seinerselbst willen.

    Nimmt ihm der Herr verschiedene Belustigungen weg, und lsst ihn rauhe Erfahrungenmachen, so scheinen solche Zustnde der Seele mit einem Mal ungerecht. Diesegottsuchende Seele wird nun ihren Herrn unweigerlich verlassen und sich ihre Vergngenanderweitig verschaffen. Denn da die Seele bei Gott keinen Genuss mehr findet, richtet sie ihrAugenmerk auf die Welt, auf andere Menschen, womglich sogar auf andere Glubige, umdort ihr Glck zu suchen. Dabei ist aber zu beachten, da sich der eigentliche innere Zustanddieser Seele dabei nicht verndert hat. Die Seele hlt lediglich nach Dingen Ausschau, die siefrhlich und vergngt machen. In diesem Zustand bleibt sie. Sie kmmert sich ausschlielich

    um sich selbst, um Dinge, die ihr ein behagliches Freudegefhl bereiten, welches sie auchdurch geistliche Dinge zu erlangen sucht.

    Fast jede leidende Seele wird erkennen, da sie zu viele Trstungen begehrt. Auch sehnt siesich oft zu ungestm nach einem schnellen Ende ihrer Leiden. Statt sich zu vernichtigen,trachtet sie nach Ausflchten.

    Ist die Seele an dieser Stelle der Entscheidung angelangt, so ist die Gefahr, da sie sich wiefolgt entscheidet: Sie wendet sich ab und verfllt in ihre frheren Wirksamkeiten, um in ihnenErholung von ihren Leiden und Schmerzen zu erfahren. Oder aber, was weitaus schlimmer ist,sucht sie die Empfindungen fr die Sinne anderswo, da ihr Sinnesempfinden fr Gott wieabgestorben ist.

    Ich habe mich schon oft darber ausgesprochen, da eine solche Liebe zu Gott, die kreatrlichund sinnlich ist, vollstndig ichbezogen ist. Eine solche Seele wird von Gott abfallen, wennsie bei Ihm die geistlichen Belustigungen nicht mehr findet, die sie zu kosten gewohnt war. Es

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    reicht eben nicht, und ist kein geistliches Leben, wenn man die Sinne nur mit geistlichenEindrcken vergngen will.

    Franz von Sales sagte einmal: Sobald ihr Vergngen in Gott entschwindet, wenden sie sichunerlaubten Vergngungen zu. Ist ihr Geschmack durch das Kosten von geistlichenErgtzungen erst einmal verfeinert geworden, wird ihnen nichts mehr Befriedigungverschaffen knnen, als ein schrankenloses berma zgelloser Sinnesfreuden.

    Solche Seelen suchen ihr Gewissen (und mglicherweise ihre Gewissensbisse) durchauerordentliche Laster zu ersticken. Htten sie aber Gott mit vollkommen gereinigterHinwendung geliebt, so wren sie in den Zeiten der Prfung nicht abgefallen.

    Der gefahrenreichste Abschnitt im inneren Leben ist die Zeit anhaltend schwerer Trbsale.Sobald der Herr die innerlichen Sttzen, Sicherheiten und Trstungen nimmt, wird sich dieSeele unweigerlich auskehren. Sie wendet sich zu Quellen der Ergtzung und der Trstung,um wiederum Vergngen zu kosten. Manch ein geistlicher Pilger ist hieran zerbrochen.Diesen Sachverhalt habe ich immer in meinen Schriften hervorgehoben.

    Ebenso gewiss ist aber, da der Herr im Anfang und auch nachher uns oft mit wunderschnenBelustigungen und reichem, himmlischem Trost umwirbt. Sein Ziehen ist stark undmachtvoll, zuweilen sogar berwltigend und unwiderstehlich. Da aber dieUngerechtigkeiten, Schickungen und Schmerzen des Lebens die Seele so hufig ablenken,machen wir eine hchst bedeutsame Entdeckung: Die Zugkraft gttlicher Segnungen istweder stark noch lang anhaltend. So kann die Erinnerung an unaussprechlich entzckende undhimmlische Freuden angesichts von Ungerechtigkeit, Leiden und Kreuz schnell aus demGedchtnis entschwinden. Daher ist es fr jeden Christen wichtig, die in seinem Lebenauftretenden Trbsale anzunehmen und ihnen nicht auszuweichen. Er sollte nicht versuchen,sich vorschnell Befreiung zu verschaffen oder sich nach Trstungen und Wonnegefhlenauszustrecken.

    Die Seele mu so befestigt werden, da sie sich nicht lnger wie eine Unmndige von diesenWinden umtreiben lsst. Auch darf sie sich nicht von ihren eigenen Schwachheiten regierenlassen. Sie sollte geistlich so reif werden, da sie nicht ohnmchtig strauchelt, wenn der Glanzhimmlischer Herrlichkeit sich vor ihr verbirgt. Doch darf sie in einer solchen Zeit sich auchnicht mit einem starken menschlichen Willen selber behaupten.

    Bereitet euch darauf vor, da sich der Glanz himmlischer Freuden vor euch verbirgt. Solcheswiderfhrt auch gottergebenen Seelen. Die Abwesenheit himmlischer Lichter wird auch oftbegleitet von der dunklen Nacht der Sinne, wie Johannes vom Kreuz sie nannte, da eine ganzdunkle Nacht ber die Sinneseindrcke hereinbricht. Da verschwindet das Wahrnehmbare fralles Geistliche. Das scheint fr die Seele eine uerst schreckhafte Angelegenheit zu sein.

    Es mu aber nicht so sein, wenn sie beharrlich aushlt und keine Fluchtwege sucht.

    Eine Seele, die Gott allein um Gottes willen sucht, scheint fters mehr Versten alsbegnadigt zu sein. Aber wie es auch immer den Anschein haben mag, so ist sie mit Sicherheitnicht von Gott verlassen. Oft kommt es ihr sogar vor, als wre es besser Segnungen zufrchten als zu begehren. Aber das Kreuz liebt sie ohne den leisesten Anflug von Furcht.

    Und so vermag die Seele einen Zustand zu erreichen, den wir als den vollstndigenmystischen Tod bezeichnen. Da wird die Seele in Gott aufgesogen, verzehrt und verankert,da alles Kreatrliche ihr nichts mehr zu geben vermag. Wrde sich die Seele in diesemStande von Gott abkehren, so wre sie das allerunglcklichste Wesen im ganzen Universum.

    Warum das? weil sie nicht mehr im Stande wre, aus irgendeiner ueren Quelle Freude zuschpfen. Denn alles wrde ihr geschmacklos vorkommen im Vergleich zu den himmlischenFreuden, und ein Ergtzen an uerlichen Dingen wrde ihre Qual nur vermehren.

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    Welch unvorstellbare Qualen mu Luzifer erlitten haben, nachdem er aus der Herrlichkeit desHimmels fiel, und sich in den erdnahen Bereichen aufhalten mute, und nicht mehr zumGlanz des Thrones zurckkehren konnte. So wrde es auch einem gefrderten Christenergehen, wenn er sich in einem solchen Stand vom Herrn abwenden sollte. Das darf nichtgeschehen. Ist er einmal in Gottes Ruhe eingegangen, soll er treu dem Herrn nachfolgen, ohne

    auf besondere Gunstbezeugungen Gottes zu warten, oder Zuspruch und Trost bei Menschenzu suchen.

    Doch sage ich, da es fr einen gefrderten Glubigen schwer ist, abzufallen. Er sieht nichtnur, was der Herr bisher an ihm getan hat, sondern wird auch Schritt fr Schritt in einengefestigten Zustand versetzt. Trotzdem bleibt die Mglichkeit bestehen, da ein vorstzlicherStolz und eine willentliche Bsartigkeit ihn aus der Gemeinschaft mit dem Herrnhinauswerfen knnte. Der Abfall ist genauso mglich, wie er fr die rebellierenden Engelmglich war. Und wie der Abfall mglich ist, so ist auch die Rckkehr mglich, doch kommtsowohl der Abfall als auch die Rckkehr fast einer Unmglichkeit gleich. Ob uns wohl derHerr in allen Lebenslagen durch Gnaden des Heils beisteht, so ist doch ein Abfall so

    abscheulich, da eine wahre Busse sehr schwierig sein drfte. Und wenn ich nachmenschlicher Weise reden darf, so wrde ich sagen, da ein solcher Verlust einer weitgekommenen Seele fr Gott schmerzhafter sein wrde als der Abfall von Millionen andererGlubigen.

    Aber wir wollen unsere Aufmerksamkeit wieder denen zuwenden, die noch im Anfang desinneren Weges stehen, und mglicherweise eine Nacht der Sinne durchgehen. SolcheSeelen sind noch nicht fest in Gott gegrndet. Auch wenn sie sich selbst fr gefrdert halten,so haben sie doch noch nichts von der wahren Absterbung des Ichs erfahren, obgleich sie amKreuz Christi vollbracht worden ist. Denn sobald sie nicht mehr die Ergtzungen der erstenGottesbegegnungen in sich erfahren, so kehren sie wieder zu den Vergngen zurck, die nichtin Gott gefunden werden.

    Da ihnen dann weltliche Freuden stumpfsinnig vorkommen, so flchten sie sich in zgelloseAusschweifungen, um einige befriedigende Gefhle zu erfahren. Da kommt es dann einemWunder gleich, wenn solche Menschen sich Gott wieder zuwenden. Denn wenn sie einmal diehimmlischen Krfte Gottes geschmeckt haben, und abgefallen sind, ist eine Umkehr fastunmglich (Hebr. 6,46).

    Gott kann nicht auerhalb seiner selbst gefunden werden

    Oft ist mir die Frage gestellt worden, ob ein Anfnger auf dem inneren Wege den Herrn zuerstauf uerliche Weise, und erst nachher in sich selbst suchen soll? Ein Anfang im geistlichenLeben ist nur dann ein rechter Anfang, wenn der Herr nicht auf Umwegen gesucht wird! denndas kme einem groen Fehler gleich. Sucht ein junger Glubiger Gott auf eine mehruerliche Weise, so wird er nach einem Gott Ausschau halten, der uerlich wahrnehmbarund unterscheidbar ist. Das wird zuletzt zu einer traurigen Begebenheit, da er von einem Endedes Himmels bis zum andern nach seinem Gott suchen mu.

    Was wird nun die natrliche Folge eines solchen Fehlers sein? Anstatt im inwendigenChristenleben heranzureifen, mit eingesammeltem Wesen in Gottes Gegenwart zu wandeln,

    und den Herrn innerlich anzurufen, wird dieser junge Glubige seine Krfte damit vergeuden,den Herrn an einem Ort zu suchen, wo Er nicht aufzufinden ist.

    Euch ist sicher das Verfahren bekannt, womit ein Knstler die fr sein Gemlde geeigneten

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    Linien zieht. Er fhrt von vielen auseinander liegenden Punkten Linien auf einen zentralenPunkt in der Mitte des Bildes. Jede Linie wird kraftvoller, wenn sie sich einer andern nhert,und alle Linien berhren sich in einem Schnittpunkt nahe der Bildmitte. Umgekehrt wird jedeLinie schwcher und unbestimmter, je mehr sie sich vom Zentrum entfernt. So verhlt es sichauch im Leben der Glubigen. Der Glubige wendet sich einwrts, in seinen Geist hinein, und

    der Herr begegnet ihm dort in der Sphre des Geistes. Je fter dies geschieht, destogewaltiger wird die Liebesneigung zu Gott hin, und desto umfassender wird ihm die Kraft zurErfllung der Werke Jesu gegeben.

    Wenn ihr nun wieder auf das Gemlde blickt, so seht ihr die Linien weit verstreut, aber auch,wie sie sich allmhlich in der Mitte vereinigen. So ist es auch mit der Seele. Sie kommt vonvielen zerstreut liegenden Orten her, und geht in ihr Zentrum ein, wo nichts getrennt undnichts unterschieden wird. An diesem Ort erhlt die Seele die Befhigung, ja die Vollmacht,Gott zu besitzen. Wenn ein Christ innerlich vom Geist geleitet werden will, mu er Gott inseinem Inwendigen suchen ... Das geschieht durch eine Sammlung aller Gedanken zu Ihmhin. Ohne das wird er das Allerinnerste, die Wohnsttte Gottes in ihm, nicht erreichen. Dort

    angekommen, mu er aber wieder hinausgehen (nicht im Sinn einer Rckkehr zu der Vielzahlvon uerlichen Orten, sondern indem er durch sich und ber sich hinausschreitet), und nochweiter nach innen gehen, hinein in das Allerinnerste Gottes. Das ist die Verlassung seinerselbst. Die Seele geht aus sich aus, nicht indem sie nach auen von sich weggeht, sondernindem sie nach innen von sich weggeht. Lebt sie mit ihren Gedanken und ihrem ganzenWesen eingesammelt, so verlsst sie sich selbst, nmlich das Zentrum der Geschpflichkeit,und verliert sich im Zentrum ihres Schpfers.

    Stellt euch den Raum der Seelenwelt einmal als eine Art Rasthaus oder Gasthof vor. DerReisende wird notwendig auf seiner Reise beim Gasthof vorbeigehen. Hat er sich dort eineWeile aufgehalten und will weitergehen, so lenkt er seine Schritte nicht wieder zurck,sondern schreitet auf der Landstrasse vorwrts. Je weiter er sich vom Gasthof entfernt, desto

    mehr lsst er auch sich selbst zurck, nicht in Bezug auf die Sichtverbindung, sondern auch inBezug auf sinnliche und uere Empfindungen. Wer sich dem Innersten seines eigenenWesens nhert, wird dort Gott finden. Der Glubige ist eingeladen, aus sich selbst auszugehenund weiter nach innen zu gehen.

    Haben wir diesen Punkt erreicht, gehen wir in unseren Herrn hinein. Hier, im Allerinnerstenunseres Seins, begegnen wir Ihm. Gehen wir ber diesen Punkt hinaus, finden wir Ihnwahrlich an einem Ort, wo das Selbstleben nicht mehr ist. Je weiter unsere Reise geht, jeweiter wir uns in Ihm verlieren, desto weiter bleibt unser Selbst zurck und entfernt sichimmer mehr.

    Aus dem Ich hin zu Gott

    Wie weit ein Christ in Gott fortgeschritten ist, kann daraus erkannt werden, wie weit er vonseinem Ich entfernt ist.

    Was meine ich mit dem Ich? Dazu gehren die persnlichen Anschauungen des einzelnen,seine Gefhlsempfindungen, seine Erinnerungen und Erwgungen, seine selbstbezogenenInteressen und Denkprozesse. Das alles gehrt zum Ichleben. Wenn eine anfangende Seele

    sich dem Herrn ffnet, und seine Gegenwart verkostet, und in das Innere ihres Wesenseinzugehen beginnt, wird sie vom Nachdenken ber sich selbst wie gefesselt sein undgesteigert ichbewusst werden. Je nher sie in die Mitte ihres Seins kommt, wo sie ihrem

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    Herrn begegnen wird, desto mehr wird sie von sich selbst in Anspruch genommen sein. Hatsie das Innerste ihres Wesens erreicht, verliert sich die Selbstbetrachtung. Ihre Empfindungen,ihr Nachdenken, ihre Eigeninteressen und persnlichen Erwgungen schwchen sich ab. Imgleichen Verhltnis, wie sie ihr Ich hinter sich zurcklsst und ber ihr Ich hinausgeht, schautsie immer weniger auf sich, weil ihr Gesicht nicht mehr sich selbst, sondern Gott zugewandt

    ist.Sich zu prfen ist im Anfang wichtig und hilfreich, aber zu diesem Zeitpunkt wre esschdlich.

    Wer auf dem Weg des inneren Lebens zu wandeln begonnen hat, zeigt sich in seinenAnschauungen naturgem noch sehr selbstbezogen und in der Vielfltigkeit zerstreut. Daskann auch gar nicht anders sein. Erst nach und nach vereinfltigt sich die Seele, und lebteingesammelt in ihrem Geist, ohne jedoch den Kontakt zu ihrem Ich leben zu verlieren.Spter lebt sie nicht mehr in der Anklebung an sich selbst, da ihr Auge einfltiger gewordenist.

    Noch einmal will ich auf das Rasthaus zu sprechen kommen. Nhert sich der Wanderer derHerberge, so tritt sie immer mehr in sein Gesichtsfeld. Er mu nun nicht mehr auf der Kartenach dem Weg suchen oder sich mhsam orientieren. Er kann nun seinen Blick unverwandtauf das erste Ziel seiner Reise richten nmlich auf den Gasthof, der vor ihm liegt. Er tritt einund wird nun nicht lnger mehr ber die zurckgelegte Wegstrecke oder ber den Gasthofselbst nachdenken. Dieser Ort ist ein Ort des Ausruhens. Er ist im Zentrum angekommen. DieBeschwerden der Reise und die Ankunft liegen hinter ihm. berschreitet der Christ diesenPunkt, gelangt er in einen Zustand, in dem die Wahrnehmung seiner selbst nahezu gnzlichaufhrt. Seine Sinne sind durchtrnkt mit dem Anschauen Gottes, der Gemeinschaft mit Gott,des Seins mit Gott, ja des Verlorenseins in Gott. Er ist wie man sogar sagen kann imAbgrund Gottes verloren. Er kann so weit kommen, da er nichts anderes mehr wahrnimmt

    oder unterscheidet als nur seinen Herrn. Es braucht nicht besonders betont zu werden, da zudiesem Zeitpunkt jede Selbstprfung seiner Gemeinschaft mit Gott hinderlich sein wrde.

    Nun mssen wir fragen, auf welche Weise man sich so selbst verlieren kann? Die Antwortlautet: Durch die bedingungslose berlassung des Willens. Wie meine ich das?

    Der Wille regiert die Ttigkeit unseres Verstandes und unser Erinnerungsvermgen. Obwohlbeide jeweils fr sich gesehen werden knnen, sind sie doch eins. Wer im Innersten seinesWesens angelangt ist (d.h. wer das Rasthaus erreicht hat), mu bereits seine Krfte desVerstehens und sein Gedchtnis Gott bereignet haben. Beide Bereiche sollten Gott gnzlichberlassen werden, und sonst niemand anderem. Weder das Ich noch andere Menschen habenein Anrecht darauf, sondern nur Er allein.

    Der Mensch, der jene Grenze bereits berschritten hat, nmlich das Verlassen seiner selbstund die berlassung der Willenskraft, ist in seiner Wesensart und seinem geistseelischenAufbau ein nahezu vllig anderer Mensch, und nicht mehr zu vergleichen mit einem solchen,der mit der Einkehr in sein Inneres gerade beginnt. Darum will ich alle ermutigen, diewahrhaft nach Gott verlangen, ber diesen Stand hinauszugehen.

    Wer ruhig und unbeweglich in Gott verankert leben will, hat noch eine weite Wegstreckezurckzulegen. Das Innenleben eines Menschen wird nicht so schnell verndert oderumgewandelt. Die Ankunft im Rasthaus, ein erstes Eindringen in die Tiefen der Gottheit,wandelt unseren Wesensgrund noch nicht. Wir mssen uns unaufhrlich in unser Innersteswenden, wenn wir wahrhaftig Gott zugewandt leben wollen.

    Daher wrde ich niemals bei etwas verweilen wollen, was bisher in diesem Buch geschriebensteht! Man sollte nicht immer und immer wieder das gleiche lehren und ber das gleichebelehrt werden. Man befiehlt auch nicht der Nahrung im Magen, sie solle wieder in den Mund

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    zurckkommen. Das wre der Vorbote eines sicheren Todes. Das Rasthaus ist immer nur dererste, einfhrende Schritt. Verweilt dort nicht. Falls ihr ber das inwendige Leben predigt,und andere lediglich bis dorthin zu fhren vermgt, habt ihr wenig oder gar nichts erreicht!Im Gasthaus angekommen, mu der Christ die weiterfhrenden, dahinter liegendenLandstriche erforschen, und das mglichst hufig und mit bestndigem Sinn. Wir werden nur

    allmhlich umgewandelt.

    Der wahre Beginn geistlicher Wagnisse

    Hat ein Christ im inneren Leben erst einen Anfang gemacht, so mag er mancheSchwierigkeiten haben, Nutzen aus dem Vergleich mit dem Rasthaus zu ziehen. Hat er sichaber erst ber jene Linie hinausgewagt, den umherschweifenden Sinn und die vielerleiGedankenbilder hinter sich gelassen, und die anfnglichen Empfindungen des Einsseins mitGott zu kosten begonnen, so wird er vor Freude und Wonneglck bersprudeln. Aber hier istschon wieder eine Gefahr, da er denken knnte, nun habe er das wahre Christentumgefunden. Nichts knnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Denn in diesem Abschnittseiner geistlichen Pilgerschaft umwirbt ihn der Herr mit mancherlei empfindbaren Freuden,als da sind Lichter, Begnstigungen und andere Gnadenerweise.

    Wahrlich, eine wunderbare und erinnerungswrdige Zeit. Das wirkliche Abenteuer aber liegtnoch vor ihm, ebenso die Schickungen und Proben.

    Nicht viele Christen verlangen nach tieferer Gemeinschaft mit dem Herrn. Viele versuchennicht einmal das Rasthaus zu erreichen. Andere, die es tun, ziehen sich oft entmutigt zurck.

    Die wenigen die weiterwandern und die Kostbarkeit der Vereinigung mit Christus zuerahnen beginnen, da sie durch manche himmlische Gnaden und wunderbare Salbungenerquickt werden fallen sehr oft sptestens dann zurck, wenn die anfngliche Begeisterungabgekhlt ist. Das Neue nutzt sich mit den Jahren ab, und die bungen des Umgangs mit Gottwerden zur Gewohnheit.

    Denn es kommt der Zeitpunkt im Leben der Seele, da ihr der Herr das vormalige Gefhl derFreude wegnimmt. Die empfindbare Gnadenkraft wird sprbar zurckgehen. Zur gleichenZeit kann Verfolgung ber sie hereinbrechen Verfolgung, nicht zuletzt von christlichenPersonen, die ein religises Amt bekleiden. Ferner knnen Widerwrtigkeiten in ihrempersnlichen Umfeld oder Haushalt auftreten. Auch knnen sich gesundheitlicheUnannehmlichkeiten einstellen. Auf irgendeine Weise werden zahlreiche Schmerzen oder

    Verluste einkehren, die scheinbar nicht zu berschauen sind. Die Seele wird Erfahrungenmachen, deren Einzigartigkeit sie in Schrecken versetzt. Vertraute christliche Freunde werdensich von ihr abwenden oder sich sonst irgendwie lieblos verhalten. Sie wird sich ungemeinungerecht behandelt vorkommen. Dieses Empfinden geht nicht nur auf Menschen, sondernauch auf Gott, da es mitten in so vielen Leiden und Verwirrungen scheinen wird, als htteauch Gott sie verlassen.

    Wenn der Herr sich nun dem Anschein nach aus ihrem Geist zurckgezogen hat, wenn alleswie abgestorben erscheint, whrend das ganze Weltgefge ber ihnen zusammenbricht, wennFreunde sich von ihnen abkehren und schmerzvolle Bitterkeiten in ihrem Leben berhandnehmen, da geben nicht wenige Glubige die Reise auf.

    Jetzt wird ihre Jngerschaft wahrhaft auf die Probe gestellt. Erst zu diesem Zeitpunkt wirdunsere Hingabe an Christus geprft. Vorher war es noch eine gewisse Abenteuerlust, eineBegeisterung zum Vorsto in unbekannte Tiefen, aber auch der Jubel ber das Erleben

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    gesegneter Gottesgemeinschaft. Nun aber liegt das Land der Verheiung noch in weiterFerne, denn es liegt immer hinter einer weiten Wste, so da der Genuss aller Verheiungenerst jenseits der Wste erfahren werden kann.

    Hat ein Christ diese geistige Wste erreicht, diesen Ort gnzlicher Verlassenheit, diese dunkleNacht der Sinne, diese Teilnahme am Aufschrei Christi Warum ...?, so erfhrt er erst von

    jetzt an, auf dem Weg des entblten Glaubens, die wahrhaftige Grndung und Auferbauungim Herrn.

    Da sind es nur noch sehr wenige, die mit Stillschweigen und Gelassenheit nicht aufhren,nach Gott zu verlangen. Sie warten verborgen, demtig, unscheinbar, unbelohnt, ohneAufsehen zu erregen. Sie erwarten nichts, auer da Gott, und nicht die Kreatur, gepriesenwird!

    Der Anfang beginnt erst dort, wo wir alles (in unserem Allerinnersten) verloren haben, jasogar unsere tiefere Gemeinschaft mit Christus.

    Wenn ihr das Rasthaus erreichen knnt, ohne Gefhlsregungen oder Sinneseindrcke zu

    erwarten; wenn ihr weiterzugehen vermgt ohne den Herrn zu schauen; wenn ihr Ihn als denGegenwrtigen erkennt durch die Augen des Glaubens; wenn ihr in Christus fortzuschreitenvermgt ohne Lichter, ohne Empfindungen, ohne auch nur das zarteste Anzeichen gttlicherGegenwart zu bemerken; wenn ihr vor Ihm ausharrt, whrend alles in euch und um euchentweder zerbricht oder wie tot aussieht; und wenn ihr glaubensvoll gelassen vor Ihn tretenknnt, ohne Fragen oder Wnsche, um Ihm Lobpreis darzubringen ohne zerstreute Gedanken,ohne bewusste Wahrnehmung des Ichs, ohne Ihn geistlich zu empfinden, whrend euerganzes Wesen gesammelt und Ihm zugewandt bleibt; dann wird eure Liebeshingabe erstmaligauf die Probe gestellt. Und dann wird die Entdeckungsreise des christlichen Lebens ihrenAnfang nehmen.

    Geistliche Anklebungen und ihre Luterung

    Jeder wahrhaft Glubige wird unweigerlich an den ureigensten Erfahrungen undSeelenzustnden des Herrn teilhaben, sie mitempfinden und umarmen. Das sindgeheimnisvolle Zustnde. Der Weg mit der immer wiederkehrenden Begegnung mit demewigen Kreuz ist fr ihn vorgezeichnet, es ist ein Weg der Schmach und Bestrzung.

    Viele weichen hie und da einer Begegnung mit dem Kreuz nicht aus, wollen aber doch nicht

    alle Kreuze ihres Lebens annehmen. Ein Kreuz, welches nur ganz selten angenommen wird,ist das, wenn ihnen ihr ffentliches Ansehen unter den Menschen genommen wird. Undgerade das will Gott von euch haben, dorthin will Er euch fhren, ohne da ihr darbererbittert werden sollt.

    Gott will die Vernichtigung eurer Selbstliebe. Zuweilen lsst Er einen scheinbaren Fehler zu,um euer ffentliches Ansehen zuschanden zu machen.

    Befindet sich die Seele in der Aufbruchstimmung geistlicher Anfnge, sehen wir sie oftgelassen und entschlossen im Erdulden von Widerwrtigkeiten. Woher nimmt sie da ihregeheime Standfestigkeit? Sie ist sich bewusst, da ihr solches unverdient geschieht. Fr dieStnde aber, die ich soeben beschrieben habe, trifft das nicht mehr zu. In dieser dunklen

    Nacht hat die Seele das Empfinden, als wre das eine fr sie gerechte Strafe. Dazu kommenunerklrliche Verwirrungen und Demtigungen. Da wird ihr klar, wie tief sie wirklich aufChristus angewiesen ist. Sie sieht wie ntig sie es hat, vom geschpflichen Treiben und vom

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    Verkosten geistlicher Sigkeiten abgelst zu werden. Das ist ntig, wenn sie erkennen soll,was sie ohne die Gnade Christi in Wirklichkeit ist. In diesem Zustand nun, verborgen vor sichselbst, ungeachtet irdischer Banden, schmerzlicher Zustnde und der Agonie des TodesKampfes schreitet sie vorwrts.

    Nur wenige machen diese Erfahrung

    Die Seele, von der jetzt die Rede ist, lebte in erfllter Liebesgemeinschaft mit ihrem Herrn.Nun aber werden ihr auf einmal alle Wirklichkeiten des inneren Lebens genommen. Sie istgezwungen, die kstliche Einsamkeit, die sie so erfreute, aufzugeben. Alle Kraft ist ihrentschwunden. Alle Gnade scheint ihr genommen. Sie zerbricht an ihr selbst. Abscheu erflltsie beim Anblick ihres ichhaften Wesens, und sie fasst den heiligen Entschluss, nicht mehrauf ihr natrliches Wesen zu vertrauen. Sie erwartet nichts mehr von sich selbst, und beginntauf Gott zu harren, ob Er wohl abwesend ist, um Ihm ihr ganzes Vertrauen zu schenken.

    Niemand soll meinen, da solche Erfahrungen in gleicher Tiefe jemals von unbekehrtenPersonen gemacht werden knnen; auch nicht von solchen, die dem Herrn auf eine mehruerliche Weise nachfolgen. Den Abgrund solcher Schmerzen vermgen sie nichtauszuloten, denn der Heilige Geist offenbart sich nicht in einem ungeheiligten Wesen.

    Ich aber rede hier von solchen Personen, die nach vielen Luterungen, Versuchungen undPrfungen gewrdigt werden, Stnde der geschilderten Art zu durchlaufen. Gewrdigt werdensie allein aufgrund des Umstandes, da sie sich selbst vllig unbewusst ein nahezuunbegrenztes Gottvertrauen haben, das mit einer tiefen Demut verbunden ist. Sie knnten sich

    von dem allem nichts sich selbst zuschreiben.

    Auflehnung, die keine ist

    Hier ist es ntig, ein Wort der Ermutigung und des Trostes zu sagen. Wir sollten unseinprgen, da man Gott auf zweierlei Weise widerstreben kann. Die eine ist absichtsvoll undwillentlich. Diese Art des Widerstandes behindert Gottes Wirken. Unser Herr achtet dieFreiheit des menschlichen Willens.

    Die zweite Form des Widerstands knnte man den Widerstand der Natur nennen. Auch dieserWiderstand liegt im Bereich des Wollens, geschieht aber unabsichtlich, und kommt aus demmenschlichen Selbsterhaltungstrieb, aus dem berlebensinstikt und ist eine Abwehrhaltunggegen zerstrerische Einflsse. Ohne die Tiefe dieses Widerstands zu ergrnden, oder unserenaturhafte Abneigung gegen die Vernichtigung unseres Ichs zu entschuldigen, erkennen wiraber doch, da Gott sich ganz anders zu ihm stellt als zu offener Widersetzlichkeit.

    Wenn Er unbewusste Widersetzlichkeit vorfindet, lsst Er dennoch nicht von seinemgnadenvollen Wirken ab. Er erinnert die Seele vielmehr an ihre Erklrung einerLiebeshingabe, die sie Ihm vor langem machte, an ihre Bereitschaft zur vlligen Verlierung,die sie nie widerrufen hat und auch jetzt nicht widerruft. Ihr Wille ist nach wie vor Gott

    ergeben, mglicherweise sogar Ihm unterworfen, trotz aller widersetzlichen Empfindungen inihrem Innern.

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    Zuweilen sind eine vollzogene berlassung und eine Ergebung in den Willen Gottesverborgen irgendwo in den weiten Tiefen der Seele und selbst dem Glubigen nichtbewusst. Aber Gott sieht sie. Ich habe dies den Ansatzpunkt der Hand Gottes genannt.

    Tief in einem Menschen kann eine Bereitschaft zur Hingabe leben, die nur fr Gott sichtbarist. Und weil Er in das Herz sieht, kann Er seine Absichten, uns zu vernichtigen, in unsvollenden, ohne unsere Willensfreiheit zu verletzen.

    Gottes Vorhaben

    Wenn ich davon spreche, da Gott sein Vorhaben und seine Plne mit uns im einzelnenerffnet und entfaltet, so darf man allerdings nicht glauben, da Er ausfhrlich auf eineVielzahl von Dingen hinweist, denen man zu entsagen und sie aufzuopfern htte denn das

    ist nicht die Weise Gottes.Wir mssen uns merken, wie wir schon verschiedene Male zum Ausdruck gebracht haben,da Gottes Sprechen gleichzeitig Handeln ist. Gott erlutert seinen Ratschluss nichtumstndlich, sondern wirft die Seele kurzerhand in einen Schmelztiegel widersprchlichsterSchickungen und Proben. Er vernichtigt sie bis zum Punkt der vlligsten Aufopferung, unddas in ihrem ganzen Sein, nicht nur zeitlich, sondern fr die Ewigkeiten der Ewigkeiten.

    Auf welche Weise geschieht solch eine Aufopferung? Durch das vollendete Verzweifeltseinan sich selbst, das P. Jaques de Jesus, den ich bereits in meinen Schriften erwhnt habe, auchdas heilige Verzweifeltsein genannt hat. Denn hier ist die Seele entblt von ihren vormaligenSttzen in den Kreaturen und in sich selbst, und verliert sich vllig in die Hnde Gottes.

    Die meisten Glubigen wissen nichts vom Verzweifeltsein an sich selbst, von einer gttlichenZerbrochenheit. Nur wenige werden die uersten Grenzen einer solchen Verzweiflungschmecken, denn es ist die Verzweiflung aller Verzweiflungen, wenn man sich selbst erstmalsso sieht, wie man wirklich ist. Denn der Anblick unserer Ichnatur im Lichte Gottes isterschreckend und niederschmetternd!

    Beachtet dabei, da unsere Hoffnung und Erwartung in Gott um so tiefer wird, je mehr wir anuns selbst zugrundegehen. Doch wird uns das so neugewonnene Vertrauen nicht immer aufempfindbare Weise erquicken. Denn je mehr unser Vertrauen auf eigene Krfte und aufbisherige Glaubenssttzen sich verliert, desto mehr wird uns ein wahrhaftiges Gottvertrauenzuteil, das entblt ist von allen Absicherungen. Je mehr wir uns selbst hassen, desto mehr

    lieben wir Gott. Was immer Gott der Seele an inneren und ueren Sttzen nimmt, sindwirkliche Opfer. Aber welches ist das letzte aller Opfer? Ich habe es in meinen Schriften dasreine Opfer genannt. Es ist der Opfergang der bis zum letzten hingabebereiten Seele.

    Dieses letzte Opfer kann wie folgt beschrieben werden: Die Seele lebt in tiefer Hingabe undin einem vlligen Gottvertrauen. Sie ist ausgegangen aus dem Treiben der Geschpfe und aussich selbst, und befindet sich nun in einer gnzlichen Gottverlassenheit. Ihr Aufschrei dringtzu Gott: O mein Gott, warum hast du mich verlassen! Die gnzliche und umfassendgewaltige Opferhingabe von Jesus Christus vermgen wir nur zu erahnen, wenn wir auf seineWorte achten: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? und In deine Hndebefehle ich meinen Geist. (Luk. 23,46). Die Seele bringt sich selbst Gott zum Opfer dar,

    nmlich ihr Wesen, ihr ein und alles, und das fr alle Zeit und alle Ewigkeit. Das ist dasletztmgliche, vollendete Opfer, wie Jesus Christus sagt: Es ist vollbracht! (Joh. 19,30).Alles ist vollendet, vollbracht, auch in der Seele.

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    Unsere Bekmmernisse und Sorgen rhren von unserem Widerstreben her. UnsereWidersetzlichkeit entspringt der Anhnglichkeit an innere und uere Dinge. Je mehr ihr euchber eurem Leiden zermartert, desto einschneidender und tiefdringender wird es. Ergebt ihreuch aber eurem Kreuz, und wenn es noch so tief geht, und berlasst euch dem Prozess desMitgekreuzigtseins, so wird euch das Leid von unermesslichem Nutzen sein.

    Verfallt nicht auf den unreifen Gedanken: Ich aber werde zu denjenigen gehren, diebestndig Seinem Willen nachfolgen, und ich werde das Leid in meinem Leben ohneAusnahme annehmen, und dann wird Gott es sicher nicht fr notwendig erachten, mit mir sounnachgiebig zu verfahren.

    Solch einen Menschen gibt es nicht und wird es nie geben. Wir knnen wohl kaum erahnen,wie tief und hartnckig die Selbstheit in uns allen lebt. Darum ist die Freilegung unsererselbstischen Natur recht schockierend. Wir alle mssen durch unglaubliche, nahezuunertrgliche Seelenpein gehen. Auch wird es euch niemals gelingen, eure ureigenenSchwachheiten selbst herauszufinden, um sie leichthin in kurzer Zeit abzulegen. Hier zeigtsich lediglich euer Hochmut. Euer stolzes Wesen betrgt euch, wenn euch solche Gedanken

    umschmeicheln.Die Seele lernt die wahre Natur ihrer Glaubenshindernisse immer erst dann kennen, wenn dieHindernisse bereits beseitigt sind.

    Die Offenbarung gttlicher Gerechtigkeit

    Im 5. Kapitel des Hoheliedes findet ihr zwei Arten von Widerstreben angedeutet, deren die

    Seele fhig ist. Der Brutigam spricht zu seiner Braut: ffne mir, denn ich bin schwerbeladen mit Tropfen der Liebe.

    Die Seele empfindet klar, da der Herr, der zu ihr gekommen ist, mit Schmerzen beladen ist.Er ist zu ihr gekommen, um sie zur Gefhrtin seiner Schmerzen zu erwhlen. Aus seinemSprechen kann man erkennen, da Er unbeschreiblich leidet. Sein Schmerz geht ihr nahe,denn sie merkt, da sein Kummer sehr qualvoll ist. Knnte sie in ihrem Leiden stark sein,wrde sie seine Schmerzen mit froher Zuversicht tragen.

    Der Brutigam vertraut ihr an, da ihre Leiden nicht nur krperlicher Art sein werden. Dennder Verlust ihres Ansehens und die Verfolgung durch ble Verleumdungen werden ihr sehrschmerzhaft sein. Und so geschieht es auch.

    Warum tut der Herr das? Die Seele soll zur Einsicht kommen, da sie noch sehr gebrechlichist, und da sie gar eine elende Natur hat. Der einzig mgliche Weg, um diese Wahrheit zuerfassen, fhrt durch den Verlust ihrer eigenen Strke und ihrer Tugendkrfte, mit welchen sievormals den widrigen Dingen noch zu widerstehen vermochte. Dazu gehrt auch der Verlustihrer Vermgenskrfte, gute Werke vollbringen zu knnen. Und so kommt sie in eine groeVerwirrung, und sprt innerlich schwer lastende Qualen.

    Auch uerlich gibt der Herr sie einer Vielzahl von Bedrngnissen und den Bosheiten derMenschen preis, ja sogar den Gewalten der Finsternis. Es hat den Anschein, als habe Er ihrenFeinden eine uneingeschrnkte Verfgungsgewalt ber ihre uere Natur eingerumt.Darber hinaus legt Er seine Hand schwer auf ihr inneres Leben.

    Selbst der bloe Gedanke an solche Wege macht erschauern! Die Seele mu solcheHeimsuchungen durchschreiten, auch wenn sie sich mglicherweise gegen ihre Schmerzen

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    aufbumen wird. Obwohl sie versuchen wird, eine winzige Spur ihrer vormaligen bergabezu finden, so wird sie doch solche weder innerlich noch uerlich mehr antreffen. Aus derTiefe ihres Wesens schreit sie auf, und verlangt nach Strkung und Befreiung. Aber weder daseine noch das andere stellt sich ein.

    Ich habe im Leben vieler Glubigen bemerkt, da einem solchen Geschehen eine wahrhaftigeOffenbarung vorangeht. Vielleicht sollten wir es eine Eingieung gttlicher Gerechtigkeitnennen. Die Seele sprt innerlich, da der Herr gerecht ist in allem, was Er tut Ob es sich umeinen Angriff der Finsternismchte oder um eine heilende Freilegung ihrer ureigenenSchwachheiten handelt, so erkennt die Seele, da alles was ber sie hereinbricht,gerechtfertigt ist.

    Nun wird sie tiefer vorbereitet. Die Seele lebt nun in Gelassenheit an der Hand ihres Herrn,und nimmt ohne Vorbehalte und vorgefasste Anschauungen seine Fhrungen an. Was auchimmer der Herr nun zu tun beabsichtigt, sie hat die Kraft empfangen, sich vorbehaltlos in alleszu ergeben. Damit ist noch nicht gesagt, da sie alles berstehen werde. Sie hat lediglich Gotteine uneingeschrnkte Handlungsfreiheit eingerumt, seine Macht zu offenbaren und seinen

    souvernen Willen zur Ausfhrung zu bringen, in allem was Er tun will.In all ihrer Trbsal erinnert sie sich meistens nicht mehr an die vormalige Offenbarunggttlicher Gerechtigkeit. Aber zuweilen verkostet sie in den Tiefen ihres Elends einGespr, einen Geschmack und auch eine Liebe zur gttlichen Gerechtigkeit. Wenn sie diesesempfindet, so erneuert die Seele ihre Hingabe, sich auf dem Altar des Herrn zu opfern.

    Seid versichert, da die Seele an ihre neuerliche berlassung nicht mehr denken wird, sobaldder Ansturm der Versuchung ihren Hhepunkt erreicht hat. Ihre liebende Hingabe an denHerrn ist ihr nicht mehr bewusst. Sie vergisst ihr Hingabeopfer und ihre Liebe zur gttlichenGerechtigkeit. Sie sprt in sich eine starke Abneigung gegen Gottes Fhrungen, undSchmerzen des Todes durchstrmen sie.

    Nicht alle Seelen haben die gleichen Fhrungen, bevor sie in solche Proben geworfen werden.Gott flsst der Seele zuweilen eine Vorstellung davon ein, was das Leiden Jesu wirklichbedeutet, um ihre Zustimmung zu diesem Weg zu gewinnen.

    Etliche verweigern sich. Etliche sehen sich unfhig, in eine Aufopferung einzuwilligen, dieihnen bereits zum voraus gezeigt wird. Einige verweigern sich vollstndig, andere willigenerst nach Tagen in das Opfer ein. In jedem Fall bricht sich der Widerstand gegen dengezeigten Weg mit ungestmer Heftigkeit Bahn, insbesonders bei den Seelen, die vormalshingegeben und gehorsam dem Herrn nachfolgten. Denn Gott will nun ihren hartnckigenStolz ber ihre bisherige Glaubenstreue ans Licht bringen. Denn solche Seelen wissen, da siein der Vergangenheit der Hand Gottes nicht im geringsten widerstrebt haben, wie streng auch

    immer seine Beraubungen waren. Nun aber ist ihre neuerliche Widersetzlichkeit so stark,geschrt durch ein neues und tieferes Erkennen des Kreuzes, der Schmerzenswege und ihrerIchnatur, da ihnen die glaubensvolle berlassung an die ihnen bevorstehenden Schreckennahezu unmglich erscheint.

    Der Herr stellt es uns frei, der Opferhingabe und dem Kreuz zu widerstreben. Es gibt einenGrund fr dieses Widerstreben. Auch die junge Braut im Hohelied war davon gebannt.Abneigung erfllte sie, einen Brutigam zu empfangen, der sich ihr blutberstrmt nherteund in groe Traurigkeit versunken war. Aber das Widerstreben der Seele dauert imallgemeinen nicht allzu lange, da solches auch nicht sein darf. Doch ist ihre Abneigungnotwendig. Man knnte sogar sagen, da sie auerordentlich heilsam ist. Denn dadurch lernt

    die Seele ihre uerste Hinflligkeit kennen, und erinnert sie daran, da sie noch weit vonjenem heldenhaften Glaubensmut entfernt ist, den sie sich bisher so lebhaft einbildete.

    Keiner von uns ist davon ausgenommen. Wenn wir uns einbilden, da wir so begabt oder

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    bevollmchtigt sind, unterliegen wir schweren Selbsttuschungen.

    Das junge Mdchen im Hohelied ist noch ganz erfllt und benommen von den trautenZweisamkeiten glcklicher Liebe zwischen ihr und ihrem Herrn. Nun erfhrt sie im Angesichtgeoffenbarter Liebe ihre ohnmchtige Schwachheit, denn der Herr ruft sie in dieMitkreuzigung.

    Wodurch mag sie bewogen worden sein, ihre Einstellung zu ndern? Mglicherweise erfhrtsie, die in unbestrittener Treue lebte, beim Anblick der verzehrenden Kraft des Kreuzesungeahnte Schrecken. Sie ist erstaunt ber seinen Zweck und seine Notwendigkeit in ihremLeben. Die Erfahrungserkenntnis ihrer eigenen Hinflligkeit (auch nach wunderbarengeistlichen Erlebnissen mit dem Herrn), das Wissen darum, wie elend sie wirklich ist, wennKreuz und Schmerzen bevorstehen, legt den tiefsten Grund ihres Lebens frei; und schon alleindiese Erkenntnis ist uerst schmerzvoll und mit Leid getrnkt.

    Die Seele ffnet ihrem Brutigam das Herz

    Im 5. Kapitel des Hohelieds, im 6. Vers, ffnet die Seele ihr Herz weit fr den Geliebten, undihrem geffneten Herzen entspringt ein neuer Akt der berlassung. Ihre Widersetzlichkeit hatsich gelegt. Die Seele vollzieht eine neue, ausdrckliche Hingabe, und berlsst sich von nunan wieder ganz dem Herrn.

    Ist eine glubige Seele einmal in eine Untreue verfallen oder stellt sich strubsam , wirdder Herr sie aufs neue heimsuchen, um das Verlangen nach Ihm wieder zrtlich aus ihr hervorzu locken, so da sie sich seiner Salbung wieder neu ffnet, und weiterhin auf dem Weg

    seiner FuStapfen fortwandelt.

    Die wahre Gerechtigkeit ist nur Einer

    Ein Glubiger sieht Proben und Schickungen herannahen. Inmitten der Glaubensprobenenthllt sich ihm sein uerstes Elend. Er findet sich aller Sttzen beraubt. Kein Faden seinereigenen Gerechtigkeit erhlt ihn aufrecht. Es ist gut fr ihn, da er die Wertlosigkeit seiner

    eigenen Gerechtigkeit und seiner eigenen Treue einsieht.Warum?

    Die gttlichen Eigenschaften unserer eigenen Natur zuzuschreiben (d.h. zu glauben, daGottes Wesenszge auch unsere Wesenszge sind), das darf nicht sein. Der Glubige mu bisauf den tiefsten Grund vernichtigt werden, bis er erkennt, da alle Gerechtigkeit Gott alleingehrt, und da auerhalb von Ihm nichts gerecht ist. Seine Kraft und sein Selbstvertrauenmssen so grndlich abgebaut werden, da ihm keine andere Zuflucht bleibt, als dasVertrauen in die Gerechtigkeit Gottes. Er erkennt, da Gott alles ist, und er selbst nichts; ererkennt Gottes Allmacht und seine Schwachheit. Bald darauf befestigt ihn der Herr im Standeeiner berlassung, die kaum (wenn berhaupt) je wieder zu erschttern ist.

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    Die Gesetzmigkeiten des Reinigungsfeuers

    Hat sich ein Feuerbrand einem Waldgebiet genhert, so wird das Gehlz schwarz, bevor es inFlammen aufgeht. Auf gleiche Weise nhert sich das gttliche Reinigungsfeuer der Seele. Das

    Feuer lsst die Seele schwarz erscheinen, bevor es sie verbrennt. Es ist aber Voraussetzung,da das Gehlz trocken sein mu, bevor es entflammt werden kann. Das Schwarzwerden istimmer ein Zeichen, da das Feuer bald nachkommen wird.

    Auch Feuchtigkeit vermag Verfrbungen im Gest hervorrufen, doch ist das Holz dann imdurchnssten Zustand nicht zum Verbrennen geeignet. Das Holz vermag sovielFeuchtigkeiten in sich aufzunehmen, da die Feuerflammen nichts auszurichten vermgen.

    Solches ist die Finsternis derer, die sich abwenden von dir, o Gott. solches sind diejenigen,die ehebrecherisch mit der Welt buhlen (Ps. 73,27).

    Sie werden vergehen in ihrer Lust, nicht aber die vom Feuer Gottes geschwrzte Seele, vonder das Hohelied Zeugnis ablegt (Hohel. 1,5).

    Du, o Gott, wirst alles aus ihr entschlacken, was deiner Reinheit zuwider ist. Du entwsserstihren Seelengrund, und versetzest sie in Stnde voller Trockenheiten.

    Wenn du liebst, ist deine Liebe immer von verzehrender Glut. Deine Liebe beabsichtigt, unsin dir selbst zu vervollkommnen. Beim Herannahen deines Lichts verfrbt sich unser Inneresschwarz, bevor du uns ganz in dir verzehrst.

    Im gleichen Ma wie Er sich vor euch verbirgt, wird nachher seine Offenbarung sein.

    Die Erfahrungen der dunklen Nacht des Geistes, als auszehrende Glaubensproben, gestaltensich ungleich schmerzvoller als alle vorausgehenden Proben, weil die Seele durch dieAbwesenheit des Brutigams noch mehr berwltigt ist von dem Elend ihres Nichts. SolcheStnde sind immer qualvoll, und werden gewhnlich begleitet von Verfolgungen durchMenschen, wobei es den Anschein hat, als wre es eine dmonische Verfolgung.

    Man kann sich unmglich eine Vorstellung von einer solchen unaussprechlichen Drangsalmachen, wenn man nicht selbst durch eine solche hindurchgegangen ist. Die Abwesenheit desHerrn, der sich der Seele verbirgt, wird zu Recht Nacht und Tod genannt.

    Euer Herr ist das Licht, und Er ist das Leben eurer Seele. Daher wird die Seele aufgebracht,wenn das Licht zu verlschen droht. Aber betrachtet einmal die dunkle Nacht des Geistes aufeine andere Art. Wenn gewisse Gegenstnde von einer Lichtquelle hell beschienen werden, sosehen sie furchteinflender und schreckerregender aus, als wenn sie im Dunkeln bleiben.

    Betrachtet die dunkle Nacht des Geistes als die furchterregenste Offenlegung der Wahrheitber euch selbst, ber euren inneren Zustand. Wenn ihr jemals diese unerklrlichenErfahrungen durchgeht, da ihr von aller Hoffnung entblt seid, jemals wieder einenAufgang des Lichts zu schauen; dann seid eingedenk, da vor dem Herrn sogar FinsternisLicht ist.

    Dunkelheiten und gttliche Gegenwart

    Johannes vom Kreuz berichtet von verschiedenartigen Luterungsprozessen, welche dergeistliche Pilger auf seinem Weg zu den Tiefen der Gottheit durchgeht. Die erste Reinigungnennt er die Nacht der Sinne. Die allerletzte bezeichnet er als dunkle Nacht des Geistes. In

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    diesem letzten Stand teilt Gott sein Alles der Seele wesenhaft und weitaus vollkommener mit,als in den vorausgehenden Stnden. Davon kann man nicht einfach berzeugt werden, da derVorgang unerklrbar ist. Dennoch ist es die Wahrheit.

    Je reiner diese dunkle Nacht des Geistes ist, desto berwltigender ist die Erhabenheit ihrerErscheinungsformen. Je schwerer die Abwesenheit des Brutigams empfunden wird, destoerhabener und vollendeter ist die Arbeit der Luterung.

    Innerliche und uerliche Verwundungen

    Seid nicht erstaunt ber Verwundungen, die euch nach der Weisheit des Herrn ereilen. Dazugehren die Vernichtigungsqualen der Seele, die nur inwendig auftreten. Aber ebenso gibt esVerwundungen uerer Art, als da sind Verfolgungen, Bosheiten und jene Dinge, die von

    bsartigen Menschen und aus dem Reich der Finsternis stammen. Es kann gar nicht anderssein, als da es innere und uere Wunden gibt.

    Wir haben von der dunklen Nacht des Geistes gesprochen, vom offenkundigen Verlust dergttlichen Gegenwart. Whrend diesen Erfahrungen beschftigt sich die Braut nicht mit sichselbst oder mit den Kreaturen. Davon ist sie in Wahrheit weit entfernt, untreu zu sein weiterentfernt als zu jedem frheren Zeitpunkt. Das ist ihr aber nicht bewusst, denn sie denktgegenwrtig nur daran, da sie auf ewig die Gegenwart ihres Vielgeliebten verloren hat, unddas aus eigener Schuld. Darum beklagt sie unaufhrlich die unwiderruflich scheinendeAbwesenheit ihres Herrn.

    Tief in ihrem Inneren aber bleibt ihr inwendiges Auge auf Gott gerichtet, und bewahrt Ihn so

    unverrckt, wenn auch unbewusst. Die Braut vergisst ihren Brutigam nie. Der Schmerz derAbwesenheit ihres Herrn ist so beraus verzehrend, da sie sich selbst darber vllig aus denAugen verliert, ohne sich dessen bewusst zu sein. Obwohl sie fhlt, da ihr Herr fortgegangenist, bleibt ihr Herz auf Ihn gerichtet. Ihre Gedanken gelten Ihm, weil seine Abwesenheitmacht, da sie unaufhrlich an Ihn erinnert wird.

    Wie beraus anders ist doch der Stand derjenigen, die sich von Ihm abwandten, umungebunden und schrankenlos ihren sndlichen Vergngen nachzugehen.

    Bei ihrer Wiederauferweckung wird die Seele die kostbare Wahrheit erkennen, da dasGefhl endloser Leere, das Empfinden des Nichtsseins, das Gefhl uersten Verlorenseins,da solches auch Christus ist Es ist ein berwltigendes, unaufhrliches Sehnen, das Tag und

    Nacht ihr Inwendiges durchpocht.

    Vierfache Verfolgung

    Alle Menschen, die in Wahrheit Gott zu dienen trachten, mssen fr gewhnlich Verfolgungvon Seiten der Weltleute erdulden, weil sie durch ihr stilles und eingesammeltes Wesen dieverwilderten Sitten der anderen strafen. Aber je heftiger sie von solchen Personen verschrien

    werden, desto herzlicher erfahren sie auch gleichzeitig die Hochachtung und Wertschtzungder anstndigen und rechtschaffenen Brger.

    So verhlt es sich aber nicht mit den Personen, die dem inneren Leben ergeben sind. Sie

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    werden nicht nur von den ausschweifenden Lstlingen dieser Welt verfolgt, sondern auch vonden rechtschaffenen, biederen Brgern. Am tckischsten und am nachhaltigsten aber werdensie von den frommen und geistlichen Personen verfolgt, die das inwendige Leben nichtkennen.

    Das sind Eiferer, welche die Verfolgung innerer Seelen als eine heilige Pflicht betrachten.Denn sie kennen keine andere Weise des Glaubens, als die ihrige, und das innere Leben wirdihnen bei ihrem Vorgehen auch nicht aufgeschlossen werden.

    Die entsetzlichsten Schmhungen werden jedoch von solchen Personen kommen, die ihreHingabe an Gott lediglich vortuschen. Es sind Heuchler mit einer unechten Hingabe undeinem unechten geistlichen Leben. Und da die inneren Seelen von Gottes Wahrheit erleuchtetsind, so durchschauen sie solche Personen in ihrer Ausschweifung, Bsartigkeit undHeuchelei. Das wiederum macht, da solche Personen eine Feindseligkeit haben gegen allewahrhaft geistlichen und inneren Seelen, die nur vergleichbar ist mit den Kmpfen derDmonen gegen die Engel Gottes.

    Gttliche Eifersucht

    O wahrhaftig, mein Gott, du bist ein lieblich eiferschtiger Gott! Er selbst offenbart unsdiesen Namen Eifersucht bei 2. Mose 34,14. Und was ist der Grund der Eifersucht Gottes?weil Er wenige Seelen findet, die Ihm ungeteilt und ohne Vorbehalt ihr Leben hingeben. Ihmmissfllt eine zwiespltige Seele mit geteiltem Herzen sehr, und darum bekundet Eroffensichtlich wenig Geschmack an jenen halbherzigen Seelen. Aber fr solche Seelen, die

    Ihm ungeteilt und ohne Rckhaltungen in Liebe bergeben sind, verstrmt Er seine kostbarsteLiebe und blickt auf sie mit vorzglichem Wohlgefallen. In ihnen kann Er alle seinegttlichen Anspruchsrechte geltend machen, ohne ihren freien Willen zu beeintrchtigen, weilsie sich aus einem liebegeffneten Wesen Ihm geschenkt haben, ohne etwas zurckzuhalten.Er beglckt sie auch mit einer Eifersucht, die seiner auf ihnen ruhenden Liebe entspricht. Erduldet nicht den geringsten Makel an ihnen. Sie sind seine seltenen, kostbaren Edelsteine, dieEr in seinen Brautgemchern verbirgt vor den Augen der Weltmenschen.

    Vom richtigen Einsatz des freien, menschlichen Willens

    Gott lebt nicht einen Augenblick, ohne seine berstrmende Liebe ber seineMenschenkinder auszugieen. Aufgrund des mitteilenden, verstrmenden Wesens seinerSchpfernatur kann Er nicht anders, als sich unaufhrlich zu verschenken ber alle, diegeffnet und geneigt sind, seine lieblichen Mitteilungen in Empfang zu nehmen. Ein Bilddavon haben wir beim Tau, der sich benetzend auf alle Dinge legt, die ihm zugewandt sind.

    Aber da der Mensch mit freiem Entscheidungsvermgen geboren wird, verschliet er sich undzieht sich vor dem erquickenden, gttlichen Tau zurck. Er wendet Gott den Rcken zu, undtrmt mit allen Krften Hindernis ber Hindernis zwischen sich und Gott, um zu verhindern,

    da der liebreiche Tau sein Herz nicht erweiche und durchdringe.Also wird der Mensch Gott finden, wenn er nicht willentlich die Tren verschliet.

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    Damit sich nun der Mensch richtig entscheiden kann, beginnt Gott, diesen Menschenanzurhren. Er bewegt ihn Stck um Stck, damit er die Hindernisse seiner Wiederkehr ausdem Wege rume, und umkehre zu dem, der ohne Unterlass seine Barmherzigkeit in alleHerzen auszugieen und zu verstrmen sucht. Hat nun dieses Herz seine Hinwendungvollzogen, um sich Gott zu ffnen, bricht seine Barmherzigkeit berwltigend ber die Seele

    herein, wie der Morgentau ber eine Strandmuschel. Je mehr die Tropfen des himmlischenTaus sich nun ablagern knnen, je umfassender ist auch das Ma der Barmherzigkeit. Je mehrsich das Herz ffnet, indem es zu Gott aufblickt, umso vlliger vermag es die berflieendeFlle gttlicher Barmherzigkeit aufzunehmen.

    Aber man mu erkennen, da sich die gttliche Barmherzigkeit auf ihre ureigene Weise ihrenWeg bahnt. Niemand kann das machen als nur sie selbst. Sie bereitet unser Herz durch ihreFlle zu einer noch weitaus mchtigeren Flle. Es zhlt zu der Eigenschaft der Liebe, da sieuns ausweitet; und je mehr Gott uns erweitert, desto mehr erfllt Er uns auch.

    Er verabscheut ein leeres, unerflltes Herz.

    Und obgleich Gott scheinbar die Seele in Stnde der Ausleerung und Entblung versetzt, soist das nicht sein letzter Endzweck, da Er sie nur von allem entleeren will, was nicht Gott ist.Darum bewegt Er Himmel und Erde, um diese Kreatur zu reinigen, ihr Herz zu erfreuen, zuerfllen, auszuweiten und sich in sie zu ergieen in berstrmender Flle. Da nun dieempfangene Barmherzigkeit dem Wesen Gottes entstammt, so begehrt die Seele nichts als nurIhn allein. Sie findet in nichts anderem Ruhe und Frieden als nur in Ihm allein. Alles brigebereitet ihr nur Argwohn und Verdruss.

    Aber, o gttliche Barmherzigkeit, wo findest du solche Herzen, die sich durch deineManahmen und Gnadenwirkungen lutern, erweitern und mit Freude erfllen lassen? DeineWirkungen sind so unendlich liebenswrdig und wohltuend, wenn sie uns auch wegen unsererUnreinigkeit rauh und herb zu sein scheinen.

    Wie ist das doch schn, wenn du Herzen findest, die dir beglckt Einlass schenken.

    Ach, wie bist du so beschrnkt und beengt in den Herzen. Wie bist du hier so eingekerkert,und wirst so oft betrbt!

    O, liebste Liebe, verfgst du nicht ber die Macht eines Gottes, hier zu handeln? Sollten wirunsere Freiheit nicht anders gebrauchen, als nur dir immerfort zu widerstreben? Wieunheilbringend kann doch diese Freiheit sein, und wie vorteilhaft wre es fr uns, sie dirrestlos und vollstndig aufzuopfern.

    Die Herrlichkeitsvollendung des inneren Lebens

    Viele mystische Autoren, die ber das innere Leben geschrieben haben, haben auch geredetvon einer Vollendung des Inneren im zuknftigen Leben. Wenn ich ber das innere Leben imBlick auf das Leben der zuknftigen Welt nachsinne, so sage auch ich, da im anderen Lebenerst die glorreiche Vollendung aller Gnade und Herrlichkeit sein wird. AlleWachstumsvorgnge, Verdienste, Frchte und Belohnungen werden da ihren Endpunkterreichen in einem unumwlkten Genuss der Freude an der Wahrheit des Innern. Aber um aufdas verborgene Leben mit Christus zu sprechen zu kommen, so soll es schon whrend des

    Erdenlebens das Gesamtbild seiner Ausreifung erreichen, da es vollkommen vollendetwerden wird in der Zusammenfgung aller seiner Bestandteile.

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    Das innere Leben nimmt seinen Anfang hier auf der Erde. Sein Grund wird gelegt durch einein alle Richtungen hin vollkommene Bekehrung, durch eine vollkommen andchtigeSammlung. Es hat seinen Fortgang durch ein unablssiges Trachten und Verlangen nach Gott,da es dann zu einer Entfremdung, Auskehr und Reinigung kommen mu von allem, was Gottentgegensteht. Und so neigt sich das innere Leben hier seinem Abschluss entgegen, und wird

    zu einem Stand gelassener Ruhe im hchsten Gut, welches man gesucht und begehrt hattevom ersten Augenblick der Gottesbegegnung an.

    Aber es mu hinzugefgt werden, von welcher Beschaffenheit jener Stand der gelassenenRuhe in Gottes Glckseligkeit ist, da man diesen schon in diesem Leben gemessen kann.Dieser Stand ist aber nur vollendet hinsichtlich der Wirkungen des Geschpfs, nicht aberhinsichtlich der Wirkungsweise Gottes, da es noch ein tieferes Hineinschreiten in die TiefenGottes gibt, um uns noch unendlich mehr zu vervollkommnen.

    Um dies zu verstehen, wollen wir das Gesagte mit einem menschlichen Krper vergleichen.

    Der Krper eines Menschen wird als vollkommen bezeichnet, wenn alle Teilstckevollstndig zusammengefgt sind. Auch wenn sich unter den Menschen Blinde, Hinkendeund Verkrppelte finden, so sagt man von ihnen doch nicht, da ihnen die betreffendenKrperpartien gnzlich fehlen, weil nur die Funktion gewisser Teile vermisst wird. Imallgemeinen beschreibt man einen Krper dann als vollkommen, wenn keine seiner Partienfehlt, und die Glieder nicht nur in ihrer Gesamtheit zusammengefgt sind, sondern sich auchin der richtigen Proportion zueinander verhalten.

    Die Schnheit eines vollkommenen Krpers ist eine vollkommene Schnheit, ob es gleichgewiss ist, da sie nichts ist im Vergleich zu der Schnheit, welche der Krper in derzuknftigen Herrlichkeit einst haben wird. Daraus folgt, da der menschliche Krper nochnicht die Vollkommenheit jener himmlischen Herrlichkeit sein eigen nennt, derenAnmutigkeit uns einst prachtvoll umschmcken wird. Ob dies nun wohl so ist, so wre es

    doch nicht angebracht, unsere jetzigen Krperpartien gering zu achten, da sie doch dieGesamtheit und Vollstndigkeit seines Wesens schon jetzt ausmachen. Auf gleiche Weiseverhlt es sich mit dem Inneren. Wir sagen, da seine Vollkommenheit im anderen Lebeneine vollstndig andere sein wird, aber wir vernachlssigen darum doch nicht einen einzigender Teilabschnitte, die zusammengefgt die bewundernswrdige Gesamtheit des Innerenergeben, welches das Meisterstck der Liebe und Macht Gottes ist. Gem dem Zeugnis desehrwrdigen, heiligen Kirchenlehrers Johannes vom Kreuz, auf den ich mich schon bezogenhabe, tut Gott ungleich mehr, den Menschen zu reinigen und umzugestalten, als Er getan hat,ihn zu erschaffen. Was ich hier vorbringe, kann man sowohl im Gesamtzusammenhang derWeltordnung betrachten, als auch in seiner eigentmlichen Bedeutung fr die Seele.

    Gottes Fiat* (lat., Es werde) hat alle Geschpfe aus dem Nichts ins Dasein hervorgerufen.Es war aber der Tod eines Gottes ntig, um sie wieder herzustellen, von ihrem Schmutz zureinigen, sie neu zu gestalten und geheilt wieder einzugliedern in die gttliche Ordnung undHerrlichkeit.

    Kurze Auszge

    Worte von Madame Guyon

    *

    Vollkommene Liebe erwgt keine eigenschtige Interessen.

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    *

    Gott nichts vorzuenthalten ... nichts zu rauben ... nichts von Ihm abzulehnen ... nichts von Ihmzu verlangen ... das ist groe Vollkommenheit.

    *

    Viele sind bereitwillig, das Kreuz zu tragen, aber kaum findet sich ein einzelner, der auch dieEntblung und Verchtlichmachung zu tragen bereit ist.

    *

    Wenn das Herz einer Seele auerordentliche Treue darin beweist, alle Gaben Gottesaufzugeben, um Gott selbst nherzukommen, so wird Gott ein groes Vergngen daranfinden, auf sie eine geradezu verschwenderische Flle von solchen Gnaden herabregnen zulassen, die sie nicht begehrt hatte.

    *

    Die Seele, die in ihr Zentrum eingegangen ist, erstarkt innerlich so sehr, da sie fortan nichts

    von auen Kommendes mehr frchtet.

    *

    Die unaufhrliche Liebesabsicht Gottes besteht darin, die Seele in der Vereinigung mit Ihmzur vollkommenen Strkung zu fhren, da sie nun keine der Schwachheiten mehr erleidet,von denen der Anfnger sich allenthalben umringt sieht, der durch die in ihm noch schwacheWirksamkeit der Gnade vielfache Aufstiege und Niederlagen erfhrt.

    *

    Ein ueres Kreuz ist eine geringfgige Sache, wenn es von keinem inwendigen Kreuzbegleitet wird. Das inwendige Kreuz aber erhht die gleichzeitige Gegenwart eines ueren

    Kreuzes um ein Vielfaches. Wohin die Seele sich auch wendet und blickt, so vermag sie dochauf allen Seiten nur das Kreuz zu erkennen. Und doch ist dieses Kreuz niemand anders als derGeliebte in der Gestalt und Verhllung eines Kreuzes. Euer Herr ist euch niemalsgegenwrtiger als gerade in diesen Seelenzustnden der Trostlosigkeit. Whrend dieser Zeitwohnt Er im Allerinnersten eurer Herzen.

    *

    Der Herr bedient sich oft des unscheinbaren Aussehens seiner Auserwhlten, um andere inihrer Selbstgengsamkeit zu erschttern ... sogar diejenigen, die schon Anteil an dengeistlichen Gnaden dieser erwhlten Seele genossen haben. Als Folge geschieht es auch oft,da solche sich von ihr abwenden, nachdem Gott durch sein auserwhltes Werkzeug die

    beabsichtigten Wirkungen in ihrem Leben hervorrufen konnte.

    *

    Es gibt Geheimnisse in unserem Herrn und seinen Ratschlssen, die nur angemesseneingeschtzt werden knnen, wenn man sie fr himmelweit ber allen Lobpreis erhobenerklrt.

    *

    Alle Lebenswirkungen Gottes im Inneren eurer Seele haben zwei Zielvorrichtungen: Zumeinen reinigt Er die von der Bsartigkeit und Verdorbenheit ihrer gefallenen Natur. Zumandern soll das ganze Innenleben die Seelenwelt an sich in Gott zurckgebracht werden.

    Sie soll so kristallrein und lichtklar wiederhergestellt werden, wie es auf dieser anderen Seitedes Falles nur mglich sein wird.

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    *

    Ich habe beobachtet, da fortgeschrittenen Seelen zuweilen etwas berraschendes widerfhrt.Whrend der Nachtruhe im Schlaf scheint Gott noch ungleich machtvoller in ihnen zu wirken,als whrend des Tages.

    *Eine Seele, die auf ihren Gott harrt auch wenn ihr usseres wie abgettet, betubt undgelhmt erscheint, ihr Krper wie im tiefen Schlaf versunken ist bewahrt doch im Herzenunvernderlich eine geheime und verborgene Lebenskraft, die diese Seele im Stande derVereinigung mit Gott erhlt.

    *

    Es gibt keine Winterzeit mehr fr die Seele, die vollkommen in Gott eingegangen ist. DieJahreszeit dort ist aus den anderen drei Jahreszeiten in eins zusammengefgt. Wenn die Seeleihren inneren Winter erreicht hat, hat sie bereits alle anderen Jahreszeiten des geistlichenLebens durchwandert. Daraufhin tritt sie in eine immerwhrende Jahreszeit ein, in der

    Frhling, Sommer und Herbst gleichzeitig eins sind. Die Milde des Frhlings schliet dieInbrunst des Sommers und den Fruchtreichtum des Herbstes nicht aus. Die Gluthitze desSommers beeintrchtigt nicht die Lieblichkeit des Frhlings noch den berfluss des Herbstes.Die Frchte des Herbstes bilden kein Hindernis fr das Freudegefhl des Frhlings und dasinnige Brennen des Sommers. O glckseliges Land. Glckerfllt sind alle, die dich besitzendrfen.

    *

    Wenn eine Seele es wagt, auf dem Weg zur Vereinigung mit der Gottheit voranzuschreiten,mu sie wesenstief davon berzeugt sein, da Gott ihr Alles ist und sie selbst nichts. Bei

    jedem Schritt vorwrts darf sie nichts als Abscheu und Hass fr ihre Ichnatur empfinden,wobei ihre ganze Ehrfurcht und ihr ganzes Liebesvermgen Gott allein zugewandt bleibenmu. So wird sie die Vereinigung erreichen.

    *

    In gleicher Weise, wie Gott in Jesus Christus regiert, regiert Christus in allen gelutertenHerzen. In ihnen findet Er nichts mehr vor, was Ihm widerstrebt oder sich Ihm offenentgegenstellt. Dieses Allerinnerste in uns sehen wir als ein Knigreich an, das uns zuTeilhabern seiner knigsherrschaftlichen Besitztmer macht. Wie der Vater dem Herrn Jesusein Knigreich bereitet hatte, und die Herrlichkeit seines Knigreichs nun mit seinem Sohnteilt, so gibt sein Sohn auch uns in gleicher Weise Anteil an der Flle seiner Besitztmer.

    *Wenn die Seele zur Vollkommenheit, zur Reifegestalt gelangt ist, in einer Gottverbundenheit,die durch keinerlei Vorkommnisse im ueren mehr unterbrochen werden kann, so sind auchihre Lippen durchtrnkt von dem Lobpreis, der diesem Stand entspricht. Die wundervolleHarmonie zwischen dem Wort in der Stille ihres Geistes und der uerlich vernehmbarenSprache ihres Krpers bildet die Vollendungsreife des Lobpreises.

    *

    Auch in der gegenwrtigen Zeit gibt es Mrtyrer, aber es sind Mrtyrer des Heiligen Geistes.Ich meine damit das Leiden derjenigen, die freimtig bezeugen, da die Herrschaft desHeiligen Geistes in den Seelen der Menschen begonnen hat, und die insbesonders dafr zuleiden haben, da sie ihre persnliche und vollstndige Abhngigkeit von seiner gttlichenGegenwart und seiner Salbung bezeugen. Das ist die Verkndigung der lauteren Liebe, dieLehre von der Heiligung und der Inwohnung des Heiligen Geistes. In allem ist Er das Leben

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    unseres Lebens.

    *

    Jene Seelen, die dem Willen Gottes blindlings zu gehorchen gebt sind, werden von Ihm dazugebraucht, anderen auf dem inneren Weg Hilfe leisten zu knnen. Man sieht ein, da Gott

    einen Menschen, der nichts mehr zu verlieren hat und auch keine ngste mehr in Bezug aufsich selbst hegt, wunderbar dazu einsetzen kann, andere in das Zentrum und in die Tiefeseines Willens einzufhren. Diejenigen aber, die von ihrem Selbstleben noch allzueingenommen sind, vermgen solche Aufgaben begreiflicherweise nicht auszufhren. Wennich an anderer Stelle gesagt habe, da die gefrderten Seelen im Umgang mit andern keineGnaden zurckhalten, so meine ich damit, da sie nichts von dem zurckhalten, was Gott zudiesem speziellen Zeitpunkt wnscht. Er erlaubt uns auch oftmals nicht, einer andern Seelesofort in vollem Umfang die Dinge aufzuzeigen, die ihr persnlich fr ihr Wachstum imgeistlichen Leben hinderlich sind. Wir drcken uns dann lediglich in allgemeinen Begriffenaus, weil sie mehr noch nicht ertragen knnte. Und wenn wir auch zuweilen harte Wahrheitensagen mgen, wie Christus es zu Kapernaum tat, so vermag der Herr dennoch den andern die

    Gnade zu schenken, unsere Worte innerlich zu verkraften.*

    Es gibt einige Seelen, die mir groe Schmerzen bereiten. Es sind selbstschtige Seelen,angefllt mit Kompromissen und berechnenden Erwgungen. Sie mchten, da sich alleanderen stndig ihnen und ihren Geneigtheiten anpassen. Wegen ihrem Eigengesuch sehe ichmich auerstande, ihnen irgendeine geistliche Gnade auszuteilen. Sobald ich es versuche, hltmich eine mchtigere Hand als die meine zurck. Ich kann einer solchen Person in meinemHerzen nicht mehr Platz einrumen, als Gott ihr einrumt. Ich vermag mich weder ihremoberflchlichen Zustand anzugleichen, noch kann ich ihre gefhlsreichen Beteuerungen vonFreundschaft erwidern. Sie verursachen mir ein inneres Empfinden der Widerwrtigkeit.

    *

    Die Liebe, die in meinem Herzen wohnt, ist keine naturhafte Liebe. Sie steigt hervor aus einerTiefe des gttlichen Grundes, der alles abstt, was nicht im Wesenskern mit Ihmbereinstimmt, d.h. was nicht im Gleichklang mit dem Herzen Gottes ist.

    *

    Ich kann nicht mit einem Kind zusammen sein, ohne es zrtlich zu liebkosen, noch mit einerkindlichen Seele, ohne herzliche Zuneigung zu ihr zu empfinden. Ich sehe dabei nicht auf dieuere Erscheinung, sondern vielmehr auf den inneren Stand der Seele, auf dieVerwandtschaft ihres Geistes mit Gott und ihre Hinneigung zum gottgeeinten Leben. Die

    einzig vollkommene Vereinigung ist die Vereinigung der Seelen in Gott. Von gleicherWesensbeschaffenheit wird auch die Ordnung der Dinge in den Himmeln und auf Erden sein,nachdem das Auferstehungsleben seine volle Kraft in den Seelen der Glubigen entfaltet hat.

    *

    Ein Schatten ist niemals grer und tiefer, als wenn das Licht am schwchsten ist. So sind jene Glubigen in ihren eigenen Augen immer dann am grten, wenn sie vor Gott amkleinsten sind.

    *

    Das innere Leben und die berformung des menschlichen Willens mit dem Willen Gottes ist

    ein Gebiet, in das Menschen nicht eindringen sollten. Dieses Gebiet ist nur fr diejenigen, dieGott erwhlt und durch seinen Geist tiefgreifend vorbereitet hat. Aber genau das wirft oft einProblem auf. Solche, die heihungrig die Erstlingsfrchte der gttlichen Vereinigung in ihrem

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    Leben erwarten und dann schlielich vom allmchtigen Herrn in groer Gnade angerhrtwerden , tragen pltzlich berbordend das Verlangen in sich, diese Gnade mit jedem anderenzu teilen, und mglichst niemanden ber ihre Erfahrungen in Unkenntnis zu lassen. Einesolche Seele erkennt nicht, da sie ihre geringe Gnadenerfahrung ganz freimtig an alleausteilt, obwohl sie zunchst nur ihr allein und ganz persnlich von Gott zugedacht war. Sie

    hat also das heilige Geistesl, das in ihre eigene Lampe gegossen war, zu frh vertan. Sie wirdbald empfinden, da nichts zurckgeblieben ist. Die Umsichtigen aber werden ihr l sorgsambewahren, bis sie in die Kammern des Brutigams eingefhrt worden sind. Erst dannvermgen sie von ihrem l segnend mitzuteilen, weil das Lamm das Licht in ihnen ist, dasdurch sie leuchtet.

    *

    Der entblte Glaube und die vllige berlassung knnen mit den beiden Cherubinenverglichen werden, die mit ihren Flgeln die Bundeslade bedecken. Der Glaube umgibt dieSeele schtzend und hindert sie daran, sich selbst zu prfen und einzustufen, oder etwas ihrWiderstrebendes zu betrachten. Auf der andern Seite wird die Seele durch die berlassung in

    Gott geborgen und von der Selbstbespiegelung abgezogen. Dadurch kann sie ihren eigenenVerlust oder Gewinn nicht sehen, so da sie sich blindlings Gott anzuvertrauen lernt. Soschauen der Glaube und die berlassung gegenseitig ihre Angesichter, wie die Cherubine, diedie Bundeslade beschirmen. So wie der eine nicht ohne den andern sein kann, so notwendigsind Glaube und berlassung in einer ausgewogenen Seele. Der Glaube entsprichtvollkommen der berlassung, whrend sich gleicherweise die berlassung dem Glaubenergibt.

    *