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8 9 GESCHICHTE DER VOLKSBANK Erster eigener Standort für den Vorschussverein Rastatt: Die Poststraße 4 unweit des Schlosses ist seit 1905 Bankgebäude. Bürgermeister Ludwig Sallinger. Die liberale Mehrheit im Badischen Landtag konnte mit wohlwollender Unterstützung durch den Großherzog Friedrich I. in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Reformgesetzen verabschieden, die Gesell- schaft und Wirtschaft des Großherzogtums Baden grund- legend veränderten und zu Auslösern eines rasanten ökonomischen Wandels wurden, in dessen Verlauf sich Baden bis 1914 von einem Agrarstaat zu einem moder- nen Industrieland entwickelte. Insbesondere das Gewer- begesetz von 1862 löste die einzelnen Branchen aus den Fesseln der mittelalterlichen Zünfte. Die Gewerbefreiheit steigerte die Nachfrage nach Kapital, dem Brenn- und Schmierstoff jeder wirtschaftlichen Entwicklung, enorm. So ist es kein Zufall, dass im deutschen Südwesten in diesen Zeiten eine Reihe von Banken oder bankähnlichen Einrichtungen entstanden. Häufig organisierten diese sich nach dem genossenschaftlichen Prinzip, wie es Franz Her- mann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen wenige Jahre zuvor begründet hatten. Nach den Prinzi- pien der Selbsthilfe, der Selbstverantwortung und der Selbstverwaltung und mit dem wesentlichen Zweck der Kapitalansammlung und der Kreditgewährung für breite Schichten der Bevölkerung gründeten sich auch innerhalb eines kurzen Zeitraums in Rastatt und Baden-Baden Vor- schussvereine. ERSTER VORSCHUSSVEREIN IN MITTELBADEN Dass der im Dezember 1867 gegründete Vorschussverein Rastatt die Ehre für sich in Anspruch nehmen kann, als erster auf der mittelbadischen Bühne präsent gewesen zu sein, hängt zweifelsohne mit der großen Unterstüt- zung zusammen, die er bei seiner Gründung durch die lokale Politikprominenz erhielt. Von keinem Geringeren als dem Rastatter Bürgermeister Ludwig Sallinger kam die Anregung zur Gründung, und Sallinger war es auch, der als erster Ausschussvorsitzender wirkte. Dies stattete den neuen Verein nicht nur mit Reputation und Solidi- tät aus, sondern bescherte ihm auch schon in der An- fangsphase eine erstaunlich hohe Mitgliederzahl. Auch das Geschäftsvolumen des Vorschussvereins stieg rasch, nicht zuletzt aufgrund einer frühen Expansion mit der Gründung erster Zweigvereine in Rotenfels (Januar 1869), Durmersheim (Mai 1869) und Oberweier (Januar 1870). 150 JAHRE VOLKSBANK DIE GESCHICHTE EINER REGIONALBANK

Bürgermeister Ludwig Sallinger. - Volksbank Baden … · 2017-08-26 · hatte der weitere Ausbau der Murgtal-Bahnstrecke bele- ... Baden-Oos Kasernen gebaut wurden und die Grenzbe-festigung

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Erster eigener Standort für den Vorschussverein Rastatt: Die Poststraße 4 unweit des Schlosses ist seit 1905 Bankgebäude.

Bürgermeister Ludwig Sallinger.

Die liberale Mehrheit im Badischen Landtag konnte mit

wohlwollender Unterstützung durch den Großherzog

Friedrich I. in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts eine

Reihe von Reformgesetzen verabschieden, die Gesell-

schaft und Wirtschaft des Großherzogtums Baden grund-

legend veränderten und zu Auslösern eines rasanten

ökonomischen Wandels wurden, in dessen Verlauf sich

Baden bis 1914 von einem Agrarstaat zu einem moder-

nen Industrieland entwickelte. Insbesondere das Gewer-

begesetz von 1862 löste die einzelnen Branchen aus den

Fesseln der mittelalterlichen Zünfte. Die Gewerbefreiheit

steigerte die Nachfrage nach Kapital, dem Brenn- und

Schmierstoff jeder wirtschaftlichen Entwicklung, enorm.

So ist es kein Zufall, dass im deutschen Südwesten in

diesen Zeiten eine Reihe von Banken oder bankähnlichen

Einrichtungen entstanden. Häufig organisierten diese sich

nach dem genossenschaftlichen Prinzip, wie es Franz Her-

mann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen

wenige Jahre zuvor begründet hatten. Nach den Prinzi-

pien der Selbsthilfe, der Selbstverantwortung und der

Selbstverwaltung und mit dem wesentlichen Zweck der

Kapitalansammlung und der Kreditgewährung für breite

Schichten der Bevölkerung gründeten sich auch innerhalb

eines kurzen Zeitraums in Rastatt und Baden-Baden Vor-

schussvereine.

erster VOrschussVerein in MittelbaDen

Dass der im Dezember 1867 gegründete Vorschussverein

Rastatt die Ehre für sich in Anspruch nehmen kann, als

erster auf der mittelbadischen Bühne präsent gewesen

zu sein, hängt zweifelsohne mit der großen Unterstüt-

zung zusammen, die er bei seiner Gründung durch die

lokale Politikprominenz erhielt. Von keinem Geringeren

als dem Rastatter Bürgermeister Ludwig Sallinger kam

die Anregung zur Gründung, und Sallinger war es auch,

der als erster Ausschussvorsitzender wirkte. Dies stattete

den neuen Verein nicht nur mit Reputation und Solidi-

tät aus, sondern bescherte ihm auch schon in der An-

fangsphase eine erstaunlich hohe Mitgliederzahl. Auch

das Geschäftsvolumen des Vorschussvereins stieg rasch,

nicht zuletzt aufgrund einer frühen Expansion mit der

Gründung erster Zweigvereine in Rotenfels (Januar 1869),

Durmersheim (Mai 1869) und Oberweier (Januar 1870).

150 Jahre VOlksbank DIE GESCHICHTE EINER REGIONALBANK

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Das Holland-Hotel um 1940.

War für mehr als sechs Jahrzehnte das Domizil des Vor-schussvereins und der späteren Vereinsbank Baden-Baden: Das 1892 neu von der Bank errichtete Gebäude in der Gernsbacher Straße 23.

1869 Frühe Expansion

Der Rastatter Verein verstand sich von Anfang an als Einrichtung für den gewerblichen Mittelstand im mittel-

badischen Raum. Zu den ersten Genossen zählten daher Selbstständige wie der Schreiner Ludwig Burbach aus

Rastatt, der Niederbühler Hirschwirt Wenzel Blödt, Freiberufler wie der Rastatter Chirurg Ambros Wieber, aber

auch Persönlichkeiten aus Iffezheim, Ötigheim und Niederbühl. So war es nur ein konsequenter Schritt, schon früh

die Errichtung von Zweigvereinen im Amtsbezirk ins Auge zu fassen und damit eine gewisse Marktabdeckung

zu erreichen. 1869 gründete sich in Rotenfels ein Filialverein, der auch für die Dörfer Bischweier, Oberweier und

Gaggenau zuständig war, und im selben Jahr ein Verein in Durmersheim, der die untere Hardt abdecken sollte.

Wie erfolgreich diese Strategie war, erkennt man nicht nur an den steigenden Mitgliederzahlen der gesamten

Genossenschaft, sondern auch an deren regionalen Verteilung. Im Juli 1869 verteilten sich die 421 Mitglieder wie

folgt: 201 Rastatt, 79 Rotenfels, 41 Durmersheim, 10 Bietigheim, 2 Elchesheim, 2 Förch, 5 Hügelsheim, 4 Iffez-

heim, 3 Kuppenheim, 2 Lichtenau, 6 Muggensturm, 12 Niederbühl, 2 Bischweier, 22 Oberweier, 10 Ötigheim, 3

Ottersdorf, 2 Plittersdorf, 6 Rauental, 2 Steinmauern, 5 Söllingen, 1 Sandweier, 1 Wagshurst.

Nicht ganz so schnell entwickelte sich der im Januar

1869 gegründete Vorschussverein Baden-Baden. So ho-

norig seine Gründerpersönlichkeiten auch waren – der Ei-

gentümer des Hotel Royal, Johann Thomas Kaub, als erster

Direktor des Vereins sei hier stellvertretend genannt –, der

Vorschussverein hatte lokale Bank-Konkurrenz, gegen-

über der es sich zu behaupten galt. Wirtschaftlicher Erfolg

war also ein Muss, wollte man sich der Treue und Iden-

tifikation der Mitglieder dauerhaft versichern. Anfänglich

haperte es auch damit, musste doch manche Generalver-

sammlung mangels erschienener Mitglieder als beschluss-

unfähig festgestellt werden. Während Rastatt einen fulmi-

nanten Start hinlegte, entwickelte sich das Baden-Badener

Pendant in einem langsameren Tempo, was auch darin be-

gründet sein dürfte, dass es sich Interessenten außerhalb

Baden-Badens nur bedingt öffnete. Konnte der Rastatter

Vorschussverein im Juli 1873 schon mit 1.135 Mitgliedern

aufwarten, betrug die Mitgliederzahl des Baden-Badener

Vereins 1885 lediglich 773. Erst mit der Expansion der

Volksbank Baden-Baden in die Fläche Anfang der 60er

Jahre des vergangenen Jahrhunderts änderte sich dieses

Verhältnis der beiden benachbarten Genossenschaftsban-

ken. 1968 zählte die Volksbank Rastatt 2.562, die Volks-

bank Baden-Baden jedoch 4.227 Mitglieder.

frühe spenDen

Was beide genossenschaftlichen Einrichtungen von Be-

ginn an einte: Sie verstanden und verstehen sich nicht

ausschließlich als gewinnorientierte Unternehmen. Sie

identifizierten sich in hohem Maße mit ihrem jeweiligen

Standort und den dort lebenden Menschen. Zeichen

dieser lokalen Verwurzelung waren die schon früh von

beiden Banken praktizierte Unterstützung der jeweiligen

Bürgergesellschaft, insbesondere von karitativen, kultu-

rellen und gemeinnützigen Vereinen, Organisationen und

Gruppierungen. Schon 1889 konnten sich die Freiwilligen

Feuerwehren aus Lichtental und Badenscheuern (heutige

Weststadt) über je 100 Reichsmark freuen, die von der

Generalversammlung des Vorschussvereins genehmigt

worden waren.

Zurück zur Entwicklung der beiden Banken: Bis zur

Jahrhundertwende führte die rasch fortschreitende In-

dustrialisierung zu einer immer sichtbarer werdenden

Konjunkturüberhitzung und damit zu einer Wirtschafts-

und im Zuge dessen Bankenkrise. Die Vorschussvereine

in Rastatt und Baden-Baden kamen gut durch diese Zeit,

und die Jahre bis zum Ersten Weltkrieg waren bei leichten

Schwankungen durchaus positiv. In Baden-Baden florier-

te der Fremdenverkehr und in Rastatt und dem Murgtal

hatte der weitere Ausbau der Murgtal-Bahnstrecke bele-

bende Effekte. Weitreichend war für den Vorschussverein

Rastatt die Entscheidung, das im Rahmen einer Zwangs-

versteigerung übernommene Haus in der Poststraße 4 zu

behalten und zum Bankgebäude umzubauen. Bis heute

ist dort eine Volksbank-Filiale beheimatet.

Während und nach dem Ersten Weltkrieg wirkte sich

die Inflation stark auf die Bilanzen der Banken aus – al-

lein im Jahr 1922 verzwölffachte sich die Bilanzsumme

der Vereinsbank Rastatt. Ein Jahr später war der Höhe-

punkt der Inflation erreicht. Der Jahresumsatz der Ver-

einsbank belief sich vor der Einführung der Rentenmark

auf neun Trillionen Papiermark. Die Folgejahre überstan-

den die beiden Vereinsbanken gut – und auch die Zeit

der Weltwirtschaftskrise mit wirtschaftlichem Verfall und

extrem hoher Arbeitslosigkeit konnten die Institute dank

vernünftiger Geschäftspolitik in den Krisenjahren aus ei-

gener Kraft überstehen.

Allererste Aufzeichnung: Das Original-Protokoll zurGründung des Vorschussvereins Rastatt vom Dezember 1867.

Quelle: Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden

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1940Männergesellschaft

Als erster weiblicher Lehrling wurde im

Oktober 1940 die Tochter eines Herrn

Braunagel eingestellt. Den Kriegszeiten

und den dadurch fehlenden männli-

chen Arbeitskräften geschuldet war

auch, dass sich 1942 unter den 17 Be-

schäftigten der Volksbank Baden-Ba-

den acht Mitarbeiterinnen befanden.

Nach dem Ende des Krieges wurde dies

allerdings schnell wieder „korrigiert“.

Im Geschäftsbericht des Jahres 1953

ist zu lesen: Die Bank hat 31 Mitarbei-

ter, darunter drei Vorstandsmitglieder,

22 Angestellte, vier Lehrlinge und zwei

Boten; „weibliche Angestellte beschäf-

tigt die Bank nicht“.

Direktorenzimmer um 1907 in Rastatt.

Hotelier Johann Thomas Kaub war erster Direktor des Vorschussvereins Baden-Baden.

Ab 1933 sorgten die von der Reichsregierung eingelei-

teten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für wirtschaftli-

che Erholung und Aufschwung. Positiv wirkte sich in der

Region aus, dass Rastatt wieder eine Garnison erhielt, in

Baden-Oos Kasernen gebaut wurden und die Grenzbe-

festigung am Rhein entstand. Die Bilanzen weiteten sich

aus, die Ertragslage normalisierte sich. Ab 1933 änderte

sich allerdings auch der Tenor in den Generalversamm-

lungsprotokollen. Der totalitäre Anspruch der NS-Diktatur

hinterließ ihre Spuren auch in der Baden-Badener und

Rastatter Bank. Vorstand und Aufsichtsrat fühlten sich

bemüßigt, die Reichsregierung und deren wirtschaftli-

chen Aktivitäten in überschwänglichen Worten zu loben.

Wirtschaftlicher aufschWunG

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte für die Genossen-

schaftsbanken in der Region ein Neubeginn unter schwie-

rigen Voraussetzungen. Wie in den Gründungsjahren

ging es primär darum, die Not der Bevölkerung zu lin-

dern und Stabilität sowie wirtschaftliches Wachstum zu

fördern. Die Währungsreform 1948 mit der Einführung

der Deutschen Mark zeigte schnell positive Wirkung und

es folgten Jahre des wirtschaftlichen Aufschwungs. In

Rastatt führte die große Nachfrage nach verschiedensten

Gütern zu guten Erfolgen der etablierten Unternehmen

sowie zu einer weiteren Ansiedlung von Industrie. Handel

und Handwerk befanden sich im Aufschwung – dies galt

auch für Baden-Baden, wo es sich darüber hinaus positiv

bemerkbar machte, dass die Stadt Hauptquartier der fran-

zösischen Militärregierung wurde.

In der Folge wurden zunehmend Zahlstellen in der

Fläche eröffnet und bestehende Räumlichkeiten um-

und ausgebaut. Im Jahr des 90-jährigen Bestehens der

Volksbank Rastatt 1956 hat die Baden-Badener Bank das

Holland-Hotel am Leopoldsplatz erworben und dort ne-

ben dem Hotel ihre neue Hauptstelle eingerichtet. Damit

wurden die infrastrukturellen Voraussetzungen für die

kommenden Wachstumsjahre gelegt. Gleichzeitig hielt

immer häufiger zeitgemäße, für damalige Verhältnisse

innovative Technik Einzug: Beim Umbau des Bankgebäu-

des in der Rastatter Poststraße 4 wurde 1951 eine mo-

derne Nachttresor- und Briefabholungsanlage installiert.

So konnten Gelder nach Schalterschluss abgegeben und

Briefe abgeholt werden. Die Einführung der bargeldlo-

sen Lohnzahlungen führte zu einem sich ausweitenden

Kundenstamm, und die stetig steigende Zahl der zu bear-

beitenden Buchungsposten in den 1960er Jahren läutete

eine deutliche Schärfung des Profils und Geschäftsgebiets

der beiden Genossenschaftsbanken in Baden-Baden und

Rastatt. Die sich immer wieder überschneidenden ge-

schäftlichen Interessen beider Banken führten folgerichtig

1989 zur Fusion. Rechtzeitig konnte in diesem Jahr auch

das neu errichtete Verwaltungsgebäude am Schweigro-

ther Platz in der Baden-Badener Weststadt bezogen wer-

den. Aufgrund überhöhter Kreditrisiken und einer gleich-

zeitig sich auf die Region auswirkenden konjunkturellen

Talfahrt nahm die Volksbank Baden-Baden Rastatt in der

zweiten Hälfte der 1990er-Jahre die Solidarität der genos-

senschaftlichen Gruppe in Anspruch.

Die Jahre im neuen Jahrtausend waren geprägt von ei-

nem stetigen und gesunden Wachstum der Bank. Getra-

gen vom großen Vertrauen der Mitglieder und Kunden hat

sich die Volksbank zum Marktführer in ihrem Geschäftsge-

biet entwickelt. Die große Verbundenheit mit der Region,

ihren Unternehmen, den Menschen und Vereinen, bildet

die Basis für diesen lang anhaltenden Erfolg. Denn eines

ist unumstößlich: Die Geschichte der Volksbank wird auch

in Zukunft immer auch eine Geschichte der Region sein.

die technische Ära der Lochkartenanlagen ein. Eine ganz

besondere Idee setzte die Volksbank Baden-Baden um:

Ein Autofahrerschalter, gewissermaßen ein Bank-Drive-

in, wurde 1967 am Leopoldsplatz eingerichtet. Ohnehin

verfolgte die Volksbank ab den 1970er-Jahren in Baden-

Baden sehr innovative und außergewöhnliche Projekte.

Unter der Idee einer „Universalbank“ wurde die „actio-

nade“ eröffnet. Effekte, Sorten und Devisen, oder Gold-

und Silbermünzen zählten zum Angebot, zu dem auch

ein eigenes Café gehörte, in dem aktuelle Aktienkurse

zu verfolgen waren. Das Immobiliengeschäft mitsamt

Finanzierung wurde aufgebaut ebenso eine Reiseabtei-

lung mit eigenen actionade-Reisen. Die von der Bank

komplett organisierte Flugreise nach New York wurde

zum Verkaufshit: Allein bis 1973 flogen 20.000 Men-

schen in die amerikanische Metropole.

Mehrere Zusammenschlüsse wie etwa der Volksbank

Gernsbach mit Baden-Baden (1973) und der Raiffeisen-

bank Kuppenheim mit Rastatt (1978), der Aufbau weite-

rer Zweigstellen und der Neubau des neuen Bankgebäu-

des in der Rastatter Kaiserstraße 74 (1984) sorgten für Quelle: Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden

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Als am 11. Januar 1869 131 Männer im Hotel Hirsch den

Vorschussverein Baden und damit die Keimzelle der spä-

teren Volksbank Baden-Baden gründeten, befand sich die

Stadt an der Oos mitten in ihrer Blütezeit. In den zurück-

liegenden vier Jahrzehnten hatte sich Baden-Baden als

Kurort und gesellschaftliches Weltbad etabliert, zog ein

internationales sowie äußerst illustres Publikum an, darun-

ter Vertreter des deutschen und europäischen Adels sowie

zahlreiche Künstler. Franz Liszt wäre in diesem Zusammen-

hang zu nennen, ebenso wie Hector Berlioz, der speziell

zur Eröffnung des neu erbauten Theaters im August 1862

die Oper „Béatrice und Bénédict“ uraufführte. Untrenn-

bar mit Baden-Baden verbunden ist Johannes Brahms, der

zwischen 1865 und 1874 in den Sommermonaten einige

seiner weltberühmten Werke in Lichtental komponierte.

Clara Schumann lebte seit 1863 in Baden-Baden, und

auch Iwan S. Turgenjew hatte sieben Jahre lang seinen

festen Wohnsitz hier. Seine russischen Schriftstellerkolle-

gen Leo Tolstoi und Fjodor M. Dostojewski zog es eben-

falls immer wieder an die Oos. Beide verloren viel Geld im

Spielcasino, was sich in der Literatur niederschlug.

Wer nach den Gründen dieses beeindruckenden Auf-

stiegs eines kleinen Städtchens zur weltweit beachteten

Sommerhauptstadt Europas fragt, landet zwangsläufig

bei Jean Jacques Bénazet, der 1838 die Spielbank ge-

pachtet hatte, und dessen Sohn Edouard. Unter ihrer Re-

gie florierte nicht nur das Glücksspiel, sondern sie stellten

auch ein beachtliches kulturelles und gesellschaftliches

Programm auf die Beine. So fanden 1858 die ersten

Pferderennen in Iffezheim statt. In dieser Zeit profitier-

te Baden-Baden von den städtebaulichen Weichenstel-

lungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Stadtbaumeister

Friedrich Weinbrenner hatte das neue Bild der Stadt mit

seinem klassizistischen Baustil geprägt – das neue 1824

eröffnete Promenadenhaus (Kurhaus) gilt als Parade-

weinbrennerbau schlechthin.

Aber auch dem späteren deutschen Kaiserpaar Wil-

helm I. und Augusta verdankt Baden-Baden viel: Insbe-

sondere Augusta weilte oft und lange an der Oos, so-

dass ihre Tochter Luise den badischen Erbprinzen und

späteren Großherzog Friedrich kennenlernen konnte und

ihn 1856 heiratete. Unter Großherzog Friedrich I. erlebte

Baden-Baden eine lang anhaltende stabile Epoche wirt-

schaftlichen Aufschwungs und kulturellen Glanzes.

VOn brahMs bis ObaMa KLEINER ExKURS DER GESCHICHTE BADEN-BADENS

Das Conversationshaus mit seiner Kurpromenade war um 1896 das Zentrum der Sommerhauptstadt Europas.

Quelle: Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden

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In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden

auch prachtvolle Hotels. Zu nennen sind unter anderem

der Badische Hof, der als erstes Luxushotel gelten darf,

das Maison Messmer, das Hôtel l’Europe (der spätere Eu-

ropäische Hof), das Hôtel Stephanie-les-Bains (Brenners

Park-Hotel), das Hôtel d’Angleterre (Hotel Atlantic) und

das Hôtel de Hollande (Holland-Hotel), in dessen ehemali-

gem Speisesaal sich heute ein Bereich der Baden-Badener

Hauptfiliale der Volksbank befindet. Diese Hotels waren

auch zwingend notwendig. Zählte Baden-Baden im Jahr

1800 rund 400 Gäste, waren es 1825 schon 7.700 und

1860 knapp 47.000.

Von dieser Blütezeit im 19. Jahrhundert profitierten

auch die Handwerker. In der Chronik zum 100-jährigen

Bestehen der Volksbank Baden-Baden ist zu dieser Epo-

che nachzulesen: „Das Baugewerbe und das Handwerk

erlebten goldene Zeiten. Die Banken florierten, auch der

Vorschuß-Verein, der nach wie vor eine Domäne des Mit-

telstandes war. Und dem Mittelstand ging es gut.“

Als 1872 aufgrund des ausgerufenen Spielverbots das

Casino schließen musste und nach dem zu Ende gegan-

genen Deutsch-Französischen Krieg viele internationale

Gäste nicht mehr kamen, erinnerte sich Baden-Baden

an seine Wurzeln als römisches Soldatenbad und änder-

te seine Marketingstrategie: Die Aspekte Gesundheit,

Erholung und Kur standen fortan im Mittelpunkt. Das

Friedrichsbad wurde wieder eröffnet und zwei Jahrzehn-

te später nebenan das ausschließlich weiblichen Gästen

vorbehaltene Augustabad errichtet. 1962 wurde es ab-

gerissen. Zur Jahrhundertwende kam im Rotenbachtal

noch das weniger mondäne Landesbad, das heutige

Rheumazentrum, hinzu. Mit der Badekultur entwickelte

sich auch das sportliche Angebot: Die Gäste konnten rei-

ten, Golf spielen oder die neu angelegten Spazier- und

Wanderwege nutzen. In der Lichtentaler Allee eröffnete

1881 der erste deutsche Tennis-Club.

Die Strategie ging auf: Baden-Baden wandelte sich

erfolgreich und büßte nichts von seiner Anziehungs-

kraft auf Gäste ein. Dies zeigt auch ein Blick auf die

sich entwickelnde Verkehrsinfrastruktur. Der Mitte des

Jahrhunderts in Betrieb genommene eher bescheidene

Fachwerk-Stadtbahnhof wich in den 1890er-Jahren dem

heutigen prachtvollen Kuppelbau. Bis 1977 verband eine

Stichbahn die Innenstadt mit Baden-Oos und somit die

Kurstadt mit der Rheintalstrecke. Auch über den Luft-

weg war Baden-Baden zu erreichen: 1910 wurde in Ba-

den-Oos eine Luftschiffhalle für Zeppeline eingeweiht.

Im gleichen Jahr fuhr auch erstmalig die bis 1951 aktive

Straßenbahn. Für zehn Pfennig kam man vom Hinden-

burgplatz bis nach Lichtental.

Eines der bedeutendsten Baden-Badener Wirtschafts-

unternehmen um die Jahrhundertwende war die „Fir-

ma Fabrik Stolzenberg deutsche Bureaueinrichtungsge-

sellschaft mbH“ mit rund 500 Beschäftigten. Auf mehr

als 100 Spezialmaschinen wurden auf dem Ooser Be-

triebsgelände Holz-Büromöbel hergestellt. Und noch ein

weiteres Unternehmen verdient Aufmerksamkeit: 1909

begann in einem großen Fabrikneubau in der Innenstadt

die Produktion der seit langem etablierten Zigaretten-

marke „ABC“, der August Batschari Cigaretten. Rund

800 Beschäftigte zählte zu dieser Zeit das Unternehmen,

das in seinen besten Jahren bis zu 100 Millionen Zigaret-

ten und Zigarren monatlich herstellen sollte. Später zur

Reemtsma-Gruppe gehörend war die Batschari-Fabrik

bis in den Zweiten Weltkrieg hinein mit bis zu 2.000

Beschäftigten der größte Arbeitgeber Baden-Badens.

1905: 42 GrOsse hOtels

Der wichtigste Wirtschaftszweig Baden-Badens war aber

nach wie vor der Fremdenverkehr: Um 1905 wurden an

der Oos 42 große Hotels sowie 141 kleinere Betriebe,

Gasthäuser und Pensionen gezählt. Außerdem vermiete-

ten etwa ein Drittel aller Privathäuser Gästezimmer.

Mittlerweile hatten viele Vermögende Baden-Baden als

Wohnort entdeckt. Sie schätzten die kurzen Wege, die

Gartenanlagen, die Bäder, die Restaurants und die kultu-

relle Vielfalt mit Theater und Orchester. In diese heile Welt

platzte der Erste Weltkrieg, Baden-Baden wurde zur Laza-

rettstadt. In Sanatorien und Hotels wurden Verwundete

aufgenommen, und im Eichelgarten entstand ein großes

Baracken-Lazarett. Auch aus der Baden-Badener Bevölke-

rung wurden immer mehr Männer eingezogen, sodass die

Stadtchroniken davon berichten, dass Mitglieder des Kur-

orchesters die Straßenbahnen lenken mussten.

1923Späte Expansion

Im Gegensatz zu Rastatt verfolgte der

Vorschussverein Baden-Baden in den

ersten drei Jahrzehnten keine Expan-

sion. Er konzentrierte sich mit seinen

wirtschaftlichen Tätigkeiten lange Zeit

fast ausschließlich auf die Kernstadt

Baden-Baden. Hier war offenkundig

genug Kapital vorhanden, das angelegt

und auch im lokalen Umfeld über Kre-

dite platziert werden konnte. Die erste

räumliche Erweiterung des Geschäfts-

bereichs erfolgte erst im September

1923, als eine außerordentliche Gene-

ralversammlung die Verschmelzung der

Vereinsbank Baden-Baden mit dem seit

1912 bestehenden Kreditverein Oos ge-

nehmigte. Im Oktober 1933 übernahm

die Bank, wohl eher getrieben als ge-

wollt, die in Zahlungsschwierigkeiten

geratene Gewerbebank Lichtental. Erst

ab den 1960er-Jahren ist mit der Grün-

dung von „Zahlstellen“ in Ortschaften

des Umlandes – Sandweier, Balg, Sinz-

heim, Lichtental, im Rebland – eine stra-

tegische Expansion zu erkennen, traten

doch diese Zahlstellen teilweise in direk-

te Konkurrenz zu bereits in den Orten

bestehenden Genossenschaftsbanken.

Die Zeppelin-Luftschiffhalle im Jahr 1911, ein Jahr nach ihrer Eröffnung. In der Batschari-Zigarettenfabrik wurden in Spitzenzeiten bis zu 100 Millionen Zigaretten und Zigarren monatlich gefertigt.

Am 24. Januar 1910 fuhr erstmalig die elektrische Straßenbahn durch Baden-Baden.

Quelle: Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden Quelle: Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden

Quelle: Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden

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en Unmittelbar nach dem Weltkrieg begann eine schwie-

rige Zeit für Baden-Baden: Die Stadt musste aufgrund

veränderter Steuergesetze mit bedeutend weniger Ein-

nahmen auskommen, und rückläufige Gästezahlen ver-

schärften zusätzlich ihre Finanzsituation. Manche Hotels

mussten schließen. In der Schlussphase der Inflation

druckte die Stadt in einem Monat 9.081 Billionen Mark.

Anfang der 1930er-Jahre hatte Baden-Baden deutsch-

landweit die höchste Pro-Kopf-Verschuldung.

Nach der Machtergreifung 1933 übernahmen die Natio-

nalsozialisten in Baden-Baden alle wichtigen Ämter und

Posten. Spätestens ab dem Jahr 1937 verschärften sich

die Übergriffe auf jüdische Bürgerinnen und Bürger. Die

1899 errichtete prächtige Synagoge wurde am Tag nach

der Reichspogromnacht am 10. November 1938 vollstän-

dig zerstört. In der Folgezeit wurden zahlreiche jüdische

Bürger nach Dachau und später ins Lager Gurs in den

Hochpyrenäen deportiert.

Auch im Zweiten Weltkrieg fiel Baden-Baden die Rol-

le einer Lazarettstadt zu. Während zahlreiche badische

Städte stark zerstört wurden, blieb Baden-Baden nahezu

verschont. Am 12. April 1945 wurde Baden-Baden Haupt-

quartier der französischen Besatzungsmacht. Zahlreiche

Hotels, aber auch das Kurhaus und die Kunsthalle dien-

ten als Unterkünfte und Dienststellen für rund 30.000

Mitglieder der französischen Streitkräfte. Anfang der

1950er-Jahre entstand mit der Cité ein eigenes französi-

sches Garnisonsviertel, das sich nach dem Abzug der Fran-

zosen im Jahr 1999 zu einem komplett neuen Stadtteil mit

Wohnbebauung und Gewerbebetrieben entwickelt hat.

Ein Meilenstein für Baden-Baden war unmittelbar nach

Kriegsende die Gründung des Südwestfunks, der am 31.

März 1946 erstmalig mit einem eigenen Programm aus

dem Hotel Kaiserin Elisabeth sendete. Das Studio fand

im Speisesaal Platz, die Regie kam im Frühstückszimmer

unter und der Fernschreiber stand in einem Badezim-

mer. Als erster SWF-Neubau entstand vier Jahre später

das Musikstudio „Auf der Funkhöhe“, das heutige Hans-

Rosbaud-Studio.

In den Nachkriegsjahren kehrte schnell Normalität in der

Kurstadt ein: 1950 eröffnete die Spielbank und mit der

Wiedereröffnung der Bäder startete die erste Kursaison.

Im Kurhaus fanden in den folgenden Jahren Wahlen zur

Miss Germany statt und auch der „Sportler des Jahres“

wird dort seit 1960 gekürt.

Immer wieder rückten Besuche von Persönlichkeiten

wie Kaiserin Soraya oder politisch bedeutende Gesprä-

che wie zwischen Konrad Adenauer und Charles de

Gaulle die kleine Stadt ins Rampenlicht der Weltöffent-

lichkeit. Und daran hat sich bis heute nichts verändert,

wie der erste Staatsbesuch in Deutschland von US-Prä-

sident Barack Obama im Jahr 2010 eindrucksvoll belegt.

Obama kam im Mai 2017 noch einmal an die Oos, um im

Kongresshaus den Deutschen Medienpreis entgegenzu-

nehmen.

In den Jahren des sogenannten Wirtschaftswunders

kümmerte sich die Stadtverwaltung vermehrt um die

Ansiedlung von Unternehmen, schuf westlich der B3 ein

Industriegebiet und wies Gewerbeflächen in der Rhein-

straße aus. Bis zu zehn Bewerbungen pro Bauplatz gin-

gen ein, wobei insbesondere die Branchen Pharmazie,

Kosmetik, Textilherstellung und elektrische Kleingeräte

bevorzugt wurden.

Infrastrukturell befasste sich die Stadt immer stärker

mit Verkehrskonzepten: Es entstand der Autobahnzu-

bringer mit der als „Tausendfüßler“ bekannten Oostal-

brücke (1958). Zu Beginn der 1980er-Jahre wurde zuerst

der Schlossbergtunnel in Verbindung mit der Landesgar-

tenschau gebaut. Im Jahr 1989 konnte das Jahrhundert-

bauwerk „Michaelstunnel“ fertiggestellt werden, das es

ermöglichte, das Zentrum und den Leopoldsplatz vom

Durchgangsverkehr zu befreien.

Heute gilt Baden-Baden mit seinen rund 55.000 Ein-

wohnern nicht mehr nur als reine Kurstadt, sondern steht

insbesondere auch für bedeutende Kongresse und ein un-

gemein großes kulturelles Angebot. Neben dem Theater

und der Philharmonie sind in diesem Zusammenhang das

sich erfolgreich etablierte, 1998 eingeweihte Festspielhaus

zu nennen, das 2004 eröffnete Museum Frieder Burda so-

wie das 2009 hinzugekommene Kulturhaus LA 8.

Jahrhundertprojekt: Der Michaelstunnel wurde 1989 fertig gestellt.

Namensgebung der Genossenschaftin Baden-Baden

8.1.1869-1918

Vorschussverein Baden-Baden

1918-1942

Vereinsbank Baden-Baden eG

1943-1989

Volksbank Baden-Baden eG

1989

Volksbank Baden-Baden Rastatt eG

Im Jahr 1979 regelte noch ein Schutzmann den Verkehr auf dem Leopoldsplatz.

Quelle: Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden

Quelle: Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden

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In einem Rastatter Adressbuch findet sich erstmals 1869

unter der Rubrik „Gemeinnützige und gesellige Vereine“

auch der Vorschussverein, der mit seiner Gründung 1867

die Wurzel der heutigen Volksbank Baden-Baden Rastatt

darstellt. 200 Mitglieder sind damals registriert und das

Institut hatte sich schnell in der Stadt an der Murg eta-

bliert, die seit der ersten urkundlichen Erwähnung 1084

so manchen kriegerischen Sturm erlebt hatte. Man den-

ke dabei an die kriegerischen Auseinandersetzungen mit

Frankreich und hier insbesondere an den August 1689, als

Rastatt von Truppen Ludwig xIV. bis auf die Bernhardus-

kirche komplett zerstört wurde.

Damit lag nicht nur das kulturelle, sondern auch das

wirtschaftliche Leben brach. Wie schon das Rastatter

Stadtwappen mit der Weinleiter darauf hinweist, war im

Mittelalter hier der Umschlagplatz für Wein aus dem El-

sass und Salz aus Württemberg. Dazu kam auch die Sta-

tion für die Flößerei, wobei Schwarzwaldstämme über

Murg und Rhein bis Holland transferiert wurden. Zwi-

schen 1705 und 1771 war Rastatt mit dem prächtigen

Residenzschloss die Hauptstadt Badens. Was herausra-

gende wirtschaftliche Betriebe betraf, so gab es ab 1774

die Vorzeigeproduktion mit Metallwaren der Gebrüder

Johann und Benjamin Schlaff, eine „Stahl- und Kutschen-

fabrik“ (bis 1828). Dann kam nach 1815 der Entschluss

des Deutschen Bundes, in Rastatt eine große Festungs-

anlage gegenüber Frankreich zu errichten. Das lähmte bis

1890 die wirtschaftliche Entwicklung Rastatts in den Jah-

ren der andauernden Industriellen Revolution. Unbeein-

druckt davon zeigte sich die Bankiersfamilie Meyer, deren

Mitglied Joseph sich 1869 im Vorstand des neu gegrün-

deten Vorschussvereins als Kassier engagierte.

In Rastatt hatte der ab 1842 realisierte Festungsbau

Auswirkungen auf das gesamte Leben in den umgeben-

den Wällen. Positive Effekte spürten die Wirtshäuser,

denn es gab im Jahr 1869 immerhin 21 Brauereien und

fast 60 Gastwirtschaften, in denen sich vor allem die Sol-

daten trafen. Eine beeindruckende Zahl bei gerade ein-

mal 6.000 Einwohnern.

VerkehrsknOtenpunkt für tr anspOrte

Allerdings nur wenige Firmen, wie die noch heute exis-

tierende Metallwarenhandlung Heydt, profitierten vom

Militär. „Rastatt ist die Festung und das ist Badens Glück“

heißt es im Badner Lied. Aber das „Glück“ kommt erst

nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71.

Rastatt war durch die Fertigstellung des ersten Abschnitts

der Murgtalbahn 1869 zum Knotenpunkt für Transporte

in und aus dem wirtschaftlich aufblühenden Schwarz-

waldtal geworden, und durch die Entfestigung lockerte

sich das einer weiteren Entwicklung bisher im Wege ste-

hende Korsett. Schlagartig schnellte auch der Bierabsatz

der Rastatter Großbrauereien Streib, August Hatz und Carl

Franz nach oben. Nicht zuletzt deshalb, weil sich auch im

bis 1919 deutschen Elsass viele durstige Kehlen fanden,

die zu den Soldaten der Garnison dazukamen.

rastatt iM WanDel Der ZeitDER WIRTSCHAFTLICHE AUFSCHWUNG EINER GARNISONSSTADT

Stadtansicht um 1850.

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Nach 1890 erkannten der Militärzubehörhändler Adolf

Niederbühl und der Gemeinderat mit Bürgermeister Alf-

red Bräunig an der Spitze, dass die Stadt hinsichtlich Ge-

werbeansiedlung aktiv und Firmen der Standort Rastatt

schmackhaft gemacht werden müsste. Ein Höhepunkt

diesbezüglich war die erste Gewerbe- und Industrieaus-

stellung von 1901. Den Organisatoren gelang im Bereich

des Paradeplatzes hinter dem historischen Rathaus eine

Schau, die in ganz Baden Beachtung fand. Eingebettet

in diese Ausstellung war der 33. Verbandstag der „Cre-

ditgenossenschaften“, den der Vorschussverein Rastatt

gelungen organisierte.

Zaghafte wirtschaftliche Anfänge hatte es schon nach

1871 gegeben, als die Glockengießerei Schwaiger und

die bald europa- und weltweit agierenden Herdfabriken

„Stierlen & Vetter“, sowie „Unkel, Wolff & Zwiffelhofer“,

gegründet wurden. 1890 hatte Rastatt cirka 7.600 Ein-

wohner und die Zahl der Arbeitsplätze nahm stetig zu.

Auch ein Industriegebiet in Richtung Rauental bot einen

besonderen Anreiz für neue Industrieansiedlungen. Es

entstanden Firmen wie „Mayer & Grammelsbacher“ (Dia-

na-Gewehre), die Rollen- und Metallwarenfabrik Woerner

& Co., die „Süddeutsche Möbelindustrie“ der Gebrüder

Trefzger, die „Birnbaum-Furnier-Sägerei“ Loeffler, die

Eisengießerei Lehmann, die

Kartonagenfabrik von „Drey-

fuß & Roos“, die Schuhfabrik

„Samuel Weil & Söhne“,

die große, 1897 errichtete

Waggonfabrik, die Kupferhüt-

te Fahlbusch, die Werkzeug-

fabrik Reishauer oder die

Fabrikation der Thales-Re-

chenmaschine, um nur eini-

ge zu nennen. So verdoppelte

Rastatt in kurzer Zeit seine Ein-

wohnerschaft und zählte 1900 fast 14.000 Einwohner,

davon fast 5.000 Soldaten. Kurios waren die konkreten

Planungen für einen Rastatter Rheinhafen, die nach 1913

wieder verworfen wurden.

Der Erste Weltkrieg kostete nicht nur zahlreiche Opfer

in der Bevölkerung der Frontstadt, sondern schuf durch

den Versailler Vertrag eine vollkommen neue Si-

tuation – auch für Rastatt. Sie wurde wieder

Grenzstadt zu Frankreich und lag plötz-

lich in der entmilitarisierten Zone,

Im Juni 1901 fand der 33. Verbandstag der Spar- und Vorschussvereine in Rastatt statt.

Auf dem Höhepunkt der Inflation: Rastatter Notgeld.

die über 50 Kilometer auf beiden Rheinseiten eingerich-

tet wurde. Viele Unternehmen, wie etwa das von Adolf

Niederbühl, aber auch mehrere Gastwirtschaften mussten

in Folge des Kriegs aufgeben.

Die permanente Geldentwertung führte 1923 zur Hy-

perinflation. Rastatter Notgeld mit Nominalen von fünf bis

100 Milliarden wurde gedruckt und ausgegeben, wobei

ein Brot im Oktober 1923 eine halbe Billion kostete. Dies

entsprach später einer Rentenmark. Trotz wirtschaftlich

schwieriger Zeiten kam es in den Jahren der Weimarer Re-

publik auch zur Niederlassung einiger weiterer Unterneh-

men in Rastatt. Dazu gehörte im Dörfel eine Dependance

der Ernst Leitz-Werke aus Wetzlar. Zudem etablierten sich

die Akkumulatorenfabrik BERGA, die Fabrik für Tapeten

und Buntpapiere, WEROLA, und das Unternehmen basi

von Gründer Heinrich Schöberl.

Trotzdem stieg auch in Rastatt in dieser Zeit die Ar-

beitslosigkeit stark an und unübersehbar war, dass rechte

Gruppierungen großen Zuwachs erfuhren. Für jüdische

Unternehmer, die lange das Rastatter Wirtschaftsleben

mitgeprägt hatten, wurde es spätestens ab dem 1. April

Namensgebung der Genossenschaft in Rastatt

13.12.1867-1871

Vorschussverein Rastatt

Januar 1871

Umwandlung in eine Genossenschaft

aufgrund des Badischen Genossenschafts-

gesetzes

1911-1942

Vereinsbank Rastatt eG

1942-1989

Volksbank Rastatt eG

1989

Volksbank Baden-Baden Rastatt eG

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1933, dem so genannten „Boykotttag“, immer schwie-

riger in der badischen Stadt. Diese Situation sollte sich

bis zum 9./10. November, der Reichspogromnacht, noch

zuspitzen. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs

wurden fast alle jüdischen Mitbewohner Rastatts ins In-

ternierungslager Gurs deportiert und mussten dort ein

schlimmes Schicksal ertragen.

Der Krieg stoppte die wirtschaftliche Entwicklung in

Rastatt, und im März 1940 sowie im Januar 1945 kam es

zu schweren Bombenangriffen, die viele Zivilopfer forder-

ten. Als Rastatt am 13. April 1945 kapitulierte, war etwa

ein Drittel der Stadt zerstört. Nach dem 8. Mai 1945 lag

Rastatt in der französischen Zone, und im Ahnensaal des

Schlosses tagte das „Tribunal Général“ und hielt Kriegs-

verbrecherprozesse ab. Ab 1948 ging der Wiederaufbau

Rastatts zügig voran, wobei viel Wohnraum neu geschaf-

fen wurde.

Im Zuge des Wirtschaftswunders der neuen Bundes-

republik gab es auch in Rastatt einen erheblichen wirt-

schaftlichen Aufschwung und bald verdoppelte sich in

der Großen Kreisstadt die Zahl der Einwohner. Neubau-

gebiete wurden erschlossen, so im erweiterten Zay, am

Röttererberg, im Münchfeld und in der Friedrichsfeste.

Neue Industriewerke kamen hinzu, zum Beispiel die

Rastatter Kunststoffwerke RAKU, die Automatenfabrik

ABA, Schaub-Lorenz und die neuen Verlagshäuser von

Greiser und Erich-Pabel. Durch Flüchtlinge aus der DDR,

später Aussiedler aus dem zerfallenen Ostblock und

Gastarbeiter, die in Rastatt ansässig wurden, entstand

eine sehr gemischte Bevölkerungsstruktur. Durch die

Verwaltungsreform anfangs der siebziger Jahre wurden

Niederbühl mit Förch, Ottersdorf, Plittersdorf, Rauental

und Wintersdorf eingemeindet. Rastatt wurde 1973 Sitz

des neuen Landkreises.

MerceDes -benZ in r astat t

Ein wirtschaftlicher Meilenstein war die Ansiedlung von

Mercedes-Benz in der Rastatter Rheinaue in den 1970er-

Jahren. Begonnen wurde mit einer Härterei und der Pro-

duktion von Getriebeteilen. Nach 1983 wurden Schalt-

getriebe produziert. 1992 begann eine weitere Ära, als

nach dem „Rastatter Ökokompromiss“ mit den Umwelt-

verbänden ein PKW-Montagewerk gegründet wurde.

Zunächst wurde die E-Klasse in Rastatt produziert, und

seit 1997 gilt das Werk mit der Produktion der A-Klasse

als die Wiege der Kompaktfahrzeuge der Marke mit dem

Stern. 2011 kam die B-Klasse hinzu und 2013 der GLA.

Heute bietet das Werk mehr als 7.000 Arbeitsplätze.

Rastatt selbst hat 2017 eine steigende Bevölkerungs-

tendenz bei mehr als 49.000 Einwohnern. Sie unterhält

fünf Städtepartnerschaften – Fano (Italien), New Britain

(USA), Ostrov (Tschechien), Orange (Frankreich), Woking

(Großbritannien) – und legt großen Wert auf kulturellen

Austausch. So hat Rastatt auch eine viel beachtete Städ-

tische Galerie, die 1990 eingeweihte BadnerHalle, und

seit 1993 findet alle zwei Jahre das größte Straßenthea-

terfestival Deutschlands, das „tête-à-tête“, statt.

1870Professionalisierung

Je erfolgreicher der neue Vorschuss-

verein Rastatt am Markt agierte,

desto mehr nahm der Geschäftsum-

fang zu. Die Intention der Gründer,

die Bankaktivitäten weitgehend über

ehrenamtliches Engagement zu be-

wältigen, stieß bald an ihre Grenzen.

Im Mai 1870 kündigte der Rastatter

Vereinskassier Meyer seinen Rücktritt

zur nächsten Generalversammlung

an, da das Ehrenamt im Vorschuss-

verein ihn derart in Anspruch nehme,

dass sein eigenes Geschäft, Grundla-

ge seiner wirtschaftlichen Existenz,

darunter leide. Ähnliches berichtete

auch der Vereinssekretär Premm. Die

Lösung dieses Problems lag auf der

Hand und wurde von der Generalver-

sammlung umgehend beschlossen:

Ein Drittel des jährlichen Reingewinns

wurden für die Entlohnung von Kas-

sier und Sekretär bereit gestellt, wo-

von der Kassier wiederum zwei Drit-

tel erhielt, der Sekretär ein Drittel.

Die als „Lobberle“ bezeichnete Stadtbahn an der Ecke Kaiser- und Kapellenstraße.

1871 Vereinsdiener

Weitgehend im Hintergrund agierte der jeweilige Vereinsdiener. Er öffnete und verschloss die Kassenräume,

überwachte die technischen Anlagen, sorgte für die Sauberkeit im und vor dem Bankgebäude, übernahm

die Verteilung von Einladungen und Bekanntmachungen, war im Grunde genommen unentbehrlich für den

reibungslosen Ablauf der Bankaktivitäten. Entsprechende Anerkennung erfuhr diese Funktion im Innenleben

der Bank. Der Rastatter Vereinsdiener Ludwig Mayer erhielt 1871 die respektable Summe von 75 Gulden Jah-

resgehalt und damit fast ein Drittel dessen, was der Vereinssekretär als Geschäftsführer des Unternehmens

verdiente (250 Gulden). Seinem Baden-Badener Kollegen Wilhelm Noffaier genehmigte der Vorstand im Jahre

1905 die Anschaffung einer Dienstuniform als äußeres Zeichen seiner Wichtigkeit und zwei Jahre später die

Anschaffung eines Dienstfahrrads, das mit 130 Reichsmark zu Buche schlug.

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Der Vorschussverein Rastatt war noch kein Jahr alt, da

startete in rasantem Tempo ein Infrastrukturprojekt, das

zweifelsohne als Meilenstein für die Erschließung und

den Aufschwung des gesamten Murgtals angesehen

werden kann: Im August 1868 begannen die Arbeiten

an der Bahnstrecke von Rastatt bis ins obere Murgtal.

Ungemein schnell kam der erste Streckenabschnitt voran.

Nach gerade einmal einem halben Jahr wurde Gernsbach

erreicht – und damit war die wichtigste Anbindung aus

Sicht der sich rasch entwickelnden Wirtschaft mit holz-

verarbeitender Industrie, Steinbrüchen und der aufblü-

henden Eisenwerke geschafft. Danach kam der weitere

Ausbau ins Stocken und dauerte unerwartet lange: Wei-

senbach wurde 1894 und Forbach erst 1910 an die Eisen-

bahn angebunden.

Bis es eine durchgehende Bahnverbindung von Rastatt

bis Freudenstadt, also zwischen dem Großherzogtum

Baden und dem Königreich Württemberg, geben sollte,

vergingen noch einmal 18 Jahre. Nicht zuletzt der Gerns-

bacher Unternehmer Casimir Rudolf Katz war es, der den

Vorteil für das Tal erkannte und daher den Bau der Bahn-

strecke stark vorantrieb. Dies geschah durchaus auch ei-

gennützig: Das Gernsbacher Werk „Katz & Klump“ war

eines der ersten Unternehmen, das Eisenbahnschwellen

und Telegrafenmasten herstellte.

ein tal iM WanDel DIE INDUSTRIAL ISIERUNG DES MURGTALS

Die harte Arbeit der Flößer wird auf einem Stahlstich aus dem 19. Jahrhundert anschaulich dargestellt.

1868Infrastrukturinvestitionen

Zu den ersten Geschäftspartnern des

Vorschussvereins Rastatt zählte im Som-

mer 1868 die Stadt Rastatt, die kurz-

fristig einen Überbrückungskredit von

7.000 Gulden zur Fertigstellung des

Murgtalbahnhofs benötigte. Die Ent-

scheidungswege waren kurz, die Solidi-

tät beider Partner stand außer Zweifel,

sodass das Geld innerhalb weniger Tage

zum bescheidenen Zinssatz von 4 Pro-

zent bereitstand. Der Vorschussverein

Baden-Baden wiederum zeichnete im

Sommer 1909 auf Wunsch des dortigen

Gemeinderats eine größere Menge Akti-

en zur Finanzierung der Luftschiffstation

auf dem Flugfeld in Baden-Baden-Oos.

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Im ausgehenden 19. Jahrhundert lag die Blütezeit der

über die Murg transportierten bis zu 30 Meter langen

Starkholzstämme, das sogenannte Holländerholz, schon

gut 100 Jahre zurück. Mit Hilfe der Bahn konnte die einer

Genossenschaft nicht unähnliche Murgschifferschaft, de-

ren Anfänge im Tal bis ins ausgehende 15. Jahrhundert zu-

rückreichen, ein anderes zukunftsfähiges Geschäftsmodell

aufbauen: den Handel mit Schnittholz, das besonders von

der aufblühenden Baubranche nachgefragt wurde.

Ohnehin herrschte seit der Reichsgründung 1871 auch

im Murgtal eine gewisse Aufbruchstimmung: Die Zeiten

der großen Armut und der Hungersnöte Mitte des 19.

Jahrhunderts waren vorbei und damit auch die Zeiten

der Auswanderung. Allein in Weisenbach meldeten sich

im Jahr 1851 etwa 13 Prozent der Gesamtbevölkerung

zur Auswanderung an. Die über Jahrhunderte hinweg

das Tal prägende Holzwirtschaft entwickelte sich vom

reinen Holzlieferanten hin zu einer vielfältigen Industrie,

die den Rohstoff direkt vor Ort weiterverarbeitete. So

wandelten sich innerhalb einer Generation das Bild des

Murgtals und die Arbeitsbedingungen. Immer mehr

Menschen arbeiteten fortan in den entstehenden Fabri-

ken und immer weniger auf dem Feld, im Wald oder

im Steinbruch. Die Landwirtschaft gehörte als Nebener-

werb allerdings noch lange zum Alltag.

1873: VOrschussVerein Gernsbach

Diese einsetzende Industrialisierung und der damit

verbundene wirtschaftliche wie gesellschaftliche Auf-

schwung im Murgtal zeigten sich nicht zuletzt auch da-

rin, dass in Gernsbach nach dem Vorbild des Rastatter

Vorschussvereins im Dezember 1872 ebenfalls ein Vor-

schussverein initiiert wurde. Im Alten Rathaus trafen sich

70 Murgtäler zur Gründung der Genossenschaftsbank.

Die Gründung selbst wurde im Januar 1873 vollzogen.

Als erster Direktor wurde Casimir Katz gewählt. In den

ersten Jahren befanden sich die Geschäftsräume in der

damaligen Apotheke von Engelbert Sonntag am Stadt-

buckel – heute das Restaurant „Altstadt Da Orazio“.

Mit der Spezialisierung der Holzverarbeitung begann

ab 1880 auch der Aufschwung der Papier- und Karto-

nagefabrikation. Die gute Verkehrs-Infrastruktur mit der

Bahn, die Murg als Energielieferant und neue Verfahren

zur Papierherstellung, der sogenannte Holzschliff, führ-

ten zu weiteren Unternehmensgründungen. Casimir Otto

Katz richtete 1882 die erste Holz-Schleiferei in Weisen-

bach ein und es entstanden in den Folgejahren mehrere

Holzstoff- und Papierfabriken mit teilweise hochspezia-

lisierten Produkten. Es gründeten sich Gruber & Weber

in Obertsrot, Casimir Kast in Gernsbach, Schultz & Cie.

(heute Glatfelter) in Gernsbach, die Badische Karton- und

Pappenfabrik mit Standorten in Gaggenau und Hilpert-

sau, Schoeller & Hoesch in Gernsbach und E. Holtzmann

& Cie. mit drei Standorten, Breitwies und Schlechtau in

Weisenbach sowie Wolfsheck in Langenbrand. Im Jahr

1925 arbeiteten allein bei Schoeller & Hoesch und Holtz-

mann jeweils mehr als 500 Menschen.

Bis heute prägt die Papierindustrie das Murgtal, und

es kommt nicht von ungefähr, dass sich mit der 1956 ins

Leben gerufenen Papiermacherschule heute die bundes-

weit einzige Ausbildungsstätte für die Papier-, Pappen-

und Holzstoffindustrie in Gernsbach befindet.

Die Fabrik von E. Holtzmann & Cie. in der Breitwies bei Weisenbach.

Das Viadukt über die Tennetschlucht zwischen Langenbrand und Gausbach im Jahr 1910.

Von der Holz- und Papierindustrie zur Metall verarbei-

tenden Industrie: Als Wiege der Metallverarbeitung gilt

die Gaggenauer Hammerschmiede, deren Ursprünge bis

ins 17. Jahrhundert reichen. Vor allem Schmiedeeisen

und Nägel wurden hergestellt. Im ausgehenden 18. Jahr-

hundert war die Produktpalette schon stark erweitert

worden und orientierte sich am Bedarf der Handwerker

und Landwirte. Als 1850 eine Kupolofengießerei und ein

Walzwerk eingerichtet wurden, war der Grundstock für

eine Eisengießerei und Maschinenfabrik gelegt.

In der Folge sind es zwei Namen, die mit dem Auf-

schwung der Gaggenauer Eisenwerke untrennbar verbun-

den sind: Da ist zum einen Michael Flürscheim, der die

Eisenwerke zu einem industriellen Großunternehmen mit

einer breiten Produktpalette aufbaute, und zum anderen

Theodor Bergmann. Als der Erfinder und Unternehmer

1879 in das Unternehmen einstieg, wurde es unter an-

derem um ein Emaillierwerk, eine Vernickelungsanstalt

und eine Kunstgießerei erweitert. Rund 200 verschiedene

Erzeugnisse wurden produziert, darunter auch Reklame-

Emailschilder, Automaten, Luftpistolen und Fahrräder.

1898Technischer Fortschritt

Ende August 1898 brann-

te erstmals elektrisches

Licht in den Geschäftsräu-

men des Vorschussvereins

Baden-Baden, zwei Jahre

später folgte eine elektri-

sche Schalter-Zeige-Vorrich-

tung und ab November

1906 war die Bank an das

Telefonnetz angeschlossen.

Auf großen Beifall der Ver-

treterversammlung Baden-

Baden stieß 1966 die An-

kündigung des Vorstandes,

zur Beschleunigung des

Kundenverkehrs bankeige-

ne Parkplätze mit Auto-

schaltern auszustatten.

Quelle: Kreisarchiv, Landkreis Rastatt

Quelle: Kreisarchiv, Landkreis Rastatt

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Nach dem Weggang Bergmanns 1893 wurde die Pro-

duktpalette reduziert und der Fokus auf den Bau von

Herden, Gusserzeugnissen und Fahrrädern gelegt. Bis

1908 wurde eine Viertelmillion Räder der Marke Bade-

nia verkauft. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Welt-

wirtschaftskrise 1929 konzentrierten sich die Eisenwerke

Gaggenau auf Kohle- und Gasherde und später auch auf

Elektroherde und Großküchenanlagen. Die im Zweiten

Weltkrieg zu 70 Prozent zerstörten Eisenwerke knüpf-

ten in der Nachkriegszeit wieder an den früheren Erfolg

an und beschäftigten Ende der 1950er-Jahre knapp 400

Menschen. Bis heute steht der Name Gaggenau für inno-

vative Koch- und Küchengeräte.

Theodor Bergmann legte mit seiner 1894 in Ottenau

gegründeten „Bergmanns Industriewerke GmbH“ den

Grundstock für die Automobilindustrie. Heute gilt das

Mercedes-Benz-Werk Gaggenau als ältestes Automobil-

werk der Welt.

Zwischen 1895 und 1899 stellte Bergmann 350 zwei-

und dreisitzige Automobile her. Das „Orient-Expreß“ ge-

nannte Fahrzeug hatte etwa sechs PS und brachte es auf

rund 40 Stundenkilometer. Doch mit so einer geringen

Stückzahl und damit der Herstellung eines Nischenpro-

dukts war Bergmann nicht zufrieden. Daher begann er

mit dem Bau von kleinen Omnibussen. 1905 wurde die

Automobilherstellung aus den Bergmann-Industriewer-

ken herausgelöst und von Georg Wiß als eigenständiges

Unternehmen mit dem Namen Süddeutsche Automobil-

fabrik GmbH (SAF) weitergeführt. Neben Omnibussen

wurden nun auch Lastwagen hergestellt, und als im Jahr

1907 das großherzogliche Paar erstmals in einem Auto-

mobil fuhr, kam dies einem Ritterschlag gleich. Denn das

Paar fuhr in einem Gaggenau-Omnibus. Wie stark die

SAF und der Ort Gaggenau in der Außenwirkung ver-

quickt waren, zeigt eine Begegnung von Kaiser Wilhelm

II. mit Georg Wiß. Der Kaiser soll den Fabrikanten mit

„Herr Gaggenau“ angesprochen haben.

1907 wurde die SAF von Benz & Cie. erworben, die

mit ihrer Produktion von Nutzfahrzeugen in Mannheim

die Kapazitätsgrenze erreicht hatten. Die Geschichte

des Benz-Werks in Gaggenau begann. Für die Stadt

und die Region sollte die Kraftfahrzeugindustrie zur

Initialzündung einer ungeahnten Wirtschafts- und

Bevölkerungsentwicklung werden. Nach dem Ersten

Weltkrieg hatte das Benz-Werk rund 2.000 Beschäftig-

te und im Jahr 1928 zählte das Daimler-Benz-Werk, wie

es nach der Fusion von Daimler und Benz im Jahr 1926

hieß, 4.400 Arbeiter. Während des Zweiten Weltkriegs

wurden ausschließlich Fahrzeuge für die Wehrmacht

gefertigt.

286.000 uniMOGs Gebaut

1944 lagen ein Großteil der Gaggenauer Innenstadt und

90 Prozent des Werks in Trümmern. Doch auf das Kriegs-

ende folgte bald der Wiederaufbau. 1949 wurde als ers-

tes Produkt ein Fünf-Tonnen-LKW gebaut. Bis 1967 pro-

duzierte das Gaggenauer Werk Schwerlastkraftwagen

für den Konzern. Als 1950 durch die Daimler-Benz AG

die Unimog-Entwicklungsgesellschaft erworben wurde,

begann eine weitere Erfolgsgeschichte: Bis 1990 wurden

mehr als 286.000 Unimog-Fahrzeuge gebaut.

Heute zählt das Mercedes-Benz-Werk in Gaggenau

rund 6.600 Mitarbeiter und fertigt Getriebe, Außenpla-

neten- und Portalachsen, Wandler und Pressteile für die

A- und B-Klasse und andere Fahrzeuge. Im Presswerk

Historische Aufnahme des Daimler-Benz-Werks in Gaggenau.

Am Sauberg im Einsatz: ein in Gaggenau gefertigter LKW.

1908Arbeitszeit

Auf einhellige Ablehnung der Banken-

welt stieß im November 1908 der An-

trag des Deutschen Bankbeamten-

Vereins, Ortsgruppe Baden-Baden, auf

Schließung „der Büros sämtlicher hie-

siger Banken an Samstagen um 12 Uhr

oder um 1 Uhr“. Nach Verhandlungen

mit der Ortsgruppe und Beratungen

mit den anderen örtlichen Banken ei-

nigte man sich schließlich darauf, den

Büroschluss an Samstagen von bisher

18 auf zukünftig 17 Uhr vorzuverlegen.

Kuppenheim werden seit 2011 mit weltweit moderns-

ten Karosseriepressen Außenhaut- und Strukturteile für

Mercedes-Benz gefertigt.

An der Schwelle zum 20. Jahrhundert kam es noch

zu zahlreichen weiteren Unternehmensgründungen, die

bis heute Strahlkraft auf die ganze Region haben. Um

nur einige zu nennen: 1890 machte sich Ferdinand Rah-

ner mit einer Sägemühle selbstständig und begründete

damit das heutige Holzwerk Rahner in Bad Rotenfels.

Die Metallwarenfabrik Josef König wurde 1901 als Im-

kereigerätefabrik gegründet, das Protektorwerk Florenz

Maisch hat seine Ursprünge im Jahr 1903 und die An-

fänge der Bauunternehmung Grötz liegen im Jahr 1904.

1925 ist das Geburtsjahr der Firma Stefan Hertweck als

Hersteller von Präzisionswerkzeugen und 1926 ließ sich

die Emailschilderfabrik von Adolf Dambach in Gaggenau

nieder. Die Volksbank ist seit 1922 in Gaggenau präsent,

als Zweigstelle der Vereinsbank Rastatt. Lebten 1867, als

sich in Rastatt der Vorschussverein gegründet hatte, rund

1.500 Menschen in Gaggenau, so sind es heute etwa

29.000.

Quelle: Geschäftsbericht - Daimler AG

Quelle: Geschäftsbericht 2016 / Daimler AG

Quelle: Geschäftsbericht 2016 / Daimler AG