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carte blanche 31 Die Kunst des Lernens Mathematik für Architektinnen und Architekten. Unterrichtsfazit 2004–2013 *

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Mathematik für Architektinnen und Architekten. Unterrichtsfazit 2004–2013

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Die Kunst des LernensMathematik für Architektinnen und Architekten. Unterrichtsfazit 2004–2013

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Kollege Karl Weber und ich haben von 2004 bis 2013 das Fach «Mathematik für Architekten» am Baudepartement der ZHW/ZHAW unterrichtet. Neu für die Fachhochschule in Winterthur war die Einteilung der Veranstaltung in zwei Stunden Vorlesung und zwei Stunden Übungen, beides am selben Vormittag. Vom didaktischen Standpunkt scheint der Vorlesungs-/Übungsbetrieb gegenüber dem bis anhin gepflegten Unterricht in Klassen von 20 bis 30 Studierenden ein Rückschritt zu sein. Im Ganzen haben wir jedoch gute Erfahrungen gemacht, namentlich wohl auch durch die intensive Betreuung in den Übungsstunden und die sorgfältige Ausarbeitung der Musterlösungen zu den Übungsaufgaben, die wir ja nicht wie an der ETH irgend einem Assistenten überlassen konnten. In anderen Studiengängen an der Fachhochschule oder auch an Gymnasien wird die Mathematik oft als «Killerfach» empfunden. Dass dies bei unserer Veranstaltung nicht der Fall war, liegt wohl an der vorwiegend unkonventionellen Art unserer Prüfungen bzw. Leistungsnachweise. Während des Semesters haben wir neben den üblichen Einzelprüfungen auch Prüfungen in Zweier- oder Dreiergruppen, Grup-penhausaufgaben sowie Gruppen-Referate durchgeführt. Die Assessment-Prüfung, welche im Baudepartement immer noch Bestandteil der Leistungsbeurteilung ist, haben wir zunächst schriftlich, in den letzten Jahren jedoch in mündlicher Form abgehalten. Neben einer Prüfung über Inhalte der Vorlesung gab es stets die Option «Referat», deren Themen sich meistens als Vertiefung der vorgängig in den Gruppen erarbeiteten Gegenstände ergaben. In den letzten beiden von uns unterrichteten Jahrgängen entschieden sich alle Studierenden für die zweite Option. Diese letzte Arbeit hat manchen Studierenden erst die Augen geöffnet für die vielfältigen Beziehungen zwischen Architektur und Mathematik.

Martin HuberWinterthur, Mai 2014

* Die Mathematik (griechisch μαθηματική τέχνη mathēmatikē téchnē ‹die Kunst des Lernens›, ‹zum Lernengehörig›) ist eine Wissenschaft, welche aus der Untersuchung von geometrischen Figuren und dem Rechnenmit Zahlen entstand. Für Mathematik gibt es keine allgemein anerkannte Definition; heute wird sie üblicher-weise als eine Wissenschaft beschrieben, die durch logische Definitionen selbstgeschaffene abstrakte Strukturen mittels der Logik auf ihre Eigenschaften und Muster untersucht. Zitat Wikipedia «Mathematik»

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Die Kunst des LernensMathematik für Architektinnen und Architekten. Unterrichtsfazit 2004–2013

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∙Übersicht 6

∙Themenblöcke:Beschreibung 7

∙Themenblöcke:Übungsaufgaben 9

∙Semesterplan 35

∙PrüfungenundLeistungsnachweise 37

∙DieAssessment-Prüfung 45

∙Carteblanche24aund24b 53

∙BesuchevonAusstellungenundBesichtigungvonBauwerken 58

∙ErsteSeitenderCD 59

∙MartinundKarl.KurzgeschichteeinerZusammenarbeit 62

Inhalt

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Mathematik 1 findet im Herbstsemester, Mathematik 2 im Frühjahrssemester statt. Fünf-zig bis achtzig Studierende besuchten im ersten Studienjahr diesen Unterricht, welcher seiteinigenJahrenimCampusTössfeldinderehemaligenSulzer-Halle180stattfindet,wo die Studierenden auch ihre Arbeitsplätze haben. Speziell für unsere Bedürfnisse liess der Departementsleiter im hinteren Teil des blauen Saales (LA_E0.01 in der Halle 180)einegrosseWandtafelerrichten.DerLeistungsnachweisfürdasHerbstsemesterwurdeinzweiEinzelprüfungen,einerGruppenprüfung(3er-und2er-Gruppen)undeinerGruppen-Hausaufgabe erbracht. Im Frühjahrssemester gab es einen Gruppenvortrag, eine Einzelprüfung und eine Gruppen-Hausaufgabe. Zu den Mathematikmodulen gehört ferner eine abgesetzte mündliche Assessment-Prüfung. Bei erfolgreichem Besuch der ganzen VeranstaltungerhaltendieStudierendeninsgesamt6ECTS-Punkte.

In den beiden Mathematikmodulen haben wir fast ausschliesslich Themen aus der Geometrie behandelt, welche für Architektur und Gestaltung relevant sind. Die für die Bauphysik benötigten mathematischen Hilfsmittel wurden vom Physikdozenten selber eingeführt.DieThemenhabenwirwiefolgtinvierBlöckeeingeteilt: ∙GeometrieundHarmonie(Herbstsemester) ∙GeometriederErdeunddesHimmels(Herbstsemester) ∙GeometriederRaumformen(Frühjahrssemester) ∙GeometriederOrnamente(Frühjahrssemester)Zu jedem Block gehörte im Prinzip ein Vortrag eines externen Fachmanns/einer Fachfrau. Für«GeometrieundHarmonie»habenwirbis2011stetsPeterPeisl(Biologe)gewonnen,der über das Thema «Geometrie der Pflanzen» referierte. Zur Kugelgeometrie («Erde und Himmel»)hatjeweilsFrançoisRenaud(Architekt,ehem.Studiengangleiter)vorgetragenundbeidenRaumformenwarUeliWittorf(Architekt/Modellbauer/Lehrer)derReferent.ZudenOrnamentenhabenBettinaKöhler(Architektur-undKunsthistorikerin)2012undRomanPfister(AbsolventdesMasterstudiums)2013Vorträgegehalten.Bis2009trugder letzte Block den Namen «Geometrie von Licht und Schatten». Zu diesem Themenkreis trug der Departementsleiter Stephan Mäder mehrmals bei uns vor.AlsErgänzungzurVorlesungkonntendieStudierendeneineCDkaufen(Fr.10.-),aufder sie sowohl Themen der Veranstaltung als auch weiterführendes Material finden. Die Übungsaufgaben und zugehörigen Musterlösungen wurden in einem dafür eingerichteten Ordner auf der Internet-Plattform a-net des Baudepartements abgelegt.

Übersicht

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Geometrie und Harmonie : Proportion, Mass und Zahl Es geht hier zunächst um geometrisch-konstruktive Grundbegriffe und um die Idee derTransformation. Diese liefert heute den Zugang zur Kongruenz- und Ähnlichkeitsgeo-metrie. Zur Letzteren gehört der Begriff der Proportion, der in unserer Vorlesung im Zusammenhang mit Architektur, Kunst und Natur ausführlich diskutiert wurde. Die aus der Mythologie stammenden Harmonie-Vorstellungen wurden von Pythagoras als mathe-matische Regelmäßigkeit konkret gefasst, als Ordnung von Zahlen und Proportionen verstanden1. Zum Gedanken der Harmonie in einem weiteren Sinne gehört auch die ProportiondesgoldenenSchnittes,dienichterstseitLeCorbusiersModulorinKunstundArchitektur eine prominente Rolle spielt.Die zunächst erstaunliche Tatsache, dass der goldene Schnitt auch in der Natur, bei wirbligen Blattstellungen, vorkommt, hat uns der Biologe Peter Peisl jeweils an eindrück-lichen Beispielen demonstriert. Das Verhältnis von Major zu Minor des goldenen Schnit-tes2 ist inkommensurabel; d.h., es kann nicht durch ganze Zahlen ausgedrückt werden. Mit Hilfe von Kettenbrüchen können solche sog. irrationale Zahlen auf geeignete Weise durch Brüche ganzer Zahlen angenähert werden. Der erste Block wurde deshalb durch das Thema «Kettenbrüche» abgerundet. Letzteres war übrigens der einzige rein algebraische Gegenstand der ganzen Vorlesung.

Geometrie der Erde und des Himmels : Geometrie auf der KugelBei lokaler Betrachtung, z.B. wenn ein Architekt den Bau eines Hauses plant, genügt es, die ebene oder räumliche Euklidische Geometrie zu verwenden. Wird nun der Gesichts-kreis vergrössert, beispielsweise beim Bau eines langen Viadukts (z.B. Viaduc de Millau inSüdfrankreich),sokanndieErdkrümmungnichtmehrvernachlässigtwerden.«Thinkglobally, act locally!» Im Sinne dieses Zitats von Buckminster Fuller erweiterten wir in diesem Block unseren Blickwinkel und betrachteten das Kugelmodell der Erde sowie das Halbkugelmodell des Fixsternhimmels. Als Vorbereitung darauf wurden Grundtatsachen der ebenen Trigonometrie repetiert, und es wurde eine Einführung gegeben in Themen derelementarenKugelgeometrieundderSphärischenTrigonometrie.InFrançoisRenaudseindrücklichem Vortrag ging es dann um die Bedeutung der Kugel in der Architektur, von der Antike bis zum 20. Jahrhundert.

Themenblöcke: Beschreibung

1 Pythagoras wird auch die Entdeckung der Entsprechung von Tönen und Zahlen zugeschrieben, was viel später, nämlich in der Epoche der Renaissance, für die Architektur von Bedeutung werden sollte.2 EineStreckewirdimgoldenenSchnittgeteilt,fallssichdielängereTeilstreckeM(Major)zurkürzerenTeilstreckem(Minor)gleichverhält,wiedieganzeStreckezumMajor.DasVerhältnisM/mistirrational.

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Geometrie der Raumformen : Symmetrische PolyederIn diesem Zusammenhang wurde die axonometrische Darstellung eingeführt. Sie gelangte in vielen Beispielen zur Anwendung mit dem Ziel, die Raumvorstellung der Studierenden zufördernundEinblickzugebenineineMethode,diefürCAD-Programmegrundlegendist. In axonometrischen Bildern wurden einem Würfel Ecken und Kanten abgeschnitten, ferner aus dem Würfel die anderen vier platonischen Körper Tetraeder, Oktaeder, Ikosae-der und Dodekaeder gewonnen. Eine dem dreidimensionalen Raum eigentümliche Eigen-schaft verknüpft die Anzahl der Ecken, Kanten und Flächen eines konvexen Polyeders zu einer Formel, die auf Leonhard Euler zurückgeht. Verfeinerungen dieser Betrachtung gehören zur Kombinatorischen Polyedertheorie, anhand welcher unter anderem gezeigt wurde, dass gewisse geodätische Kuppeln des amerikanischen Erfinders Buckminster Fuller(als«Vollkugeln»gedacht)genau12Fünfeckeenthaltenmüssen.DerArchitekt,Modellbauer und Lehrer Ueli Wittorf referierte in diesem Zusammenhang über seinen auf dynamischen Prinzipien aufgebauten Stammbaum der Archimedischen Körper.

Geometrie der Ornamente : Symmetrie in Ebene und RaumHauptgegenstand dieses vierten Blockes ist der moderne mathematische Symmetriebegriff und seine Anwendung in Architektur und Kunst. Dabei ist eine Symmetrie eines (geome-trischen)ObjekteseinelängeninvarianteTransformation,welchediesesObjektaufsichabbildet(invariantlässt).DieSymmetrieneinesObjektsbildeneineGruppe1, die Symme-triegruppe des Objektes. Die Symmetriegruppe ist nun ein geeignetes Hilfsmittel für die Klassifikation von Ornamenten. Es stellt sich nämlich heraus, dass es in der Vielfalt der Friese(der«eindimensionalen»Ornamente)nursiebenSymmetrieklassengibt,währenddieebenen(«zweidimensionalen»)Ornamenteingenau17Symmetrieklasseneingeteiltwerden können. Bezüge zu anderen Gebieten der Mathematik (magische und lateinische Quadrate),zuGraphik(M.C.Escher),Malerei(Lohse)undMusiktheorie(Schönberg)rundeten diesen Block ab.

Themenblöcke: Beschreibung

1 Eine Menge von Transformationen bilden eine Gruppe G, falls mit je zwei Transformationen aus G auch ihre Zusammensetzung, mit jeder solchen auch ihre Inverse sowie die identische Transformation zu G gehören.

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Themenblöcke : Geometrie und Harmonie

Übung 5 : Fibonacci-Zahlen, Goldener Schnitt. AufgabenZur Illustration der Themenblöcke füge ich hier je eine Serie von Übungsaufgaben samt Lösungen an. Der zweite Teil des Vormittags war jeweils der Bearbeitung dieser Übungsserien gewidmet. Es standen dafür anfänglich drei, später aus Platzgründen nur noch zwei Kojen auf der Plattform zur Verfügung. Wir haben keine Präsenzkontrollen durchgeführt. Die Studierenden wussten, dass sie mit dem Lösen der Übungsaufgaben in den nachfolgenden Prüfungen die besseren Karten hatten. Dies führte allerdings dazu, dass die Übungen bei Semesteranfang gut und später, wenn die Studierenden durch Aufgaben der Hauptfächer gefordert waren, weniger gut besucht wurden. Ich finde es durchaus angebracht, dass unsere Nachfolger hier ein Kontrollsystem einführen, welches wenigstens die Teilnahme an den Übungsstunden sichert.

Aufgabe 1Annahme:KaninchenvermehrensichgemässFibonaccisWachstumsmodell.ImzweitenMonat hat es 4 Kaninchenpaare, im vierten Monat sind es 11 Paare.Wie viele waren es im ersten Monat ?Wie viele Paare wird es nach einem Jahr haben ?

Aufgabe 2In der Figur ist dem Halbkreis über dem Durchmesser RS das grösstmögliche Quadrat einbeschrieben.Zeigen Sie, dass der Punkt B die Strecke AS im Goldenen Schnitt teilt.

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τ

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Aufgabe 3WirbetrachtendasreguläreFünfeckABCDEundseinDiagonalengebilde;letztereswirdPentagramm genannt.WirddieSeitenlängemitsunddieDiagonalenlängemitdbezeichnet,sogilt:

d : s = s : (d − s)

Diesbedeutet,dassz.B.derPunktFdieStreckeAE(unddieStreckeBD)imgoldenenSchnitt teilt. SomitverhältsichimgleichschenkligenDreieckDECdieSchenkellängezurLängederBasisimgoldenenSchnitt.ImgleichschenkligenDreieckABCisteshingegengenauumgekehrt:BasislängezuSchenkellängeistgleich:11.

Solche Dreiecke nennt man daher goldeneDreiecke:DECisteinspitzwinkligesundABCein stumpfwinkliges goldenes Dreieck.a) BestimmenSiedieWinkelinspitzwinkligenundstumpfwinkligengoldenenDreiecken.b) WievielespitzwinkligeundwievielestumpfwinkligegoldeneDreieckeenthältdieobige Figur ?

τ = 1+ 5( ) / 21 ist das Verhältnis von Major zu Minor bei der Streckenteilung im goldenen Schnitt.

Themenblöcke : Geometrie und Harmonie

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Themenblöcke : Geometrie und Harmonie

Aufgabe 4DasgegebeneDreieckABCistgleichseitig.DievonA,BundCdurchdenInkreisgelegtenSekanten schneiden sich in den Kreispunkten P, Q bzw. R. Das Dreieck PQR ist ebenfalls gleichseitig.a) ErklärenSie,warumdieDreiecks-seite PQ genau halb so lang ist wie die Seite AB.b) Jemandbehauptet,dieStreckePBwerde durch den Punkt Q im goldenenSchnitt geteilt. Man beweise oder widerlege diese Behauptung.

Aufgabe 5a) DiefolgendenGleichungensindSpezialfälleeinerFormelvonSimson1 über beliebige Fibonacci-Zahlen.1∙3=22–1,2∙5=32+1,3∙8=52–1,5∙13=82 + 1, …Wie lautet die allgemeine Formel ?b) DasnachstehendeParadoxvonLewisCarroll2 ist eine amüsante Illustration der Formel vonSimson:DasQuadratmitderSeitenlänge13wirdgemässFigurzerlegtundzueinemRechteckmitdenSeitenlängen8und21wiederzusammengesetzt.Dastimmtdochetwasnicht !?

1 RobertSimson(1687–1768),schottischerMathematiker2 LewisCarroll(1832–1898),eigentlichCharlesLutwidgeDodgson,englischerMathematikerundKinderbuchautor(«AliceinWonderland»)

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Themenblöcke : Geometrie und Harmonie

Übung 5 : Fibonacci-Zahlen, Goldener Schnitt. LösungenDie Anzahl der Kaninchenpaare im ersten Monat sei x, diejenige im dritten Monat y . NachVoraussetzunggiltdannx+4=yund4+y=11.Somitisty=7undx=3.Im ersten Monat waren es also 3 Paare. Für die Berechnung der Anzahl Paare nach einem Jahrgehenwirschrittweisevor.Wirerhalten:

Monat 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Anzahl Paare

3 4 7 11 18 29 47 76 123 199 322 521

Also hat es nach 12 Monaten 521 Paare.

Lösung 2DasDreieckRCShateinenrechtenWinkelbeiC(Thaleskreis).Gemäss Höhensatz gilt dann

|RB|∙|BS|=|BC|2

Nun gilt aber

|RB|=|AS|,|BC|=|AB|

und somit

|AS|∙|BS|=|AB|2

Daraus folgt

|AS|:|AB|=|AB|:|BS|

Dasheisst:BteiltASimgoldenenSchnitt.

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Themenblöcke : Geometrie und Harmonie

Lösung 3a) DieFünfeckseckeCistgemeinsameSpitzevondreispitzwinkligengoldenenDrei-ecken. Das grösste, mittlere goldene Dreieck hat die Basis DE, bei den beiden kleineren, äusseren goldenen Dreiecken liegt die Basis je auf einer Diagonalen durch F. NunmisstjederInnenwinkelimregulärenFünfeck108°.SomitbeträgtderWinkelanderSpitzeeinesspitzwinkligengoldenenDreiecks36°.DiebeidenBasiswinkelmessendannje72°.IneinemstumpfwinkligengoldenenDreieck(z.B.imDreieckABC)misstderWinkelanderSpitzesomit108°,undfürdieBasiswinkelbleibenje36°.

b) DieFigurenthält20 spitzwinklige und 15 stumpfwinklige goldene Dreiecke.Fünf spitzwinklige goldene Dreiecke haben eine Fünfecksseite als Basis und die gegen-überliegendeEckealsSpitze(z.B.DreieckDEC).FünfweiterehabendieselbenSpitzenaber je einen kurzen Diagonalenabschnitt als Basis. Schliesslich gibt es 10 solche Dreiecke, welche eine Fünfecksseite als Schenkel haben.Bei den stumpfwinkligen goldenen Dreiecken gibt es 5 mit einer Seite als Basis und einemDiagonalenschnittpunktalsSpitze(z.B.dasDreieckDEF),5miteinerDiagonalealsBasisundeinerEckealsSpitze(z.B.DreieckABC),sowie5miteinerDiagonalealsBasisundeinemDiagonalenschnittpunktalsSpitze(z.B.DreieckABF).

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Themenblöcke : Geometrie und Harmonie

Lösung 4a) DasDreieckMaMbMc, dessen Ecken die Mittelpunkte der Seiten des gegebenen gleichseitigen Dreiecks sind, hat gerade halb so lange Seiten wie das gegebene. Das Dreieck PQR entsteht aus dem Mittendreieck durch eine passende Drehung um den Kreismittelpunkt, also ist die Seite PQ ebenfalls genau halb so lang wie die Strecke AB.

b) DieBehauptungistrichtig:DieStreckePBwirddurchdenPunktQimgoldenenSchnitt geteilt. Wir bezeichnen die Streckenlängen | PQ | und | BQ | mit x bzw. y. GemässTeila)gilt|AB|=2x und somit | BMc|=x.Wenden wir nun den Tangentensatz auf die Sekante BP und die Tangente AB an, so ergibt sich

|BQ|∙|BP|=|BM|2

oder, anders geschrieben,

y(x+y)=x2

DieseProduktgleichungkannauchalsProportiondargestelltwerden:

x:y=(x+y):x

Nach Definition bedeutet dies aber gerade, dass x der Major und y der Minor bei der Stre-ckenteilung im goldenen Schnitt ist. Also teilt der Punkt Q die Strecke PB im goldenen Schnitt.

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Themenblöcke : Geometrie und Harmonie

Lösung 5a) DieangegebenenGleichungenkönnenwiefolgtgeschriebenwerden:

f2 ⋅ f4 = f32 −1 f3 ⋅ f5 = f4

2 +1 f4 ⋅ f6 = f52 −1

fn−1 ⋅ fn+1 = fn2 + (−1)n

fn ⋅ fn+2 = fn+12 + (−1)n+1

8 ⋅21 = f6 ⋅ f8 = f72 + (−1)7 = f7

2 −1 = 132 −1

usw.

Die allgemeine Formel von Simson lautet für alle n mit n ≥ 2

oder,wasaufdasselbeherauskommt: für alle n mit n ≥ 1

b) DasQuadratistumeinHäuschengrösseralsdasRechteck:

fn+1fn−1 fn

Bei den Steigungen der schrägen Strecken im Rechteck lässt sich nachvollziehen, dass sich die aus dem Quadrat gewonnen Flächenteile überschneiden müssen. Die Steigung der SchrägenvonAsollte3/5,diejenigevonC5/8betragen.Nunistaber5/8etwasgrösserals3/5;somitüberschneidensichdiebeidenFlächentatsächlich – allerdings um so wenig, dass das bei der gegebenen Strichdicke nicht zu erkennen ist. Die Formel von Simson besagt, dass dasselbe Paradox auch bei jedem Quadrat mit einer Seitenlänge auftritt, wobei die Quadratseite in zwei Abschnitte mit Längen und geteilt wird.Die Zerlegung der Quadratfläche und Zusammenfügung zu einem Rechteck gemäss Figur ist übrigens genau dann exakt, wenn die Quadratseite im goldenen Schnitt geteilt wird!

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Themenblöcke: Geometrie der Erde und des Himmels

Übung 3 : Sphärische Trigonometrie / Mathematische Geographie. Aufgaben mit Lösungen

Aufgabe 1Berechnen Sie die fehlenden Stücke in einem rechtwinkligen Kugeldreieck mit dem rechten Winkel γ zwischen den Seiten a und b:a) a=50° b=60°b) a=90° b=67,4°c) a=123° β=134,5°d) α=43°5' β=58°54'e) a=102°32' α=77°56'

Lösung 1

cosc = cosa ⋅cosb → c ≈ 71.25°

cosα = tanbtanc

→ α ≈ 53.99° cosβ = tanatanc

→ β ≈ 66.14°

cosc = cosa ⋅cosb → c = 90°

sinα = sinasinc

→ α = 90° sinβ = sinbsinc

→ β ≈ 67.4°

tanb = tanβ ⋅sina → b ≈139.52°cosc = cosa ⋅cosb → c ≈ 65.53°

sinα = sinasinc

→ α ≈112.86°

cosc = cotα ⋅cotβ → c ≈ 49°50'sinb = sinc ⋅sinβ → b ≈ 40°52'sina = sinc ⋅sinα → a ≈ 31°28'

sinβ = cosαcosa

a)

b)

c)

d)

e)

Demzufolge gibt es kein Eulersches Dreieck mit den gegebenen Stücken a und α.Dieselbe Überlegung zeigt, dass bei Eulerschen Dreiecken gegenüber liegende Stücke

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gleichartig sein müssen. D.h., ist die Seite a als Winkel spitz [bzw. stumpf], so ist auch der Winkel αspitz[bzw.stumpf],undumgekehrt.EbenfallsderFormel(6)entnimmtman, dass a=90°genaudannerfülltist,wennα=90°ist.

Aufgabe 2Ein schiefwinkliges Kugeldreieck ist durch die folgenden Angaben bestimmt.Berechnen Sie die fehlenden Stücke.a) a=60°; b=55°; c=45°b) α=75°; β=125°; γ=110°c) a=56°; b=48°; γ=70°d) a=57,2°; β=112,7°; γ=138,5°

Lösung 2a) MitdemSeiten-Cosinussatzberechnetmanzunächstα:

cosα =cosa− cosb ⋅coscsinb ⋅sinc

→ α ≈ 80.62°

sinβ = sinα ⋅ sinbsina

→ β ≈ 68.94° sinγ = sinα ⋅ sincsina

→ γ ≈ 53.67°

Die Winkel β und γbestimmtmanmitdemSinussatz:

Bei Verwendung des Sinussatzes ist die Lösung nicht eindeutig. Man verwendet hier zusätzlich, dass der grösseren Seite der grössere Winkel gegenüber liegt.

Aufgabe 3Auf einer Kugel vom Radius r=60cmisteinKugeldreieckmitdenEckenA,B,CunddenWinkeln α=92°,β=75°undγ=83°gegeben.a) BestimmenSiedieSeitendesPolardreiecksA'B'C' zum gegeben Kugeldreieck.b) BerechnenSiedenFlächeninhaltdesPolardreiecksA‘B‘C‘ . Wie viele Prozent der gesamten Kugeloberfläche macht die Fläche des Polardreiecks aus?

Lösung 3a) a'=180°–α=88°;b'=105°;c'=97°

Themenblöcke: Geometrie der Erde und des Himmels

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b) cosa = cosα + cosβ cosγsinβ sinγ

= −0.003502 → a ≈ 90.20°

cosb = cosβ + cosγ cosαsinγ sinα

= 0.25663 → b ≈ 72.13°

cosc = cosγ + cosα cosβsinα sinβ

= 0.11689 → c ≈ 83.29°

ʹ′α =180°− a ≈ 89.80° ʹ′β ≈107.87° ʹ′γ ≈ 96.71°

ʹ′F = π r2 ( ʹ′α + ʹ′β + ʹ′γ −180°)180°

≈ 798.52 cm2

Aufgabe 4Ein Schiff fährt auf dem gemeinsamen Breitenkreis von A Coruña(8°22'W|43°22'N)nach B Portland(70°18'W|43°22'N).BestimmenSiedieFahrzeit,wenndasSchiffeineReisegeschwindigkeitvon18Knotenbesitzt. Wie viel Fahrzeit könnte eingespart werden, wenn das Schiff bei gleicher Geschwindigkeit die kürzeste Route nehmen würde ?

Lösung 4Für den Radius rdesgemeinsamenBreitenkreisesgilt:

Distanz auf dem Breitenkreis

ρ = r ⋅cosϕ = cos43°22'⋅6370 km ≈ 4630.8km

Distanz e2aufkürzesterRoute:

e1 = ρ ⋅ (λ2 −λ1) ⋅π180°

≈ 5005.6 km ! 2702.5 sm

90°−ϕ ≈ 46°38', λ2 −λ1 ≈ 61°56'

cose2 ≈ cos46.6° ⋅cos46.6°+ sin 46.6° ⋅sin 46.6° ⋅cos61.9°→ e2 ≈ 43°56' ! 2635.9 sm

FahrzeitbeiGeschwindigkeitvon18KnotenaufBreitenkreis≈ 150h8min,aufkürzesterRoute ≈ 146h26min,Differenz≈ 3 h 42 min.

Themenblöcke: Geometrie der Erde und des Himmels

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Auggabe 5EinFlugzeugverlässtZürich-Kloten(8°34'E|47°27'N)mitKursSSWundfliegtaufdemGrosskreis.Unter welchem Winkel und bei welcher geographischen Länge kreuzt es den Äquator? Wie viele km ist das Flugzeug bis dahin geflogen?

Lösung 5WirbetrachtendasKugeldreieckmitdenEckenK(Zürich-Kloten)undA(SchnittpunktderFlugroutemitdemÄquator)undB(SchnittpunktdesKlotenerMeridiansmitdenÄquator).

a = BK! = 47°27'Darin sind die Seite

der rechte Winkel bei B, sowie der Winkel β =!BKA= 22.5° gegeben.

Zunächst wird der Winkel α =!BAKzwischenFlugrouteundÄquatorbestimmt.Formel(6)fürdasrechtwinkligeKugeldreieckliefert:

cosα = cos(47.45°)sin(22.5°) ≈ 0.25878 → α ≈ 75.00°

Zur Bestimmung des Äquatorbogens b = AB! verwendenwirFormel(3):

tanb = tan(22.5°)sin(47.45°) ≈ 0.30515 → b ≈16.97° ≈16°5 ʹ′8

Die geographische Länge von A ist demzufolge λ ≈16°5 ʹ′8 −8°3 ʹ′4 ≈ 8°2 ʹ′4 WSchließlich berechnen wir die Länge der Flugstrecke e = K A! mitFormel(2):

tane = tan47.45°cos22.5°

≈1.17916 → e ≈ 49.70° ! 5521.7 km

Themenblöcke: Geometrie der Erde und des Himmels

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Themenblöcke: Geometrie der Erde und des Himmels

Aufgabe 6EinFlugzeugfliegtaufderOrthodromevonOslo(10.7°E|59.9°N)nachQuebec(71.2°W|46.8°N).a) BerechnenSiedieLängedesFlugwegessowieAnfangs-undEndkurs.b) WielangdauertderFlug,wenndiemittlereGeschwindigkeit750km/hbeträgt?c) BestimmenSiegeographischeLängeundBreitedesnördlichstenPunktesdesFlugweges.

Lösung 6Im nördlichsten Punkt N des Flugweges steht die Tangente senkrecht zum Meridian. D.h., dass das Poldreieck der Orte Oslo und N bei N einen rechten Winkel hat. Zur Berechnung der geographischen Koordinaten von N benötigen wir den Anfangskurs α, den wir mit Hilfe des Poldreiecks von Oslo undQuebecbestimmen.Darinbekanntsind:

90°−ϕ1 ≈ 30.1°, 90°−ϕ2 ≈ 43.2°, λ2 −λ1 ≈ 81.9°

Wir berechnen zunächst die Entfernung e zwischen Oslo und Québec

cose ≈ cos(30.1°) ⋅cos(43.2°)+ sin(30.1°) ⋅sin(43.2°) ⋅cos(81.9°)

e ≈ 47.2° ! 5243.9 km

Mit dem Sinussatz ergibt sich daraus

sinα ≈ sin(43.2°) ⋅ sin(81.9°)sin(47.2°)

→ α ≈ 67.4°

Aus den Formeln für das rechtwinklige Kugeldreieck ergeben sich nun die Kathete a auf dem Meridian und der Winkel μbeimNordpol:

sina ≈ sin(30.1°) ⋅sin(67.4°) → a ≈ 27.6°

tanµ ≈ cot(67.4°)cos(30.1)°

→ µ ≈ 25.7°

Daraus erhalten wir die Koordinaten von N:15.0°W|62.4°N

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Themenblöcke: Geometrie der Erde und des Himmels

Aufgabe 7 Bestimmen Sie den Winkel zwischen zwei benachbarten Seitenflächen bei den folgenden Polyedern:a) beimregulärenTetraederb) regulärenOktaederc) Rhombendodekaederd) regulärenIkosaeder

Lösung 7a) AuseinerEinheitskugelumeineseinerEckenschneidetdasreguläreTetraeder ein Kugeldreieck mit den Seiten a = b = c = 60°.MitdemWinkel-Cosinussatzfolgt

cosα = cosa− cosb ⋅coscsinb ⋅sinc

=12 −

14

32 ⋅

32

= 13 → α ≈ 70.53°

b) DasreguläreOktaeder besteht aus zwei kongruenten geraden vierseitigen Pyrami-den. Der Pyramidenmantel besteht aus gleichseitigen Dreiecken. Zur Bestimmung des Winkels zwischen benachbarten Seitenflächen genügt es, eine Pyramide zu betrachten. Wir betrachten eine Einheitskugel, deren Zentrum eine Ecke der Grundfläche ist. Diese schneidet aus der Pyramide ein Kugeldreieck mit den Seiten a = 90°, b = c = 60° . Der Winkel α zwischen den Oktaederflächen liegt der Seite agegenüber.DerWinkel-Cosi-nussatz liefert

cosα = cosa− cosb ⋅coscsinb ⋅sinc

=0− 1

432 ⋅

32= − 13 → α ≈109.47°

c) DasRhombendodekaeder entsteht aus dem Würfel mit Kantenlänge s durch Aufsetzen von geraden quad-ratischen Pyramiden auf jede Würfelseitenfläche, wobei die Höhe dieser Pyramiden gerade halb so gross ist wie die Würfelkantenlänge. Zur Bestimmung des Winkels α zwischen zwei benachbarten Seitenflächen genügt es, einesolchePyramidezubetrachten(Figur).Legenwirwieder eine Einheitskugel mit dem Zentrum in eine Ecke der Pyramidengrundfläche, so schneidet sie ein Kugel-dreieck mit den Seiten a = 90°heraus.

s

h

cosb = cosc = 13Genauer:

Page 22: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

22

Themenblöcke: Geometrie der Erde und des Himmels

Für den Winkel α ergibt sich dann

cosα = cosa− cosb ⋅coscsinb ⋅sinc

=0− 1

3 ⋅13

23 ⋅

23

= − 12 → α =120°

d) BeimregulärenIkosaeder geht es um den Winkel zwischen zwei benachbarten Seitenflächen einer gera-den fünfseitigen Pyramide. Die Einheitskugel, deren Mittelpunkt eine Ecke der Grundfläche ist, schneidet ein Kugeldreieck aus mit den Seiten a =180°, b = c = 60°. Für den gesuchten, a gegenüber liegen-den Winkel α ergibt sich

cosα = cos108°− cos60° ⋅cos60°sin60° ⋅sin60°

=− ρ2 −

14

34

= −53

→ α ≈138.19°

Page 23: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

23

Themenblöcke : Geometrie der Raumformen

Aufgabe 1Einem Würfel mit der Kantenlänge a werden sämt-liche Ecken regelmässig abgeschnitten. Jede solche Ecke wird durch die Länge b der Seitenkante der abgeschnittenen Pyramide bestimmt. (In der Figur isteinesolchePyramidedargestellt.)

a) StellenSiedenRestkörperzunächstfürdenFallb=½a in Kavalierprojektion dar. (Verwenden Sie als Würfelkantenlänge a=8cm.)Bestimmen Sie die Anzahl der Ecken, Kanten und Seitenflächen. Fällt Ihnen etwas auf beim Zählen der Kanten ?  

b  

b  b  

a  a  

a  

b) Wiegrossmussb gewählt werden, damit das entstehende Polyeder aus gleichsei-tigen Dreiecken und regulären Achtecken besteht ? Stellen Sie auch diesen Körper im Wür-felschrägbild dar. Konstruieren Sie das Achteck in der Vorderfront mit Zirkel und Lineal.

c) WählenSiejetztb=¾a ; zeichnen Sie das Polyeder auch in diesem Fall, und zeigen Sie, dass es aus Quadraten und regulären Sechsecken besteht.

d) WasfüreinPolyederentstehtbeiderWahlb=a ? Was geschieht, wenn b > a ist?

e) FallseseineKugelgibt,welchedurchsämtlicheEckeneinesgegebenenPolyedersgeht, nennt man sie die Umkugel des Polyeders. Nicht jedes Polyeder hat eine Umkugel. Aber jedes Polyeder, das aus dem Würfel durch regelmässiges Abecken entsteht, hat eine Umkugel. Erklären Sie, warum das so ist.

f) FallseseineKugelgibt,welchesämtlicheSeitenflächeneinesgegebenenPolyedersberührt, nennt man sie die Inkugel des Polyeders. Nicht jedes Polyeder besitzt eine Inkugel. Für welche Werte von b besitzt der regelmässig abgeeckte Würfel eine Inkugel ?

Übung 1 : Axonometrische Darstellung. Aufgaben

Page 24: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

24

Aufgabe 2Gegeben ist ein Würfel mit der Kantenlänge a.Jede Würfelkante bestimmt gemäß Figur ein gerades Prisma, dessen Grundfläche ein rechtwinklig-gleichschenkliges Dreieck mit Schenkellänge c ist.Für festes c werden vom Würfel sämtliche Kantenprismen weggeschnitten.

a) StellenSiedenRestkörperzunächstfürden Fall c=¼a axonometrisch dar (Würfelkan-tenlänge a=8cm).WievieleEcken,Kanten,Seitenflächen hat er ?

   

a  

a  c  

c  

a  

b) WählenSiejetztc=½a . Zeichnen Sie das entstehende Polyeder auch in diesem Fall und beschreiben Sie seine Seitenflächen.

c) FürwelcheWertevonc besitzt der Restkörper eine Inkugel ? (Drücken Sie c durch die Variable aaus.)

d) FürwelcheWahlvonc hat das Restpolyeder lauter gleich lange Kanten ?

e) Kannmanc > 0 so finden, dass das Polyeder eine Umkugel hat? Falls ja, stellen Sie auch dieses Polyeder axonometrisch dar.

Themenblöcke : Geometrie der Raumformen

Page 25: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

25

Themenblöcke : Geometrie der Raumformen

Übung 1 : Axonometrische Darstellung. Lösungen

b) GemässSkizzegilt b+b 2 +b = (2+ 2 )b = a und somit

b = a2+ 2

⋅2− 22− 2

= a2(2− 2 ) ≈ 0.293⋅a

DasreguläreAchteckwirdgemässSkizzekonstruiert:Man dreht die Vorderfront des Würfels um ihren Mittel-punktmitdemDrehwinkel45°.

(Die Darstellungen zu den Lösungen 1a-d sind Zeichnungen der Studentin Nina Gschwend, Klasse ARB09)

b      b  

 

a) DarstellungdesRestkörpersfürdenFallb=½a in Kavalierprojektion.Dieses Polyeder heisst Kuboktaeder.Es hat 12 Ecken, 24 Kanten und 14 Seitenflächen.

Jede Kante ist Seite eines regulären Sechsecks. Es gibt insgesamt vier solche Sechsecke. Jedes solche Sechseck ist der Schnitt des Würfels mit der Mittelnormalebene einer Raumdiagonale.

Page 26: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

26

c) ImFallb=¾a entsteht ein Oktaeder-stumpf(Figur).ErbestehtaussechsViereckenund8Sechsecken.AusSymmetriegründensind die Vierecke in den Würfelseitenflächen Quadrate. Ferner sieht man leicht ein, dass die Seiten der undeutlich eingezeichneten gleichseitigen Dreiecke durch die darauf liegenden Sechsecksseiten gedrittelt werden. Daraus folgt, dass die Sechsecke regulär sind.

Themenblöcke : Geometrie der Raumformen

d)BeiderWahlb=a entsteht ein reguläres Oktaeder. Auch für a < b < a entsteht ein reguläres Oktaeder. Für b = a schrumpft das Polyeder auf einen Punkt zusammen

e) JedesPolyeder,dasausdemWürfeldurchregelmässigesAbeckenentsteht,hateineUmkugel. Man überlegt sich leicht, dass jede Ecke vom Würfelmittelpunkt denselben Abstand r hat. Nach Pythagoras gilt

r2 = a2( )

2+ a2( )

2+ a2 −b( )

2= 3a2

4 − ab+b2

Page 27: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

x = a2 3 − a2 = a

2 3 −1( )

27

f) ZunächstbesitztderWürfeleineInkugel(b=0).Auch das Oktaeder besitzt eine Inkugel (Fall b ≥ a).SchliesslichgibtesnocheinenweiterenFall:nämlichdann, wenn die Grundflächen der Eckpyramiden die Inkugel des Würfels berühren. Zur Bestimmung des zugehörigen Wertes von b betrachten wir den Diago-nalschnitt(Figur).DasrechtwinkligeDreieckmitdenKatheten b und b/√2 hat die Hypotenuse b√6/2und

die Höhe

b  

 

x  

Inkugelstumpf

DiedoppelteDreiecksflächekannaufzweiArtenausgedrücktwerden:

b ⋅ b2=b 62

⋅a2

3 −1( )

Daraus ergibt sich b =62⋅a2

3 −1( ) ⋅ 2 =a23− 3( ) ≈ 0.634 ⋅a

Die Figur rechts zeigt das zugehörige Polyeder. Es besteht aus sechs Quadraten und acht Sechsecken. Im Gegensatz zum Oktaederstumpf sind die Sechsecke in diesem Fall nicht regulär.

Themenblöcke : Geometrie der Raumformen

Page 28: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

28

Lösung 2a) KavalierprojektiondesRestkörpersfürdenFallc=¼a. Der blau gefärbte kleine Würfel hat die Kantenlänge c. Der Mittelpunkt dieses Würfels ist eine Ecke des Restpolye-ders.Letztereshat6∙4+8=32Ecken,6∙4+8∙3=48Kantensowie18Seitenflächen(6Quadrateund12unregelmässigeSechsecke)

Themenblöcke : Geometrie der Raumformen

b) Hieristc=½a. Die Quadrate auf den Würfelseitenflächen sind zu Punkten zusammengeschrumpft. Das Polyeder besteht aus 12 Rhomben; es wird Rhombendodekaeder genannt. Die Kantenlänge kbeträgt¼derRaumdiagonale des Würfels, also

k = a4 3

Zur Berechnung der Winkel a(spitz)und b(stumpf)desRhombusbestim-men wir die Längen der Diagonalen. Die kürzere Diagonale e hat offenbar die Länge a/2, während die längere ƒ halb so lang ist wie die Diagonale einer Würfelseitenfläche, also

f = a2 2

Es gilt dann offenbar tan β2( ) = f 2

e 2=fe= 2 β 2 ≈ 54.74°

β ≈109.47°

; somit ist

. Daraus ergibt sich auch α =180°−β ≈ 70.53°

(DieBerechnungderWinkelwarinderAufgabenstellungnichtexplizitverlangt.)

und

Page 29: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

Würfelabkantung

r = a− c2

2

c = a2(2− 2 ) ≈ 0.293⋅a

c2 3

29

Themenblöcke : Geometrie der Raumformen

c) Fürc=0sowiefürdieFällemit½a ≤ c < a(Rhombendodekaeder)besitztdasRestpolyedereineInkugel(mitZentrumimWürfelmittelpunkt).ZurBestimmungdesRadius r der Inkugel bemerken wir, dass jedes solche Rhombendodekaeder einen Würfel der Kantenlänge a – c enthält und dass die Inkugel durch die Mittelpunkte der Kanten dieses Würfels geht. Somit ist der Radius r gleich der halben Flächendiagonale dieses Würfels.Es gilt also

Nun gibt es noch einen Fall mit 0 < c <½a. In diesem Fall muss die Inkugel des Würfels die Sechsecksflächen berühren. D.h., das in irgend einem Riss erscheinende Achteck muss regulär sein. Doch diesen Fall kennen wirvonAufgabe1b).WirentnehmenderLösungvon1b),dassdann

d) JedeKantedesRestpolyedersistentweder parallel zu einer Kante des Ursprungswürfels oder parallel zu einer Raumdiagonalen dieses Würfels. Im ersten Fall hat die Kante die Länge a – 2c , im zweiten

Es sind somit alle Kanten genau dann gleich lang, wenn die Gleichung

a− 2c = c2 3

Würfelabkantung

erfüllt ist. Daraus ergibt sich

= 2a4+ 3

= 2a4+ 3

⋅ 4− 34− 3

= 2a13(4− 3 )c ≈ 0.349 ⋅a

Page 30: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

30

e) DasRestpolyederhatfürc > 0 genau dann eine Umkugel, wenn alle Ecken gleich weit vom Würfelmittelpunkt M entfernt sind. Wir bestimmen die Abstandsquadrate Q1, Q2 der Ecken von M. Liegt die Ecke auf einer Würfelseitenfläche, so ergibt sich

Q1 = a2( )

2+ (a− 2c) 2

2( )2

= a2

4+ a

2 − 4ac+ 4c2

2= 3a

2 −8ac+8c2

4Liegt die Ecke hingegen auf einer Raumdiagonale, so gilt

Q2 = 34 (a− c)

2 = 34 (a

2 − 2ac+ c2 ) = 3a2 −6ac+3c2

4Notwendig und hinreichend für eine Umkugel ist die Bedingung, dass die beiden berechneten Abstandsquadrate gleich sind. Daraus folgt

−8ac+8c2 = −6ac+3c2

und somit

5c2 = 2acDa c ≠ 0 vorausgesetzt wird, schliessen wir, dass

c = 25 a = 0.4 ⋅a

Die Frage kann also mit «Ja» beantwortet werden. Die Figur zeigt das Restpolyeder, welches eine Umkugel besitzt.

Würfelabkantung

Themenblöcke : Geometrie der Raumformen

Page 31: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

31

Themenblöcke : Geometrie der Ornamente

Übung 2 : Kongruenz und Symmetrie. Aufgaben und Lösungen

Aufgabe 1a, b und c seien Geraden der Ebene. Kann für die Spiegelungen an diesen Geraden die folgende Gleichung gelten ? Sc ∙ Sb ∙ Sa = E(Identität)

Lösung 1Das ist unmöglich, denn das Produkt dreier Geradenspiegelungen ist eine orientierungs-änderndeTransformation(eineSchubspiegelungodereineGeradenspiegelung)unddieIdentität ist orientierungserhaltend.

Aufgabe 2 GegebenisteinParallelogrammABCDgemässFigur.RA bezeichne die Drehung um A um den Winkel α im Uhrzeigersinn und analog seien RB, RC und RD definiert (mit den Winkeln β, γ und δ).

   

A B

CD

α β

γδ

A   B  

C  D  

α   β  

γ  δ  P  

Q  V  

ManlösefolgendeAufgaben:a) Manzeige,dassdieProdukteRB RA und RD RC Punktspiegelungen sind. An welchen Punkten wird gespiegelt? b) WasfüreineTransformationistRD ∙ RC ∙ RB ∙ RA ? Man gebe den Typ und die bestim-menden Elemente an. c) WaskannüberdasParallelogrammausgesagtwerden,wennRD ∙ RC ∙ RB ∙ RA = E ist ?

Lösung 2a) DasProduktzweierDrehungen,derenWinkelsummenichtVielfachesvon360Gradist, ergibt eine Drehung um einen Winkel, der gleich der Summe der Drehwinkel der gegebenen Drehungen ist. Im Falle der beiden gegebenen Produkte ist die Winkelsumme 180Grad.DamitsindesPunktspiegelungen. RB ∙ RA = SP RD ∙ RC = SQ

Page 32: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

P  =  Q  

32

Themenblöcke : Geometrie der Ornamente

Die Spiegelungspunkte P bzw. Q gewinnt man gemäss folgender Figur mit Hilfe der Winkelhalbierenden.

   

A B

CD

α β

γδ

A   B  

C  D  

α   β  

γ  δ  P  

Q  V  

b) Manfindet

RD ∙ RC ∙ RB ∙ RA = SQ ∙ SP

und das ist gemäss der vorangehenden Übungsserie eine Translation um den doppelten Vektor V.

c) DasProduktderDrehungenistgenaudanndieIdentität,wennP=Q.DasistdannderFall,wenndasParallelogrammeineRaute(einRhombus)ist.

P  =  Q  

Aufgabe 3Bestimmen sie alle Symmetrietransformationen der beiden Figuren rechts. Beachten Sie dabei, dass die Achsen zur Figur gehören.Stellen Sie die Gruppentafeln der Symmetriegruppen auf.

Page 33: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

33

Themenblöcke : Geometrie der Ornamente

Lösung 3Wir bezeichnen mit R1, R2 bzw. R3dieDrehungum90°,um180°bzw.um270°imGegenuhrzeigersinn, mit I die Identität und mit S1, S2, S3 bzw. S4 die Spiegelungen an der Horizontalen, an der Winkelhalbierenden des ersten Quadranten, an der Vertikalen bzw. an der Winkelhalbierenden des zweiten Quadranten.Die Figur links besitzt die Symmetrien R1, R2, R3 und I. Die Figur rechts hat ebenfalls diese vier Symmetrien und zusätzlich S1, S2, S3 und S4.

Gruppentafeln I R1 R2 R3 I I R1 R2 R3

R1 R1 R2 R3 I R2 R2 R3 I R1 R3 R3 I R1 R2

I R1 R2 R3 S1 S2 S3 S4 I I R1 R2 R3 S1 S2 S3 S4

R1 R1 R2 R3 I S2 S3 S4 S1 R2 R2 R3 I R1 S3 S4 S1 S2 R3 R3 I R1 R2 S4 S1 S2 S3 S1 S1 S4 S3 S2 I R3 R2 R1 S2 S2 S1 S4 S3 R1 I R3 R2 S3 S3 S2 S1 S4 R2 R1 I R3 S4 S4 S3 S2 S1 R3 R2 R1 I

I R1 R2 R3 I I R1 R2 R3

R1 R1 R2 R3 I R2 R2 R3 I R1 R3 R3 I R1 R2

I R1 R2 R3 S1 S2 S3 S4 I I R1 R2 R3 S1 S2 S3 S4

R1 R1 R2 R3 I S2 S3 S4 S1 R2 R2 R3 I R1 S3 S4 S1 S2 R3 R3 I R1 R2 S4 S1 S2 S3 S1 S1 S4 S3 S2 I R3 R2 R1 S2 S2 S1 S4 S3 R1 I R3 R2 S3 S3 S2 S1 S4 R2 R1 I R3 S4 S4 S3 S2 S1 R3 R2 R1 I

Die Symmetriegruppe der ersten Figur ist kommutativ, diejenige der zweiten Figur ist nicht kommutativ.

Page 34: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

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Aufgabe 4Auf der Rückseite eines Schatzplanes fin-det ein Schatzsucher folgende Anweisung.

Kommst Du auf die Insel, siehst Du einen Galgen, einen Brunnen und einen Baum.Gehe vom Baum zum Galgen und dann in einem rechten Winkel nach rechts noch einmalgleichweit:DortistderPunktX.Gehe vom Baum zum Brunnen und dann in einem rechten Winkel nach links noch einmal gleich weit. Da ist der Punkt Y. Genau in der Mitte zwischen X und Y ist der Schatz vergraben.

Der Schatzsucher behauptet nun, es spiele überhaupt keine Rolle, wo der Baum stehe. Die Konstruktion führe immer zum selben Punkt. Hat er recht oder nicht ? Begründen Sie ihre Antwort.

Lösung 4R1bezeichnedieDrehungumdenGalgenum90GradimUhrzeigersinn,R2 diejenige um denBrunnenum90GradimUhrzeigersinn.DasProdukt T=R2 ∙ R1

ist eine Punktspiegelung SP. Bei dieser Punktspiegelung wird X auf Y abgebildet, denn X wird durch die erste Drehung an die Stelle des Baumes zu liegen kommen und durch die nachfolgende Drehung dann auf Y. Damit ist die gesuchte Schatzstelle das Zentrum dieser Punktspiegelung. Diese ist aber durch Galgen und Brunnen (durch R1 und R2)alleinebestimmt. Also spielt der Baum keine Rolle.

Themenblöcke : Geometrie der Ornamente

Page 35: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

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Semesterplan

Herbstsemester 2011/12 (19. September 2011 – 27. Januar 2012)

22.9.–27.10. Block1(6Vormittage:VorlesungundÜbungeninGruppen; am27.10.ReferatvonPeterPeisl,Biologe) GeometrieundHarmonie:Proportion,MassundZahl Kongruenz- und Ähnlichkeitsgeometrie, Harmonische Teilung, Fibonacci-ZahlenundGoldenerSchnitt,Näherungsrechnung(Kettenbrüche)

3.11. Prüfung Nr. 1

17.11.–22.12.Block2(6Vormittage:VorlesungundÜbungeninGruppen;am15.12.(?) ReferatvonFrançoisRenaud,ehem.StudiengangleiterAR) Geometrie der Erde und des Himmels Ebene Trigonometrie. Elementare Kugelgeometrie. Sphärische Trigonometrie. Mathematische Geographie und Astronomie. Stereographische Projektion

19.1.12 PrüfungNr.2

26.1.12 voraussichtlichAusstellungsbesuch

Übungsaufgaben, Lösungen und weitere elektronisch erstellte Unterrichtsmaterialien werden im a-net abgelegt. Mitteilungen, die den Mathematik-Unterricht betreffen, werden per e-Mail verschickt.

Pro Block wird eine obligatorische Schnellübung durchgeführt.

Bewertung:Aufgrund der Resultate der Prüfungen und Gruppenarbeiten erhält jeder Student/jede Studentin in beiden Semestern eine Note. Ausserdem wird im Juli 2012 die mündliche Assessmentprüfung stattfinden. Das Ergebnis dieser mündlichen Prüfung zählt zum Frühjahrssemester.

Die Mathematikdozenten

Karl Weber Martin Huber

Page 36: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

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Frühjahrssemester 2012 (20. Februar – 22. Juni)

23.2.–29.3. Block3(6Vormittage:VorlesungundÜbungeninGruppen; am22.MärzReferatvonUeliWittorf,Architekt,LehrerundModellbauer) GeometriederRaumformen:SymmetrischePolyeder Schrägbilddarstellung von Polyedern, Eulersche Formel, Kombinatorische Polyedergeometrie, Normalaxonometrische Konstruktionen

5.4./12.4. Präsentation von Gruppenarbeiten 1 und 2

19.4. Seminarwoche:Unterrichtfälltaus.

26.4.–10.5.24.5.Block4(4Vormittage:VorlesungundÜbungeninGruppen;vorau- sichtlicham24.5.ReferatvonBettinaKöhler,Architekturhistorikerin) GeometriederOrnamente:SymmetrieinEbeneundRaum Symmetrie in der Ebene. Raumsymmetrien. Symmetriegruppen und Ornamente. Bezüge zur Kunst

14.6. PräsentationvonGruppenarbeiten3

21.6. PräsentationvonGruppenarbeiten4

Übungsaufgaben, Lösungen und weitere elektronisch erstellte Unterrichtsmaterialien werden im a-net abgelegt. Mitteilungen, die den Mathematik-Unterricht betreffen, werden per E-Mail verschickt.

Pro Block wird eine obligatorische Schnellübung durchgeführt.

Bewertung:Die Modulnote ergibt sich aus den Resultaten der Gruppenarbeit und der mündlichen Assess-mentprüfung(9.-11.Juli2012).

Die Mathematikdozenten

Karl Weber Martin Huber

Semesterplan

Page 37: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

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Die schriftlichen Prüfungen bestanden meistens aus zwei Teilen, nämlich einer Einzelprü-fung und einer Gruppenprüfung. Als Beispiel dafür geben wir die Aufgabenstellung der Prüfung zum Themenblock «Geomerie und Harmonie» vom November 2010.

Mathematik-Prüfung Nr. 1

DiePrüfungbestehtauszweiTeilen:ErsterTeil:Einzelprüfung,Dauer90Minuten. ZweiterTeil:Gruppenprüfung(2er-oder3er-Gruppen),Dauer90Minuten.

Erster Teil: Einzelprüfung

Hilfsmittel:Unterrichtsunterlagen,Taschenrechner,Formelsammlung,Zeichenmaterial. Alle Aufgaben zählen gleich.

Prüfungen und Leistungsnachweise

Aufgabe 1Durch die Schnittpunkte zweier Kreise H und K wird eine Gerade g gelegt. Punkt P auf g liegt so, dass der Tangen-tenabschnitt t zu Kreis H 5 cm beträgt. Wie gross ist der Tangentenabschnitt von P zu Kreis K? Begründen Sie Ihre Antwort.

Aufgabe 2In einen Kreis vom Radius R werden drei zueinander kon-gruente Kreise gelegt, die sich gegenseitig berühren. Man bestimme deren Radius.

H  

K  

t  

P  

g  

R  

Page 38: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

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Aufgabe 3Ein Rechteck, dessen Seiten sich im goldenen Schnitt ver-halten, heisst goldenes Rechteck. Solche Rechtecke werden im Buchdruck gelegentlich für den Satzspiegel verwendet.a) DasgoldeneRechteckwirdgemässFigurineinQuadratund ein Rechteck zerlegt. Zeigen Sie, dass sich die Seiten des kleineren Rechtecks ebenfalls im goldenen Schnitt verhalten.

b) GebenSiefürdieZahlτt= 1+ 52

einen möglichst einfachen Näherungsbruch an, der vom exakten Wert weniger als 0.1% abweicht.

Aufgabe 4DerArchitektGeorgeOdomhat1982dienachstehende Figur studiert.

Er behauptet, dass der Punkt S die Strecke AB im goldenen Schnitt teile.

Das Dreieck PQR ist gleichseitig;

A und S sind Seitenmittelpunkte.

Man beweise oder widerlege die Be-hauptung von Odom.

Viel Erfolg!

Prüfungen und Leistungsnachweise

Page 39: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

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Zweiter Teil. Prüfung in Zweier- oder Dreiergruppen

Hilfsmittel:Unterrichtsunterlagen,Taschenrechner,Formelsammlung,Zeichen- material. Alle Aufgaben zählen gleich.

Aufgabe 5In einem Rechteck mit der Länge a und der Breite b werden von zwei gegenüberliegen-den Ecken aus parallele Geraden gelegt, welche die jeweilige Gegenseite im Verhältnis p:qteilen.DurchdiebeidenanderenEckenwirddieDiagonalegelegt.

I   II  

III  

a  

b  

p                      :                            q      

H  

g  

R  

r  a  

α β

a)BerechnedieLängederAbschnitteinwelche die Diagonale geteilt wird.

b)BerechnedieLängederAbschnitte,inwelche die innerhalb des Rechtecks liegen-den Strecken der parallelen Geraden geteilt werden.

Aufgabe 6Durch einen der Schnittpunkte zweier Kreise H und K vom Radius R bzw. r mit dem Zentrumsabstand a wird eine Gerade g so gelegt, dass die beiden durch g und die Kreise bestimmten Sehnen gleiche Zentri-winkelbesitzen(a=b).ManberechnedieLänge der Sehnen.

I   II  

III  

a  

b  

p                      :                            q      

H  

g  

R  

r  a  

α β

Aufgabe 7WieinderVorlesungverwendenwirimFolgendendieBezeichnungen:

τ = 1+ 52

σ = 1− 52

a) BestimmenSiedieLösung(a, b)desGleichungssystems

aτ +bσ =1aτ2+bσ2 = 3

⎧⎨⎩

b) ErmittelnSieeineexpliziteFormelfürdasn-teGliedlnderLucas-Folge

1, 3, 4, 7,11,18,…

und

Prüfungen und Leistungsnachweise

Page 40: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

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Aufgabe 8Die Figur zeigt ein Phyllotaxis-Muster. Die Kreislein markieren die Zentren der Schuppen eines Tannzapfens. Diese wurden auf einen Kreiszylinder projiziert, und dieser Zylinder wurde längs der Mantellinie gegenüber der 0-Schuppe aufgeschnitten und in eine Ebene abgewickelt. Die 0-Schuppe ist zuunterst in der Mitte. Jede Schuppe kommt genau einmal vor.

+π  

8/13-Phyllotaxis

–π      0  

a) NummerierenSie(aufdiesemBlatt)sämtlicheSchuppennachdemselbenSchema,wie Sie das beim realen Tannzapfen gemacht haben.

b) BestimmenSiefürdenDivergenzwinkelδ dieses Musters eine untere und eine obere Schranke,derenDifferenznichtmehrals0.1°beträgt.

Viel Erfolg!

Prüfungen und Leistungsnachweise

Page 41: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

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Gruppen-Hausaufgaben Unsere Gruppen-Hausaufgaben bestanden jeweils aus zwei Teilen. Der erste Teil war einem Thema mit einem direkten Bezug zur Vorlesung gewidmet. Die folgende Aufgabe dieserArtstelltenwirimStudienjahr2009/10:

Aufgabe 1Im Bild sehen Sie ein Rhombentricontaeder (auch Rhombendreissigflächnergenannt).DiesesPolyederbesteht aus dreissig kongruenten Rhomben. Es entsteht als Hülle der Durchdringung eines regulären Ikosaeders und eines regulären Dodekaeders; d.h. als kleinstes konvexes Polyeder, welches das Ikosaeder und das Dodekaeder umfasst. Das Rhombentricontae-der gehört zur Klasse der dual-archimedischen oder Catalanschen1 Körper.

a) StellenSiedasRhombentricontaedernormal-axonometrischdar.BeginnenSiemiteinem Würfel mit der Kantenlänge a. Zeichnen Sie darin zunächst das reguläre Ikosaeder (KonstruktiongemässVorlesung).ZeichnenSiedannimWürfelauchdasreguläreDodekaeder(vgl.Übung4,Aufgabe5)undzwarso,dassjeeineIkosaederkanteundeine Dodekaederkante aufeinander senkrecht stehen und sich gegenseitig halbieren. Jede Seitenfläche des Rhombentricontaeders hat nun eine Ikosaederkante als lange und eine Dodekaederkante als kurze Diagonale.

b) AlleSeitenflächensindzueinanderkongruenteRhomben.BerechnenSiedieSeites, die Diagonalen e und f sowie die Winkel eines solchen Rhombus. Geben Sie s, e, f als Ausdrücke in der Variablen a(Würfelkantenlänge)an.StellenSieZahlenwerte,dienichtrational sind, in Wurzelform dar.

c) BestimmenSiedieAnzahlk der Kanten sowie die Eckenzahlen e3 und e5. Dabei bedeutet em die Anzahl der Ecken, in denen sich m Kanten treffen.

d) DieKantendesRhombentricontaederskönneninParallelschareneingeteiltwer-den. Die Rhomben, zu welchen die Kanten einer solchen Schar gehören, bilden eine sogenannte Zone. Aus wie vielen Rhomben besteht jede Zone? Wie viele Zonen gibt es? Begründen Sie Ihre Antworten!

1 BenanntnachdembelgischenMathematikerEugèneCh.Catalan(1814–1894)

Prüfungen und Leistungsnachweise

Page 42: carte blanche 31, Die Kunst des Lernens

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Der zweite Teil der Hausaufgabe stand meistens in einem lockereren Zusammenhang mit der Vorlesung. Er konnte beispielsweise einem Bild geweiht sein, in welchem mathema-tische Objekte dargestellt werden. Hier ist eine solche Aufgabe; sie wurde ebenfalls im Studienjahr2009/10gestellt.

Aufgabe(derbesonderenArt)ImVortragvonUeliWittorfwurdedienebenstehende,vonJohannesKepler(1571–1630)stammende Zeichnung projiziert. Als 25-Jähriger publizierte Kepler das «Mysterium Cosmographicum»,zudeutschdasWeltgeheimnis,einWerk,inwelchemdieseFigurzufinden ist. Um Ihnen das Umfeld, in welchem die Figur entstanden ist, leichter zugäng-lich zu machen, haben wir einen von Martin Huber verfassten Artikel über die Entstehung des astronomischen Weltbildes aufs Netz kopiert.

BearbeitenSienunfolgendeAufgaben:

a) BeschreibenSiezuersteinmal,wasSieinder Figur sehen.

b) StellenSiedieBedeutungdar,welchediein der Figur sichtbaren geometrischen Objekte für das Weltbild Keplers hatten. Besprechen Sie auch wichtige Phasen der Geschichte dieser Weltvorstellung.

c) BerechnenSiesodanndieRadienderIn- und Umkugeln der fünf regulären Polyeder in Abhängigkeit von deren Seite.

d) BerechnenSieaufgrundderResultatevonc)dieVerhältnissezwischendenRadiender in der Figur sichtbaren Kugelflächen und vergleichen Sie mit den heutigen Werten. Zum Vergleich geben wir Ihnen die Zahlen für die mittleren Radien der Planetenbahnen.

Merkur 57,9∙106km Venus 108,2∙106km Erde 149,6∙106 km Mars 27,9∙106km Jupiter 779∙106km Saturn 1432∙106 km

Damit solche Aufgaben für den Leistungsnachweis brauchbar waren, mussten Spielregeln aufgestelltwerden:

Prüfungen und Leistungsnachweise

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SpielregelnfürbewerteteGruppenarbeiten:In der Regel nützen Sie das Wissen und Können, das in der Gruppe vorhanden ist. Allerdings können und wollen wir nicht verhindern, dass Sie Gedanken mit Mitgliedern anderer Gruppen austauschen. Aber die Lösung, die Sie abgeben wollen, sollen Sie innerhalb der eigenen Gruppe gestalten. Falls Sie von jemand ausserhalb Ihrer Gruppe profitiert haben, so schreiben Sie auf Ihr Blatt, wer der Urheber der guten Idee ist (eineArtQuellenangabe,wiebeieinerwissenschaftlichenArbeit).SelbstverständlichistAbschreiben nicht gestattet. Identische Aufgaben oder Aufgabenteile werden mit 0 Punk-ten bewertet – gleichgültig, ob es sich dabei um das Original oder die Kopie handelt.

Die Lösungen der Gruppen-Hausaufgaben haben unsere Erwartungen regelmässig über-troffen. Vor allem zeigte sich, dass fast alle Gruppen für diese Arbeiten viel Zeit und Sorgfalt investierten. Es gab auch immer wieder Studierende, welche bei der Darstellung der Lösungen ungewöhnliche und kreative Ideen entwickelten, an welche die Aufgaben-steller gar nicht gedacht hatten. Abgeschrieben wurde selten und wenn schon, dann nur im Kleinen. Durch gute Lösungen gelang es dadurch manchen Studierenden, ungenü-gende Leistungen aus den Einzelprüfungen wettzumachen.

Prüfungen und Leistungsnachweise

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Gruppenreferate FürdieGruppenreferatesetztenwirdiefolgendenZiele:1. Das ausgewählte Thema wird sorgfältig erarbeitet, didaktisch aufbereitet und in freier Rede verständlich vorgetragen.2. Die Referate ergänzen die im Modul «»Mathematik für Architekten» behandelten Themen und tragen zu einem umfassenderen Bild der Mathematik bei.3. Die Schlüsselqualifikationen Selbständigkeit und Teamfähigkeit werden durch diese Gruppenarbeit gefördert. (Heute wird eher von Selbstkompetenzen und soziale Kompe-tenz,alsvonSchlüsselqualifikationengesprochen.)

DerAuftragandieStudierendenlautetenunwiefolgt:Die Studierenden bilden Zweier- oder Dreiergruppen. Jede Gruppe bearbeitet eines der nachstehenden Themen. Die Gruppen arbeiten weitgehend selbstständig. Sie treffen die Dozenten in der Regel zu zwei Besprechungen. Bei diesen Besprechungen sind alle Mit-glieder der Gruppe anwesend. Die Vorträge dauern 20–25 Minuten; alle Gruppenmitglieder beteiligen sich daran. Den Mitstudierenden ist vor dem Vortrag eine Zusammenfassung (maximal3A4-Seiten)abzugeben,diealsEinführungindasThemadient.VortragundZusammenfassung werden benotet.

EsfolgthiereinAuszugausderThemenliste:∙ DieAufgabendesNapoleonBonaparte∙ KongruenzundSymmetrie∙ DieperspektivischeAffinität∙ DasProblemdesApollonios∙ DieAdditionstheoremedertrigonometrischenFunktionen∙ GeometrischeKonstruktionenmitdemLinealallein∙ GeometrischeKonstruktionenmitdemZirkelallein∙ DasSteinerscheKreisketten-Problem∙ ParkettierungenderEbene∙ Nicht-EuklidischeGeometrie∙ FlächenberechnungbeiPolygonen∙ FraktaleGeometrie∙ ProportioneninderArchitektur:IstarchitektonischeSchönheitmessbar?∙ ProportioneninderArchitektur:«ArchitekturistgefroreneMusik»∙ ProportioneninderArchitektur:LeCorbusiersModulor∙ DasMasswerkvonHauterive∙ DasGeozentrischeWeltbilddesPtolemäus∙ Sonnen-undMondfinsternisse

Prüfungen und Leistungsnachweise

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Dass die Studierenden den Ansprüchen des von ihnen gewählten Themas nicht immer genügen konnten, war nicht zu verhindern, kannten wir doch bei der Themenvergabe (imNovember)dieeinzelnenStudierendennochzuwenig.WennaberguteStudie-rende anspruchsvolle Themen bearbeiteten, dann konnten ausgezeichnete Vorträge resultieren. In sehr guter Erinnerung geblieben sind mir Referate zu den Themen «Steinersches Kreiskettenproblem», «Parkettierungen der Ebene» und «Symmetrische Würfeldurchdringungen».

Die Themen über «Proportionen in der Architektur» wurden oft von Studierenden gewählt, welche wenig Vertrauen in ihr mathematisches Können hatten. Es ist jedoch mindestens so anspruchsvoll, zu einem Thema wie «Modulor» einen guten Vortrag zu halten wie zu einem der geometrischen Themen. Bei ungenügender Leistung durfte der Vortrag mit demselben Thema wiederholt werden.

Assessment-Prüfung

Am Ende des ersten Studienjahrs findet die Assessment-Prüfung statt. Das Ergebnis hatte bis zur letzten Lehrplanreform für die Schlussnote dasselbe Gewicht wie jede der beiden Semesternoten. Zunächst führten wir diese Prüfung in schriftlicher Form durch. Sie bestand aus zwei Teilen, einer Einzel- und einer Gruppenprüfung. Diese Form behagte uns von Jahr zu Jahr weniger. Nach Absprache mit dem damaligen Studiengangleiter entschlossen wir uns vor sechs Jahren, diese Prüfung als mündliche Einzelprüfung durch-zuführen. Neu daran war, dass die Studierenden die Wahl hatten zwischen einem Referat undeiner(konventionellen)PrüfungüberInhaltederVorlesung.DieIdeedesReferatesschlugvonAnfanganein.InjedemJahrwarenesmindestens90%derzuPrüfenden,welche diese Option wählten. Konkret bedeutete dies, dass der/die Studierende Aspekte des Gruppenthemas vertiefen oder aber ein völlig neues Thema wählen konnte. Neu konnten Themen gestellt werden, welche sich auf Inhalte der Blöcke 2 bis 4 bezogen. Beispielesind:∙ DieOrientierungvonSakralbauten∙ VonderKugelzurKarte:KartenentwürfederErde∙ Funkortung:Fremd-undEigenpeilung∙ AufsetzenvonPyramiden∙ HalbregulärePolyeder∙ Catalan’scheKörper∙ Jitterbug-Transformationen∙ SymmetrischeWürfeldurchdringungen∙ GeodätischeKuppeln∙ Fullerene:Kohlenstoff-MolekülemitvielenAtomen

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∙ KristallealsSchnittkörpervonsymmetrischenPolyedern∙ DerumgestülpteWürfelvonPaulSchatz∙ Rosettengruppen∙ KlassifikationderBandornamente∙ DieKunstdesRichardPaulLohse

Besonders geeignet für Vertiefungen sind die Themen «Parkettierungen», «Fraktale Geometrie» sowie «Proportionen in der Architektur». Daraus gewonnen wurden z.B. die folgendenAssessmentthemen:∙ Escher-Parkette∙ Penrose-Parkette∙ FraktaleStruktureninderArchitektur∙ FraktaleStrukturenimStädtebau∙ DasCantor-Diskontinuum∙ DasMandelbrot-Fraktal∙ Ästhetikvonunten(G.T.Fechner)∙ DieHarmonikdesHansKayser∙ Klavierstimmung∙ SpielderFüllungen(LeCorbusier)

Die nachstehenden weiteren Themen gehören im engeren oder weiteren Sinn zur Astrono-mieunddamitzurKugelgeometrie:∙ DasAstrolabium∙ Dämmerung∙ DerVenus-Transit∙ DieKeplerschenGesetze(Sonne,Erde,Mond)∙ DieMegalithederSurselva∙ DieHimmelsscheibevonNebra∙ JulianischeTageszählung∙ BestimmungdesOsterdatums∙ DerMaya-Kalender

Bis 2011 fand die Assessment-Prüfung erst im August statt. Somit hatten die Studie-renden genügend Zeit für die Vorbereitung. Zur Unterstützung boten wir an mindestens vier Vormittagen während der unterrichtsfreien Zeit Besprechungen an. Studierende, welche bei der Prüfungsvorbereitung wenig Aufwand treiben wollten, wählen meistens die Option «konventionelle mündliche Prüfung». Dementsprechend waren die Resultate

Assessment-Prüfung

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hier eher dürftig. Nicht so bei den Referaten. Neben braven Vorträgen, welche knapp das umsetzten, was in den Besprechungen erarbeitet worden war, gab es auch sehr gute, in seltenen Fällen hervorragende Leistungen.

SohatetwaderStudentRomanPfister(ARB07)imSommer2008dieParkettierunguntersucht,welchevonDanielLibeskindundCecilBalmondfürdieFassadedesErweite-rungsbaus des Victoria & Albert Museums in London vorgesehen worden war. Es handelt sich dabei um eine Weiterentwicklung der aperiodischen A3-Parkettierung des Ama-teur-Mathematikers Robert Ammann. Die drei Grundbausteine der A3-Parkettierung sind so beschaffen, dass sie bei geeigneter Kombination in grösserem Format wieder dieselben Formen ergeben.

Im Gruppenvortrag war es im Wesentlichen darum gegangen, das – aus Geldmangel nicht zur Ausführung gelangte – Projekt von Libeskind und Balmond vorzustellen und die Proportionen der Grundbausteine des A3-Parketts zu berechnen. Im Parkettierungsschema des Projekts sind der erste und der zweite Baustein und ihre Vergrösserungen stets dun-kel, der dritte und seine Vergrösserungen stets weiss gefärbt. Werden die weiss gefärbten Teile als leer interpretiert, so entsteht eine Art fraktaler Struktur. In einer Publikation von Balmond wird die Parkettierung deshalb «Fractile» genannt.

Assessment-Prüfung

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Für den Vortrag an der Assessment-Prüfung hat Pfister diese Struktur untersucht und ist dabei zu interessanten Entdeckungen gekommen. Ich möchte hier nur auf zwei Aspekte eingehen. Einerseits entstehen bei diesem Muster zwei senkrechte Scharen von parallelen Strecken, welche bei einer grösseren parkettierten Fläche gut sichtbar sind, weil sie die leeren Flächen meiden. Wie den folgenden Ausschnitten zu entnehmen ist, bilden diese Scharen konzentrische Quadrate. Man beachte, dass die Figur rechts eine Vergrösserung des Zentrums der linken Figur wiedergibt.

Assessment-Prüfung

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RomanPfisterhatnungezeigt,dassbeidiesenFigurendasVerhältnis1:(1–ρ) gleich mehrfach vorkommt, wobei

ρ = 5 −12

der Major der im goldenen Schnitt geteilten Einheitsstrecke bezeichnet.

Ferner hat er einen Zusammenhang mit der sog. Goldenen Spirale herausgearbeitet. Letztere besteht aus einer geometrischen Folge von Viertelskreisen mit Quotient ρ. In der nebenstehenden Figur sind die ersten sechs Viertelskreise eingezeichnet. Die goldeneSpiralehatfraktalenCharakterundwindet sich um den Schnittpunkt der Diagonalen BF bzw. DH der goldenen RechteckeAFDBbzw.CHFD.

Der elementarste Zusammenhang zum A3-Parkett besteht darin, dass das Sechseck AHJEDB gerade die Form des ersten Bausteins besitzt.

Inspiriert von der goldenen Spirale, hat Pfister auch gesehen, dass der Baustein 1 in eine unendliche geometrische Folge (mit Quotient ρ von Bausteinen der Form 2 zerlegt werden kann. Im Frühjahr 2013 hat Pfister im Rahmen des Themenblocks «Geometrie der Ornamente» einen Vortrag gehalten. Darin hat er auch eine diskrete Version der Parkettierung von Balmond und Libeskind vorgestellt. Dabei wird der gol-dene Schnitt durch seine diskrete Version – d.h. durch Quotienten aufeinander folgender Glieder der Fibonacci-Zahlen ersetzt.

Assessment-Prüfung

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Als weiteres Beispiel füge ich hier einen Ausschnitt an aus den Unterlagen der Prä-sentationvonMichelleKamm,KlasseARB09.SiebeschäftigtesichmitdemWerkdesholländischenGrafikersM.C.Escher(1898-1972),insbesonderemitseinenebenenParkettierungen. Neben der Recherche, wie Escher zu seinen typischen Parketten kam, und deren Analyse, präsentierte Frau Kamm auch eigene Beispiele von Parketten. Letztere seien hier vorgestellt.

Eigene Parkette : Erfahrung

Ein- und AusbuchtungVerfeinerung der Form einfache Parket-tierung vorstellbar von Hand zu zeichnen.

Verschiebung

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Eigene Parkette : Erfahrung

Gleitspiegelung

ParallelogrammDrehpunkt,360°→ verschieben in 4er Paket.BewunderungfürM.C.Escher,wieer alles von Hand entworfen hat

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Schlusswort ∙ ImFallderParkettierungvonEscher:DarstellungvonErfahrung,Forschung,Freude und Faszination.∙ ErentwickelteeineMethodik,dieaufeinermathematischenTheorieberuht.∙ IchkannseineManienachvollziehen,welcheichdurchdaszeichnenmeinereigenen Parkette erfahren habe.∙ M.C.EscheristfürmicheinesderklassischenBeispieledafür,dassFreudeetwas vom Wichtigsten ist bei dem was man tut und man sich nicht durch nicht- vorhandenes Sachwissen irritieren lassen soll.∙ ErhatsichtrotzseinerErfolglosigkeitwährendseinerLebenszeitnievondem abbringen lassen, was er gerne tat.

Eigene Parkette : Erfahrung

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Im Sommer 2012 zeichneten sich einige Vorträge durch eine besonders sorgfältige Bearbeitung und Präsentation aus. Man erlebt es nicht alle Tage, dass Studierende sich bereit erklären, Probleme anzupacken wie zum Beispiel die Frage der geometrischen Konstruierbarkeit, die sich doch recht weit ausserhalb des Üblichen bewegen. Man muss sich immer bewusst sein, dass es ja um eine Prüfung ging und am Schluss die Bewertung steht. Wenn dann noch die Vorträge mit einer bemerkenswerten Souveränität dargeboten werden, dann kann schon der Wunsch entstehen, es nicht einfach dabei zu belassen. Als uns dann Stephan Mäder, der Vorsteher des Departements A der ZHAW, die Möglichkeit offerierte,inderSchriftenreiheCarteBlanchecbeinigeVorträgezupräsentieren,fielder Entschluss sehr leicht. Die Studierenden waren bereit, sich noch einmal mit dem Thema zu beschäftigen, und haben uns teilweise druckfertige Manuskripte überreicht. Der Umfang sprengte den Rahmen eines Heftes, so dass wir uns entschieden die uns zugewie-sene cb Nummer 24 aufzuteilen.

24a Konstruiert ?KonstruierenmitZirkelundLineal(TextvonKarlWeber)

Als Beispiel für unsere Prüfungsthemen sei folgender Themenkreis aus der Session 2012 beschrieben. Es handelt sich um mathematische Fragen, die wir mit «Konstruierbarkeit mit Zirkel und Lineal» umschreiben können. Dabei geht es nicht darum, wie man kon-struiert, sondern darum, was überhaupt konstruierbar ist, eine ungleich schwieriger zu beantwortende Frage.

Merkwürdig ist bereits, wie die Wahl des Themas zustande kam. Wir hatten es bereits einige Jahre zuvor gestellt, mussten dann aber den Studierenden aufgrund der Schwie-rigkeiten ein anderes Thema geben und entschlossen uns, es nie mehr zu stellen. In dererwähntenPrüfungssessionhattenwiraberStudentinnen,denenich(Weber)eszutraute. Sie hatten bereits ein Thema gewählt und waren nicht wenig überrascht, als ich sie fragte, ob sie nicht ein wesentlich schwierigeres Thema wählen möchten. Und ich war nicht wenig überrascht, als sie mir eine Woche später den Entscheid miteilten, das schwierige Thema zu wählen. Und so wagten wir es noch einmal.

Die ganze Problematik wurde in drei Teile geteilt, deren jeder von einer Studentin bearbeitet wurde, wobei die drei aber auch immer den Überblick über die Arbeit der Kolleginnen anstrebten. Die drei Teilthemen seien kurz beschrieben. Eingehender sind sie inderBroschüreCarteblanche24adargestellt.

Carte Blanche 24 a Konstruiert ?

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Teil 1. Geometrisches Konstruieren.Wir hatten in der Vorlesung bereits das geometrische Konstruieren als eine Sprache eingeführt und deren Syntax beschrieben. Diese Sprache hat aber keinerlei Beweis-möglichkeit und die Beantwortung der Frage nach der Konstruierbarkeit kann in ihrem Rahmen nicht besprochen werden. Um sie anzugehen, muss zuerst das geometrische Konstruieren mit den Grundobjekten Punkt, Gerade und Kreis sowie seinen syntaktischen Regeln, welche die Konstruktion und die Beziehungen der Objekte zum Inhalt haben, in die Mathematik übersetzt werden. Dabei entsprechen den geometrischen Objekten alge-braische Gleichungen und die syntaktischen Regeln werden durch deren Eigenschaften dargestellt. Es zeigt sich, dass geometrisches Konstruieren mathematisch als eine Folge von Gleichungen aufgefasst werden kann, deren Lösungen stets wieder Ausgangspunkt neuer Gleichungen sind. Die Gleichungen sind linear und quadratisch und die Frage nach der Konstruierbarkeit ist mathematisch die Frage nach der Struktur der Lösungen von Systemen solcher Gleichungen.

Gibt man eine Einheitsstrecke vor, der die Zahl 1 zugeordnet wird, dann kann man zunächst zeigen, dass grundsätzlich mit Zirkel und Lineal alle rationalen Zahlen konstru-ierbar sind. Diese Zahlen bilden einen so genannten Zahlkörper, eine abstrakte algebrai-sche Struktur, welche durch Axiome definiert wird. Durch das Lösen der quadratischen Gleichungen treten nicht rationale Wurzelausdrücke hinzu. Mit jeder solchen Wurzel kann der bereits vorhandene Zahlkörper erweitert werden zu einem umfassenderen Körper, deren Zahlen ebenfalls konstruierbar sind. Letztlich ergibt sich, dass alle Zahlen und nur diese konstruierbar sind, welche sich nach endlich vielen solchen Körpererweiterungen ergeben.

Die Studentin Maya Hofer hat in ihrem Vortrag das Thema meisterhaft bearbeitet und vorgetragen. Martin und ich waren uns einig, dass unsere Kollegen es wohl nicht besser hätten machen können.

Teil 2. Konstruierbarkeit konkreter Objekte. Im zweiten Vortrag ging es nun darum, die in Teil 1 entwickelte Theorie auf konkrete Probleme anzuwenden. In diesem Vortrag wurde gezeigt, dass zum Beispiel das reguläre Siebeneck ebenso wie das Neuneck nicht konstruierbar sind. Ebenso wenig kann es eine allgemeine Konstruktion geben, mit der ein Winkel in drei gleiche Teile geteilt werden kann und es ist auch nicht möglich, einen Würfel zu konstruieren, dessen Volumen gleich dem Doppelten eines gegebenen Würfels ist.

Carte Blanche 24 a Konstruiert ?

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Die Methode, mit der die entsprechenden Beweise durchgeführt werden, besteht darin, dass zunächst die Gleichungen aufgestellt werden, welche den Problemen entsprechen. Dann muss gezeigt werden, dass deren Lösungen nicht durch eine Folge von Körpererwei-terungen erhalten werden können. In den erwähnten Beispielen entstehen Gleichungen dritten Grades mit ganzzahligen Koeffizienten und es musste bewiesen werden, dass solche Gleichungen entweder rationale Lösungen haben oder aber ihre Lösungen eben nicht konstruierbar sind.

Die Studentin Nadine Ammann hat das Problem mit derselben Souveränität gelöst wie Maya Hofer den ersten Teil.

Teil 3Als Beispiel für ein konstruktiv lösbares Problem wurde im dritten Teil die überraschende Konstruierbarkeit des regulären Siebzehnecks besprochen. Entsprechend der allgemeinen Theorie musste die Vortragende nun eine konkrete Folge von Körpererweiterungen angeben, welche schliesslich die Koordinaten der Ecken des Siebzehnecks umfasst. Die Gleichung,welchedabeizugrundeliegt,hatdenGrad16.MankannsieineineFolgequadratischer Gleichungen zerlegen, von denen jede zu einer Körpererweiterung führt, in welchersielösbarist.AlsErsterhatdasCarlFriedrichGaussgeschafft.

Dieser Vortrag wurde von Isabel Rüttimann ebenfalls hervorragend gemeistert.

Man muss sich bewusst sein, dass die Studentinnen in Bezug auf die zugrunde liegende Algebra nicht mehr als das Lösen linearer und quadratischer Gleichungen mitbrachten. Dass es ihnen in hervorragenden Weise gelang, die Probleme zu meistern, beruhte, abgesehen von den mathematischen Fähigkeiten, auf einer ganz besonderen Motivation. Und es ist genau diese Motivation, welche Martin und ich immer wieder durch zum Teil unkonventionelle Methoden zu wecken versuchten. Die Freude und Befriedigung, welche solche Vorträge bei uns auslösten, ist schwer zu beschreiben.

Carte Blanche 24 a Konstruiert ?

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24b Mathematik verbindetZahl, Mass und Proportion

Unter diesem Titel – es ist der Untertitel von Paul v. Naredi-Rainers Habilitationsschrift «Architektur und Harmonie» – möchte ich die folgenden Texte subsumieren. Diese Texte sind ebenfalls hervorgegangen aus aussergewöhnlichen Vorträgen der Assessment-Prü-funginMathematik(Bachelor-StudiengangArchitektur)imJahr2012.Eshandeltsichdabei um Themen der Anwendung von Mathematik in Bereichen, die je nachdem einen engeren oder lockeren Zusammenhang mit der Architektur haben.

Nach klassizistischer Auffassung besteht in der Architektur das Schöne vornehmlich in der Proportion. Nicht jeder zeitgenössische Architekt wird diese Auffassung teilen. Es ist jedoch bemerkenswert, dass wesentliche Beiträge der Architekturtheorie von Vitruv bis LeCorbusierProportionslehrensind.

In der Renaissance wurden dem architektonischen Entwurf vorwiegend kommensurable Proportionenzugrundegelegt.LeonBattistaAlbertis(1404-1472)ästhetischesGrund-prinzip drückt sich in bestimmten Zahlen und Proportionen aus, welche am klarsten in derMusikauftreten.DarunterverstehterdiekonsonantenIntervallederQuinte(2:3),Quarte(3:4),Oktave(1:2),Duodezime(1:3)undderDoppeloktave(1:4).DiesemZusam-menhangsinddieerstenbeidenThemengewidmet:«RaumproportionierungbeiPalladio»von Lorenz Koller und «Klavierstimmung» von Johannes Gadient. Die schriftliche Fassung des letzteren ist sehr sorgfältig ausgeführt und zeigt deutlich, dass die mathematischen Probleme, welche bei der Klavierstimmung auftreten nicht trivial sind.

Die vier übrigen Themen haben allesamt mit Astronomie zu tun. Als Anwendung der Kugelgeometrie ist die Mathematische Astronomie ein Thema des zweiten Blocks «Geo-metrie der Erde und des Himmels» unseres Moduls. Dabei geht es mir vor allem um die Astronomie des Alltags, um die Variabilität des Sonnenstandes, also die Veränderlichkeit der Lichtsituation, welche die Architektur durchaus beeinflussen kann, sowie um den Kalender, der vom Menschen im Alltag kaum wahrgenommen wird als das, was er ist, nämlich ein mathematisch-astronomisches Lehrstück. Sehr schön und ausführlich ist Boris Hämmerlis Text zur astronomischen Einheit. Es geht dabei um die Bestimmung der Entfernung von Sonne und Erde mittels eines Venus-Transits. Ein solcher Durchgang des hellstenPlanetenvorderSonnefandnuntatsächlicham6.Juni2012statt;dernächstewirderst2117erfolgen!BeidenKalenderthemengehtesimTextvonMichaelWieslium

Carte Blanche 24 b Mathematik verbindet

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Kalenderreformen, insbesondere um das Scheitern des Französischen Revolutionskalen-ders. Kemal Onur Özman hat sich mit der Julianischen Tageszählung befasst, einem zum Gregorianischen Kalender alternativen Entwurf des Renaissance-Gelehrten Joseph Justus Scaliger(1540-1609),derdamitdenAnstosszursog.Standard-Chronologiegegebenhat,welche heute nicht nur in der Kalenderwissenschaft, sondern auch in der Astronomie und der Raumfahrt verwendet wird. Einen schönen und inhaltsreichen Text hat schliesslich Selin Samci zum Rätsel des Maya-Kalenders verfasst. Es geht dabei um den sog. Dresde-nerCodex,indemsämtlicheastronomischenEreignisseaufgezeichnetsind,welchevonden Maya beobachtet worden sind. Deren Entzifferung verlangt eine Zusammenarbeit verschiedenster Disziplinen, nämlich von Architektur, Archäologie, Astronomie und Mathematik. Es ist äusserst erfreulich, dass ein solch breites Spektrum von Themen durch gute bis hervorragende Vorträge bzw. Texte abgedeckt worden ist.

Carte Blanche 24 b Mathematik verbindet

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Während vieler Jahre gehörte es dazu, dass wir mit den Studierenden des Assess-ment-Jahres in der unterrichtsfreien Zeit mindestens einmal eine Ausstellung (mit Führung)besuchtenodereinBauwerkbesichtigten.DieswarindenletztendreiJahrenkaum mehr möglich, da die Jahrgänge für solche Besuche zu gross waren.

ImJanuar/Februar2005:BesuchderAusstellung«SolleWitt–TheZurichProject»imHausKonstruktiv(http://www.hauskonstruktiv.ch/ausstellungen/rueckschau.html)mitStudierenden der Klasse ARB04

ImFebruar2006:BesuchderAusstellung«FestderFarbe–dieSammlungMerz-bacher»imKunsthausZürich(http://www.kunsthaus.ch/de/ausstellungen/rueck-blick/2000-2009/2006)mitStudierendenderKlasseARB05

Donnerstag,20.Juli2006:BesuchderAusstellung«HeinrichMeier.MalerundMathema-tiker»inderGaleriePalette(http://www.palette.ch)mitFührungdurchH.Meiermit27Studierenden der Klasse ARB05.

Donnerstag,22.Februar2007:BesuchderAusstellung«DergeschmiedeteHimmel»imHistorischenMuseumBasel(http://www.hmb.ch/home.html)mitStudierendenderKlasseARB06.In der schmucken gotischen Kirche des ehemaligen Barfüsser-Klosters wird ein aussergewöhnlicher Fund ausgestellt:dieHimmelsscheibevonNebra.EsistdiesdasältestebekannteZeugnisastronomischenWissens in Europa. Neben dieser Scheibe sind verwandte archäologische Fundstücke aus der Schweiz und ganz Europa ausgestellt. Die Verbindung zur Mathematik besteht darin, dass wir uns im nächsten Block auch mit Mathematischer Astronomie befassen werden. Darüber hinaus geht es um die Urgeschichte unseres Lebensraums; das geht auch zukünftige Architekten an, die auf diesem Boden bauen wollen.

Donnerstag,22.Januar2009:BesuchderAusstellung«maxbill»imHausKonstruktiv(http://www.hauskonstruktiv.ch/ausstellungen/rueckschau/max-bill.html)mit52StudierendenderKlasseARB08

Donnerstag,28.Mai2009:BauwerksbesichtigungStadionLetzigrundZürich(http://www.letzigrund.ch)mitFührungdurchdenArchitektenEraldoConsolascioundPräsentationdurchdenBauingenieurCarloGalmarini,mit41StudierendenderKlasseARB08.

Januar/Februar2010:BesuchderAusstellung«GeorgesSeurat.FigurimRaum»imKunsthausZürich(http://www.kunsthaus.ch/de/ausstellungen/rueckblick/2010)mitStudierendenderKlasseARB09.

Donnerstag,3.Juni2010:BesuchderBibliothekWernerOechslininEinsiedelnSZ(http://www.bibliothek-oechslin.ch)mitStudierendenderKlasseARB09.

Besuche von Ausstellungen und Besichtigung von Bauwerken

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1. Euklidische Geometrie der Ebene 2. Geometrie der Kreise. Kegelschnitte 3. Nichteuklidische Geometrie und Konstruierbarkeit 4. Phyllotaxis 5. Geometrie der Raumformen 6. Geometrie der Erde und des Himmels 7. Einführung in die Perspektive 8. Geometrie und Harmonie

Mathematik im Studiengang Architektur ZHAW 20xx  

M. Huber, K. Weber

       

           Gastvorträge                                        Arbeiten  der  Studierenden                                              Literaturhinweise  

Infos zur CD

Erste Seiten der CD

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1. Euklidische Geometrie der Ebene Einführung: Überblick über das Thema

Konstruktive Geometrie der Ebene - Die Sprache des geometrischen Zeichnens - Sprache und Modell - Kongruenztransformationen der Ebene - Ähnlichkeitstransformationen - Transformationsgruppen - Das Wesen der Geometrie - Die Aufgaben von Napoleon Bonaparte - Hilfsmittel: Quadratische Funktionen und Gleichungen Symmetrie ebener Figuren (Geometrie der Ornamente) - Gruppen und Symmetrie - Klassifikation der Ornamente - Symmetrie und Proportionen in der Architektur - Weitere Anwendungen der Symmetrie Trigonometrie der Ebene - Die trigonometrischen Funktionen - Goniometrie - Goniometrische Gleichungen - Das allgemeine Dreieck - Vermessungsaufgaben - Hyperbelfunktionen

A   B  

e  

c  

P   Q  

α β

γ

δ f   g  a   b  

ψ ϕ

Mathematik für Architekten ZHAW 20xx  

M. Huber, K. Weber

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Flächeninhalt und Parkettierung - Elementarer Flächeninhalt - Flächenverwandlung - Zerlegungsgleichheit - Die Picksche Formel - Parkette - Das Libeskind-Parkett (Arbeit von Roman Pfister) Analytische Geometrie der Ebene - Analytische Geometrie der Ebene - perspektivische Affinitäten

y1 = x1 cos(2α )+ x2 sin(2α )

y2 = x1 sin(2α )− x2 cos(2α )

   

 

P

A(P) Q A(Q)

R

A(R)

u

v

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Aus der Sicht von Karl Weber

Es ist nicht selbstverständlich, dass zwei an sich sehr unterschiedliche Menschen wäh-rend etwa 25 Jahren im Lehrbereich erfolgreich zusammenarbeiten, einem Bereich, der doch oft eher durch Selbstverwirklichung der Beteiligten gekennzeichnet ist. Anderseits können wir so unterschiedlich auch nicht sein, sind wir doch in den etwa 40 Jahren, in denenwirunskennen,regelmässigmiteinanderverwechseltworden.HuberundWeber:Das war immer sehr schwer auseinanderzuhalten. Im folgenden soll der gemeinsame Weg etwas beschrieben werden. Da er stark geprägt wurde durch das Arbeitsumfeld, die Schule, welche zuerst TWI hiess, dann ZHW und schliesslich zur ZHAW wurde, kann das wohl nicht geschehen, ohne dass dabei der Entwicklung dieser Schule Raum gegeben wird.

Zum ersten mal begegneten wir uns vor etwa 40 Jahren im Studium an der ETH. Wir sahen uns ab und zu in den Hörsäälen, allerdings ohne dass wir uns dabei besonders wahrgenommen hätten. Jeder ging damals seinen eigenen Weg. Nach der Dissertation verloren wir uns ganz aus den Augen. Martin zog es in die USA, ich blieb der ETH treu. Wir sahen uns erst einige Jahre später wieder. Martin war als Mathematikdozent ans Tech-nikumWinterthur(TWI)gewähltworden.ZurselbenZeitwarichdabei,meineTätigkeitan der ETH zu reduzieren und mein Weg führte mich unter anderem auch zu Lehraufträ-gen ans TWI. In der Zwischenzeit hatten wir uns beide eher der Wissenschaft als dem Unterricht gewidmet. Martin hatte sich an der Universität Freiburg im Breisgau habilitiert und ich an der ETH. Nun trafen wir uns also wieder am TWI und der Zufall wollte es, dass wir beide der Abteilung für Bauingenieurwesen zugeteilt wurden.

Der Einfluss des TWI auf unsere Zusammenarbeit und unsere Freude an der Erprobung neuer Methoden und Inhalte im Unterricht kann wohl nicht überschätzt werden. Die Schule befand sich damals in einer Phase der Reform und stand mit diesem Vorhaben, schon allein von der Grösse des Projektes, aber genauso vom Ziel her, wohl einzigartig in der Schullandschaft. Diese Reform war eine eigentliche Bildungsreform. An der Basis stand der Wunsch, das Studium am TWI inhaltlich und methodisch entscheidend zu verbessern, das Gesichtsfeld der Studierenden über ihre Kernfächer hinaus zu erweitern, vor allem aber auch, ihre individuellen Fähigkeiten zu fördern und besser zu nutzen. Dazu sollte das Studium auf vier Jahre verlängert werden und dabei wurde vor allem das Selbststudium wesentlich ausgebaut. Durch den parallel laufenden Ausbau der allgemein bildenden Fächer sollte der Stellenwert der zukünftigen Ingenieure in der Gesellschaft erhöht werden.

Martin und Karl. Kurzgeschichte einer Zusammenarbeit

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Der Reformwille am TWI kam von innen heraus und widerspricht damit ganz der später von Ökonomen immer wieder geäusserten Meinung, eine Schule könne nur unter äusserer, natürlich von der Wirtschaft her diktierter, Anleitung reformiert werden. Die damalige demokratische Grundstruktur des TWI und die damit verbundene allseitige Kommu-nikation war wohl eine der Hauptquellen der Reform-Idee, aber auch Voraussetzung dafür, dass diese wirklich die ganze Lehrerschaft erreichen konnte und schliesslich von einer grossen Mehrheit getragen wurde. Die Entwicklung dauerte viele Jahre. Zahlreiche Tagungen der Lehrerschaft und der Angestellten, aber auch Tagungen mit Vertretern der Industrie oder Bildungsexperten, ein umfangreiches Weiterbildungsangebot und viele Experimente bauten ein tragfähiges Fundament auf. Dem Vorhaben eher skeptisch gegenüberstehende Dozierende konnten auf diese Weise stets an der Entwicklung teilhaben und manch einer kam dadurch zu einer anderen Überzeugung.

Von grösster Bedeutung war aber sicher, dass an der Spitze des TWI mit Bruno Widmer und später mit Adolf Müller Persönlichkeiten standen, deren Einsatz und Unterstützung nach innen und nach aussen in jeder Hinsicht als einmalig bezeichnet werden muss.

Das war nun das richtige Klima für Martin und mich. Wir waren an der kleinen Abteilung für Bauingenieure in ein sehr kooperatives Umfeld eingebettet und beide waren sowohl an der Entwicklung neuer Inhalte und Methoden als auch an deren Erprobung wesentlich beteiligt. Wir beide haben grosse Probleme mit von oben angeordneten Umstruktu-rierungen, Vereinheitlichungen und Normierungen, die häufig auf einem sachlichen Unverständnis basieren, und die demokratische Struktur des TWI liess genau solche Erscheinungen nicht zu.

In einer der Weiterbildungs-Veranstaltungen kam Martin mit Professor Berg und durch ihn mit den Ideen Wagenscheins in Kontakt, die ihn in seiner Tätigkeit stark beeinflussten und die auch später immer wieder in unsere Zusammenarbeit einflossen. Als Beispiel für unsere Tätigkeit in jener Phase, aber auch für eine typische Entwicklung der Reform, möge ein Experiment, das die Einführung eines allgemein bildenden Seminars im Unter-richt vorbereitete, dienen.

Zusammen mit Heinz Rathgeb, damals als Sprachlehrer an der Bauabteilung tätig, entwi-ckelten Martin und ich eine zweisemestrige Unterrichtseinheit in Form eines Seminars, das wir mit Unterstützung der Schulleitung und der Bauingenieure an deren Abteilung als Experiment auch wirklich durchführen konnten. Am Beispiel des Themas «Wasser» wurde eine bedeutende Grundlage unseres Daseins zwei Semester lang von allen möglichen

Martin und Karl. Kurzgeschichte einer Zusammenarbeit

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Seiten beleuchtet. Wir begannen im ersten Semester mit der Beschreibung der physika-lischen und chemischen Eigenschaften des Wassers, stets von Experimenten begleitet, besprachen den Wasserhaushalt der Erde und schritten weiter zur eingehenden Bespre-chung der biologischen Bedeutung des Wassers. Die Behandlung der Themen erfolgte in Form von Vorträgen von Seiten der Dozierenden und von Gästen, wurde aber immer mehr auch durch Vorträge und eigene Arbeiten der Studierenden ergänzt und erweitert. Parallel zur Veranstaltung wurden die Studierenden durch Heinz Rathgeb in Rhetorik und Vortragstechnik eingeführt und jede ihrer Arbeiten wurde aufgrund der gelernten Kriterien einer eingehenden Kritik unterzogen, an der sich Lehrerschaft und Studierende beteiligten. Im zweiten Semester wurde dann die gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Bedeutung des Wassers besprochen. Das ging von seiner Bedeutung in der Tiefenpsychologie bis hin zur strategischen Bedeutung, hervorragend dargelegt durch Professor Spillmann von der ETH-Zürich. Den Abschluss bildete ein ebenso interessanter Vortrag über Seekriegsführung und ihre Bedeutung für die Machtstrukturen der Zukunft.

Wie standen die Studierenden unseren Veranstaltungen gegenüber? Man muss sich bewusst sein, dass für sie alles völlig neu und in seiner Art fremd war. Wir haben die Reaktioneneigentlichimmerwiederähnlicherlebt:UnsereVeranstaltungenpolarisierten.Während einige skeptisch blieben und andere motiviert arbeiteten, erlebten wir jeweils in einer dritten Gruppe Reaktionen, die in einem normalen Unterricht so nie sichtbar wurden. Zwei Beispiele mögen das zeigen. Dem Vortrag über die Bedeutung des Wassers in der Tiefenpsychologie von H.U. Etter standen die zukünftigen Bauingenieure zunächst verständlicherweise eher kritisch gegenüber. Es war uns aber schliesslich fast nicht möglich, die Veranstaltung zu beenden. Hätte nicht Herr Etter eine andere Verpflichtung gehabt, so wären wir wahrscheinlich um Mitternacht noch beim Thema gewesen. Eine zweite, fast unglaubliche Episode erlebten wir später beim zweiten Durchgang des Seminars mit einem anderen Thema, als eine Gruppe von Bauingenieur-Studenten aufgrund ihrer Arbeit am Thema eine Woche lang nach Disentis ins Kloster ging, um jene Lebensweise besser zu verstehen. Das war es, was Martin und mich wohl am meisten faszinierte:DieBereitschaftunddieFähigkeitdieserStudierenden,sichauchmitDingenernsthaft auseinanderzusetzen, die nicht unmittelbar mit dem Studium zusammenhängen und die Einsicht, dass die Bedeutung von Themen nicht einfach nur an den für einen Studiengang zentralen Fragen gemessen werden kann. Das zeigt vielleicht am ehesten, was für uns «Studieren» bedeutet, genauso aber auch, was die Reform am TWI wollte, die uns so stark beeinflusst hat.

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So arbeiteten wir also zusammen mit grossem Einsatz an der Entwicklung der neuen Schule. Leider aber konnte all das, was die Lehrerschaft des TWI während Jahren vorbe-reitet und aufgebaut hatte, nicht mehr wirklich umgesetzt werden. Die Kantonsregierung und der Kantonsrat standen zwar voll und ganz hinter dem Projekt und auch die Finanzie-rung war gesichert. Wir begannen also mit der Realisation, konnten aber das neue Modell nur ganz kurze Zeit erproben. Dann gerieten wir in eine Welle, die einem Tsunami gleich alles hinwegfegte; die Fachhochschul-Welle. Sie bedeutete auch das Ende der Reform des TWI. Wie jede grosse Welle schwemmte sie viel Schlamm an die Oberfläche, der da und dort immer noch sichtbar ist und schwer zu beseitigen sein wird.

Die Entwicklung zur Fachhochschule verfolgte ganz andere Ziele als die Reform des TWI. Sie war eine Entwicklung der Institution Schule auf der Basis ökonomischen Denkens und Handelns und das ist sie immer noch. Diese Reform wurde von aussen aufgeprägt.Unsere Bildungsreform stand da völlig quer in der Landschaft. Etwas überspitzt formuliert wurde die Bildung der Studierenden ersetzt durch eine kostengünstigere Programmierung. Nicht mehr die individuellen Fähigkeiten und die Persönlichkeit wurden gefördert, auch wenn verbal immer wieder hervorgehoben. Vielmehr entstand immer mehr die Vorstellung eines Standard-Absolventen. An die Stelle von Bildungszielen traten einheitliche Kom-petenzen. Während also die Arbeit mit den Studierenden eher auf Sparflamme gesetzt wurde, wurde der Institution Schule durch neue Aufgaben wie die der angewandten Forschung und Entwicklung und der Dienstleistung ein ganz neues Gewand gegeben. Das demokratische Prinzip des TWI wurde zugunsten einer ausgeprägten Hierarchie aufgege-ben. Zwischen den Dozierenden und der obersten Schulleitung wurden plötzlich mehrere Etagen eingebaut. Aber auch die Tätigkeit des Unterrichtens wurde neu gewichtet und der Standort der nur Dozierenden im unteren Teil der Hierachie-Pyramide festgeschrie-ben. Das Unterrichten verlor immer mehr an Bedeutung zugunsten der Beteiligung an Forschungs- und Dienstleistungsprojekten, natürlich besonders an solchen, die von wirtschaftlichem Interesse waren. Auch hier trat das ökonomische Prinzip in den Vor-dergrund. Es ist hier nicht der Ort, auf all diese Entwicklungen weiter einzugehen. Eine gewisse «Würdigung» aber ist notwendig, um die Situation von Martin und mir deutlich werden zu lassen. Wir standen zwar keineswegs einer forschenden Tätigkeit entgegen, sonst hätten wir uns sicher nicht im universitären Bereich habilitiert. Unsere Vorstellung von Forschung aber war nicht gerade die der neuen Schulen und anderseits war unser Interesse an Bildungsfragen nicht mehr gefragt. Wie also sollte es weitergehen?

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Wie immer aber, wenn es irgendwo nicht mehr weiter zu gehen scheint, öffnete sich auch in unserem Fall wieder eine Tür. Die Entwicklung der Fachhochschulen, insbesondere die der Fachhochschule Winterthur zur Mehrsparten-Schule, eröffnete die Möglichkeit, ganz neue Studiengänge aufzubauen. Und ein solcher Studiengang war es, der uns etwa acht Jahre lang erlaubte, unsere Experimente im Bildungsbereich weiter zu entwickeln und auch wirklich zu erproben. Das war der Studiengang Journalismus und Organisationskom-munikation, kurz JO, verbunden mit dem Institut für angewandte Medienwissenschaft, IAM. Hinter dem Aufbau dieser neuen Strukturen stand mit Daniel Perrin eine Persön-lichkeit, welche uns zumindest im Bildungsbereich wohl viel näher stand als dem rein ökonomischen mainstream der Schule und er eröffnete uns zum Teil Möglichkeiten, die wir sogar am alten TWI schwerlich gehabt hätten. Für mich sind das trotz des für uns nicht erfreulichen Umfeldes die schönsten Jahre an der Schule überhaupt gewesen.

Hier stellt sich natürlich die Frage, was denn Mathematiker in einem Studiengang JO zu suchen haben. Die Antwort darauf erhellt einen weitere wichtigen Aspekt unserer Zusammenarbeit. Selbstverständlich stand nicht die Mathematik im Zentrum. Vielmehr ging es darum, ein wesentliches Merkmal natürlicher Entwicklungen zu beleuchten. Während sich solche Entwicklungen im Bereich von Evolutionsspitzen durch ausserordent-liche schöpferische Potenz auszeichnen, führen sie, langfristig gesehen, immer wieder zu Formalisierungen. Beide Aspekte sehen wir im Alltag in der individuellen und gesell-schaftlichen Dynamik, während weiter zurückliegende Entwicklungen der Evolution immer stärkerdenformalisiertenCharakterzeigen,derschliesslichindermateriellenWeltalleinübrig geblieben ist. Und um diese evolutionäre Formalisierung ging es.

Um zu verstehen, wie wir dazu kamen, in solche Bereiche einzudringen, muss man wissen, dass Martin und ich uns bereits im Vorfeld intensiv mit der Evolution des Bewusstseins und der Tiefenpsychologie auseinandergesetzt hatten, beides Themenkreise, welche eng verbunden sind mit den Inhalten, die uns im Studiengang JO beschäftigten. Während ich mich seit dem Studium immer wieder mit biologischen Themen auseinander-gesetzt hatte, insbesondere mit der Evolution und den Neurowissenschaften, was durch das Biologie-Studium meiner Frau wesentlich unterstützt und gefördert wurde, kam der Anstoss zur Beschäftigung mit den eher geisteswissenschaftlichen Aspekten von Martin. Wir waren damals an der Weiterbildung von Lehrern der Berufsmaturitätsschulen beteiligt und in diesem Zusammenhang hielt ich Vorträge über Bewusstsein, Sprache und die Funktionen des Gehirns. Martin hat mich bei einem solchen Anlass ermuntert, mich mit C.G.Jungzubeschäftigen,wasichdannindieTatumsetzteundwasmirschliesslicheine bemerkenswerte Erweiterung meiner Sichtweise gestattete. Während längerer Zeit

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trafen wir uns regelmässig mit Walter Bachmann, einem Sprachlehrer, zur eingehenden Diskussion unserer Überlegungen und Resultate zu diesen Themen. So entstand ein Hintergrund, der wunderbar geeignet war, den Studierenden im Studiengang JO die beschriebene Formalisierung näher zu bringen und anhand interessanter Beispiele aus der aktuellen Entwicklung der Individuen und der Gesellschaft zu illustrieren.

So arbeiteten also Martin und ich schliesslich mit zwei weiteren Kollegen, dem Physiker HansFuchsunddemMathematikerChristophZaugg,achtJahrelangimStudiengangJO unter dem Titel «Formales Denken» an diesen Themen. Es war eine wirklich schöne und fruchtbare Zusammenarbeit, bei welcher wir stets auf die Unterstützung von Daniel Perrin zählen konnten. Wir arbeiteten mit den Studierenden jeweils ein ganzes Semester in Tagungen. Solche Tagungen anstelle des gewohnten Unterrichtes waren in den Augen vieler Kollegen eine Ungeheuerlichkeit. Aber auch darüber hinaus entfernten wir uns immer mehr vom klassischen Unterricht, was in der Kollegenschaft ebenfalls immer wie-der für eine gewisse Unruhe sorgte. Wir erprobten Kombinationen von Vorlesungen mit selbständigen Arbeiten der Studierenden, die wir schliesslich an die Stelle von Prüfungen setzten. Höhepunkt war stets eine umfangreiche Semesterarbeit zu meist selbst gewähl-ten Themen im Bereich unseres Faches. Bei diesen Arbeiten spielte die Besprechung der Themen durch die Studierenden mit externen Fachleuten an Universitäten und in der Praxis eine wesentliche Rolle, so dass insbesondere auch ein Bezug zur journalistischen Tätigkeit gegeben war. Anstelle schriftlicher Arbeiten entstanden auch Hörspiele und Fernsehsendungen, wobei wir, die wir in diesen Bereichen nicht kompetent sind, stets mit der Unterstützung durch die Spezialisten des Studiengangs rechnen konnten. Eine Arbeit über Albert Einstein schaffte es sogar, in die Sendung einer Fernsehstation aufgenommen zu werden.

Unsere Zusammenarbeit im JO war in mancher Hinsicht eine Fortsetzung unserer früheren Tätigkeit. So war zum Beispiel die Arbeit mit den Studierenden auch bei kritischen The-men stets durch grosse Offenheit gekennzeichnet, was bereits ein Merkmal des beschrie-benen Seminars bei den Bauingenieuren war. Wir hielten die Distanz zu den Studierenden bewusst klein, wodurch zum Teil recht tiefgehende Beziehungen zu ihnen entstanden, wie ich sie sonst an Schulen nie erlebt habe. In der Besprechung zu einer Peer-Review unseres Faches meinte Helen Isler von Schweizer Fernsehen im Anschluss an ein GesprächmitdenStudierendeneinmal:«LiebealsGrundlagedesUnterrichts!Soetwashabe ich noch nie gesehen». Aber wie früher am TWI lag uns auch die Berücksichtigung der individuellen Interessen der Studierenden am Herzen. Wir versuchten, dem gerecht zu werden, indem wir im zweiten Teil der Veranstaltungen jeweils vier ganz verschiedene

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Wahlmöglichkeiten anboten, in denen die allgemeinen Betrachtungen vertieft werden konnten. Martin war damals bereits an der Architekturabteilung tätig und bot ein Fach mit dem Titel «Ist Schönheit messbar» an, ein Thema, welches später auch in unserer TätigkeitbeidenArchitektenimmerwiederaufleuchtete.IchboteinFach«ChemiederPsyche» an, in welchem es um Funktionen und Fehlfunktionen aller Art des Gehirns ging. Für technisch Interessierte führte Hans Fuchs das Fach «Systemdynamik» durch und ChristophZauggsetzteinseinemWahlfachstatistischeMethodenbeiderUntersuchungder Lebenswege von Schwererziehbaren ein. Dort wo wir von einer Thematik her an unsere Grenzen stiessen, konnten wir immer wieder auf Hilfe von Aussen zählen. Bemer-kenswert ist an dieser Stelle sicher auch wieder die bereits erwähnte Polarisierung der Studentenschaft durch unser Fach. Praktisch niemand stand ihm gleichgültig gegenüber. Nicht wenige fanden es das Highlight des Studiengangs überhaupt, andere konnten trotz unserer Bemühungen nur wenig damit anfangen. Wieder aber erreichte die Spitze Höhen, die bei herkömmlichem Unterricht nie erreichbar sind.

Selbstverständlich füllte die Tätigkeit im Studiengang JO unsere Anstellung nicht aus, so dass wir stets auch an anderen Stellen der Schule tätig waren. Sie war aber sicher prä-gend für unsere spätere Arbeit an der Abteilung für Architektur. Ich war während dieser Zeit noch im Rahmen einer anderen neuen Kreation tätig, dem Studiengang Datenanalyse und Prozessdesign. Er war gekennzeichnet durch, im Vergleich zu den klassischen Ingeni-eurstudiengängen, wesentlich höhere mathematische Anforderungen an die Studierenden. Entsprechend hatten wir weniger Studierende, dafür waren einige absolut hervorragende darunter. Dieser Studiengang war ein weiteres Highlight, das auch den Dozierenden noch einige Freiheiten liess, passte aber aus ökonomischen Gründen nicht in die Landschaft der Schule und wurde schliesslich geopfert. Martin war, wie erwähnt, bereits auch an der Abteilung für Architektur tätig, was für unsere weitere Zusammenarbeit sehr bedeutend sein sollte.

So schön und befriedigend unsere Tätigkeit im Studiengang JO war, wir konnten nicht verhindern, dass im Hintergrund aus uns auch heute nicht ganz verständlichen Gründen Opposition gegen uns entstand. Es kann sein, dass wir zu offen zu den Studierenden waren, aber auch, dass unser recht umfangreiches Pensum störend war, auch wenn es mit der Zeit reduziert wurde, vielleicht aber passten wir als Mathematiker und Physiker einfach nicht in die eher sprachlich geprägte Umgebung. Sei es wie es wolle, nach acht Jahren gaben wir die Tätigkeit auf. Das aber jedenfalls nicht aufgrund eines Desinteres-ses der Studierenden. Ursache der Problematik war die Lehrerschaft.

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Einmal mehr stellte sich uns also die Frage nach der sinnvollen Tätigkeit an der Fachhochschule, verbunden mit der Suche nach einem Umfeld, welches noch etwas vom ursprünglichen Gedankengut des TWI erhalten hatte und der Bildung gegenüber der Programmierung den Vorzug gab. Ein solcher Ort war die Architekturabteilung. Glücklicherweise sind Entwerfer als kreative Menschen nicht so einfach zugänglich für Vereinheitlichungen und Normierungen. Die Tätigkeit an einer Architekturabteilung war mir natürlich nicht fremd, hatte ich doch an der ETH etwa zwanzig Jahre lang die Mathematik an der Abteilung für Architektur gelesen und dabei vor allem mit Ernst Studer, Professor für architektonischen Entwurf, schöne Phasen der Zusammenarbeit erlebt, natürlich ebenfalls sehr unkonventionell in einem Fach, das als Forschen mit gestalterischen Hilfsmitteln bezeichnet werden kann. Für mich war diese Zusammenarbeit ein weiteres prägendes Erlebnis, förderte sie doch extrem die individuellen Fähigkeiten der Beteiligten.

Die Abteilung für Architektur an der Winterthurer Fachhochschule ist so etwas wie eine Oase in der Wüste geblieben, was sicher auch das Verdienst des Departementsleiters Stephan Mäder ist. Meiner Beteiligung im Studiengang dieser Abteilung stand von da her nichts im Wege. Die weitgehende Unterstützung durch den Departementsleiter, aber auch durchdenStudiengangleiterFrançoisRenaultundseineNachfolgerinOyaAtalayunddieDozierenden der Architekturfächer ermöglichten Martin und mir, uns nochmals voll für die Bildung der Studierenden einzusetzen. Nun waren wir zwar weitgehend an den Unterricht in Mathematik gebunden, aber in diesem Rahmen konnten wir uns frei bewegen. Die Wege, auf denen wir nun gingen, sind in der vorliegenden Broschüre beschrieben. Vieles, was wir an der Abteilung für Architektur realisierten, hat seinen Ursprung in der Reformphase des TWI und im Studiengang JO, in meinem Fall auch in der Tätigkeit mit Ernst Studer an der ETH.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass unsere Zusammenarbeit glücklicher-weise immer wieder durch leitende Persönlichkeiten wie Bruno Widmer, Adolf Müller, Daniel Perrin oder Stephan Mäder unterstützt und gefördert wurde, wobei vor allem die letzten beiden, bereits in die Phase der Fachhochschule gehörend, damit zum Teil auch gegen den von oben diktierten Strom schwammen. Allen sei an dieser Stelle dafür herzlich gedankt. Aber auch Martin hat grossen Anteil an der Entwicklung unserer Zusammenarbeit. Ohne den durch ihn initiierten Weg in die Thematik der Psychologie und der Bewusstseinsevolution wäre ich wohl mit meiner Tätigkeit im naturwissenschaftlichen Bereich geblieben, und das hätte einiges, was wir zusammen entwickelt haben, nicht entstehen lassen.

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carte blancheIdee dieser Schriftenreihe ist, persönliche Vorlieben von Mitarbeitern der Bauschule einem engeren und weiteren Publikum bekannt zu machen. Die Verantwortlichen publizieren im Rahmen einer vorgegebenen Struktur ihre Beiträge. 12 Exemplare werden als Farbkopien ausgedruckt, zwei gehen in die Bibliothek, die übrigen werden signiert und verteilt. Die Dokumentation wird dann als pdf-Datei auf dem Server öffentlich zugänglich gemacht. c.b. erscheint 4-mal im Jahr.

c.b.1: Interieurs–SkizzenvonStephanMäder,Januar2007c.b.2: ...daunddort–FotosvonStephanMäder,Juli2007c.b.3: Aquarium,EinbauinderHalle180,Oktober2007c.b.4: Exterieurs–SkizzenvonStephanMäder,Dezember2007c.b.5: MasterofArtsZFHinArchitektur,Januar2008c.b.6: Druckgraphiken–AbzügeinÄtzverfahrenvonStephanMäder,April2008c.b.7: NeuesausBerlin–StudentenarbeitenundBilderausdemJahr2007,Juni2008c.b.8: Halle180–ArchitekturschuleineinerIndustriehalle,Oktober2008c.b.9: alteSachen–StephanMäder,März2009c.b.10: entsorgteModelle–Mäder+Mächler,Juli2009c.b.11: Vorträge«BlauerMontag–HubertMäderc.b.12: auseinemWeissbuch–StephanMäder,November2009c.b.13: LibroNero–MeineSkizzenzuVorlesungenimEntwurfsunterricht–PeterQuarella,Januar2010c.b.14: BCN–AlongsidePereIV–54Students–4Teachers–16Weeks–Summer2009,Februar2010c.b.15: Extramuros,BildervonStudienreisen–StephanMäder,Juni2010c.b.16: Köln–Nordrhein-Westfalen,Dozentenreise2010–ToniWiniger,September2010c.b.17: Chioggia–IsoladeiCantieri,DasWesendesWohnens,Januar2011c.b.18: KvarnerBucht,Kroatien–StephanMäder,März2011c.b.19: Transformation–PaulBürki,November2011c.b.20: Sofia,Bulgarien–PeterJenni,Dezember2011c.b.21: Japan,StudienreisederHSZ–T–RudolfMoser,März2012c.b.22: 13’manthan[west]–BeatConsoni,Juli2012c.b.23: LangeHäuser,25langeundeinhohes–StephanMäder,Oktober2012c.b. 24 a/b:Konstruiert?/Mathematikverbindet,Doppelnummer–KarlWeber/MartinHuber,Dezember2012c.b.25: Vortragsreihe...«BlauerMontag»–HubertMäder,März2013c.b.26: EntwerfenimModell–ARB12Plenum/Herbstsemester12,Juli2013c.b.27: …dortundda–FotosvonStephanMäder,September2013c.b.28: EineReiseindenOsten,Orlová–Illnau-Effretikon–HansruediPreisig,Dezember2013c.b.29: Bergell,StudienreiseDozentenJuni2013–RudolfMoser,März2014c.b.30: Begrad,EineStudienreise–TomWeiss,April2014c.b.31: DieKunstdesLernens,Unterrichtsfazit2004–2013–KarlWeber/MartinHuber,Mai2014

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Ausgabe: Nr.31-Mai2014

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