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O. Kloke Chemotherapie des nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms bei älteren Patienten Z Gerontol Geriat 34:277–279 (2001) © Steinkopff Verlag 2001 ZGG 038 Eingegangen: 25. April 2001 Akzeptiert: 25. Mai 2001 Priv. Doz. Dr. med. O. Kloke ( ) ) Elisabeth Krankenhaus Medizinische Klinik für Onkologie und Hämatologie Röntgenstraße 10 45661 Recklinghausen Tel.: 023 61 / 60 13 02 Fax: 023 61 / 60 13 13 Chemotherapy of elderly patients with non-small-cell lung cancer n Zusammenfassung Mit zuneh- mendem Alter steigt die Inzidenz von Bronchialkarzinomen stetig an, wobei bei alten Menschen die nichtkleinzelligen Karzinome deutlich überwiegen. Gemäß den Daten multizentrischer Studien zur Chemotherapie nichtkleinzel- liger Bronchialkarzinome stellt das Lebensalter keinen eindeutig negativen Prognosefaktor dar, in diesen Studien sind alte Patienten allerdings unterrepräsentiert und machen wahrscheinlich eine se- lektionierte Untergruppe aus. Ak- tuelle Studien, die auf Patienten jenseits des 70. Lebensjahres fo- kussieren, zeigen, dass auch in dieser Altersgruppe eine zytosta- tische Behandlung die Überle- benszeit verlängert und tumorbe- dingte Symptome zu lindern ver- mag. Andererseits weisen sie auf, dass Überlebenszeit und Thera- pieverträglichkeit vom Ausmaß der Komorbidität abhängig sind. n Schlüsselwörter Alter – nichtkleinzellige Bronchialkarzinome – Chemotherapie n Summary The incidence of lung cancer increases with age, and non-small-cell histotypes ac- count for approximately 85% of lung cancers in patients aged older than 65 years. Results of large multicentric trials provide no evi- dence that elderly lung cancer pa- tients who receive systemic che- motherapy have a worse outcome than younger patients. There is, however, an underrepresentation of older patients in cancer treat- ment trials, at least in part due to the stringent eligibility criteria of these trials. Recent studies speci- fically designed for elderly patients with advanced non-small-cell lung cancer have shown that chemo- therapy improves survival and disease-related symptoms also in this age group. However, the de- gree of comorbidity was found to affect both the tolerance to treat- ment and the survival outcome. n Key words Age – non-small-cell lung cancer – chemotherapy ÜBERSICHT ZUM THEMENSCHWERPUNKT Epidemiologie und biologische Besonderheiten Daten aus Krebsregistern und der amtlichen Todes- ursachenstatistik zeigen, dass mit zunehmendem Al- ter die Inzidenz von Lungentumoren stetig ansteigt (3, 8). So sind in den USA 66% aller registrierten Lungenkrebs-Patienten älter als 64 Jahre (8). Auf- grund der demographischen Entwicklung ist anzu- nehmen, dass in Deutschland die Zahl alter Men- schen mit Lungentumoren in Zukunft weiter steigen wird, zumal hier noch keine wesentliche Änderung des Tabakkonsums erkennbar ist (3). Altersabhängige Unterschiede bestehen gemäß den Daten eines regionalen Krebsregisters der USA in der Verteilung der histologischen Subtypen des Bronchialkarzinoms: Es wurde eine Zunahme des Anteils von Plattchenepithelkarzinomen (26% bei 40–49 Jahre alten Patienten; 42% bei 70- bis 79-jäh- rigen) und eine Reduktion des Anteils von kleinzelli- gen Karzinomen (22% bei 40–49 Jahre alten Patien- ten; 13% bei 70- bis 79-jährigen) beobachtet (10).

Chemotherapie des nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms bei älteren Patienten

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Page 1: Chemotherapie des nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms bei älteren Patienten

O. Kloke Chemotherapiedes nichtkleinzelligen Bronchialkarzinomsbei älteren Patienten

Z Gerontol Geriat 34:277–279 (2001)© Steinkopff Verlag 2001

ZG

G038

Eingegangen: 25. April 2001Akzeptiert: 25. Mai 2001

Priv. Doz. Dr. med. O. Kloke ())Elisabeth KrankenhausMedizinische Klinik für Onkologieund HämatologieRöntgenstraße 1045661 RecklinghausenTel.: 02361 /601302Fax: 02361 /601313

Chemotherapy of elderly patientswith non-small-cell lung cancer

n Zusammenfassung Mit zuneh-mendem Alter steigt die Inzidenzvon Bronchialkarzinomen stetigan, wobei bei alten Menschen dienichtkleinzelligen Karzinomedeutlich überwiegen. Gemäß denDaten multizentrischer Studienzur Chemotherapie nichtkleinzel-liger Bronchialkarzinome stellt

das Lebensalter keinen eindeutignegativen Prognosefaktor dar, indiesen Studien sind alte Patientenallerdings unterrepräsentiert undmachen wahrscheinlich eine se-lektionierte Untergruppe aus. Ak-tuelle Studien, die auf Patientenjenseits des 70. Lebensjahres fo-kussieren, zeigen, dass auch indieser Altersgruppe eine zytosta-tische Behandlung die Überle-benszeit verlängert und tumorbe-dingte Symptome zu lindern ver-mag. Andererseits weisen sie auf,dass Überlebenszeit und Thera-pieverträglichkeit vom Ausmaßder Komorbidität abhängig sind.

n Schlüsselwörter Alter –nichtkleinzelligeBronchialkarzinome –Chemotherapie

n Summary The incidence oflung cancer increases with age,and non-small-cell histotypes ac-

count for approximately 85% oflung cancers in patients aged olderthan 65 years. Results of largemulticentric trials provide no evi-dence that elderly lung cancer pa-tients who receive systemic che-motherapy have a worse outcomethan younger patients. There is,however, an underrepresentationof older patients in cancer treat-ment trials, at least in part due tothe stringent eligibility criteria ofthese trials. Recent studies speci-fically designed for elderly patientswith advanced non-small-cell lungcancer have shown that chemo-therapy improves survival anddisease-related symptoms also inthis age group. However, the de-gree of comorbidity was found toaffect both the tolerance to treat-ment and the survival outcome.

n Key words Age –non-small-cell lung cancer –chemotherapy

ÜBERSICHT ZUM THEMENSCHWERPUNKT

Epidemiologie und biologische Besonderheiten

Daten aus Krebsregistern und der amtlichen Todes-ursachenstatistik zeigen, dass mit zunehmendem Al-ter die Inzidenz von Lungentumoren stetig ansteigt(3, 8). So sind in den USA 66% aller registriertenLungenkrebs-Patienten älter als 64 Jahre (8). Auf-grund der demographischen Entwicklung ist anzu-nehmen, dass in Deutschland die Zahl alter Men-schen mit Lungentumoren in Zukunft weiter steigen

wird, zumal hier noch keine wesentliche Änderungdes Tabakkonsums erkennbar ist (3).

Altersabhängige Unterschiede bestehen gemäßden Daten eines regionalen Krebsregisters der USAin der Verteilung der histologischen Subtypen desBronchialkarzinoms: Es wurde eine Zunahme desAnteils von Plattchenepithelkarzinomen (26% bei40–49 Jahre alten Patienten; 42% bei 70- bis 79-jäh-rigen) und eine Reduktion des Anteils von kleinzelli-gen Karzinomen (22% bei 40–49 Jahre alten Patien-ten; 13% bei 70- bis 79-jährigen) beobachtet (10).

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Hiermit verbunden war ein Anstieg der Fälle vonlokalisierter Tumorerkrankung ohne Lymphknoten-und Fernmetastasierung (21% bei 40–49 Jahre altenPatienten; 37% bei 70- bis 79-jährigen) (10). Dieslässt vermuten, dass mit zunehmendem Alter derAnteil von Patienten steigt, bei denen von Seiten derTumorausdehnung eine kurative operative Therapiemöglich ist.

Bei mindestens 40% aller Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom ist aber bereits beiDiagnosestellung eine Fernmetastasierung vorhan-den, und auch bei lokal fortgeschrittener Erkran-kung stellt das Auftreten von Fernmetastasen denwesentlichen prognoselimitierenden Faktor dar (5).Im Folgenden wird auf die palliative Chemotherapievon fortgeschrittenen, inoperablen nichtkleinzelligenBronchialkarzinomen fokussiert.

Kalendarisches Alter als Prognosefaktor

Eine Multivarianz-Analyse an 2531 Patienten, die imRahmen von multizentrischen Studien der ame-rikanischen SWOG-Gruppe zytostatisch behandeltwurden, erbrachte, dass ein Lebensalter von 70 Jah-ren und mehr einen günstigen Prognosefaktor dar-stellt (1). In einer ähnlichen Untersuchung an 1052Patienten, die innerhalb von Studien der EORTC be-handelt wurden, hatte ein höheres Lebensalter(Schnittpunkt 60 Jahre) zwar nicht bei univariaterBetrachtung, aber in der Multivarianz-Analyse einennegativen Effekt auf die Überlebenszeit (p 0,02) (9).Die retrospektive Analyse von 290 Patienten, diezwischen 1990 und 1995 am Royal Marsden Hospitalbei London betreut wurden, zeigte eine positive As-soziation zwischen Lebensalter und Remissionswahr-scheinlichkeit; auf das Überleben hatte das Lebens-alter keinen Effekt (7). Aus diesen Daten zur Chemo-therapie nichtkleinzelliger Bronchialkarzinome er-scheint die Schlussfolgerung erlaubt, dass das Le-bensalter an sich kein eindeutig negativer Prog-nosefaktor ist (2).

Für Schlussfolgerungen aus Daten vieler prospek-tiver Studien gilt allerdings die Einschränkung, dassältere Patienten in diesen Studien unterrepräsentiertsind. So sind in den USA 66% der Lungenkrebs-Pa-tienten 65 Jahre und älter, der Anteil dieser Alters-gruppe in den von der SWOG-Gruppe zwischen 1993und 1996 durchgeführten klinischen Studien betrugjedoch lediglich 39% (8). Die Hauptursache für dieseMinderrepäsentanz dürfte darin liegen, dass die Ein-und Ausschlusskriterien von vielen dieser Studienauf Patienten mit wenig reduziertem Allgemein-zustand und nur geringfügigen Zusatzerkrankungenfokussieren. Dies hat zur Folge, dass der multimor-

bide „geriatrische“ Tumorpatient in vielen dieserStudien nicht vorkommt und Aussagen aus solchenStudien auf eine selektionierte Untergruppe ältererPatienten beschränkt sind.

Studiendaten zur Chemotherapiebei älteren Patienten

Mit dem Ziel, klarere Daten zu Wirksamkeit und Ne-benwirkungen einer Chemotherapie bei alten Patien-ten zu gewinnen, sind in Italien seit 1996 zwei ran-domisierte Studien durchgeführt worden, in denenausschließlich Patienten mit einem Lebensalter von70 Jahren und mehr beobachtet und behandelt wur-den. In beiden Studien war vorgegeben, dass der All-gemeinzustand zumindest der Stufe 2 der ECOG-Skala (gehfähig; Selbstversorgung möglich, abernicht arbeitsfähig; Patient kann mehr als 50% derWachzeit aufstehen) entsprach. In der ersten Studiewurde eine Vinorelbin-Monotherapie mit einer Sup-portivtherapie, ggf. unter Einschluss einer Strahlen-behandlung, verglichen, wobei im übrigen für dieArt der Supportivtherapie keine Vorgaben gemachtwaren (11). Es fand sich ein Überlebensvorteil fürdie Patienten im Vinorelbin-Arm (medianes Überle-ben 28 Wochen versus 21 Wochen, p 0,03). Außer-dem berichteten die Patienten im Vinorelbin-Armüber weniger tumorbedingte Beschwerden: Das Sig-nifikanzniveau für den Unterschied zwischen denStudienarmen in Bezug auf die Intensität und Häu-figkeit von Schmerzen betrug 0,02, für Dyspnoe 0,05.Als nachteilige, zu erwartende Folgen der Chemothe-rapie wurden deutlich mehr Haarverlust, Neuro-pathie und Obstipation registriert.

In der Anschlussstudie wurde eine Vinorelbin-Monotherapie mit der Kombination aus Vinorelbinin identischer Dosierung und dem ZytostatikumGemcitabin verglichen (6). Die Studie wurde vorzei-tig beendet, nachdem die erste Zwischenauswertungvon 120 Patienten einen eindeutigen Überlebensvor-teil für die Patienten im Kombinationsarm (media-nes Überleben 29 versus 18 Wochen, p 0,001) gezeigthatte. Ebenso war die Zeit bis zur Verschlechterungirgendeines tumorbedingten Symptoms im Kombina-tionsarm deutlich länger (Median 21 versus 13 Wo-chen, p 0,002).

In dieser Studie von Frasci et al. (6) wurde syste-matisch die Komorbidität der Patienten anhand derCharlson Skala (4) erfasst und für die 120 Studien-patienten untersucht, welchen Einfluss Komorbiditätund Allgemeinzustand auf die Häufigkeit eines vor-zeitigen Abbruchs der Chemotherapie haben. DasErgebnis dieser Auswertung ist in der folgenden Ta-belle zusammengefasst:

278 Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 34, Heft 4 (2001)© Steinkopff Verlag 2001

Page 3: Chemotherapie des nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms bei älteren Patienten

Zusätzlich wurde die Assoziation zwischen der Über-lebenszeit und dem Ausmaß der Komorbidität ana-lysiert: Die mediane Überlebenszeit betrug 28 Wo-

chen für Patienten ohne Komorbidität, 21 Wochenbei einem Charlson Score von 1 oder 2 und nur 16Wochen für Patienten mit einem Score von mehr als2. In der Diskussion dieser Befunde schlagen die Au-toren deshalb vor, Patienten mit hoher Komorbidität– unabhängig von ihrem Allgemeinzustand – vonzukünftigen (Chemotherapie-)Studien auszuschlie-ßen bzw. zur Vermeidung einer übermäßigen Toxizi-tät eine individualisierte Therapie mit der Option ei-ner Dosiseskalation mit Therapieverlauf in Betrachtzu ziehen.

279O. KlokeChemotherapie des nichtkleinzeligen Bronchialkarzinoms bei älteren Patienten

Tab. 1

Vorzeitiger Therapieabbruch

AZ nach ECOG 0 oder 1: 31% 2: 59%Charlson Score 0, 1 oder 2: 30% größer 2: 81%

Literatur

1. Albain KS, Crowley JJ, LeBlanc M, Li-vingstone RB (1991) Survival deter-minants in extensive-stage non-small-cell lung cancer: The Southwest On-cology Group experience. J Clin On-col 9:1618–1626

2. Antonia SJ, Robinson LA, Ruck-deschel JC, Wagner H (1998) Lungcancer. In: Balducci L, Lyman GH,Ershler WG (eds) Comprehensivegeriatric oncology. Harwood, Singa-pur, pp 611–628

3. Becker N (1999) Epidemiologie vonTumoren. In: Schmoll HJ, Höffken K,Possinger K (Hrsg) Kompendium In-ternistische Onkologie, Standards inDiagnostik und Therapie, Teil 1.Springer, Berlin, S 173–215

4. Charlson ME, Pompei P, Ales K et al.(1987) A new method of classifyingprognostic comorbidity in longitudi-nal studies: Development and valida-tion. J Chronic Dis 40:373–383

5. Deutsche Gesellschaft für InnereMedizin in Zusammenarbeit mit demBerufsverband Deutscher Internisten:Rationelle Diagnostik und Therapiein der Inneren Medizin, Kapitel 2C.Urban & Fischer, München

6. Frasci G, Lorusso V, Panza N et al.(2000) Gemcitabine plus vinorelbineversus vinorelbine alone in elderlypatients with advanced non-small-celllung cancer. J Clin Oncol 18:2529–2536

7. Hickish TF, Smith IE, O’Brien MERet al. (1998) Clinical benefit from pal-liative chemotherapy in non-small-lung cancer extends to the elderlyand those with poor prognostic fac-tors. Br J Cancer 78:28–33

8. Hutchins LF, Unger JM, Crowley JJ etal. (1999) Underrepresentation of pa-tients 65 years of age or older in can-cer-treatment trials. N Engl J Med341:2061–2067

9. Paesmans M, Sculier JP, Libert P etal. (1995) Prognostic factors for sur-vival in advanced non-small-cell lungcancer: univariate and multivariateanalyses including recursive parti-tioning and amalgamation algorithmsin 1052 patients. J Clin Oncol 13:1221–1230

10. Teeter SM, Holmes FF, McFarlane MJ(1987) Lung carcinoma in the elderlypopulation. Influence of histology onthe inverse relationship of stage toage. Cancer 60:1331–1336

11. The Elderly Lung Cancer VinorelbineItalian Study Group (1999) Effects ofvinorelbin on quality of life and sur-vival of elderly patients with ad-vanced non-small-cell lung cancer. JNatl Cancer Inst 91:66–72