67
Chlorchemie – Struktur und historische Entwicklung Schriftenreihe des IÖW 42/90 Karl Otto Henseling

Chlorchemie - Struktur und historische Entwicklung€¦ · rane und Dioxin verantwortliche di, e sich auch in Nahrungskette anreichern unn d ökologische Schäden verursachen Produkt

Embed Size (px)

Citation preview

Chlorchemie – Struktur und historische Entwicklung

Schriftenreihe des IÖW 42/90

Karl Otto Henseling

Karl Otto Henseling

Chlorchemie

Struktur und historische Entwicklung

Schriftenreihe IÖW 42/90

Berlin, September 1990, ISBN 3-926930-36-5

Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) gGmbH Potsdamer Straße 105 Tel.: +49.(0)30.884 59 4-0 D-10785 Berlin Fax: +49.(0)30.882 54 39 w w w . i o e w . d e m a i l b o x @ i o e w . d e

Kurzfassung Von den etwa 35 Millionen Tonnen Chlor, die in der chemischen Industrie

weltweit erzeugt werden, entfällt etwa ein Zehntel auf die Bundesrepublik. Auch in der DDR sind große Chloranlagen in Betrieb. Die chemische Industrie gibt an, daß etwa 60 Prozent ihres Umsatzes mit dem Grundstoff Chlor oder dessen Kup-pelprodukt Natronlauge verbunden sind.

Die Höhe der Chlorproduktion und -Verarbeitung gilt heute als Maßstab für den Entwicklungsstand der chemischen Industrie eines Landes. Chlor und Chlor-verbindungen stehen oft am Anfang einer vielstufigen und weit differenzierten Folgeproduktion, an deren Ende eine breite Palette von Produkten zur Weiterver-arbeitung oder zum Konsum (Kunststoffe, Kunstfasern, Lösungsmittel, Pestizide, Farbstoffe, Waschmittel, Pharmazeutika etc.) steht.

Der Aufstieg der Chlorchemie wurde durch die leichte Verfügbarkeit des Roh-stoffs Steinsalz und günstige (oft hoch subventionierte) Strompreise für die Elek-trolyse begünstigt.

Durch Nutzung der hohen Reaktionsfähigkeit des Chlors mit organischen Grundstoffen wie Methan, Ethen oder Benzol wurden neue chemische Verbin-dungen, die chlorierten Kohlenwasserstoffe, verfügbar, die mit dem Vordringen chemischer Produkte in alle Wirtschaftsbereiche, im Verlauf der Rüstungskon-junkturen zweier Weltkriege und mit der Entwicklung der Automobilindustrie und des Massenkonsums erfolgreich vermarktet werden konnten.

Die Geschichte der Chlorchemie zeigt, daß die toxischen Eigenschaften insbe-sondere organischer Chlorverbindungen früh erkannt und zur Herstellung von chemischen Kampfstoffen und Pestiziden genutzt wurden. Erkennbare Risiken für Beschäftigte, Anwender und Umwelt wurden so lange als möglich geleugnet und dem Geschäftsinteresse untergeordnet.

Für zwangsläufig anfallende, zunächst nutzlose Kuppelprodukte wurden trotz bedenklicher toxischer und ökologischer Eigenschaften durch weitere Umwand-lungen und/oder aggressive Vermarktungsmethoden Anwendungsmöglichkeiten geschaffen.

In Produkten der chemischen Industrie wie dem Kunststoff PVC, Lösemitteln wie TRI oder PER, Fluorchlorkohlenwasserstoffen oder Chlorpestiziden wird das Chlor organisch gebunden und damit in einer ökologisch bedenklichen Form in die Umwelt eingebracht. Produkte und vor allem Neben- und Abprodukte der Chlorchemie wie polychlorierte Dibenzodioxine und polychlorierte Dibenzofurane gehören zu den toxischsten und ökologisch gefährlichsten Stoffen überhaupt.

Die Häufung von Umwelt- und Gesundheitsskandalen, die dem Bereich der Chlorchemie zuzurechnen sind, hat die Chlorchemie als Ganzes zum Gegenstand chemiepolitischer Auseinandersetzungen werden lassen. Dementsprechend sind neben politischen Instrumenten zur Abwehr einzelstoffbedingter Risiken auch In-strumente zu einer Reduzierung der Chlorchemie insgesamt oder einzelner Teil-bereiche in der Diskussion bzw. bereits in Anwendung.

Von der Verteuerung des Grundstoffs Chlor durch Erhebimg einer Chlorsteuer oder -abgabe werden Impulse für die Entwicklung chlorfreier Produktionsweisen und Produkte erhofft. Auch von einer Anhebimg der industriellen Strompreise ist indirekt eine ähnliche Wirkung zu erwarten. Im Rahmen des Chemikaliengesetzes, des Pflanzenschutzgesetzes, des Bundesimmissionsschutzgesetzes oder des Abfall-gesetzes etc. unterliegen Produkte der Chlorchemie bereits einer Reihe gesetzli-cher Beschränkungen.

Inzwischen hat auch die chemische Industrie erkannt, daß "viel versäumt wurde - viel Zeit vor allem, sich Gedanken über die Auswirkungen der verschie-denartigsten industriellen Chlornutzungen zu machen." (Chem.Tech.Lab. 38 (1990) 263)

Verschiedene Studien lassen erkennen, daß es für eine Reihe chlorhaltiger Pro-dukte und für Verfahren, bei denen Chlor als Reaktionsvermittler dient, Alternati-ven gibt. Die konsequente, durch umweltpolitische Maßnahmen forcierte Nutzung dieser Alternativen kann danach bereits kurzfristig bis zu einer Halbierung des Chlorverbrauchs führen.

Während in der Vergangenheit die Steigerung des Chlorverbrauchs ein Maß für den Fortschritt der chemischen Industrie war, wird es in Zukunft dessen Rückgang sein.

Inhaltsverzeichnis

Seite

1. Bedeutung der Chlorchemie in den Produktionszusammenhängen 1 der chemischen Industrie

2. Historische Entwicklung der Chlorchemie und ihrer 5 toxikologischen und ökologischen Bewertung

2.1 Vorgeschichte 5 2.2 Chlor-Alkali-Elektrolyse 6 2.3 Entwicklung der Chlorchemie bis zum Ersten Weltkrieg 7 2.4 Chloracne und Lösungsmittelvergiftungen 10 2.5 Kampfstoffe 11 2.6 Zivile Nutzung und toxikologische Bewertung von Chlororganika 13

zwischen den Weltkriegen 2.7 Entwicklung in Deutschland bis 1945 24 2.8 Biozide 27 2.9 Entwicklung der Chlorchemie nach 1945 29 3. Risiken der Chlorchemie für Arbeit, Gesundheit und Umwelt 35 4. Gegenwärtige Struktur und Entwicklungstendenzen der Chlorchemie 40 4.1 Organische Primärprodukte 40 4.2 Chlormethane 41 4.3 Chlorethane und Chlorethene 42 4.4 Auswirkungen von Produktionsrückgängen bei CKW 44 4.5 Polyvinylchlorid (PVC) 45 4.6 Chloraromaten 46 4.7 Bleichmittel 47 4.8 Chemiepolitische Regelungen bezüglich der Chlorchemie 48

Literatur 50 Anhang

durch die zunehmende Bedeutung der organisch-chemischen Industrie gekenn-zeichnet, die bei weitem der größte Chlorverbraucher ist (Eine Übersicht über die Verbrauchsstruktur von Chlor in der Bundesrepublik ist in Anhang 3 gegeben, die bundesdeutschen Chlorproduzenten sind in Anhang 4 aufgeführt).

Der Aufstieg der Chlorchemie wurde durch die Verarbeitung des einfach ver-fügbaren Rohstoffe Steinsalz mittels billigen Stromes in Chlor-Alkali-Elektrolyse-Anlagen ermöglicht. Für die Elektrolyse von Steinsalz wird in der Bundesrepublik ein Anteil von ca. 3% des gesamten privaten und industriellen Stromverbrauchs verwendet. Vom Strombedarf der Chemischen Industrie entfallen über 25% auf die Chlor-Alkali-Elektrolysen.

Durch Nutzung der hohen Reaktionsfähigkeit des Chlors mit organischen Grundstoffen wie Methan, Ethen oder Benzol wurden neue chemische Verbin-dungen, die chlorierten Kohlenwasserstoffe, verfügbar, die mit dem Vordringen chemischer Produkte in alle Wirtschaftsbereiche, im Verlauf der Rüstungskon-junkturen zweier Weltkriege und mit der Entwicklung der Automobilindustrie und des Massenkonsums erfolgreich vermarktet werden konnten.

Große Werke der Chlorchemie in der Bundesrepublik (Stade, Wilhelmshaven) sind im Zuge einer verfehlten Industrieansiedlungspolitik entstanden. Investitions-hilfen in Milliardenhöhe stehen einer geringen Zahl an geschaffenen Arbeitsplät-zen und bescheidenen Steuermehreinnahmen gegenüber. Dafür wurden langfri-stige finanzielle Belastungen der öffentlichen Hand durch subventionierte Strom-und Wasserpreise sowie erhebliche Störfallrisiken und ökologische Folgewirkun-gen mit unkalkulierbaren Kosten in Kauf genommen (BDA 1980, Gabbey 1984).

Mit einer Weltjahresproduktion von über 30 Millionen Tonnen Chlor wurde eine Größenordnung erreicht, in der vor allem die in der Natur sonst nur in exoti-schen Ausnahmefällen vorkommenden organischen Chlorverbindungen eine neue Qualität globaler Stoffströme bilden. In den Umweltmedien Boden, Wasser und Luft und in der Biosphäre sind deutliche Veränderungen infolge der Auswirkun-gen der Chlorchemie festzustellen. In der Atmosphäre spielen leichtflüchtige Chlorkohlenwasserstoffe und Fluorchlorkohlenwasserstoffe als Schadstoffe, die an der Smogentstehung und der Zerstörung der Ozonschicht wesentlichen Anteil ha-ben, die Hauptrolle. Für die Belastung von Böden und Gewässern sind neben den leichtflüchtigen Chlorkohlenwasserstoffen (CKW) vor allem die stabilen aromati-schen Chlorverbindungen wie polychlorierte Biphenyle (PCBs) oder chlorierte Fu-rane und Dioxine verantwortlich, die sich auch in Nahrungsketten anreichern und ökologische Schäden verursachen. Produkte und Nebenprodukte der Chlorchemie bilden durch die Vielzahl toxischer und krebserregender Substanzen eine arbeits-

l.Bedeutung der Chlorchemie in den Produktionszusammenhängen der chemischen Industrie Die Elektrolyse von Natriumchlorid (Steinsalz bzw. Kochsalz) liefert mit den

Hauptprodukten Chlor und Natronlauge zwei der wichtigsten chemischen Grund-stoffe. Die Elektrolyse-Produkte Chlor, Natronlauge und Wasserstoff werden in naturgesetzlich bestimmten, konstanten Mengenverhältnissen erhalten. Es handelt sich um sogenannte Kuppelprodukte (Zur Stellung von Chlor und Natronlauge un-ter den mengenmäßig bedeutendsten chemischen Grundstoffen siehe Anhang 1).

Die Produktionszahlen von Chlor, Natronlauge und Schwefelsäure werden als Kenndaten für die Beurteilung des Entwicklungsstandes der chemischen Industrie eines Landes herangezogen. Da die chemische Industrie durch ihre starke Ver-flechtung mit anderen Industriezweigen eine Schlüsselindustrie ist, können aus den Produktionszahlen dieser drei Grundstoffe auch Aussagen über den Entwicklungs-stand der Gesamtindustrie eines Landes gemacht werden. Dabei können drei Pha-sen, die historischen Etappen in den Industrieländern und aktuellen Entwicklungs-stufen in heute verschieden weit industrialisierten Ländern der Dritten Welt ent-sprechen, unterschieden werden. In jeder der drei Phasen ist einer der drei Grand-stoffe von herausragender Bedeutung (Schulze/Weiser 1985).

Die erste Phase entspricht historisch der Herausbildung der chemischen Indu-strie in den europäischen Industrieländern (England, Frankreich, Deutschland...). Diese Phase ist durch einen besonders hohen Alkali-Verbrauch (Natronlauge und Soda) gekennzeichnet, der durch den wachsenden Bedarf vor allem der Textil-, Papier-, Seifen- und Glasindustrie hervorgerufen wurde oder wird.

Die Schwefelsäureproduktion steht in der zweiten Phase im Vordergrund. Diese Phase entspricht historisch der Entwicklung der deutschen chemischen Industrie vom ausgehenden 19.Jahrhundert bis zur Mitte unseres Jahrhunderts, als sich mit der Farbstoff-, Sprengstoff- und Düngemittelindustrie Großverbraucher von Schwefelsäure entwickelten.

Der Maßstab für die dritte Phase, in der sich die Chemie in den Industrieländern derzeit befindet, ist die Chlorproduktion. Chlor und Chlorverbindungen stehen oft am Anfang einer vielstufigen und weit differenzierten Folgeproduktion, an deren Ende eine breite Palette von Produkten zur Weiterverarbeitung oder zum Konsum (Kunststoffe, Kunstfasern, Lösungsmittel, Pestizide, Farbstoffe, Waschmittel, Pharmazeutika etc.) steht. Chlor tritt dabei häufig nur als Synthesevermittler auf und geht dann nicht substantiell in die Endprodukte ein. Diese Phase ist auch

medizinisch besonders problematische Stoffgruppe. Durch die Umsetzung und den Transport großer Mengen hochgiftiger Stoffe birgt die Chlorchemie überdies ein hohes Störfallrisiko in sich.

In einer vierten Phase der Entwicklung der chemischen Industrie wird die Substi-tution von Chlor als Synthesevermittler und von organischen Chlorverbindungen als Produkten eine wesentliche Rolle spielen. Nicht die Höhe der Chlorproduk-tion, sondern deren Rückgang wird in Zukunft ein Maß für die Fortschritte der chemischen Industrie eines Landes sein. Das "Institut für Ökologie und Politik" (Ökopol) hat im Auftrag der Aktionskonferenz Nordsee einen ausführlichen Be-richt zur Chlorchemie erstellt, der zu dem Ergebnis kommt, daß in der Bundesre-publik eine Halbierung des Chlorverbrauchs kurzfristig realisierbar ist (Winteler/Ahrens 1990).

Die Chlorchemie ist durch die Kuppelproduktion von Natronlauge eng mit dem Alkalienmarkt verknüpft. Während in vergangenen Entwicklungsphasen der che-mischen Industrie ein hoher Natronlaugebedarf das Chlor zu einem Überschuß-produkt werden ließ, für das Absatzmöglichkeiten gesucht wurden, ist heute die Natronlauge das Überschußprodukt Natronlauge kann darüberhinaus für wichtige Einsatzzwecke durch Soda ersetzt werden, bei deren Herstellung kein Chlor an-fällt. Durch einen Rückgang der Chlorproduktion ist daher keine größere Störung des Alkalienmarktes zu erwarten.

Aufgrund des hohen Stromkostenanteils an den Herstellungskosten von Chlor besteht ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Chlorchemie und der Entwicklung der Strompreise. Ein starker Anstieg der Strompreise, wie er etwa im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der Kernenergie zu erwarten wäre, würde nach Einschätzung des RWI auf die Preise von Massenprodukten der Chlorchemie wie PVC durchschlagen und zu Nachfragerückgängen führen (RWI 1986,77). Eine deutliche Anhebung der Strompreise würde auf die chemische Industrie einen In-novationsdruck in Richtung auf eine zumindest teilweise Substitution der Chlor-chemie ausüben. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Indu-strie würde durch einen derartigen Strukturwandel kaum berührt (IÖW/ÖKO-In-stitut 1986).

Ein weiterer ökonomischer Faktor, der sich auf die künftige Entwicklung der Chlorchemie auswirken wird, ist die Entwicklung der Abfallbeseitigungskosten. Da einerseits bei der Produktion problematische Abfälle entstehen und andererseits auch Probleme bei der Entsorgung von verbrauchten Endprodukten der Chlor-chemie auftreten, ist zu erwarten, daß auch steigende Entsorgungskosten einen

Strukturwandel in der chemischen Industrie im Sinne eines Rückganges der Chlor-chemie beschleunigen werden.

In der Diskussion über die Möglichkeiten, Umweltbelastungen und Gesund-heitsrisiken durch die Chlorchemie zu vermeiden, spielt die Substitution von Zwi-schen- oder Endprodukten der Chlorchemie durch weniger toxische und umwelt-belastende Stoffe eine vorrangige Rolle. Angesichts der vielfältigen Verzweigun-gen der Chlorchemie ist die Frage nach Substitutionsmöglichkeiten sehr komplex und bedarf einer differenzierten Behandlung. Hierbei kann es hilfreich sein, im hi-storischen Rückblick zu betrachten, unter welchen Umständen die Produkte der Chlorchemie auf den Markt gebracht wurden und ihrerseits traditionelle Stoffe substituiert haben. Besonderes Interesse verdient dabei die Frage, ob bzw. wann problematische Eigenschaften von Produkten der Chlorchemie erkannt wurden und welche Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen gezogen wurden.

Politische Maßnahmen mit dem Ziel einer Begrenzung der Chlorchemie greifen in eine Struktur ein, die ihrerseits Ergebnis wirtschaftspolitischer Entwicklungen ist. Auch hier kann der historische Rückblick Weichenstellungen deutlich machen, die sich aus heutiger Sicht als korrekturbedürftig erweisen.

2. Historische Entwicklung der Chlorchemie und ihrer toxikologischen und ökologischen Bewertung

2.1 Vorgeschichte Die Chemische Industrie entstand in England im Zuge der Industriellen Revo-

lution durch den Bedarf der Textilindustrie an Alkalien und Schwefelsäure. Mit dem explosionsartigen Anstieg der Baumwoll-, Woll- und Leinenverarbeitung ent-stand die Nachfrage nach neuen wirksameren Chemikalien in stark steigenden Mengen.

Synthetische Soda, Natronlauge, Salz- und Schwefelsäure ersetzten die traditio-nellen Hilfsstoffe der Textilverarbeitung. Die Verfahren zur Herstellung dieser Chemikalien waren eng miteinander verflochten. Bei der Herstellung von Soda fiel gasförmiger Chlorwasserstoff (Salzsäuregas) als Kuppelprodukt zwangsläufig an.

Die Emissionen von Chlorwasserstoff stellten eine schwere Umwelt- und Ge-sundheitsbelastung dar. Zur Begrenzung dieser Emissionen wurde es unumgäng-lich, den Chlorwasserstoff durch Absorption in Wasser als Salzsäure zu binden.

Der hohe Sodabedarf ließ die Produktion des zwangsläufig anfallenden Kup-pelproduktes Salzsäure so ansteigen, daß die für herkömmliche Verwendungen ab-setzbare Menge bei weitem überschritten wurde. Bei der Suche nach verkaufsfähi-gen Verwendungsmöglichkeiten für die Salzsäure erwies sich die Umwandlung in Chlorgas und dessen Weiterverarbeitung zu Bleichmitteln als erfolgreich.

Chlor ist als chemisches Element 1774 von Carl Wilhelm Scheele (1742 - 1786) entdeckt worden. Scheeles französischem Chemikerkollegen Claude-Louis Berthollet (1748 - 1822) fielen die bleichenden Eigenschaften von Chlor auf. In seiner Eigenschaft als "Kommissars für die Direktion der Färbereien" war er an der praktischen Nutzung dieser Eigenschaft interessiert. Ihm ist die Einführung der Chlorbleiche in die Textilindustrie zu verdanken. Zur besseren Handhabung wurde das Chlor an Löschkalk gebunden. Das dabei anfallende Produkt, der Chlorkalk, wurde als "Bleichpulver" zu einem wichtigen Hilfemittel für die Textil-und Papierindustrie.

Mit dem Aufkommen der wissenschaftlich fundierten Teerfarbenproduktion Ende des vorigen Jahrhunderts wurde Chlor zunehmend für die Herstellung che-mischer Zwischenprodukte verwendet.

In dieser Zeit war die Entwicklung der Elektrotechnik soweit fortgeschritten und die Stromerzeugung soweit verbilligt, daß an eine wirtschaftliche Durchfüh-rung von elektrolytischen Verfahren in der chemischen Industrie gedacht werden konnte.

Gleichzeitig befand sich die Sodaindustrie nach der Einführung eines Verfah-rens, bei dem keine Salzsäure als Kuppelprodukt anfällt (Solvay-Verfahren), in ei-ner Umbruchssituation. Sie war an einem von der Sodaerzeugung unabhängigen Weg zur Herstellung von Chlor interessiert, um den Chlor- und insbesondere den Bleichmittelmarkt nicht aufgeben zu müssen.

22 CMor-Alkali-Elektrolyse Bei der Elektrolyse einer Steinsalzlösung (Chlor-Alkali-Elektrolyse) entstehen

Chlor, Natronlauge und Wasserstoff. Während früher Natronlauge erst aus Soda und Chlor aus Salzsäure hergestellt werden mußten, wurden beide Chemikalien bei der Elektrolyse unmittelbar erhalten.

Die ersten Versuche zur technischen Durchführung der Chlor-Alkali-Elektro-lyse wurden bei der Duisburger Kupferhütte gemacht und von einem Konsortium aus vier Firmen weitergeführt, zu denen auch E.Matthes & Weber und die Chemi-sche Fabrik Griesheim gehörten. Griesheim, ein Unternehmen der klassischen So-daindustrie, stand nicht nur unter dem Druck der Einführung des neuen Sodaver-fahrens, sondern auch vor dem Verlust von Aufträgen seines Hauptabnehmers, der Farbwerke Hoechst, die ihre Grundchemikalien zunehmend in eigenen Betrieben erzeugten. Griesheim war daher an der Aufnahme des neuen Produktionsverfah-rens besonders interessiert. 1890 wurde der Fabrikationsbetrieb mit einer Ta-gesproduktion von 1,5 t Ätzkali und 2,5 t Chlorkalk aufgenommen. Die Betriebs-ergebnisse entsprachen den Erwartungen und das Konsortium entschloß sich 1892 zur Gründung einer gemeinsamen Firma, der "Chemischen Fabrik Elektron AG" in Griesheim, die ihre Produktion bald erheblich steigern konnte.

Die Wirtschaftlichkeit der Chlor-Alkali-Elektrolyse hing vor allem von den Stromkosten ab. Für den Aufbau einer größeren Anlage wurde daher ein Standort mit günstiger Energieversorgung gesucht. Am Rande des mitteldeutschen Braun-kohlereviers in Bitterfeld wurde ein solcher Standort gefunden. Ein weiteres Zweigwerk wurde in Rheinfelden errichtet, wo billige Wasserkraft zur Verfügung stand. Heute wird in den Bitterfelder Anlagen ein großer Teil der Chlorproduktion der DDR erzeugt. In Rheinfelden wird die Chlor-Alkali-Elektrolyse jetzt von der Dynamit-Nobel AG betrieben. Das Rheinfeldener Werk ist in den letzten Jahren

wegen Umweltverschmutzung im Zusammenhang mit der Pentachlorphenolher-stellung (für Holzschutzmittel) in die Schlagzeilen der Presse geraten. Die Werke der chemischen Fabrik Griesheim-Elektron sind heute Bestandteil der Hoechst AG.

Während in Deutschland die Griesheimer die Entwicklung der Chlor-Alkali-Elektrolyse beherrschten, entwickelte der belgische Solvay-Konzern, der sich nach der Entwicklung eines überlegenen Sodaherstellungsverfahrens die weltweite Vor-herrschaft auf dem Sodamarkt gesichert hatte, ein eigenes Elektrolyse-Verfahren. Mit diesem Verfahren gewann Solvay bestimmenden Einfluß auf Englands elek-trochemische Industrie. Unter Mitwirkung des Solvay-Konzerns kam es 1926 zum Zusammenschluß der englischen chemischen Grundstoffindustrie mit den engli-schen Farbstoffwerken zum LGL-Konzern (Imperial Chemical Industries Ltd.), als in Deutschland der IG-Farben-Konzern entstand. In den USA widmete sich unter anderen die Dow Chemical Co., die 1892 in Midland (Mich.) als Aufbereitungs-werk für Salzsolen gegründet worden war, der elektrolytischen Gewinnung von Chlor und Natronlauge.

23 Entwicklung der Chlorchemie bis zum Ersten Weltkrieg Bereits zu Beginn unseres Jahrhunderts waren in Deutschland, nachdem auch

andere Firmen wie Bayer und die BASF eigene Anlagen errichtet hatten, die Ka-pazitäten der Chlor-Alkali-Elektrolyseanlagen so weit ausgebaut, daß bei guten Absatzmöglichkeiten für die Natronlauge ein Überschuß an dem Kuppelprodukt Chlor auftrat. Der Chlorüberschuß war so groß, daß sogar die Umwandlung in Salzsäure, also die Umkehrung des klassischen Chlorherstellungsverfahrens, in Erwägung gezogen wurde. Das intensive Bestreben anderweitige Absatzgebiete zu finden, konzentrierte sich vor allem auf die Verwertung von Chlor in der organi-schen Großindustrie.

Organische Chlorverbindungen spielten traditionell vor allem in der Farben-produktion eine Rolle. Die Herstellung des wichtigsten synthetisch hergestellten Naturfarbstoffes, des Indigo, erfolgte über eine Zwischenstufe, bei der Chloressig-säure verwendet wurde. Für die Synthese von Triphenylmethanfarbstoffen wurde Phosgen (Carbonylchlorid) verwendet. Angesichts der Chlorüberschüsse wurde in-tensiv an neuen Synthesen für Farbstoffe und andere Produkte der organischen Chemie gearbeitet, bei denen organische Chlorverbindungen als Zwischenpro-dukte verwendet werden konnten. Neben weiteren Verwendungsmöglichkeiten für Mono- und Dichloressigsäure und Phosgen spielten dabei vor allem Chlorderivate aromatischer Kohlenwasserstoffe eine wichtige Rolle. Aromatische Verbindungen

wie Benzol, Naphthalin, Naphthol, Phenol oder Anilin waren die klassischen aus Teer gewonnenen Ausgangsstoffe der Farbstoffproduktion. Durch Herstellung ent-sprechender Chlorderivate konnte das Spektrum von Zwischenprodukten erheb-lich erweitert werden. Hierbei entstanden wiederum neue Kuppelprodukte, von denen nicht alle weiterverwendet werden konnten. Als ebenso lästiges wie nutzlo-ses Nebenprodukt wird bereits damals das p-Dichlorbenzol genannt (Ulimann 1908, 405f). Im Gemisch mit o-Dichlorbenzol wurde es ebenso wie andere chlo-rierte Aromaten als Bestandteil von Lösungsmitteln für Harze und Lacke empfohlen. Chlorbenzole wurden auch zum "Strecken" anderer Lösungsmittel ver-wendet.

Unter den Chlorierungsprodukten des Toluols erlangten die in der Seitenkette chlorierten Produkte, Benzylchlorid, Benzalchlorid und Benzotrichlorid sowie o-und p-Chlortuluol als Zwischenprodukte Bedeutung. Benzalchlorid diente vor al-lem zur Herstellung von Benzaldehyd und Benzotrichlorid zur Fabrikation von Benzoesäure.

Im Bereich der Heilkunde spielten das Chloroform als Narkosemittel und das Chloralhydrat als Schlafmittel eine Rolle. Auch andere Chlorkohlenwasserstoffe wie Chlormethan, Dichlormethan, Chlorethan oder 1,2-Dichlorethan wurden als Anaesthetica, Rheumamittel oder Antineuralgica eingesetzt. Chlorphenole fanden als Antiséptica unter anderem in der Frauenheilkunde oder in Gurgelwässern Verwendung (Ullmanns Enzyklopädie 1914-23,9.Band, 40).

Bei der Suche nach weiteren Verwendungsgebieten für Chlor lag die Verbin-dung mit einem anderen, neu entstandenen Zweig der Chemie, der Acetylenche-mie, nahe. Acetylen wurde aus Calciumcarbid, das seinerseits elektrochemisch aus Kohle und Kalk erzeugt wurde, gewonnen. Die Acetylenchemie wurde vor allem von der Knapsack-Griesheim AG, später Tochtergesellschaft der Hoechst AG, entwickelt. Die Ausarbeitung der Acetylen-Chlor-Chemie erfolgte ab 1903 bei dem Konsortium für Elektrochemie in Nürnberg, die industrielle Produktion wurde bei der Wacker Chemie aufgenommen.

Als Verwendungsgebiete für die leichtflüchtigen, flüssigen Chlorierungspro-dukte des Acetylen boten sich aufgrund der guten Fettlöseeigenschaften dieser Verbindungen Verfahren an, für die bis dahin Benzin als Lösungsmittel verwendet wurde, beispielsweise in "Knochen-Entfettungs-Anstalten, Ölraffinerien, Wollwä-schereien, Bergwerken, chemischen Wäschereien, Vernickelungsanstalten u.s.w.". Bereits um die Jahrhundertwende veranlaßten zahlreiche Benzinbrände und Ex-plosionen die betreffenden Industrien, nach einem unbrennbaren Ersatz für das Benzin Ausschau zu halten. Erste Versuche, Tetrachlormethan (Tetra-chlor-

kohlenstoff, TETRA) als Benzin-Ersatz zu verwenden, waren wenig befriedigend, da das TETRA, das damals noch aus Kohlendisulfid hergestellt wurde, nicht genügend rein erhalten wurde (Ganswindt 1899; Consortium 1907, 1095f). Neben dem Bestreben, reineres TETRA herzustellen, setzte man darauf, unter den verschiedenen Chlorierungsprodukten des Acetylen geeignete unbrennbare Lösungsmittel zu finden.

Zunächst erlangten vor allem das 1,1,2,2-Tetrachlorethan und das hieraus ge-wonnene Trichlorethen (TRI) größere praktische Bedeutung. Weitere aus diesen beiden Verbindungen gewonnene CKW waren Penta- und Hexachlorethan sowie Dichlorethen und Tetrachlorethen (Perchlorethylen, PER), die zunächst von ge-ringerer praktischer Bedeutung waren. Tetrachlorethan wurde unter dem Namen Acetosol als Lösungsmittel für Lackbestandteile, insbesondere Celluloseacetat, eingesetzt. Es wurde ferner zum Entfernen alter Farbanstriche, zum Reinigen und Entfetten von Metallen und als Lösungsmittel für organische Stoffe aller Art ver-wendet (Ullmanns Enzyklopädie 1914-23, l.Band, 146f). Bei der Verwendung von Tetrachlorethan, beispielsweise in Celluloseacetat-Lacken, kam es zu so zahlrei-chen schweren, auch tödlichen Vergiftungsfällen, daß es sich gegenüber ungefähr-licheren Lösungsmitteln wie Aceton in der Lackindustrie nicht durchsetzen konnte (Kohn-Abrest 1924,102). Auch die leichte Zersetzlichkeit von Tetrachlorethan, es spaltet leicht Salzsäure ab, stand seinem Einsatz in der Technik entgegen. Auch wenn von Herstellerseite behauptet wurde, daß die Zersetzlichkeit nur bei verun-reinigtem (Konkurrenz-)Produkt vorkomme und die eigene, reine Ware "vollkommen beständig" sei (Consortium 1907, 705), verlor das Tetrachlorethan vor allem gegenüber seinem Folgeprodukt Trichlorethen (TRI) als Lösungsmittel an Bedeutung. Seine Verwendung wurde in einigen Ländern sogar verboten.

TRI wurde vor allem als Extraktions- und Reinigungsmittel auf den Markt ge-bracht. Als besonderer Vorzug des TRI wurde seine angebliche Unschädlichkeit in gesundheitlicher Beziehung hervorgehoben, wobei vor allem das Fehlen von nar-kotischen Wirkungen behauptet wurde, "wie sie Chloroform und Tetrachlorkoh-lenstoff in hohem Maße hervorrufen" (Consortium 1907,1096).

PER wurde wegen seines verhältnismäßig hohen Preises vor dem Ersten Welt-krieg nur in geringen Mengen als Fleckentferner verwendet. 1,2-Dichlorethen wurde als Kautschuklösungsmittel eingesetzt.

Die Welterzeugung an elektrolytisch gewonnenem Chlor betrug zu Beginn des Ersten Weltkrieges etwa 125.000 Jahrestonnen, von denen noch über die Hälfte zur Darstellung von Chlorkalk dienten. Auf die Herstellung chlororganischer Ver-bindungen entfielen weniger als 50.000 Jahrestonnen Chlor. Hauptproduzenten

-10-

waren neben Deutschland die USA und England (Ullmanns En2yklopädie 1914-23, 3.Band, 439). Die zunehmende Verwendung von chlororganischen Verbindun-gen als Zwischenprodukte und die Entwicklung der Acetylen-Chlor-Chemie änder-ten an den lästigen Chlorüberschüssen, die bei weiter expandierender Natronlau-geerzeugung in den Chlor-Alkali-Elektrolyseanlagen anfielen, bis dahin wenig. Die Verwendung von Chlor "zur Darstellung verschiedener anorganischer und organi-scher Chlorverbindungen wurde ... in steigendem Masse durchgeführt, um der sich stark fühlbar machenden Überproduktion an Chlor zu begegnen." (Ullmanns En-zyklopädie 1914-23, 3 .Band, 403)

Für die Förderung des Absatzes der lästigen Chlorüberschüsse war neben der Entwicklung weiterer Anwendungsgebiete die Entwicklung der Chlorverflüssi-gungstechnik und geeigneter Transportmittel wichtig. So konnte das Chlor als so-genanntes "Bombenchlor" auch unverarbeitet an andere Unternehmen, beispiels-weise für die Wasserbehandlung, die Zellstoffbleiche oder die Goldextraktion, weiterverkauft werden.

2.4 Chloracne und Lösungsmittelvergiftungen Die Chlorchemie wurde von Anbeginn durch schwere gewerbliche Vergiftungs-

fälle begleitet. Schon in den ersten Chlor-Alkali-Elektrolyseanlagen trat die "Chloracne" auf, die damals so beschrieben wurde:

"Bei Arbeitern, welche sich lange in Räumen, in welchen Chlor auf elektrolyti-schem Wege gewonnen wurde, aufhielten, trat eine Erkrankung auf, die sich durch das Auftreten zahlloser teigiger Knoten auf dem ganzen Körper sowie Husten, Auswurf, Schlaf- und Appetitlosigkeit und Schwindelanfälle äußerte." (Ullmanns Enzyklopädie 1914-23, 3.Band, 374)

Heute wissen wir, daß die Arbeiter einer Dioxin-Vergiftung zum Opfer gefallen sind. Das bei der Elektrolyse gebildete Chlor hatte mit Bestandteilen der aus Koks und Teer hergestellten Elektroden zu Dioxinen und verwandten aromatischen Chlorkohlenwasserstoffen reagiert. Die Erkrankungen konnten durch die Einfüh-rung von Metallelektroden vermieden werden. Sie wurden dafür regelmäßig dort wieder beobachtet, wo aromatische Verbindungen, wie sie im Steinkohlenteer vor-kommen, mit Chlor zur Reaktion gebracht wurden.

Nach der Einführung von CKW als Lösungsmittel kam es vor allem zu Vergif-tungen mit Tetrachlorethan, "das als ausgezeichnetes Lösungsmittel für Acetylcel-lulose bei der Herstellung nicht brennbarer Filme, Celluloselacke für Flugzeuge (Aviatol, Emaillit u.a.) Verwendung gefunden hat. Hier ist die Anfälligkeit der Ar-

-11-

beiter sehr groß, und außer in der deutschen Industrie sind in der französischen, amerikanischen und englischen Flugzeugindustrie zahlreiche tödliche Erkrankun-gen, besonders in der Kriegszeit, beobachtet worden." (Lutz 1930, 807)

Die Symptome einer tödlichen Vergiftung durch Tetrachlorethan sind am Bei-spiel eines Laboranten, der das Lösungsmittel über längere Zeit mit dem Mund abpipettiert hatte, so beschrieben worden: "Er erkrankte mit Trockenheit im Mund und unstillbarem Durst, nervösen Erscheinungen in Form der Erregbarkeit, Ma-genschmerzen. Dabei magerte er enorm ab. Bei einer Länge von 1,80 m wog er bei seinem Tode kaum mehr 80 Pfund. Bei der Sektion fand ich eine schwere chroni-sche Entzündung in der Zunge, die seinen unstillbaren Durst erklärte, und eine Leber, die einer gut gemästeten Gänseleber entsprach." (Lutz 1930,807f)

2.5 Kampfstoffe Erheblichen Aufschwung nahm der Chlorabsatz im Ersten Weltkrieg, in dem es

auf Initiative von Fritz Haber als chemischer Kampfstoff verwendet wurde. Beim ersten Einsatz am 22. April 1915 wurden aus 5.000 heimlich an die Front geschaff-ten Stahlzylindern insgesamt 180 Tonnen Chlor mit Unterstützung des Windes in Richtung auf die französischen Schützengräben abgeblasen. Als sich die gelblich-grüne Giftwolke wieder verzogen hatte, lagen 15.000 englische und französische Soldaten mit verätzten Bronchien und Lungen auf dem Schlachtfeld. 5.000 von ih-nen überlebten die Vergiftung nicht. Nach der Einführung von Gasmasken konn-ten die Soldaten, selber leidlich geschützt, die Wirkung des Chlorgases auf die Tier- und Pflanzenwelt beobachten:

"... Wir Soldaten lieben die Tiere. In den kargen Mußestunden überträgt sich das Be-dürfiiis, Liebe zu spenden, auf kleine vierfüßige oder gefiederte Freunde.... Und nun sind uns unsere Freunde genommen worden. So gut wie keins von all den verschiedenen Tie-ren hat die Gaswolken überstehen können.

Zuerst witterten die Meerschweinchen die heranschleichende Gaswolke.... Als die er-sten schwachen Anzeichen von Chlorgas bemerkbar wurden, begannen die Hunde anzu-schlagen und jämmerlich zu heulen.... Die Ratten und Mäuse im Schützengraben, mei-stens eine unerwünschte, nicht ausrottbare Plage, sind ziemlich alle verendet. Sie kamen aus ihren Löchern heraus. Ihre Bewegungen wurden merkbar träge, bis sie schließlich leblos liegen blieben....

Die von starkem Gas berührten Pflanzen verwelkten und wurden schwarz. Kleinere Tiere und Insekten, Ameisen, Raupen, Käfer und Schmetterlinge waren tot." (Anonymus 1917)

-12-

Eine weitere Eskalation erfuhr der Gaskrieg durch die Einführung von Phosgen als Kampfstoff und Gasgranaten als Kampfmittel. Die Wirkung von Phosgen be-schrieb Hugo Stolzenberg, Assistent Fritz Habers, so:

"Die Einatmung verdünnten Phosgens geht anfangs fast ohne Beschwerden vor sich. Die Schädigungen treten erst allmählich auf. Das Phosgen spaltet beim Zu-sammentreffen mit Blut- und Gewebsflüssigkeit Salzsäure ab, welche die feinen Zwischenwände im Inneren der Lunge zerstört. So läuft die Lunge allmählich mit Blutserum voll... 3,5 mg führen, in einer Minute eingeatmet, zum Tode. Aus dem soeben Geschilderten geht hervor, daß das Phosgen einen ausgezeichneten Offen-sivkampfstoff darstellt." (nach Naumann 1979)

Noch wirksamer als Chlor und Phosgen, die sich als Gase schnell verflüchtigten, erwiesen sich schwefelhaltige organische Chlorverbindungen. Das als Senfgas, Lost oder Yperit bekannt gewordene Di-(ß-chlorethyl)-sulfid ist eine Flüssigkeit, die sich durch ihr gutes Durchdringungsvermögen durch Kleider, Schuhe und andere Materialien auszeichnet. Noch giftiger als Phosgen wirkt das Senfgas über einen längeren Zeitraum. Bilder von den Wirkungen solcher chemischer Kampfstoffe sind in jüngerer Zeit aus dem Krieg zwischen Iran und Irak bekannt geworden.

Produktion der wichtigsten Kampfstoffe in Deutschland 1914-1918 (Patze 1986, Norfs 1919) Substanz Produzent Prod.-Beginn Gesamtmenge (1000 t) Chlor BASF/Bayer vor 1914 27,6 Phosgen BASF/Bayer vor 1914 11,1 Diphosgen Bayer/ML&B Juni 1915 15,6 Lost Bayer Juni 1917 44,8 Chlorpikrin Bayer Juni 1916 6,0 ML&B = Meister, Lucius & Brüning, später Farbwerke Hoechst.

-13-

2.6 Zivile Nutzung und toxikologische Bewertung von Chlororganika zwischen den Weltkriegen Nach dem Ersten Weltkrieg, als die militärische Verwendung von Chlor und

Chlorverbindungen zunächst entfiel, wurde das Problem der Chlorüberschüsse wieder akut. In einer Übersicht über die Situation der chemischen Industrie wurde es 1920 als "dankenswerte Aufgabe" für die Chemiker bezeichnet, "nach neuen Verfahren zu suchen, bei denen Chlor angewandt werden kann." (Goldschmidt 1920)

Als ein solches Verfahren wurde bei Hoechst die Methanchlorierung entwickelt. Zunächst sollte durch Chlorierung von Methan Chlormethan (Methylchlorid) als Hauptprodukt gewonnen werden, um daraus Methanol (Methylalkohol, Holzgeist) herzustellen. Methanol fand als Lösungsmittel und Zwischenprodukt breite An-wendung. Im Krieg, als es in der Sprengstoffindustrie bei der Herstellung von Ni-trocellulose in größeren Mengen verwendet wurde, traten Versorgungsengpässe auf, die Hoechst zu Syntheseversuchen über das Chlormethan animierten. Nach-dem die BASF in den zwanziger Jahren ein effektiveres Syntheseverfahren für Me-thanol (Hochdrucksynthese) entwickelt hatte, entfiel diese Anwendungsmöglich-keit für Chlormethan. Hoechst setzte die Arbeiten an der Methanchlorierung an-gesichts der Chlorüberschüsse trotzdem fort, obwohl zunächst keine Absatzmög-lichkeiten für die Produktionsmengen einer großtechnische Anlage vorhanden wa-ren. Die Abteilung Anwendungstechnik wurde mit der Aufgabe betraut, genügend große Absatzgebiete für die Produkte der Methanchlorierung - Chlormethan (Methylchlorid), Dichlormethan (Methylenchlorid), Trichlormethan (Chloroform) und Tetrachlormethan (TETRA) - zu erschließen. (Bäumler 1963,140)

Als neues Verwendungsgebiet für Chlormethan wurde unter anderem die Her-stellung von Methylcellulose entwickelt. Chlormethan diente allgemein als Me-thyierungsmittel in der industriellen organischen Chemie und als Kühlmittel. Di-chlormethan wurde als Extraktions- und Lösungsmittel vermarktet. Es fand vor allem bei der Herstellung von Acetatseide und Sicherheitsfilmen sowie als Lö-sungsmittel für Kautschuk und Chlorkautschuk Verwendung. Unter der Bezeich-nung "Solästhin" wurde es als Narkosemittel eingesetzt.

TETRA wurde als Standardlösungsmittel für Öle, Fette Harze, Wachse, Pech, Bitumen, Teer, Asphalt und Firnis verwendet. Neben anderen CKW wurde es zur Metallentfettung, als Entfettungsmittel in der Textil- und Lederindustrie und als Quellungs- und Lösungsmittel in der Gummiindustrie eingesetzt. In der chemi-schen Reinigung wurde TETRA unter der Bezeichnung Asordin als erster CKW in größerem Umfang verwendet. Trotz erheblicher gesundheitlicher Bedenken, die

-14-

besonders der Bildung von Phosgen aus TETRA in der Hitze galten, gewann auch die Verwendung von TETRA als Feuerlöschmittel an Bedeutung.

In den USA hat TETRA in den zwanziger Jahren ein großes Anwendungsgebiet als Vergasungsmittel für Getreideschädlinge, zur Entwesung des Ackerbodens und als Lösungsmittel für natürliche (Pyrethrum) und synthetische Schädlingsbekämp-fungsmittel gefunden. In die Human- und Veterinärmedizin wurde TETRA 1921 unter dem Namen Seretin zur Bekämpfung von Eingeweidewürmern eingeführt. In den dreißiger Jahren fand TETRA zur Herstellung von Fluorchlormethanen Ver-wendung.

Bei der vollständigen Chlorierung von Methan zu TETRA entsteht als Neben-produkt Tetrachlorethen (PER), das als Produkt der Acetylen-Chlor-Chemie be-reits bekannt war. Während PER bei der Synthese aus Acetylen über drei Zwi-schenstufen (Tetrachlorethan, Trichlorethen und Pentachlorethan) relativ aufwen-dig hergestellt wurde, fiel es als Nebenprodukt der Methanchlorierung sehr preis-günstig an. Mit der in den dreißiger Jahren stark steigenden TETRA-Produktion drängten auch zunehmende Mengen PER auf den Markt.

Die mit der Verwendung von TETRA verbundenen Gesundheitsgefahren wur-den zunächst vor allem bei seinem Einsatz in Feuerlöschern deutlich. In der Hitze bildet sich in Gegenwart von Luftsauerstoff aus TETRA Phosgen. Dementspre-chend wurde frühzeitig bemerkt: "Gegen seine Verwendung als Feuerlöschmittel ist einzuwenden, daß es hierbei erstickende und giftige Dämpfe erzeugt" (Chemisches Zentralblatt 91 [1920] II 691). Neben der Phosgenbildung sprach auch die hohe Toxizität des TETRA selber gegen die Verwendung von TETRA-Löschern, zumal eine gefährliche Resorption von TETRA durch die brandgeschä-digte Haut beobachtet wurde (Kionka 1931). Die Beobachtung verschiedener Ver-giftungserscheinungen bei dem Gebrauch von TETRA-Löschern Bindehautentzündungen, akute Erblindungen, Bewußtlosigkeit, Erbrechen, Atemnot usw.) führte zu wiederholter Kritik an diesem Verwendungszweck des TETRA. Insbesondere unter Bezug auf zwei wissenschaftlich untersuchte Todes-fälle, die aus den USA gemeldet worden waren, wurde zumindest vor der Verwen-dung von TETRA-Löschern in geschlossenen Räumen gewarnt, "zumal geeignete Löschmittel anderer Art, die für dieselben Zwecke geeignet sind, zur Verfügung stehen" (Stahl 1928, 79). Als alternative Löschmittel standen schon damals Schaum- und Trockenlöschmittel zur Verfügung, bei denen keine Gesundheitsge-fährdungen durch giftige Zersetzungsprodukte zu erwarten sind.

Trotz der früh erkannten Risiken und des Vorhandenseins technischer Alterna-tiven wurde die Verwendung von TETRA als Löschmittel bis weit nach dem Zwei-

-15-

ten Weltkrieg beibehalten. Immerhin wurde die Verwendung von TETRA-Löschern im Bergbau unter Tage durch Erlaß des Preußischen Ministers für Handel und Gewerbe vom 28.7.1930 verboten (Kionka 1931). Die häufigsten Vergiftungsfälle durch TETRA traten bei der Verwendung als Lösungsmittel auf. Dabei hielt sich bis in die dreißiger Jahre hartnäckig die Auffassung, TETRA sei ein vergleichsweise ungefährliches Lösungsmittel.

Unter der Bezeichnung "Asordin" war TETRA der anfänglich meistverwendete CKW in der Chemischen Reinigung. Auch für die Verwendung von TETRA in Chemischen Reinigungsanstalten wurde mit dem Argument geworben, TETRA sei nicht nur unbrennbar, sonder auch weniger giftig als Benzin. Dieses Argument hatte in sofern etwas für sich, als in dem für Reinigungszwecke verwendeten Ben-zin oft ein hoher Anteil an dem hochgiftigen Benzol enthalten war (Segitz 1930, 298ff). Die ursprünglich häufigen Brand- und Explosionsfälle in chemischen Reini-gungen waren in den zwanziger Jahren stark zurückgegangen, nachdem es gelun-gen war, die Bildung statischer Elektrizität durch geeignete Zusätze weitgehend zu verhindern (Ulimanns Encyklopädie 195 lff, 5.Band, 223). Die Verwendung von CKW anstelle von Benzin in der chemischen Reinigung konnte unter diesen Umständen gegen einen "unangebrachten Konservatismus für Benzin" nur langsam durchgesetzt werden (Segitz 1930,298,).

Die Behauptungen von der angeblichen gesundheitlichen Unbedenklichkeit von TETRA standen in einem merkwürdigen Gegensatz zur Verwendung von TETRA als Schädlingsvernichtungsmittel. In den USA wurden beispielsweise in den zwan-ziger Jahren Getreidewürmer durch Begasen der Getreidewaggons mit einer Mi-schung aus TETRA und Essigsäureethylester abgetötet (Chemical Industries 48 (1925) 46). In einer Fabrik, in der ein Insektenvertilgungsmittel aus Seife, Phenol und TETRA gemischt wurde, erkrankten von 5 Arbeitern 2 schwer mit Leber-schwellung (Mauro 1930).

Bei Arbeitern, die TETRA als Lösungsmittel verwendeten, wurden immer häu-figer gesundheitliche Beeinträchtigungen beobachtet und dokumentiert, bei denen neben Symptomen wie Müdigkeit, Brechreiz oder Kopfschmerzen vor allem schwere Leberschädigungen auffielen. In Hamburg stieg in einer Schuhfabrik nach Einführung eines TETRA-haltigen Klebers im August 1931 die Zahl der Krank-heitstage von 58 im Juli auf 459 im Oktober. Bei der Untersuchimg von 20 Arbei-tern wurden leichtere Störungen des Zentralnervensystems, stärkere des Verdau-ungstraktes und vor allem Leberschädigungen diagnostiziert. Die Verwendung von TETRA-haltigen Klebern wurde von der Schuhfabrik aufgegeben (Brandt 1932).

-16-

Über ähnliche Erkrankungen wurde aus Fernsprechämtern berichtet, in denen TETRA zur Reinigung von Selbstanschlußverteilera verwendet wurde. Die ärztli-che Untersuchung von 20 Mechanikern der Telefonzentrale Prag, die über Jahre gelegentlich mit TETRA zu tun hatten, ergab bei 18 Personen Krankheitssym-ptome. Neben weniger charakteristischen Symptomen von Seiten des Nervensy-stems, des Herzens, des Gastrointestinaltraktes, des Genitalapparates und des Blu-tes erwiesen sich vor allem die Leberfunktionsstörungen als typische Folge einer chronischen TETRA-Vergiftung (Löwy 1935).

Bei akut tödlichen TETRA-Vergiftungen wurde neben schweren Leber-funktionsstörungen auch das Versagen der Nieren als Todesursache festgestellt. Tödliche Vergiftungen nach Inhalation von TETRA-Dämpfen kamen beispielsweise bei der Verwendung von TETRA als Desinfektionsmittel oder als Entfettungsmittel in Gerbereien vor (v.Scheurlen/Witzky 1935,60f).

Tödliche TETRA-Vergiftungen infolge oraler Aufnahme sind aus der medizini-schen Anwendung dokumentiert. Unter der Bezeichnimg "Solestin" wurden Dosen von 3-5 g TETRA in Form von Kapseln zur Bekämpfung von Hakenwürmern, in warmen Gegenden vorkommenden Darmparasiten, eingesetzt. Die Symptome ei-ner TETKA-Vergiftung durch Einnahme von "Solestin" zeigten sich im Fall eines dreißigjährigen Landwirtes, der als "gesunder Parasitenträger" mit einer einmali-gen Dosis von 3,6 g "Solestin" behandelt wurde, wie folgt: Der Einnahme des Mit-tels folgten Schläfrigkeit, Übelkeit mit Erbrechen und Durchfall. Das Erbrechen verschlimmerte sich unter Anschwellen des Leibes und Auftreten von Blutungen an den Augenlidern und im Gaumen. In den folgenden Tagen traten Anurie (Versiegen der Harnausscheidung), Ikterus (Gelbsucht) und Bewußtlosigkeit auf. Nach ca. 100 Stunden starb der Patient im Koma unter den Syndromen eines Ver-sagens der Leber- und Nierenfunktionen (Lattes 1937,105).

Die Suche nach neuen Verwendungsgebieten für Produkte der Chlorchemie wurde durch die Erfahrungen mit den toxischen Eigenschaften dieser Stoffe, die sowohl im zivilen Bereich als auch bei der militärischen Verwendung gemacht worden waren, nicht beeinträchtigt. Seitens der Hersteller wurde immer wieder auf die angeblich geringen gesundheitlichen Risiken beim Arbeiten mit CKW hinge-wiesen. Diese Auffassung wurde von einem Teil der medizinische Sachverständi-gen unterstützt. In einem von der I.G.Farbenindustrie in Auftrag gegebenen Gut-achten über mögliche Gefahren bei der Verwendung von TETRA, das sich auf Unterlagen des Auftraggebers stützte, wird beispielsweise folgendes Resümee ge-zogen:

-17-

"1. Bei sachgemäßer Verwendung des TETRA als Fett- und Harzlösungsmittel, d.h. bei Anwendung geschlossener Apparatur oder genügender Entfernung der Dämpfe (...) ist das Arbeiten mit TETRA toxikologisch in keiner Weise zu bean-standen.

2. Wohl ist TETRA eine narkotische Substanz, aber heute noch ein technisch unentbehrlicher Körper für die oben genannten Zwecke. TETRA ist (neben Di-chloräthylen) der ungiftigste gechlorte und bisher untersuchte Kohlenwasserstoff, billig und unbrennbar...

3. Als Spezial-Feuerlöschmittel ist es bei Vernunft- und vorschriftsgemäßer An-wendung für geeignete Fälle als unbedenklich zu bezeichnen...." (Lehmann 1930, 133)

Die Industrie hatte ein besonderes Interesse daran, daß die Gesundheitsgefähr-dung durch Lösungsmittel möglichst niedrig eingeschätzt wurde, nachdem durch Verfügung vom 11. Februar 1929 die Hauterkrankungen der Galvanisierungsarbei-ter und die chronischen und chronisch-rezidivierenden Hautausschläge durch Ruß, Paraffin, Teer, Anthracen und "verwandte Stoffe" unter die unfallversicherungs-pflichtigen Berufskrankheiten gerechnet wurden. Die Lösungsmittel fielen nicht unter "verwandte Stoffe", obwohl Hauterkrankungen bei allen Lösungsmitteln eine Rolle spielen.

"Es werden also in der Regel die Hautausschläge, die durch Lösungsmittel be-dingt sind, nicht unter die Verfügung fallen. Es ist dies wichtig, weil sehr häufig versucht wird, hier eine Unfallrente zu erreichen." (Lutz 1930,806)

Ein anderes Bild von den Gesundheitsgefahren durch CKW ergibt sich bei der Lektüre der sozialmedizinischen Fachliteratur. Mitte der dreißiger Jahre, als die Produktionszahlen und Anwendungsgebiete für CKW besonders stark expandier-ten, heißt es in einem Aufsatz über die "Gefahren moderner gewerblicher Gifte":

"Der technische Fortschritt ist unzertrennlich verknüpft mit immer neuen Ge-fahren für Leben und Gesundheit. Besonders groß ist die Gefährdimg durch ge-wisse chemische Stoffe, deren Gebrauch in den letzten Jahren rasch zunimmt. Die Technik bedient sich auf zahlreichen Gebieten in immer größeren Mengen der modernen "organischen Lösungsmittel", darunter namentlich der chlorierten Koh-lenwasserstoffe. Zahlreiche durch sie hervorgerufene Krankheits- und Todesfälle erfordern nicht nur die Aufmerksamkeit der Gewerbehygieniker, sondern zwingen alle Ärzte, an die Möglichkeit solcher Gefahren zu denken." (Isenschmid/Kunz 1935, 612)

-18-

In den USA spielte die Verwendung von CKW als Lösungsmittel bis in die zwanziger Jahre keine nennenswerte Rolle, da dort die hochentwickelte Erdölin-dustrie die bei der Petroleumherstellung als Nebenprodukt anfallenden Benzin-fraktionen als billige Lösungsmittel in ausreichenden Mengen lieferte. Mit dem Aufkommen der allgemeinen Motorisierung des Verkehrs wurden die Benzine als Kraftstoffe verwendet und standen für Extraktions- und Lösungszwecke nicht mehr so billig zur Verfügung (Hassel 1925). In den USA wurde erst 1925 die industrielle Produktion von Trichlorethen (TRI) aufgenommen, zwanzig Jahre später als in Deutschland. Wichtiges Motiv war hierfür auch der Bedarf der Industrie an einem "sicheren" Lösungsmittel für Extraktions- und Entfettungszwecke, das vor allem unbrennbar und nicht explosiv sein sollte. Die Einführung geschlossener Anlagen mit Lösungsmittelrückgewinnung ließen auch teurere Lösungsmittel wirtschaftlich werden. Die Gewinnung von Ölen und Fetten durch Extraktion wurde dadurch vorangetrieben, daß mit diesem Verfahren eine nahezu vollständige Trennung gelingt, während bei den traditionellen Pressverfahren 10 - 25% der Fette und Öle im Presskuchen zurückbleiben. TRI wurde unter Hinweis auf die angeblich geringe Toxizität (mildly intoxicating) und das angebliche Fehlen kumulativer gesundheitlicher Effekte besonders für die Gewinnung von Nahrungsfetten wie Olivenöl, Kakaobutter, Sojaöl, Leinöl oder Baumwollsaatöl empfohlen. Auch zur Entkoffeinierung von Kaffee und zur Extraktion von Nikotin wurde TRI verwendet.

Die positive Einschätzung der gesundheitlichen Risiken stand in merkwürdigem Kontrast mit der in gleichem Zusammenhang gepriesenen Verwendbarkeit von TRI als Insektizid. Als Bodenentwesungsmittel sollte es unter anderem gegen Rebläuse wirksam sein oder den Ernteertrag bei Bohnen und Kartoffeln verbes-sern. In Emulsionen auf die Wasseroberfläche gebracht, sollte es die Larven von Mosquitos und ähnlichen Insekten töten (Carlisle/Coyle 1931). TRI und Tetra-chlorethan wurden als Insektizide zur Bekämpfung der weißen Fliege in Tomaten-pflanzungen und gegen Kornwürmer in Getreidesilos empfohlen (Tanaka et.al. 1928, 702). Auch die Nebenprodukte der TRIherstellung wurden als Pestizide vermarktet.

TRI fand weiterhin breite Anwendung im Textilsektor als Entfettungsmittel für Rohfasern, vor allem Wolle, als Reinigungsmittel für Zwischenprodukte, bei-spielsweise zum Entfernen und zur Rückgewinnung von Spinnölen, und als Reini-gungsmittel für Textilerzeugnisse verschiedenster Art. In der Lederwarenindustrie wurden Häute vor dem Gerben mit TRI von überschüssigem Fett befreit. Die Me-tallindustrie verwendete TRI als Entfettungsmittel und in der Drackindustrie

-19-

wurde es als Reinigungsmittel für Druckplatten, -walzen und Maschinen einge-setzt.

In die privaten Haushalte fand TRI als Bestandteü von Reinigungsmitteln, Kit-ten, Klebstoffen, Politurmitteln und Verdünnern für Farben und Lacke Eingang. In Flüssigseifen für Haushalt und Gewerbe war es als Lösungsmittelbestandteü enthalten. In der Medizin wurde TRI zur Behandlung der Trigeminusneuralgie und in der Anästhesie vor allem für Wachnarkosen bei Entbindungen und bei der Zahnbehandlung verwendet. Eine 10%ige Emulsion von TRI wurde zur Reinigung und Desinfektion der Fußböden in Hospitälern und öffentlichen Gebäuden verwendet.

Schwere Vergiftungserscheinungen durch TRI wurden bereits 1915 bei Arbei-tern, die Granatenzünder mit TRI gereinigt hatten, beobachtet. Besonders auffäl-lig waren dabei bleibende Lähmungen des Trigeminusnerven mit völliger Vertau-bung des Gesichts und Veränderungen des Augenhintergrundes. Ein Arbeiter starb nach wenigen Tagen unter der Diagnose "Schlaganfall" (Isenschmid/Kunz 1935).

1931 wurde eine Zusammenstellung von ca. 200 offiziell registrierten Vergif-tungsfällen durch "TRI", darunter 26 Todesfälle, veröffentlicht. Bei den Todesfäl-len handelte es sich meist "um ein einfaches zu Tode Narkotisieren, wie es auch durch das nahe verwandte Chloroform geschehen könnte." Die hohe Affinität des TRI zum Nervensystem konnte durch eine eindrucksvolle Beobachtung frühzeitig dadurch festgestellt werden ", daß in Fällen von tödlicher Vergiftung dem Anato-men gelegentlich bei Eröffnung des Schädels starker Geruch von "TRI" entgegen-strömt, ein Geruch, der dem im Glase aufbewahrten Gehirne noch lange anhaften kann." (Isenschmid/Kunz 1935, 614)

Die Wirkung von TRI auf das Nervensystem zeigte sich auch in seiner berau-schenden Wirkung. In der Schweiz wurde Mitte der dreißiger Jahre ein Fall be-schrieben, bei dem TRI von Schülern als Rauschmittel "geschnüffelt" wurde. Suchtverhalten gegenüber TRI wurde auch im gewerblichen Bereich häufig beob-achtet (Jordi 1937,138ff). Die TRI-Fässer in den Betrieben hatten eine "magische Anziehungskraft" auf die Beschäftigten, ebenso wie die TRI-Flaschen in den Ge-werbeschulen auf die Schüler. In einem dokumentierten Fall bat sogar noch ein mit Symptomen einer TRI-Vergiftung in das Krankenhaus eingelieferter Arbeiter flehentlich nach etwas TRI, "weil er sonst keine Ruhe fände" (Gerbis 1928,68f).

Die narkotisierende Wirkung des TRI führte auch zu Unglücksfällen, bei denen Arbeiter durch TRI-Dämpfe ohnmächtig wurden und in Folge davon durch Stürze,

-20-

Verbrennungen oder die fortgesetzte Einwirkung des TRI zu Schaden kamen, wo-bei auch Todesfälle zu verzeichnen waren (Nuck 1929,295f).

Die Wirkung des TRI auf den Trigeminusnerv brachte einige Mediziner auf den Gedanken, TRI als Medikament gegen Neuralgien, vor allem Trigeminusneurai-gien, zu verwenden. Die Firma Kahlbaum brachte Anfang der zwanziger Jahre das TRI unter der Bezeichnung "Chlorylen" als Mittel gegen Neuralgien auf den Markt. Die Patienten mußten das Mittel auf Watte tropfen und inhalieren. Zunächst wurde tatsächlich eine positive Wirkung festgestellt. Nebenwirkung wur-den anfänglich nicht beobachtet. In den 50er Jahren wurde TRI als Inhalationsan-ästheticum in der Geburtshilfe benutzt (Ullmanns Encyklopädie 1951-70, 5.Band, 489).

Bei der Behandlung von Neuralgien kam es wiederholt dazu, daß Patienten die vorgeschriebenen Dosierungen überschritten und dann beträchtliche Nebenwir-kungen zeigten. Die Erhöhung der Dosierung war in diesen Fällen häufig auf die auch anderweitig beobachtete süchtig machende Wirkung von TRI zurückzuführen (Eichert 1936).

Die Symptome der medizinalen TRI-Vergiftungen, also der Vergiftungen durch hochreines TRI für medizinische Zwecke, unterschieden sich deutlich von denen gewerblicher TRI-Vergiftungen. Medizinale TRI-Vergiftungen verursachten in er-ster Linie Symptome im Bereich des Nervensystems (Eichert 1936,164).

Bei gewerblichen TRI-Vergiftungen traten unter anderem auch großflächige, blasenförmige Abhebungen der Haut und schwere Leberfunktionsstörungen auf. Durch die Unterschiede bei medizinalen und gewerblichen TRI-Vergiftungen wurde die Aufmerksamkeit der Gewerbemediziner auf die Nebenprodukte im technischen TRI gelenkt. Die leichte Zersetzlichkeit des TRI, die die Verwendimg von Stabilisatoren erforderlich machte, verwies auf die toxikologische Bedeutung von Zersetzungs- und Umwandlungsprodukten (Isenschmid/Kunz 1935,614).

Wie berechtigt die Vermutung toxischer Wirkungen von Verunreinigungen im technischen TRI waren, zeigt unter anderem ein Verwendungsvorschlag für Ne-benprodukte der TRI-Herstellung durch einen der damaligen Hauptproduzenten von TRI in Deutschland. 1928 erhielt die Wacker Chemie das Patent für ein "Verfahren zur Bekämpfung von Pflanzenschädlingen, dadurch gekennzeichnet, daß als Mittel die bei der Herstellung des Trichloräthylens anfallenden Nachläufe, bestehend aus Chlorderivaten der Vierkohlenstoffreihen, verwendet werden. Die verwendeten Nachläufe sind physiologisch so stark wirksam, daß sie bei genügend

-21-

hoher Konzentration auch zur Unkrautvernichtung benutzt werden können" (DRP 465 178, Chemisches Zentralblatt 100 [1929], 11044).

Die Häufigkeit von TRI-Vergiftungen, die zudem häufig als solche verkannt wurden, veranlaßte Gewerbemediziner verschiedentlich zu eindringlichen War-nungen und zu Forderungen nach Anwendungseinschränkungen beziehungsweise verboten und einem Deklarationszwang für TRI-haltige Artikel. Für Extraktions-und Entfettungszwecke sollten ausschließlich geschlossene Apparaturen verwendet werden, bei denen die TRI-Dämpfe bei der Öffnung sicher abgesaugt oder vorher vollständig ausgeblasen werden können (Gerbis 1928,70).

Die Forderung nach einer Deklarationspflicht für TRI-haltige Artikel für den Hausgebrauch wurde mit dem Hinweis auf Unglücksfälle wie den im folgenden dargestellten begründet: Ein siebenjähriger Junge, der von einem als "nichtbrennbares Benzin" gekennzeichneten, TRI-haltigen Fleckenwasser getrun-ken hatte, wurde mit schweren Vergiftungserscheinungen in das Krankenhaus ein-geliefert. Nur die sofortige intensivmedizinische Behandlung verhinderte den Tod durch Lähmimg des Atmungs- und Vasomotorenzentrums (Brednow/v.Knorre 1936, 85).

Isenschmid und Kunz verbanden ihre Warnung vor den Gefahren durch TRI und ihre Forderung nach Verwendung geschlossener Apparaturen sowie Deklara-tionszwang für TRI-haltige Artikel mit dem kritischen Bedauern darüber, daß TRI überall mit der Bezeichnung "unschädlich" eingeführt wurde (Isenschmid/Kunz 1935,615).

Die Forderung nach einer Deklarationspflicht für Lösungsmittel beziehungs-weise lösungsmittelhaltige Produkte wurde von verschiedenen Autoren immer wieder erhoben. TRI wurde 1935 unter Bezeichnungen wie Chloiylen, Comedol, Trielin oder Westrosal gehandelt. Zu dieser Zeit war auch das hochgiftige Tetra-chlorethan unter der Bezeichnung Westrol noch als Lösungsmittel im Handel (Ulrich 1935). Die Versuche, hochtoxische Bestandteile aus den Lösungsmittel-formulierungen zu verbannen, waren angesichts einer großen Vielfalt von Han-delsprodukten mit phantasievollen Namen und geheimer Zusammensetzung na-hezu aussichtslos: "Wie eine Hydra nimmt sich das Ganze aus, solange nicht bin-dende Bestimmungen und Verbote die Gesundheit der Beschäftigten schützen." (Lutz 1930, 808)

Die rasche Expansion der organischen Chlorchemie in den USA seit Mitte der zwanziger Jahre stand im auch Zusammenhang mit dem Aufstieg der Automobil-industrie. Die rasant steigende Poduktion von Motorbenzin war mit einem ent-

-22-

sprechenden Anfall an Raffineriegasen und anderen Nebenprodukten verbunden. Die Raffineriegase, die lange Zeit einfach abgefackelt wurden, enthielten unter anderem Ethen, das mit Chlor leicht zu 1,2-Dichlorethan umgesetzt werden konnte. Dieses fand als billiges, massenhaft herstellbares Produkt in Amerika breite Verwendung und nahm dort die Vorrangstellung unter den CKW ein, die in Deutschland bis in die sechziger Jahre das TRI innehatte. 1,2-Dichlorethan wurde ebenfalls als Extraktions- und Lösungsmittel verwendet. Es fand breite Anwen-dung als Insektizid und Fungizid und als Zusatz zu Antiklopfmitteln. Wichtiger als die direkten Verwendungsgebiete des 1,2-Dichlorethan wurden seine Folgepro-dukte. 1933 meldete die Dow Chemical Co. ein Verfahren zur Herstellung von Tetrachlorethen (PER) aus 1,2-Dichlorethan als Patent an (AP.1947 491). Ein an-deres Folgeprodukt war das Ethylenglykol, das als Kühlerflüssigkeit und als Grundstoff zur Lösungsmittelherstellung (Glykolether und -ester) verwendet wird. Auf diesem Gebiet wurde das 1,2-Dichlorethan durch ein anderes chlororgani-sches Zwischenprodukt, das Ethylenchlorhydrin beziehungsweise das Ethylenoxid, verdrängt. Die größte Bedeutung erlangte das 1,2-Dichlorethan als Ausgangsstoff für die Herstellung von Chlorethen (Vinylchlorid, VC), dem Monomeren des Kunststoffes PVC.

Die Massenproduktion von Kraftfahrzeugen war mit einer entsprechend stei-genden Produktion von Nitrocelluloselacken verbunden. In den USA wurden 1927 zehn mal soviel Nitrocelluloselacke verbraucht als fünf Jahre zuvor (Kunststoffe 20 (1930), 185). Entsprechend stieg die Nachfrage nach Lösungsmitteln. 1,2-Di-chlorethan und die Folgeprodukte Ethylenglykol und Glykolether verzeichneten besonders hohe Zuwachsraten (Kunststoffe 21 (1931), 40).

Auch die massenhafte Verarbeitung von Kautschuk zu Autoreifen brachte den CKW-Erzeugern neue Absatzmöglichkeiten. Der zunächst als Kautschuklösungs-mittel bevorzugt eingesetzte CKW war das TETRA Es hatte gegenüber den bei-den anderen am meisten gebräuchlichen Kautschuk-Lösungsmitteln, Benzol und Kohlenstoffdisulfid, die ebenfalls hochtoxisch sind, wenigstens den Vorteil der Unbrennbarkeit. Auch andere CKW, vor allem das Dichlormethan, fanden Ver-wendung als Kautschuk-Lösungsmittel.

Mitte der zwanziger Jahre wurden Verfahren entwickelt, Kautschuk mit gas-förmigem Chlor zu Chlorkautschuk umzusetzen. Das Produkt eignete sich als Lackrohstoff für Spezialanstriche, die gegen Säuren, Laugen, sowie mikrobielle Angriffe resistent sein sollten.

-23-

Unter den Bestandteilen der überschüssigen Raffineriegase bot sich auch das Ethan zur Chlorierung an. Hauptprodukte sind das Chlorethan, das 1,1-Di-chlorethan und das 1,1,1-Trichlorethan.

Chlorethan ist auch aus Ethanol (Ethylalkohol) und Chlorwasserstoff oder aus Ethen und Chlorwasserstoff herstellbar. In bescheidenerem Umfang wurde Chlorethan schon lange als Alkylierungsmittel, Kühlmittel, Lösungsmittel und Lo-kalanästhetikum verwendet. In den USA fand Chlorethan in den zwanziger Jahren zunehmend Verwendung zur Herstellung von Tetraethylblei als Antiklopfmittel. In Deutschland wurde vor dem Verbleien des Benzins damals nachdrücklich gewarnt: "Trotz der mit Sicherheit vorauszusehenden Giftigkeit des Bleitetraäthyls ver-suchte die Standard Oil Company dieses als "anti knock" Motorenbetriebsstoff ein-zusetzen (...). Es wäre dringend zu wünschen, daß eine etwaige Verwendung von mit Bleialkylen versetztem Benzin in Deutschland nicht gestattet wird." (Krause/Schlöttig 1925)

Die Gefahren durch bleihaltige Autoabgase wurden 1933 von einer Kommission in Frankreich mit dem Ergebnis untersucht, "daß das Verbot des Zusatzes von Tetraethylblei zu Motorenkraftstoffen gerechtfertigt erscheint". (Chemisches Zentralblatt 1934,12222)

Die Giftigkeit des Tetraethylblei ließ auch an Anwendungen denken, die eben diese Eigenschaft gezielt nutzten. Zeitweilig wurde es zu den chemischen Kampf-stoffen gerechnet (Mielenz 1932).

Die große Zahl schwerer und tödlicher Vergiftungen durch Tetraethyblei machte auch den Industrial Health Service des International Labor Service früh-zeitig auf diesen Stoff aufmerksam (Carozzi 1930).

Die Herstellung von Tetraethylblei blieb bis in die siebziger Jahre das Haupt-verwendungsgebiet für Chlorethan mit stark steigenden Zuwachsraten. In den USA wurden noch 1974 mehr als 300.000 t Chlorethan und 211.000 t Tetraethyl-blei hergestellt (Schulze/Weiser 1985, 90). Erst danach nahm die Verwendung verbleiten Benzins ab.

Ein weiteres Verfahren zur Verwertung überschüssiger Raffineriegase wurde in den vierziger Jahren von der Dow Chemical Co. entwickelt. Durch Reaktion von Ethan, Propan und höheren Kohlenwasserstoffen mit einem Überschuß an Chlor können TETRA und PER gewonnen werden. Bei dieser "Chlorolyse", der auch teilchlorierte CKW und CKW-Produktionsrückstände unterworfen werden kön-nen, fallen beträchtliche Mengen an Hexachlorbenzol und Hexachlorbutadien an. Für diese hochtoxischen Nebenprodukte, die heute einen besonders problemati-

-24-

schen Teil des chemischen Sondermülls ausmachen, wurden wiederum Verwen-dungsmöglichkeiten gesucht. Hexachlorbenzol wurde 1930 von der I.G.Farbenindustrie als Saatgutbeize vorgeschlagen, die Dow Chemical entwik kelte 1937 ein Verfahren zur Herstellung von Pentachlorphenol, das als "Holzschutzmittel" vermarktet wurde, aus Hexachlorbenzol. Das ebenfalls aus He-xachlorbenzol herstellbare Pentachlorthiophenol wurde 1949 von der Bayer AG. als Plastiziermittel für die Kautschukindustrie patentiert und wird als solches bis heute verwendet.

Die einfache und relativ billige Verwertbarkeit von Raffineriegasen durch Chlorierungsreaktionen und das weiterhin starke Anwachsen der Nachfrage nach Natronlauge bedingten insbesondere in den USA in den zwanziger und dreißiger Jahren einen starken Ausbau von Chlor-Alkali-Elektrolyse-Anlagen.

Insgesamt stieg die Welterzeugung von Chlor in den zwanziger und dreißiger Jahren stark an. 1929 wurde weltweit mit etwa 400.0001 bereits mehr als drei mal soviel Chlor erzeugt, wie zu Beginn des Ersten Weltkrieges, in den Jahren 1935 und 1936 waren es bereits 600.000 - 700.0001 (Die Chemische Industrie 60 [1937], 489). An diesem starken Wachstum hatte neben der organischen Chlorchemie die Zellstoffindustrie den größten Anteil Der Chlorverbrauch der Zellstoffindustrie wurde für die Mitte der dreißiger Jahre auf jährlich 200.000 bis 250.0001 geschätzt. Heute ist bekannt, daß die Abwässer von Zellstoffwerken, die Chlor zur Zellstoff-bleiche verwenden, eine Hauptursache für die Belastung der als Vorfluter dienen-den Flüsse mit schwer abbaubaren halogenorganischen Verbindungen, darunter Dioxinen, sind (Fachgruppe Wasserchemie 1987).

Da zur Weiterverarbeitung der Cellulose zu Kunstseide, Zellglas und anderem große Mengen Natronlauge benötigt wurden und auch andere Natronlauge ver-brauchende Industrien wie die Aluminiumproduktion starke Zuwachsraten hatten, wuchs die Nachfrage nach Natronlauge so stark, daß die Entwicklung der Chlor-produktion nicht durch Natronlaugeüberschüsse behindert wurde.

2.7 Entwicklung in Deutschland bis 1945 In Deutschland wirkten sich die ökonomischen Vorbereitungen des Zweiten

Weltkrieges und die damit verbundenen Autarkiebestrebungen als starke Triebfe-dern für die weitere Entwicklung der Chlorchemie aus. Schwerpunkte waren dabei die Kunstseiden- und Zellwolleproduktion, die Kunststofferzeugung (PVC), die Herstellung von Lösungsmitteln, die Motorisierung der Wehrmacht mit dem ent-sprechenden Bedarf an Gummi, Kühlerflüssigkeiten, Antiklopfmitteln, Autolacken

-25-

etc. sowie die Erzeugung von Kampfstoffen, Veraebelungsmitteln und Sprengstof-fen.

Die Herstellung von Kunstseide aus Cellulose wurde bereits im vorigen Jahr-hundert entdeckt und seitdem systematisch zu einem eigenen Industriezweig aus-gebaut, der in den 30er Jahren von dem Glanzstoff-Konzern weltweit dominiert wurde. Die Welterzeugung von Kunstseide stieg zwischen 1925 und 1935 von 85.000 auf 425.000 Jahrestonnen. Der deutsche Anteil lag bei etwas über 10% der Welterzeugung. Im Gegensatz zur Kunstseide, die sich verhältnismäßig kontinu-ierlich einen Platz auf dem Weltmarkt erobert hatte, errang die Zellwolle erst im Rahmen der Aufrüstung Deutschlands und seiner Verbündeten größere Bedeu-tung. Von der im Ersten Weltkrieg als Ersatzstoff entwickelten Zellwolle wurden 1925 in Deutschland als einzigem Erzeugerland lediglich 400 Tonnen produziert. Die Zellwollherstellung bildete den Schwerpunkt des "Faserstoffprogramms", das 1934 im Stab des "Stellvertreters des Führers", Herrmann Göring, beschlossen worden war. 1935 stellten die deutschen Fabriken bereits 17.200 Tonnen Zellwolle her und 1938 waren es 154.000 Tonnen (Welsch 1981, 164). Die Herstellung von Kunstseide und Zellwolle war mit der Chlorchemie über den Bedarf an Bleichmit-teln für den Zellstoff, an CKW als Lösungsmitteln und an Chlorethan zur Her-stellung von Celluloseethern verbunden. Außerdem fanden Erzeugnisse der Chlor-chemie als Mittel zum Schlichten, Entschlichten und Appretieren, als Mittel zur flammensicheren Imprägnierung, bei der Herstellung synthetischer Waschroh-stoffe, bei der Herstellung von Farbstoffen und Färberei-Hilfsmitteln und als Desinfektions- und Mottenschutzmittel in der Textilindustrie Verwendung (Ohl 1939).

Bei der Entwicklung von Polyvinylchlorid (PVC) zum Massenprodukt der Chlorchemie stand zuerst auch die Kunstfaserproduktion im Sinne des "Faserstoffprogramms" im Vordergrund. Die aus PVC erzeugten Faserstoffe ka-men unter der Bezeichnung "PeCe-Faser" auf den Markt. Als besonderer Vorteil dieses Faserstoffes wurde angegeben, "daß die PeCe-Faser aus solchen Ausgangs-stoffen geschaffen wird, die in den Grenzen des Reiches in praktisch unbegrenzten Mengen zu finden sind." (Bauer 1941,187f)

Die ersten Versuche, Chlorethen (Vinylchlorid) zu einem technisch verwertba-ren Produkt zu polymerisieren, wurden bereits vor dem Ersten Weltkrieg durch Fritz Klatte (1880-1934), Chemiker der Firma Griesheim-Elektron durchgeführt. 1912 erteilte das kaiserliche Patentamt das erste Patent auf die Herstellung von PVC und 1913 wurde ein "Verfahren zur Herstellung einer auf Hornersatz, Films, Kunstfäden, Lacke u.dgl. verarbeitbaren plastischen Masse" aus Polymerisations-

-26-

produkten von Vinylhalogeniden patentiert (DRP 281 877). Die Entwicklung eines verkaufsfälligen Produktes scheiterte trotz dieser günstigen Voraussetzung zunächst an der thermischen Instabilität und schweren Verarbeitbarkeit des reinen PVC. 1930 wurde wieder ein Patent für ein Verfahren zur Herstellung von PVC erteilt (DRP 671 889). Die Neuerung bestand darin, daß ein Weg zu einem Poly-meren mit bestimmtem Polymerisationsgrad beschrieben wurde. Diesmal war die I.G.Farbenindustrie der Patentnehmer. Zunächst wurde die Arbeit an der PVC-Problematik eher am Rande des breit gefächerten Forschungs- und Entwicklungs-programmes der LG.Farbenindustrie wieder aufgenommen. Die ersten Ergebnisse waren wenig ermutigend. Bei 100 Grad Celsius begann das PVC Salzsäuregas ab-zuspalten und sich rötlich zu verfärben. Preßversuche ergaben auch wenig über-zeugende Ergebnisse. Erst nach mehrjährigen Versuchen gelang es, aus dem insta-bilen, spröden PVC durch Zusatz von schwermetallhaltigen Stabilisatoren, Gleit-mitteln und Weichmachern (PCBs, Phthalate) einen zu Fasern, Folien und ther-moplastische Massen verarbeitbaren Kunststoff zu machen. 1935 wurde in Wolfen und Bitterfeld die industrielle Produktion von PVC aufgenommen. Für die I.G.Farbenindustrie kam dieser Durchbruch in einem sehr günstigen Moment. Chlorethen (VC) wurde in Deutschland aus Acetylen und Chlorwasserstoff herge-stellt. Acetylen wurde aus heimischer Kohle erzeugt und Chlorwasserstoff fiel in zunehmenden Mengen als Nebenprodukt bei der Herstellung von CKW an. Für die Entwicklung von Anwendungsgebieten für den neuen Kunststoff war die größtmögliche staatliche Unterstützung zu erwarten. Von 1937 bis 1942 wurden von den Herstellerbetrieben die wichtigsten Verarbeitungsmethoden und Anwen-dungsgebiete für PVC entwickelt und veröffentlicht. PVC wurde unter Markenna-men wie Mipolam, Astralon, Luvican, Igelit oder Vinoflex in Form von Folien, Platten, Rohren, Streich- und Tauchmassen oder zur Verarbeitung durch Spritzguß vermarktet. Lösliches PVC wurde als Ersatz für Chlorkautschuk als Lackrohstoff eingesetzt. Als Ersatz für Naturstoffe wie Leder, Kautschuk und Guttapercha diente es beispielsweise bei der Herstellung von Kunstleder, wasserdicht imprä-gnierten Tuchen und bei der Kabelisolierung. Bei der breiten Durchsetzung der neuen "deutschen" Werkstoffe half unter anderem die Deutsche Reichsbahn da-durch, "daß die Konstruktionsstellen der DR sich mit größtem Eifer den neuen Aufgaben zuwandten und in engster Fühlungnahme mit den Kunststoffherstellen-den und -verarbeitenden Industriewerken den schnellen und erfolgreichen Einsatz dieser Werkstoffe im Interesse der deutschen Wirtschaft durchführten." (Kunststoffe 31 [1941], lff)

Zu den rüstungswirtschaftlich besonders wichtigen Stoffen gehörten Erdölver-arbeitungsprodukte wie Lösungsmittel und Schmieröle. Von dem Leiter der Fach-gruppe Mineralöle innerhalb der Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie wurde

-27-

schon 1935 "... der Ersatz des 130.0001 betragenden Verbrauches von Lösungsben-zin durch einheimische Lösungsmittel, wie Tetrachlorkohlenstoff, Trichloräthylen U.Ä., vorgeschlagen." (Chemische Industrie 58 [1935], 757). Die Produktionsent-wicklung von leichtflüchtigen Chlorkohlenwasserstoffen bis 1945 ist in Anhang 5 wiedergegeben. Zu den "einheimischen Lösungsmitteln" zählten auch die Folge-produkte des Ethylenchlorhydrins beziehungsweise des hieraus gewonnenen Ethylenoxids: Ethylenglykol, Glykolester und Glykolether.

Ethylenglykol wurde auch als Kühlflüssigkeit für Motoren sowie als Zwischen-produkt für chemische Synthesen benötigt. Zu diesen Synthesen gehörten sowohl die Sprengstoffherstellung, als auch die Erzeugung chemischer Kampfstoffe. Über Diethylenglykol wurde "Nitrodiglykol" gewonnen, das im Gemisch mit Nitrocellu-lose zur Pulverherstellung diente. Ethylenchlorhydrin und das hieraus erzeugte ß-Thiodiglykol wurden ebenso wie das Schwefeldichlorid für die Kampfstoffproduk-tion (Lost) eingesetzt.

Durch seine vielseitige kriegswirtschaftliche Bedeutung wurde das Ethylen-chlorhydrin im Zweiten Weltkrieg das mengenmäßig wichtigste Produkt der Chlorchemie. 1943 wurden zu seiner Herstellung ca. 145.000 t Chlor verbraucht. Erheblich mehr, als für die Herstellung von aliphatischen CKW verwendet wurde.

Die Gesamterzeugung an Chlor stieg in Deutschland zwischen 1936 und 1943 von 192.000 auf 492.000 Tonnen pro Jahr. Die für 1944 vorgesehene Kapazität von ca. 700.000 Tonnen wurde nicht mehr erreicht (Ullmanns Encyklopädie 1951-70, 5.Band, 316). Die Herstellung organischer Produkte beanspruchte 1943 in Deutschland 68% der Chlorproduktion.

Da auch die anderen kriegführenden Ländern, darunter vor allem den USA, ihre Chlorproduktion stark erhöht hatten, stieg die Weltchlorproduktion zwischen 1936 und 1942 von 650.000 auf 1.900.000 Tonnen. 1945 produzierten die USA al-lein bereits mehr als eine Million Tonnen Chlor, von denen 60% für die Herstel-lung organischer Chlorverbindungen verwendet wurden (Richter 1958,265).

2.8 Biozide Bis in die dreißiger Jahre wurden zur Bekämpfung tierischer oder pflanzlicher

Schädlinge neben natürlichen Giften wie Nikotin bevorzugt Mittel eingesetzt, die als besonders toxische Nebenprodukte in Produktionsverfahren anderer Zielrich-tung anfielen oder die bei günstigem Preis neben anderweitigen Gebrauchseigen-schaften auch eine hinreichende physiologische Wirksamkeit gegenüber Schädlin-gen hatten. Im Vordergrund standen Arsen-, Kupfer- und Quecksilberverbindun-

-28-

gen, Schwefel und Schwefelverbindimgen sowie Blausäure. Auch giftige Produkte oder Nebenprodukte der organischen Chemie fanden zunehmend Verwendung als Schädlingsbekämpfungsmittel. Zu diesen Stoffen gehörten verschiedene organi-sche Chlorverbindungen wie p-Dichlorbenzol, Trichlornitromethan (Chlorpikrin), TETRA oder Nebenprodukte der TRI-Herstellung. Versuche, die im Ersten Weltkrieg entwickelten Kampfstoffe als Schädlingsbekämpfungsmittel zu verwen-deten, scheiterten mit Ausnahme des Chlorpikrin daran, daß bei der Behandlung mit diesen Stoffen nicht nur die Schädlinge, sondern auch die zu schützenden Pflanzen abgetötet wurden (Ulimanns Enzyklopädie 1914-23,10.Band, 59).

Die systematische Forschung und Entwicklung im Bereich der Pestizide erfolgte verstärkt seit Mitte der zwanziger Jahre. Dieser Forschungsbereich stand in engem Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Kampfstoffe. Besondere Bedeutung erlangten die aus Phosphortrichlorid und Phosphorylchlorid synthetisierten Phos-phorsäure-Ester, zu denen die Kampfstoffe Tabun, Sarin, Soman und VX sowie Schädlingsbekämpfungsmittel wie das Parathion (E 605) gehören.

Unter den chlororganischen Pestiziden, die in der Zeit des Zweiten Weltkrieges entwickelt wurden, sind vor allem das Gamma-Hexachlorcyclohexan (HCH, Lindan), Derivate des Di- und Trichlorphenols (2,4-Dichlorphenoxyessigsäure und 2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure, kurz 2,4-D und 2,4,5-T) und vor allem das 4,4'-Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) zu nennen. Durch vollständige Addition von Chlor an Benzol entsteht Hexachlorzyclohexan, dessen Gamma-Isomeres als Hauptwirkstoff des Pestizids "Lindan" das erwünschte Produkt ist. Nebenprodukte lassen sich leicht zu 1,2,4-Trichlorbenzol umsetzen, das wiederum Ausgangsprodukt zur Herstellung von 2,4,5-T ist 2,4-D und 2,4,5-T wurden während des Zweiten Weltkrieges in den USA und England im Rahmen der Entwicklung von Pflanzenvernichtungsmitteln, mit denen in Deutschland und Japan die Getreideernten vernichtet werden sollten, erforscht.

Das DDT wurde 1942 von der Schweizer Firma J.R.Geigy eingeführt. Sein Ent-decker, Paul Müller (1889-1965), erhielt 1948 den Nobelpreis. In den ersten zwei Sätzen der Einleitung zu ihrem Übersichtsartikel über "Konstitution und toxische Wirkung von natürlichen und neuen synthetischen insektentötenden Stoffen" brachten Müller und seine Mitarbeiter 1944 deutlich zum Ausdruck, in welchen Zusammenhängen die Entwicklung der Pestizidchemie zu sehen ist:

"Der Gedanke der Schädlingsbekämpfung ist uns allen, speziell in den Kriegs-jahren, recht geläufig geworden. Wir müssen heute unsere Monokulturen vor den gerade dort in verheerendem Maße auftretenden Pilz- und Insektenschädlingen schützen..." (Lauger/ Martin/ Müller 1944, 892). Neben dem Zusammenhang mit

-29-

Krieg und Kampfstoffchemie ist die Pestizidchemie eng mit der Herausbildung der industrialisierten Landwirtschaft und ihren Monokulturen verknüpft, die die Schädlingsprobleme zum großen Teil erst geschaffen hat, die die Chemie mit ihren Giften zu lösen versprach. Die Risiken, die mit dieser Art Problemlösung verbun-den sind, waren den beteiligten Wissenschaftlern in ihren Grundzügen bereits be-wußt. In einer abschließenden Betrachtung heißt es in dem oben zitierten Artikel:

"... alle natürlichen Insektengifte werden, im Gegensatz zu den gezeigten viel stabileren synthetischen Kontaktinsektiziden, am licht und durch Oxidation in kurzer Zeit zerstört. Das will und muß die Natur so tun, denn welche Katastrophe würde eintreten, wenn die natürlichen Insektengifte stabil wären. Die Natur ist eben auf Leben und nicht auf den Tod eingestellt!" (Lauger/ Martin/ Müller 1944, 927f)

Die katastrophalen ökologischen Auswirkungen des weltweiten Massenein-satzes von DDT zeigten sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich DDT-Rück-stände bis in das Eis der Antarktis nachweisen ließen und die Anreicherung in den Nahrungsketten zu einem starken Rückgang der Seeadler und anderer Raubvögel, die am Ende der Nahrungsketten stehen, führte.

2.9 Entwicklung der Chlorchemie nach 1945 Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es wider Erwarten nicht zu einem Rückgang

der Weltchlorproduktion. Vor allem in den USA, wo die Verfügbarkeit großer Mengen überschüssiger Raffineriegase und günstige Stromtarife organische Chlor-verbindungen sehr billig produzierbar machten, hielt das starke Wachstum der Chlorproduktion unvermindert an. Hierzu trug auch die erneute Kriegskonjunktur während des Koreakrieges 1950-1953 bei. Zwischen 1945 und 1955 verdreifachte sich die Chlorproduktion in den USA auf über drei Millionen Tonnen.

Der Chlorverbrauch der USA verteilte sich 1949 auf drei Hauptgruppen: 1. Bleich- und Desinfektionsmittel (mehr als 20% der Produktion).

Hauptgebiete: Papier und Zellstoff, Textilbleichung, Wasserreinigung und Saatgutbeize 2. Mit Chlor hergestellte, kein Chlor enthaltende Produkte (30% der Produktion).

Hauptgebiete: Tetraethylblei, Ethylenglykole, Phenol 3. Chlorhaltige Produkte (50% der Produktion).

Hauptgebiete: Chlorierte Ethene, Tetrachlormethan, Vinylchlorid, Chlorkautschuk, chlorierte Paraffine

In Deutschland überstanden die Chlor-Alkali-Elektrolyse-Anlagen den Krieg weitgehend unzerstört. In der DDR, die einen großen Teil der Chlorkapazitäten

-30-

der LG.Farbenindustrie übernommen hatte, konnten die bei hohem Natronlauge-bedarf miterzeugten Chlormengen zunächst nur teilweise verwertet werden. So mußten noch bis zur Mitte des Jahres 1950 ca. 50% der im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld erzeugten Chlormengen vernichtet werden. Für das Gebiet der Bundesrepublik legten die westlichen Besatzungsmächte die zulässige Chlor-kapazität auf 200.000 Tonnen pro Jahr fest. Diese Produktionsbeschränkung wurde 1951 aufgehoben (Richter 1958). In den fünfziger Jahren wurden in beiden Teüen Deutschlands die chlorverbrauchenden Zweige der chemischen Industrie stark ausgebaut.

Die Chemischen Werke Hüls (CWH), heute HÜLS AG, die während des Zwei-ten Weltkrieges von der I.G.Farbenindustrie als Synthesekautschukwerk errichtet worden waren, haben nach dem Krieg die Methanchlorierung und die PVC-Her-stellung in ihr Produktionsprogramm aufgenommen. Als Rohstoff stand den CWH Erdgas zur Verfügung, das hauptsächlich aus Methan bestand. Für die PVC-Her-stellung wurde das Erdgas in Lichtbogenöfen, die bereits im Krieg im Zusammen-hang mit der Synthesekautschukerzeugung errichtet worden waren, zu Acetylen umgesetzt, das mit dem bei der Methanchlorierung als Nebenprodukt anfallenden Chlorwasserstoff zu Chlorethen (Vinylchlorid) umgesetzt wurde. Die CWH wurde zu einem der führenden Hersteller von CKW und PVC.

In den fünfziger Jahren erfolgte auch in der deutschen chemischen Industrie die Umstellung von der Kohle als Rohstoffbasis für organische Produkte auf petro-chemische Grundstoffe. Die allgemeine Motorisierung des Verkehrs mit entspre-chend steigenden Raffineriekapazitäten machte steigende Mengen petrochemi-scher Grundstoffe wie Ethen, Propen, Butene etc. verfügbar. Außerdem setzte die chemische Industrie in Verhandlungen mit dem Bundesfinanzministerium die Ab-schaffung der Mineralölsteuer für chemisch weiterarbeitetes Mineralöl durch. Diese Steuerbefreiung wurde am l.Februar 1953 wirksam. Die steigende Zahl an Kraftfahrzeugen gab der Chlorchemie auch auf der Absatzseite durch den steigen-den Bedarf an Reifen, Kühlflüssigkeiten, Lösungsmitteln, Kabelisolierungen, Kon-densatormaterialien, Tetraethylblei und Kunststoffteilen starke Impulse.

Eine andere Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Chlorchemie waren anhaltend niedrige Strompreise. Die chemische Industrie war in diesem Zusam-menhang frühzeitig an der Kernenergienutzung interessiert. Vor allem die Hoechst AG beteiligte sich aktiv am Ausbau der Kernenergie. Sie gehörte zu den Gründern der "Physikalischen Studiengesellschaft mbH", die als Vorbereitungsor-ganisation der deutschen Atomindustrie anzusehen ist. Hoechst gründete außer-dem zusammen mit der Degussa, Siemens, dem Bund und dem Land Baden-Wür-

-31-

temberg 1956 die "Kernreaktor Bau-und Betriebs GmbH". Die Hoechster Vor-standsmitglieder Winnacker und Menne spielten in der "Deutschen Atomkommis-sion" und beim Aufbau des "Deutschen Atomforums" eine entscheidende Rolle. Auch der 1956 zum Minister für Atomfragen ernannte Siegfried Balke stammte aus dem Hoechst-Management. Heute ist die Hoechst AG der einzige Chemie-konzern, der über Tochterfirmen wie Uhde, Sigri oder Messer-Griesheim mit der Atomindustrie verknüpft ist.

Niedrige Strompreise, billig verfügbare Steinsalzvorkommen sowie eine großzü-gige Industrieansiedlungspolitik veranlaßten in den sechziger und siebziger Jahren internationale Chemiekonzerne, sich in der Bundesrepublik mit großen Werken in der Chlorchemie zu engagieren. 1969 begann die Dow Chemical Co. am Bütz-flethersand bei Stade mit der Errichtung des größten Chlor produzierenden Wer-kes der Bundesrepublik, dessen ¿.Bauabschnitt 1975 in Betrieb ging. Das Produk-tionsprogramm umfaßt die Chlorierungsprodukte von Methan, Ethen und Propen sowie Folgeprodukte. Die petrochemischen Ausgangsstoffe werden aus dem Dow-Werk in Holland bezogen. Zu den Produkten zählen neben den Chlormethanen 1,1,1-Trichlorethan, 1,2-Dichlorethan, PER, Epichlorhydrin und Folgeprodukte wie Propylenglykol, Propylenoxid, Glycerin oder Methylcellulose. Die Produkte gehen zu einem Teil per Schiffsfracht zur Weiterverarbeitung in andere Dow-Be-triebe. Die ICI errichtete 1978-80 mit großer finanzieller Unterstützung durch die öffentliche Hand in Wilhelmshafen ein PVC-Werk.

Unter den Chlormethanen erlangte das TETRA stark steigende Bedeutung als Ausgangsprodukt für die Herstellung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen, die in Deutschland als "Frigene" (Hoechst) und in den USA als "Freone" als Treibgase und Kühlmittel vertrieben wurden und noch werden.

Die Verwendung von TETRA als Lösungsmittel wurde nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend aufgegeben, da sich nun endlich die Auffassung durchsetzte, daß TETRA ein hochgiftiger Stoff mit stark nieren- und leberschädigender Wir-kung sei, dessen Verwendung möglichst vermieden werden sollte: "Tetrachlorkohlenstoff ist zweifellos eines der gefährlichsten Lösungsmittel, das, wenn irgend angängig, durch weniger toxische Lösungsmittel ersetzt werden muß." (Ulimanns Encyklopädie 1951-70,5.Band, 488)

Die Verwendung von TRI als Lösungsmittel nahm dagegen bis Ende der sech-ziger Jahre erheblich zu, obwohl auch dessen toxische Eigenschaften hinlänglich bekannt waren. Zwischen 1955 und 1962 waren akute TRI-Vergiftungen nach den akuten Kohlenmonoxid-Vergiftungen die häufigsten, chemisch verursachten, tödli-chen "Berufskrankheiten" (Ulimanns Encyklopädie 1972-75,5.Band, 487).

-32-

Auf dem Lösungsmittelsektor ergab sich bei bis Ende der siebziger Jahre stark steigendem Absatz für CKW als Extraktions-, Lösungs- und Reinigungsmittel eine Verschiebung vom Trichlorethen (TRI) zu 1,1,1-Trichlorethan und Tetrachlore-then (PER). Starke Zuwachsraten wurden auch beim Absatz von Dichlormethan erzielt.

Die exorbitanten Steigerungsraten der Chlorchemie in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg standen in engem Zusammenhang mit den in der Zeit des "Wirtschaftswunders" aufkommenden neuen Konsumgewohnheiten. Mit der stark wachsenden Zahl neuer Chemischer Reinigungen nahm der Verbrauch an PER stark zu. Massenkonsum und "american way of life" fanden ihren deutlichsten Aus-druck in der Automobilisierung der Gesellschaft, die den hiermit verbundenen Zweigen der Chlorchemie entsprechende Zuwachsraten bescherte, und in der in den 50er Jahren aufkommenden Plastikkultur. Eine ganze Epoche war geruchlich durch die Weichmacherdüfte geprägt, die einer Vielzahl von PVC-Produkten, vom Fußbodenbelag bis zur "Wachstuchdecke", den Plastikmöbeln oder Duschvorhän-gen entströmten.

Anfang der 70er Jahre wurden bei Arbeitern in PVC-Betrieben vielfältige Ver-giftungserscheinungen festgestellt. Darunter auffällige Verformungen der Finger-kuppen, "Aufweichung" der Knochen und schwerwiegende Veränderung der Leber einschließlich einer sonst seltenen Art von Leberkrebs (Angiosarkom). Besonders betroffen waren Arbeiter, die die großen Reaktionskessel, in denen Vinylchlorid zu PVC umgewandelt wird, reinigen mußten (Koch/Vahrenholt«SSNO» 1978, 211). Die Betroffenen waren einer Vergiftung durch VC zum Opfer gefallen. Nachdem die VC-Vergiftungen der Arbeiter und die Gefährdung der Konsumen-ten durch Rest-VC in Endprodukten in die öffentliche Diskussion geraten waren, wurden Verfahren entwickelt, die den Kontakt der Arbeiter mit dem VC weitge-hend unterbanden. Auch die stark kritisierten Restgehalte an VC in dem fertigen PVC wurden durch Verfahrensänderungen reduziert.

Die Gefährdung von Mensch und Umwelt durch Vinylchlorid wurde 1984 durch einen Unglücksfall wieder in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. In diesem Jahr sank vor der jugoslawischen Adriaküste ein mit 1300 Tonnen Vinylchlorid beladener Frachter und bedrohte eine ganze Meeres- und Küstenregion. In den letzten Jahren ist PVC durch die Diskussion um die Dioxinbildung bei der Müll-verbrennung erneut in die Schlagzeilen gekommen.

Die größten PVC-Hersteller der Bundesrepublik sind die Chemischen Werke Hüls AG in Marl, die Hoechst AG, die BASF, die Deutschen Solvay-Werke und

-33-«

die Deutsche ICI in Wilhelmshaven. Die Gesamtproduktion betrug 1987 1,3 Mill. Tonnen.

Auf dem Kunststoffsektor trug nicht nur die stark steigende PVC-Produktion zur weiteren stürmischen Entwicklung der Chlorchemie bei. Zur Herstellung von Polyurethanen und Polycarbonaten wurden steigende Mengen Phosgen und Pro-pylenchlorhydrin benötigt. Ethylenglykol erlangte als Reaktionskomponente zur Erzeugung von Polyestern steigende Bedeutung. Allerdings wurde die Herstellung von Ethylenglykol beziehungs Ethenoxid als dessen Vorprodukt zunehmend auf chlorfreie Direktoxidationsverfahren umgestellt. Die dabei frei werdenden Anla-gen für Ethylenchlorhydrin wurden zur Produktion von Propylenchlorhydrin be-ziehungsweise Propylenoxid genutzt. In den Epoxidharzen (Zweikompo-nen-ten-kleber) ist das Epichlorhydrin ein wichtiger Reaktionspartner.

Das traditionelle Verwendungsgebiet von Chloraromaten zur Herstellung ver-schiedener Vorprodukte für die Synthese von Farbstoffen und anderen chemischen Spezialerzeugnissen insbesondere über Chloraitroaromaten, hat bis heute seine Stellung in der chemischen Produktion behaupten können. Neue Verwendungsge-biete wurden auch für Chloraromaten in der Kunststoffchemie als Lösungsmittel und zur Herstellung von Weichmachern und Zwischenprodukten gefunden.

Monochlorbenzol wurde in großen Mengen zur Herstellung von DDT verwen-det, das insbesondere zur Malariabekämpfung massenhaft zum Einsatz kam. Die Herstellung und Verwendung von DDT ist in der Bundesrepublik seit 1972 durch das "Gesetz über den Verkehr mit DDT' vom 7.8.1972 verboten. In der DDR wurde DDT bis in die jüngste Vergangenheit noch in der Forstwirtschaft einge-setzt.

Die während des Zweiten Weltkrieges als Erntevernichtungsmittel entwickelten Herbizide 2,4-D und 2,4,5-T wurden nach dem Krieg zunächst in der Landwirt-schaft als selektive Unkrautvernichtungsmittel und als "Brush-killer" zur Freihal-tung von Telefonleitungen, Gleisanlagen, Schneisen oder Wegrändern verwendet. Im Vietnamkrieg setzten die USA Mischungen von 2,4-D und 2,4,5-T in großen Mengen unter Bezeichnungen wie "Agent Orange" als Entlaubungsmittel ein. Ne-ben unabsehbaren ökologischen Folgen in Vietnam wurden zahlreiche Schäden an Menschen, von Mißbildungen Neugeborener bis zu Krebserkrankungen, sowohl bei Vietnamesen als auch bei amerikanischen Kriegsteilnehmern beobachtet (Dahlmann 1990). Diese Vergiftungserscheinungen wurden von Nebenprodukten der 2,4,5-T-Herstellung, vor allem dem als "Sevesogift" bekannten 2,3,7,8-Tetra-chlordibenzo-p-dioxin (TCDD, Dioxin), verursacht. Nach einem Unfall, bei dem 1953 in einem Werk der Bayer AG. mehrere Arbeiter schwere Vergiftungen erlit-

-34-

ten hatten, gelang 1957 dem Holzchemiker Sandermann der Nachweis von TCDD als dem extrem giftigem dem auch bei der Hers thaline schwere Erkran]

Bestandteil, der nicht nur bei der 2,4,5-T-Herstellung son-ellung anderer Chloraromaten wie perchlorierter Naph-cen verursachte (Perna-Erkrankung). Die in den ersten

Chlor-Alkali-Elektrolyse-Anlagen beobachtete "Chloracne" war ebenfalls auf eine Vergiftung durch TCDD und verwandten Verbindungen zurückzuführen.

Auch die Freisetzung von TCDD bei dem Chemieunfall, der sich 1976 in Seveso in einer Anlage zur Herstellung von 2,4,5-T ereignete, bewirkte zunächst keine nachhaltige Neubewertung der Risiken, die mit der Erzeugung und Verwendung aromatischer Chlorverbindungen verbunden sind (Kamaus 1989).

Erst das ubiquitäre Auftreten von TCDD und anderen hochchlorierten "Dioxinen" und "Furanen" hat in den letzten Jahren zu einer breiteren Diskussion über die Risiken der Chlorchemie und zu Ansätzen einer Neubewertung geführt.

-35-

3. Risiken der Chlorchemie für Arbeit, Gesundheit und Umwelt Durch den Verbrauch großer Mengen Steinsalz ist Chlorchemie an der durch

Salzgewinnung und -aufbereitung verursachten Versalzung der Flüsse wesentlich beteiligt.

Über den hohen Strömverbrauch der Kochsalz-Elektrolyse hat dieser Teil der chemischen Produktion mittelbar auch einen beachtlichen Anteil an den mit der Elektrizitätserzeugung verbundenen Gesundheitsrisiken und Umweltproblemen.

Störfälle bei der Chlor-Alkali-Elektrolyse mit Chlorgasausbrüchen sind wegen der Giftigkeit des Chlors eine beträchtliche Gefahr für Beschäftigte und Anwoh-ner. In den Jahren 1970-1980 wurden weltweit 75 Störfälle mit Chlorgas offiziell gemeldet (Umweltbundesamt 1983).

Die Chlorerzeugung nen in Produkte, Abluft Zeit Hauptverursacher publik. Während die Qu üch gesenkt werden konni Gegenwart hohe Quecks:

nach dem Amalgamverfahren ist mit Quecksilberemissio-und Abwasser verbunden. Die Chlorerzeugung war lange

der Umweltbelastungen mit Quecksilber in der Bundesre-ecksilberemissionen der bundesdeutschen Anlagen deut-ten, verursachten die Chloranlagen in der DDR bis in die

iilberbelastungen vor allem der Elbe. Ein hohes Störfallrisiko geht auch von Zwischenprodukten derChlorchemie aus.

Phosgen, ein Gas, das im Ersten Weltkrieg als chemischer Kampfstoff eingesetzt wurde, kann bei einem Betriebs- oder Transportunfall eine Katastrophe mit zahl-reichen Todesopfern verursachen.

Zu dem Komplex der von Phosgen ausgehenden Gefahren gehört auch die Ka-tastrophe, die sich Anfang Dezember 1984 im indischen Zweigwerk des amerikani-schen Chemie-Konzerns Union-Carbide in Bhopal ereignete und mehr als 3000 Menschen das Leben kostete. Damals war aus einem Kessel das hochgiftige Me-thylisocyanat (MIC), das aus Phosgen hergestellt und zu Pestiziden weiterverarbei-tet wird, entwichen.

Das Ausgangsprodukt der PVC-Herstellung, VC, gehört zu den beim Menschen eindeutig krebserzeugenden Arbeitsstoffen (Gruppe DI Al der MAK-Werte-Li-ste). Die in den 70er Jahren beobachteten VC-Vergiftungen bei Arbeitern und die Gefährdimg der Konsumenten durch Rest-VC in Endprodukten konnten durch technische Maßnahmen weitgehend ausgeschlossen werden. Von VC-Anlagen und -Transporten geht weiterhin ein beträchtliches Störfallrisiko aus.

-36-

Der Kunststoff PVC ist nicht nur wegen der riskanten Eigenschaften der Vor-produkte Chlor und Vinylchlorid toxikologisch und ökologisch bedenklich. PVC ist erst durch Zugabe von Zusatzstoffen verarbeitbar. Diese Zusatzstoffe, darunter vor allem schwermetalltialtige Stabilisatoren und Weichmacher wie das omniprä-sente DEHP (Diethylhexylphthalat), sind ihrerseits ökologisch und toxikologisch kritisch zu beurteilen. Beim Verbrennen von PVC entstehen Dioxine und große Mengen an Salzsäure. In einer Studie der KFA Jülich werden als mit dem Produkt PVC verbundene Problembereiche aufgelistet: "1. das hohe Aufkommen der produzierten Haupt- und Nebenprodukte, 2. Persistenz, Toxizität und Akkumulation vieler anfallender Vor- und Nebenprodukte, 3. die Notwendigkeit der Produktion in geschlossenen Apparaturen, 4. Freisetzung von Gefahrstoffen aus Haupt- und Nebenprodukten im Unglücksfall (Explosion, äu-

ßere Einwirkung, Brandfall), 5. die Freisetzung von Weichmachern im Verwendungsbereich mit der Gefahr reversibler und irre-

versibler Schäden, 6. die Gefährdung von Mensch und Umwelt durch freigesetzte Zersetzungsprodukte (Aromaten,

HCl, Dioxine) im Brandfall, 7. das offene Ende des PVC-Stoffsystems bei zeitlich verzögert stark anwachsenden Abfallmengen, 8. langfristige Freisetzung von PVC-Additiven in der Deponie, 9. Schadstoffeintrag durch PVC in die Müllverbrennung." (Forschungszentrum Jülich 1990)

Leichtflüchtige Chlorkohlenwasserstoffe gehören zu den am häufigsten vor-kommenden gefährlichen Arbeitstoffen. Sie sind als Lösungsmittel, in Entfettungs-und Reinigungsmitteln, in Beizen, Klebstoffen, Verdünnern und Lacken an den verschiedensten Arbeitsplätzen anzutreffen. Sie erzeugen in größeren Mengen eingeatmet durch ihre Wirkung auf das Zentralnervensystem Rauschzustände. Sie können, je nach Verbindung in unterschiedlicher Ausprägung, Schäden des At-mungstrakts, des Verdaüungs- oder des Kreislaufsystems verursachen. Dichlorme-than, Trichlorethan, Trichlorethen (TRI) und Tetrachlorethen (PER) sind in der MAK-Werte-Liste in die Gruppe D I B ( = Stoffe mit begründetem Verdacht auf krebserzeugendes Potential) eingestuft. Das krebserzeugende Potential chlorhalti-ger Lösungsmittel ist nicht nur auf die cancerogenen Eigenschaften der aufgeführ-ten Hauptbestandteile, sondern auch auf die in technischen Lösungsmitteln be-findlichen Stabilisatoren und produktionsbedingte Verunreinigungen zurückzufüh-ren. Die toxischen Eigenschaften der Nebenprodukte, die bei der Chlorierung or-ganischer Stoffe entsteh en, sind erst teilweise erforscht.

CKW, die im Boden Gefahr für das Grundw:

nur sehr langsam abgebaut werden, stellen eine erhebliche asser dar.

-37-

Ein großer Teil der chlorhaltigen Lösungsmittel verdunstet und wird so in die Atmosphäre emittiert. Unter der Einwirkung von UV-Strahlen werden die meisten CKW in der Troposphäre abgebaut. Sie zerfallen zu reaktionsfähigen Verbindun-gen (Fotosmog). Der Fotosmog wird u.a. als eine Ursache des Waldsterbens ange-sehen. Leichtfiichtige CKW sind aufgrund der Entstehung von Chlorwasserstoff als Zersetzungsprodukt beträchtlich am diffusen Säureeintrag in die Umwelt über die Atmosphäre (saurer Regen) beteiligt.

Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) sind die ersten erfolgreich vermarkteten Chemieprodukte, die aufgrund ihrer umweltschädigenden Eigenschaften weltweit wieder elimiert werden sollen. Es ist allerdings zu bezweifeln, daß die Produkti-onseinstellung bei vollhalogenierten zum Schutz der Ozonschicht ausreicht, da auch teilhalogenierte FCKW und andere nicht fluorhaltige Chlororganika ein ho-hes Ozonabbaupotential aufweisen. Leichtflüchtige CKW und FCKW in der At-mosphäre führen zu einer verstärkten Absorption der Infrarot-Rückstrahlung von der Erde, dem sogenannten Treibhauseffekt.

Chloraromaten sind überwiegend sehr giftige, krebserzeugende und umweltbe-lastende Stoffe. Unter den Chlorbenzolen ist das als unerwünschtes Nebenprodukt anfallende para-Dichlorbenzol (p-DCB), von dem in der Bundesrepublik jährlich ca. 20.000 Tonnen erzeugt werden, problematisch. Umweltbundesamt und Bun-desgesundheitsamt haben 1985 warnend auf das Problem der Gewässerbelastung durch p-DCB aus Anwendungen im Hygienebereich hingewiesen. Die als Verwen-dung getarnte Entsorgung in Hygieneartikeln ('Toilettensteine") ist seitdem zu-rückgegangen. 1988 wurde eine besonders unsinnige Verwendung von p-DCB als Sargeinstreumittel bekannt. Bei Feuerbestattungen treten aus dieser Quelle hohe Dioxinkonzentrationen in den Abgasen auf.

Als überaus gesundheits- bzw. umweltschädigend erwiesen sich vor allem das Insektizid DDT, der (Transformatoren- und

Holzschutzmittelbestandteil PCP und die PCBs lydrauliköle). Für diese Stoffe gelten nach einer Reihe

aufsehenerregender Skandale (Seveso 1976, Boehringer Hamburg, Holzschutzmit-telskandal, ...) inzwischen Produktions- und Anwendungsbeschränkungen und -verböte. Chlororganische Pestizide, deren ökotoxikologisches Gefahrenpotential durch das Zusammentreffen von Persistenz, Bioakkumulation und hoher Toxizität verursacht wird, werden vor allem in Entwicklungsländern weiterhin in großen Mengen ausgebracht. Aufgrund der globalen Verteilung über Nahrungsketten ist auch in Mitteleuropa trotz schon lange bestehender Anwendungsverbote keine Abnahme der Pestizid-Konzentrationen (HCH, DDTs) in menschlicher Milch festzustellen. Für gestillte Säuglinge sind die toxikologisch wünschenswerten Si-

-38-

cherheitsfaktoren gegenüber einigen dieser Verbindungen nach wie vor nicht ge-geben (Dieter 1990).

Hexachlorbenzol, das kann, entsteht u.a. als N durch Chlorolyse. In der die überwiegend als

nur in begrenztem Umfang weiterverarbeitet werden ebenprodukt bei der Herstellung von PER und TETRA Bundesrepublik fallen jährlich etwa 8-10.000 Tonnen an,

Sondermüll entsorgt werden müssen. Polychlorierte Biphenyle (PCBS) werden in der Bundesrepublik seit 1983 nicht

mehr hergestellt. Von den noch in Produkten wie Kondensatoren oder hydrauli-schen Systemen vorhandenen PCB-Mengen gehen weiterhin beträchtliche Risiken aus. Im Brandfall muß mit der Entstehung von Dioxinen gerechnet werden und durch Leckagen frei werdende PCBs reichern sich in den Nahrungsketten an. Die bei Seehunden zu findenden hohen PCB-Gehalte im Körperfett werden als Ursa-che für die Populationsrückgänge durch Unfruchtbarkeit und erhöhte Infektions-anfälligkeit angesehen (Dieter 1990).

Die Belastung der Umwelt und der Nahrungsketten mit hochtoxischen und per-sistenten polychlorierten aromatischen Kohlenwasserstoffen vom Typ der poly-chlorierten Dibenzodioxine und Dibenzofurane (PCDD und PCDF) hat im Ver-lauf weniger Jahrzehnte ein gefährlich hohes Niveau erreicht. Die Diskussion über Entstehung, Verbreitung und Risiken von PCDDs und PCDFs ("Dioxmdiskussion") ist zu einem eigenen Bereich in der ökologischen und toxiko-logischen Auseinandersetzung mit der Chlorchemie geworden, auf die hier nicht detailiert eingegangen Werden kann. Auf den engen Zusammenhang zwischen Chlorchemie und Dioxinentstehung verweisen Untersuchungen von Flußsedimen-ten. Unterhalb der Abwassereinleitungsstelle einer großen Chemiefabrik mit einer Jahreskapazität von 310.000 t Chlor und 410.000 t VC wurden im Sediment der Lippe erhöhte Dioxinkonzentrationen gefunden. Die Zunahme der Konzentration an PCDDs und PCDFs im Sediment in altersbestimmten Schichten korreliert zeit-lich exakt mit dem Beginn der Produktion von PVC und CKW in der betreffenden Chemiefabrik (Friege/Klös 1990).

Da die Ursachen für die besorgniserregenden Dioxinemissionen an verschie-denen Stufen der Chlorchemie bei der Produktione, Verwendung und Entsorgung zu finden sind, endete auch der internationale Dioxinkongreß in Karlsruhe im Ja-nuar 1990 mit dem Lösungsvorschlag, die Chlorchemie insgesamt herunterzufah-ren (Zeschmer-Lahl/Lahl 1990). Umweltbundesamt und Bundesgesundheitsamt haben im Anschluß an diesen Kongreß einen ersten Sachstandsbericht verfaßt, in dem Maßnahmen zur Reduzierung der Dioxinbelastung vorgeschlagen werden, die

-39-

auf eine drastische Beschränkung der Chlorchemie hinauslaufen (Bundes-gesund-heitsbl. 8/90, 350-354).

In alten Deponien lagernde Rückstände aus der Chlorchemie machen neben Schwermetallen den problematischsten Teil der sogenannten Altlasten aus. Die Sanierung oder zumindest die Sicherung derartiger Altlasten ist ein Problem, für das weder sichere technische Lösungen existieren noch Finanzierungsmöglichkei-ten absehbar sind. Produktionsrückstände aus der Chlorchemie und verbrauchte Chlororganika wie chlorhaltige Lösungsmittelreste etc. sind problematische Son-derabfälle, die zumindest bei nicht ordnungsgemäßer Entsorgung als stetige Quelle neuer Altlasten abzusehen sind.

Für die Umwandlung der im Kochsalz und anderen Salzen (Chloriden) recht häufig vorkommenden Chloridionen in das freie Chlor wird mehr Energie benö-tigt, als normalerweise in der Natur in geeigneter Form zur Verfügung steht. Als der Chemiker Carl Wilhelm Scheele vor nunmehr über 200 Jahren als erster Mensch das Chlorgas kennenlernte, hatte er einen Stoff vor sich, der in der Natur unter normalen Umständen nicht vorkommt. Ebenso wie das freie Chlor sind auch organische Chlorverbindungen, also Verbindungen, in denen das Chlor an Kohlen-stoff gebunden ist, in der Natur nur in Ausnahmefällen (etwa in Folge von Wald-bränden) vorhanden. Es ist daher nicht verwunderlich, daß diese Stoffe von den Stoffwechselsystemen der meisten Lebewesen kaum "eingeordnet", abgebaut oder ausgeschieden werden können. Die Folge der schlechten mikrobiellen Abbaubar-keit der Chlor-Kohlenstbff-Bindung ist eine Anreicherung von chlororganischen Verbindungen in diversen Nahrungsketten und der Biosphäre insgesamt. Die Be-lastung der Biosphäre evolutionär weitgehend

mit einer den Stoffwechselsystemen der Lebewesen "unbekannten" Stoffklasse ist ein gefährliches globales

Experiment mit ungewissem Ausgang. Die Frage, ob ein solches Experiment, dessen Folgen zukünftige Generationen zu tragen haben, verantwortbar ist, ist ebenso wie die Frage der Verantwortbarkeit der Kernenergienutzung ein normatives Problem von historischem Ausmaß.

-40-

4. Gegenwärtige Struktur und Entwicklungstendenzen der Chlorchemie

In der Bundesrepublil Millionen Tonnen Natro sehen Grundstoffen zu Chlororganika umgesetzt,

werden jährlich ca. 3,5 Millionen Tonnen Chlor und 3,7 nlauge erzeugt. Etwa 90% des Chlors werden mit organi-

4.1 Organische Primärprodukte Chlor besitzt gegenüber den meisten organischen Grundchemikalien eine hohe

Reaktionsfähigkeit und kann so zu einer breiten Palette organischer Chlorverbin-dungen umgesetzt werden.

Für die Herstellung von leichtflüchtigen CKW und Zwischenprodukten wie Propylenoxid oder Epichlorhydrin sind Methan, Methanol, Ethan, Propan, Ethy-len, Propylen und Acetylen die wichtigsten organischen Primärprodukte. Methan ist als Hauptbestandteil des Erdgases verfügbar. Methanol wird durch Hochdruck-synthese aus Synthesegas (Wasserstoff und Kohlenmonoxid) dargestellt. Da Syn-thesegas sowohl aus Kohle, als auch durch Spaltung von verschiedenen Erdölfrak-tionen oder Erdgas gewonnen werden kann, steht für die Methanolsynthese eine breite Rohstoffbasis zur Verfügung. Methanol ist eines der wichtigsten organischen Primärprodukte mit einem breiten Anwendungsspektrum. Ethan und Propan sind Bestandteile von Erdgasen und Raffineriegasen. Ethylen und Propylen sind die beiden wichtigsten organischen Industriechemikalien. Beide werden überwiegend durch thermische Spaltung gesättigter Kohlenwasserstoffe erzeugt. Als Kohlenwasserstoffe kommen aus Erdgasen oder Raffineriegasen gewonnene Flüssiggasgemische (Ethan, Propan und Butan) oder Naphta (Rohbenzin) aus der Erdöldestillation in Frage. Acetylen war, solange die Kohle als Hauptrohstoff der organischen Chemie diente, neben Synthesegas das wichtigste organische Basisprodukt. Mit der Umstellung auf petrochemische Grundstoffe hat es seine Bedeutung weitgehend verloren. Acetylen wird entweder aus Calciumcarbid oder durch Pyrolyse von Kohlenwasserstoffen erzeugt (Weissermel und Arpe, 1988, S.8-13).

Für die Herstellung aromatischer CKW und Zwischenprodukte dienen Benzol, Toluol und andere aromatische Kohlenwasserstoffe. Benzol und Toluol, die früher als Nebenprodukte der Kohleverwertung erhalten wurden, werden heute vor allem petrochemisch gewonnen.

-41-

Mit Kohlenmonoxid, das bei der unvollständigen Verbrennung von Kohle ent-steht, reagiert Chlor zu Phosgen, das überwiegend zu Diisocyanaten und weiter zu Polyurethan-Kumtstoffen verarbeitet wird.

4.2 Chlormethane Bei der Chlorierung von Methan entsteht ein Gemisch aller vier Chlormethane.

Deren Verhältnis hängt Vom Verhältnis der Ausgangsstoffe Methan und Chlor ab. Die Reaktion von Methanol mit Chlorwasserstoff, der als Nebenprodukt von Chlo-rierungsreaktionen in großen Mengen anfällt, ensteht als einziges Produkt nahezu nebenproduktfrei Chlormethan. Chlormethan kann an Stelle von Methan zur Her-stellung höherchlorierter Chlormethane eingesetzt werden. Bei der Chlorolyse von Propan/Propylen-Gemischen oder chlorhaltigen Produktionsrückständen ist Te-trachlormethan das Hauptprodukt. Als Nebenprodukte entstehen Tetrachlorethen, Hexachlorethan, Hexachlorbutadien und Hexachlorbenzol. Je nach Reaktionsfüh-rung kann auch Tetrachlorethen Hauptprodukt von Chlorolysereaktionen sein. (Schulze und Weiser 1985, Fachgruppe Wasserchemie 1987, Weissermel und Arpe 1988). Produktion von Chlorme thanen in der Bundesrepublik 1988: Chlormethan Dichlormethan Trichlormethan Tetrachlormethan

147.9831 127.152 t 30.4001 170.1601 Quelle: Statistisches Buhdesamt Wiesbaden (1989): Fachserie 4, Reihe 3.1: Pro-duktion im produzierenden Gewerbe. Stuttgart, Verlag Metzler-Poeschel

Verwendung von Chlormethanen Chlormethan (Methylchlorid) wird überwiegend als Zwischenprodukt für Me-

thylierungsreaktionen eingesetzt. Bei der Herstellung von Polystyrol-Schaumstof-fen dient Chlormethan als Treibmittel. Ferner ist seine Verwendung als Kühlmittel angegeben (Schulze/Weiser 1985, 66f). Die Verbrauchsentwicklung bei Chlorme-than hat auf die Situation bei den anderen Chlormethanen nur geringe Auswir-kungen, da Chlormethan durch Hydrochlorierung von Methanol ohne Zwangsan-fall anderer Chlormethane herstellbar ist.

Im Gegensatz zu Chlormethan wird das Dichlormethan (Methylenchlorid) nur zu einem sehr geringen Teil chemisch weiterverarbeitet. Der weitaus größte Teil der Produktion wird als Lösungsmittel in Anstrichentfernern, in der Elektronikin-

-42-

dustrie, als Metallentfettungsmittel und als Extraktionsmittel verbraucht In diesen Bereichen hat das Dichlormethan andere CKW teilweise verdrängt. In der chemi-schen Industrie dient es als Lösungsmittel bei der Verarbeitung von Celluloseace-tat zu Folien und Fasern!und bei der Herstellung von Pharmazeutika und Schäd-lingsbekämpfungsmitteln. Als Treibmittel für Aerosole und Polyurethanschäume tritt Dichlormethan an die Stelle von FCKW (Schulze/Weiser 1985, 77f; Fach-gruppe Wasserchemie 1987,28).

Das bedeutendste Verwendungsgebiet für Trichlormethan (Chloroform), in das etwa 90% der Produktion gehen, ist die Herstellung von Fluorchlormethanen, dar-unter vor allem Difluorchlormethan (FCKW 22), verwendet. Difluorchlormethan dient als Kältemittel und als Ausgangsprodukt für die Herstellung von Fluorpoly-meren (Perfluorethylen-Kimststoffe). Das Bromchlordifluormethan wird als Feu-erlöschmittel eingesetzt. In geringeren Mengen wird Trichlormethan als Extrakti-onsmittel für Fette und Öle, Alkaloide und Antibiotika und als Lösungsmittel in Abbeizmitteln und in der pharmazeutischen Industrie verwendet. Ferner dient es als Zwischenprodukt für chemische Synthesen (Schulze/Weiser 1985, S.79f; Fach-gruppe Wasserchemie 1987, S.48f).

Auch das Tetrachlormethan wird zu etwa 90% zu Fluorchlormethanen weiter-verarbeitet, vor allem zu Fluortrichlormethan (FCKW 11) und Difluordichlorme-than (FCKW 12). Weitere Verwendungsgebiete für Tetrachlormethan sind der chlorierende Aufschluß von Erzen, die Raffination von Metallschmelzen sowie die Herstellung von Pharmazeutica und Schädlingsbekämpfungsmitteln. Die traditio-nellen Verwendungsgebiete von Tetrachlormethan als Lösungsmittel (TETRA) und als Feuerlöschmittei sind wegen seiner Toxizität und der Neigung zur Phos-genbildung weitestgehend aufgegeben worden (Schulze/Weiser 1985, S.81).

4.3 Chlorethane und Chlbrethene Das Schlüsselprodukt für die Herstellung der meisten anderen Chlorethane und

Chlorethene ist das 1,2-Dichlorethan (Ethylendichlorid, EDC). Der größte Teil der EDC-Produktion wird zur Herstellung von Chlorethen (Vinylchlorid, VC) verwendet, das überwiegend zum Kunststoff PVC weiterverarbeitet wird. Ein wei-teres Folgeprodukt des EDC ist das 1,1,1-Trichlorethan. In der Bundesrepublik ist die Dow Chemical einziger Hersteller von 1,1,1-Trichlorethan mit einer Produkti-onskapazität von 130.000

Die Herstellung von auf der Basis von Acetyle

t /a (Schulze/Weiser 1985,106). Trichlorethen (TRI) erfolgt in der Bundesrepublik noch n.

-43-

Tetrachlorethen (PER) ist ein weiteres Folgeprodukt des EDC. Es fällt außer-dem bei der Chlorolyse v nischen Produktionsrückständen an. (Schulze/Weiser 1985, Fachgruppe Wasser-chemie 1987, Weisserme denen jährlich etwa 8.00

Chlor oder Chlorwassers

3n Propan/Propylen-Gemischen oder chlorhaltigen orga-

1/Arpe 1988). Die Rückstände aus der Chlorolyse, von ) t anfallen, bestehen zu etwa 4/5 aus Hexachlorbenzol

und zu 1/5 aus Hexachlorbutadien, Sie werden teilweise unter Rückgewinnimg von off verbrannt und zum kleineren Teü unter Tage depo-

niert (Schulze/Weiser 1985, 65).

Verwendung Chlorethanen und Chlorethenen EDC ist das mengenmäßig bedeutendste chlororganische Zwischenprodukt.

1981 waren in den westlichen Industrieländern Produktionskapazitäten für 23,7 Millionen Tonnen EDC installiert. Dazu kommen weitere Kapazitäten in den RGW-Ländern und in Entwicklungsländern. Vor allem in den Erdölförderländern sind in den letzten Jahren EDC- und VC-Anlagen errichtet worden (Ullmann's Encyclopedia 1986, 271).

Das weitaus wichtigste Verwendungsgebiet für EDC ist die VC- bzw PVC-Her-stellung. Weitere Folgeprodukte des EDC und des VC sind 1,1,1-Trichlorethan, 1,1-Dichlorethen (Vinylidenchlorid), Trichlorethen, Tetrachlorethen (PER) und Ethylendiamin. EDC wird neben Tetraethylblei gemeinsam mit Ethylenbromid mit rückläufiger Tendenz als Kraftstoffadditiv verwendet. Es dient ferner als Vorpro-dukt für weitere organische Synthesen. (Schulze/Weiser 1985,98ff).

1,1,1-Trichlorethan (Methylchloroform) hat aufgrund günstigerer toxischer Ei-genschaften Tri- und Tetrachlorethen (TRI und PER) als Lösungsmittel in weiten Bereichen ersetzen kömken. Hierbei ist allerdings zu beachten, daß seine thermi-sche Instabilität und Hydrolyseempfindlichkeit den Zusatz beachtlicher Stabilisa-tormengen erforderlich machen, die ihrerseits toxikologisch nicht unbedenklich sind. 1,1,1-Trichlorethan unterliegt aufgrund seines hohen Ozonabbaupotentials Anwendungsbeschränkungen.

Trichlorethen wird ausschließlich als Löse- und Reinigungsmittel verwendet. Der Inlandsmarkt für Trichlorethen wird für das Jahr 1986 auf 30.000 t geschätzt (VCI 1988). Die Produktionsmenge wurde ab 1986, nachdem in der Bundesrepu-blik nur noch die Wacker-Chemie GmbH in Burghausen über eine größere Pro-duktionskapazität (25-30.000 t/a) verfügt (Schulze/Weiser 1985, 165), vom Stati-stischen Bundesamt nicht mehr bekanntgegeben. Tetrachlorethen wird ebenfalls als Lösungs- und Reinigungsmittel verwendet. Die Produktionsmenge lag in der

-44-

Bundesrepublik in den Jahren von 1974 bis 1986 ziemlich konstant bei ca. 150.000 t/a. 1987 wurden in der Bundesrepublik 154.648 t Tetrachlorethen erzeugt. Der Verbrauch ist in diesem Zeitraum dagegen um mehr als ein Drittel auf etwa 50.000 t/a zurückgegangen. Die Exportmengen stiegen auf nahezu 100.000 t/a. (VCI 1988, Schulze/Weiser 1985, 162ff und 169ff; Fachgruppe Wasserchemie 1987,76 und 90f).

4.4 Auswirkiingen von Produktionsrückgängen bei CKW Die für 1995 angekündigte Einstellung der Produktion vollhalogenierter FCKW

in der Bundesrepublik (VCI 1990) wird auch den Bedarf an Tetrachlormethan stark zurückgehen lassen. Chlormethan, Dichlormethan, Trichlormethan und Te-trachlormethan treten bei der Herstellung als Kuppelprodukte auf. Der Anteil der verschiedenen Chlormethane im Produktgemisch kann durch Variation des Ver-hältnisses der Ausgangsstoffe nur begrenzt beeinflußt werden (Weissermel/Arpe 1988, 55). Das Chlormethan kann, wenn kein anderweitiger Bedarf besteht, in den Chlorierungsprozeß zurückgeführt werden. Ein drastischer Bedarfsrückgang bei Tri- und Tetrachlorinethan wird vor allem Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit der Herstellung von Dichlormethan haben, dessen Produktion durch den Anfall schwer verwertbarer Kuppelprodukte belastet zu werden droht.

Die Herstellung von 1,1,1-Trichlorethan und Trichlorethen ist nicht zwangsläu-fig über Kuppelprodukte mit anderen Produktionslinien der organischen Chlor-chemie verknüpft. Ein ¡Rückgang der Produktion dieser CKW verursacht daher keine tiefgreifenden Störungen in komplexen Produktionszusammenhängen. Pro-duktionsrückgänge bei 'etrachlorethen (PER) können eher zu Problemen führen. Tetrachlorethen wird neben Tetrachlormethan bei der der Chlorolyse von CKW-haltigen Produktionsrückständen erhalten. Größere Mengen derartiger Rück-stände gehen aus der Methanchlorierung, der Herstellung von EDC, VC, Tri-chlorethen, 1,1,1-Trichlbrethan, Propylenoxid, Allylchlorid, Epichlorhydrin und Chlorbenzol in die Chlbrolyse. Den größten Anteil mit etwa 50% bilden Rück-stände aus der Herstellung von Propylenoxid über Propylenchlorhydrin (vor allem 1,2-Dichlorpropan). Hier ist eine Umstellung auf chlorfreie Oxidationsverfahren möglich, bei der keine CKW-haltigen Rückstände anfallen (Schulze/Weiser 1985, 64). Der zweitgrößte Anteil an den CKW-haltigen Produktionsrückständen, die in die Chlorolyse-Anlagen gehen, stammt aus der EDC/VC-Herstellung (Schulze/Weiser 1985, 63f). Bei abnehmender Nachfrage nach Chlorolyseproduk-ten ergibt sich die Notwendigkeit, die genannten CKW-haltigen Produktionsrück-stände anderweitig unterzubringen. Da als Alternative im wesentlichen nur die teure Hochtemperaturverbremiung zur Verfügung steht, dürfte die chemische In-

-45-

dustrie ein erhebliches interesse daran haben, ihre Absatzmärkte für Chloroly-seprodukte und dabei vor allem für Tetrachlorethen zu erhalten. Steigende Ab-satzschwierigkeiten für Chlorolyseprodukte verstärken andererseits den Druck auf die chemische Industrie, auf Verfahren auszuweichen, bei denen keine oder weni-ger CKW-haltige Rückstände anfallen. Außerdem ist ein genereller Rückgang der CKW-Produktion auch mit einem Rückgang CKW-haltiger Produktionsrückstände verbunden.

Die chemische Industrie ist insgesamt auf einen Rückgang des Absatzes leicht-flüchtiger CKW als Lösemittel und die Beendigung des Einsatzes dieser Stoffe in offenen Systemen eingestellt. Die Verwendung von leichtflüchtigen CKW, vor al-lem von PER, in geschlossenen Systemen (Chemischreinigung, Metallentfettung etc.) wird von der chemischen Industrie weiterhin verfochten (In Anhang 2 ist die Entwicklung der Produktion von leichtflüchtigen CKW in der Bundesrepublik wie-dergegeben.).

4.5 Polyvinylchlorid (PVC) Produktion und Verbrauch von PVC haben in den letzten Jahren weiterhin zu-genommen: Produktion und Verbrauch von PVC in der Bundesrepublik Jahr PVC-Produktion PVC-Verbrauch 1986 1,24 Mio t 1,08 Mio t 1987 1,32 Mio t 1,16 Mio t 1988 1,41 Mio t 1,23 Mio t Quelle: KUNSTSTOFFE 79 (1989) 11,1241-1244

Der Kritik, die in der Öffentlichkeit zur Chlorchemie im allgemeinen und zu den ökologischen und toxikologischen Risiken bei Produktion, Verarbeitung, Nut-zung und Entsorgung v(ra PVC geltend gemacht wurde (Claus/Friege/Gremler 1990), begegnet die Industrie mit verstärkten Werbeaktivitäten pro PVC und mit Bemühungen, Recyclingmöglichkeiten für PVC-Abfälle zu entwickeln.

i

Erfahrungen mit einem ökologisch begründeten Verzicht auf PVC auf kommu-naler Ebene zeigen, daß in der Praxis in vielen Fällen auf PVC zugunsten anderer Werkstoffe verzichtet werden kann (Claus/Friege/Gremler 1990,161-169).

Im stofflichen Verbund der Chlorchemie würde ein weitgehender Verzicht auf PVC vor allem eine Verringerung des Anfalls an problematischen Nebenproduk-

-46-

ten und Abfällen mit sich bringen. In Anhang 6 ist eine Übersicht über Struktur und Emissionen des PVC-Stoffsystems wiedergegeben.

Die Studie der KFA-Jülich über "Stoffströme und Emissionen durch Produk-tion, Verwendung und Entsorgung von PVC" kommt zu dem Schluß: "Eine weitere Verminderung der mit der PVC-Produktion verbundenen Schadstofffreisetzung ist dringend erforderlich. Die Forderung nach derartigen Minderungsstrategien führte in einigen europäischen Ländern zu gesetzlichen Regelungen, so z.B. in Öster-reich." Zur Reduzierung umweltrelevanter Stoffmengen wird die Substitution pro-blematischer Inhaltsstoffe wie schwermetallhaltiger Additive und die Substitution von PVC selber vorgeschlagen. Vorrangig sollen danach PVC-Verpackungen und Kinderspielzeug aus Weich-PVC substituiert werden. Für weitere Produkte wird die Überprüfung von Substitutionsmöglichkeiten angeregt (Anhang 7). Darüber-hinaus sollten diese Maßnahmen durch eine Kennzeichnungspflicht für Kunst-stoffe, eine Rücknahmeverpflichtung für PVC-Produkte und eine Herausnahme von PVC aus der Müllverbrennung und Hausmüll- und Bauschuttdeponien ergänzt werden (Forschungszentrum Jülich 1990,51-52).

Bundesgesundheitsamt und Umweltbundesamt kommen in Auswertung des Di-oxin-Kongresses in Karlsruhe im Januar 1990 hinsichtlich halogenhaltiger Kunst-stoffe zu folgendem Ergebnis: "Da halogenierte Kunststoffe (insbesondere PVC und mit bromhaltigen Flammschutzmitteln ausgerüstete Kunststoffe) im Brandfall, beim Recycling und bei der Entsorgung zu Dioxinemissionen führen können, wird empfohlen, in brandgefährdeten Bereichen so weit wie möglich auf den Einsatz brom- und chlorhaltiger Kunststoffe vollständig zu verzichten. UBA und BGA schlagen ein Verwendungsverbot für brom- und chlorhaltige Kunststoffe in brand-gefährdeten Anlagen, bei der Spanplattenherstellung und eine Kennzeichnung chlorhaltiger Kunststoffe, u.U. sogar ein Verwendungsverbot von PVC im Verpak kungsbereich vor." (Bundesgesundheitsbl. 8/90,350-354)

4.6 Chloraromaten Die Chlorierung von Benzol ergibt als Hauptprodukt Monochlorbenzol und als

Nebenprodukte ortho- und para-Dichlorbenzol (o-DCB und p-DCB) sowie in ge-ringerer Menge höher chlorierte Benzole. Monochlorbenzol wird in der Bundesre-publik jährlich in einer Menge von ca. 100.000 Tonnen hergestellt und vor allem als Ausgangsprodukt zur Herstellung von Phenol, Anilin und eine Reihe weiterer Zwischenprodukte verwendet. Dabei hat die Weiterverarbeitung zu Farbstoffvor-produkten die größte Bedeutung. Monochlorbenzol findet außerdem als Lösungs-mittel Verwendung.

-47-

Das o-Dichlorbenzol, von dem in der Bundesrepublik jährlich etwa 15.000 Ton-nen verbraucht werden, wird als Ausgangsprodukt zur Herstellung von Pestiziden und Farbstoffen sowie als Lösungsmittel für Lacke, Öle, Wachse, Harze usw. ein-gesetzt.

p-Dichlorbenzol fällt bei der Herstellung von o-Dichlorbenzol zwangsläufig in einer Menge von ca. 20.000 Tonnen jährlich mit an. Es wird in weit geringeren Mengen als das o-Dichlorbenzol als Vorprodukt für weitere chemische Umwand-lungen benötigt. Die chemische Industrie entledigt sich der p-Dichlorbenzol-Über-schüsse durch Vermarktung als Lösungsmittelzusatz, im Hygienebereich ("Geruchsverbesserer", "Beckensteine" für Toiletten, "Sargeinstreumitter) und als Mottenbekämpfungsmittel. Seitdem diese Verwendungen heftiger Kritik ausge-setzt sind, geht der Verbrauch in der Bundesrepublik stark zurück. 65 bis 75% des in der Bundesrepublik anfallenden p-Dichlorbenzols gehen (überwiegend zur Verwendung im Hygienesektor) in den Export (Fachgruppe Wasserchemie 1987, 105).

Hexachlorbenzol wird in begrenztem Umfang zur Herstellung von Pestiziden und Kautschukchemikalien (Pentachlorthiophenol) verwendet. Es fällt bei Chlo-rolyseprozessen in erheblichen Mengen als Rückstandsprodukt an. Die auftreten-den Mengen übersteigen den Bedarf erheblich, so daß der größte Teil als Sonder-müll hauptsächlich durch Verbrennen entsorgt werden muß.

Der Einsatz von Chlorpestiziden ist trotz des DDT-Verbotes und der Skandale um diese Produkte nach Informationen des Umweltbundesamtes bis 1986 nur auf 60% der im Jahr 1970 verwendeten Menge zurückgegangen (Winteler/Ahrens 1990,33).

Von der chemischen Industrie wird die Bereitschaft geäußert, besonders pro-blematische Chlororganika wie insbesondere die höher chlorierten aromatischen Kohlenwasserstoffe aus der Produktion zu nehmen.

4.7 Bleichmittel Die Verwendung von Chlor als Bleichmittel in der Zellstoff- und Papierher-

stellung ist aufgrund der Umstellung auf Verfahren, die Sauerstoff verwenden, rückläufig. Diese Entwicklung wird von Umweltbundesamt und Bundesgesund-heitsamt nachdrücklich unterstützt: "Es wird eine Selbstverpflichtung der Zellstof-findustrie in der Bundesrepublik Deutschland zur kurzfristigen Umstellung der Zellstoffbleiche auf chlorarme und mittelfristig auf chlorfreie Bleiche vorgschla-gen. Auch auf internationaler Ebene sollte auf die Umstellung der Zellstoffbleiche

-48-

hingewirkt, niclit-chlorgebleichte Papierprodukte sollten durch die Vergabe von Umweltzeichen kenntlich gemacht werde." (Bundesgesundheitsbl. 8/90,350-354)

4.8 Chemiepolitische Regelungen bezüglich der Chlorchemie Die Häufung von Umwelt- und Gesundheitsskandalen, die dem Bereich der

Chlorchemie zuzurechnen sind, hat die Chlorchemie als Ganzes zum Gegenstand chemiepolitischer Auseinandersetzungen werden lassen. Dementsprechend sind neben politischen Instrumenten zur Abwehr einzelstoffbedingter Risiken auch In-strumente zu einer Reduzierung der Chlorchemie insgesamt oder einzelner Teil-bereiche in der Diskussion bzw. bereits in Anwendung (nach Winteler/Ahrens 1990):

- Chlorsteuer/Chlorabgabe: Von der Verteuerung des Grundstoffs Chlor durch Besteuerung wird eine Ver-

teuerung der Folgeprodukte mit der Wirkung entsprechend verschlechterter Marktchancen gegenüber Alternativprodukten und rückläufiger Produktionsmen-gen erhofft.

- Produktions- und Verwendungsverbote nach dem Chemikaliengesetz: Diese ordnungsrechtliche Maßnahme, die direkt in die Produktion und Ver-

wendung von Gütern eingreift, ist nur einzelstoffbezogen bei lückenlosem Nach-weis der umweit- und gesundheitsschädigenden Wirkung einer Substanz anwend-bar. Entsprechend dem bestehenden Verwendungsverbot für Pentachlorphenol ist das Chemikaliengesetz nur gegen besonders problematische Einzelstoffe wie die verbliebenen chlororganischen Pestizide oder halogenorganische Flammschutzmit-tel sinnvoll anzuwenden.

- Verwendungsverbote, Rücknahmeverpflichtungen und Pfandregelungen nach §14 AbfG (Abfallgesetz):

In Vorbereitung sind Verordnungen über die Vermeidung überflüssiger Ver-packungen, die Kennzeichnung von Kunststoffsorten in Verpackungen, über Rücknahmeverpflichtungen, Verwendungsverbote für schwermetallhaltige Addi-tive und Pigmente sowie möglicherweise eine Verwendungsverbot für PVC in Verpackungen. Die Bundesregierung wählte für diese Regelungen mit Datum vom 17.1.1990 zunächst das Instrument der qualitativen Zielfestlegung, mit dem die In-dustrie zur freiwilligen Erfüllung dieser Ziele innerhalb von eineinhalb Jahren veranlaßt werden soll. Da verdampfende Lösungsmittel und CKW in Abwässern

-49-

nicht dem Abfallgesetz unterliegen, sind mit diesem Instrument nur Teilbereiche der Umweltbelastung durch die Chlorchemie zu erfassen.

- Rücknahme-VO nach §14 AbfG (Abfallgesetz) für chlorierte Lösemittel: Seit dem 1.1.90 besteht für die Lieferanten chlorierter Lösemittel die Verpflich-

tung, gebrauchte, verschmutzte Lösemittel zurückzunehmen. Die Verwender sind verpflichtet, im Falle der Rückgabe die Lösemittel sortenrein abzuliefern.

Eine Rückgabeverpflichtung besteht nicht. Die Eintragsraten in die Umwelt sind durch diese Maßnahme nur begrenzt reduzierbar. Die Redestillationsrück-stände sind als problematischer Sondermüll aufwendig zu entsorgen.

-Unzulässigkeit bestimmter Verwertungen für chlororganische Abfälle im Rahmen einer Verwaltungsvorschrift nach § 5 Abs.l Nr.3 BImSchG:

Es wird diskutiert, Anlagen bzw. Prozesse nicht mehr zuzulassen, die die im Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) geforderte "Schadlosigkeit" der Ver-wertung nicht gewährleisten. Darunter könnten Chlorolyseanlagen, die Verwer-tung von Metall/PVC- Verbundmaterialien, die Verwertung chlororganischer Produkte in Feuerungsanlagen ohne Nachweis einer dioxinarmen Prozeßführung und die Verwertung organikhaltiger Metallschrotte zur Herstellung von Metall-chloriden fallen. Der Vollzug derartiger unter die Zuständigkeit der Genehmi-gungsbehörden der Länder fallender Verwaltungsvorschriften ist als schwierig ein-zuschätzen.

- Emissionsbegrenzungen von leichtflüchtigen Halogenkohlenwasserstoffen ge-mäß 2.BImSchV vom 21.4.86:

Die aufgrund dieser Verordnung notwendig gewordenen Verfahrensumstellun-gen, insbesondere der Übergang von offenen zu geschlossenen Systemen bei der Oberflächenreinigung von Metallen und in der Textilreinigung und zu chlorfreien Lösemitteln bei Extraktionsanlagen, haben eine deutliche Verringerung der Emis-sionen leichtflüchtiger CKW und FCKW bewirkt. Im Entwurf für eine verschärfte Neufassung der 2.BImSchV zur Emissionsbegrenzung von leichtflüchtigen halo-genorganischen Stoffen ist vorgesehen, die FCKW R-112, R-113 und R-l l nur noch in bestimmten Altanlagen bis zum 31.Dezember 1994 und 1,1,1-Tri-chlorethan nur noch bis zum 31.Dezember 1996 zuzulassen.

-50-

Literatur: E.B.Alvord u. H.F.Dietz: Control of Insects on Plants by Chemical Means. Recent Deve-

lopments. Industrial and Engineering Chemistry 25 (1933), 629-33 Anonymus: Die Tiere im Gaskrieg. Zeitschrift für das gesamte Abdeckereiwesen. Offi-

zielles Organ des Vereins der königlich preussischen privilegierten Abdeckereibesitzer 11 (1917), 13f

BDA (Bund Deutscher Architekten): Rettet den Unterelberaum. Dokumentation eines Forums und seiner Folgen. Bonn 1980

R.Bauer: Zellwolle siegt. W.Goldmann-Verlag, Leipzig 1941, S.187f E.Bäumler: Ein Jahrhundert Chemie. Econ-Verlag, Düsseldorf-Wien 1963 A.Bechmann (Hrsg.): Stoff- und Energiebilanzen. Ein Instrument zur Kontrolle und Ein-

schätzung ökologischer Auswirkungen des Produktionsbereichs dargestellt am PVC-Werk ICI Wilhelmshafen. Werkstattberichte des Instituts fiir Landschaftsökonomie, Heft 3. Berlin 1984

E.Behrle: Vergiftungen bei der Herstellung von Tetraäthylblei, das als Zusatz zu Motor-brennstoffen verwendet wird. Zeitschrift für angewandte Chemie 27 (1924), 1023f

P.S.Brallier: Industrial Outlets for Chlorine. Chemical and Metallurgical Engineering 30 (1924), 624-26

A.Brandt: Angebliche Trichloräthylenerkankungen in Schuhausbesserungswerkstätten, hervorgerufen durch Tetrachlorkohlenstoff. Archiv für Gewerbepathologie und Ge-werbehygiene 3 (1932) 335-39

KBrednow und G.v.Knorre: Trichloräthylenvergiftung durch Trinken von Fleckenreini-gungsmittel. Sammlung von Vergiftungsfällen 7 AbtA (1936), 85-86

P.S.Carlisle u. T.Coyle: Trichlorethylene. Chemical Markets 29 (1931), 243-48 L.Carozzi: Reflections on certain problems of industrial medicine. Archiv für Gewerbepa-

thologie und Gewerbehygiene 1 (1930) 52-66 F.Claus, H.Friege, D.Gremler (Hrsg.): Es geht auch ohne PVC. Hamburg 1990 Consortium für elektrochemische Industrie: Beständigkeit des Acetylentetrachlorids.

Chemiker-Zeitung 31 (1907), 705 Consortium für elektrochemische Industrie: Neue Lösungs- und Extraktionsmittel. Che-

miker Zeitung 31 (1907), 1095f W.Dahlmann: Friedenspädagogik: Insektizide und Kampfgase, chimica didactica 16

(1990) 29-73 H.H.Dieter: Umwelthygienische Bewertung von halogen-organischen Verbindungen

(HOV). Schr.-Reihe Verein WaBoLu, Gustav-Fischer Verlag, Stuttgart 1990 (im Druck)

H.Eichert: Medizinale Trichloräthylen-Vergiftungen. Sammlung von Vergiftungsfällen 7AbtA (1936), 163-64

W.Elsner v. Gronow: Neuzeitliche chemische Hilfsmittel zur Ablöschung feuergefährli-cher Flüssigkeiten. Farben-Zeitung 35 (1929), 438-39

-51-

Fachgruppe Wasserchemie der GDCh: HOV-Studie. Halogenorganische Verbindungen in Wässern. Im Auftrag des Umweltbundesamtes Juni 1987

Farbwerke Hoechst AG (Hrsg.): Anerkennung Dr.Klattes in der IG. Dokumente aus Hoechster Archiven Nr. 17, Frankfurt(M)-Hoechst 1966

R.S.Farnum: Safe Use of Solvents. Rubber Age [N.Y.] 40 (1936), 157-58 Forschungszentrum Jülich GmbH: Stoffströme und Emissionen durch Produktion, Ver-

wendung und Entsorgung von PVC von H.Kollmann u.a., Angewandte Systemanalyse Nr.59, Jül-Spez-543. Jülich 1990

A.Foulon: Wirtschaftliche Reinigung von Industrietextilien. Fette und Seifen 45 (1938), 147-49

H.Friege u. H.Klös: Historical development of Sediment Contamination in an Industriali-zed Area, I. PCDDs and PCDFs in River Sediments. 10th International Meeting DI-OXIN 90, Tagungsband Bayreuth 1990

D.Gabbey: Die Industrieansiedlung in Wilhelmshaven und ihre Folgen. In: Stoff- und En-ergiebilanzen. Werkstattbericht des Instituts für Landschaftsökonomie der TU Berlin, Heft 3. Berlin 1984

A.Ganswindt: Zur Benzinersatz-Frage. Zeitschrift für angewandte Chem-.Gerbis: Gesundheitsgefahren und Gesundheitsschutz bei der Entfettimg durch Trichloräthylen. Zentralblatt für Gewerbehygiene 15 (1928), 68-70

H.Goldschmidt: Die chemische Industrie, Rückblicke und Ausblicke. Zeitschrift für an-gewandte Chemie 33 (1920), 257-60

W.v.Haken: Soda, Ätznatron und Chlor. Ein Produktionsbild. Chemie-Ingenieur-Technik 25 (1953), 162-63

B.Hassel: Bemerkenswertes aus der Extraktionspraxis und verwandten Gebieten. Chemi-ker-Zeitung 49 (1925), 293-95

IÖW/ÖKO-Institut: Qualitative und soweit möglich quantitative Abschätzung der kurz-und langfristigen Wirkungen eines Ausstiegs aus der Kernenergie (Kurzfassung). Ber-lin und Freiburg 1986

R.Isenschmid und E.Kunz: Gefahren moderner gewerblicher Gifte. Schweizerische medizinische Wochenschrift 27 (1935), 612-15: W.F.Jesson: Degreasing and Cleaning. Metallurgia 7 (1932), 37-38 J.Joffe: Kaisers chlorreiche Siege. Die Zeit vom 28.9.1979 (Nr.40/79) AJordi: Mißbrauch von Trichloräthylen durch Jugendliche zur Hypnose. Tri-Sucht bei

einem Sekundarschüler. Schweizerische medizinische Wochenschrift 67 (1937), 1238-40

W.Kamaus: Risiko Dioxin. Wechselwirkung Nr.43,11 (1989) 4.Quartal, 10-15 H.Kionka: Vergiftungsgefahr bei der Verwendung von Tetra-zerstäubenden Feuerlösch-

apparaten. Münchner medizinische Wochenschrift 78 (1931), 2107 E.Koch u. F.Vahrenholt«SSNO»: Seveso ist überall. Die tödlichen Risiken der Chemie.

Köln 1978

-52-

-.Koelsch: Neuere Erfahrungen über gewerbliche Vergiftungen. Zeitschrift für ange-wandte Chemie 33 (1920), 1-5

Konsortium für elektrochemische Industrie: Acetylentetrachlorid und seine Derivate. Chemiker-Zeitung 32 (1908), 529

E.Krause u. D.Schlöttig: Darstellung einer krystallisierbaren organischen Bleiverbindung mit vier verschiedenen Liganden. Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 58 (1925), 427-32

O.Kunze: Beiträge zur Solaesthin-Narkose. Wiener medizinische Wochenschrift 84 (1934) 1528f

L.Lattes: Tetrachlorkohlenstoff-Vergiftung, akut tödliche, medizinale. Sammlung von Vergiftungsfällen 5 Abt.A (1934), 103-106

P.Lauger, H.Martin u. P.Müller: Über Konstitution und toxische Wirkung von natürli-chen und neuen synthetischen insektentötenden Stoffen. Helvetica Chimica Acta 27 (1944), 892-928

KB.Lehmann: Führt die technische Verwendung von Tetrachlorkohlenstoff zu hygieni-schen Gefahren? Zentralblatt für Gewerbehygiene 17 (1930), 123-33

J.Löwy: Die chronische Vergiftung mit Tetrachlorkohlenstoff. Archiv für Gewerbepa-thologie und Gewerbehygiene 6 (1935), 157-59

G.Lutz: Gesundheitsschädigungen durch Lösungsmittel. Zeitschrift für angewandte Che-mie 43 (1930), 805-08

J.MacGregor: Trichlorethylene in Solvent Extraction. The Chemical Age 24 (1931), 576-7 G.Mauro: Intossicazione da tetracloruro carbonio. Medicina del Lavoro 1930 Nr.5,197 A.Metzner: Die chemische Industrie der Welt. 2 Bände. Econ-Verlag, Düsseldorf 1955 W.Mielenz: Zur Weiterentwicklung der chemischen Waffe. Neuere Kampfgase. Gas-

schutz und Luftschutz 2 (1932) 10-14 F.-R.Minz u. R.Schliebs: Moderne Verfahren der Großchemie: Chlor und Natronlauge.

Chemie in unserer Zeit 12 (1978), 135-45 R.Müller: Über die toxikologischen Wirkungen des Phosgens. Zeitschrift für angewandte

Chemie 23 (1910), 1489-92 R.L.Murray: Alkali-Chlorine Developments. Chemical & Metallurgical Engineering 47

(1940), 396-99 u. 409 M.Naumann: Ein Leben für den Tod - Ultragifte für jedermann: Dr.Hugo Stolzenberg.

Die Zeit vom 28.9.1979 (Nr.40/1979) J.F.Noris: The manufacture of wargases in Germany. The Journal of Industrial and En-

geneering Chemistry 11 (1919), H.9, 817-29 -.Nuck: Über einen Todesfall durch Trichloräthylenvergiftung. Zentralblatt für

Gewerbehygiene 16(1929), 295-96 F.Ohl: Die Bedeutung des Chlors in der Kunstseiden-Industrie und seine Mittelrolle

beim Herstellen wichtiger Textilhilfemittel. Zellwolle, Kunstseide, Seide 44 (1939), 148-56

-53-

B.Patze: Im Frieden der Menschheit, im Kriege dem Vaterland. 75 Jahre Fritz-Haber-In-stitut. Wechselwirkung Nr.31, 8 (1986), 44-48

R.Pfreimbter: Tödlicher Unfall durch Trichloräthyleneinatmung. Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin 18 (1931), 339-44

E.W.Reid: Modern Solvent Industrie. Industrial and Engeneering Chemistry 26 (1934), 21-23

E.Richter: Entwicklungsrichtungen der Chlorindustrie. Chemische Technik 10 (1958), 261-66

M.Richter: Tetrachlorkohlenstoff als technisches Entfettungsmittel. Chemiker-Zeitung 57 (1933), 545

RWI: Qualitative und quantitative Abschätzung der kurz- und langfristigen Wirkungen eines Verzichts auf Kernenergie. Essen 1986

-.v.Scheurlen und H.Witzky: Ein Todesfall durch gewerbliche Tetrachlorkohlenstoffvergif-tung. Zentralblatt für Gewerbehygiene 22 (1935), 60-61

W.Schrauth: Deutsche Lösungsmittel. Chemiker-Zeitung 59 (1935), 4 J.Schulze: Mengenbilanz der Chlor-Alkali-Chemie. Chemiker-Zeitung 113 (1989) 6,207-

214 J.Schulze u. H.Sutter: Möglichkeiten zur Verminderung der Quecksilberemissionen bei

Alkalichloridelektrolysen - Statusbericht 1978 - Texte Umweltbundesamt. Berlin 1979, S.72ff

J.Schulze u. M.Weiser: Vermeidungs- und Verwertungsmöglichkeiten von Rückständen bei der Herstellung chlororganischer Produkte. Umweltbundesamt Texte 5/85. Berlin 1985

AF.G.Segitz: Über Benzin und Tetrachlorkohlenstoff in chemischen Reinigungsanstal-ten. Zentralblatt für Gewerbehygiene 17 (1930) 298-300

J.N.Shirley: Is Carbon Tetrachloride a Health Hazard in the Industrie ? The Rubber Age [N.Y.] 32 (1932), 165-67

-.Stahl: Die Anwendung chemischer Sonder-Naßfeuerlöscher in den gewerblichen Betrie-ben unter dem Gesichtspunkte ihrer Einwirkung auf die Benutzer. Zentralblatt für Gewerbehygiene 15 (1928) 78-80

Y.Tanaka et al.: Dérivés chlorés de l'Ethane et de l'Ethylène. La Revue des Produits Chimiques 31 (1928), 699-702

F.Ullmann: Ueber die Verwertung von Chlor in der organischen Grossindustrie. Die Chemische Industrie 31 (1908), 405-10

Ulimanns Enzyklopädie der technischen Chemie, 1 Auflage, Urban und Schwarzenberg, Berlin und Wien 1914-23;

Ulimanns Encyklopädie der technischen Chemie, 3.Auflage, Urban und Schwarzenberg, München-Berlin 1951-70; 4Auflage, Verlag Chemie, Weinheim 1972-84

Ullmann's Encyclopedia of Industryal Chemistry, 5 Auflage, V0LA6. New York und Weinheim 1986

-54-

H.Ulrich: Decknamen und ehem. Zusammensetzung der wichtigsten Lösungsmittel und Weichmacher. Der Farben-Chemiker 6 (1935), 53-56

Umweltbundesamt: Handbuch Störfälle. Materialien 5/83. Berlin 1983 VCI, CKW-Lösemittel, 1988 VCI, (1990): Chemie - Zahlen und Argumente. Frankfurt a.M., Verband der chemischen

Industrie e.V. KWeissermel u. H.-JArpe: Industrielle organische Chemie. Dritte, überarbeitete und

erweiterte Auflage. VCH Verlag, Weinheim 1988 F.Welsch: Geschichte der chemischen Industrie. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaf-

ten. Berlin 1981 S.Winteler u. AAhrens: Chlor hat keine Zukunft. Ökopol Nr.8, Hamburg 1990 F.Wirth: Tetrachlorkohlenstoff als Feuerlöschmittel. Chemiker-Zeitung 53 (1929), 651-52 B.Zeschmer-Lahl und U.Lahl: Ökologische und normative Bewertungskriterien für

Chlororganika und ihre Alternativen.... Unveröffentl. Manuskript 1990

Anhang 1 Die Stellung von Chlor und Natronlauge in der Rangreihe der mengenmäßig bedeutendsten Chemieprodukte in der Bundesrepublik Deutschland:

Produkt Produktion 1989 in Mill. Tonnen

Schwefelsäure Natronlauge Chlor Ethylen Ammoniak Propylen

Quelle: Verband der Chemischen Industrie e.V.: Chemiewirtschaft in Zahlen 1990

Anhang 2 Entwicklung der Produktion von CKW in der Bundesrepublik Deutschland in 1000 t/Jahr

Jahr: 1965 1969 1975 1980 1982 1988

Chlonnethane 87 120 288 440 379 475

Trichlorethen (TRI) 105 119 56 40 25 (30) Tetrachlorethen (PER) 65 82 108 116 108 (155)

Angabe für TRI für 1988 geschätzt, bei PER ist für 1988 der Wert von 1987 angegeben

Quellen: Schulze/Weiser 1985; Statistisches Bundesamt

4,03 3,54 3,44 2,99 2,10 1,74

Anhang 3 Chlorverbrauchsstruktur in der Bundesrepublik (1987) Einsatzmengen Verwendung Weiterverarbeitung bzw. Einsatzbereiche absolut in % Bemerkungen (103t) 952 27,2

647 18,9

160 4,6

1303

davon ca. 650

37,2

ca. 200

ca. 100 ca. 300

325 93

PVC u.a.chlor-haltige Polymere (ca.1,3 MilLt)

chlorierte Lösungsmittel

Chloraromaten (einschließlich Pestizide)

sonstige orga-nische Produkte

Propylenoxid

Phosgen

FCKW sonst.org. Chemikalien

Bleichmittel

Kabel- und Leitungsisolation, Folien, Fußbodenbeläge, Profile, Schläuche, Streichkunstleder, Platten, Blöcke, Rohre u. Dach-rinnen, Hohlkörper, Spritzgußerzeugnisse, Schallplatten, Fenster- u.a. Profile, Tauch-, Guß- u. geschäumte Art., Verpackungsmaterialien, Verbundwerkstoffe; CKW als Nebenprodukte dazu gehören u.a. Methylenchlorid, 1,1,1-Trichlorethan, Trichlorethen und Tetrachlorethen; Verwendung in chemischen Reinigungen, zur Metallentfettung, als Kaltreiniger, in Abbeizmitteln; Lösungsmittel für Farben und Klebstoffe; Extraktionsmittel; aromatische CKW als Nebenprodukte (Herstellung durch Chlorierung von Aromaten wie Benzol, Toluol, Phenol, Naphthalin), Verwendung als Lösungsmittel und als Isolatorstoffe in der Elektroindustrie; Weiterverarbeitung zu Pestiziden, Farbstoffen etc.; hochchlorierte und hochtoxische Rückstände; u.U. Dioxinverunreinigung; Entsorgung problematisch

5o % zu Polyurethan-Kunststoffen, 25 % zu Frostschutzmitteln, Bremsflüssigkeiten, Kunstharzen; im Endprodukt taucht Chlor nicht mehr auf, wird größtenteils als Calcium- und Natrium-chlorid mit dem Abwasser ausgeschleust; Chlorpropane proble-matische Nebenprodukte 90 % zu Di-isocyanaten, die zu Polyurethan-Kunststoffen weiterverarbeitet werden (ca. 80 % Schaumstoffe, Rest: Farb-und Klebstoffzusätze, Textilbeschichtungen u.a. Kunststoffe) = Fluorchlorkohlenwasserstoffe; Treibgase und Kühlmittel u.a. Epichlorhydrin: wichtigster Reaktionspartner für Epoxidharze, (Zweikomponentenkleber), Ausgangsstoff für synth. Glycerin; Waschmittelrohstoffe, Kunstfasern, Pharmaka, Chlorkautschuk Verwendung von Bleichmitteln in der Zellstoff-, Papier- und und sonst.Textilindustrie; Entstehung von Dioxinen etc. bei Chlorbleiche;anorg.Produkte Herstellung von Salzen und Pigmenten etc.

Quellen: Matthies, H.: Sanfte Chemie - eine Alternative? Unveröffentlichtes Manuskript. Hamburg 1987; Henseling, K.O.: Struktur und Entwicklungsdynamik chemischer Risiken am Beispiel der Chlorchemie. WSI-Mitteilungen 41 (1988), Heft 2,69-78; Schulze, J.: Mengenbilanz der Chlor-Alkali-Chemie. In: Chemiker-Zeitung 113 (1989) 6,207-214

Anhang 4 Chlorerzeuger in der Bundesrepublik (1989)

Produktionskapa-Produzent Standorte zität in 10001

Bayer AG Leverkusen, Dormagen, Uerdingen, Brunsbüttel 934

Hoechst AG Frankfurt-Höchst, Gendorf, Gersthofen, Knapsack 490

BASF Ludwigshafen 300 DOW Chemical Stade 880 Hüls AG Marl 310 Wacker-Chemie Burghausen 157 ICI Wilhelmshaven 130 Elektrochemie Ibbenbüren 145 Solvay Rheinberg 215 Degussa AG Hürth 30

Summe 3 591

Quelle: SRI International 1990

Anhang 5 Produktion von CKW in Deutschland bis 1945 in t/Jahr

1932 1936 1938 1941 1943 1944

Chlormethan 159 932 1648 2187 2392 Dichlormethan 649 1949 3115 5583 4619 Trichlormethan 526 705 1602 3215 2908 Tetrachlormethan(TETRA) 2300 4750 7000 9300 9330 Trichlorethen(TRI) 43000 Tetrachlorethen (PER) 13500

Quelle: Ullmanns Encyklopädie 1951-70,5.Band, 400ff

Anhang 6 Struktur und Emissionen des PVC-Stoffsystems

Quelle: Forschungszentrum Jülich 1990,53

Anhang 7 Mögliche Alternativen zu PVC-Produkten

ANWENDUNG VERBRAUCH (1986) ALTERNATIVE

Rohre,Dachrinnen - Abwasserrohre - Frischwasserrohre - Dachrinnen

189.000 t Beton, Steinzeug, PE Kupfer, Stahl, PE PE, Zink, Kupfer

Hohlkörper 25.000 t Glas-Mehrweg, PE, Weißblech., Karton, Aluminium

Fenster 134.000 t Holz, Aluminium Weichfolien 86.000 t PE, PP, Vlnylacetat, Alumi-nium Fußbodenbeläge 40.000 t Holz, Keramik, Kork, Linoleum

Quelle: Forschungszentrum Jülich 1990,52

Publikationen des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung Das IÖW veröffentlicht die Ergebnisse seiner Forschungstätigkeit in einer Schriftenreihe, in Diskussi-onspapieren sowie in Broschüren und Büchern. Des Weiteren ist das IÖW Mitherausgeber der Fach-zeitschrift „Ökologisches Wirtschaften“, die allvierteljährlich im oekom-Verlag erscheint, und veröffent-licht den IÖW-Newsletter, der regelmäßig per Email über Neuigkeiten aus dem Institut informiert.

Schriftenreihe/Diskussionspapiere 

Seit 1985, als das IÖW mit seiner ersten Schriftenreihe „Auswege aus dem industriellen Wachstumsdilemma“ suchte, veröffentlicht das Institut im Eigenver-lag seine Forschungstätigkeit in Schriftenreihen. Sie sind direkt beim IÖW zu bestellen und auch online als PDF-Dateien verfügbar. Neben den Schriftenrei-hen veröffentlicht das IÖW seine Forschungsergebnisse in Diskussionspapieren – 1990 wurde im ersten Papier „Die volkswirtschaftliche Theorie der Firma“ diskutiert. Auch die Diskussionspapiere können direkt über das IÖW bezogen werden. Informationen unter www.ioew.de/schriftenreihe_diskussionspapiere.

Fachzeitschrift „Ökologisches Wirtschaften“ 

Das IÖW gibt gemeinsam mit der Vereinigung für ökologische Wirtschaftsfor-schung (VÖW) das Journal „Ökologisches Wirtschaften“ heraus, das in vier Ausgaben pro Jahr im oekom-Verlag erscheint. Das interdisziplinäre Magazin stellt neue Forschungsansätze in Beziehung zu praktischen Erfahrungen aus Politik und Wirtschaft. Im Spannungsfeld von Ökonomie, Ökologie und Gesell-schaft stellt die Zeitschrift neue Ideen für ein zukunftsfähiges, nachhaltiges Wirtschaften vor. Zusätzlich bietet „Ökologisches Wirtschaften online“ als Open Access Portal Zugang zu allen Fachartikeln seit der Gründung der Zeitschrift 1986. In diesem reichen Wissensfundus können Sie über 1.000 Artikeln durch-suchen und herunterladen. Die Ausgaben der letzten zwei Jahre stehen exklusiv für Abonnent/innen zur Verfügung. Abonnement unter: www.oekom.de.

IÖW-Newsletter

Der IÖW-Newsletter informiert rund vier Mal im Jahr über Neuigkeiten aus dem Institut. Stets über Projektergebnisse und Veröffentlichungen informiert sowie die aktuellen Termine im Blick –Abonnement des Newsletters unter www.ioew.de/service/newsletter.

_________________________________________________________________________________ Weitere Informationen erhalten Sie unter www.ioew.de oder Sie kontaktieren die

IÖW-Geschäftsstelle Berlin Potsdamer Straße 105 10785 Berlin Telefon: +49 30-884 594-0 Fax: +49 30-882 54 39 Email: vertrieb(at)ioew.de

 

Ausgabe 2/2010

GESCHÄFTSTELLE BERLIN MAIN OFFICE Potsdamer Straße 105 10785 Berlin Telefon: + 49 – 30 – 884 594-0 Fax: + 49 – 30 – 882 54 39 BÜRO HEIDELBERG HEIDELBERG OFFICE Bergstraße 7 69120 Heidelberg Telefon: + 49 – 6221 – 649 16-0 Fax: + 49 – 6221 – 270 60 [email protected]