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  • Christi Gleichnisse

    Ellen G. White

    1911

    Copyright © 2012Ellen G. White Estate, Inc.

  • Informationen zu diesem Buch

    Übersicht

    Diese eBook-Veröffentlichung ist ein Service des Ellen G. Whi-te Estates. Es ist Teil einer größeren Auswahl kostenloser Online-Bücher der Ellen G. White Estate Website.

    Über die Autorin

    Ellen G. White (1827- 1915) gilt als die meistübersetzte ame-rikanische Autorin. Ihre Werke sind bisher in über 160 Sprachenveröffentlicht worden. Sie schrieb mehr als 100.000 Seiten über eineVielzahl geistlicher und praktischer Themen. Vom Heiligen Geistgeführt, erhöhte sie Jesus und verwies auf die Heilige Schrift als dieGrundlage des persönlichen Glaubens.

    Weitere Links

    Eine kurze Biographie von Ellen G. WhiteÜber das Ellen G. White Estate

    End-Benutzer Lizenzvereinbarung

    Das Lesen, Drucken oder Herunterladen dieses Buches wird Ih-nen nur im Rahmen einer begrenzten, nichtexklusiven und nichtüber-tragbaren Lizenz gewährt, die sich ausschließlich auf den persönli-chen Gebrauch beschränkt. Diese Lizenz verbietet Veröffentlichung,Verbreitung Sublizenzen, Verkauf, Herstellung von Derivaten oderjegliche andere Nutzung. Bei jeder unerlaubten Verwendung diesesBuches erlischt die hiermit gewährte Lizenz.

    Weitere Informationen

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    i

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  • Sie bitte das Ellen G. White Estate über [email protected]. Wirsind für Ihr Interesse und Ihre Anregungen dankbar und wünschenIhnen Gottes Segen beim lesen.

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    mailto:[email protected]

  • iii

  • Vorwort

    Jesus Christus ist fürwahr der Lehrer von Gott gekommen undals solcher diente ihm die herrliche Natur als sein beliebtester undgeeignetster Hörsaal. Während er durch Feld und Flur streifte, überBerg und Tal wandelte, seinen Blick nach dem hohen Libanon oderdem weiten Meere schweifen ließ, an den lieblichen Gestaden desGaliläischen Meeres weilte, dem rasch dahineilenden Jordan ent-lang ging oder seinen Weg mitten durch das verpönte Samariterlandnahm, um nach der holden Stadt Davids in Judäa zu ziehen, soschöpfte er aus all dieser Umgebung manche köstliche Belehrungund Unterweisung für seine Jünger oder auch oft für die große Volks-menge, die sich um diesen himmlischen Lehrer scharte, der redete,wie noch kein Mensch geredet hatte.

    Hatten schon Propheten und weise Männer vor alters sich viel-fach bildlicher Redeweise und passender Gleichnisse bedient, umdas Vorgeführte zu beleben und desto besser zu veranschaulichen, sohat Jesus in dieser mit unübertroffener Meisterschaft gehandhabtenDarstellungsweise das geeignetste Mittel gefunden, um die Heim-lichkeiten des Himmelreiches in der anschaulichsten und zugleichanmutigsten Form wiederzugeben. Die tiefsten Wahrheiten himmli-scher Dinge werden hier in das Alltagsgewand des Volkes gekleidet.An volkstümliche, vertraute Vorgänge werden köstliche Gedankenübersinnlicher Wahrheiten geknüpft und kurze Betrachtungen derliebevollen Teilnahme Gottes in unser Wohlergehen, des ihm dafürgebührenden innigen Dankes und der wahren Nächstenliebe, diedaraus entspringen sollte.[8]

    In den Gleichnissen Jesu offenbart sich jener Kindessinn, demder erste Ehrenplatz im Himmelreich zukommt und in denen derweise Haushalter die reiche Schatzkammer göttlicher Wahrheit auchder einfältigsten, verlangenden Seele erschließt.

    In dem vorliegenden Werke sind achtundzwanzig Gleichnissees göttlichen Lehrmeisters je nach Darstellungsform und Inhalt insechs Gruppen geordnet und die in denselben enthaltenen Lehren

    iv

  • aufs wirkungsvollste hervorgehoben.Besondere Aufmerksamkeitwurde den vielen Illustrationen des Buches zugewandt, damit durchdieselbe das Auge des Lesers auch im Bilde das wieder schaue, waseinst die Hörer dieser Gleichnisse in Wirklichkeit in ihrer nächstenUmgebung erblicken konnten.

    Das Werk ist bereits in vielen großen Auflagen in Englisch er-schienen, auch in Schwedisch und Dänisch. Gegenwärtig wird es inFranzösisch und Spanisch herausgegeben. In der deutschen Sprachsind auch schon etliche Auflagen erschienen. Die vorliegende Auf-lage jedoch ist eine gründliche Neubearbeitung. Damit aber dasEvangelium vom Reich wirklich in der ganzen Welt als guter Samezu herrlichen Ernte in der Endzeit reife und als Sauerteig die Weltmit seiner lebenspendenden Kraft durchdringe, ist auch seitens desVerfassers das Ergebnis seiner Arbeit an diesem Werke für die Aus-bildung geeigneter junger Männer und Frauen bestimmt worden, dieals Boten der frohen Botschaft hinausziehen wollen in die dunkleHeidenwelt, besonders auch in unsere deutschen Kolonien.

    Unsere bisherige Erfahrung hat schon reichlich bewiesen, daß„Christi Gleichnisse“ von allen, welche das Wahre und Edle lieben,gewürdigt und geschätzt werden. Möge das Werk in seiner neuen,hübscheren Gestalt sich einen Platz noch in manchen deutschenHerzen sichern und vielen zum Heile und Segen gereichen.

    Die Herausgeber

  • InhaltsverzeichnisInformationen zu diesem Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . iVorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . iv

    Vom Natürlichen zum Geistlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Kapitel 1: Gleichnisse als göttliche Lehrmittel . . . . . . . . . . . . 10

    Der göttliche Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17Das Säen des Samens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

    Kapitel 2: „Es ging ein Sämann aus zu säen“ . . . . . . . . . . . . . . 20Der Sämann und der Same . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20Der Boden — Am Wege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28Auf das Steinige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30Unter die Dornen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Die Zubereitung des Bodens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38Auf gutes Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

    Kapitel 3: „Zum ersten das Gras, darnach die Ähren“ . . . . . . 44Kapitel 4: Das Unkraut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49Kapitel 5: „Gleich einem Senfkorn“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53Kapitel 6: Andere aus dem Säen des Samens gezogene Lehren57

    Der Sämann und das Ackerfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65Aus dem täglichen Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

    Kapitel 7: „Einem Sauerteig gleich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68Kapitel 8: Der verborgene Schatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

    Wie ist der Schatz verborgen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75Der Wert des Schatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77Die Folgen der Vernachlässigung des Schatzes . . . . . . . . . . 78Das Suchen nach dem Schatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79Der Lohn des Forschens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

    Kapitel 9: Die Perle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85Kapitel 10: Das Netz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90Kapitel 11: „Neues und Altes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

    Das Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101Kapitel 12: Bitten, um zu geben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102Kapitel 13: Zwei Anbeter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112Kapitel 14: „Sollte aber Gott nicht auch retten seine

    Auserwählten?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123vi

  • Inhaltsverzeichnis vii

    Das Ziehen der göttlichen Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137Kapitel 15: „Dieser nimmt die Sünder an“ . . . . . . . . . . . . . . . 138

    Das verlorene Schaf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139Der verlorene Groschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

    Kapitel 16: „Verloren und ist gefunden worden“ . . . . . . . . . . 149Kapitel 17: „Laß ihn noch dies Jahr“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159Kapitel 18: „Gehe aus auf die Landstraßen und an die Zäune“165

    Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181Kapitel 19: Das Maß der Vergebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182Kapitel 20: Ein Gewinn, der Verlust ist . . . . . . . . . . . . . . . . . 189Kapitel 21: „Eine große Kluft befestiget“ . . . . . . . . . . . . . . . . 195

    Die Anwendung auf das jüdische Volk . . . . . . . . . . . . . . . . 201In den letzten Tagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

    Kapitel 22: Sagen und Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206Kapitel 23: Des Herrn Weinberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

    Das jüdische Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216Die Gemeinde der Jetztzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

    Kapitel 24: Ohne hochzeitlich Kleid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236Dienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

    Kapitel 25: Die Zentner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248Die Gaben des Heiligen Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249Andere Gaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250Die Benutzung der Zentner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251Geistige Fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254Die Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256Einfluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260Die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270Freundliches Entgegenkommen und Herzlichkeit . . . . . . . 272Die Zentner werden durch Benutzung vervielfältigt . . . . . 272Der eine Zentner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274Das Zurückgeben der Zentner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278Der Zentner wird fortgenommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

    Kapitel 26: „Machet euch Freunde mit dem ungerechtenMammon“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

    Kapitel 27: „Wer ist denn mein Nächster?“ . . . . . . . . . . . . . . 292

  • viii Christi Gleichnisse

    Kapitel 28: Der Gnadenlohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303Kapitel 29: Dem Bräutigam entgegengehen . . . . . . . . . . . . . . 315Kapitel 30: Die Hochzeit des Lammes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

  • Vom Natürlichen zum Geistlichen

    Die Natur ist der Spiegel der Gottheit.

  • Kapitel 1: Gleichnisse als göttliche Lehrmittel[17]

    In der Belehrung, welche Christus durch Gleichnisse erteilte, ver-folgte er denselben Grundsatz, wie in seiner ganzen Mission an dieWelt. Um uns mit seinem göttlichen Charakter und Leben bekanntzu machen, nahm er unsere Natur an und wohnte unter uns. DieGottheit wurde in dem Menschen, die unsichtbare Herrlichkeit inder sichtbaren, menschlichen Form offenbart. Da die Menschen Un-bekanntes nur durch Bekanntes lernen konnten, wurden himmlischeDinge durch irdische dargestellt; Gott offenbarte sich im Ebenbildedes Menschen. So war es auch mit den Lehren Christi: Unbekannteswurde durch Bekanntes, göttliche Wahrheiten durch irdische Dinge,mit denen die Menschen am vertrautesten waren, veranschaulicht.

    Die Schrift sagt: „Solches alles redete Jesus durch Gleichnissezu dem Volk, ... auf daß erfüllet würde, das gesagt ist durch denPropheten, der da spricht: Ich will meinen Mund auftun in Gleich-nissen und will aussprechen die Heimlichkeiten von Anfang derWelt.“ Matthäus 13,34.35. Jesus bediente sich natürlicher Dinge, umgeistliche mitzuteilen; Dinge aus der Natur und den Lebenserfahrun-gen seiner Zuhörer wurden mit den Wahrheiten des geschriebenenWortes in Verbindung gebracht. Indem die Gleichnisse Christi indieser Weise vom natürlichen zum geistlichen Reiche führen, sindsie Glieder in der Kette der Wahrheiten, welche den Menschen mitGott, die Erde mit dem Himmel verbindet.[18]

    In den Lehren, welche Christus der Natur entnahm, sprach er vonden Dingen, welche seine eigenen Hände gemacht hatten, und wel-che Eigenschaften und Kräfte besaßen, die er selbst ihnen mitgeteilthatte. Alles Geschaffene war in seiner ursprünglichen Vollkommen-heit ein Ausdruck des Gedankens Gottes. Die Natur war für Adamund Eva in ihrem paradiesischen Heim voll von der Erkenntnis Got-tes und bot ihnen eine Fülle göttlicher Belehrung. Die Weisheitsprach zu ihrem Auge und wurde in ihr Herz aufgenommen; dennsie verkehrten mit Gott in seiner Schöpfung. Sobald das heilige Paardas Gesetz des Allerhöchsten übertrat, verschwand der widerstrah-

    10

  • Gleichnisse als göttliche Lehrmittel 11

    lende Glanz des Angesichtes Gottes von der Natur. Die jetzige Erdeist durch die Sünde entstellt und befleckt. Aber selbst in diesementstellten und entweihten Zustande ist ihr doch noch viel Schönesgeblieben. Die geschaffenen Dinge, durch welche Gott zu den Men-schen redet, sind nicht verwischt oder zerstört, sondern reden nochheute, wenn sie richtig verstanden werden, von ihrem Schöpfer.

    In den Tagen Christi war dies aus den Augen verloren worden.Die Menschen hatten beinahe aufgehört, Gott in seinen Werken zuerkennen. Die Sünde der Menschen hatte ein Leichentuch über dieschöne Schöpfung geworfen und anstatt Gott zu offenbaren, verhüll-ten seine Werke ihn vor den Augen der Menschen. Deshalb sagt auchdie Schrift von den Menschen, daß sie „haben geehret und gedientdem Geschöpfe mehr denn dem Schöpfer“. In dieser Weise sinddie Heiden „in ihrem Dichten eitel worden, und ihr unverständigesHerz ist verfinstert“. Römer 1,25.26. So waren auch in Israel Men-schenlehren an die Stelle göttlicher Lehren gesetzt worden. Nichtnur die Natur, sondern der Opferdienst und die heiligen Schriftenselbst — die doch alle gegeben waren, um Gott zu offenbaren —wurden durch falsche Deutung so entstellt daß sie Mittel wurdenden Herrn zu verbergen. [19]

    Christus versuchte, das zu entfernen, was die Wahrheit verdun-kelt hatte. Er kam, um den Schleier, den die Sünde über das Ange-sicht der Natur geworfen hatte, wegzuziehen; damit die Herrlichkeit,welche alle geschaffenen Dinge widerstrahlen sollten, wieder ge-sehen werden konnte. Seine Worte verliehen den Lehren der Naturund der Bibel ein neues Aussehen und machten sie zu einer neuenOffenbarung.

    Jesus pflückte die schöne Lilie und reichte sie den Kindern, Jüng-lingen und Jungfrauen, und indem diese in sein eigenes jugendlichesAntlitz, erfrischt durch das Sonnenlicht von seines Vaters Angesicht,blickten, gab er ihnen die Lehre: „Schauet die Lilien auf dem Felde,wie sie (in der Einfachheit natürlicher Schönheit) wachsen; sie arbei-ten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, daß auch Salomo inaller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist als derselbigeneins,“ und dann folgte die herrliche Versicherung und die wichtigeLehre; „So denn Gott das Gras auf dem Felde also kleidet, das dochheute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er dasnicht viel mehr euch tun, o ihr Kleingläubigen?“ In der Bergpredigt

  • 12 Christi Gleichnisse

    wurden diese Worte außer an die Kinder und Jugend auch noch anandere gerichtet. Sie wurden zu der ganzen versammelten Mengegesprochen, unter welcher mit Sorgen und Schwierigkeiten beladeneund von Enttäuschung und Kummer niedergedrückte Männer undFrauen waren. Jesus fuhr dann fort: „Darum sollt ihr nicht sorgenund sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womitwerden wir uns kleiden? Nach solchem allen trachten die Heiden.Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr des alles bedürft.“ Dannstreckte er seine Hände aus zu der ihn umgebenen Menge und sagte:„Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerech-tigkeit, so wird euch solches alles zufallen.“ Matthäus 6,28-33.

    Auf diese Weise legte Jesus selbst die Botschaft aus, die er denLilien und dem Gras auf dem Felde aufgetragen hatte. Er wünschtnoch heute, daß wir sie in einer jeden Lilie, in einem jeden Gras-halm lesen. Seine Worte sind voller Verheißungen und geeignet, dasGottvertrauen zu stärken.[20]

    So weitgehend war Christi Blick für Wahrheit, und so ausge-dehnt waren seine Lehren, daß jede Gestaltung und jeder Wechselin der Natur benutzt wurden, um die Wahrheit zu veranschaulichen.Szenen, wie sie das Auge heute noch jeden Tag sieht, wurden allemit irgend einer geistlichen Wahrheit verbunden, so daß die Naturmit den Gleichnissen des Meisters bekleidet ist.

    Während der ersten Zeit seines Lehramts hatte Christus in soeinfachen Worten zum Volke geredet, daß alle seine Zuhörer dieWahrheiten, die ihnen zur Seligkeit gereichen würden, hätten fassenkönnen. Aber in vielen Herzen hatte die Wahrheit keine Wurzelgefaßt, und war deshalb schnell wieder verschwunden. „Darum redeich zu ihnen durch Gleichnisse,“ sagte er. „Denn mit sehendenAugen sehen sie nicht, und mit hörenden Ohren hören sie nicht;denn sie verstehen es nicht ... Denn dieses Volkes Herz ist verstockt,und ihre Ohren hören übel, und ihre Augen schlummern.“ Matthäus13,13-15.[21]

    Jesus wünschte zum Nachforschen anzuregen. Er versuchte dieSorglosen aufzurütteln und die Wahrheit ihrem Herzen einzuprägen.Das Lehren durch Gleichnisse war volkstümlich und genoß die Auf-merksamkeit und Achtung nicht nur der Juden, sondern auch andererVölker. Jesus hätte keine wirksamere Unterrichtsmethode anwendenkönnen. Hätten seine Zuhörer den Wunsch nach Erkenntnis gött-

  • Gleichnisse als göttliche Lehrmittel 13

    licher Dinge gehegt, so würden sie seine Worte verstanden haben,denn er war immer bereit, sie dem ehrlichen Forscher zu erklären.

    Christus hatte dem Volke Wahrheiten zu bringen, auf deren An-nahme es nicht vorbereitet war und die es nicht einmal verstehenkonnte; das war ein weiterer Grund, weshalb er in Gleichnissenlehrte. Indem er seine Lehren mit Ereignissen aus dem Leben, dertäglichen Erfahrung oder der Natur verband, erlangte er die Auf-merksamkeit der Zuhörer und machte Eindruck auf ihre Herzen.Wenn sie dann später auf die Gegenstände blickten, mit denen erseine Lehren veranschaulichte, dann kamen ihnen die Worte des gött-lichen Lehrers wieder in Erinnerung, und den Gemütern, die demHeiligen Geist geöffnet waren, wurde die Bedeutung der Lehren desHeilandes mehr und mehr entfaltet, das Geheimnisvolle wurde ihnenverständlich und das, was vorher schwer zu fassen war, wurde ihnenklar und begreiflich.

    Jesus suchte sich einen Weg zu einem jeden Herzen. Indem er [22]so viele verschiedene Illustrationen benutzte, stellte er nicht nur dieWahrheit in ihren verschiedenen Formen dar, sondern paßte sie auchden verschiedenen Zuhörern an, deren Interesse durch Bilder, dieder Umgebung ihres täglichen Lebens entnommen waren, angeregtwurde, so daß keiner von denen, die dem Heilande zuhörten, sichvernachlässigt oder vergessen wähnen konnte. Die Allergeringstenund Sündigsten hörten in seinen Lehren eine Stimme, die in Mitleidund Liebe zu ihnen sprach.

    Noch einen andern Grund hatte Jesus, sich der Gleichnisse zubedienen. Unter den Scharen, die sich um ihn versammelten, warenPriester und Rabbiner, Schriftgelehrte und Älteste, Herodianer undOberste, weltliebende, bigotte und ehrgeizige Männer, welche nichtssehnlicher wünschten, als eine Beschuldigung gegen ihn zu finden.Ihre Spione folgten seinen Schritten Tag für Tag, um ein Wort vonseinen Lippen aufzufangen, welches seine Verurteilung veranlassenkönnte, um so auf immer den Einen, der die ganze Welt an sichzu ziehen schien, zum Stillschweigen zu bringen. Der Heiland er-kannte den Charakter dieser Menschen und führte die Wahrheit ineiner solchen Weise vor, daß sie nichts darin finden konnten, undAnlaß zu nehmen, ihn vor den Hohen Rat zu führen. In Gleichnis-sen tadelte er die Heuchelei und das gottlose Wesen derjenigen, diehohe Stellungen einnahmen, und kleidete in bildlicher Sprache so

  • 14 Christi Gleichnisse

    schneidende Wahrheiten ein, daß wenn dieselben als direkte An-klage vorgebracht worden wären, die Betreffenden seinen Wortennicht zugehört, sondern seinem Lehramt ein schnelles Ende bereitethaben würden. Aber während er den Spähern auswich, brachte erdie Wahrheit doch so klar vor, daß die Irrtümer aufgedeckt wurdenund alle, die aufrichtigen Herzens waren, Nutzen aus seinen Lehrenzogen; er zeigte die göttliche Weisheit, die unendliche Gnade in denvon Gott geschaffenen Dingen. Aus der Natur und den Lebenserfah-rungen belehrte er die Menschen über Gott. „Gottes unsichtbaresWesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen ... anden Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt.“ Römer 1,20.[23]

    In den Lehren des Heilandes durch Gleichnisse finden wir eineAndeutung von dem, worin die wahre „höhere Bildung“ besteht.Christus hätte den Menschen die tiefsten Wahrheiten der Wissen-schaften eröffnen, hätte Geheimnisse erschließen können, welche,um sie zu ergründen, Jahrhunderte angestrengten Studiums und an-haltender Arbeit kosteten; er hätte Vorschläge auf dem Gebiet derWissenschaften machen können, die bis zum Ende dieser Welt Stoffzum Nachdenken und Anregung zu Erfindungen gegeben habenwürden; aber er tat es nicht. Er sagte nichts, um die Neugierde zubefriedigen oder den Ehrgeiz zu nähren und dadurch den Menschendie Türen zur Erlangung weltlicher Größe zu öffnen. In allen seinenLehren brachte Christus die Gedanken des Menschen mit den großenGedanken des Ewigen in Berührung. Er wies die Leute nicht an,menschliche Auslegungen über Gott, sein Wort oder seine Werkezu studieren, sondern lehrte sie, ihn dadurch zu erkennen, wie ersich in seinen Werken, in seinem Worte und durch seine Vorsehungoffenbart.

    Christus brachte keine nackten Theorien, sondern lehrte etwas,das zur Entwicklung des Charakters notwendig ist; etwas, das die[24]Fähigkeit des Menschen, Gott zu erkennen und Gutes zu tun, ver-größert. Er redete von solchen Wahrheiten, die das Verhalten imtäglichen Leben bedingen und die einen Grund für die Ewigkeitlegen.

    Christus leitete die Erziehung Israels. Betreffs der Gebote undVerordnungen des Herrn sagte er: „... und sollst sie deinen Kinderneinschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzest oderauf dem Wege gehest, wenn du dich niederlegst oder aufstehst, und

  • Gleichnisse als göttliche Lehrmittel 15

    sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sollen dir einDenkmal vor deinen Augen sein, und sollst sie über deines HausesPfosten schreiben und an die Tore.“ 5.Mose 6,7-9. Jesus zeigte inseinen Lehren, wie dies Gebot erfüllt werden kann — wie die Gebo-te und Grundsätze des Reiches Gottes so dargelegt werden können,daß ihre Schönheit und Köstlichkeit offenbar wird. Als der Herr dieKinder Israel zu seinen besonderen Vertretern erziehen wollte, gaber ihnen ihr Heim zwischen den Hügeln und Tälern. In ihrem Fa-milienleben und ihren Gottesdiensten wurden sie beständig mit derNatur und dem Worte Gottes in Berührung gebracht. Gleicherweiseunterrichtete Jesus seine Jünger am See, am Bergabhang, in den Fel-dern und Hainen, wo sie Dinge in der Natur, durch welche er seineLehren veranschaulichte, mit ihren Augen wahrnehmen konnten.Das, was sie auf diese Weise von Jesu lernten, konnten sie, indemsie seine Mitarbeiter wurden, praktisch anwenden.

    So sollen wir durch die Schöpfung mit dem Schöpfer bekanntwerden. Das Buch der Natur ist ein großes Lehrbuch, welches wir inVerbindung mit der Heiligen Schrift benutzen sollen, um andere überGottes Charakter zu belehren und verlorene Schafe zu seiner Hürdezurückzuführen. Während der Mensch die Werke Gottes studiert,überzeugt ihn der Heilige Geist. Es ist dies keine Überzeugung, diedurch logisches Nachdenken erlangt wird, sondern es ist — wenndas Gemüt nicht zu verfinstert worden ist, um Gott zu erkennen,oder das Auge zu trübe, um ihn zu sehen, das Ohr zu taub, um seineStimme zu hören — das Erfassen einer tieferen Bedeutung und dasEinprägen der erhabenen göttlichen Wahrheiten des geschriebenenWortes in das Herz. [25]

    In diesen direkt aus der Natur gezogenen Lehren liegt eine Ein-fachheit und Reinheit, die ihnen den höchsten Wert verleiht. Allebedürfen des Unterrichts, der von dieser Quelle erlangt werden kann.Schon an und für sich leitet die Schönheit der Natur die Seele vonder Sünde und den weltlichen Vergnügungen ab und führt sie zurReinheit, zum Frieden und zu Gott hin. Nur zu oft werden die Ge-müter Forschender mit menschlichen Theorien und Spekulationenangefüllt, die fälschlicherweise als Wissenschaft und Philosophiebezeichnet werden; solchen ist die nahe Berührung mit der Naturvonnöten. Sie sollten lernen, daß die Schöpfung und das Christen-tum ein und denselben Gott haben. Man lehre sie, die Harmonie des

  • 16 Christi Gleichnisse

    Natürlichen mit dem Geistlichen zu erkennen, und alles, was ihreAugen sehen oder ihre Hände berühren, zur Lehre zu benutzen, umden Charakter aufzubauen; auf diese Weise werden die Geisteskräfte[26]gestärkt, der Charakter entwickelt und das ganze Leben veredelt.

    Indem Christus durch Gleichnisse lehrte, verfolgte er denselbenZweck, den er beim Einsetzen des Sabbats im Auge hatte. Gott gabden Menschen das Gedächtnis seiner Schöpfungskraft, damit sie ihnin seinen Werken erkennen möchten. Der Sabbat weist uns hin aufdie Herrlichkeit des Schöpfers in den von ihm geschaffenen Werken;und weil Jesus wünschte, daß wir dies erkennen sollten, verband erseine köstlichen Lehren mit der Schönheit natürlicher Dinge. Vor al-len anderen Tagen sollten wir am heiligen Ruhetage die Botschaftenstudieren, die Gott für uns in der Natur geschrieben hat. Wir solltendie vom Heilande gegebenen Gleichnisse da studieren, wo er siegesprochen hat, in den Feldern und Hainen, unter dem offenen Him-melszelt, inmitten des Grases und der Blumen. Indem wir auf dieseWeise dem Herzen der Natur so recht nahe kommen, macht Christusseine Gegenwart fühlbar und spricht zu unsren Herzen von seinemFrieden und seiner Liebe. Christus hat aber seine Lehren nicht nurmit dem Ruhetage verbunden, sondern auch mit der Arbeitswoche.Er hat Weisheit für den, der den Pflug führt und den Samen sät. ImPflügen und Säen, im Ackern und Ernten gibt er uns ein Bild von sei-[27]nem Gnadenwerk an unserem Herzen, und so möchte er, daß wir injeder nützlichen Arbeit und in jeder Lebensstellung eine Bekundunggöttlicher Wahrheit finden; dann wird unsere tägliche Arbeit nichtso sehr unsere Aufmerksamkeit beanspruchen, daß wir über dieselbeunseres Gottes vergessen, sondern wird uns vielmehr beständig anunseren Schöpfer und Erlöser erinnern. Der Gedanke an Gott wirdsich wie ein goldener Faden durch alle unsere Sorgen und Arbeitendes täglichen Lebens hindurchziehen. Für uns wird die Herrlichkeitseines Angesichts wieder auf dem Antlitz der Natur ruhen; wir wer-den immer neue Offenbarungen himmlischer Wahrheit empfangenund zu dem Ebenbild seiner Reinheit heranwachsen. In dieser Weisewerden wir „gelehrt sein vom Herrn“, und wozu wir auch berufenwerden, darin werden wir „bleiben bei Gott“.[28]

  • Gleichnisse als göttliche Lehrmittel 17

    Der göttliche Lehrer

    Im Tempel der Natur erschollen hehre Lehren,Gar viele scharten sich um jenes Wortes Schall.

    Konnt‘ je ein Mensch so seinen Schöpfer ehren,So klar erkennen das Verborg‘ne all?

    Klang je ein Wort so holdselig, so rein?Konnt‘ je ein Mensch die Herzen so erfreun?

    So wie der Sämann den Samen eifrig sät,So fällt ins Herz das hehre treue Gotteswort;

    So wie der Landmann nach den Früchten spähet,So wartet Gott geduldig fort und fort;

    So sorglos wie das kleine Vögelein,Sollt sich der Mensch der Güte Gottes freun.

    So wie das Weib nach dem verlorenen Groschen schauet,So halte treulich an im Suchen nach dem Licht;

    Beharrlich wie der Freund dem Freunde trauet,Halt‘ an im Flehn um das, was dir gebricht!

    Wie nach dem Sohn der Vater sehnlichst späht,So Gott dem Sünder schon entgegengeht.

    Wie jener Mann sich seine Gäste freundlich ladet,So sendet Gott der Boten viele nach dir aus;

    Wie ohne Hochzeitskleid der Gast sich schadet,So kommst auch du geschmückt nur in sein Haus!

    Den klugen Jungfrau‘n öffnet sich der Saal! —Die Kinder Gottes gehn zum Hochzeitsmahl!

    [29]

  • 18 Christi Gleichnisse

  • Das Säen des Samens

    [30]„Der Same ist das Wort Gottes.“ Lukas 8,11.

  • Kapitel 2: „Es ging ein Sämann aus zu säen“[31][32]

    [33] Auf der Grundlage von Matthäus 13,1-9.18-25; Markus 4,1-20;Lukas 8,4-15.

    Der Sämann und der Same

    Durch das Gleichnis vom Sämann stellt Christus das Himmel-reich und das Werk des großen Ackermannes für sein Volk dar.Wie ein Sämann ins Feld geht zu säen, so kam Jesus, um den Sa-men himmlischer Wahrheiten auszustreuen, und seine Lehren inGleichnissen waren der Same, in welchem die köstlichen Gnaden-botschaften ausgestreut wurden. Von dem natürlichen Samen, derauf das Erdreich gestreut wird, wünscht Christus unsere Gedankenauf den Evangeliumssamen zu lenken, durch dessen Aussaat derMensch wieder zur Treue gegen Gott zurückgebracht wird. DerHerrscher des Himmels gab das Gleichnis von dem kleinen Samen-korn; und dieselben Gesetze, die das Säen des irdischen Samensregieren, regieren auch das Säen des Samens der Wahrheit.

    Dort, am Galiläischen Meer hatte sich eine Schar versammelt,um Jesum zu sehen und zu hören — eine begierige, erwartungsvolleSchar, in deren Mitte Kranke auf ihren Matten lagen und sich darnachsehnten, ihm ihr Bedürfnis vorzulegen. Ihm stand das Recht vonGott zu, die Leiden des sündigen Menschengeschlechts zu heilen,[34]daher gebot er jetzt der Krankheit zu weichen, und verbreitete Leben,Gesundheit und Frieden um sich her.

    Als die Menge beständig wuchs und die Leute sich nahe anChristum drängten, blieb kein Raum mehr für andere. Er trat deshalb,indem er den Männern in ihren Fischerbooten ein paar Worte zurief,in das Schiff, welches bereit lag, um ihn auf die andere Seite des Seeszu bringen, gebot seinen Jüngern, ein wenig vom Lande abzustoßenund redete vom Boot aus zu der am Ufer versammelten Menge. Andem Ufer des Sees lag die schöne Ebene Genezareth, darüber hinauserhoben sich die Hügel, und an deren Seiten sowie auch in der Ebene

    20

  • „Es ging ein Sämann aus zu säen“ 21

    waren Sämänner und Schnitter, die einen mit dem Ausstreuen desSamens und die andern mit dem Einheimsen des frühen Getreidesbeschäftigt. Im Hinblick darauf sagte Christus:

    „Siehe, es ging ein Sämann aus, zu säen. Und indem er säte,fiel etliches an den Weg; da kamen die Vögel, und fraßen‘s auf;etliches fiel in das Steinige, da es nicht viel Erde hatte. Als aber dieSonne aufging, verwelkte es, und dieweil es nicht Wurzel hatte, wardes dürre. Etliches fiel unter die Dornen; und die Dornen wuchsenauf und erstickten‘s. Etliches fiel auf ein gut Land und trug Frucht,etliches hundertfältig, etliches sechzigfältig, etliches dreißigfältig.“Matthäus 13,3-8.

    Die Mission Christi wurde von den Menschen seinerzeit nichtverstanden. Die Art und Weise seines Kommens entsprach nichtihren Erwartungen. Der Herr Jesus war die Grundlage der ganzenjüdischen Einrichtung, deren erhabener Gottesdienst von Gott ange-ordnet worden war und das Volk lehren sollte, daß zu der bestimmtenZeit der kommen würde, auf den die Zeremonien hinwiesen. Aberdie Juden hatten den ganzen Wert auf die Formen und Zeremoniengelegt, und dabei ihren eigentlichen Zweck aus den Augen verloren.Die Überlieferungen, Satzungen und menschlichen Anordnungenverhüllten ihnen die Lehren, die Gott durch diese Zeremonien ihnenbeibringen wollte. Diese Überlieferungen und Vorschriften wur-den ihrem Verständnis und der Ausübung wahrer Religion nur ein [35]Hindernis, und als die Wirklichkeit in der Person Christi erschien,da erkannten sie in ihm nicht die Erfüllung aller ihrer Vorbilder,nicht das Wesen aller ihrer Schatten. Sie verwarfen das Gegenbildund hielten an ihren Vorbildern und nutzlosen Zeremonien fest undfuhren fort — obgleich der Sohn Gottes gekommen war — um einZeichen zu bitten. Ihre Antwort auf die Botschaft: „Tut Buße, dasHimmelreich ist nahe herbeigekommen“ (Matthäus 3,2), war dieForderung eines Wunders; das Evangelium Christi wurde ihnen zumStein des Anstoßes, weil sie nach Zeichen anstatt nach einem Hei-lande verlangten. Sie erwarteten, daß der Messias seine Ansprüchedurch mächtige Siege beweisen und sein Reich auf den Trümmernirdischer Reiche aufrichten werde. Als Antwort auf diese Erwartunggab Christus das Gleichnis vom Sämann. Nicht durch Macht derWaffen, nicht durch gewaltsame Vermittlung sollte das Reich Gottes

  • 22 Christi Gleichnisse

    den Sieg davontragen, sondern durch das Einpflanzen eines neuenGrundsatzes in die Herzen der Menschen.

    „Des Menschen Sohn ist‘s, der da guten Samen sät.“ Matthäus13,37. Christus war gekommen, nicht als König, sondern als Sämann;nicht um Königreiche zu stürzen, sondern um Samen auszustreuen;nicht um seine Nachfolger auf irdische Triumphe und nationaleGröße hinzuweisen, sondern auf eine Ernte, die nach geduldigerArbeit, unter Verlust und Enttäuschungen eingeheimst werden wird.

    Die Pharisäer verstanden wohl die Bedeutung des von Christogegebenen Gleichnisses, aber die darin liegende Lehre war ihnenunwillkommen und deshalb taten sie, als ob sie dieselbe nicht ver-ständen. Der großen Masse aber wurde die Absicht des neuen Leh-rers, dessen Worte ihre Herzen so eigentümlich bewegten und ihreehrgeizigen Bestrebungen so bitter enttäuschten, in ein noch größe-res Geheimnis gehüllt. Selbst die Jünger hatten das Gleichnis nichtverstanden, doch war ihr Interesse erweckt worden und sie kamenzu Jesu besonders und baten ihn um eine Erklärung.

    Dies Verlangen zu erwecken, war gerade der Wunsch Jesu, damiter ihnen eingehendere Unterweisungen geben könnte. Er erklärteihnen das Gleichnis, wie er allen, die ihn aufrichtigen Herzens bitten,sein Wort klar machen wird. Diejenigen, die das Wort Gottes mit[36]dem herzlichen Verlangen nach Erleuchtung durch den HeiligenGeist studieren, werden betreffs der Bedeutung des Wortes nicht inDunkelheit bleiben. „So jemand will des Willen tun,“ sagte Christus,„der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich vonmir selbst rede.“ Johannes 7,17. Alle die mit dem Verlangen nacheiner klareren Erkenntnis der Wahrheit zu Christo kommen, werdensie auch erhalten; er wird ihnen die Geheimnisse des Himmelreichsentfalten, und diese Geheimnisse werden von dem Herzen, das dar-nach verlangt, die Wahrheit zu erkennen, verstanden werden. Einhimmlisches Licht wird in den Seelentempel hineinscheinen undwird anderen offenbar werden wie das helle Licht einer Lampe aufdem dunklen Pfad.

    „Es ging ein Sämann aus zu säen.“ Im Orient waren die Zu-stände so unsicher und ungeregelt, und die Gefahr der Gewalttatenwar so groß, daß die Bevölkerung meistens in mit Mauern umge-benen Städten wohnte und die Ackerleuchte täglich hinausgingen,um außerhalb der Stadtwälle ihre Arbeit zu verrichten. So ging auch

  • „Es ging ein Sämann aus zu säen“ 23

    Christus, der himmlische Sämann, aus zu säen: er verließ sein siche-res, friedliches Heim, verließ die Herrlichkeit, die er bei dem Vaterhatte, ehe die Welt war, und entsagte seiner Stellung auf dem Thronedes Weltalls. Er ging hinaus, als ein Mann des Leidens, einsam undallein und der Versuchung ausgesetzt, um für eine gefallene Weltden Samen des Lebens mit Tränen zu säen und ihn mit seinem Blutezu begießen.

    In gleicher Weise müssen auch seine Knechte ausgehen, um zusäen. Als Abraham berufen ward, den Samen den Wahrheit zu säen,wurde ihm geboten: „Gehe aus deinem Vaterlande und von deinerFreundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dirzeigen will.“ 1.Mose 12,1. „Und ging aus, und wußte nicht, wo erhinkäme.“ Hebräer 11,8. So erhielt auch der Apostel Paulus, als erim Tempel zu Jerusalem betete, die göttliche Weisung: „Gehe hin,denn ich will dich ferne unter die Heiden senden.“ Apostelgeschich-te 22,21. Also müssen alle, die berufen werden, sich mit Christovereinigen, alles verlassen, um ihm nachzufolgen; alte Verbindungenmüssen abgebrochen, Lebenspläne aufgegeben und alle irdischenHoffnungen begraben werden. Unter Arbeit und mit Tränen, in der [37]Einsamkeit und mit Aufopferung muß der Same gesät werden.

    „Der Sämann sät das Wort.“ Christus kam, um in der Welt Wahr-heit zu säen. Seit dem Sündenfall hat Satan immerdar den Samendes Irrtums gesät. Durch eine Lüge erlangte er zuerst die Herrschaftüber den Menschen, und in derselben Weise wirkt er auch noch,um das Reich Gottes auf Erden zu stürzen und die Menschen un-ter seine Macht zu bringen. Als ein Sämann aus einer höhern Weltkam Christus, um den Samen der Wahrheit zu säen. Er, der am [38]Ratschluß Gottes teilgenommen und im innersten Heiligtum desEwigen gewohnt hatte, konnte den Menschen die reinen Grund-sätze der Wahrheit bringen. Seitdem der Mensch gefallen ist, hatChristus der Welt beständig die Wahrheit offenbart. Durch ihn wirdder unvergängliche Same, nämlich das lebendige „Wort Gottes, dasda ewiglich bleibet“ (1.Petrus 1,23), mitgeteilt. Schon in jener er-sten Verheißung, die unserm gefallenen Geschlecht im Garten Edengegeben wurde, säte Christus den Evangeliumssamen. Doch dasGleichnis vom Sämann bezieht sich besonders auf sein persönlichesWirken unter den Menschen und auf das Werk, welches er dadurchgründete.

  • 24 Christi Gleichnisse

    Das Wort Gottes ist der Same. Aller Same hat einen Lebenskeimin sich, in welchem das Leben der Pflanze sozusagen eingeschlossenliegt. Gleicherweise ist auch Leben im Worte Gottes. Christus sagt:„Die Worte, die ich rede, die sind Geist und sind Leben.“ Johannes6,63. „Wer mein Wort höret, und glaubet dem, der mich gesandthat, der hat das ewige Leben.“ Johannes 5,24. In einem jeden Gebotund in einer jeden Verheißung des Wortes Gottes liegt die Kraft,das Leben Gottes selbst, durch welche das Gebot erfüllt und dieVerheißung verwirklicht werden kann. Wer im Glauben das Wortannimmt, empfängt direkt das Leben und den Charakter Gottes.

    Ein jedes Samenkorn bringt Frucht nach seiner Art. Wenn manden Samen unter den richtigen Bedingungen sät, so wird er ein Lebennach seiner Art in der Pflanze entwickeln. Gleicherweise wird auchder unvergängliche Same des Wortes, der im Glauben in die Seeleaufgenommen ist, einen Charakter und ein Leben hervorbringen,welche dem Charakter und dem Leben Gottes ähnlich sind. DieLehrer Israels säten den Samen des Wortes Gottes nicht. Das WerkChristi als eines Lehrers der Wahrheit war in einem entschiedenenGegensatz zu dem der Rabbiner seiner Zeit. Sie bestanden auf denÜberlieferungen, auf menschlichen Theorien und Anschauungen,stellten das, was ein Mensch über das Wort gelehrt oder geschriebenhatte, oft über das Wort selbst und ihre Lehren hatten keine Kraft,die Seele zu beleben. Christus aber lehrte und predigte das WortGottes; denen die ihn durch Fragen verwirren wollten, antwortete[39]er mit einem: „Es steht geschrieben“; „Was sagt die Schrift?“ „Wieliesest du?“ Bei jeder Gelegenheit, gleichviel ob durch Freund oderFeind das Interesse erweckt worden war, säte er den Samen desWortes. Der, welcher die Wahrheit und das Leben, das lebendigeWort selbst ist, weist auf die Heilige Schrift und sagt: „Sie ist‘s, dievon mir zeuget.“ Johannes 5,39. Und „von Mose und allen Prophetenanfangend, legte er seinen Jüngern alle Schriften aus, die von ihmgesagt waren“. Lukas 24,27.

    Die Diener Christi sollen dasselbe Werk tun. In unserer Zeitwerden, wie vor alters, die lebendigen Wahrheiten des Wortes Gottesbeiseite gesetzt, und menschliche Theorien und Anschauungen anihrer Statt angenommen. Viele, die sich Prediger des Evangeliumsnennen, nehmen nicht die ganze Bibel als das von Gott eingegebeneWort an; ein weiser Mann verwirft einen Teil, und ein anderer stellt

  • „Es ging ein Sämann aus zu säen“ 25

    einen andern Teil in Frage. Sie setzen ihr Urteil über das Wort, unddie Schrift, welche sie lehren, ruht auf ihrer eigenen Autorität, undsomit wird der Glaube an ihren göttlichen Ursprung vernichtet. Aufdiese Weise wird der Same des Unglaubens allenthalben gesät, denndie Leute werden verwirrt und wissen nicht mehr, was sie glaubensollen. Vieles wird geglaubt, wozu die Menschen gar keinen Grundhaben. So legten die Rabbiner zur Zeit Christi vielen Teilen derHeiligen Schrift einen geheimnisvollen, dunklen erzwungenen Sinnunter. Weil die klaren Lehren des Wortes Gottes ihre Handlungswei-se verdammten, versuchten sie die Kraft desselben abzuschwächen.Dasselbe geschieht auch heute. Man stellt das Wort Gottes als etwasGeheimnisvolles und Dunkles dar, um die Übertretung des göttlichesGesetzes zu entschuldigen. Diese Handlungsweise tadelte Christus;er lehrte, daß das Wort Gottes von allen verstanden werden sollte. Erwies hin auf die Schrift als auf eine unbestreitbare Autorität, und wirsollten dasselbe tun. Die Bibel soll als das Wort des ewigen Gottes,als das Ende aller Streitfragen und das Fundament alles Glaubensdargestellt werden.

    Die Bibel ist ihrer Kraft beraubt worden und die Folgen zeigensich im Dahinschwinden des geistlichen Lebens. In den Predigten,die heutzutage von vielen Kanzeln ertönen, ist nicht jene göttliche [40]Kraft, welche das Gewissen erweckt und der Seele Leben gibt. DieZuhörer können nicht sagen: „Brannte nicht unser Herz in uns, daer mit uns redete auf dem Wege, als er uns die Schrift öffnete?“Lukas 24,32. Viele verlangen nach dem lebendigen Gott und sehnensich nach der göttlichen Gegenwart, aber philosophische Theori-en oder literarische Abhandlung, so prächtig sie auch sein mögen,können das Herz nicht befriedigen; Behauptungen und Erfindungenvon Menschen haben keinen Wert. Das Wort Gottes muß zu denMenschen reden. Wer nur Überlieferungen, menschliche Theorienund Vorschriften gehört hat, muß die Stimme dessen hören, dessenWort die Seele zum ewigen Leben erneuern kann. Das Lieblingsthe-ma Christi war die väterliche Liebe und die Gnadenfülle Gottes; ersprach viel über die Heiligkeit seines Charakters und seines Geset-zes, und stellte sich selbst den Menschen als den Weg, die Wahrheitund das Leben dar. Die Prediger Christi sollten diese Dinge auch zuihrem Thema nehmen. Verkündigt die Wahrheit, wie sie in Jesu ist;erklärt die Forderungen des Gesetzes und des Evangeliums; erzählt

  • 26 Christi Gleichnisse

    den Leuten von Christi Selbstverleugnung und Aufopferung, vonseiner Demütigung und seinem Tode, von seiner Auferstehung undHimmelfahrt, von seiner Fürsprache für sie vor dem Throne Gottesund von seiner Verheißung: Ich will „wiederkommen und euch zumir nehmen“. Johannes 14,3.

    Anstatt irrige Theorien zu erörtern oder zu versuchen Gegnerdes Evangeliums Christi zu bekämpfen, folgt dem Beispiel Christi.Laßt frische Wahrheiten aus dem Schatzhause Gottes aufflammenins Leben. „Predigt das Wort.“ „Säet allenthalben an den Wassern,“„es sei zu rechter Zeit oder zur Unzeit.“ „Wer aber mein Wort hat,der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizenzusammen? Spricht der Herr.“ „Alle Worte Gottes sind durchläutert... Tue nichts zu seinen Worten, daß er dich nicht strafe, und werdestlügenhaft erfunden.“ 2.Timotheus 4,2; Jesaja 32,20; Jeremia 23,28;Sprüche 30,5.6.

    „Der Sämann sät das Wort.“ Hier wird der große Grundsatz dar-gelegt, welcher aller Erziehungsarbeit zugrunde liegen sollte. „DerSame ist das Wort Gottes.“ Aber in vielen Schulen heutzutage wirddas Wort Gottes beiseite gesetzt; andere Gegenstände beschäfti-[41]gen den Geist, das Studium ungläubiger Schriftsteller nimmt einengroßen Platz in dem jetzigen Erziehungssystem ein. Die Lesebücherin den Schulen enthalten ungläubige Gedanken. Auch wissenschaft-liche Forschungen leiten irre, weil ihre Entdeckungen mißdeutet undverkehrt werden. Das Wort Gottes wird mit mutmaßlichen Lehrender Wissenschaft verglichen und als unsicher und unzuverlässig hin-gestellt. So wird der Same des Zweifels in die Gemüter der Jugendgepflanzt, der dann zur Zeit der Versuchung aufgeht. Wenn der Glau-be an das Wort Gottes verloren ist, dann hat die Seele keinen Führer,keinen Leiter; die Jugend gerät auf Abwege, welche von Gott unddem ewigen Leben entfernen.

    Die allenthalben um sich greifende Gottlosigkeit in unserer Zeitist in einem hohen Grade gerade dieser Ursache beizumessen. Wenndas Wort Gottes beiseite gesetzt wird, so wird damit auch die Kraftdesselben, die sündigen Leidenschaften des natürlichen Herzens zudämpfen, verworfen. Die Menschen säen auf ihr Fleisch und erntenvom Fleisch das Verderben.

    Hier liegt auch die große Ursache geistiger Schwäche und Unfä-higkeit. Indem man sich von Gottes Wort abwendet und sich von den

  • „Es ging ein Sämann aus zu säen“ 27

    Schriften nichtinspirierter Menschen nährt, verkümmert der Geist,weil er nicht in Berührung mit den tiefen, viel umfassenden Grund-sätzen der ewigen Wahrheit gebracht wird. Das Verständnis paßt sichden Dingen an, mit deren Erfassen es sich vertraut macht. Gibt essich mit vergänglichen Dingen ab, so wird es so geschwächt und sei-ne Kraft schrumpft so zusammen, daß es mit der Zeit jeder weiterenAusdehnung unfähig ist.

    Solch eine Erziehung ist eine ganz unrichtige. Ein jeder Lehrersollte es sich zur Aufgabe machen, die Gemüter der Jugend aufdie großen Wahrheiten der Heiligen Schrift zu lenken, denn nursie wirkt eine Erziehung, welche für dieses und für das zukünftigeLeben wesentlich ist.

    Man denke ja nicht, daß dies das Studium der Wissenschaftenhindern oder einen minderwertigen Bildungsgrad zur Folge habenwerde. Die Kenntnisse, die Gott mitteilt, sind so hoch wie der Him-mel und so umfassend wie das Weltall. Nichts veredelt und belebt [42]so sehr, als das Studium der großen Dinge, die unser ewiges Lebenbetreffen. Wenn die Jugend gelehrt wird, diese von Gott gegebenenWahrheiten zu erfassen und zu begreifen, dann wird ihre Fassungs-kraft sich erweitern und erstarken, und jeder Schüler, der ein Täterdes Wortes ist, wird in ein größeres Feld des Denkens versetzt undsichert sich einen Schatz der Erkenntnis, welcher unvergänglich ist.

    Die Bildung, welche man durch Forschen in der Heiligen Schrifterlangen soll, besteht in einer Erkenntnis des Erlösungsplanes auseigener Erfahrung. Eine solche Bildung wird das Ebenbild Gottes inder Menschenseele wiederherstellen, wird sie gegen Versuchungenstärken und festigen und den Lernenden befähigen, ein Mitarbeiterin seinem Werk der Gnade für die Welt zu werden. Sie wird ihn zueinem Gliede der himmlischen Familie machen und ihn vorbereiten,am Erbteil der Heiligen im Licht teilzunehmen.

    Aber der Lehrer göttlicher Wahrheit kann nur das mitteilen, waser selbst durch Erfahrung weiß. „Der Sämann säte seinen Samen.“Christus lehrte die Wahrheit, weil er die Wahrheit war. Sein ei-genes Denken, sein Charakter, seine Lebenserfahrungen waren inseinen Lehren verkörpert. So sollte es auch mit seinen Dienern sein.Diejenigen, welche das Wort lehren wollen, müssen es sich durchpersönliche Erfahrung zu eigen machen, müssen wissen, was esbedeutet, daß Christus ihnen zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur

  • 28 Christi Gleichnisse

    Heiligung und zur Erlösung gemacht ist. Wenn sie das Wort Gottesverkündigen, so sollten sie es nicht als etwas Zweifelhaftes oderetwas Fragliches hinstellen; sie sollten vielmehr mit dem ApostelPetrus sagen: „Denn wir sind nicht klugen Fabeln gefolget, da wireuch kundgetan haben die Kraft und Zukunft unsers Herrn Jesu Chri-sti, sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.“ 2.Petrus1,16. Ein jeder Prediger Christi und ein jeder Lehrer sollte imstandesein, mit dem geliebten Johannes zu sagen: „Das Leben ist erschie-nen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euchdas Leben, das ewig ist, welches war bei dem Vater, und ist unserschienen.“ 1.Johannes 1,2.[43]

    Der Boden — Am Wege

    Im Gleichnis vom Sämann haben wir es hauptsächlich mit derWirkung zu tun, welche der Boden, in den das Samenkorn gesätworden ist, auf das Wachstum desselben ausübt. Durch das Gleichnissagte Jesus tatsächlich zu seinen Zuhörern: Es ist nicht gut für euch,als Kritiker meines Werkes dazustehen, oder euch der Enttäuschunghinzugeben, weil es nicht euren Ideen entspricht. Die Frage vongrößter Wichtigkeit für euch ist: Wie nehmt ihr die Botschaft auf?Euer ewiges Schicksal hängt davon ab, ob ihr sie aufnehmt oder obihr sie verwerft.

    In der Erklärung des Samens, welcher an den Weg fiel, sagte er:„Wenn jemand das Wort von dem Reich höret und nicht verstehet,so kommt der Arge und reißet hinweg, was da gesät ist in sein Herz;und das ist der, bei welchem an dem Wege gesät ist.“ Matthäus13,19.

    Der am Wege gesäte Same stellt das Wort Gottes dar, wennes auf das Herz des unaufmerksamen Zuhörers fällt. Dem harten,von den Füßen der Menschen und Tiere festgetretenen Pfad ist dasHerz gleich, welches zur Landstraße für das irdische Jagen undTreiben, für die Vergnügungen und Sünden dieser Welt geworden ist.Indem es in selbstsüchtigem Streben und sündigen Leidenschaftenaufgeht, wird es „durch Betrug der Sünde“ (Hebräer 3,13) verhärtet;die geistigen Fähigkeiten werden gelähmt. Solche Menschen hörenwohl das Wort, aber sie verstehen es nicht; sie merken nicht, daßes auf sie Anwendung hat. Sie sehen weder ihre Bedürfnisse noch

  • „Es ging ein Sämann aus zu säen“ 29

    ihre Gefahr; auch erkennen sie nicht die Liebe Christi und lassenseine Gnadenbotschaft an sich vorübergehen als etwas, das sie nichtsangeht.

    Wie die Vögel bereit sind, den Samen am Wege aufzupicken,so steht auch Satan bereit, den Samen göttlicher Wahrheit von derSeele wegzunehmen. Er fürchtet, daß das Wort Gottes die Achtlosenaufwecken und auf das verhärtete Herz einwirken möchte. Satan undseine Engel wohnen den Versammlungen bei, wo das Evangeliumgepredigt wird, und während Engel vom Himmel versuchen, dasHerz durch das Wort Gottes zu rühren, ist auch der Feind auf seinemPosten, um das Wort wirkungslos zu machen. Mit allem Ernst, dem [44]nur seine Bosheit gleich kommt, versucht er das Wirken des GeistesGottes zu durchkreuzen. Während Christus eine Seele durch seineLiebe zieht, versucht Satan dieselbe von dem Heiland abzulenken,indem er die Gedanken mit weltlichen Plänen füllt, zur Kritik anregtoder zu Zweifel und Unglauben verleitet. Des Redners Sprache oderdie Art und Weise seines Auftretens gefällt zuweilen den Zuhörernnicht und ihre Aufmerksamkeit wird von diesen Mängeln in An-spruch genommen, und so kommt es, daß die Wahrheit, derer siebedürfen und die Gott ihnen so gnädiglich sendet, keinen dauerndenEindruck auf sie macht.

    Satan hat viele Gehilfen. Viele geben vor Christen zu sein, undhelfen dennoch dem Versucher, den Samen der Wahrheit aus demHerzen anderer fortzunehmen; andere lauschen der Predigt des Wor-tes Gottes und kritisieren zu Hause darüber. Sie urteilen über einePredigt, wie sie ihre Meinung über einen Vortrag oder über einepolitische Rede abgeben würden. Die Botschaft, die als das Wortdes Herrn an sie betrachtet werden sollte, wird mit Geringschätzungoder spöttischen Bemerkungen besprochen. Des Predigers Cha-rakter, Beweggründe und Handlungen, sowie das Verhalten einigerGemeindeglieder bilden häufig das Thema der Unterhaltung. Manurteilt strenge, wiederholt Verleumdungen und Klatschereien, oft [45]selbst vor den Ohren der Unbekehrten; oder Eltern reden solches inGegenwart ihrer Kinder. Auf diese Weise wird die Achtung vor denBoten Gottes und die Ehrfurcht vor ihrer Botschaft zerstört und vielewerden gelehrt, das Wort Gottes mit Geringschätzung anzusehen.

    So werden in den Familien derer, die sich zu Christo bekennen,viele junge Leute zu Ungläubigen erzogen; und die Eltern fragen

  • 30 Christi Gleichnisse

    sich dann, warum ihre Kinder so wenig Interesse am Evangelium ha-ben und so bereit sind, die Bibelwahrheit zu bezweifeln. Sie wundernsich darüber, daß es so schwierig ist, durch moralische und religi-öse Einflüsse auf sie einzuwirken; sie sehen nicht, daß ihr eigenesBeispiel die Herzen ihrer Kinder verhärtet hat. Der gute Same findetkeinen Platz, um Wurzel zu fassen, und Satan nimmt ihn wiederweg.

    Auf das Steinige

    „Das aber auf das Steinige gesät ist, das ist, wenn jemand dasWort höret, und dasselbige alsbald aufnimmt mit Freuden; aber erhat nicht Wurzel in ihm, sondern er ist wetterwendisch; wenn sichTrübsal und Verfolgung erhebt um des Worts willen, so ärgert ersich bald.“ Matthäus 13,20.21.

    Der auf steinigen Boden gesäte Same findet nur wenig Erde.Die Pflanze schießt zwar schnell empor; aber die Wurzel kann nichtdurch den Felsen dringen, um Nahrung zur Förderung ihres Wachs-tums zu finden, und sie kommt bald um. Viele, die bekennen Christenzu sein, sind nur Hörer, bei welchen der Same auf steiniges Erdreichgefallen ist. Dem unter der dünnen Erdschicht liegenden Felsen[46]gleich liegt die Selbstsucht des natürlichen Herzens unter den gutenWünschen und Bestrebungen. Die Liebe zum eigenen Ich ist nichtbesiegt. Sie haben das außerordentlich Sündhafte der Sünde nichterkannt und das Herz ist unter dem Gefühl seiner Schuld nicht ge-demütigt worden. Diese Klasse könnte überzeugt und auch bekehrtwerden, aber ihre Religion ist zu oberflächlich.

    Die Menschen fallen nicht ab, weil sie das Wort zu schnell auf-nehmen oder sich desselben zu sehr freuen. Matthäus stand sofortauf, als er den Ruf des Heilandes hörte, verließ alles und folgte ihmnach. Gott wünscht, daß wir das göttliche Wort aufnehmen sobald eszu unseren Herzen kommt, und es ist recht, daß wir es mit Freudenaufnehmen. Es wird „Freude im Himmel sein über einen Sünder,der Buße tut“ (Lukas 15,7), und es ist Freude in der Seele, die anChristum glaubt. Aber diejenigen, von denen im Gleichnis gesagtwird, daß sie das Wort alsbald aufnehmen, überschlagen die Kostennicht; sie erwägen nicht, was das Wort Gottes von ihnen fordert;

  • „Es ging ein Sämann aus zu säen“ 31

    sie stellen es nicht allen ihren Lebensgewohnheiten gegenüber undunterwerfen sich nicht völlig der Oberherrschaft desselben.

    Die Wurzeln dringen tief ins Erdreich hinein und nähren, unserenAugen verborgen, das Leben der Pflanze. So verhält es sich auch mitdem Christen. Durch die durch den Glauben bewirkte unsichtbareVereinigung der Seele mit Christo wird das geistige Leben genährt,aber die Hörer, bei denen der Same auf steinigen Boden gefallen ist,vertrauen auf sich selbst anstatt auf Christum. Sie stützen sich aufihre guten Werke und guten Beweggründe und sind stark in ihrereigenen Gerechtigkeit, aber nicht stark im Herrn und in der Machtseiner Stärke. Ein solcher „hat nicht Wurzel in ihm“, denn er istnicht mit Christo verbunden.

    Die heiße Sommersonne, welche das kräftige Getreide stärkt undreift, vernichtet das, was keine tiefen Wurzeln hat. So ist es auchmit dem Menschen, der „nicht Wurzel in ihm“ hat; „er ist wetter-wendisch“ und „wenn sich Trübsal und Verfolgung erhebt um desWorts Willen, so ärgert er sich bald.“ Viele nehmen das Evangeliuman, vielmehr um dadurch Leiden zu entgehen, als um dadurch von [47]der Sünde erlöst zu werden: sie freuen sich eine Zeitlang, weil sieglauben, daß die Religion sie von Schwierigkeiten und Prüfungenbefreien wird. Solange alles ohne weitere Störungen vorangeht, mages scheinen, als ob sie wahre Christen seien, aber unter der feurigenProbe der Versuchung werden sie schwach; sie können um Christiwillen keine Schmach tragen. Wenn das Wort Gottes ihnen einevon ihnen genährte Sünde zeigt, oder Selbstverleugnung oder Opferfordert, so ärgern sie sich; es kostet zu viel Anstrengung, eine gründ-liche Änderung in ihrem Leben zu machen, und indem sie auf diegegenwärtigen Unbequemlichkeiten und Schwierigkeiten blicken,vergessen sie die ewigen Wirklichkeiten. Den Jüngern gleich, dieJesum verließen, sind auch sie bereit zu sagen: „Das ist eine harteRede; wer kann sie hören?“ Johannes 6,60.

    Sehr viele geben vor, Gott zu dienen, ohne ihn durch persönlicheErfahrung kennengelernt zu haben. Ihr Wunsch, seinen Willen zutun, gründet sich auf ihre eigenen Neigungen und nicht auf die vomHeiligen Geiste gewirkte tiefe Überzeugung; ihr Leben ist nicht imEinklang mit dem Gesetze Gottes; sie bekennen wohl Christum alsihren Heiland, aber sie glauben nicht, daß er ihnen Kraft gibt, ihreSünden zu überwinden. Sie stehen in keinem persönlichen Verhält-

  • 32 Christi Gleichnisse

    nis zu einem lebendigen Heiland, und ihre Charaktere offenbarensowohl angeerbte, wie auch anerzogene Fehler.

    Die Kraft des Heiligen Geistes im allgemeinen anzuerkennenoder sein Wirken als Überführer der Sünde, durch welches er zurBuße leitet, anzunehmen, sind zwei grundverschiedene Dinge. Vielefühlen sich von Gott entfremdet; sie sind sich der Knechtschaft derSünde und des eigenen Ichs bewußt; sie bestreben sich, umzukehrenund anders zu leben, aber sie kreuzigen das eigene Ich nicht, gebensich nicht völlig in die Hände Christi und bitten nicht um göttlicheKraft, seinen Willen zu tun. Sie sind nicht willens, sich nach demgöttlichen Ebenbilde umbilden zu lassen. Im allgemeinen erkennensie ihre Unvollkommenheiten an, aber sie lassen nicht ab von ihrenbesonderen Sünden. Mit jeder ungerechten Handlung gewinnt diealte sündige Natur an Stärke.

    Die einzige Hoffnung für diese Seelen ist, an sich selbst die[48]Wahrheit der Worte zu erfahren, die Christus zu Nikodemus sprach:„Ihr müßt von neuem geboren werden.“ „Es sei denn, daß jemandvon neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“Johannes 3,7.3.

    Wahre Heiligung ist ungeteilte völlige Hingabe im Dienste Got-tes und sie ist wiederum die Bedingung zu dem wahren christlichenLeben. Christus fordert eine rückhaltlose Hingabe, einen ungeteiltenDienst. Er fordert das Herz, den Verstand, die Seele, die Kraft. Daseigene Ich soll nicht gehegt und gepflegt werden. Wer sich selbstlebt, ist kein Christ.

    Die Liebe muß die Triebfeder aller Handlungen sein. Die Liebeist die Grundlage der Regierung Gottes im Himmel und auf Erdenund muß auch die Grundlage des christlichen Charakters sein. Diesallein kann den Christen standhaft machen und ihn bewahren; diesallein kann ihn befähigen, den Schwierigkeiten und den Versuchun-gen zu widerstehen.

    Liebe aber offenbart sich im Opfer. Der Erlösungsplan beruhtauf einem Opfer — einem Opfer so groß, so tief und so hoch, daß esunermeßlich ist. Christus gab alles für uns dahin, und wer Christumannimmt, wird bereit sein, alles um des Erlösers willen aufzuopfern.Der Gedanke, ihn zu ehren und ihn zu verherrlichen, wird allenandern voranstehen.

  • „Es ging ein Sämann aus zu säen“ 33

    Wenn wir Jesum lieben, werden wir auch gern für ihn leben,gern ihm unsern Dank darbringen und gern für ihn arbeiten. Fürihn zu wirken wird uns leicht sein; uns wird darnach verlangen, umseinetwillen zu leiden, zu dulden und uns abzumühen. Wir werdenmit ihm um das Seelenheil der Menschheit besorgt sein, werdendieselbe warme Liebe für Seelen haben, die er hatte.

    Dies ist die Religion Christi, alles, was daran zu kurz kommt,ist eine Täuschung. Nicht die Theorie der Wahrheit, auch nicht dasBekenntnis der Jüngerschaft wird irgend eine Seele retten. Wir gehö-ren nicht zu Christo, wenn wir nicht völlig sein sind. Gerade durchdie Halbherzigkeit im christlichen Leben werden die Menschenschwach in ihrem Vorhaben und veränderlich in ihren Wünschen.Das Bestreben, dem eigenen Ich und zugleich auch Christo zu die- [49]nen, macht den Menschen nur zu einem Hörer, der mit dem steinigenBoden verglichen und nicht fest stehen wird, wenn die Prüfung anihn herantritt.

    Unter die Dornen

    „Was aber unter die Dornen gesät ist, das ist, wenn jemand dasWort höret und die Sorge dieser Welt und Betrug des Reichtumsersticket das Wort und bringet nicht Frucht.“ Matthäus 13,22.

    Der Same des Evangeliums fällt oft unter Dornen und schäd-liches Unkraut, und wenn nicht eine moralische Umbildung immenschlichen Herzen stattfindet, wenn nicht alte Gewohnheitenund das frühere Sündenleben aufgegeben werden, wenn die cha-rakteristischen Eigenschaften Satans nicht aus der Seele entferntwerden, dann wird das Weizenkorn erstickt. Dornen wachsen aufzur Ernte und vernichten den Weizen.

    Die Gnade kann nur in dem Herzen gedeihen, das beständig fürden köstlichen Samen der Wahrheit bereitet wird. Die Dornen derSünde können in irgend einem Boden wachsen; sie bedürfen keinerbesonderen Bearbeitung, aber die Gnade muß sorgfältig gehegt undgepflegt werden. Die Dornen wachsen zu jeder Zeit auf und manmuß beständig an der Arbeit sein, um sie zurückzuhalten. Wenndas Herz nicht unter der Herrschaft Gottes steht, wenn der HeiligeGeist nicht unaufhörlich am Wirken ist, um den Charakter zu läuternund zu veredeln, werden die alten Gewohnheiten sich immer wie-

  • 34 Christi Gleichnisse

    der offenbaren. Die Menschen mögen bekennen, dem Evangeliumzu glauben; wenn sie aber durch dasselbe nicht geheiligt werden,dann nützt ihr Bekenntnis nichts. Wenn sie nicht den Sieg über dieSünde gewinnen, dann gewinnt die Sünde den Sieg über sie. DieDornen, die wohl abgehauen, aber nicht mit der Wurzel ausgerissenworden sind, wachsen immer wieder empor, bis die Seele von ihnenüberwuchert wird.

    Christus zählte die Dinge auf, welche der Seele gefährlich sind,und führte, wie von Markus berichtet, die Sorgen dieser Welt, denbetrüglichen Reichtum und viele andere Lüste an; ebenso nachLukas Sorgen, Reichtum und Wollust dieses Lebens. Diese sind es,[50]die das Wort, den wachsenden geistlichen Samen, ersticken. DieSeele hört auf, von Christo genährt zu werden und das geistlicheLeben stirbt im Herzen ab.

    „Die Sorgen dieser Welt.“ Keine Klasse ist frei von der Ver-suchung weltlicher Sorgen. Den Armen bringen schwere Arbeit,Entbehrung und die Furcht vor Mangel Schwierigkeiten und Bür-den; die Reichen fürchten Verlust und haben eine ganze Mengeängstlicher Sorgen. Viele der Nachfolger Christi vergessen die Leh-re, die er uns von den Blumen des Feldes zu lernen gegeben hat. Sievertrauen seiner beständigen Fürsorge nicht, und weil sie ihre Lastennicht auf Christum legen, kann er dieselben nicht tragen. Die Sorgendes Lebens, welche die Menschen zum Heilande führen sollten, umvon ihm Hilfe und Trost zu empfangen, werden oft das Mittel, umsie von ihm zu trennen.

    Viele, die im Dienste Gottes Frucht bringen könnten, stellensich das Erwerben von Reichtümern zur Aufgabe; ihre ganze Kraftwird Geschäftsunternehmungen gewidmet, und sie werden dadurchgezwungen, geistliche Dinge zu vernachlässigen. In dieser Weisetrennen sie sich selbst von Gott. In der Schrift wird uns die Mahnunggegeben: „Seid nicht träge in dem, das ihr tun sollt.“ Römer 12,11.Wir sollen arbeiten, damit wir dem Dürftigen etwas geben können.Christen müssen arbeiten; sie müssen ihrem Geschäft nachgehen,und können dies tun, ohne Sünde zu begehen. Aber viele lassensich von ihrem Geschäft so in Anspruch nehmen, daß ihnen keine[51]Zeit zum Gebet oder zum Studium der Bibel, keine Zeit um Gottzu suchen oder ihm zu dienen, übrig bleibt. Zuweilen sehnt sich dieSeele nach Heiligkeit und nach dem Himmel, aber die Zeit fehlt, um

  • „Es ging ein Sämann aus zu säen“ 35

    sich von dem Getöse der Welt abzuwenden und der majestätischen,machtvollen Stimme des Geistes Gottes zu lauschen. Die Dinge derEwigkeit werden als untergeordnet betrachtet, während die Dingeder Welt den ersten Platz einnehmen. Unmöglich kann unter solchenVerhältnissen der Same des Worts Frucht bringen, denn das Lebender Seele wird benutzt, um die Dornen der Weltlichkeit zu nähren.

    Viele, obgleich sie einen ganz anderen Zweck vor Augen haben,fallen in einen ähnlichen Irrtum. Sie wirken für das Wohl anderer,ihre Pflichten sind dringend, ihrer Verantwortlichkeiten viele undihre Arbeit erlaubt keine Zeit für Andachtsübungen. Sie vernachläs-sigen den Verkehr mit Gott im Gebet und das Studium seines Wortesund vergessen, daß Christus gesagt hat: „Ohne mich könnt ihr nichtstun.“ Johannes 15,5. Sie wandeln ohne Christum dahin, ihr Lebenwird nicht von seiner Gnade durchdrungen, und die Charakterzü-ge des eigenen Ichs werden offenbar. Ihr Wirken für andere wirdbefleckt durch das Verlangen nach Herrschaft und durch harte unlie-benswürdige Charakterzüge des unbesiegten Herzens. Hierin liegteine der hauptsächlichsten Ursachen des Mißerfols in der Arbeit desChristen; dies ist der Grund, weshalb der Erfolg oft so spärlich ist.

    „Der Betrug des Reichtums.“ Die Liebe zum Reichtum hat ei-ne betörende, täuschende Macht. Nur zu oft vergessen solche, dieirdische Güter besitzen, daß Gott ihnen die Kraft gibt, Wohlstandzu erwerben. Sie sagen: „Meine Kräfte und meiner Hände Stärkehaben mir dies Vermögen ausgerichtet.“ 5.Mose 8,17. Anstatt Dank-barkeit gegen Gott zu erwecken, verleiten ihre Reichtümer sie zurSelbsterhebung; sie verlieren das Gefühl ihrer Abhängigkeit vonGott und ihrer Verpflichtung gegen ihre Nebenmenschen. Anstattden Reichtum als ein Pfund anzusehen, das sie zur VerherrlichungGottes und im Dienste der leidenden Menschheit benutzen sollten,betrachten sie ihn als ein Mittel zur Selbstbefriedigung, und anstatt [52]der Eigenschaften Gottes, werden durch den Reichtum die Eigen-schaften Satans in den Menschen entwickelt. Der Same des Wortesist durch die Dornen erstickt worden.

    „Und Wollust dieses Lebens.“ Es liegt Gefahr in allen Vergnü-gungen, die man einzig der Selbstbefriedigung halber sucht. AlleGewohnheiten der Befriedigung, welche die körperlichen Kräfteschwächen, den Verstand umwölken oder die geistige Fassungskraft

  • 36 Christi Gleichnisse

    lähmen und betäuben, sind fleischliche Lüste, „welche wider dieSeele streiten“. 1.Petrus 2,11.

    „Und viele andere Lüste.“ Dies sind nicht notwendigerweiseDinge, die an sich selbst sündig sind, sondern solche, denen mananstatt dem Reiche Gottes den ersten Platz gibt. Alles, was dasGemüt von Gott, die Neigungen von Christo abzieht, ist ein Feindder Seele.

    * * * * *

    Wenn das Gemüt jugendfrisch, kräftig und einer schnellen Ent-wicklung fähig ist, dann ist die Versuchung groß, dem eigenen Ichund ehrgeizigen Zwecken zu dienen. Sind dann die weltlichen Pläneerfolgreich, so kommt man leicht auf einen Pfad, der das Gewissentötet und eine richtige Schätzung dessen, worin wirklicher Adel desCharakters besteht, verhindert; wirken nun noch begünstigende Um-stände mit, dann wird sich ein Wachstum zeigen in einer Weise, wiesie im Worte Gottes verboten ist.

    In dieser Bildungsperiode im Leben der Kinder ruht auf denEltern eine sehr große Verantwortlichkeit. Die sollten beständigdarüber nachdenken, ihre Kinder mit den rechten Einflüssen zu um-geben; mit Einflüssen, die ihnen richtige Ansichten vom Leben unddem wahren Erfolg desselben geben. Wie viele Eltern machen esanstatt dessen zu ihrer ersten Aufgabe, ihren Kindern weltliches Ge-deihen zu sichern! Alle ihre Gespielen und Kameraden werden mitRücksicht auf diesen Zweck gewählt. Viele Eltern schlagen ihr Heimin irgend einer großen Stadt auf, führen ihre Kinder in die moderneGesellschaft ein und umgeben sie mit Einflüssen, welche Weltlich-keit und Stolz geradezu einladen. In dieser Atmosphäre verkrüppeln[53]Gemüt und Seele, hohe und edle Lebensziele werden aus den Augenverloren. Das Vorrecht, Kinder Gottes und Erben des ewigen Lebenszu sein, wird weltlichen Gewinnes wegen preisgegeben.

    Viele Eltern versuchen das Glück ihrer Kinder dadurch zu för-dern, daß sie ihre Vergnügungssucht befriedigen. Sie erlauben ihnenan Spielen und Vergnügungen teilzunehmen und versehen sie mitGeld, welches die Kinder leichtsinnig zur Selbstbefriedigung undfür allerlei Flittertand ausgeben. Je mehr man der Vergnügungs-sucht frönt, desto stärker wird sie, und so geht das Interesse solcher

  • „Es ging ein Sämann aus zu säen“ 37

    Jünglinge und Jungfrauen mehr und mehr in Vergnügen auf, bis siezuletzt dahin kommen, daß sie es als den Hauptzweck ihres Lebensansehen. Sie gewöhnen sich an Müßiggang und Selbstbefriedigung,so daß es fast unmöglich für sie wird, jemals standhafte Christen zuwerden.

    Selbst die Kirche, welche doch die Säule und Stütze der Wahr-heit sein sollte, ermutigt oft die selbstsüchtige Liebe zu Vergnügun-gen. Wenn Geld zu religiösen Zwecken aufgebracht werden soll, zuwelchen Mitteln nehmen da gewisse Kirchengemeinschaften ihreZuflucht? Zu einem Bazar, zu Festessen, Promenadenkonzerten, jaselbst zu Lotterien und ähnlichen Dingen. Oft wird der Ort, welcherder Anbetung Gottes geweiht sein sollte, durch Essen und Trinken,Kaufen, Verkaufen und allerlei Lustbarkeiten entweiht. Dadurchwird die Achtung vor dem Hause Gottes und der Anbetung Jehovasin den Gemütern der Jugend verringert, die Schranken der Selbst-beherrschung werden geschwächt, die Selbstsucht, der Appetit unddie Liebe zu äußerlichem Gepränge genährt, und alle diese Fehlernehmen zu, je mehr man ihnen frönt.

    Die Jagd nach Vergnügungen aller Art ist besonders in den Städ-ten vorherrschend. Viele Eltern, welche für ihre Kinder ein Heimin der Stadt wählen, indem sie glauben, ihnen dort größere Vorteilebieten zu können, erfahren mancherlei Enttäuschungen und bereuenihren großen Irrtum, wenn es zu spät ist. Die Städte unserer Zeitwerden schnell Sodom und Gomorra gleich. Die vielen Feiertageführen zum Müßiggang; die aufregenden Belustigungen — Theater- [54]besuche, Pferderennen, Spiele, Zechgelage und Nachtschwärmerei— regen alle Leidenschaften aufs höchste an und die Jugend wirddurch die allgemeine Strömung mit fortgerissen. Solche, die es ler-nen, das Vergnügen um seiner selbst willen zu lieben, öffnen einerFlut von Versuchungen die Tür; sie geben sich gesellschaftlicherHeiterkeit und gedankenloser Freude hin, und ihr Verkehr mit Ver-gnügungssüchtigen wirkt wie ein Rausch auf ihr Gemüt. Sie werdenvon einer Form der Ausschweifung zur andern verleitet, bis sie zu-letzt nicht nur den Wunsch, sondern auch die Fähigkeit verlieren,ein nützliches Leben zu führen. Ihr religiöses Verlangen ist dahin,ihr geistiges Leben verdunkelt, alle edleren Seelenkräfte, alles, wasden Menschen mit der höheren Welt verbindet, herabgewürdigt underniedrigt.

  • 38 Christi Gleichnisse

    Wohl sehen einige ihre Torheit ein und tun Buße und Gott ver-gibt ihnen; aber sie haben ihre eignen Seelen verwundet und sich ineine lebenslängliche Gefahr gebracht. Die Unterscheidungsgabe, dieimmer scharf und klar erhalten werden sollte, um das Rechte vondem Unrechten zu unterscheiden, ist in einem hohen Grade beein-trächtigt, so daß sie nicht sofort die warnende Stimme des HeiligenGeistes, der sie führen will, noch die Schlingen, die Satan ihnenstellt, erkennen können. Nur zu oft fallen sie in der Versuchung oderwerden irregeleitet und so von Gott entfernt. Das Ende ihres ver-gnügungssüchtigen Lebens ist Verderben für diese sowohl als auchfür die zukünftige Welt. Die Sorgen, Reichtümer und Vergnügungenbenutzt der Satan in seinem Spiel des Lebens um die menschlicheSeele, darum wird uns die Warnung gegeben: „Habt nicht lieb dieWelt, noch was in der Welt ist. So jemand die Welt lieb hat, in demist nicht die Liebe des Vaters. Denn alles, was in der Welt ist, desFleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist nichtvom Vater, sondern von der Welt.“ 1.Johannes 2,15.16. Er, welcherdie Herzen der Menschen liest wie ein offenes Buch, sagt: „Hüteteuch aber, daß eure Herzen nicht beschweret werden mit Fressen undSaufen und mit Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnellüber euch.“ Lukas 21,34. Und der Apostel Paulus schreibt durchdie Eingebung des Heiligen Geistes: „Denn die da reich werden[55]wollen, die fallen in Versuchung und Stricke und viel törichter undschädlicher Lüste, welche versenken die Menschen ins Verderbenund Verdammnis. Denn Geiz ist die Wurzel alles Übels; des hatetliche gelüstet und sind vom Glauben irre gegangen, und machenihnen selbst viel Schmerzen.“ 1.Timotheus 6,9.10.

    Die Zubereitung des Bodens

    In dem ganzen Gleichnis vom Sämann stellt Christus die Sacheso dar, daß die verschiedenen Ergebnisse des Säens von dem Boden,auf welchen der Same fällt, abhängen. Der Sämann und der Samesind in einem jeden Falle dieselben. In dieser Weise lehrt er, daßwenn das Wort Gottes nicht in unseren Herzen und unserem Lebensein Werk ausrichtet, der Grund dafür in uns selbst zu suchen ist undwir selbst für die Ergebnisse verantwortlich sind. Allerdings könnenwir uns selbst nicht ändern, aber wir haben die Kraft zu wählen, und

  • „Es ging ein Sämann aus zu säen“ 39

    es steht bei uns, zu bestimmen, was wir werden wollen. Die Hörer,die mit dem Wege, dem steinigen und dem mit Dornen bewachsenenBoden verglichen werden, brauchen nicht so zu bleiben. Der GeistGottes sucht beständig den Bann des Zaubers, der die Menschen inweltlichen Dingen gefangen hält, zu brechen und das Verlangen nachden unvergänglichen Dingen in ihnen zu erwecken. Die Menschenaber widerstehen dem Wirken des Geistes und werden dadurch un-aufmerksam auf das Wort Gottes und vernachlässigen es. Sie selbstsind also verantwortlich für die Herzenshärte, die den guten Samendaran hindert, Wurzel zu fassen, und für die bösen Auswüchse, diedas Wachstum desselben ersticken.

    Der Garten des Herzens muß bearbeitet werden. Der Bodenmuß durch tiefe Reue über die Sünde aufgebrochen und giftige,satanische Pflanzen müssen entwurzelt werden. Der einmal vonDornen überwucherte Boden kann nur durch fleißige Arbeit wiedernutzbar gemacht werden. So können auch die bösen Neigungendes natürlichen Herzens nur durch ernste Bestrebungen im Namenund in der Kraft Jesu überwunden werden. Der Herr gebietet unsdurch seinen Propheten: „Pflüget ein Neues, und säet nicht unterdie Hecken.“ „Darum säet euch Gerechtigkeit, und erntet Liebe.“Jeremia 4,3; Hosea 10,12. Er wünscht dies Werk für uns zu tun und [56]bittet uns, mit ihm zusammen zu wirken.

    Die Arbeit des Sämanns ist es, die Herzen für die Annahmedes Evangeliums vorzubereiten. Im Dienst am Wort wird zuvielgepredigt und zu wenig von Herz zu Herz gewirkt. PersönlicheArbeit für die Seelen der Verlorenen ist notwendig. Wie Christus, sosollen auch wir mit demselben Mitgefühl den einzelnen Menschennahekommen und ihr Interesse an den wichtigen Dingen des ewigenLebens zu erwecken versuchen. Ihre Herzen mögen so hart sein wiedie hartgetretene Landstraße, und es mag ein anscheinend nutzloserVersuch sein, ihnen von einem Heiland zu erzählen; aber während sieauf dem Wege des Verstandes nicht bewegt werden können und alleBeweisgründe machtlos sein mögen, sie zu überzeugen, so mag dochdie in persönlichem Dienen offenbarte Liebe Christi das steinerneHerz erweichen, so daß der Same der Wahrheit Wurzel fassen kann.

    Also hat auch der Sämann etwas zu tun, damit der Same nichtdurch die Dornen erstickt wird oder wegen der dünnen Erdschichtumkommt. Gleich beim Anfang des christlichen Lebens sollte jeder

  • 40 Christi Gleichnisse

    Gläubige die Grundsätze des Christentums lernen, nämlich, daß ernicht nur durch das Opfer Christi gerettet werden, sondern daß erauch das Leben Christi zu seinem Leben und den Charakter Christizu seinem Charakter machen soll. Alle Gläubigen sollten lernenLasten zu tragen und die natürlichen Neigungen zu verleugnen.Sie sollten den Segen kennen lernen, der darin liegt, für Christumzu wirken, ihm in Selbstverleugnung nachzufolgen und als guteStreiter Schwierigkeiten zu ertragen. Lehrt sie Christi Liebe zuvertrauen und alle ihre Sorgen auf ihn zu werfen; laßt sie die Freudeschmecken, Seelen für ihn zu gewinnen, und in ihrer Liebe undihrem Interesse für jene Seelen werden sie sich selbst vergessen.Die Vergnügungen der Welt werden für sie die Anziehungskraftverlieren, und Lasten dieser Erde werden nicht mehr imstande sein,sie zu entmutigen. Die Pflugschar der Wahrheit wird ihr Werk tun;sie wird den harten Boden aufbrechen und wird nicht nur die Spitzender Dornen abschneiden, sondern letztere mit den Wurzeln ausrotten.[57]

    Auf gutes Land

    Der Sämann soll nicht immer Enttäuschung erfahren. Von demSamen, der auf gutes Land fiel, sagte der Heiland: „Das ist, wenn je-mand das Wort höret und verstehet es, und dann auch Frucht bringet;und etlicher trägt hundertfältig, etlicher aber sechzigfältig, etlicherdreißigfältig.“ Matthäus 13,23. „Das aber auf dem guten Land sind:die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen undbringen Frucht in Geduld.“ Lukas 8,15.

    Die Menschen mit „einem feinen, guten Herzen,“ von welchendas Gleichnis spricht, sind nicht Menschen mit einem Herzen ohneSünde, denn das Evangelium soll den Verlorenen gepredigt werden.Christus sagte: „Ich bin kommen, zu rufen die Sünder zur Buße, undnicht die Gerechten.“ Matthäus 2,17. Wer sich durch den HeiligenGeist überzeugen läßt, hat ein feines Herz. Er bekennt seine Schuldund fühlt, daß er der Gnade und Liebe Gottes bedürftig ist und hatden aufrichtigen Wunsch, die Wahrheit zu kennen, um ihr zu gehor-chen. Das gute Herz ist ein gläubiges Herz, ein Herz, das Vertrauenin das Wort Gottes setzt. Es ist unmöglich, ohne Glauben das Wortaufzunehmen. „Wer zu Gott kommen will, der muß glauben, daß er

  • „Es ging ein Sämann aus zu säen“ 41

    sei, und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde.“ Hebräer11,6.

    „Das aber in das gute Land gesät ist, das ist, wenn jemand dasWort höret und verstehet es.“ Die Pharisäer zur Zeit Christi ver-schlossen ihre Augen, um nicht zu sehen, und ihre Ohren, um nichtzu hören; deshalb konnte die Wahrheit ihre Herzen nicht erreichen,und sie mußten ihrer mutwilligen Unwissenheit und ihrer selbstau-ferlegten Blindheit wegen die Folgen auf sich nehmen. Aber Christuslehrte seine Jünger, daß sie ihr Verständnis den Belehrungen öffnenund bereit sein sollten zu glauben. Er sprach einen Segen über sieaus, weil sie mit gläubigen Augen und Ohren sahen und hörten.

    Der mit dem guten Lande verglichene Hörer nimmt das Wort auf,„nicht als Menschenwort, sondern, wie es denn wahrhaftig ist, alsGottes Wort.“ 1.Thessalonicher 2,13. Nur der, welcher die HeiligeSchrift als die zu ihm sprechende Stimme Gottes annimmt, ist einwahrer Lernender. Er nimmt das Wort Gottes mit Ehrfurcht auf, denn [58]es ist ihm eine lebendige Wirklichkeit, der er sein Verständnis undsein Herz öffnet. Solche Hörer waren Kornelius und seine Freunde,welche zu dem Apostel Petrus sagten: „Nun sind wir alle hier ge-genwärtig vor Gott, zu hören alles, was dir von Gott befohlen ist.“Apostelgeschichte 10,33.

    Die Erkenntnis der Wahrheit hängt nicht so viel von der Größeder Fassungskraft wie von der Lauterkeit der Absicht, der Einfachheiteines ernsten, sich auf Gott verlassenden Glaubens ab. Solchen, diein Herzensdemut göttliche Führung suchen, nahen sich die EngelGottes, und der Heilige Geist eröffnet ihnen die reichen Schätze derWahrheit.

    Die mit dem guten Lande verglichenen Hörer behalten das Wort,wenn sie es gehört haben, und Satan mit all seinen höllischen Werk-zeugen ist nicht imstande, es ihnen fortzunehmen.

    Es genügt nicht, das Wort nur zu hören oder zu lesen. Werwünscht, daß die Heilige Schrift ihm etwas nützen soll, der muß überdie ihm vorgeführte Wahrheit nachdenken, muß unter Gebet und mitgroßer Aufmerksamkeit die Bedeutung der Worte der Wahrheit zuerkennen suchen und muß in tiefen Zügen den Sinn des heiligenWortes aufnehmen.

    Gott wünscht, daß wir uns mit erhabenen, lauteren Gedankenbeschäftigen, über seine Liebe und seine Barmherzigkeit nachdenken [59]

  • 42 Christi Gleichnisse

    und sein wunderbares Wirken im großen Erlösungsplan studieren.Dann wird uns die Wahrheit immer klarer und unser Wunsch nachHerzensreinheit und Gedankenklarheit höher und heiliger werden.Die in der reinen Atmosphäre heiliger Gedanken wohnende Seelewird durch den Verkehr mit Gott, im Studium der Heiligen Schrift,umgebildet werden.

    „Und bringen Frucht.“ Diejenigen, welche nachdem sie das Wortgehört haben, es bewahren, werden in Gehorsam Frucht bringen;das in die Seele aufgenommene Wort Gottes wird sich in gutenWerken offenbaren. Das Ergebnis wird in einem Christo ähnlichenLeben und Charakter gesehen werden. Christus sagte von sich selbst:„Deinen Willen, mein Gott, tu ich gern, und dein Gesetz hab ichin meinem Herzen.“ Psalm 40,9. „Ich suche nicht meinen Willen,sondern des Vaters Willen, der mich gesandt hat.“ Johannes 5,30.Und die Schrift sagt: „Wer da saget, daß er in ihm bleibet, der sollauch wandeln, gleichwie er gewandelt hat.“ 1.Johannes 2,6.

    Das Wort Gottes steht oft im Widerspruch mit den angeerb-ten und anerzogenen Charakterzügen und den Gewohnheiten destäglichen Lebens der Menschen. Aber der mit dem guten Landeverglichene Hörer nimmt das Wort mit allen Bedingungen und For-derungen an und macht seine Gewohnheiten und Gebräuche demWorte Gottes untertan. In seinen Augen werden die Gebote sterbli-cher, irrender Menschen neben dem Worte des unendlichen Gottesvollkommen wertlos. Von ganzem Herzen, mit ungeteiltem Stre-ben verlangt er nach dem ewigen Leben, wenn es auch Verluste,Verfolgungen oder gar selbst den Tod verursache: er will doch derWahrheit gehorchen.

    Er bringt „Frucht in Geduld“. Niemand, der das Wort Gottesaufnimmt, entgeht Schwierigkeiten und Prüfungen; aber wenn dieTrübsal kommt, gerät der wahre Christ nicht in Unruhe, Mißtrauenoder Verzweiflung. Selbst wenn er das Ende seiner Schwierigkeitennicht sehen oder die Absicht, die Gott mit ihm hat, nicht erkennenkann, wird er sein Vertrauen nicht wegwerfen, sondern, der Liebeund Gnade des Herrn gedenkend, seine Sorgen auf ihn werfen undmit Geduld auf sein Heil warten.[60]

    Durch Kampf wird das geistliche Leben gestärkt. Gut bestande-ne Prüfungen werden Standhaftigkeit des Charakters und köstliche,geistliche Tugenden entwickeln. Die vollkommene Frucht des Glau-

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    bens, der Sanftmut und der Liebe reift oft in Sturmeswolken und inder Finsternis am besten.

    „Ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde, und istgeduldig darüber, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.“Jakobus 5,7. So soll auch der Christ mit Geduld auf die in seinemLeben sich zeigende Frucht des Wortes Gottes warten. Oft erhörtGott, wenn wir ihn um die Gaben des Heiligen Geistes bitten, unsereGebete, indem er uns in Umstände bringt, welche diese Früchteentwickeln; aber wir verstehen seine Absicht nicht, wundern unsdeshalb darüber und werden niedergeschlagen oder erschreckt. Unddoch kann niemand diese Gnadengaben entwickeln, es sei denndurch Wachstum und Fruchtbringen. Unsere Aufgabe ist es, dasWort Gottes anzunehmen, es fest zu halten und uns vollständigseiner Herrschaft zu unterwerfen; dann wird es seinen Zweck in unserreichen.

    „Wer mich liebet,“ sagte Christus, „der wird mein Wort halten;und mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen,und Wohnung bei ihm machen.“ Johannes 14,23. Die Kraft einesstärkeren, eines vollkommenen Willens wird uns regieren, weil wireine lebendige Verbindung mit der Quelle der alles ertragenden Krafthaben. In unserem göttlichen Leben werden wir unter die Oberherr-schaft Jesu Christi gebracht werden; das gewöhnliche Leben derSelbstsucht hört auf, denn Christus lebt in uns. Sein Charakter wirdsich in unserer Natur offenbaren und wir werden die Früchte desHeiligen Geistes darbringen — „etliche dreißigfältig, und etlichesechzigfältig, und etliche hundertfältig.“

    * * * * *[61]

  • Kapitel 3: „Zum ersten das Gras, darnach dieÄhren“

    Auf der Grundlage von Markus 4,26-29.

    Das Gleichnis vom Sämann gab Anlaß zu vielen Fragen. Einigeder Zuhörer schlossen daraus, daß Christus nicht beabsichtige, einirdisches Reich aufzurichten und waren deshalb neugierig und beun-ruhigt. Als Jesus dieses sah, benutzte er noch andere Illustrationen,um noch mehr ihre Gedanken von der Hoffnung auf ein weltlichesReich abzubringen und sie auf das Wirken der Gnade Gottes in derSeele zu lenken.

    „Und er sprach: Das Reich Gottes hat sich also, als wenn einMensch Samen aufs Land wirft, und schläft, und stehet auf, Nachtund Tag; und der Same gehet auf, und wächst, daß er‘s nicht weiß;denn die Erde bringet von ihr selbst zum ersten das Gras, darnachdie Ähren, darnach den vollen Weizen in den Ähren. Wenn sie aberdie Frucht gebracht hat, so schicket er bald die Sichel hin; denn dieErnte ist da.“ Markus 4,26-29.

    Der Landmann, der die Sichel hinschickt, weil die Ernte da ist,kann kein anderer sein als Christus. Er wird am letzten großen Tagedie Ernte der Erde einheimsen. Aber derjenige, der den Samen sät,stellt die dar, welche an Christi Statt arbeiten. Es wird von demSamen gesagt, daß er aufgeht, „und wächst, daß er‘s nicht weiß,“was von dem Sohne Gottes nicht gesagt werden konnte. Christus[62]schläft noch schlummert nicht, sondern wacht Tag und Nacht überihm Anvertraute; er ist nicht in Unkenntnis darüber, wie der Samewächst.

    Das Gleichnis vom Samen offenbart, daß Gott in der Natur amWirken ist. Der Same hat einen Lebenskeim in sich, den Gott hin-eingelegt hat, der aber, wenn er sich selbst überlassen bleibt, nichtdie Kraft hat, sich zu entwickeln. Der Mensch muß helfen, um dasWachstum des Getreidekörnleins zu fördern; er muß den Bodenzubereiten, muß düngen, das Samenkorn hineinstreuen und das Feld

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  • „Zum ersten das Gras, darnach die Ähren“ 45

    bearbeiten. Aber es gibt eine Grenze, über welche hinaus er nichtsauszurichten vermag: Keine Macht oder Weisheit des Menschenkann aus dem Samenkorn die lebende Pflanze hervorbringen. Wennder Mensch alles getan hat, was in seiner Kraft steht, so muß er dochdie Hauptsache dem überlassen, der das Säen und das Ernten durchwunderbare Bande seiner Allmacht verbunden hat.

    Es ist Leben im Samenkorn und Kraft in der Erde, aber wennnicht Tag und Nacht göttliche Macht am Wirken ist, so wird derSame keine Ernte bringen. Der Regen muß gesandt werden, um diedurstigen Felder zu feuchten; die Sonne muß Wärme ausstrahlen unddem begrabenen Samenkorn muß Elektrizität mitgeteilt werden. DerSchöpfer allein, der das Leben hineingelegt hat, kann es auch wiederhervorrufen. Ein jedes Samenkorn wächst und eine jede Pflanzeentwickelt sich durch die Kraft Gottes. [63]

    „Denn gleich wie Gewächs aus der Erde wächst, und Same imGarten aufgehet, also wird Gerechtigkeit und Lob vor allen Hei-den aufgehen aus dem Herrn, Herrn.“ Jesaja 61,11. Wie mit demnatürlichen, so ist es auch mit dem geistlichen Säen. Der Lehrerder