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Christian Efing, Bruno Arich-Gerz (Hg.) Berufsbezogene und (inter)kulturelle Kompetenzen im deutsch-polnischen Kultur- und Wirtschaftsraum Zweiter Stoß (2018)

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Christian Efing, Bruno Arich-Gerz (Hg.)

Berufsbezogene und (inter)kulturelle Kompetenzen

im deutsch-polnischen Kultur- und Wirtschaftsraum

Zweiter Stoß (2018)

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Arbeitspapiere der Germanistischen Institutspartnerschaft (GIP)zwischen der Bergischen Universität Wuppertal

und der Universität Warschau

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Christian Efing, Bruno Arich-Gerz (Hg.)

Berufsbezogene und (inter)kulturelle Kompetenzen im deutsch-polnischen Kultur- und Wirtschaftsraum

Arbeitspapiere der Germanistischen Institutspartnerschaft (GIP)zwischen der Bergischen Universität Wuppertal und der Universität Warschau

Zweiter Stoß (2018)

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Impressum

Christian Efing, Bruno Arich-GerzBergische Universität Wuppertal

Fakultät für Geistes- und KulturwissenschaftenGermanistik

Didaktik der deutschen Sprache und Literatur – SprachdidaktikGaußstr. 20, 42119 Wuppertal

Alle Rechte vorbehalten.

Wuppertal 2018Layout & Satz: Roland Reischl, www.rr-koeln.deDruck: TZ Verlag & Print GmbH, 64380 Roßdorf

Gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD)

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Inhalt

Vorwort ............................................................................7

Säule I:

Christian Efing: Wie kommt die Realität ins Sprachen- Curriculum? Einflüsse empirischer Erhebungen auf Curriculader beruflichen Bildung an ausgewählten Beispielen........15

Przemysław Wolski: Curriculumentwicklung für den berufs-bezogenen Unterricht DaF in Polen – theoretische Vorausset-zungen, staatliche Regelungen und „gute Praxis“..............45

Paweł Szerszeń: Elektronische Medien im Dienst fach -bezogenen Fremdsprachenlernens ..................................61

Sambor Grucza, Milena Arzybowa: Erfahrungen aus derpolnisch-deutschen Berufskommunikation. Auswertungeiner Pilotstudie ....................................................................81

Säule II:

Magdalena Latkowska, Bruno Arich-Gerz: ZwischenÜbersetzungsarbeit und Publikation: Das Editions-Projekt„Edmund Polak“ (EPEP)..................................................93

Giannina Maaß: Die Sehnsucht nach Freiheit im lyrischenWerk Edmund Polaks ....................................................103

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Nadine Slowig, Nadja Durkiewicz: Bachelorarbeit 25.Erpro bung einer Technologie für ein Hörbuch zu einem Gedicht von Edmund Polak ..........................................113

Anita Borkowska: Das Zentrum für Erinnerungskultur undErinnerungsedition im Rahmen der GIP. Aktivitäten im Jahr2017 und Ausblick ........................................................119

Breitenwirkung. Institutionelle und thematische Erweiterungen

Joanna Godlewicz-Adamiec, Tomas Szybisty: Die ReiheLiteratur – Kontexte und das gleichnamige internationaleund interdisziplinäre Forschungsprojekt der UniversitätenWuppertal, Warschau, Santiago de Compostela und der Pädagogischen Universität Krakau ................................127

Paweł Piszczatowski: „Ein Blumenbeet der Freiheit“ –Heinrich Böll zum 100. Geburtstag ..............................133

Bruno Arich-Gerz: „Rezeptionsästhetische und literatur-theoretische Aspekte in Bernhard Jaumanns Novelle GeiersMahlzeit“. Eine Blockveranstaltung an der UniwersytetMarii Curie-Skłodowskiej in Lublin..............................141

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Vorwort

Die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD)geförderte Germanistische Institutspartnerschaft (GIP) „Berufs -bezogene und (inter)kulturelle Kompetenzen im deutsch-polnischen Kultur- und Wirtschaftsraum“ zwischen denUniversitäten Wuppertal und Warschau geht 2018 ins vierteJahr. Im Zweijahresturnus veröffentlicht sie Arbeitspapieremit Proben aus ihren Forschungs- und Praxisaktivitäten,Stellungnahmen zum Stand der laufenden Projekte und Berichte über Vorhaben, die sich aus den ursprünglichenKooperationszusammenhängen ergeben haben. Die zweiteAusgabe der Arbeitspapiere, die wir hier vorlegen, räumtdabei den Netzwerkerweiterungen und neuen Kooperatio-nen mit Warschauer, aber auch anderen polnischen Hoch-schulpartnern, einen besonderen Raum (und ein eigenesKapitel) ein. Wie in der ersten Ausgabe von 2016 findensich außerdem Ausführungen zu den beiden Hauptsäulender Kooperation: 1. Beruf und Ausbildung/Sprache undKommunika tion/Kompeten zen im und für den deutsch- polnischen Wirtschaftsraum; 2. Kompetenzen im BereichErinnerungskultur und Edition.

In die Germanistische Institutspartnerschaft bringen sich un-terschiedliche Institutionen der Bergischen Universität Wup-pertal und der Universität Warschau ein: die Germanistik(Prof. Dr. Christian Efing, Dr. Bruno Arich-Gerz, demnächstIsa-Lou Sander, M.A.), die School of Education (Dr. CorinnaPeschel) und das Sprachlehrinstitut (Dr. Agnes Bryan undTeam) auf Wuppertaler Seite; das Instytut KomunikacjiSpecjalistycznej i Interkulturowej (Prof. Dr. Sambor Grucza,

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Dr. habil. Paweł Szerszeń, Dr. habil. Magdalena Latkowska,Dr. Agnieszka Dickel, Dr. Ewa Zwierzchoń-Grabowska),das Instytut Germanistyki (Professor. Dr. habil. RobertMałecki, Dr. habil. Joanna Godlewicz-Adamiec, Dr. habil.Paweł Piszczatowski, Dr. Anita Borkowska (ehemals Cie-chomska), Dr. Marta Torenc, Dr. Przemysław Jóskowiak)sowie das Deutschlehrer-Kolleg (UKKNJN) (Dr. hab. Katar-zyna Nowakowska, Dr. Przemysław Wolski, Dr. AgnieszkaSochal) in Warschau.

Den Großteil der GIP macht inhaltlich und vom Umfang derFörderung her die Säule I aus. Im Mittelpunkt steht darinneben den inzwischen weitgehend abgeschlossenen Sprach-bedarfserhebungen die Entwicklung von anforderungsba-sierten Curricula und Lehr-Lern-Materialien für Präsenz-und telemediale Vermittlungsformen in der betrieblichenund berufsschulischen Aus- und Weiterbildung im deutsch-polnischen Wirtschaftsraum. In intensiver Kooperation mitAkteuren der Wirtschaftszusammenarbeit beider Länderwerden tragfähige Instrumente entwickelt, mit denen unter-nehmens- sowie branchenspezifische sprachlich-kommuni-kative Anforderungen transparent und zum Gegenstand vonLernräumen im Übergang von (Berufs-)Schule sowie Hoch-schule ins Berufsleben gemacht werden können. Ziel istdabei auch und ausdrücklich, zu einer stärker anwendungs-und bedarfsbezogenen Sprachausbildung in den genanntenBildungsinstitutionen zu kommen.

Im Zeitraum von 2016 bis 2018 sind in Säule I wichtigeMeilensteine erreicht und Erfolge erzielt worden. Zu nennensind insbesondere die Arbeitsaufenthalte von Paweł Szers-zeń und Przemysław Wolski in Wuppertal, bei denen Be-darfserhebungen im Bereich Call Center-Kommunikation

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und erste Schritte bei der Entwicklung einer computerge-stützten Kommunikations- und Lehr-/Lernumgebung imMittelpunkt standen. Die M.A. Thesis von Eveline Schür-mann, die, wie Elke Glatzel und zuletzt Nicolai Dietz, alsTutorIn der GIP in Warschau tätig war und dort unter derLeitung von Christian Efing einschlägige, Thesis-vorberei-tende Forschungen anstellen konnte,1 wurde von der Fach-gruppe Germanistik der Universität Wuppertal als besteAbschlussarbeit des Jahres 2017 ausgezeichnet. Im Dezem-ber desselben Jahres wurde Christian Efing in Anerkennungseiner Leistungen in Forschung und Lehre in (und zu) Polenvom Rektor der Universität Warschau zum „profesor afilio-wani“ ernannt.

Ergänzend zu den umfänglichen Projekten im Sektor Berufund Ausbildung/Sprache und Kommunikation/Polnisch-Deutsch etablierte sich 2016 eine zweite Säule, die getragenwird von text- und kulturwissenschaftlich arbeitenden For-scherInnen auf Wuppertaler und Warschauer Seite. Zwei aufjeweils drei Jahre angelegte und im Sommer 2019 planmä-ßig zum Abschluss gelangende Projekte widmen sich demsensiblen Thema der deutsch-polnischen Verflechtungsge-schichte ab 1939, indem sie historische Personen und Ereigniszusammenhänge mit besonderer erinnerungskultu-reller Relevanz in den Blick nehmen. Ausdrücklich erwähntwerden muss dabei erneut, wie bereits in der ersten Ausgabeder Arbeitspapiere, das außergewöhnlich große Engagementvon Studierenden aus Wuppertal und Warschau, die freiwil-lig Recherche- und Übersetzungsarbeiten auf sich nehmen.

1 Vgl. Eveline Schürmann, „Berufsbezogener DaF-Unterricht an berufsbil-denden Schulen in Polen“, in: Arbeitspapiere 1 (2016), S. 31-61. Eine weiterestudentische Mitarbeiterin ist derzeit Bettina Ötvös, der unser Dank für dieredaktionelle Zuarbeit an den hier vorgelegten Arbeitspapiern gilt.

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Auch die LeiterInnen der Projekte über den WarschauerKünstler, Publizisten und ehemaligen KZ-Häftling EdmundPolak bzw. zu polnischen ZwangsarbeiterInnen im RaumWuppertal bringen ihr Know-How und ihre Kompetenzenim (erinnerungs-)kulturwissenschaftlichen Feld ein. Ein hal-bes Dutzend Lehrveranstaltungen (Haupt- und Proseminare)zu den „Säule II-Themen“, aber auch zu den Gegenständenvon Säule I zeigen, dass und wie sich die Projektkooperationlängst übertragen hat in die regulären Vorlesungsverzeich-nisse der Wuppertaler Germanistik.

Stichwort Übertragung und Ausweitung des ursprünglichenKooperationsspektrums: Wir halten es für nennenswert underfreulich, dass und wie die GIP über ihre Kernthemen undHauptstandorte hinaus Kreise zu ziehen begonnen hat. Zunennen sind drei Erweiterungen dieser Art, die unterschied-lichen Formen des universitären Arbeitens zuzuordnen sindund die wir im abschließenden dritten Kapitel dieser Ar-beitspapiere in der gebotenen Kürze präsentieren.

Im Oktober 2016 vereinbarten das Warschauer InstytutGermanistyki und die Wuppertaler Fachgruppe Germanis-tik eine Kooperation bei der Herausgeberschaft und Bei-ratsarbeit für die neugegründete Buchreihe Literatura –Konteksty, in der seither zwei Bände erschienen sind.Neben Bruno Arich-Gerz und den WarschauerInnen JoannaGodlewicz-Adamiec und Paweł Piszczatowski sind Ger-manistInnen aus Santiago de Compostela (Spanien) undKrakau (Tomasz Szybisty) in die Zusammenarbeit einge-bunden. Im November 2017 erschien anlässlich des 100.Geburtstags von Heinrich Böll ein Band mit ausgewähltenund von Paweł Piszczatowski ins Polnische übersetztenSchriften des Literaturnobelpreisträgers. Auch hierbei han-

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delt es sich um eine Kooperation von Kollegen, die einan-der ohne die GIP kaum gekannt hätten. Und im März 2017übernahm Bruno Arich-Gerz an der Uniwersytet MariiCurie-Skłodowskiej in Lublin vor Germanistikstudierendendie Leitung eines Blockseminars. Die Anbahnung dieserLehrveranstaltung und somit die Ausweitung „von War-schau nach Lublin“ geschah während der Jahrestagung despolnischen Germanistikverbands SGP/VPG im Jahr zuvor:Wir halten dies wie auch die von den GIP-Protagonistengemeinsam organisierte nächste Tagung im Mai 2018 inWarschau für ein erfreuliches Zeichen fortschreitender Ver-netzung und der Intensivierung unserer Kontakte zu polni-schen GermanistInnen.

Der Dank der Herausgeber wie aller Beteiligter an den zahl-reichen Projekten gilt daher dem DAAD, ohne dessen finanzielle Anschubfinanzierung diese ertragreiche Koope-ration nicht möglich gewesen wäre.

Christian Efing, Bruno Arich-GerzFebruar 2018

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Säule I

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Wie kommt die Realität ins Sprachen-Curriculum? Einflüsse empirischer Erhebungen auf Curricula der beruflichenBildung an ausgewählten Beispielen

Christian Efing (Bergische Universität Wuppertal)

Die vom DAAD geförderte Germanistische Institutspartner-schaft zwischen den Universitäten Wuppertal und Warschauhat sich in Säule I zum Ziel gesetzt, in dem Dreischritt vonempirischer „Sprachbedarfsermittlung – Curriculument-wicklung – Konzeption von Lehrmaterial und Aufgaben“angewandt linguistische Grundlagenforschung didaktischfür den Bereich des Deutschen als Fremdsprache in berufs-bezogenen Kontexten fruchtbar zu machen (vgl. Efing 2016,2017a). Der vorliegende Beitrag beleuchtet einen Teilaspektdieses Vorhabens, nämlich die Frage, wie Curricula empi-risch fundiert werden können, einerseits aus theoretischerund grundsätzlicher, andererseits exemplarisch aus prakti-scher Sicht der Umsetzung. Dieses „Wie“ lässt sich einer-seits verstehen als Frage nach der Methodik undVorgehensweise – damit wäre die Frage nach der Methodikder Sprachbedarfsermittlung fokussiert, die hier nicht erneutdargelegt werden soll (vgl. hierzu Efing 2014a). Anderer-seits lässt sich diese Frage nach dem „Wie“ auch auffassenals Frage nach der Art und Weise, in welcher Form sich Er-gebnisse empirischer Erhebungen in Curricula wiederfindenund widerspiegeln. Diesem zweiten Verständnis gilt im Fol-genden die Aufmerksamkeit.

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1. Curricula – Bildungspolitisch-juristische Dokumente zwi -schen grünem Tisch und empirischer Bedarfsorientierung

Curricula sind zunächst einmal nicht mehr und nicht weni-ger als eine bildungspolitisch-juristische Instanz bzw. Be-zugsgröße für Lehrende, die verbindliche Inhalte oderKompetenzen festlegt und bestimmten Entwicklungsphasender LernerInnen zuordnet:

Lehrpläne sind somit Teil einer Rechtsordnung, dieals überindividuelle Legitimitätsquelle besteht. Sienimmt dem einzelnen Lehrer Entscheidungen undderen Rechtfertigung ab […] (Scholl 2011: 3).

Schaut man sich Lehramtsanwärter an, so wird deutlich,dass (z.B. in Hausarbeiten und Unterrichtsentwürfen) aufCurricula zumeist lediglich aus genau solch einer juristi-schen Legitimationsperspektive referiert wird: Inhalte, The-men und Kompetenzen von Lernsettings werden mit Rekursdarauf, dass „das ja so in den Curricula vorgegeben ist“, be-gründet – und nicht etwa mit der fachdidaktischen Bedeu-tung dieser Inhalte, Themen und Kompetenzen; es fehlt alsoein Bezug auf die eigentlich relevante Ebene, die die Auf-nahme in die Curricula ausgelöst hat. Doch sollten Curriculaund ihre Inhalte fachdidaktisch – und nicht etwa durch Tra-dition o.dgl. – fundiert und legitimiert sein. Aus Perspektiveder Curriculumentwicklung ist es die Aufgabe der Didaktik,theoretische Konzepte und empirische Ergebnisse derGrundlagenforschung in Curricula zu überführen und zu ge-währleisten, dass Curricula sich im Gleichschritt mit Kom-petenzen und Anforderungen entwickeln und einefachlich-fachdidaktische, keine juristische Instanz darstel-len: Die fachdidaktische Diskussion sollte nicht den Curri-

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cula folgen, sondern ihnen vorangehen. Dann werden Cur-ricula zu Steuerungsinstrumenten der Unterrichts- undSchulentwicklung. Hierfür bedarf es aber einer wissen-schaftlichen und empirischen Fundierung der Curricula.

Traditionell jedoch entstehen Curricula als Kompromissverschiedenen Institutionen und Lobby-Vertreter, sind alsoals Ergebnis eines Aushandlungsprozesses verschiedenergesellschaftlicher Interessensgruppen aus u.a. Politik, Wis-senschaft und Verbänden zu werten, die sich an einem grü-nen Tisch zusammenfinden. Damit fehlt Curricula einedirekte empirische Basierung, die reale Bedarfe als Aus-gangspunkt für die Formulierung von Kompetenzen undLehr-Lern-Zielen liefern könnte. Für den beruflichen Kon-text kann hier für Deutschland zum Beispiel der Kriterien-katalog des Nationalen Paktes für Ausbildung genanntwerden (BA 2006), der von Experten aus Berufskollegs, desBundesinstituts für Berufliche Bildung (BIBB), der Bun-desagentur für Arbeit, dem Zentralverband des Handwerks(ZDH), dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag(DIHK), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitge-berverbände (BDA), der Gesellschaft für personale und so-ziale Dienste mbH bzw. der UnternehmensgruppeBildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw) e. V., derAudi AG sowie der BASF AG erarbeitet wurde (BA 2006:8). Die Bundesagentur für Arbeit gibt zwar an, „Basis fürdie Erstellung des Kriterienkatalogs“ seien

wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Bereichen derPsychologie und Pädagogik sowie der Kompetenzfor-schung und bereits bestehende Anforderungskatalogeaus der Wirtschaft sowie die Bildungsstandards derKultusministerkonferenz (KMK) für Hauptschulen

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gewesen, die

mit den Erfahrungen der Praxis (Betriebe, Berufsbe-ratung, Berufsschulen) abgeglichen und auf die ausSicht der Experten unverzichtbaren Kriterien („Min-deststandards“) verdichtet (BA 2006: 17)

worden seien, aber dieser Prozess deutet zum einen an, dassbzw. wie empirische Grundlagen nur noch verwässert inden „Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife“ eingehenkonnten – und zum anderen, dass eine sprachwissenschaft-liche oder sprachdidaktische Perspektive für die sprachlich-kommunikativen Bereiche des Kriterienkatalogs – austheoretischer oder empirischer Sicht – gar nicht berücksich-tigt wurde. Die am grünen Tisch zwischen Wirtschaft undBildungspolitik erarbeiteten Anforderungen sind demnach –ob ihrer fehlenden empirischen Fundierung verständlicher-weise – (zumindest im sprachlich-kommunikativen Be-reich) hochgradig ausbildungsunspezifisch, da schulischgeprägt – was aus der Orientierung an den KMK-Bildungs-standards für die Hauptschule resultiert. Und die KMK-Bil-dungsstandards kreuzen ihre Wege mit der Empirie nurdann, wenn es um die Validierung der Anforderungen inVergleichsarbeiten und damit um die Ausprägung der for-mulierten Anforderungen und Kompetenzen bei SchülerIn-nen geht (Kompetenzdiagnostik), nicht aber um diequalitative Zusammensetzung der Kompetenzen und An-forderungen (inhaltliche Ebene). Dies verwundert umsomehr, als die KMK-Bildungsstandards für die Hauptschuletatsächlich explizit fordern:

Für den Hauptschulabschluss nach Klasse 9 kommtder Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf

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den Übergang in das Berufsleben besondere Bedeu-tung zu. Das Fach Deutsch leistet dazu seinen Bei-trag, indem vor allem die für die Anforderungen derBerufsausbildung notwendigen sprachlichen undmethodischen Kompetenzen zum Arbeitsschwer-punkt werden (KMK 2005: 6, Hervorhebung v. Verf.).

Diese realen Anforderungen waren aber und sind zum Teilnoch unbekannt. Dabei hatte bereits der Situations-Qualifi-kationsansatz von Robinsohn (1969) eine empirische Fun-dierung von Curricula durch Anforderungsermittlungen als„Kernpunkt didaktischen Handelns“ gefordert (Weber/Be-cker/Laue 2000: 9) und Szwed (1981) hatte für eine Ethno-graphe der Kommunikation plädiert, die Lehrpersonen dasWissens darum vermittelt, „what reading and writing are forin the lives and futures of their students“ (Szwed 1981: 14),damit sie nicht Lesen und Schreiben unwissend um die rea-len Anforderungen der Berufswelt und damit sozusagenblind und „ins Blaue“ hinein vermittelten.

Aber erst neuerdings und aktuell entstehen in verschiede-nen wissenschaftlichen Disziplinen (vgl. Efing 2013: 19,Efing 2014b) und Institutionen wie dem BIBB (Settelmeyeret al. 2014) entsprechende empirische Untersuchungen, dieauch wirklich die realen Anforderungen an Auszubildendeerheben – und die damit empirische Ergebnisse der Kom-petenzdiagnostik zur Frage, über welche sprachlich-kom-munikativen Kompetenzen in welchem AusprägungsgradAuszubildende verfügen, ergänzen.

Nachdem die Kompetenzdiagnostik damit überindividuellesprachliche Förderbedarfe von BerufsschülerInnen aufge-zeigt hat und die Anforderungsanalysen und Sprachbedarfs-

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ermittlungen mit den erhobenen und analysierten Situationenund Materialien zu den realen Anforderungen in ausgesuch-ten beruflichen Kontexten eine weitere empirische Basis ge-liefert haben, werden nun allmählich und nach und nachreflektierte (d.h. die festgestellten Anforderungen kritisch re-flektierende) Entwicklungen oder Veränderungen von Cur-ricula auf empirischer Basis möglich, die bildungspolitischverankern können, über welche sprachlich-kommunikativenKompetenzen LernerInnen und Berufstätige verfügen soll-ten, um den realen Anforderungen (der Berufswelt) gerechtzu werden. So kann – so die Hoffnung – verhindert werden,dass die von Grundmann (2007: 10) skizzierte – und ursäch-lich dem Schulsystem zugeschriebene – Schere zwischenrealen (hohen) Anforderungen einerseits und realen (niedri-gen) Kompetenzen andererseits weiter aufgeht – und dassdas Schulsystem hierbei tatenlos zusieht:

In Deutschland wird solch eine direkte (wenngleich kritischreflektierte) Orientierung an beruflichen Bedarfen in der(Deutsch-) Didaktik skeptisch gesehen; die SchülerInnenund Auszubildenden würden nicht in ihrer Persönlichkeits-entwicklung gefördert und „gebildet“, sondern lediglichpassgenau und im Sinne der Wirtschaft als „Abnehmer“ aufden Markt und seine Anforderungen hin vorbereitet. MitHeid (1999: 236f., 244) lässt sich dieser angebliche Gegen-satz und Widerspruch zwischen individuellen und unterneh-merischen Bedarfen allerdings auflösen:

Erst über extrapersonale Werdegelegenheiten und so-ziokulturelle Ansprüche erfährt der Lernende etwasüber seine individuellen Werdepotentiale – darüberalso, was er werden und wollen kann. […] Konkreteinhaltliche Orientierungen, Bedürfnisse und In-

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teressen Lernender bilden sich in der niemals nurablehnenden Auseinandersetzung mit jenen An-forderungen erst heraus, denen sie gegenüber- odersogar entgegengestellt werden. In der Regel sind He-ranwachsende sogar dazu ‚gezwungen‘, aber auchdaran interessiert, jene Kriterien für Relevanz undErfolg ihres Denkens und Handelns zu übernehmen,die in den dominanten Anforderungen jeweils rele-vanter Konkretisierungsformen der Gesellschaft undeben auch in Rekrutierungskriterien des Beschäfti-gungssystems zur Geltung kommen. Konkretes in-haltliches Wollen und Handeln Heranwachsender hatMomente soziokulturellen Sollens unvermeidbar insich aufgenommen. Konkrete Lernbedürfnisse [...]haben sich also in permanenten Lernprozessen,d. h. in der konstruktiven Auseinandersetzung mitGegebenheiten und Anforderungen der gesell-schaftlichen Wirklichkeit entwickelt. [...] Auf allenkonkreten Feldern der Herausbildung individuellerBildungsbedürfnisse kommen also gesellschaftlicheund ökonomische Anforderungen zur Geltung; undzwar wahrscheinlich umso stärker, je mehr gesell-schaftskritisch ambitionierte Pädagogen glauben,Lernende gegen diese Einflüsse und ‚Abhängigkei-ten‘ abschirmen zu können. [...]

So wie kein Unternehmen auf Dauer erfolgreich seinkann, wenn es die Kompetenzen, Interessen und be-gründbaren Bedürfnisse Beschäftigter vernachlässigt,kann kein Bildungssystem als erfolgreich beurteiltwerden, das die Befähigung Lernender diskriminiert,die gesellschaftlichen Arbeitsaufgaben kompetent zubeurteilen und verantwortlich zu erfüllen.

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Möchte man nun nach einer empirischen Ermittlung undnach einem Abgleich von gesellschaftlich-beruflichen undindividuellen Bedarfen diese in ein Curriculum überführen,lässt sich der nötige Vorgang wie in Abbildung 1 visualisie-ren: Die Ergebnisse der Anforderungsermittlungen werdennicht 1:1 ins Curriculum übernommen, sondern kritisch di-daktisch auf ihren Bildungswert reflektiert und selektiert(Sieb). Hierbei spielt auch die Tradition eine große Rolle:Empirische Ergebnisse wollen Curricula nicht revolutionärumstürzen, sondern behutsam modifizieren, indem sie sieempirisch fundieren. Dies kann zu Präzisierungen, Ergän-zungen oder auch Streichungen in bisherigen Curricula füh-ren – doch diese bisherigen Curricula sind immer die Basis(Mutterboden) der neuen, empirisch fundierten Curricula.

Abb. 1: Wie kommen Ergebnisse von Anforderungsermitt-lungen ins Curriculum? (eigene Darstellung)

Diese Basis aus träger Tradition kann sowohl Vor- wie Nach-teile bergen. Da Curricula, wie angedeutet, immer Kompro-

Ergebnisse von Anforderungsermittlungen

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misse und ggf. nur kleinste gemeinsame Nenner und Schnitt-mengen verschiedener Interessensgruppen ((Bildungs-)Politik,Verbände, Wirtschaftsunternehmen, Eltern, SchülerInnen ...)sind, sperren sie sich auch tendenziell gegen Neuerungen, mitdenen alle beteiligten Gruppen einverstanden sein müssen.Hier ist es die Aufgabe der Sprachdidaktik, die kritische Re-flexion und Interpretation der empirischen Ergebnisse trans-parent und verständlich, d.h. nachvollziehbar, für alleoffenzulegen, um für die eigenen Modifizierungsvorschlägezu werben. Diese kritische Reflexion (vgl. Haider 2008) kannund sollte sich dabei etwa auf folgende Aspekte beziehen:

• Verallgemeinerbarkeit der erhobenen Anforderungen • Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit der daraus abgelei-

teten, zu vermittelnden Kompetenzen für Beruf undAlltag – überbetrieblich und ggf. berufsübergreifend

• (moralische ...) Angemessenheit der Inhalte/Kompe-tenzen

• Langfristige Nutzbarkeit (Zukunftswert) der Inhalte/Kompetenzen

• ...

Die empirisch erhobenen Anforderungen müssen demnach vorallem in zweierlei Hinsicht beurteilt und verarbeitet werden,wobei die beiden Perspektiven sich zu widersprechen scheinen:

a) in Hinblick auf die Abstraktion/Verallgemeine-rung der Anforderungen über konkrete Situationen,Betriebe und einzelne Berufe hinweg

b) in Hinblick auf die Spezifizierung der Anforderun-gen auf Basis sprachwissenschaftlicher Analysen(z.B.: Was heißt es und welcher Grammatik und Re-demittel bedarf es, um Textsorte X zu produzieren?)

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Im Folgenden soll exemplarisch an authentischen berufs-bezogenen Curricula gezeigt werden, wie, d.h. auf welcheArt und Weise und mit welchen Themen und Formulierun-gen, die Ergebnisse empirischer Anforderungsermittlungensich in Curricula niederschlagen. Dabei werden Curricula– in verschiedenen Phasen der Erstellung – betrachtet, anderen Entwicklung oder bei deren wissenschaftlicher Be-gleitung der Verfasser federführend oder beratend mitge-wirkt hat. Die empirische Basis besteht dabei inmannigfachen eigenen sowie empirischen Erhebungen an-derer Wissenschaftler zur Anforderungsermittlung in derberuflichen Ausbildung (vgl. etwa Efing 2010, Efing/Häuß-ler 2011, Efing 2014b, Efing/Grünhage-Monetti/Klein2014, Efing 2017). Diese Ergebnisse liegen vor etwa in Listen von relevanten Textsorten, Diskursarten und kommunikativen Praktiken mitsamt Beschreibung textlin -guistischer, registerbezogener und grammatischer Charak -te ristika, typischen Kommunikationssituationen inkl.Kontextfaktoren, Fähigkeitslisten (Kann-Beschreibungen)sowie in Form von authentischen Textsortenexemplarenbzw. Gesprächsaufzeichnungen.

2. Sprachlich-kommunikativer Berufsbezug in Curricula

Berufliche Anforderungen können auf verschiedene WeisenEinzug in Curricula halten. Vor allem ist zu unterscheidenzwischen Berufsbezug als (nur mehr oder weniger künst-lich-aufgesetzte oder aber authentische) oberflächlicheRahmung bzw. berufliche Kontextualisierung von sprach-lich-kommunikativen Kompetenzen und Kommunikations-situationen gegenüber einer in die Tiefe gehendenVeränderung von Curricula im Bereich der aufgenomme-nen Kompetenzen. In letzterem Fall muss der Berufsbezug

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überhaupt nicht auf den ersten Blick ersichtlich sein: Wennetwa ein Curriculum im Kompetenzbereich „Sprechen“darum ergänzt wird, dass SchülerInnen Sachen (Erklären-WAS), Abläufe/Prozesse (Erklären-WIE) und Gründe (Er-klären-WARUM) erklären können sollen, dann ist zunächstnicht ersichtlich, dass hier eine Veränderung des Curricu-lums auf Basis einer beruflichen Anforderungsermittlungstattgefunden hat. Dies erschließt sich erst, wenn man weiß,dass Anforderungsanalysen wie Analysen von bestehendenCurricula zeigen, dass einerseits das Erklären eine Kompe-tenz ist, über die Auszubildende aktiv verfügen müssen –etwa wenn sie ihren Mit-Azubis oder Praktikanten die Be-dienung einer Maschine erklären müssen –, und dass ande-rerseits bestehende Curricula das Erklären fast nicht, undwenn, dann als Lehreraktivität enthalten (vgl. Efing 2010).Deutlicher sichtbar wird der Berufsbezug, wenn kommu-nikative Praktiken wie das Instruieren aufgenommen wer-den – aber auch hier ist keine explizite (aufgesetzte)berufliche Kontextualisierung von Instruktionen nötig, umeinen berufsvorbereitenden Sprachunterricht zu gewähr-leisten; auch das Erlernen von Instruktionen im alltäglichenBereich bereitet auf das Formulieren von Instruktionen imberuflichen Bereich vor.

Tendenziell kann gesagt werden, dass die Sichtbarkeit desBerufsbezugs in Abhängigkeit von der Zielgruppe und derSpezifität des Curriculums abnimmt von direkt fachbezo-genen (höchste Sichtbarkeit) über berufs(welt)bezogene hinzu berufsrelevanten (geringste Sichtbarkeit) Curricula.

Auch wenn im Folgenden konkrete Curricula analysiert wer-den, stehen nicht Einzelanalysen und Bewertungen konkreterCurricula im Vordergrund, sondern ganz grundsätzliche

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Überlegungen, auf welche Weise empirische Forschungs -ergebnisse sinnvoll Einzug in bildungspolitische Steuerungs-mittel erhalten können – und wie dies nicht geschehen sollte.

2.1 Deutsch als Fremdsprache

Im ersten Fall, der betrachtet wird, handelt es sich um denAnhang „Berufsorientiertes Deutsch“ zum „RahmenplanDeutsch als Fremdsprache für das Auslandsschulwesen“(ZfA 2017), der auf das Deutsche Sprachdiplom I Pro (DSDI PRO) (Niveau A2/B1) als eine Prüfung für allgemein be-rufsorientiertes Deutsch hinführt. Im theoretischen Rahmenzu diesem Anhang wird differenziert zwischen Allgemein-sprache, berufsorientierter Sprache und Fachsprache und eswird erklärt, dass das DSD I PRO auf berufsorientierte, abernicht auf fachliche Sprache in einem berufsbezogenen DaF-/DaZ-Unterricht zielt; berufsorientierte Sprache wird dabeials von Anfang an parallel zur Allgemeinsprachenvermitt-lung lehr- und lernbar angesehen.

Exemplarisch kann an diesem Anhang „BerufsorientiertesDeutsch“ gezeigt werden, wie Berufsorientierung v.a. durchdie Kontextualisierung, d.h. durch einfache Bezugnahmeauf berufliche Kommunikationssituationen oder ggf. The-men hergestellt wird – ohne dass es hierfür empirischer Ein-blicke in die berufliche Kommunikationsrealität bedurfthätte. So heißt es im Kompetenzbereich „An Gesprächenteilnehmen“ (ZfA 2017: 9) etwa:

„Im Einzelnen können Schüler z.B.

• im beruflichen Kontext auf sehr einfache Weise Zu-stimmung oder Ablehnung ausdrücken. […]

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• eigene berufsbezogene Ziele oder Hoffnungen be-schreiben und auf Ziele und Hoffnungen anderer rea-gieren. […]

• im Beruf ein Gespräch oder eine Diskussion begin-nen, fortführen und aufrecht erhalten […]“

Diese schlichte Kontextualisierung „im beruflichen Kon-text“, „im Beruf“ bzw. „berufsbezogene Ziele“, die wenigaussagt und wenig hilfreich für einen berufsorientierten, em-pirisch fundierten Unterricht ist, da unklar bleibt, was dasBerufsspezifische am Ausdrücken von Zustimmung oderBeschreiben von Hoffnungen ist, wird partiell exemplarischpräzisiert, wenn es heißt: „Im Einzelnen können Schülerz.B. im beruflichen Kontext persönliche Vorlieben und Ab-neigungen (z.B. Auswahl der Schicht oder eines Arbeits-mittels) knapp beschreiben und erklären“ (Herv. v. Verf.).Diese Themenvorschläge geben Hinweise auf potentiell be-rufsorientierte Lexik. Auch Formulierungen wie „im Berufmit einfachen Wendungen Fragen zu ihrem Befinden oderihrer aktuellen Tätigkeit beantworten“ (Herv. v. Verf.)oder „Arbeitsaufgaben oder Arbeitsabläufe in einfachenSchritten beschreiben und über dabei gemachte Erfahrungenberichten“ (ZfA 2017: 12, Kompetenzbereich „Zusammen-hängend sprechen“, Herv. v. Verf.) nähern sich deutlichereiner sinnvollen Berufsorientierung an, da Fragen zur aktu-ellen (beruflichen) Tätigkeit typisch und regelmäßig imRahmen einer Ausbildung auftreten und es eine gängige An-forderung ist, diese – unter Verwendung von Lexik, die fürberufliche Tätigkeiten typisch ist – beantworten zu müssen;eine Anforderung zudem, die abweicht von allgemein-sprachlichen Anforderungen wie dem Antworten auf Fragennach dem Befinden und die daher spezifischere Redemittelverlangt. Das Beschreiben eines (Arbeits-)Prozesses ver-

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langt andere Fähigkeiten als das Beschreiben eines Gegen-standes wie z.B. eines Zimmers.

Wie eine eher traditionelle Übernahme aus allgemeinsprach-lichen Curricula wirkt die Formulierung (aus dem Kompe-tenzbereich „Leseverstehen“) „im beruflichen Kontextlängere Textpassagen Sinn konstruierend lesen“ (ZfA 2017:14), zumal, wenn man aus empirischen Anforderungsermitt-lungen weiß, dass längere Textpassagen in einer Ausbildungnur in speziellen Berufen v.a. für Höherqualifizierte vor-kommen und dass Arbeitnehmer auch nur selten „im beruf-lichen Kontext längere Texte […] vortragen“ (ebd.) müssen,auch wenn der Hinweis auf „(z.B. eine Rede)“ eine sinn-volle Exemplifizierung darstellt. Hier scheinen traditionelleallgemeinbildende – und deswegen keineswegs unsinnige –Anforderungen und Zielvorstellungen durch, die allerdingswenig mit den Ergebnissen empirischer Erhebungen zu tunhaben – bzw. nur mit sehr speziellen Berufsbildern.

Empirische Ergebnisse haben hingegen sinnvoll und kon-kret in Form der Aufnahme typischer berufsbezogenerTextsorten in den Rahmenplan Einzug gehalten, so etwadie explizite Nennung von „beruflich relevanten Formula-ren […] (z.B. Anmeldebogen des Arbeitgebers oder des Sozialversicherungsträgers usw.) […] Personalbogen, Ur-laubsantrag“ (ZfA 2017: 17), von Unfall- und Tätigkeits-bericht (ebd.) usw.

2.2 Deutsch als Erst- und Zweitsprache

Beim zweiten Beispiel, das hier behandelt werden soll, han-delt es sich um die Entwicklung eines Curriculums für(sprach-)schwache Berufsschüler aus dem Bereich des Deut-

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schen als Mutter- und Zweitsprache. Dieses Curriculumwurde durch den Verfasser im Rahmen des Projektes „Nie-manden zurücklassen – berufsbildende Schule“ des Institutsfür Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holsteinentwickelt und diente als Grundlage für die Entwicklungdes Lehrwerks „Basistrainer Mathematik, Deutsch und Eng-lisch“ (IQH/LSBB 2016). Basis waren die bereits erwähntenvorgängigen empirischen Anforderungsermittlungen. Vorabgab es zwar die Vorgabe, das Curriculum in fünf Bereichezu strukturieren, sonst aber keinerlei inhaltliche Vorgabenseitens der Bildungspolitik, wie das Sprachcurriculum aus-zusehen habe, so dass der Verfasser zwei Vorschläge erar-beitete: einen stärker an (inhaltlichen wie strukturellen)curricularen Traditionen orientierten Vorschlag sowie eineninnovativeren, der eine neue Perspektive und Aufteilungeinnahm und schließlich auch weiterverfolgt wurde.

Der traditionelle Vorschlag orientierte sich an der (in deut-schen Curricula gängigen) Einteilung des Faches Deutschin die vier Kompetenzbereiche „Sprechen und Zuhören“,„Schreiben“, „Lesen – Umgang mit Texten und Medien“,„Sprachbewusstheit/Sprache und Sprachgebrauch untersu-chen“. Der zweite Vorschlag rückte die quer zu diesen Be-reichen liegenden Kompetenzen, wie etwa die Register- undWortschatzkompetenz, als Kategorisierungsgrundlage inden Vordergrund und wird im Folgenden näher erläutert.Zentral gesetzt wurden die

1) Registerkompetenz 2) Sprachhandlungs-/kommunikative Kompetenz 3) Informationsverarbeitungskompetenz 4) Sprachreflexion/Sprachbewusstheit 5) Strategische Kompetenz.

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Grundlegend für die Entwicklung des Curriculums für einenberufsvorbereitenden Deutschunterricht waren drei Leitideen:

• Es sollte eine Progression des Berufs- und Fach-bezugs geben, ausgehend von Alltagssituationenüber Situationen der Bewerbung/Ausbildung hin zuberuflichen Alltagssituationen, die sprachlich-kom-munikativ bewältigt werden müssen.

• Hauptziel sollte es sein, die SchülerInnen zu befähi-gen, kommunikativ angemessen und erfolgreichzu handeln, d.h. verständlich/nachvollziehbar undfunktional wie situativ angemessen (sachangemes-sen, adressatengerecht, intentionsgerecht) zu kom-munizieren.

◦ Sprachlich-kommunikative Effektivität und Ak-zeptabilität wurden damit stärker gewichtet alssprachliche/ sprachsystematische Korrektheit.Dies hatte zur Folge, dass bewusst keine eigen-ständigen Ziele zu Rechtschreibung und Gram-matik formuliert wurden.

◦ Stattdessen sollte stark die quer liegende Regis-terkompetenz fokussiert werden; hierzu gehörtzentral ein angemessener und angemessen um-fangreicher produktiver wie rezeptiver Wort-schatz in verschiedenen Registern (Standard-,Bildungs-, Berufs-, Fachsprache) sowie dieKenntnis Register-spezifischer oder -typischerText- und Diskursarten.

• Im Sinne eines Spiralcurriculums sollten Themenund Aspekte sowie (Teil-)Kompetenzen als roterFaden immer wieder aufgegriffen werden, um denSchülerInnen so den Zusammenhang der fünf Bau-steine zu verdeutlichen.

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• Die einzelnen Bausteine wurden schülergerecht als„Kann-Beschreibungen“ formuliert.

Der konzeptionell zentrale erste Baustein – in der Buchver-sion dann „dezentralisiert“ als vierter Baustein und schüler-gerecht umbenannt zu „Sprachen in der Sprache entdecken“auftauchend – lautet wie folgt:

Ich kann ...

1) Verschiedene Varietäten und Register verstehen,unterscheiden und angemessen einsetzen (Regis-terkompetenz)

a) Standard- und Bildungssprache mündlich wieschriftlich verstehen und beherrsche den jeweilsregistertypischen grundlegenden Wortschatzpassiv;

b) Standard- und Bildungssprache von Umgangs-und Jugendsprache in Form und Funktion unter-scheiden und weiß, in welcher Situation, bei wel-cher Funktion und bei welchem Adressaten ichwelches Register anwende; dabei beherrsche ichrelevanten standard- und bildungssprachlichenWortschatz aktiv;

c) Alltagsgebräuchliche Fach- und berufssprachli-che Begriffe und Textmuster verstehen und kennedie Funktion und sprachlichen Besonderheitenvon Fach-und Berufssprache.

Deutlich wird hier Progression von Standard- und Bil-dungssprache (a), die eigentlich von den Vorgängerschulenvorausgesetzt werden können sollten, zu Fach- und Berufs-sprache (c), die aber – im berufsvorbereitenden Stadium –

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nur in alltagsgebräuchlichen Begriffen und Textmusternsowie v.a. rezeptiv beherrscht und erkannt werden müssen.

Die im Schulbuch veröffentlichte, sprachlich leicht modifi-zierte Version vermeidet die Registerbezeichnung Berufs-sprache und fokussiert stattdessen die Verwendungsdomänen(Alltag, Schule, Praktikum, Betrieb), kontrastiert „formelleSituationen“ mit „Freizeit“ und möchte SchülerInnen befä-higen, sich hier jeweils „angemessen verständigen“ zu kön-nen. Die Register werden also korrekt als situations- undfunktionsangemessenes Kommunizieren aufgegriffen. Gleich -zeitig werden bereits sprachreflexive Kompetenzen undSprachbewusstheit eingefordert, wenn die SchülerInnen„zentrale Unterschiede zwischen Jugend-, Alltags-, Schul-sprache und (Fach)Sprache im Betrieb“ kennen müssen.

Baustein 2, der im Schulbuch als Basis zu Baustein 1 wird,stellt Text- und Gesprächsarten in den Vordergrund und lau-tet im Konzept wie folgt:

Ich kann ...

2) Alltags- und ausbildungsrelevante kommunika-tive Gattungen und kommunikative Praktikenmündlich wie schriftlich rezipieren und produzie-ren (Sprachhandlungskompetenz/ kommunika-tive Kompetenz)

a) auf basale Gesprächs-, Lese- (Leseflüssigkeit)und Schreibfähigkeiten zurückgreifen und sichschriftlich wie mündlich nachvollziehbar ver-ständlich machen;

b) kontinuierliche und diskontinuierliche sowiemultimodale Texte (mit hoher Informations-

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dichte) lesend in ihrer Funktion und Aussageverstehen und selber zielgerichtet verfassen (Informationstexte, Protokolle, Tabellen, Formu-lare, tabellarischer Lebenslauf, Bewerbungs-schreiben ...);

c) Alltags- und ausbildungsrelevante Gesprächeverstehen und selber aktiv führen (Bewerbungs-gespräch, Diskussionen ...);

d) Alltags- und ausbildungsrelevante Textsorten undTextmuster bzw. Diskursarten erkennen, sie le-send/zuhörend verstehen und selber mündlichwie schriftlich gestalten;

e) Alltags- und ausbildungsrelevante Sprachhand-lungen/ kommunikative Praktiken mündlich(Prozesse und Produkte beschreiben, erklärenWIE/WAS, Meinung vertreten/ argumentieren,Themen/Meinungen/Ergebnisse präsentieren,moderieren ...) wie schriftlich (zusammenfassen,exzerpieren, dokumentieren ...) angemessen aus-führen;

f) auf Basis des Verständnisses von Texten und Ge-sprächen Anschlusshandlungen durchführen (In-formationen in Handlungen überführen).

Der Berufs- bzw. Ausbildungsbezug liegt hier deutlich inder Auswahl der Textsorten und kommunikativen Praktiken,deren Relevanz und Frequenz sich aus den empirischen An-forderungserhebungen ergeben hat. Neben den basalen, all-gemeinen Aspekten wie Leseflüssigkeit dominieren daherv.a. berufs-/ausbildungstypische Textformate (siehe v.a. b,e), die rezeptiv wie produktiv beherrscht werden müssen.Dass Schriftlichkeit (Schreiben und Lesen) sowie Münd-lichkeit (Sprechen und Zuhören) hier zusammengefasst wer-

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den, resultiert ebenfalls daraus, dass die empirischen Anfor-derungsermittlungen gezeigt haben, dass diese Fähigkeitenimmer in Zusammenhang stehen und in umfassenden Ar-beitsprozessen gemeinsam und verschränkt verlangt und an-gewendet werden und dass die traditionelle Einteilung inCurricula (Sprechen und Zuhören vs. Schreiben vs.Lesen/Umgang mit Texten und Medien als je eigene Kate-gorien) einen rein analytischen Wert hat, der der Realitätnicht entspricht. Punkt f) ist eine schulisch traditionell ver-nachlässigte Perspektive: Während in allgemeinbildendenSchulen sprachliche Tätigkeiten oft als Selbstzweck erschei-nen und ihrer eigenen Verbesserung dienen (schreiben, umschreiben zu lernen usw.) – oder aber Sprache als Lernme-dium mit dem Ziel des Aufbaus und Behaltens von Wissensist –, dient Sprache/Kommunikation im Beruf immer alsMittel zu einem außersprachlichen Handlungszweck. Daherwird hier eigens betont, dass die Verschränkung von sprach-lichen und außersprachlichen Anschlusshandlungen derWeiterarbeit mit sprachlich formulierten Ergebnissen einzentrales Element in berufsvorbereitendem Sprachunterrichtsein sollte. Diesen Unterschied reflektiert für den Bereichdes Lebens die Gegenüberstellung von Ziegler et al. (2012)in studierendes vs. funktionales Lesen.

In der Schulbuchversion wurde auf die Differenziertheit derDarstellung berufstypischer Textformen verzichtet. Statt derexpliziten Nennung von Textsorten, Darstellungsformenund kommunikativen Praktiken wie Protokolle, Tabellen,Formulare, unterschiedliche Erklärhandlungen usw. wirdhier nur summarisch davon gesprochen, dass SchülerInnen„typische Sach- und Fachtextsorten im Groben lesen undverstehen“ sowie „grundlegende alltags-, ausbildungs- undberufsrelevante Textsorten verfassen“ können sollen.

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Im dritten (bzw. im Schulbuch zweiten) Baustein geht esum das Einholen und Verarbeiten von Informationen:

Ich kann ...

3) selbstständig Informationen einholen und verar-beiten (Informationsverarbeitungskompetenz)

a) Informationen in Print- und digitalen Nachschla-gewerken sowie dem Internet recherchieren bzw.in Gesprächen einholen/erfragen;

b) zentrale verbale und nonverbale Informationenaus Texten und Gesprächen erfassen, festhalten,strukturieren, analysieren und interpretieren/be-werten;

c) Informationen aus Texten und Gesprächen sowiefür andere relevante Arbeitsergebnisse mündlichund schriftlich aufbereiten und präsentieren.

Generell relevant ist die Informationsrecherche und -verar-beitung, da Berufstätige im Beruf und schon in der Ausbil-dung immer stärker selbstständig und eigenverantwortlichInformationen einholen und aufbereiten/präsentieren bzw.weiterverarbeiten müssen. Weniger zentral speziell mit Blickauf die Ausbildung ist hier die Nennung medialer Recherche;aber als von Ausbildern stark angemahnt hat sich in empiri-schen Erhebungen die mündliche Einholung von Informatio-nen gegenüber KollegInnen erwiesen. Regelmäßig wird esals Defizit beanstandet, dass Auszubildende zu selten ein In-formationsdefizit artikulieren; es wird gefordert, dass Aus-zubildende öfter nachfragen müssten, wenn sie etwas nichtverstehen oder ihnen Informationen fehlen. Hierfür bedarf esnicht nur des nötigen Mutes, sondern auch der Fähigkeit, deneigenen Informationsbedarf zu erkennen, zu präzisieren/ein-

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zugrenzen und dann benennen zu können. Auch das „Fest-halten, Strukturieren, Analysieren, Interpretieren/Bewerten“der eingeholten Informationen ist keineswegs ein trivialerAspekt, da Ausbilder häufig bemängeln, dass Auszubildendezwar häufig gut im Internet recherchieren können, aber diekritische Reflexion der Informationsquellen ebenso zu kurzkommt wie die Weiterverarbeitung der Informationen, diezumeist nur ausgedruckt/abgespeichert, aber eben nicht ana-lysiert, mit dem Recherchezweck abgeglichen und aufbereitetwürden. Schließlich zeigen teilnehmende Beobachtungen,dass das Festhalten von mündlich vermittelten Informationenin Form von Notizen/Mitschriften absolut unüblich, aberdringend zu empfehlen und auch in der Umsetzung (sprach-liche Kurzform) explizit einzuüben ist.

Die Buchversion weicht kaum vom ursprünglichen Konzeptab, streicht allerdings mangels vorhandener Aufgaben dieexplizite Nennung des Aspekts der Verarbeitung nonverba-ler Informationen.

Baustein 4 (im Schulbuch: 3) widmet sich dem traditionellenBereich der Untersuchung von Sprache und Sprachgebrauch,fokussiert hier aber – siehe oben – den Sprachgebrauch aufKosten von Inhalten zu Grammatik oder Rechtschreibung:

Ich kann ...

4) Mir mein und das Sprachverhalten anderer be-wusst machen und es reflektieren (Sprachbe-wusstheit, Sprachreflexion)

a) erkennen, wenn ich etwas in einem Gespräch/Textnicht verstanden habe, und gezielt Nachfragenstellen;

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b) über den Zusammenhang von Intention/Funktion,sprachlichen Mitteln und Wirkung reflektieren;

c) fiktionale von pragmatischen Texten/Diskursenunterscheiden;

d) mein eigenes schriftliches wie mündliches Sprach-verhalten (insb. die Registerwahl, Wortschatz undStil) bezüglich seiner Ziel- und Situationsange-messenheit (und Adressatenorientierung) hinter-fragen und ggf. variieren/flexibel ändern;

e) die Relevanz von Sprache und Kommunikationfür die berufliche Handlungskompetenz erfassen.

Dieser Baustein ist vor allem als deutliches Schulspezifikumzu sehen – im besten, weil notwendigen Sinn. In den ande-ren Bausteinen bereitet der Sprachunterricht auf die realenproduktive wie rezeptiven Kommunikationsanforderungenim (Alltag und) Beruf vor, indem es diese Anforderungenaufgreift und die Bewältigung einübt. In Baustein 4 wirdder Annahme gefolgt, dass sich berufliches Kommunizierennicht nur durch berufliches Kommunizieren verbessert(learning by doing, Schreiben lernt man durch Schreibenusw.) – dann bräuchte es keinen schulischen Sprachunter-richt. Vielmehr wird angenommen, dass sich beruflichesKommunizieren nur verbessern lässt, indem man über be-rufliches Kommunizieren nachdenkt, es reflektiert, seineAnforderungen, Gelingensbedingungen usw. reflektiert –und dies als generell Haltung ausbildet. Daher ist hier wie-derholend zu betonen, dass dieser Baustein, dass diese As-pekte der Sprachreflexion und der Ausbildung vonSprachbewusstheit quer zu den sprachlichen Teilfertigkeitendes Sprechens, Zuhörens, Schreibens und Lesens liegen undim Unterricht immer mit zu beachten und zu integrierensind. Denn im Betrieb fehlt die Zeit und die Einsicht in die

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Relevanz der Reflexion der beruflichen Kommunikation;im Betrieb wird eben nur beruflich kommuniziert, nicht überberufliches Kommunizieren nachgedacht. Die Schule musshier komplementär wirken. Ziele wie die „Angemessenheit“und „Flexibilität“ sprachlichen Handelns setzen eine Refle-xion und Bewertung der Kommunikationssituation und einbewusstes Wissens um das eigene individuelle Repertoiresowie um die Wirkung bestimmter kommunikativer Mittelund die Funktion und Relevanz bestimmter Register voraus.Hier liegt also eine deutliche Nähe zum Baustein der Regis-terkompetenz.

Und auch die generelle Bereitschaft, sich überhaupt nocheinmal während einer Ausbildung oder im Beruf, also nachder allgemeinbildenden Schule, mit Sprachunterricht ausei-nanderzusetzen bzw. darauf einzulassen, setzt voraus, dassein Lerner die Relevanz von Sprache und Kommunikationfür berufliche Handlungskompetenz erkannt hat: dass undwie man (ggf. nur) mit Sprache ein außersprachliches Zielerreicht. Diese Einsicht und damit die Bereitschaft, sichsprachlich fördern zu lassen, setzt Reflexion und Bewusst-heit voraus.

Bereits beim vorherigen Baustein wurde zudem erwähnt,dass es wichtig ist zu erkennen, wann man eine Informationnicht vollständig erfasst hat – also die Grenzen der eigenenSprachverarbeitung zu erfassen, um nachfragen oder nach-lesen zu können, statt uninformiert handeln zu müssen undFehler zu machen.

Im Falle dieses Bausteins weicht das Schulbuch – abgese-hen von Formulierungsnuancen – nicht vom der ursprüng-lichen Konzeption ab.

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Der letzte, ebenfalls deutlich zu allen anderen quer liegendeBaustein betrifft die strategische Kompetenz:

Ich kann ...

5) Strategiewissen aktivieren und gezielt Strategieneinsetzen (strategische Kompetenz)

a) gezielt und text- und zielangemessen Lese-,Zuhör- und Schreibstrategien sowie Strategiender Informationsverarbeitung einsetzen;

b) meinen Text- und Gesprächs-Rezeptions- und Pro-duktionsprozess planen und Texte überarbeiten;

c) Verstehens-, Schreib- oder Wortschatz-Problemeerkennen und auf alternative Strategien odersprachliche Mittel ausweichen (Kompensations-fähigkeit, Selbstregulation);

d) Textsorten- und Textmusterwissen zu einschlägi-gen Textsorten und Diskursarten für die Text-/Ge-sprächsproduktion und -rezeption aktivieren.

Der bewusste, selbstregulative Strategieeinsatz bei rezepti-ven wie produktive sprachlichen Tätigkeiten ist ein derartgrundlegendes Ziel, dass es schwierig ist, hier berufsspezi-fische Aspekte zu erkennen und unterzubringen, sodass sichhier eine nähere Kommentierung erübrigt.

3. Ausblick: Eingang empirischer Erhebungen in Aufgaben

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Sprachbedarfs-und Anforderungsermittlungen nicht nur helfen, empirischfundierte Curricula mit authentischem Berufsbezug zu ent-wickeln, sondern dass die Ergebnisse der empirischen Er-

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hebungen auch wertvolle Unterstützung bei der Erstellungvon berufsbezogenen Aufgaben und Lehr-Lern-Materialienleisten. Neben einem Einblick in sinnvolle Themen und zufördernde (Teil-)Kompetenzen gewähren sie nämlich auchHinweise für die Gestaltung authentischer Lehr-Lern-Ar-rangements bzw. didaktischer Settings. Zu bearbeitende(schriftliche wie Hör-)Texte können direkte, anonymisierteÜbernahmen aus betrieblichen Materialien sein oder in An-lehnung an diese mit identischen Anforderungen gestaltetwerden. Vor allem aber zeigen die empirischen Erhebungen,was authentische oder realistische, auf jeden Fall aber sinn-volle Szenarien, Fallbeispiele oder Projekte in einem hand-lungsorientierten, berufsbezogenen Sprachunterricht seinkönnen, in dem Berufssprachbezug mehr als nur eine moti-vierende Hintergrundfolie (Aufgabenrahmung) ist, sondernsich v.a. in den Lern-/Kompetenzzielen, Aufgabenformatenund Unterrichtsmaterialien zeigt.

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Curriculumentwicklung für den berufs -bezogenen Unterricht DaF in Polen – theoretische Voraussetzungen, staatliche Regelungen und „gute Praxis“

Przemysław Wolski (Universität Warschau)

Im vorliegenden Beitrag wird die Problematik der Curricu-lumentwicklung für den berufsbezogenen Unterricht DaFim Lichte der polnischen Schulreform von 2016 untersucht.Nach einem geschichtlichen Abriss werden die relevantenBestandteile der neuen Rahmenpläne unter die Lupe genom-men, wobei ganz besonders auf die Zusammenhänge ausder Sicht des Fremdsprachenunterrichts hingewiesen wird.Anschließend werden die Perspektiven des Unterrichts DaFim Kontext der Berufsausbildung erörtert und die Praxis derCurriculumentwicklung unter den vorhandenen Bedingun-gen thematisiert.

1. Geschichtlicher Abriss

Vor 1999 wurde den Lehrenden vom Schulsystem die Rolleder Produzenten in der Verwirklichung des einzigen staatli-chen Curriculums zugeteilt, was eine instrumentale Funktionmit sich brachte. Der einzige Lehrplan des Bildungsministe-riums enthielt fertige Unterrichtsziele, die es nur zu realisierengalt. Dies hatte zur Folge, dass alle Fortbildungsformen undKonferenzen von Widerstand und Unzufriedenheit geprägtwaren, wobei die Lehrenden mit den ihnen zugeschriebenenRollen nicht einverstanden waren und mehr Selbstständigkeitund Vertrauen erwarteten. Andererseits gab es bis dahin wirk-

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lich nur einen Lehrplan, der staatlich und anonym war. Soboten auch die Studiengänge für die Lehrerausbildung kaumInformationen über die Curriculumvorbereitung, was übri-gens bis heute des Öfteren der Fall ist (Olszowska 2012: 11).

In der ersten Hälfte der Neunzigerjahre wurden zwar einigealternative Lehrpläne veröffentlicht, die zwar nicht offiziellanerkannt waren, dennoch wurden sie von der Schulbehördeakzeptiert und die Autoren belohnt. Mit dem Eintritt der ers-ten Schulreform im Jahr 1999 wurden sofort einige HundertLehrpläne erstellt, durchschnittlich ca. 30 für jedes Fach aufjeder der vier Bildungsstufen. Einige der neuen Lehrplänestammten von Wissenschaftlerteams, die nicht in Schulenangestellt waren. Andere Curricula, größtenteils von großenLehrbuchverlagen veröffentlicht, beriefen sich hingegen aufErfahrungen von praktizierenden Lehrkräften, die in Leh-rerfachverbänden tätig waren. (Olszowska 2012: 12)

Seit dem Eintritt der Schulreform von 2016 besteht dasSchulsystem nach der achtjährigen Grundschule aus vier -jährigen Oberschulen (liceum/Lyzeum), fünfjährigen tech-nischen Fachschulen (technikum) und zweistufigenBranchenschulen, die die bisherigen Berufsschulen ersetzen.Nach zwei Jahren kann dann der Absolvent der Branchen-schule entscheiden, ob er seinen Beruf weiterlernen will.Wenn er sich für diese Variante entscheidet, absolviert erzwei zusätzliche Jahre und kann ein Branchen-Abitur beste-hen, das zum Bachelor- bzw. Ingenieurstudium berechtigt.

2. Berufsbezogener Fremdsprachenunterricht

In polnischen Berufsschulen kommt der Fremdsprachenun-terricht in zwei Formen vor, erstens als Teil des allgemein-

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bildenden Unterrichts, als so genannter berufsbezogenerUnterricht. Dem deutschen Begriff berufsbezogener Fremd-sprachenunterricht (Funk 2007: 175) entspricht am ehestender VOLL-Ansatz (Vocationally-oriented language lear-ning) des Europarats, der

ähnlich wie der deutsche Begriff einen eigenständigen,thematisch und pragmatisch zweckorientierten undnicht per definitionem berufs- oder fachspezifischenSprachunterricht impliziert, in dem Lernende mit be-rufsbezogener Motivation und teilweise auch mit be-ruflicher Erfahrung eine Sprache lernen, mit dem Ziel,sie auch oder vorwiegend in beruflichen Handlungszu-sammenhängen zu verwenden (Funk 2007: 175).

Zweitens ist der Fremdsprachenunterricht ein Teil des be-rufsbezogenen Unterrichts, als sog. Fachfremdsprachenun-terricht. Unter Fach(fremd)sprachenunterricht verstehtFearns (2007: 170) einen fachbezogenen Fremdsprachen-unterricht, der eine Variante des Fremdsprachenunterrichtsdarstellt, mit dem spezifischen Ziel, die fremdsprachlicheHandlungskompetenz im Fach gemäß den Bedürfnissen derLernenden auf- und auszubauen.

Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die bei-den Unterrichtsformen ungefähr der Unterscheidung ent-sprechen, die die drei den Unterricht an polnischenBerufsschulen regelnden Dokumente enthalten:

Rozporządzenie Ministra Edukacji Narodowej z dnia31 marca 2017 r. w sprawie podstawy programowejkształcenia w zawodach“ und „Rozporządzenie Minis-tra Edukacji Narodowej z dnia 30 stycznia 2018 r. w

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sprawie podstawy programowej kształcenia ogólnegodla czteroletniego liceum ogólnokształcącego, pięcio-letniego technikum oraz dwuletniej branżowej szkołyII stopniaRozporządzenie Ministra Edukacji Narodowej z dnia14 lutego 2017 r.w sprawie […] podstawy programo-wej kształcenia ogólnego dla szkoły podstawowej, […]branżowej szkoły I stopnia (…) oraz szkoły policealnej(PPKZ 2017, PPKO 1 2017, PPKO 2 2018).

Im Rahmenplan der Berufsausbildung wird aber der Begriffjęzyk obcy ukierunkowany zawodowo (berufsbezogenerFremdsprachenunterricht) dort verwendet, wo die Lernziel-beschreibungen eher auf den Fach(fremd)sprachenunterrichtbezogen sind.

3. Rahmenplan

Unter dem Rahmenplan (podstawa programowa) wird impolnischen Bildungsrecht eine Zusammenstellung von ob-ligatorischen Bildungsinhalten und Fähigkeiten verstanden,die auf der jeweiligen Bildungsstufe in den Lehrplänen zuberücksichtigen sind und es ermöglichen, Kriterien der Notengebung und Prüfungsanforderungen festzulegen.

Der vom Bildungsminister verordnete Rahmenplan gilt füralle Schultypen und Bildungsstufen und wurde in seinerletzten Fassung von 2017-2018 in drei Dokumenten veröf-fentlicht: Rahmenplan für Allgemeinbildung an Grundschu-len und Branchenschulen der ersten Stufe, Rahmenplan fürAllgemeinbildung an Oberschulen, technischen Fachschu-len und Branchenschulen der zweiten Stufe sowie Rahmen-plan der Berufsausbildung.

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Das polnische Schulsystem sieht vor, dass in allen Berufs-schulen gleichzeitig zwei Rahmenpläne realisiert werden: derentsprechende Plan der Allgemeinbildung sowie der Rahmen-plan der Berufsausbildung. Diese Realisierung geschieht abernicht direkt, sondern über Lehrpläne, die für jede einzelneSchule von Schulleitern bewilligt werden müssen.

4. Lehrpläne

Im polnischen Bildungsrecht bedeutet der Lehrplan (pro-gram nauczania) ein schulspezifisches Verzeichnis der Vor-gehensweisen zur Realisierung der Lehr- und Lernziele bzw.anderer Aufgaben der Schule, die im Rahmenplan festgelegtwurden. Obwohl ein Lehrplan theoretisch alle Fächer undBildungsaufgaben der jeweiligen Schule beschreiben kann,beziehen sich die meisten Lehrpläne auf konkrete Fächer aufeiner Bildungsstufe. Fertige Vorlagen für schulische Lehr-pläne werden von Schulbuchverlagen geliefert, diese werdenjedoch für die vorliegenden Bedingungen von Lehrkräftenadaptiert und vom Schulleiter bewilligt. Im polnischenSchulwesen funktionieren also hunderte von zugelassenenLehrplänen, was den einzelnen Lehrenden einen hohen Gradan Autonomie gewährt. Andererseits werden alle Lehrplänenach Verordnung eines neuen Rahmenplans ungültig.

5. Rahmenplan der Berufsausbildung

Die Berufsausbildung wird nach der Schulreform von 2016in mehreren Schultypen realisiert, dazu gehören:

– dreijährige Branchenschulen der ersten Stufe (szkołabranżowa pierwszego stopnia),

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– zweijährige Branchenschulen der zweiten Stufe (szkołabranżowa drugiego stopnia),

– fünfjährige technische Fachschulen (technikum),– weiterführende Aufbauschule (szkoła policealna).

Der Rahmenplan für die Berufsausbildung enthält u.a. eineZusammenstellung von Berufen, die dem polnischen Qua-lifikationsrahmen zugeordnet wurden. Außerdem wurdenalle aufgelisteten Berufe Schultypen zugeordnet, in denendie verlangten Qualifikationen erlangt werden können. Dasneue Schulsystem ermöglicht den Absolventen der dreijäh-rigen Branchenschule den Erwerb von Berufen, die sonstden technischen Fachschulen zugeordnet sind, indem sienach dem Schulabschluss die Branchenschule der zweitenStufe besuchen können (vgl. PPKZ 2017: 3).

Wie bereits erwähnt, gehört die berufsbezogene Fremdspra-che zu den Inhalten des Rahmenplans für Berufsausbildung,als zur so genannten JOZ. Die Richtziele, die sich auf alleBerufe beziehen, lauten wie folgt:

1. Der Lernende verfügt über ein Repertoire von lexikali-schen, grammatischen, orthografischen und phonetischenSprachmitteln, die ihn in die Lage versetzen, berufsbezo-gene Aufgaben zu realisieren,

2. Der Lernende ist in der Lage, Aussagen zu interpretieren, diesich auf typische berufliche Tätigkeiten beziehen und langsamund deutlich, in der Standardaussprache artikuliert werden,

3. Der Lernende kann kurze schriftliche Texte, die typische be-rufliche Tätigkeiten betreffen, analysieren und interpretieren,

4. Der Lernende formuliert kurze und verständliche Aussa-gen und geschriebene Texte, die es ihm ermöglichen amArbeitsplatz zu kommunizieren,

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5. Der Lernende benutzt fremdsprachige Informationsquel-len. (PPKZ 2017: 23f.)

Dem Rahmenplan kann leider nicht entnommen werden, obsich die genannten Richtziele auf Arbeitssituationen im In-oder Ausland beziehen, was in den meisten Fällen einen er-heblichen Unterschied darstellen würde.

6. Branchenschule der ersten Stufe

In den Branchenschulen wird grundsätzlich eine Fremdspra-che unterrichtet. Für den Fremdsprachenunterricht wurdenin der Berufsschule der ersten Stufe insgesamt vier Wochen-stunden vorgesehen (Klasse 1 – eine Stunde, Klasse 2 –zwei Stunden, Klasse 3 – eine Stunde). Theoretisch ergebensich aus den Vorgaben des Rahmenplans drei Varianten desAbschlussniveaus:

– bildet der Fremdsprachenunterricht in der Branchen-schule die Fortsetzung der ersten Fremdsprache aus derGrundschule (die ab Klasse 1 unterrichtet wird), errei-chen die Lernenden das Niveau B1,

– wird in der Branchenschule die zweite Fremdspracheaus der Grundschule fortgesetzt (Unterricht ab Klasse7 mit zwei Wochenstunden), werden die Lernenden andas Niveau A2 herangeführt,

– beim Anfängerunterricht in der Branchenschule wäredas zu erlangende Niveau A1.

Aus der Sicht des Arbeitsmarktes wäre die Verwirklichungder angestrebten Ziele selbstverständlich wünschenswert,es bleibt aber die Frage, inwieweit sie auf den UnterrichtDaF übertragbar sind.

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7. Branchenschule der zweiten Stufe

Wie bereits angedeutet, wird die Fremdsprache in der Bran-chenschule der zweiten Stufe mit einer größeren Stunden-zahl gefördert. Für die zwei Klassen dieses Schultypswurden insgesamt fünf Wochenstunden vorgesehen, drei inder ersten, zwei in der zweiten Klasse. Aus einer relativ hö-heren Intensität des Unterrichts ergeben sich drei möglicheAusgangsniveaus:

– für Lernende, die ihre Fremdsprache aus der Grund-schule fortsetzen, wird das Niveau B1 angestrebt undbei rezeptiven Fertigkeiten sogar B2,

– sollten Lernende am Sprachunterricht teilnehmen, indem ihre zweite Fremdsprache gelehrt wird, erreichensie beim Schulabschluss das Niveau A2 (B1 im Bereichder rezeptiven Fertigkeiten),

– wird in der Branchenschule der zweiten Stufe dieFremdsprache aus der Branchenschule der ersten Stufefortgesetzt, die dort auf dem Anfängerniveau unterrichtetwurde, ist mit dem Abschlussniveau A2+ zu rechnen.

Die Absolventen der Branchenschule der zweiten Stufe sindberechtigt, die Abiturprüfung abzulegen, wobei ihnen der um-fangreichere Fremdsprachenunterricht behilflich sein sollte.

8. Unterricht DaF in der Branchenschule – Perspektiven

Die Schulleiter der Branchenschulen können theoretischLehrpläne in allen im polnischen Schulwesen zugelassenenFremdsprachen bewilligen. Der Stellenwert des deutsch-pol-nischen Wirtschaftsaustausches würde selbstverständlich fürdie Förderung des Deutschen plädieren, wobei Deutsch die

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zweitbeliebteste Fremdsprache in polnischen Schulen ist.Praktisch widersprechen aber bedeutende Faktoren dieserThese. Erstens muss der Schulleiter den Zusammenhangzwischen der im Rahmenplan für Berufsausbildung be-stimmten Fremdsprache und dem im Rahmenplan für Allge-meinbildung vorgeschriebenen Fremdsprachenunterrichtberücksichtigen, wo es aus rein organisatorischen Gründendieselbe Fremdsprache sein muss. Der Stellenwert des Deut-schen im Rahmenplan der Berufsausbildung ist relativ nied-rig – Englisch wird als obligatorische berufsbezogeneSprache bei 19 Berufen vorgeschrieben, Deutsch nur einmal.

Der zweite Faktor ergibt sich aus der Reihenfolge der Ein-führung des Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule.Die erste Fremdsprache, die ab Klasse 1 unterrichtet wird,ist Englisch. Der hohe Stellenwert des Deutschen als Zweit-fremdsprache wird erst in der Oberschule sichtbar. DieGrundschulabsolventen würden also mit hoher Sicherheitsolche Klassen wählen, in denen die ihnen vertrautereFremdsprache angeboten wird. In einer Situation, wo in derBerufsschule nur eine Fremdsprache unterrichtet wird, istdie Existenz des Unterrichts DaF in diesem Schultyp höchs-tens fraglich. Eine sichtbare Präsenz des Unterrichts DaF istdemnächst an fünfjährigen technischen Fachschulen zu er-warten, die den Rahmenplan für Allgemeinbildung nachzwei Fremdsprachen parallel anbieten sollten.

9. Unterricht DaF in der technischen Fachschule –Richtlinien des Rahmenplans

Der Fremdsprachenunterricht an technischen Fachschulenwird grundsätzlich in zwei Sprachen angeboten. Die Ge-samtstundenzahl für die erste Fremdsprache beträgt 12

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(erste und zweite Klasse drei Wochenstunden, dritte bisfünfte zwei). Für die zweite Fremdsprache wurden acht Wo-chenstunden vorgesehen (erste und zweite Klasse eine Wo-chenstunde, dritte bis fünfte zwei). Der Gesetzgeber siehtjedoch die Möglichkeit, an technischen Fachschulen bilin-guale Züge zu führen. In diesem Fall werden in jeder Klassezwei zusätzliche Wochenstunden angeboten, und zwar inder Fremdsprache, in der der Sachfachunterricht in mindes-tens einem Fach gegeben wird.

Das Abschlussniveau variiert in der technischen Fachschulevon A2 (die zweite Fremdsprache wird in der Fachschuleauf dem Anfängerniveau unterrichtet), bis C1 und C2 beirezeptiven Fertigkeiten (die erste Fremdsprache wird ineinem bilingualen Klassenzug unterrichtet).

10. Praxis der Curriculumentwicklung für den berufsbezogenen Unterricht DaF

Wie bereits angemerkt, werden Lehrpläne für jede Schulevon Schulleitern bewilligt, die sich dabei verschiedenerChecklisten bedienen, die vor allem die Übereinstimmungdes schulischen Lehrplans mit dem Rahmenplan überprüfen(Mulkowski 2012: 33). Ganz besonders im Bereich des berufsbezogenen Fremdsprachenunterrichts spielt die Ent-wicklung von schuleigenen (nicht von Verlagen zur Verfü-gung gestellten) Lehrplänen eine große Rolle. Dies wird vorallem durch die spezifische Rolle der berufsbezogenenFachsprache bewirkt. Die bisherige Praxis zeigte, dass „esUnklarheiten bei der Strukturierung und Systematisierungder Lerninhalte gibt“ (Schürmann 2016: 56) und die aktuellzur Verfügung stehenden Curricula den Bedürfnissen derLehrkräfte und Schüler nicht entsprechen.

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Außer den formalen Bedingungen, von denen die Zulas-sung eines Lehrplans abhängt, wie z.B. Informationen überdie Stundenanzahl, Zielgruppe, Bestimmung der notwen-digen Lehrmittel, sollte auf den Bezug auf die im Rahmen-plan festgelegten allgemeinen Schlüsselkompetenzengeachtet werden. Dabei ist zu bedenken, dass in den neuenLehrplänen die berufsorientierte Fremdsprache mit dem re-gulären Fremdsprachenunterricht stärker integriert werdenkönnte, obwohl sie ein selbstständiges Fach bildet (vgl.Schürmann 2016: 31-32).

Bei der Vorbereitung des Lehrplans wäre außerdem daraufganz besonders zu achten, ob die vorgeschlagen Lernzielein der Terminologie des Europäischen Referenzrahmensformuliert wurden und ob keine der im Rahmenplan auf-geführten Feinziele ausgelassen wurden. Eine besondereRolle spielen dabei die im Rahmenplan (der Berufsaus -bildung) enthaltenen Ziele des berufsorientierten Fremd-sprachenunterrichts, die für jede Schule anders formuliertwerden. Im Fall des Unterrichts DaF ist ganz besonders auflexikalische Sprachmittel zu achten, die die Lernenden indie Lage versetzen, berufsbezogene Aufgaben zu realisie-ren – auf keinen Fall sind sie mit der spezifischen (rezepti-ven) Fachlexik gleichzusetzen. Zweitens sind typischeSituationen und Textsorten zu behandeln, die es dem Ler-nenden ermöglichen, Aussagen zu interpretieren, die sichauf typische berufliche Tätigkeiten beziehen, wobei dieQuellen derartiger authentischer Texte angegeben werdenmüssten, mit besonderer Berücksichtigung der Internet -ressourcen.

Einen unentbehrlichen Bestandteil der Lehrpläne bilden dieProzeduren zum Erreichen der angestrebten Lehr- und

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Lernziele. Weil der Rahmenplan explizit auf Zusammenar-beit in Teams, innere Differenzierung und motivierendeVerfahren hinweist, wären also konstruktivistisch und kon-nektivistisch untermauerte Arbeitsformen von Bedeutung.Hinweise auf nützliche Software bzw. Online-Ressourcenwären hier von Vorteil.

Es wären außerdem folgende Empfehlungen zu erwähnen:

– minimale Kompetenzanforderungen an Lehrende amEnde eines Lernzyklus (deutlich zu unterscheiden vonerwünschten Kompetenzen),

– eindeutige Kriterien der Notengebung,– exemplarische Unterrichtsentwürfe zur Veranschau -

lichung der vorgeschlagenen Methoden und Arbeits-formen,

– exemplarische Tests und bzw. Verfahren der Leistungs-messung. (Mulkowski 2012: 49f.)

11. Fazit

Der berufsorientierte Unterricht DaF steht nach der letztenSchulreform vor erheblichen Herausforderungen. Einigendavon, vor allem organisatorischer Natur, kann nur beschränkt entgegengewirkt werden. Gemeint ist hier derVorrang des Englischen, was in Branchenschulen zum voll-ständigen Verschwinden des Deutschen als Fremdspracheführen kann. Der einzige Ausweg scheint hier die zielge-richtete Finanzierung des Deutschunterrichts an ausgewähl-ten Branchenschulen, vor allem der ersten Stufe, zu sein –mit Mitteln der deutschen Unternehmen. In solchen Fällenkönnten Klassen mit DaF gegründet werden, die durch dieUnterstützung durch Betriebe eine attraktive Alternative

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zu Klassen mit Englisch bilden würden. Zu erwägen wärehier auch die Finanzierung der zweiten Fremdsprache alsWahlfach.

Die andere Einschränkung, d.h. die nicht ausreichende An-zahl der Wochenstunden im Fach DaF, könnte jedoch zu-mindest teilweise durch curriculare Maßnahmen behobenwerden. Dazu könnten z.B. folgende Maßnahmen zählen:

– Reduzierung der Lernziele im Bereich der Sprachpro-duktion auf rudimentäre Realisierung der Berufsaufga-ben in einer konkreten Branche,

– Einsatz der konstruktivistisch und konnektivistisch un-termauerten Arbeitsformen beim Umgang mit authen-tischen, branchenbezogenen Texten,

– Zugang zur modernen Software und zu Internetres-sourcen, mit Verwendung der tragbaren, arbeitsplatz-konformen Geräte,

– Sprachbedarfsforschung für die Zwecke der konkretenBranchen, die in adäquaten Lehrplänen berücksichtigtwird.

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Schürmann, Eveline (2016): Berufsbezogener DaF-Unterricht an berufsbildenden Schulen in Polen – Eine Analyse polnischerDaF-Curricula, in: Arich-Gerz, Bruno/Efing, Christian/Kiefer,Karl-Hubert (Hrsg.): Berufsbezogene und (inter)kulturelle Kom-petenzen im deutsch-polnischen Kultur- und Wirtschaftsraum.Wuppertal, S. 31–61.

Rechtliche Dokumente und Grundlagen

PPKO 1 (2017): Verordnung des Bildungsministers vom 14.02.2017 über den Rahmenplan der Allgemeinbildung für die Grund-schule, Branchenschule der 1. Stufe und die weiterführende Auf-bauschule Rozporządzenie Ministra Edukacji Narodowej z dnia14 lutego 2017 r.w sprawie (…) podstawy programowejkształcenia ogólnego dla szkoły podstawowej, (…) branżowejszkoły I stopnia (…) oraz szkoły policealnej.

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PPKO/B1 (2017): Rahmenplan der Allgemeinbildung für die Bran-chenschule der 1. Stufe Podstawa Programowa KształceniaOgólnego dla branżowej szkoły I stopnia.

PPKZ (2017): Verordnung des Bildungsministers vom 31.03.2017 über den Rahmenplan der Berufsausbildung RozporządzenieMinistra Edukacji Narodowej z dnia 31 marca 2017 r. w sprawiepodstawy programowej kształcenia w zawodach.

PPKO 2 (2018): Verordnung des Bildungsministers vom 30.01.2018 über den Rahmenplan der Allgemeinbildung für die vierjährigeOberschule, die fünfjährige technische Fachschule und die zwei-jährige Branchenschule der 2. Stufe Rozporządzenie MinistraEdukacji Narodowej z dnia 30 stycznia 2018 r. w sprawie pods-tawy programowej kształcenia ogólnego dla czteroletniego li-ceum ogólnokształcącego, pięcioletniego technikum orazdwuletniej branżowej szkoły II stopnia.

PPKO/T (2018): Rahmenplan der Allgemeinbildung für die vierjäh-rige Oberschule und die fünfjährige technische FachschulePodstawa Programowa Kształcenia Ogólnego dla czteroletniegoliceum ogólnokształcącego i pięcioletniego technikum.

PPKO/B2/G (2018): Rahmenplan der Allgemeinbildung für die Branchenschule der 2. Stufe für Absolventen des bisherigenGymnasiums Podstawa Programowa Kształcenia Ogólnego dlabranżowej szkoły II stopnia dla uczniów będących absolwen-tami dotychczasowego gimnazjum.

PPKO/B2 (2018): Rahmenplan der Allgemeinbildung für die Bran-chenschule der 2. Stufe für Absolventen der achtjährigen Grund-schule Podstawa Programowa Kształcenia Ogólnego dlabranżowej szkoły II stopnia dla uczniów będących absolwen-tami ośmioletniej szkoły podstawowej.

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Elektronische Medien im Dienst fachbezogenen Fremdsprachenlernens1

Paweł Szerszeń (Universität Warschau)

1. Einführung

Die gegenwärtigen Entwicklungen im Bereich der Kommu-nikations- und Informationstechnologien verursachen, dasswir mit einer fortwährend steigenden Anzahl von E-Lear-ning-Produkten konfrontiert werden. Ein Teil davon findetEinsatz im fachbezogenen Fremdsprachenlernen. Unter Be-rücksichtigung der o.g. Tatsachen ist das gegenwärtige(Fach)Fremdsprachenlernen ohne elektronische Medien fürimmer mehr Lernende nicht mehr wegzudenken. In der Tatentstehen und funktionieren auf dem Markt jedoch immermehr solche Produkte, deren Autoren viel versprechen, aberdafür bedeutend weniger leisten. Dies stellt u.a. die Fremd-sprachendidaktiker vor neue Herausforderungen, unterdenen eine kritische Reflexion über die didaktische Effi-zienz von neuen E-Learning-Produkten notwendig ist. Zuden wichtigsten Fragen, die zu beantworten sind, gehört u.a.die Frage, ob und inwieweit die konkreten neuen E-Lear-ning-Produkte (lediglich) das (Fach)Fremdsprachenlernenunterstützen oder gar neue Lernmethoden darstellen sowiedie daraus resultierende weitere Detailfrage, inwieweit siedas bestehende Lernerwissen und die Lernerkompetenzen

1 Der folgende Beitrag stützt sich größtenteils auf die früheren Ausführun-gen des Autors zu den aktuellen Tendenzen im computerunterstützten (Fach)Fremdsprachenunterricht (Szerszeń 2014), die um einige neue Bemer-kungen zu den neuesten Forschungsprojekten (Projekt Jasne) sowie intelli-genten (adaptiven) Lernumgebungen erweitert wurden.

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aktivieren oder ein neues Lernerwissen/neue Lernerkompe-tenzen erzeugen etc. (vgl. Grucza/ Szerszeń 2012).

In diesem Sinne wagt der Autor des Beitrags einen Versuch,die zur Zeit bestehenden Haupttypen von E-Learning-Pro-dukten im fachbezogenen Fremdsprachenunterricht am Bei-spiel DaF zu erfassen sowie mit Beispielen zu besetzen, wieauch auf interessante Features ausgewählter Lernplattfor-men/Lernprogramme und auf neue E-Learning-Tendenzenhinzuweisen.

Um dies zu bewerkstelligen, soll zuerst der Begriff E-Lear-ning erklärt sowie versucht werden die Rolle der E-Learning-Produkte (anhand von Lernplattformen/Lernprogrammen)in der (Fach)Fremdsprachendidaktik zu bestimmen. Danachwerden die wichtigsten Arten der gegenwärtigen E-Lear-ning-Produkte genannt und in Bezug auf (fach)fremdspra-chendidaktische Lernziele charakterisiert. Im Weiterenwerden die gewichtigsten Eigenschaften der heutigen Lern-plattformen im (fach)fremdsprachlichen Kontext anhandvon ausgewählten Beispielprojekten, d.h. TMM Campus,Jasne und LISST, veranschaulicht.

2. E-Learning: Begriff, Produkte und Entwicklungstendenzen

In der Gegenstandsliteratur werden zurzeit recht viele De-finitionen von E-Learning präsentiert. Die wohl bekann-teste davon ist die Definition von M. Kerres (2001), nachder das E-Learning „alle Formen von Lernen, bei denenelektronische oder digitale Medien für die Präsentation undDistribution von Lernmaterialien und/oder zur Unterstüt-

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zung zwischenmenschlicher Kommunikation zum Einsatzkommen“ umfasst.Ein anderer Versuch, den Begriff E-Learning kompakter,prägnanter zu erfassen, ist die Definition von S. Grucza, nachdessen Meinung das E-Learning alle Formen von Lernenumfasst, bei denen Lernmaterialien mittels elektronischerMedien eingesetzt werden (S. Grucza, mündlich).Mit dem Jahrhundertwechsel begann eine neue Phase in derEntwicklung des E-Learnings einen festen Fuß zu fassen.Dank der Entwicklung der sog. Web 2.0-Dienste, konnten sichdie nach wie vor hauptsächlich der Präsentation, Übertragungoder Rezeption von Inhalten dienenden elektronischen Me-dien um eine weitere wichtige Funktionalität im Sinne derProduktion bereichern. Die bisherigen Empfänger/Leser wur-den somit allmählich zu den Sendern/Autoren, die auf denLernprozess noch mehr Einfluss nehmen wollten.Alle o.g. Formen von E-Learning werden in der Tat miteinem Sammelsurium von computergesteuerten Medien as-soziiert, was sich zum Teil in solchen Bezeichnungen wi-derspiegelt, wie etwa „computer based training“ (CBT),„computergestütztes Lernen“, web based training (WBT)„Telelernen“, „Online-Lernen“, „multimediales Lernen“,„Open and Distance-Learning“ u.a.In letzter Zeit werden mit dem E-Learning auch solche Trendsassoziiert, wie etwa Mobile Learning, Social Learning, GameBased Learning oder linguistisch intelligente Lernsysteme,darunter adaptive bzw. adaptierbare Lernumgebungen oderSysteme, die auf Grund komplexerer Verfahren morphosyn-taktischer, semantischer oder pragmatischer Art dazu zählenkönnen oder Systeme mit fortgeschrittener Spracherkennung(vgl. u.a. Mitschian 2010).Laut Ergebnissen der Trendstudie, mmb Learning Delphi2016, einer Befragung von E-Learning-ExpertInnen zum di-

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gitalen Lernen in Betrieben im Jahr 2016, gehören zu denwichtigsten Themen/Inhalten des elektronischen bzw. digi-talen Lernens in den kommenden drei Jahren auch dieSprach- oder Fremdsprachenkenntnisse, die einen rechthohen Rang mit der Note 2,4 erlangt haben (s. Abb. 1).

Abb.1: Themen/Inhalte des digitalen Lernens in den drei kom-menden Jahren (Trendstudie mmb Learning Delphi 2016)2

Was die E-Learning-Produkte anbelangt, kann man sie grobin zwei Hauptkategorien einteilen: Werkzeuge und Lern-plattformen.In die erste Kategorie werden die Hardwarelösungen auf-genommen. Ihre Hauptfunktion besteht v.a. im Generierensowie Speichern der didaktischen Stimuli. Sie bestimmendie Qualität der Stimuli, die von Lernenden rezipiert bzw.produziert werden sowie die Speicherumgebung der Ler-nerprodukte (in Schrift-, Audio- und Multimedialform).Hierzu gehören u.a. stationäre Rechner sowie Laptops,

2 http://www.mmb-institut.de/mmb-monitor/trendmonitor/mmb-Trendmonitor_2016_I.pdf (Zugriff am 9. Juli 2017).

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Notebooks, Smartphones also Geräte, die über kleinereBildschirme mit der Funktion Touch Screen verfügen. Zuerwähnen sind hier auch Multimedia-Projektoren sowie in-teraktive Tafeln, die die Funktion eines großen Bildschirmsmit der Funktion Touch Screen sowie einer üblichen Schul-tafel verbinden. Zu der zweiten Kategorie zählen Produkte, die sich v.a. aufdie Organisation des E-Learnings beziehen. Hierzu gehörenin erster Linie verschiedene Lernplattformen, die größtenteilsdie bisherigen geschlossenen Lernprogramme ersetzt haben.

Laut Definition bildet eine Lernplattform ein auf einemServer installiertes und im Internet verfügbares System, dasein bestimmtes Computerprogramm evtl. bestimmte Com-puterprogramme mit einer Datenbank bzw. Datenbankenverbindet, die zwecks Realisierung didaktischer Lernzieleerrichtet wurde.Darüber hinaus bietet es Organisations-, Kommunikations-und Kooperationsmöglichkeiten, um auf diese Weise einLernen zu ermöglichen. Zu den wichtigsten Arten der Lern-plattformen zählen LMS (Learning Management System),CMS (Content Management System), LCMS (LearningContent Management System) und VCS (Virtual ClassroomSystem), in der Tat fungieren sie in diversen Mischformen.Die populärsten davon sind seit Jahren u.a. Moodle, Edmodound Blackboard3. Eine weitere wichtige Tendenz in der Entwicklung des E-Learnings bilden die linguistisch intelligenten Systeme,

3 Unter den Lernplattformen kann man sowohl Open-Source-Produkte nennen,die ihren Benutzern kostenlos zur Verfügung gestellt werden, wie etwa OLAT,ILIAS oder Moodle sowie kommerzielle Angebote. Zu den bekanntesten Lern-plattformen gehören ILIAS, das lizenzierte System Blackboard oder das wahr-scheinlich populärste überhaupt (u.a. auch in polnischen Hochschulen undUniversitäten verwendbare) kostenlose System Moodle.

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darunter u.a. diejenigen, die auf der Adaptivität bzw. Adap-tierbarkeit fußen. Die Ersten davon sind in der Lage den Un-terstützungsbedarf des Lernenden selbst zu diagnostizierenund das Ergebnis der Diagnose selbst in geeignete Lehrtä-tigkeiten umzusetzen. Die Adaptivität selbst wird jedochverschiedenartig verstanden, worauf die folgende Abbildunghinweist.

Abb 2.: Definitionsebenen von Adaptivität (nach Lehmann2010: 20)

Über die Adaptierbarkeit eines Systems spricht man dage-gen dann, wenn es durch extern vorgenommene Diagnoseund Eingriffe an den Unterstützungsbedarf des Lernendenangepasst wird.Der Leitgedanke Adaptivität wird in der glottodidaktischenPraxis nicht ohne Probleme umgesetzt: die meisten Sys-teme weisen nämlich zu allgemeine Aufteilung in Anfän-

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ger, Mittelstufe, Fortgeschrittene auf, die den wirklichenLernererwartungen kaum Rechnung trägt. Nichtsdesto -weniger werden die adaptiven Lernsysteme jedoch im(Fach)Wortschatzerwerb recht erfolgreich, s. u.a. das Sys-tem iVocabulary von Ch. Beer, das die Erweiterung der Da-tenbank erlaubt. Zu den weiteren fortgeschrittenen „intelligenten“ Lernsys-temen zählen makroadaptive (also adaptierbare) Werkzeugemit pädagogischen Agenten, die als Trainer, Experten, Be-rater oder Lernbegleitpersonen fungieren.

3. Rolle der Lernplattformen im (fach)fremdsprachlichen Kontext

Die Hauptrolle der Lernplattformen besteht in der Kompe-tenzvermittlung durch das Lösen von Übungen und Aufga-ben. Zu den hochrepräsentierten Übungen gehören dabeiu.a. Lücken- und Umformungsübungen, Drag and Drop-Zuordnungsübungen, Multiple-Choice-Übungen sowie au-diovisuelle Übungen wie etwa: interaktive Video- oderHotspot-Übungen etc. Im Weiteren werden kurz drei Bei-spiele der Lernumgebungen präsentiert, die im fachbezoge-nen DaF hilfreich sind. Neben klassischen Lernplattformen sind auch immer weni-ger populäre geschlossene Lernprogramme auf dem Marktpräsent. Hierzu gehören auch solche Programme, deren Au-toren zum großen Teil den beschränkten didaktischen Rah-men ihrer Produkte überwinden, indem sie deren On-LineVersionen entwerfen, die im Endeffekt in eine Lernplattformumgestaltet werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Programm Tell me moreCampus, das im Weiteren kurz charakterisiert wird. DasProgramm (s. Abb. 3) bietet ein komplexes Angebot für die

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Lernenden auf verschiedenen Stufen (A1 bis C1) im Bereichder allgemein- und fachsprachlichen Kompetenzentwick-lung für mehrere Fremdsprachen dar. Es ist modular aufge-baut und bietet u.a. eine Palette der Übungen im Bereich derFachsprachendidaktik.

Abb. 3: Startseite im Programm TMM Campus

Zu seinen Hauptfunktionen gehören auch interessante 3-D-Animationen zur Phonetik, oder Autor-Tools zur Entwick-lung der interaktiven Lernmaterialien anhand von eigenen(Fach)Texten. Nennenswert sind auch Online-Serviceleis-tungen, d.h.: Euronews-Lektionen, die Exportmöglichkeitfür Smartphones und Audio-CD sowie die Möglichkeit desKontakts mit Tutoren und der recht begrenzten Interaktionmit Chatbots. Die letztgenannte basiert auf einem ausgereif-ten, obwohl (nach der Meinung des Autors dieses Beitragssowie den Meinungen ihm bekannter Programmbenutzer)nicht immer zuverlässigen, Spracherkennungssystem. ImFall dieser Übungsart ist eine ungezwungene Unterhaltungam PC mit einem Muttersprachler (für amerikanisches Eng-lisch) nur halbwegs möglich, denn die Konversation ist ers-

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tens in einem begrenzten Rahmen (also zu ausgewähltenThemen, z.B. Reiseorganisation), zweitens nur gesteuert(d.h. auf die Wahl von mündlich vorgeschlagenen Variantender Antwort beschränkt) und drittens nur unter Berücksich-tigung der vorgegebenen Phrasen möglich. Nichtsdestotrotzbietet das Programm mit der Funktion „virtuelles Gespräch“eine interessante neue Übungsart zur Verfügung, die erwei-terungsfähig ist und besonders im fachfremdsprachlichenKontext (v.a. bei der situationsbedingten Fachwortschatz-verwendung) einsetzbar ist (vgl. Szerszeń 2014). Ein weiteres nennenswertes Projekt ist das Projekt Jasne(s. Abb. 4), das auch in Form einer Lernplattform zur Verfügung gestellt wird. Sein Hauptziel besteht darin, dieEffizienz von Sprachkursen für Firmen sowie die Anwend-barkeit von Fremdsprachenkenntnissen im Betriebsalltagvon Unternehmen zu verbessern. Angesprochen werdendabei besonders Firmen, die in den Bereichen Fahrzeug-und Maschinenbau, Logistik & Transport bzw. als Automo-bilzulieferer tätig sind.

Abb. 4: Startseite der Lernplattform JASNE

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Der Online-Kurs richtet sich an Lernende, die Fremdspra-chenkenntnisse in Deutsch, Polnisch, Tschechisch oder Slo-wakisch für ihren Beruf brauchen. Mit JASNE werden vorallem drei Berufsgruppen angesprochen: KaufmännischeBerufe, Mitarbeiter von Konstruktionsabteilungen in Pro-duktionsunternehmen sowie Fernfahrer in Speditionen undZugführer im Eisenbahnverkehr.Auf der Basis einer Bedarfs- und Situationsanalyse in 334Unternehmen entstanden zunächst detaillierte sprachlicheAnforderungsprofile für einzelne Berufe. In Interviews mitMitarbeitern wurden dann typische Kommunikations- Situationen ermittelt, die die Grundlagen für berufsspezi-fische Sprachlernmodule bildeten. Im Rahmen desProjektes wurden u.a. interaktive Lernmodule für die vieroben genannten Sprachen und ein Rahmenlehrplan entwi-ckelt, der Bildungsanbietern als Vorlage für die Planungvon Sprachenkursen für berufliche Kontexte dienen kann.Zu den wichtigsten Übungsarten gehören u.a. Hör- und Leseverstehensübungen, Grammatikübungen, Wortschatz-übungen (u.a. Wortbildungsübungen), wobei die meistendavon recht typisch sind (u.a. richtig-falsch, Zuordnungs-übungen etc.). Zu den wichtigsten Vorteilen des Systems zählen hand-lungs- und aufgabenorientierte Lerneinheiten, die sich zu-gleich an realen Kommunikationssituationen im Beruforientieren sowie klare Lernzielbeschreibungen, die an eu-ropäische Standards (GeR) angepasst wurden und Niveau-stufen A1-B2 mit einbeziehen. Das System ist jedoch nicht fehlerfrei, wovon einige kleinegrammatische Fehler oder keine korrekten adressativenFormen für Polnisch (im Modul Hotel) zeugen. Ein weite-res Manko ist ein vereinfachtes Feedback: unterstrichenwerden nur fehlerhafte Sätze in ihrer Vollform, was die von

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den Autoren der Software erwähnte Fehlerdifferenzierungin Frage stellt.

Auf große Probleme stoßen die Autoren der didaktischenProgramme, in denen es auf die Herausbildung produkti-ver oder solcher komplexen Kompetenzen ankommt, wieetwa Translationskompetenzen. Ein gutes Beispiel dafürist das „Linguistisch intelligente Internet-Lehr-Lernmo-dule für die Sprach- und Übersetzerausbildung“ (abgekürztLISST), dessen Autoren sich zu ihrer Aufgabenstellungdie Implementierung eines linguistisch intelligenten Soft-waresystems machten, welches in der Lage ist einen ein-gegebenen Übersetzungstext automatisch zu evaluieren.Dabei sollte das System in der Lage sein, zu jedem ma-schinell erkannten Fehler eine differenzierte Fehlermel-dung auszugeben.Als Schwerpunkt für die Übersetzungsaufgaben haben dieAutoren des Projekts die im Resultat einer kontrastivenAnalyse ausgewählten grammatischen Probleme der Stu-dierenden gewählt, darunter u.a. Artikel, Komposita,Funktionsverbgefüge, Präpositionen, erweitertes Attribut,Passiv, Tempora sowie (im Sinne eines Versuchs), eine ter-minologische Kategorie, die sich auf eine bestimmte Text-sorte bezog. Das System LISST besteht aus zwei Hauptschnittstellen:einem Tutoren-Interface und einem Studierenden-Interface.Mit Hilfe des ersten können Fehler- und Musterlösungendurch die Dozierenden hinterlegt werden, das zweite Inter-face dagegen ermöglicht die zeit- und ortsunabhängige Be-arbeitung von einzelnen Trainingseinheiten durch dieStudierenden. Die weiteren zwei Abbildungen zeigen dieStudierenden-Schnittstelle und die Dozierenden-Schnitt-stelle im Modus-Aufgabe.

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Abb. 5: Die Studierenden-Schnittstelle (Aufgabe) samt alleneingeblendeten Hinweisen

Abb. 6: Die Dozierenden-Schnittstelle (Aufgabenmodus):Phrasen, Wortfolge mit einbezogen

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Der Arbeitsvorgang im Programm erfolgt satzweise, d.h.nach Eintippen eines frei eingegebenen, vollständigen Satzeswird der Verarbeitungsprozess gestartet, in dem der o.g. Satzzunächst auf seine rechtschreib- und grammatische Substanzgeprüft wird, wonach er die MPRO (morphosyntaktischeund z.T. semantische Analyse) durchläuft. Im nächstenSchritt werden die annotierten Texte und Beispielüberset-zungen miteinander verglichen. Im Nachhinein werden dieFehlercodes und Rückmeldungen ermittelt. Resultat dieserAnalyse ist die automatische Rückmeldung-Evaluierung.Die automatische linguistisch-intelligente Analyse und Be-wertung der eingegebenen Sätze wird somit in Form der Me-tarückmeldungen generiert, die nicht nur darauf verweisenkönnen, dass eine Aufgabe richtig bzw. falsch gelöst wurde,sondern auch bei einer falschen Lösung zugleich über dieFehlerart bzw. Lösungshinweise informieren. Die ersten Tests, an denen etwa 60 Studierende und 20 Dozie-rende teilgenommen haben, bewiesen, dass das System groß-teils zuverlässig ist und v.a. zur Prüfung von grammatischenKompetenzen sowie richtiger Verwendung von terminolo-gischen Einheiten (innerhalb des Projekts mit SchwerpunktWirtschaftsfachsprachen) einsetzbar ist. Zu den wichtigsten Vorteilen der erweiterten Tutoren-/Dozen -tenschnittstelle gehören u.a. keine Programmierkenntnisseseitens der Tutoren-/Dozenten, intuitive, nicht allzu kom-plexe Webschnittstelle, zusätzliche Hinterlegungsoptionen(z.B. Disjunktionen, Optionalität) sowie problemlose Co-dierung maßgeschneiderter Trainingseinheiten.Die Arbeit mit dem System LISST läuft leider nicht unpro-blematisch, wovon u.a. solche linguistischen Schwierigkei-ten wie der Vergleichsprozess (z.B. mehrere Lesarten,Mehrfachvorkommen eines Wortes) oder differenzierte Feh-lermeldungen zeugen. Zu den weiteren Nachteilen des Sys-

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tems gehören unzulängliche automatische Rückmeldungen,die zurzeit nur satzweise möglich sind. Somit stellte sichheraus, dass die Übersetzungsvarianten nur „bedingt“ abdeckbar sind, denn die Leistung des Systems durch dieLeistungsfähigkeit von sprachverarbeitenden Systemen ein-geschränkt ist (vgl. Rösener 2009).Mit anderen Worten: Das System ist zwar zumeist in derLage, typische grammatische, orthographische oder lexika-lische bzw. terminologische Fehler aufzudecken und mitentsprechenden Rückmeldungen zu versehen, aber bei meh-reren Fehlern auf einmal bleibt es nicht immer stabil, d.h.es blendet manchmal die für die Studierenden unverständ-lichen Meldungen ein. Nichtsdestotrotz hat das Systemseine Hauptfunktion erfüllt und wird in Zukunft verbessertsowie um die polnische morphosyntaktische Komponenteerweitert werden.Neben den o.g. intelligenten Funktionen der gegenwärtigenLernplattformen sollte man auch, besonders in fachfremd-sprachendidaktischer Hinsicht, kurz auf solche Arbeitsfunk-tionalitäten hinweisen, die den Dozierenden und Lernendenihre Zusammenarbeit und den Informationsaustausch er-leichtern sowie die Bewertung der Lernergebnisse ermög-lichen. Dabei handelt es sich u.a. um die Optionen, die esden registrierten Lernenden erlauben, auf die vom Dozie-renden hochgeladenen Inhalte zuzugreifen. Manchmal wer-den den Studierenden Gestaltungsrechte zuerkannt, sodasssie als AutorInnen der Lerninhalte fungieren. Den Unter-richtsteilnehmern stehen zumeist folgende Angebote zurVerfügung, wie etwa die Möglichkeit, in Foren zum Lehr-inhalt oder zu Arbeitsgruppenthemen zu diskutieren, Resul-tate der individuellen und kollektiven Arbeit (z.B. inMind-Map-Form) einzuspeisen oder auf gemeinsame Da-teien gleichzeitig zuzugreifen. Das Ganze wird oft durch die

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Möglichkeit der Personalisierung der eigenen Lernumge-bung ergänzt, die z.B. bei ILIAS in Form des „PersönlichenSchreibtisches“ präsent ist, auf dem u.a. die aktuellen Lern-inhalte, Nachrichten und Mails zusammengefasst werdensowie bearbeitbar sind und durch eigene Notizen und An-merkungen ergänzt werden können. Auf der Lehrerseite da-gegen besteht zumeist die Möglichkeit für den als Adminregistrierten Dozierenden, auf die Statistiken der Aktivitätender einzelnen Studierenden zuzugreifen und ihnen Arbeits-profile zu erstellen bzw. zu modifizieren. Auf diesem Wegeerfolgt auch nicht selten die Beurteilung und damit verbun-dene Berichtigung der Lernenden. Zum Abschluss soll auch kurz auf solche E-Learning-Ent-wicklungen hingewiesen werden, die zur Bewusstmachungder Bedeutungskonstitutionsprozesse, darunter der Entwick-lung des funktionalen, kontextuellen Verständnisses vonWort-, Satzbedeutung etc.; der Sensibilisierung für Polyse-mie, metaphorische Wortbedeutungsverschiebungen undden lexikalisch-grammatischen Charakter von Wortverbin-dungen etc. beitragen können. Hierzu gehören u.a. korpus-basierte Programme wie etwa Terminologiedatenbankenoder Wortschatzportale, z.B. dwds.de, wortschatz.uni-leip-zig.de, Sprachkontrollsysteme, Translationsmemorys zum Downloaden, maschinelle Über-setzungs- und Authoring-Memory-Systeme sowie Softwarezur Informationsextraktion (darunter Textzusammenfas-sungssysteme, Systeme zur Terminologieextraktion und -verwaltung, s. u.a. Word-Clouds, z.B. www.wordle.net,www.tagxedo.com), Programme zur Erstellung elektroni-scher Karteikarten („Flashcards“), z.B. anki, ankiweb, cobo-cards und letzten Endes andere elektronische Ressourcenin Form von Wissensquellen (Lexika, Nachschlagewerke),die immer häufiger ihre Lemmata mit Tonaufnahme/Bild

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u.a. präsentieren (s. dazu u.a. mehrsprachige Softwarewww.languageguide.org). Im Fall von vielen o.g. Entwick-lungen und Tendenzen bleibt anzumerken, dass deren di-daktische Umsetzung noch aussteht.

4. Fazit

Summa summarum kann man feststellen, dass die heutigenLernprogramme bzw. Lernplattformen den sprachdidakti-schen Prozess in solchen Hauptbereichen unterstützen, wieparallele Lösung derselben und verschiedener Aufgabendurch viele Lerner, schnelle Bewertung der gelösten Aufga-ben, gleichzeitige Beaufsichtigung vieler Lernender sowieBenutzung des Lernprogramms ohne Unterbrechung.

Auf der anderen Seite kommen die Lernprogramme an ihreGrenzen, die einerseits durch die technischen Faktoren (wieetwa Schnelligkeit, Speicherkapazitäten, Abmessungen derSmartphones) oder durch die Eigenschaften des unterrich-teten Objekts, d.h. der Art des zu vermittelten Wissens o.der Kompetenz bedingt sind.

Mit anderen Worten: Die Lernprogramme sind in der LageLehrer in solchen Situationen zu ersetzen, in denen ein Be-reich des Wissens o. der Kompetenz leicht zu erfassen ist bzw.dann, wo es leichtfällt, Null-zu-Eins-Übungen zu bilden, umdas schon internalisierte Wissen o. internalisierte Kompeten-zen zu testen. In erster Linie geht es hier um die Entwicklungsprachsystematischer Kompetenzen wie die Entwicklung vonlexikalischer und grammatischer Kompetenz.

In Bezug auf den fachbezogenen Fremdsprachenunterrichtsind die heutigen elektronischen Medien v.a. bei der Entfal-

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tung rezeptiver Kompetenzen (Leseverstehen, Hörverste-hen) recht erfolgreich. Weniger effizient zeigen sie sich je-doch bei der Herausbildung von produktiven Kompetenzen(Sprechen/Schreiben).

Nichtsdestotrotz erweisen sie sich als recht hilfreich bei derEntwicklung von hochkomplexen Kompetenzarten in derÜbersetzer- und Dolmetscherausbildung, v.a. dank der Mög-lichkeit der Vertiefung von speziellen Übersetzungsproble-men mit detailliertem Feedback. Sie bietet eine neuevielversprechende Übungsart dar, die zugleich für andereE-Learning-Systeme geeignet und ausbaufähig ist.

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Literatur

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Mitschian, Haymo (2010): m-Learning – die neue Welle? Mobiles Lernen für Deutsch als Fremdsprache, Kassel: University Press.Verfügbar unter: http://kobra.bibliothek.uni-kassel.de/bitstream/urn:nbn:de:hebis:34-2010010431581/1/MitschianMLearning.pdf (Zugriff am 21. Juni 2017).

Rösener, Christoph (2009): A linguistic intelligent system for tech-nology enhanced learning in vocational training – the ILLU pro-ject, in: Lecture Notes in Computer Science. Vol. 5794, Berlin:S. 800-805.

Szerszeń, Paweł (2014): Aktuelle Tendenzen im computerunterstütz-ten (Fach-)Fremdsprachenunterricht, in: Zeitschrift für Interkul-turellen Fremdsprachenunterricht 1, S. 250-260. Verfügbarunter: http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-19-1/beitrag/Szerszen.pdf(Zugriff am 21. Juni 2017).

Weiterbildung und Digitales Lernen heute und in drei Jahren. Mobiles Lernen wird der Umsatzbringer No. 1. Ergebnisse der10. Trendstudie „mmb Learning Delhi, in: mmb TrendmonitorI/2016. Verfügbar unter: http://www.mmb-institut.de/mmb-monitor/trendmonitor/mmb-Trendmonitor_2016_I.pdf (Zugriffam 21. Juni 2017).

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Erfahrungen aus der polnisch-deutschen Berufskommunikation. Auswertung einer Pilotstudie

Sambor Grucza, Milena Arzybowa (Universität Warschau)

Einleitung

In dem vorliegenden Beitrag werden Ergebnisse zweier Um-fragen dargestellt, die in polnischen Auslandsvertretungenvon zwei deutschen Unternehmen durchgeführt wurden. Mitdiesen Umfragen sollte der Kommunikationsverlauf zwi-schen Mitarbeitern der polnischen Vertretung und Mitarbei-tern der entsprechenden deutschen Abteilung untersuchtwerden. Ziel der Untersuchung war es, erste Erkenntnisseüber den Ablauf der polnisch-deutschen Berufskommunika-tion zu sammeln. Die Auswertung der erhobenen Datensollte die Antwort auf die Frage ermöglichen, inwieweit diedeutsch-polnische Berufskommunikation einen für die inter-kulturelle Kommunikationswissenschaft erkenntnisrelevan-ten Bereich darstellt.

1. Unternehmensprofile

Das Unternehmen A11 erbringt seine Dienstleistungen imBanken- und Handelssektor. Es ermöglicht den Handels-und Dienstleistungsbetrieben mittels Karten Zahlungen anzunehmen, d.h. es autorisiert und verarbeitet die Trans-aktionen. Überdies bietet das Unternehmen A einen Kom-

1 Aus Gründen der Geheimhaltung dürfen die richtigen Namen dieser Unter-nehmen nicht bekannt gegeben werden.

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plettservice im Bereich der Ausgabe von Zahlungskarten anund autorisiert sowie verwaltet ca. 1.700 Geldautomaten, dieelf Banken gehören.Die befragten Mitarbeiter des Unternehmens A beschäftigensich mit den Reklamationen hinsichtlich der Transaktionen,die mit Zahlungskarten (Mastercard bzw. Visa) von deut-schen Kunden durchgeführt wurden. Außerdem übergebendie Mitarbeiter den Banken Kopien von Rechnungen undanderen Dokumenten, die in der Abwicklung von Reklama-tionen anfallen, korrespondieren mit der deutschen Abtei-lung, beobachten und analysieren die Veränderungen in denRegelungen von Systemen der Zahlungskarten und gelten-den Prozeduren, die den Reklamationsservice beeinflussen.Das Unternehmen B spezialisiert sich auf den multilingualenKundenservice. Es stellt Mitarbeiter in Polen, Deutschland,Norwegen, Ungarn, der Türkei, Russland, den VereinigtenStaaten, Südafrika, Marokko und Großbritannien ein. DasUnternehmen erbringt Dienstleistungen im Bereich des Kun-denservices für zahlreiche bekannte Hersteller und Internet -auktionshäuser. Aufgabe der Mitarbeiter ist, auf Anfragentelefonisch bzw. elektronisch Auskunft zu geben.

2. Befragungsmodalitäten

Der Fragebogen wurde auf Polnisch angefertigt und bestehtaus elf Fragen, die thematisch geordnet wurden. In den Ant-worten auf die ersten acht Fragen sollten die Befragten In-formationen über ihr Alter, Geschlecht, die Dauer der Arbeitund Häufigkeit der Kontakte mit den deutschen MitarbeiternAuskunft geben. Dank dieser Fragen ließ sich das Profil derBefragten bestimmen und feststellen, wer wie oft und mittelswelcher Sprache sich mit den ausländischen Partnern in Ver-bindung setzt. Mit drei der insgesamt elf Fragen sollten

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Daten über die qualitative Einschätzung der einzelnen Kom-munikationsinstrumente erhoben werden (E-Mail, Telefon,Skype, Chat, Videokonferenz, Meeting). Hier sollten die Be-fragten mitteilen, welche Kommunikationsinstrumente fürsie am brauchbarsten sind und welche nach ihrer Meinungden höchsten Grad an erfolgreicher Kommunikation mit denausländischen Kollegen sichern. Die Qualität der Kommu-nikation wurde auf einer Skala von 1 bis 5 bewertet (1 = sehrschlecht, 5 = sehr gut). Zuletzt wurde nach Ursachen gefragt,die nach Meinung der Befragten ihre berufliche Kommuni-kation erschweren.Insgesamt wurden in der durchgeführten Befragung zehngeschlossene Fragen und eine halboffene Frage gestellt. DieWahl der geschlossenen Fragen war in großem Maße da-durch motiviert, von den Befragten konkrete Antworten zubekommen. Die meisten Fragen waren Multiple-Choice-Fragen, die zusätzlich die Möglichkeiten zu ausführlicherenAntworten boten.Die Befragung wurde unter Mitarbeitern der Unternehmendurchgeführt, die den Kundenservice an deutschsprachigenLändern betreuen. An der Befragung nahmen insgesamt 60 Personen teil: 15 Mitarbeiter des Unternehmens A und45 Mitarbeiter des Unternehmens B.

3. Befragtenprofil

Die Mehrheit der befragten Mitarbeiter (66 %) im Unterneh-men A war zwischen 18 und 30 Jahre alt. 33 % der Befragtenwaren im Alter zwischen 31 und 40 Jahren. Zu dieser Al-tersgruppe gehörten Project Manager, Team Leader undSpezialisten für Reklamationen. Im Unternehmen B war dieüberwiegende Mehrheit (89 %) der Befragten unter 30 Jahrealt. Fünf Befragte gehörten der Altersgruppe 31–40 an.

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67 % der Mitarbeiter im Unternehmen A waren Frauen. DieMänner bildeten eine weniger zahlreiche Gruppe (33 % derBefragten), wobei die insgesamt vier höheren Positionen (Pro-ject Manager, Team Leader) von drei Männern besetzt wur-den. Auch im Unternehmen B überwogen Frauen (69 %). Hierstellten männliche Mitarbeiter 31 % der Befragten dar.Im Unternehmen A waren 53 % der Befragten seit dreiein-halb Jahren oder länger angestellt, 33 % zwischen zweiein-halb und drei Jahren. 14 % arbeiteten im Unternehmen Akürzer als zwei Jahre. Die Struktur der Beschäftigungszeitim Unternehmen A ist eine Folge der Tatsache, dass diesesUnternehmen ungefähr alle zwei Monate eine neue Gruppevon Mitarbeitern beschäftigt. Im Unternehmen B arbeiteten13 % der Befragten über dreieinhalb Jahre und 11 % der Be-fragten zwischen zweieinhalb und drei Jahre.Die Befragten des Unternehmens A gehörten drei Gruppenan: Project Manager, Team Leader, Spezialisten für Rekla-mationen. Im Unternehmen B gehörten die Befragten sechsGruppen an: Agent, Team Manager, Trainer, Business Ana-lyst, Quality Coordinator und Operations Manager.

4. Datenauswertung

(1) Kommunikationshäufigkeit. Alle Mitarbeiter des Unter-nehmens A kommunizierten ausnahmslos jeden Tag mit dendeutschen Partnern. Im Unternehmen B kontaktierten über-haupt nur 37 % der Befragten ihre deutschen Partner (dieAufgabenstellungen für die restlichen 64 % der Mitarbeitermacht eine solche Kommunikation nicht erforderlich). 24 %der Befragten des Unternehmens B setzten sich mit ihrendeutschen Kommunikationspartnern ein paar Mal in derWoche in Verbindung. Dies waren vor allem Trainer undAgents, die wegen ihres erweiterten Aufgabenbereichs öfter

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mit deutschen Partnern in Verbindung treten mussten. Nur11 % der Befragten des Unternehmens B (es waren vorwie-gend Operations Manager, einige der Agents und der Qua-lity Manager) setzten sich täglich mit den deutschenKontaktpartnern in Verbindung.

(2) Funktion der Kontaktpartner. Die Kommunikation zwi-schen Mitarbeitern im Unternehmen A und ihren deutschenKollegen verlief zu 100 % auf der funktionsgleichen Ebene.Darüber hinaus setzten sich 80 % der Befragten regelmäßigmit ranghöheren deutschen Gesprächspartnern und 60 % mitrangniedrigeren Gesprächspartnern in Verbindung. 60 % der Befragten aus dem Unternehmen B kontaktierte deut-sche Partner, die eine höhere Position haben, 28 % der Be-fragten setzte sich mit Personen in Verbindung, die einenähnlichen Aufgabenbereich innehatten. Mit Kollegen derrangniedrigen Ebene standen 12 % der Befragten des Un-ternehmens B in Kontakt.

(3) Kommunikationssprachen. Obwohl im Unternehmen A dieKommunikation zwischen polnischen und deutschen Abtei-lungen stattfand, wurde nicht immer Deutsch als Kommuni-kationssprache verwendet. Polnisch wurde wegen mangelnderKenntnisse der deutschen Partner überhaupt nicht verwendet.Die Befragung hat aufgezeigt, dass 23 % der Kommunikationauf Englisch und 77 % auf Deutsch verlief. Erwähnenswertist, dass das Englische von den höher gestellten Mitarbeitern– dem Projektmanager und den Team Leaders – verwendetwurde. Auch im Unternehmen B wurde von den BefragtenDeutsch und Englisch verwendet, wobei die Kommunikationzu 96 % auf Deutsch stattfand. Englisch, mit 34 %, wurde re-lativ selten gebraucht. Hier verwendeten das Englische ammeisten die Operations Manager und der Quality Coordinator.

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(4) Kommunikationsinstrumente. Am häufigsten verwendetendie Befragten des Unternehmens A in ihrer Berufskommuni-kation E-Mail, Telefon und Meetings. Videokonferenzen wur-den von 13 % der Befragten in Anspruch genommen,während Skype und Chat lediglich von 7 % der Mitarbeiterdes Unternehmens A verwendet wurden. Wenn, dann wurdenSkype, Chat und Videokonferenz vom Project Manager undden Team Leaders als Kommunikationsinstrument in An-spruch genommen. Anders im Unternehmen B. Hier wurdenvon den Befragten neben E-Mail, Telefon und Meetings auchoft Chats benutzt. Unter den Befragten nutzten Trainer, TeamManager und Mitarbeiter, die im Projekt Handlungen koor-dinierten, zu 100 % E-Mail, zu 73 % E-Mail und Telefon.Zwei Team Manager nutzten zusätzlich Chats und Skype.Videokonferenzen fanden unter den Befragten des Unter-nehmens B keine Anwendung.

(5) Kommunikationseffektivität. Nach Meinung der Befrag-ten beider Unternehmen empfanden über die Hälfte (53 %)E-Mails als das beste und effektivste Kommunikationsin-strument. Zu den zweiteffektivsten Kommunikationsinstru-menten gehörte nach Meinung der Befragten das Telefon (27 %), gefolgt von Meetings mit 20 % der Antworten. DieWahl der Kommunikationsinstrumente steht untrennbar mitder Art der ausgeübten Arbeit in Verbindung, weil die Be-rufskommunikation bei verschiedenen Mitarbeitern andersverläuft. Erwähnenswert ist, dass die Trainer und Team Ma-nager einen direkten Kontakt bevorzugten. Ihrer Meinungnach ermöglichen Meetings, in einer kurzen Zeit Aufgaben,Ziele und eventuelle Probleme mit ihren Mitarbeitern zubesprechen. Dagegen dient ihnen das Telefon als derschnellste Weg der Kommunikation mit den ausländischenMitarbeitern.

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(6) Kommunikationsqualität. Die Qualität der Berufskom-munikation mit deutschen Partnern wurde von den Befrag-ten auf einer Skala von 1 bis 5 bewertet (1 = sehr schlecht,5 = sehr gut). Interessant ist, dass die Qualität der Berufs-kommunikation von den meisten Befragten des Unterneh-mens A nicht all zu hoch bewertet wurde. Kein Befragter ausdiesem Unternehmen bewertete die Effektivität als „sehr gut“.60 % der Befragten bewerteten sie mit der Note 4. Mit 3wurde sie von 33 % der Befragten bewertet; ein Befragtervergab sogar die Note 2. Im Unternehmen B wurde die Effektivität der Berufskom-munikation mit deutschen Partnern eher positiv bewertet,da lediglich eine Person sie als genügend (3) einschätzte. 73 % der Befragten waren mit der Kommunikation zufrie-den und fanden sie gut. Drei Personen schätzten sie als sehrgut ein.

(7) Kommunikationshindernisse. Die jeweilige Bewertungder Kommunikationsqualität mit deutschen Partnern hängtvon verschiedenen Faktoren ab. 87 % der Befragten ausdem Unternehmen A gaben an, dass ihrerseits die Kommu-nikation durch bessere Deutschkenntnisse der Deutschenerschwert wird. 80 % der Befragten haben angegeben, dassdie Verständigung gestört wird, weil die deutschen Kom-munikationspartner unbekannte Fachausdrücke verwenden.Ein Befragter fand, dass die Kommunikationshindernissedurch eine zu ernsthafte Präsentation der Meinung der deut-schen Partner bedingt sind. Interessant, aber im Lichte anderer Untersuchungsergebnisse nicht allzu sehr überra-schend (vgl. Grucza 2015) ist, dass alle polnischen Mitar-beiter als ein wesentliches Kommunikationsproblem ein zulangsames Arbeitstempo der Kollegen aus Deutschland genannt haben.

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Anders wurden die Kommunikationshindernisse bei denBefragten des Unternehmens B identifiziert. Nur 27 % derBefragten (im Vergleich mit den Befragten des Unterneh-mens A) fanden bessere Sprachkenntnisse ihrer deutschenKommunikationspartner als verständigungsstörend. Auchdie Wahl unbekannter Fachausdrücke wurde hier seltenerals ein Störfaktor (in 27 % der Befragungsfälle) gesehen.Auch die Mitarbeiter des Unternehmens B (20 %) sahen alsUrsache für die angefallenen Kommunikationsprobleme einzu langsames Arbeitstempo der deutschen Kollegen.

5. Ausblick

Einige der Befragungsergebnisse scheinen auf den erstenBlick „selbstverständlich“. So, wundert es nicht, dass 87 %der Befragten angaben, dass ihre Berufskommunikation mitdeutschen Partnern durch bessere Sprachkenntnisse der Deut-schen erschwert wird. Doch die Tatsache, dass unter Projekt-teammitgliedern eine sprachliche Ungleichheit herrscht, hatweitreichende Folgen für die Effektivität der Projektkommu-nikation und somit für die Effektivität der Projektabwicklung.Das Beheben eines solchen Kommunikationshindernisses ist,erstens, durch Untersuchung konkreter Sprachunzulänglich-keiten, zweitens, durch Ausarbeiten konkreter Verbesserungs-vorschläge und, drittens, durch gekonnte Implementierungdieser Vorschläge in die Kommunikationspraxis möglich.Dabei hängt der Erfolg eines solchen Vorhabens von geziel-ten Interventionen bei allen Kommunikationspartnern ab.Nur ein einseitiges Eingreifen wird auf lange Sicht keinenachhaltigen Früchte tragen. Auf der Seite der Sprachschwä-cheren muss Sprachkompetenz „nachgebessert“ werden, aufder Seite der Sprachstärkeren muss für Sprachkompetenzun-terschiede sensibilisiert werden.

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Dennoch sollen im Mittepunkt einer tiefgreifenden Refle-xion über den qualitativen Ablauf projektbezogener Kom-munikation nicht nur sprachliche Unterschiede stehen.Auch kulturspezifische Gegebenheiten und deren Bewer-tungen müssen mit einbezogen werden – beachtet man denVorwand der befragten polnischen Mitarbeiter beider Un-ternehmen, legen die deutschen Kollegen ein zu langsamesArbeitstempo vor.Die Ergebnisse der durchgeführten Pilotstudie bringen Ge-gebenheiten ans Tageslicht, die eindeutig belegen, dass esnicht nur sinnvoll, sondern auch erkenntnisnotwendig ist,Fragen der deutsch-polnischen Berufskommunikation inden Vordergrund interkulturell orientierter Studien zu stel-len. Diese Notwendigkeit wird durch einige vorangehendeStudien untermauert (vgl. Grucza 2014, 2015). Sehr starkwird sie durch Forschungen belegt, die im Rahmen der Ger-manistischen Institutspartnerschaft zwischen der BergischenUniversität Wuppertal und der Universität Warschau betrie-ben werden.

Literatur

Grucza, Sambor (2014): Zur Notwendigkeit der Erforschung der polnisch-deutschen Unternehmenskommunikation, in: Grucza,Sambor et al. (Hrsg.): Polnisch-deutsche Unternehmenskommu-nikation. Ansätze zu ihrer linguistischen Erforschung. Frankfurta.M. u.a.: Lang, S. 33-53.

Grucza, Sambor (2015): Kommunikation in multikulturellen Projekt-teams, in: Grucza, Sambor/Alnajjar, Justyna (Hrsg.): Kommu-nikation in multikulturellen Projektteams. Frankfurt a.M. u.a.:Lang, S. 9-28.

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Säule II

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Zwischen Übersetzungsarbeit und Publikation:Das Editions-Projekt „Edmund Polak“ (EPEP)

Magdalena Latkowska (Universität Warschau), Bruno Arich-Gerz (Bergische Universität Wuppertal)

Seit 2015 ruht die Wuppertal-Warschauer GermanistischeInstitutspartnerschaft auf zwei Säulen. Neben der umfängli-cher angelegten und mit höheren Mitteln ausgestatteten ers-ten Säule zum Themenkomplex ‚Beruf – (Aus)Bildung –Sprache‘, repräsentiert vor allem das „Editions-Projekt Edmund Polak“ die zweite, stärker literatur- bzw. kulturwis-senschaftlich ausgerichtete „Säule II“. Die folgenden Seitengeben Auskunft über den Stand der Dinge dieses Projektes,das voll im selbstgesteckten (Zeit-)Plan ist und sich Anfang2018 zwischen ausführlichen Übersetzungs- und Schreib-arbeiten an einführenden Texten zum Leben und zu denSchriften des Warschauer KZ-Überlebenden, Lyrikers undPublizisten Edmund Polak (1915-1980) und der Vorberei-tung für deren Publikation befindet, die für das Jahr 2019vorgesehen ist.

Familienrecherchen: Über Edmund Polak

Zu Beginn des Projekts wussten weder die GedenkstättenBuchenwald und Mittelbau-Dora, in deren Obhut EdmundPolak Ende der 1970er Jahre sein Papierkunstwerk ‚Tunel‘gegeben hatte, noch wir selbst mehr als nur das Nötigsteüber den in Warschau geborenen KZ-Überlebenden (aus-führlich, auch für das Folgende, in Latkowska & Arich-Gerz 2016). Polak sprach nachweislich Deutsch, dies gingaus den erhaltenen Briefkorrespondenzen mit Kurt Pelny

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hervor, der zu DDR-Zeiten die damalige Mahn- und Ge-denkstätte Mittelbau-Dora leitete. Dass er vor dem Kriegund seiner Zeit als politischer Häftling in Auschwitz undBuchenwald eine Fibel zum Erlernen des Morsealphabetsfür den polnischen Pfadfinderverband verfasst hatte, fandendie Warschauer Studierenden ebenso heraus wie das inte-ressante Detail seiner Nachkriegskarriere – die er als Jour-nalist für den Warschauer Express Wieczorny noch in den1940er-Jahren begann –, dass er nebenher immer wiederzu den lyrischen Arbeiten zurückfand, die ihn bereits wäh-rend der Lagerhaft zu einer durchaus bekannten Figur in-nerhalb der Häftlingsgesellschaft gemacht hatten. Waren esin den Lagern vor allem Gedichte und nur selten Liedtexte,mit denen er reüssierte (oder es so darstellte: seine Lager-chronik Dziennik buchenwaldzki (Polak 1983) führt ihn jedenfalls auf als ziemlich prominenten Lagerpoeten), sogelingt ihm 1966 ein kleiner Coup als Librettist, der zu-sammen mit einem Komponisten der international bekann-ten polnischen Sängerin Violetta Villas für eineTV-Sendereihe ein schmissiges Liedchen auf den Leibschneiderte.

Dem sich damit allmählich konturierenden „öffentlichen“Edmund Polak stand lange Zeit ein Nulleintrag bei dem privaten gegenüber. Die verfügbaren Quellen gaben wenigAuskunft über Familiäres und gar keine über den oder dieWohnorte bis zu seinem Tod. Erst im Jahr 2017 führte einZufallstreffer im Internet zu einem seiner beiden Söhne,dem Kunsthandwerker Krzysztof Polak, der in Warschauein Atelier besitzt und spontan bereit war, sich bei einemder regelmäßig stattfindenden Workshops an der Universi-tät Warschau mit uns zu treffen und über seinen Vater Aus-kunft zu geben.

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Workshop im Juni 2017

Krzysztof Polaks Anwesenheit und seine bereitwillig vor-getragenen Erinnerungen an den Vater gehörten für die teil-nehmenden Studierenden zu den Highlights des gesamtenProjekts. Wie sehr die Begegnung (nach)wirkte, wird be-sonders deutlich bei einem Spin-Off des eigentlichen Pro-jekts, der inzwischen als zwei B.A. Thesen eingereichtenEntwicklung einer mit erinnerungskulturellem content aus-gestatteten App. Die Wuppertaler Studentinnen Nadine Slo-wig und Nadja Durkiewicz verbanden darin ihr NebenfachGermanistik mit ihrem Hauptfach Mediendesign; KrzysztofPolaks Zeugnis als Sohn des eigentlichen Zeugen und Über-lebenden der NS-Lager nimmt in der App neben Polaks Seniors Gedicht 25, das die in den Lagern übliche Häftlings-bestrafung durch fünfundzwanzig Stockhieben thematisiert,einen prominenten Platz ein (siehe auch Durkiewicz & Slo-wig in diesen Arbeitspapieren).

Mit Polak Junior stehen wir nach wie vor in Kontakt underhoffen uns weitere Materialien von und über seinen Vater,die sein Bruder Andrzej verwaltet.

Der Workshop in Warschau im Juni 2017 markierte zugleichden Take-Off von den Recherchen zu ersten Versionen undÜbersetzungen der aus Polaks Schriften ausgewählten bzw.selbsterstellten und bei der angestrebten Edition als Einfüh-rungspassagen zu verfassenden Texte. Vorgesehen sinddabei eine polnische und eine (übersetzte) deutsche Version,für die wir als Projektverantwortliche derzeit nach interes-sierten Verlagen und Reihenherausgebern Ausschau haltenund Kontakte aufgenommen haben mit u.a. dem DeutschenPolen-Institut in Darmstadt (Dieter Bingen und Peter Oliver

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Loew), in dessen Reihe Polnische Profile die deutsche Fas-sung sehr gut passen würde und das ein grundsätzliches In-teresse signalisiert hat.

Die Struktur der herauszugebenden Schriften Edmund Po -laks, ihre Anordnung und die Kapitelübersicht wurden im Juni2017 ebenso festgelegt wie die Verteilung der (Schreib-)Auf-gaben. Augenblicklich arbeiten die (auch hierbei involvier-ten) Studierenden aus Wuppertal und Warschau mit unszusammen an den Texten und Text-Übersetzungen, die bisSommer 2018 abgeschlossen sein werden, um nach einerEndredaktion in die Publikation einzufließen.

Struktur der Publikation (Planung)

Eine vorläufige Übersicht der Publikation sieht nach einemeinführenden Kapitel und einer Kurzfassung von PolaksBiografie so aus:

1. „Pfadfinder-Zeit“ (Begleittext: Grzegorz Kotecki) 2. KZ-Haft in Auschwitz und Buchenwald: Lyrik

(Begleittext: Giannina Maaß)3. KZ-Haft in Auschwitz und Buchenwald: Chronik

(Begleittext: Paulina Gładysz) 4. KZ-Haft in Auschwitz und Buchenwald: Publizistik

(Begleittext Lidia Hutniczak)5. KZ-Haft in Auschwitz und Buchenwald: Rückblick

(Begleittext: Zuzanna Maksajda) 6. Nachkriegskünstler (Begleittext: Bruno Arich-Gerz) 7. Nachkriegsjournalist (Begleittext: Magdalena Latkowska) 8. Die letzten Jahre (Begleittext: Bruno Arich-Gerz)9. Nachwort (angefragt: Dr. Stefan Hördler, Leiter der KZ-

Gedenkstätte Mittelbau-Dora in Nordhausen).

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Textprobe (Chica Helka)

Wie ein Begleit- bzw. Einführungstext aussehen könnte, derdie Original- bzw. ins Deutsche übersetzten Ausschnitte ausden Schriften Edmund Polaks ergänzen und mit Hinter-grundinformationen versehen soll, zeigt die Einführung zumKapitel „6. Nachkriegskünstler“:

„Edmund Polaks literarische Vielseitigkeit zeigt sich Mitteder Neunzehnhundertsechziger Jahre erneut. Bereits in Buchenwald war er in Erscheinung getreten als Verfasservon Liedtexten, die ein musikalisch begabter Mithäftling alsKomponist zu Musikstücken ergänzte. Vor Zuhörern (zu-meist weiteren polnischen Häftlingen) aufgeführt, trugendiese Einlagen zu einer ,Lagerkultur von unten‘ bei, von derdie ostdeutsche und osteuropäische Geschichtsschreibungder Jahre bis 1989 das Narrativ einer organisierten Sub -kultur innerhalb der Lager ableitete, die zugleich Ausdruckvon und moralische Unterstützung für den Widerstand der,Politischen‘ unter den Häftlingen war. An diese Zeit als Librettist knüpft Polak 1966 an.,Chica Helka‘ lautete der Titel eines Chansons, das nun-mehr keine unerträglichen Haftbedingungen und Repres-salien durch nationalsozialistische Funktionsträger inKonzentrations- und Vernichtungslagern mehr zum Themahat, sondern den tragischen, weil tödlich endenden Konflikteines ,leichten Mädchens‘ in einer Hafenbar in BuenosAires mit einem jungen Kerl, der sie begehrt – aber vonHelka abserviert wird.Diesen brisanten und durchaus lasziven Liedtext, der mit ei-nigen exotismus-steigernden Spitznamen und Kraftausdrü-cken aus dem Spanischen aufwartet (,Lecz, por Dios, zJohnem nie‘ – por Dios: meine Güte), schrieb Polak für das

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polnische Fernsehen. Dort hatte man sich entschlossen, ausden Kurzgeschichtensammlungen des Unterhaltungsschrift-stellers Jerzy Szaniawski, in deren Mittelpunkt ein schrul-lig-plappernder Professor stand, eine ebenso unterhaltsameAdaption für das polnische TV-Publikum zu machen: denKlub Profesora Tutki. Unter der Regie von Andrzej Kodra-tiuk entstanden bis 1968 vierzehn Kurzepisoden für Tele-wizja Polska (TVP), deren längste 19 Minuten dauerte.Polaks Chansontext kam gleich in der zweiten Ausstrahlungder Sendereihe unter, die 1966 in Schwarz-Weiß (czarno-biały) über den Äther ging: passenderweise in einer Folgemit dem Titel ,Professor Tutka als Journalist‘ (ProfesorTutka był dziennikarzem). Übernommen hatte man denStoff für die 16-minütige Episode aus Szaniawskis ProfesorTutka i inne opowadania (1954).Doch nicht nur die Prominenz des Autors Szaniawski undseiner Vorlage, in der Tutka mit Juristen, einem Arzt und an-deren angesehenen Cafébesuchern über Gott und die Welt(und Ziegen) diskutiert und disputiert, machen Polaks Lied-text zu einer Besonderheit innerhalb seines Textschaffens.Auch zwei andere am Zustandekommen von ,Chica Helka‘Beteiligte sind ausgesprochen namhaft.Zbigniew Ciechan, der den Songtext mit milieutypisch-las-ziver Ziehharmonikamusik und ein paar Takten Tango un-terlegt, arbeitete unter anderem für das polnische Radio undwar von 1961 bis zur Entstehungszeit von ,Chica Helka‘Musikdirektor des Warschauer Studentenkabaretts Stodoła.Daneben unterrichtete er an Musikakademien in der Haupt-stadt und in Kielce – genügend Gelegenheiten also, EdmundPolak kennenzulernen. Noch 2006 und also lange nach sei-nem Schaffen in der Volksrepublik Polen wurde der 1929geborene Ciechan in Kielce für sein unterhaltungsmusika-lisches Werk ausgezeichnet.

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Vor Auszeichnungen, Preisen und vor allem ansehnlichenGagen nicht retten konnte sich Zeit ihres Lebens auch eineandere an der Umsetzung von ,Chica Helka‘ Beteiligte: dieChansonsängerin Violetta Villas. Die damals knapp dreißig-jährige Villas, bürgerlich: Czesława Maria Cieślak, passtemit der außergewöhnlichen Breite und Vielfalt ihrer Stimmeideal zum mal verrucht hauchenden, mal keck auffordern-den Charakter des Liedes. Villas galt längst als ,Stimme desAtomzeitalters‘ (so eine französische Zeitschrift) und (ins-besondere in Polen) Sexidol, als sie ,Chica Helka‘ vor derStudiokamera einsang und gleichzeitig verkörperte: übri-gens war dies ihr erster Auftritt als Schauspielerin vor einempolnischen Fernsehpublikum. Villas, der Weltstar mit pol-nischem Wohnsitz, der in Paris und den USA auf der Bühnestand und sich mit Größen wie Frank Sinatra, Charles Az-navour, Sammy Davis oder Barbra Streisand Duette lieferte,genoss wie Ciechan und auch Polak offenbar das Vertrauender für das offizielle Kulturleben zuständigen Behörden undkommunistischen Kunstkommissare. Dies schien sich auchnach einer zweijährigen Polen-Abstinenz nicht geändert zuhaben, die die Villas in den USA zu zahlreichen Bühnen-auftritten in Las Vegas, New York oder Chicago und vorallem zu einem Imagewechsel hin zum kitschig-bombasti-schen Superweib nutzte. Das neue Image pflegte sie bis zuihrem Tod 2011: bisweilen angefeindet und zuletzt bemit-leidet für einen Werde- und Niedergang, der dem des spätenElvis Presley in Sachen Prunk- und Tablettensucht wenignachstand.Auch Gerüchte über eine Tätigkeit beim Służba Bez-pieczeństwa, dem polnischen Geheimdienst, verfolgten dieVillas in ihren letzten Jahren. Eine schnittige Chica Helka,die genau wusste, wie man mit den Mächtigen und Männerndieser Welt umzugehen hat, bis sie auf den roten John (,rojo

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John‘) trifft und ins Verderben stürzt: das war auch ViolettaVillas selber, und zwar vor allem für ihre Kritiker aus demdemokratischen Polen. Edmund Polaks Liedtext hatte, rück-blickend betrachtet, also durchaus prophetische Qualität.“

Literatur

Latkowska, Magdalena/Arich-Gerz, Bruno (2016): Das Editions-Projekt Edmund Polak (EPEP), in: Arich-Gerz, Bruno/Efing,Christian/Kiefer, Karl-Hubert (Hrsg.): Berufsbezogene und(inter)kulturelle Kompetenzen im deutsch-polnischen Kultur-und Wirtschaftsraum. Arbeitspapiere der Germanistischen Institutspartnerschaft (GIP) zwischen der Bergischen Univer-sität Wuppertal und der Universität Warschau. Erster Stoß.Wuppertal, S. 97-105.

Polak, Edmund (1983): Dziennik buchenwaldski. Warszawa: Wydaw-nictwo Ministerstwa Obrony Narodowej.

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Die Sehnsucht nach Freiheit im lyrischen Werk Edmund Polaks

Giannina Maaß (Bergische Universität Wuppertal)

Dass ein Häftling, der mehrere Jahre in verschiedenen Kon-zentrationslagern überlebt, erst Auschwitz, dann Buchen-wald, zuletzt Dachau, der tagtäglich von Vernichtungumgeben ist und so Zeuge der ungeheuerlichen Gräueltatender Nationalsozialisten wird, dass solch ein Häftling sichnach der verlorenen Freiheit sehnt, ist für jedermann nach-vollziehbar. Dass ein Häftling allerdings in Anbetracht derunzumutbaren Lebensumstände in einem Konzentrations-lager beginnt, zu dichten, ist bemerkenswert.

Edmund Polak war ein solcher Häftling. Mit seinen Ge-dichten leistete er geistigen Widerstand im Lager, schlosssich dort in ähnlicher Weise tätigen Gruppen an und wurdeals „mały poeta“ (Zonik 1989: 136), als „kleiner Dichter“,bekannt.

Beschäftigt man sich mit Polaks lyrischem Werk, fällt dasMotiv der Sehnsucht nach Freiheit in verschiedenen Ge-dichten immer wieder auf. Anhand dreier ausgewählter Bei-spiele soll dies im Folgenden verdeutlicht werden.

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Edmund Polak Reif auf den Drähten

Mit einer Million schimmernder Stachelnhat der Reif die Drähte störrisch gemacht.Oder funkelte und funkelte die Wehmut doch in den Sonnenstrahlen?

Oder doch der Wind auf den drähternen Saiten spielte, und nicht jammerte,seinen eisigen Kussden Häftlingen auf die Hände niederlegend?O, in die Ferne gestreckte Hände,in die Richtung der stacheligen Drähteihr erreicht nicht mehrals die aus Eisen geschmiedeten Stacheln.1

1 Übersetzung aus Sacha 2014: 377.

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„Reif auf den Drähten“ schildert das morgendliche Erschei-nungsbild des Stacheldrahtzauns, von dem ein Konzentrati-onslager umgeben war. In den Stacheln des Drahtes, diedurch den Reif in der Sonne funkeln, scheint das lyrische IchWehmut zu erkennen. Die Wehmut, der Schmerz also, her-vorgerufen durch das Erinnern von Vergangenem, wird hierzu etwas Sichtbarem, was durch die Sonnenstrahlen zu fun-keln beginnt. Woran denkt das lyrische Ich wohl?

Die Geräusche, die durch den Wind entstehen, werden alsein Spiel auf Saiten wahrgenommen, als etwas Angeneh-mes, ganz im Gegensatz zu einem Jammern. Personifiziertist der Wind nicht nur zum Musizieren, sondern auch zumNiederlegen eines eisigen Kusses auf die Hände der Häft-linge in der Lage, der offensichtlich belebend wirkt. DieHände werden gestreckt, dem wohligen Wind hinterher wol-lend, doch das lyrische Ich hat die bittere Realität erkannt,nur die Stacheln des Drahtes können erreicht werden kann,nicht mehr.

Der morgendliche Reif auf den Drähten veranlasst das lyri-sche Ich, in den alltäglichen Erscheinungen, wie den Sta-cheln und dem Wind, Dinge zu erkennen, nach denen es sichsehnt, die es verloren hat, die unwiederbringlich zu seinscheinen. In einem ruhigen Moment, früh morgens vor demAppell, vor dem Beginn der kräftezehrenden Arbeit gelingtes dem lyrischen Ich, sich einige dieser Dinge vorzustellen,sie in der trostlosen Umgebung wahrzunehmen. Sicherlichsind es nur Kleinigkeiten, wie Musik, eine belebende Briseoder das Funkeln der Sonnenstrahlen, aber wenn diese Ge-danken durch das Erkennen der Realität eingeholt werden,wird dem lyrischen Ich schmerzlich bewusst, dass es seineFreiheit verloren hat.

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Edmund Polak Ausschnitte Stehbunker

Wie Saiten die Sehnen gespannt –Gedanken vor Schmerz erstarrt,die jedoch frei sind und eilenfessellos jenseits der Mauer.

Hinter der Mauer fließt langsam die Soła,kaum jemand weiß hier davon.Nur die Wipfel der Birken sehen die Freiheitund allein der Wind von ihr zu flüstern wagt.

Schmerz? Was kann uns schon noch schmerzen? Schmach? Wer ist im Stande, uns zu schänden?Schlagen? Töten? Quälen? Hungern lassen?Was soll’s? Uns zermürbt nur die Zeit.

Was soll´s, wenn sie uns Wasser ins Gesicht spritzen?Mitleid? – Nein, nur, dass du es länger spürst. –Ich will endlich nur noch einschlafen,im Traum auf die Soła herunterblicken.

Möge der Wind meine Schläfen erfrischen,und in die verbotene Ferne steigen. Schmerz? – Wie viele lange Stunden noch? Leid? Nur in den Wipfeln der Birken schluchzt das Leid.2

2 Übersetzung aus Sacha 2014: 401.

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Dem Stehbunker, der in den Konzentrationslagern zur Be-strafung von Häftlingen eingesetzt wurde, widmet Polak eineigenes Gedicht. Ein aus „Reif auf den Drähten“ bekanntesMotiv lässt sich hier wiederfinden. Erneut ist es nämlich derWind, dem eine besondere Funktion zukommt. Er alleinwagt es, von der Freiheit zu flüstern, er soll die Schläfen er-frischen, dann aber in die verbotene Ferne steigen. Die ver-botene Ferne, die verlorene Freiheit also, ist ihm zugänglich,während das lyrische Ich körperlich im Stehbunker aushar-ren muss. Gedanklich aber ist es ihm möglich, dieser Situa-tion zu entkommen, denn die Gedanken, die im Gegensatzzum Körper selbst frei sind, können dem Wahnsinn entflie-hen. Sie können die Mauer überwinden und die Soła sehen,den Fluss, der nahe dem Konzentrationslager Auschwitzfließt, und genau das ist es, was das lyrische Ich will. End-lich einschlafen, damit es sich im Traum auf die andere Seiteder Mauer begeben kann, auf die Seite der Freiheit. DieFreiheit, die nur für die Wipfel der Birken sichtbar ist, dadie Mauer für die Häftlinge auf körperlicher Ebene die un-überwindbare Grenze zwischen Gefangenschaft und Frei-heit darstellt. Nur gedanklich ist es noch möglich, sie zusehen. Nur die Zeit, die vielen Stunden im Stehbunker, ver-mögen das lyrische Ich zu zermürben, nicht jedoch der kör-perlich empfundene Schmerz. Der seelische Schmerz, dieSehnsucht, zumindest gedanklich die Freiheit erleben zukönnen, überwiegt.

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Edmund Polak Abschied von Freunden

Schau! – Mutig der Wahrheit in die Augen schau, obwohl kein einziger Bruder im Blut schwimmt – brach heute der entscheidende Kampf ausund der prophetische Traum wird zum zweiten Male geträumt:... Hier unter den Felsen tausend blutige Hände,schreiben Worte von eigenem Blut gezeichnet – Lies – Mane – irgendein blutiger Kreis ... Tekel – das bedeutet schon – Fares ... die Leichen spotten,tanzen im Rauch in einer Reihe.Ist das wahr? – Oder aber ein schlimmer Traum.Schau hier – gestern stand hier des Todes Haus. Schau hier – heute nur Schutt und Asche.

Aus der Mitte der noch rauchenden TrümmerArme aus Draht breitet die Säule auswie ein Symbol – das Kreuz der Sklavenumschlingt mit Drähten des Sklaven Grab.

Da wieder ein Symbol – in zwei Teile zerbrochender gestürzte Adler – mit dem Schnabel in die Trümmer gebohrt.

Ist das wahr? – davon klagt jeder Jammer. Ist das wahr? – darüber schweigt jede Leiche.

Lebt wohl Brüder, ich drücke eure Hand, wer alles überlebte, hat große Tage erlebt, weil hier in der Asche, im Staube das Böse gefallen ist, weil hier die aufgehende Sonne schon scheint!3

3 Übersetzung aus Sacha 2014: 477f.

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Das Motiv des Traumes, schon aus „Stehbunker“ bekannt,begegnet dem Leser in dem hier zuletzt vorgestellten Ge-dicht erneut. Es handelt sich um die Erzählung eines pro-phetischen Traumes, in dem der Zusammenbruch desKonzentrationslagers gesehen wird. Das Krematorium,unter dessen Trümmern tausend blutige Hände zu sehensind, ist eingestürzt. Es ist ein Freudentanz der Leichen imRauch zu sehen, es muss erst kurz zuvor zur Zerstörung ge-kommen sein. Die drahtigen Überreste des Gebäudes er-scheinen als ein Kreuz, das Kreuz der Sklaven, all jenerMenschen, die hier vernichtet worden sind. Der Reichsadler,Stellvertreter für die Schreckensherrschaft der NSDAP, istzerbrochen, sein Schnabel hat sich in die Trümmer gebohrt,er liegt am Boden. In der Asche, im Staub ist das Böse ge-fallen, die Gefangenschaft im Lager hat ein Ende. Für daslyrische Ich ist diese Situation kaum vorstellbar, denn esfragt sich immer wieder, ob das, was es sieht, wahr ist. Diezweifache Aufforderung, genau hinzusehen, soll dieseZweifel ausräumen und ermöglicht dem Leser, die Szeneriezu verstehen. Die im letzten Vers erwähnte aufgehendeSonne, die hier schon scheint, ist ein Symbol für die langersehnte Freiheit, die nun endlich zurückgewonnen ist. EinSymbol für eine gerade erst angebrochene Zeit, die die Dun-kelheit dieses nun zerstörten Ortes überstrahlen wird.

Edmund Polaks Gedichten verdanken wir es, einen Einblickin die Gedanken eines KZ-Häftlings zu gewinnen. EinenEinblick zu gewinnen in seinen Widerstand im Geiste, deran unterschiedlichen Stellen zeigt, auf welch vielfältige Artund Weise das Denken an Freiheit und das Herbeisehnenvon Freiheit eine Rolle spielt. Polaks Gedichte berühren,denn sie lassen uns Leser teilhaben an der inneren Welt sei-nes Selbst zu einem Zeitpunkt unvorstellbaren Leids.

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Gerade heute, in einer Zeit des Umbruchs der Erinnerungs-kultur, in der die letzten Zeitzeugen sterben, ist es besonderswichtig, den Blick zu schärfen für geeignete Zeugnisse, diedie Erinnerung an die Verbrechen der Deutschen im ZweitenWeltkrieg aufrechterhalten können. Polaks Gedichte eignensich dazu in ganz besonderem Maße, da sie das, was unzäh-ligen Menschen angetan wurde, auf ihre ganz eigene Weiseein Stück weit erfahrbar machen können.

Literatur

Sacha, Magdalena Izabella (2014): „Gdybyście w obóz przybyć już raczyli ...“ Obraz kultury lagrowej w świadectwach więźniówBuchenwaldu 1937 1945. Gdańsk: Instytut Pamięci Narodowej.

Zonik, Zygmunt (1989): Alert trwał 5 lat. Młodzieżowa Agencja Wydawnicza Warszawa.

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Bachelorarbeit 25. Erprobung einer Technologie für ein Hörbuch zu einem Gedicht von Edmund Polak

Nadja Durkiewicz, Nadine Slowig (Bergische Universität Wuppertal)

Im Rahmen einer Bachelorthesis an den Fakultäten Germa-nistik und Mediendesign/Designtechnik der Bergischen Uni-versität Wuppertal ist aufbauend auf das Editionsprojekt„Edmund Polak“ (vgl. Latkowska & Arich-Gerz in diesen Ar-beitspapieren) das Projekt 25 entstanden. Das Gedicht „25“,welches von Edmund Polak verfasst wurde, ist wesentlicherBestandteil des Projektes. Unser Projekt kann als erinne-rungskultureller Beitrag angesehen werden. Es handelt sichbei dem Projekt um ein VR-Hörbuch, das in Verbindung miteiner App präsentiert wird.

Der Nutzer benötigt als Equipment ein Smartphone, eineVR (Virtual Reality)-Brille und Kopfhörer. Durch die VR-Brille befindet sich der Benutzer in einem virtuellen Raum,dieser virtuelle Raum ist der Stollenanlage des ehemaligenKonzentrationslagers Mittelbau-Dora in Nordhausen nach-empfunden. Hier werden ihm u.a. auditiv Informationen zudem KZ Mittelbau-Dora, den Häftlingen vor Ort, der PersonEdmund Polak und seinem Gedicht „25“ präsentiert. DiesesGedicht ist zugleich der Hauptteil des Hörbuchs.

Edmund Polak war ein ehemaliger polnischer KZ-Häftling,der in seinem Gedicht „25“ die Prügelstrafe mit 25 Schlägenund die Gedanken eines Häftlings während der Folterung

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thematisiert. Die Häftlinge wurden gezwungen die Schlägelaut mitzuzählen. Die Zahlen von 1 bis 25 hat EdmundPolak rechtsbündig – und somit abgesetzt vom übrigen Ge-dichttext – niedergeschrieben. Durch das Editionsprojektentstand eine Übersetzung des Gedichts aus der polnischenin die deutsche Sprache. Diese wird in dem VR-Hörbuchdurch Jörg Hustiak eingesprochen. Jörg Hustiak ist ein pro-fessioneller Sprecher und derzeit Mitglied im Sprecheren-semble des WDR. Ihm gelingt es, das schwere Thema miteiner angemessen Distanz auditiv zu präsentieren.

Da sich der Benutzer des VR-Hörbuchs virtuell in der Stol-lenanlage befindet, wird der Stimme ein Hall unterlegt, damitdie Präsentation authentischer wirkt. Auditiv werden demNutzer Informationen zu der Stollenanlage, Berichte vonHäftlingen über die Ankunft und die Bedingungen im Stollensowie das Gedicht „25“ vorgetragen. Zudem wurde ein Inter-view mit Krzysztof Polak, Edmund Polaks Sohn, durch JörgHustiak synchronisiert. Krzysztof Polak ist künstlerisch tätigund wohnt in Warschau. Das Interview fand in seinem Ate-lier statt. Des Weiteren wurden Geräusche, wie beispiels-weise Bohrungen, Rauschen und Sprengungen, für dievirtuelle Präsentation im Stollen rekonstruiert. Diese entspre-chen der mutmaßlichen historischen Geräuschkulisse in derStollenanlage des KZ Mittelbau-Dora.

In der Anlage waren KZ-Häftlinge untergebracht und muss-ten Zwangsarbeit bei der Waffen- und Raketenproduktionleisten. Unter menschenunwürdigen Bedingungen musstensie dort leben und arbeiten. Der virtuellen Darstellung derStollenanlage liegen Fotoaufnahmen des Stollens in seinemaktuellen Zustand zu Grunde. Sie wurden mit einer SonyAlpha 7S Kamera mit Nodalpunktadapter in Nordhausen

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angefertigt. Es wurden mehrere Bereiche der Stollenanlagefotografisch festgehalten, auch der Nutzer gelangt so in demVR-Hörbuch in mehrere Stollenbereiche. Während der Ge-dichtpräsentation gelangt er zudem noch in andere virtuelleRäume, die mit dem Inhalt des Gedichts im Zusammenhangstehen. Auch das Interview mit Krzysztof Polak in dessenAtelier wurde mit einer 360º GoPro-Kamera aufgenommen,sodass sich der Nutzer auch hier virtuell umschauen kann.

Das VR-Hörbuch 25 wird über eine App genutzt. In dieserApp wird dem Nutzer zunächst ein Menü angezeigt, in demer zwischen drei Optionen wählen kann. Er hat die Mög-lichkeit, sich ein Handbuch anzuschauen, in dem die genaueAnleitung der Anwendung erläutert wird. Außerdem be-kommt er Informationen zum Hintergrund des Projektesmitgeteilt und kann sich das Impressum ansehen.

Das VR-Hörbuch wird über die App gestartet und dasSmartphone wird mit dem restlichen Equipment verbunden.Eingangs befindet sich der Nutzer virtuell vor dem Eingangder Stollenanlage. Hier wird ihm genug Zeit gegeben, sich zuorientieren. Das VR-Hörbuch selbst besteht aus drei Kapiteln.Im ersten Kapitel – Einleitung – werden Berichte von Zeit -zeugen über die Ankunft und Bedingungen im Stollen sowieHintergrundinformationen zu der Stollenanlage und dem Gedicht auditiv vorgetragen. Der Nutzer schaut sich dabei inzwei Bereichen der Stollenanlage um. Im zweiten Kapitel – Gedicht – wird der Hauptteil, das Gedicht „25“, präsentiert.Hierbei gelangt der Nutzer zusätzlich in andere virtuelleRäume, dazu gehören ein Nadelwald, ein weißer Raum undein Hinterhof. Diese Räume hängen mit dem Inhalt des Ge-dichts zusammen und unterstützen zugleich eine künstleri-sche Interpretation dessen. Am Ende des zweiten Kapitels

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finden schnellere Wechsel zwischen den Räumen und Per-spektiven statt, die schnellen Wechsel sind dramaturgisch andas Gedicht angepasst. Abschließend befindet sich der Nut-zer virtuell in der Stollenanlage und das Gedicht findet au-ditiv seinen Abschluss. Der Benutzer verweilt noch einenAugenblick in dem gleichen Bereich der Stollenanlage undgelangt dann in das dritte Kapitel: Zeitzeugen. Hier könnenInterviews mit Überlebenden des Lagers und das Interviewmit Krzysztof Polak angeschaut werden. An den Wänden indem Stollenbereich befinden sich Portraits der überlebendenZeitzeugen. Diese kann man anhand einer Interaktion aus-wählen. Die Interaktion im VR-Hörbuch unterstützt ein wei-ßer Punkt, der vergleichbar mit einem Mauszeiger an einemComputer ist. Gesteuert wird der Punkt allerdings nichtdurch die Hand des Nutzers, sondern durch seinen Blick.Möchte der Benutzer ein Interview mit einem Zeitzeugenstarten, so gelingt es ihm durch das Fokussieren eines Por-traits. Das Beenden eines Interviews funktioniert durch dasFokussieren eines Verlassen-Symbols.

Schaut der Nutzer sich das Interview mit Krzysztof Polakan, so berichtet dieser in seinem Atelier von seinem VaterEdmund Polak und dessen Beweggründen für die Anferti-gung des Gedichts „25“. In dem VR-Hörbuch wird der Nut-zer automatisch in die Kapitel geführt. Er hat zusätzlich dieMöglichkeit, sich manuell in das gewünschte Kapitel zu be-geben. Dies gelingt ihm, indem er durch einen Blick nachunten eine Kapitelübersicht aufruft. Hier hat er auch dieMöglichkeit das VR-Hörbuch jederzeit durch das Fokussie-ren des Verlassen-Symbols zu beenden. Das Kapitel Zeit-zeugen ist das letzte Kapitel des VR-Hörbuchs, hier kannder Nutzer beliebig lang Interviews anschauen und schluss-endlich das VR-Hörbuch manuell verlassen.

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Das Projekt 25 ist ein Experiment/Versuch aus einer Kom-bination von VR und einem Hörbuch. Es ist eine Informa-tionsvermittlung über eine VR-Anwendung. Zugleich bietetes die Möglichkeit zur Nutzung als E-Learning-Modell undkönnte zudem beispielsweise in Kooperation mit Gedenk-stätten im Schulunterricht genutzt werden.

Das Ziel und der Zweck des Projektes sind vor allem dasVerbreiten und die Aufrechterhaltung der Erinnerung an dieOpfer der nationalsozialistischen Konzentrationslager. ImVR-Hörbuch stehen persönliche Erfahrungen, Schilderun-gen und Berichte von Zeitzeugen im Fokus. 25 ist ein Bei-trag gegen das Vergessen.

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Das Zentrum für Erinnerungskultur und Erinnerungsedition im Rahmen der GIP. Aktivitäten im Jahr 2017 und Ausblick

Anita Borkowska1 (Universität Warschau)

Der vorliegende Beitrag hat zum Ziel, die Ergebnisse mei-ner wissenschaftlichen Arbeit im Rahmen des Zentrums fürErinnerungskultur und Erinnerungsedition für das Jahr 2017sowie Pläne für das kommende Jahr darzustellen.

Vom 6. bis zum 9. Juni 2017 fand in Wuppertal das von mirvorbereitete und durchgeführte Seminar Videographierte undtranskribierte Interviews als Textsorte statt. Die Teilnehmer/ -innen waren fünf Studierende aus der Bergischen Universitätin Wuppertal und zwei Gaststudentinnen aus dem Germa-nistischen Institut der Warschauer Universität. Der Workshophatte zum Ziel, die Teilnehmer/innen mit den Besonderheitender Videozeugnisse und deren Transkriptionen vertraut zumachen. Die wissenschaftliche Basis für das Seminar war dasKonzept, das in meiner Dissertation (Ciechomska 2015) dar-gestellt wurde. Die Studierenden analysierten verschiedenewissenschaftliche Annahmen und Richtlinien für die Zusam-menstellung des Videointerviews mit dessen Transkription,die vom Visual History Archive des Shoah Foundation Insti-tutes an der Freien Universität Berlin, der RessourceZwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte unddem Videoarchiv der Stiftung Denkmal für die ermordetenJuden Europas ausgearbeitet worden waren. Die Seminar-teilnehmer/innen setzten sich auch mit der in meiner Disser-

1 Ehemals Anita Ciechomska, vgl. Ciechomska 2015, Ciechomska 2016.

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tation dargestellten These auseinander, nach der die video-graphierten und transkribierten Interviews als literarischeGattung zu betrachten sind. Als erste Seminarleistung hattensie die Aufgabe, die eigenen Richtlinien für die Erstellungvon Transkriptionen von Videointerviews mit Zeitzeugenauszuarbeiten. In ihrer Arbeit sollten sie möglichst präziseund detailliert definieren, wie bestimmte Elemente der ver-balen und nonverbalen Kommunikation graphisch markiertwerden sollen und welche Elemente für die Transkription re-levant sind. Die Vorgehensweise zur Erstellung einer Tran-skription sollte auch Situationen voraussehen, wo der AutorZweifel haben kann, die vor allem auf die Besonderheitender Zeugnisse der Überlebenden der NS-Zeit zurückzuführensind (Emotionen, schwer zu verstehende Passagen in ver-schiedenen Sprachen, Streitfragen, Interpretationsschwierig-keiten). Bei den auszuarbeitenden Richtlinien warenhilfreiche und praktisch anwendbare Hinweise erwünscht,wie der Autor mit solchen nicht eindeutigen Situationen um-gehen kann. Aus den zusammengestellten Richtlinien warzu entnehmen, dass die Seminarteilneh mer/innen sich dietheoretische Grundlage für den Workshop durch die Lektürevon wissenschaftlichen Texten sehr gut angeeignet und dieim Workshop besprochenen Theorien, nach denen die Tran-skription eine graphische Form ist, die Singularität des Zeug-nisses hervorheben, richtig verstanden haben.

Die zweite Leistung war die Erstellung der Transkriptioneines Interviews zum Thema Erinnerungen an die NS-Zeitund den zweiten Weltkrieg in meinem Elternhaus. Die Se-minarteilnehmer/innen haben einander in kleinen Gruppeninterviewt. Die interviewten Personen wurden zu ihren per-sönlichen Erinnerungen befragt, was in ihrem Familienkreisüber den zweiten Weltkrieg erzählt worden war. Die Inter-

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viewer/innen hatten das Ziel, etwas über den Umgang der„dritten Generation“ mit den Kriegserinnerungen und Zeug-nissen ihrer Großeltern zu erfahren. Die Perspektive, die beiden Zeugnissen sichtbar wurde, war umso breiter, als so-wohl deutsche als auch polnische Studierende interviewtwurden. Anschließend hat jede Gruppe eine Transkriptionvon einem Interview angefertigt, das von anderen Seminar-teilnehmern/innen durchgeführt worden war. Dabei warenRichtlinien anzuwenden, die auch von anderen Studenten/ -innen im Rahmen der früher erwähnten Seminarleistungvorbereitet worden waren. Die Autoren/innen (Seminarteil-nehmer/innen) haben sehr detaillierte Transkriptionen an-gefertigt, die von der angegebenen Vorgehensweise nichtabwichen. An den angefertigten Transkripten war eindeutigzu erkennen, dass notwendige Recherchen vorgenommenworden waren, um unverständliche Passagen und fremd-sprachige Orts- und Eigennamen möglichst originalgetreuzu transkribieren. Die Studierenden hatten auch keineSchwierigkeiten bei der Interpretation von einzelnen Hin-weisen und gingen mit den zu transkribierenden Interviewsmit großer Einfühlsamkeit um und haben alles getan, damitdie Transkription tatsächlich zu einem Mittel wird, die Sin-gularität und Besonderheit des Zeugnisses hervorzuheben.

Die Durchführung des Workshops war als Einstieg zum Pro-jekt Stimmen, Gesichter, Worte geplant, dessen Realisierungim Rahmen des Zentrums für Erinnerungskultur und Erin-nerungsedition vorgesehen ist (vgl. auch Ciechomska 2016).Das Ziel des Projekts ist die Errichtung eines literarischenOnline-Archivs mit den Audio- und Videozeugnissen vonÜberlebenden der NS-Verfolgung und Transkriptionen vondiesen Aufnahmen. Den Archivnutzern soll die Möglichkeitgeboten werden, sich mit den Interviews und Transkriptionen

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vertraut zu machen und sie in literarischer Hinsicht zu inter-pretieren (vgl. http://zee.uw.edu.pl/2016/01/27/stimmen- gesichter-worte/). Die Interviews, die die Studierendenwährend des Workshops durchgeführt haben, bewiesen, dassZeugnisse von der dritten Generation nach dem Krieg undihren Post-Erinnerungen eine sehr interessante zusätzlicheForschungsperspektive darstellen. Aus diesem Grund habeich beschlossen, auch diese Art von Zeugnissen bei der Er-stellung des künftigen Online-Archivs zu berücksichtigen.Dabei hat sich zufällig eine Chance ergeben, mit einer Ge-schichte anzufangen, die die Post-Erinnerungen von denKindern einer ehemaligen Zwangsarbeiterin aus Polen mitden Post-Erinnerungen von Nachkommen der Menschen, fürdie sie gearbeitet hat, verbindet. Die Großmutter meines Ehe-mannes Kazimiera R. soll nach Angaben ihrer Kinder imJahre 1940 nach Wuppertal als Zwangsarbeiterin verschlepptworden sein und in einer Gaststätte gearbeitet haben. Dieeinzigen Dokumente aus dieser Zeit, die ihre Kinder besit-zen, sind zwei Fotos. Das erste Foto zeigt das Haus, wo ihreMutter gelebt haben soll; auf dem zweiten Foto ist KazimieraR. persönlich in der Umgebung des Hauses zu sehen. Dieehemalige Zwangsarbeiterin hat ihren Kindern nach demKrieg mehrmals von jener Zeit erzählt, wobei sie oft betonte,dass sie von ihren „Arbeitgebern“ gut behandelt wurde.Wegen der Nachkriegszensur sind jedoch jegliche Versucheder brieflichen Kontaktaufnahme gescheitert.

Während eines Forschungsaufenthaltes in Wuppertal im No-vember / Dezember 2017 habe ich Maßnahmen getroffen,um das Haus und seinen damaligen Besitzer zu identifizie-ren. Dabei waren mir die Mitarbeiter von der BergischenUniversität in Wuppertal behilflich, von denen ich zahlreicheTipps für die Suche nach dem Haus bekommen habe. Ich

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hatte auch die Möglichkeit, mich mit der Fachliteratur unddem Verzeichnis der Haushalte und Betriebe, wo dieZwangsarbeiter eingesetzt wurden, in der Bibliothek derBergischen Universität Wuppertal vertraut zu machen. DieRecherche hat sich als erfolgreich erwiesen, da ich heraus-gefunden habe, um welches Haus es sich handelte. Die Gast-stätte, wo Kazimiera R. Zwangsarbeit geleistet hat, wurdeals das so genannte „Haus Barmen“ an der Barmer Talsperreidentifiziert, das leider 1976 aufgrund verschärfter Wasser-schutzrichtlinien abgerissen wurde. Mit Unterstützung vonMitarbeiter/innen der Bergischen Universität in Wuppertal,unter anderem Katrin Peters, Bettina Hofmann (Verein Spu-rensuche), Michael Okroy und seinen Kollegen vom Beiratdes Bergischen Geschichtsvereins, versuche ich derzeit,Kontakt mit den Nachkommen der Besitzer der Gaststätteoder der Personen, die dort gearbeitet haben, aufzunehmen.Ein Interview mit solchen Personen könnte zusammen mitdem Interview mit einem der Kinder von Kazimiera R. wei-teren interessanten Stoff für das künftige Online-Archiv desProjekts Stimmen, Gesichter, Worte bieten.

Literatur

Ciechomska, Anita (2015): Literarische Eigenschaften der videographierten und transkribierten Interviews mit Überlebenden dernationalsozialistischen Verfolgung. Warschau: Dissertationendes Instituts für Germanistik der Universität Warschau.

Ciechomska, Anita (2016): „Stimmen, Gesichter, Worte – ein Online-Archiv zur Textsorte videographierte Interviews, in: Arich-Gerz,Bruno/Efing, Christian/Kiefer, Karl-Hubert (Hrsg.): Berufsbezogeneund (inter)kulturelle Kompetenzen im deutsch-polnischen Kultur-und Wirtschaftraum. Arbeitspapiere der Germanistischen Instituts-partnerschaft (GIP) zwischen der Bergischen Universität Wuppertalund der Universität Warschau. Erster Stoß. Wuppertal, S. 129-132.

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Breitenwirkung.Institutionelle und

thematische Erweiterungen

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Die Reihe Literatur – Kontexte und das gleich-namige internationale und interdisziplinäreForschungsprojekt der Universitäten Wup-pertal, Warschau, Santiago de Compostelaund der Pädagogischen Universität Krakau

Joanna Godlewicz-Adamiec (Universität Warschau), Tomasz Szybisty (Pädagogische Universität Krakau)

Die Reihe Literatur – Kontexte bildet ein Ergebnis der inter-disziplinären und internationalen Zusammenarbeit im Rah-men des gleichnamigen Forschungsprojekts, das vonvornherein als ein Blick über die Grenze konzipiert wurde.Das Projekt wurde 2015 in Kooperation zweier germanisti-scher Einrichtungen in Polen ins Leben gerufen – des Neu-philologischen Instituts der Pädagogischen UniversitätKrakau, genauer gesagt dessen germanistischer Abteilung,und des Instituts für Germanistik der Universität Warschau.Die intermetropolital agierende Projektleitung hat in Personvon Dr. habil. Joanna Godlewicz-Adamiec (Institut für Ger-manistik der Universität Warschau) und Dr. Tomasz Szy-bisty (Institut für Neuphilologie der PädagogischenUniversität Krakau) das Konzept des Vorhabens herausge-arbeitet. Das Forschungsprojekt wird seit 2016 gemeinsammit der Fachgruppe Germanistik an der Fakultät für Geis-tes- und Kulturwissenschaften der Bergischen UniversitätWuppertal realisiert: entstanden ist diese Zusammenarbeitaus der im Jahr 2015 etablierten Warschau-Wuppertaler Ko-operation im Rahmen der Germanistischen Institutspartner-schaft. Ein weiterer Kooperationspartner ist das Institut fürEnglische und Deutsche Philologie der Universität Santiago

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de Compostela realisiert. Das international und interdiszip-linär orientierte Projektteam besteht aus Forscherinnen undForschern, deren Forschungsschwerpunkte sowohl Litera-tur- als auch Kulturwissenschaften betreffen. Zum Projekt-team gehören Wissenschaftler von vier am Projektbeteiligten Universitäten: Dr. Bruno Arich-Gerz (Wupper-tal), Dr habil. Joanna Godlewicz-Adamiec (Warschau, Co-Leiterin), Dr. habil. Anna Górajek (Warschau), Dr. PiotrKociumbas (Warschau), Dr. habil. Paweł Piszczatowski(Warschau), Prof. Dr. Dolors Sabaté Planes (Santiago deCompostela), Dr. Tomasz Szybisty (Krakau, Co-Leiter).

Im Mittelpunkt des Projektes steht die Literatur, die als eineArt Spiegel betrachtet wird, der andere Kunst- und Wissens-disziplinen selektiv reflektiert, d.h. nur bestimmte Aspektehervorhebt, kommentiert, rezipiert oder weiterentwickelt.Von Interesse sind zugleich die zahlreichen literarischenPhänomene (sei es Motive, Vorstellungen oder Narrative),die von jenen anderen Disziplinen übernommen werden. Aneben dieser „Diffusionsstelle“ situiert sich dieses Projekt.Seine doppelte Perspektive, welche die literaturwissen-schaftliche Herangehensweise mit den Gesichtspunkten an-derer wissenschaftlicher Disziplinen integriert, soll derErschließung neuer Felder wissenschaftlicher Explorationdienen, die nicht selten im „Niemandsland“ zwischen deneinzelnen Forschungsgebieten liegen.

Das Projekt versteht sich in erster Linie als Austauschebene,die ermöglichen sollte, Erkenntnisse der Literaturwissen-schaft, insbesondere der germanistischen, und anderer Dis-ziplinen zusammenzustellen und zu diskutieren. DiesemZiel dienen vor allem jährlich stattfindende interdisziplinäreTagungen sowie die Reihe Literatur – Kontexte, die durch

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das Team von drei Universitäten (Krakau, Warschau, Wup-pertal) herausgegeben wird. Die ersten vier Bände sind demFragenkomplex ‚Literatur – bildende Künste‘ gewidmet(Architektur, Malerei, Bildhauerei). Geplant sind drei wei-tere, die sich auf die breit gefasste gesellschaftliche Proble-matik fokussieren werden (Politik, Religion, Soziologie). Inden erschienenen Bänden der Reihe, die Beiträge in polni-scher und deutscher Sprache enthalten, werden Kulturwerkevon unterschiedlichen Sprachräumen und aus einem breitenzeitlichen Spektrum erforscht. Gleichzeitig kennzeichnensich diese Aufsätze durch eine große Vielfalt an wissen-schaftlichen Perspektiven und Methoden, die gelegentlichaus dem Instrumentarium von verschiedenen Disziplinenentlehnt wurden. Einen dezidiert fächerübergreifenden Cha-rakter hat die 2017 in der polnischen Sprache erschieneneMonographie Literatura a architektura (Literatur und Ar-chitektur), welche die Reihe Literatur – Kontexte eröffnetund diverse Facetten der Beziehungen zwischen den beidenBereichen thematisiert: architektonische Metaphern in derLiteratur, in literarischen Texten konstruierte Bauten undsymbolische Städte, verschiedene Darstellungsweisen vonreal existierenden Gebäuden, Symbolik der „gewöhnlichen“Gebäude und Innenräume in literarischen Werken sowie dieliterarisch fixierte Wahrnehmung einiger europäischerStädte aus der Perspektive von Reisenden und Einheimi-schen bzw. Zugezogenen. Der Thematik der Beziehungenzwischen Literatur und Malerei sind zwei weitere Bände –einer in polnischer (erschienen 2017) und einer in deutscherSprache (im Druck) – gewidmet. Sie enthalten sowohl theo-retische Überlegungen (u.a. zur Ekphrase, Bildlichkeit, Au-tonomie und Analogie von Literatur und Malerei), als auchStudien zu spezifischen Fragen von ausgewählten Werkensowie deren intermedialen Transpositionen. Im Jahr 2018

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ist der vierte Band der Reihe über die wechselseitigen Be-ziehungen der Literatur und Skulptur/Bildhauerei geplant.Für das hohe wissenschaftliche Niveau der Reihe sorgt eineinternationale Gruppe von jeweils ungefähr vierzig Gutach-terinnen und Gutachtern.

Die in den Bänden der Reihe Literatur – Kontexte präsentier-ten Aufsätze stellen zum Teil ein Ergebnis der im Rahmendes Projektes organisierten Tagungen dar. Bisher sind zweiKonferenzen – 2016 in Krakau und 2017 in Warschau – or-ganisiert worden. Die Schirmherrschaft für beide Veranstal-tungen übernahmen die Rektoren der Universität Warschauund der Pädagogischen Universität Krakau, für die Konfe-renz in Krakau auch der Generalkonsul der BundesrepublikDeutschland in Krakau und für die Konferenz in Warschaudie Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Polensowie das Nationalmuseum in Warschau. Die erste im Rah-men des Projekts vom Institut für Germanistik der Univer-sität Warschau und vom Neuphilologischen Institut derPädagogischen Universität Krakau organisierte Konferenzwar dem Thema Literatur und Architektur gewidmet. Siewar ein Teil des Doppeljubiläums der beiden Universitäten:Die Universität Warschau feierte 2016 ihr 200-Jahr-Jubi-läum und die Pädagogische Universität wurde siebzig Jahrealt. Die Einladung, Plenarvorträge während der Konferenzenzu halten, nahmen prominente Wisssenschaftlerinnen undWissenschaftler an: Prof. François Rosset von der Univer-sität Lausanne, Prof. Wojciech Bałus vom KunsthistorischenInstitut der Jagiellonen Universität in Krakau, Prof. GrażynaJurkowlaniec vom Kunsthistorischen Institut der UniversitätWarschau und Prof. Dr. Nine Miedema von der Philosophi-schen Fakultät der Universität des Saarlandes, zugleich Vor-sitzende des Deutschen Germanistenverbandes.

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Das Projekt wird in unterschiedlicher Form von Spezialis-tinnen und Spezialisten aus Ägypten, Bosnien und Herzego-wina, Bulgarien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien,Lettland, Österreich, Polen, Portugal, Spanien, Tschechien,Ungarn sowie den Vereinigten Staaten unterstützt, was zurInternationalisierung der Forschungsergebnisse und zur in-ternationalen Vernetzung des Unterfangens beiträgt. Seineinternationale Präsenz spiegelt sich auch darin wider, dassdie Mitglieder des Projektteams für das Konzept und die Vor-bereitung der Sektion „Entgrenzte Literatur. Kontextbezo-gene Textbetrachtungen in interkultureller Sicht“ auf demXIV. Kongress der Internationalen Vereinigung für Germa-nistik (IVG) „Wege der Germanistik in transkulturellen Per-spektiven“ in Palermo 2020 (26.7.–2.8.) zuständig sind(Sektionsleitung: Joanna Godlewicz-Adamiec, Co-Leitung:Bruno Arich-Gerz, Dolors Sabaté Planes).

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„Ein Blumenbeet der Freiheit“ – Heinrich Böll zum 100. Geburtstag

Paweł Piszczatowski (Universität Warschau)

Am 21. Dezember 2017 wäre Heinrich Böll hundert Jahrealt geworden. Der in Köln geborene und für sein politischesEngagement bekannte Nobelpreisträger war nicht nur eingroßartiger Epiker und kritischer Beobachter der bundes-deutschen Wirklichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg, son-dern auch ein aufrichtiger Freund von Polen, der immerwieder seine Sympathie für das Land, seine Kultur und Be-wohner auf verschiedenen Gebieten seiner breit gefächertenAktivität gezeigt hat. Bölls Verdienste für den schwierigendeutsch-polnischen Dialog nach den traumatischen Erfah-rungen der Kriegszeit bleiben allerdings in der breiten pol-nischen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Dies hängtvor allem damit zusammen, dass er in Volkspolen zwar alsProsaiker, dessen Werke in polnischen Übersetzungen regel-mäßig erschienen sind, durchaus bekannt war, seine explizitauf Polen bezogenen Texte und sein politisches Engagementfür die polnische antikommunistische Opposition in den1970er- und 80er-Jahren jedoch durch die damalige Infor-mationspolitik des totalitären Regimes weitgehend unter-drückt wurden. Bölls einziger Besuch in Polen nach demKrieg im historischen Jahr 1956, der durch diverse hochin-teressante Berichte dokumentiert ist (vgl. Böll 1957, Böll1987), blieb in der polnischen Öffentlichkeit fast unbemerkt.Seine Texte zur polnischen Literatur betrafen entwederSchriftsteller wie Czesław Miłosz (vgl. Böll 2006), die inPolen damals auf der Zensurliste standen, oder erschienen –wie im Fall von Jerzy Andrzejewskis Roman Asche und Dia-

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mant – in Amerika und wurden in Polen kaum wahrgenom-men (vgl. Böll 2008). Ebenso wenig wusste man vor 1989von den zahlreichen Appellen, Briefen und Aktionen, mitdenen Böll die polnische Opposition in den dunklen Zeitendes Kommunismus unterstützt hat (vgl. Böll & Duve 1982).Und nach 1989 war man hier zu Lande zu sehr mit den öko-nomischen Umwandlungsprozessen und innenpolitischenStreitigkeiten beschäftigt, um die Bedeutung Bölls für denpolnischen Weg zur Demokratie entsprechend zu würdigen.

Daher war das Jubiläumsjahr eine passende Gelegenheit,Bölls Texte zu Polen in polnischer Übersetzung zu edierenund sein politisches Engagement für die polnische Demo-kratie zu dokumentieren. Die Idee kam spontan von BrunoArich-Gerz, der im Februar 2017 Writer in Residence imHeinrich Böll-Cottage in Achill Island/Irland war und mitvielen Dokumenten aus der Böll-Hinterlassenschaft unmit-telbar in Berührung kam.

Bei der Textauswahl war die 2004 von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebene Broschüre Heinrich Böll und Poleneine große Hilfe (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung 2004). Auchder persönliche Kontakt mit dem für diese Publikation zu-ständigen Markus Schäfer gab viele inspirierende Impulse.Eine zuvorkommende Unterstützung des Projektes seitensRené Böll, dem Sohn des Nobelpreisträgers, und dessen En-kelin Samay Böll war nicht nur eine Bestätigung der Sinn-haftigkeit des Unternehmens, sondern ermöglichte auch denZugang zu dem privaten Dokument- und Bildarchiv vonHeinrich Bölls Erbengemeinschaft. Nun blieb noch dieSuche nach einem polnischen Verlag, der an der Veröffent-lichung der Texte interessiert wäre, die Übersetzungsarbeitund nicht zuletzt auch die Frage nach der Finanzierung des

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Projekts. Nicht wenig, wenn man bedenkt, dass nur wenigeMonate zur Verfügung standen, sollte das Buch rechtzeitigzu Bölls 100. Jubiläum herausgebracht werden – insbeson-dere, da sich die polnische Zweigstelle der Heinrich-Böll-Stiftung zwar bereit erklärte, eine Schirmherrschaft über dasPublikationsvorhaben zu übernehmen, aber keine finanziel-len Mittel zu seiner Unterstützung bereitstellen konnte.

Bereit erklärt zur Kooperation an dem Publikationsprojekthat sich der in Krakau ansässige polnisch-französische Ver-lag Eperons–Ostrogi, der vor allem wertvolle geisteswis-senschaftliche Literatur aus dem französischen Sprachraumherausgibt, aber auch Texte zu Franz Kafka, Robert Musilund anderen deutschsprachigen Schriftstellern des 20. Jahr-hunderts. Die erste finanzielle Unterstützung kam von demInstitut für Germanistik der Universität Warschau und er-möglichte – dank des persönlichen Engagements von Insti-tutsdirektor Prof. Dr. Robert Małecki – die Erlaubnis für diePublikation der Texte urheberrechtlich zu erwerben. Diegroßzügige Beihilfe des Warschauer Germanistikinstitutsmachte es darüber hinaus möglich, die Druckkosten zu de-cken. Die Übersetzungsarbeit wurde vom Goethe-Institutfinanziert.

Parallel zu der Suche nach finanziellen Mitteln verlief dieGestaltung des Inhalts der geplanten Publikation. Diese erstreckt sich auf etwa vierzig Jahre von Bölls schriftstel-lerischer Aktivität und wurde in vier chronologisch aufei-nanderfolgende und thematisch zentrierte Abschnitteunterteilt.

Der erste von ihnen umfasst Bölls Briefe an seine Familieaus der Zeit, in der er am Anfang des Krieges, als Wehr-

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machtsoldat, einige Wochen im polnischen Bydgoszcz(Bromberg) verbrachte. Sie sind Dokumente der Denkweiseeines jungen Mannes, der in das Kriegsgeschehen involviertwurde und sich mit dem soldatischen Alltag nicht abfindenkann, die Einheimischen beobachtet und ihnen gegenüberseinen Respekt zeigt und die Sinnlosigkeit des Krieges er-kennt, ohne sich jedoch politisch zu den nationalsozialisti-schen Machtansprüchen in Europa zu äußern. Darauf folgenAusschnitte aus Bölls früher Erzählung Der Zug kam pünkt-lich, einem Bericht über die Reise eines jungen deutschenSoldaten an die Ostfront, die über damals – das heißt vorder Neuordnung der Staatsgrenzen in Mittelosteuropa nach1945 – ostpolnische Städte führt und zu verhängnis- und lie-bevollen Begegnungen zwischen den Kriegsfeinden führt.

Der zweite umfasst die Texte Bölls, die nach seiner Polen-reise 1956 entstanden sind und durch sie inspiriert wurden.Böll besucht damals als erster bundesdeutscher Autor dieVolksrepublik Polen in einer Zeit, die für das realsozialisti-sche Europa fast revolutionär anmutete. „Fast“, weil jeglicheinnenparteilichen Veränderungsversuche im sowjetischenMachtbereich letztendlich immer in retrospektiver Rückbe-sinnung auf die totalitären Grundregeln aufgingen. Es istdie Zeit des Tauwetters in Polen. Władysław Gomułka, der„gute Kommunist“, der während der ersten stalinistischenNachkriegsjahre seine Zeit im Gefängnis verbrachte, kommtan die Macht. Derselbe Gomułka, der bald zu einem erz-konservativen Kommunisten wurde und unter anderem auchfür die antisemitische Kampagne im Jahre 1968 verantwort-lich war. 1956 wird er aber noch als wahrer „Erlöser“ eu-phorisch gefeiert. Böll teilt diese Euphorie und sieht darineinen Ausbruch der Freiheit, der hinter dem Eisernen Vor-hang sonst nirgends möglich gewesen wäre. Er ist als über-

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zeugter Katholik begeistert einerseits von der polnischenVolksreligiosität und andererseits von den entstehenden in-tellektuellen katholisch inspirierten Diskussionskreisen, wieder Klub Inteligencji Katolickiej (Club der katholischen In-teligencja), dessen Gründung er in Krakau beigewohnt hat.Bölls Polenreise 1956 führte auch nach Auschwitz und dieErinnerungen an diesen Besuch werden in den zweiten Teildes Buches aufgenommen.

Die dritte Textgruppe besteht aus Dokumenten von BöllsAuseinandersetzung mit der polnischen Literatur der Nach-kriegszeit. Die bereits erwähnten Texte zu Miłosz undAndrzejewski gehören dazu. Der Name Czesław Miłoszzieht sich dabei wie ein roter Faden durch Bölls Nachden-ken über die Lage Polens und anderer Länder des Ostblocksnach dem Zweiten Weltkrieg.

Den vierten Teil bilden Bölls öffentliche Auftritte für diepolnische Oppositionsbewegung in den 70er- und 80er-Jah-ren: Appelle, öffentliche Briefe und private Telegramme,Aufrufe, zu deren Unterzeichnung Böll die wichtigsten Per-sönlichkeiten der damaligen deutschsprachigen Literaturüberzeugte: Sarah Kirsch, Günter Grass, Elias Canetti, MaxFrisch, Friedrich Dürrenmatt und andere.

Bölls Engagement für die polnische Demokratie betrifft dasgesamte Phänomen des polnischen Widerstands gegen daskommunistische Regime, als dessen Repräsentanten vorallem Jacek Kuroń und Adam Michnik fungieren.

Der Letztere (Kuroń starb 2004), heute Chefredakteur von„Gazeta Wyborcza“ und eine bedeutende Persönlichkeit derpolnischen Öffentlichkeit erzählte in einem exklusiven In-

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terview über seine Bekanntschaft mit Heinrich Böll, dessenLiteratur und sein Engagement für die polnische Opposition.Das Interview leitet das gesamte Buch ein und stellt einebesondere Unmittelbarkeit zwischen demokratischen Träu-men der Vergangenheit und gegenwärtiger Unsicherheitüber den Zustand der polnischen Demokratie her.

Die Texte, für deren Übersetzung ins Polnische es gelang,unter anderem die preisgekrönte polnische Herta Müller-Übersetzerin Katarzyna Leszczyńska zu gewinnen, werdendurch einen zeitgeschichtlich bezogenen Kommentar begleitet.

Im Oktober ist das Böll-Projekt Wirklichkeit geworden.Heinrich Böll: Wybór pism (Ausgewählte Schriften) erschienbei Eperons-Ostrogi (Böll 2017). Das Buch konnte währendder internationalen Heinrich-Böll-Tagung in Katowice(19./20. Oktober 2017), deren Gast René Böll war, öffent-lich vorgestellt werden.

Auch die polnische Vertretung der Heinrich-Böll-Stiftung,die die Konferenz unterstützte, zeigte ihr Interesse an derPublikation und gewährte ihr einen Präsentationsraum wäh-rend der Feierlichkeiten zu Bölls 100. Geburtstag am 14.Dezember 2017, genau eine Woche vor dem genauen Ge-burtstagsdatum.

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Literatur

Böll, Heinrich (1957): Reise nach Warschau Dezember 1956, in: Dokumente (Bonn) 13/1, S. 51–54.

Böll, Heinrich/Duve, Freimut (1982): Verantwortlich für Polen? Reinbek.

Böll, Heinrich (1987): Reise durch Polen, in: Ders.: Essayistische Schriften und Reden I, 1952-1953, hg. v. Bernd Balzer, Köln,S. 210–218.

Böll, Heinrich (2006): Über: Czesław Miłosz, „Verführtes Denken“, in: Ders.: Werke/Kölner Ausgabe, Bd. 7 (1953–54), hg. v. RalfSchnell, Köln, S. 90–91.

Böll, Heinrich (2008): „Vorwort“ zu der amerikanischen Ausgabe von Jerzy Andrzejewskis Asche und Diamant, in: Ders.:Werke/Kölner Ausgabe, Bd. 21 (1979–1981), hg. v. JochenSchubert, S. 374–383.

Böll, Heinrich (2017): Wybór pism. Mit einer Einleitung von Bruno Arich-Gerz, einem Interview mit Adam Michnik von PawełPiszczatowski und Übersetzungen von Katarzyna Leszczyńskaund Paweł Piszczatowski. Krakau: Eperons-Ostrogi.

Heinrich-Böll-Stiftung (2004): Heinrich Böll und Polen. Texte und Dokumente. Zusammengestellt und eingeleitet von MarkusSchäfer. Berlin.

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„Rezeptionsästhetische und literaturtheoreti-sche Aspekte in Bernhard Jaumanns NovelleGeiers Mahlzeit“. Eine Blockveranstaltung ander Uniwersytet Marii Curie-Skłodowskiej inLublin

Bruno Arich-Gerz (Bergische Universität Wuppertal)

Die Germanistische Institutspartnerschaft zwischen Wup-pertal und Warschau wurde im März 2017 im Bereich derLehre auf eine weitere germanistische Institution an einerpolnischen Universität ausgeweitet. Die viertägige Block-veranstaltung von Bruno Arich-Gerz an der UniwersytetMarii Curie-Skłodowskiej in Lublin fand auf Einladungdes (und Kostenübernahme durch das) Instytut Germa-nistyki i Lingwistyki Stosowanej statt. Ein besondererDank für die Ermöglichung dieser Auslandsunterrichtsein-heit, die Ausdruck der Strahlkraft und Außenwirkung derGIP ist und über Mitglieder des polnischen Germanistik-verbandes SGP/VPG eingefädelt wurde, geht an JoannaPędzisz, die im Vorfeld und während der Veranstaltunggroße organisatorische Räder gedreht hat, und JarosławKrajka, den maximal kooperativen Direktor des gastgeben-den Instituts.

Die auf zehn Unterrichtsstunden angelegte Blockveranstal-tung fokussierte in zwei Kursen mit jeweils circa einem Dut-zend Teilnehmer/innen (also insgesamt 20 Stunden Lehre)auf literaturwissenschaftliche und literaturtheoretische An-sätze, die es anhand eines knapp sechzigseitigen Erzähltextesdes deutschen Gegenwartsschriftstellers Bernhard Jaumann(dessen umfangreichere Kriminalromane in polnischer

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Übersetzung bei Wydawnictwo Czarne verlegt werden) he-rauszuarbeiten galt. Besonders in den Blick gerieten lese-theoretisch-rezeptionsästhetische, narratologische undgattungstheoretische Fragestellungen. Abgerundet wurdedie Veranstaltung mit einer Übersetzung des PrimärwerksJaumanns ins Polnische; diese Arbeit war für die Zeit nachEnde der Blockveranstaltung vorgesehen.

Jaumanns Geiers Mahlzeit eignet sich aus mehreren Grün-den für den Einsatz im DaF-Literaturunterricht; die No-velle hatte sich vor dem Einsatz in Lublin bereits imRahmen einer DAAD-Kurzzeitdozentur-Lehrveranstaltungin Harare/Simbabwe bewährt (vgl. Arich-Gerz & Chikwan-gura-Gwatirisa 2015). Der Text ist vom Umfang her gut –auch mit einem kursweiten close reading – zu bewältigenund fordert etablierte generische Zuschreibungen herausbzw. regt zur Revision bestehender Normen und Labels an,die beispielsweise der deutsche Verlag der Novelle verpassthat, als er sie in seiner Kaliber 64-Reihe platzierte und soein spannungsliterarisches Register zog, das der Text selbersukzessiv und systematisch unterläuft (ausführlich dazu in:Arich-Gerz 2015). Die Reflexion auf textuelle Subversi-onsstrategien lässt sich schließlich perfekt kombinieren mitbzw. reformulieren in den Parametern einer weiteren lite-raturtheoretischen Schablone, der Lesetheorie nach RomanIngarden (einem in Polen renommierten und somit auf An-hieb anschlussfähigen Theoretiker) und Wolfgang Iser.Auch Bernhard Jaumann, der in der letzten Seminarstundepersönlich gebeten wurde, sich zu seiner doppelgängerthe-matischen Prosa zu äußern, steuerte seinen Teil zu derLehrveranstaltung bei. Sein Impuls steigerte die Motiva-tion für die danach anstehende Übersetzungsarbeit nocheinmal deutlich.

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In der gebotenen Kürze und in Stichworten geben die fol-genden Ausführungen die „Unterrichtsreihe Jaumann“,sprich den didaktischen Aufbau und inhaltlichen Verlauf desBlockseminars wieder:

1. (2 Std.):Einführung: Lesen als Beobachten – konventioneller Krimi /Krimi mit offenem Ende Iser, Lesetheorie: impliziterLeser erzeugt den „Text“ durch Leerstellen-Bearbeitung(Kombinationsnotwendigkeit statt Komplettierung: Ingar-den). Retention und Protention. Horizont / Repertoire (wieGattungskonventionen: das Erwartete), Negation des Reper-toires (Enttäuschung des Erwarteten) / Horizonterweiterung.Vor allem bei avantgardistischer (modernistischer oder post-moderner) Literatur: Text bleibt offen, sans clotûre, ambiva-lent, equivokal, paradoxal Anschluss an Niklas Luhmanndurch die Stichworte Erwartungsenttäuschung und Beobach-tertheorie, die auch außerhalb von Texten angewandt wird(eigentlich sogar: vor allem dort, in der Gesellschaft).

2. (2 Std.):Lektüre / close reading Jaumann, Kapitel 1-3.Folien Narratologie (ppt). Beschreibung der Erzählperspektivemit Genette/Martínez/Scheffel – Fokalisierung homodiege-tisch, doppelt homodiegetisch, oder heterodiegetisch? Unver-lässliches Erzählen? Input: Einführung in die Narratologie.

3. (2 Std.):Lektüre / close reading Jaumann, Kapitel 4-6.Erzähl- und leseperspektivisch: Erfolgt eine Konsolidie-rung bzw. Gewöhnung an abwechselnde Fokalisierung?Deren Reformulierung mithilfe von Lese- und Beobachter-theorie. Landeskundliche Aspekte: Deutschland nach 1990.

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4. (2 Std.):Lektüre /close reading Jaumann, Kapitel 7-12.(a) Irritation. (b) Halluzination/Traumsequenz in der Wüste:Gattung? Close reading letztes Kapitel, Revision Gattung(Krimi – und offenes Ende? und Gattung Phantastik?)

5. (2 Std.)Lektüre / close reading Jaumann, Kapitel 13.Folien Gattungstheorie (ppt). Revision Figurenperspektive-Stabilität (auch als alternierend stabil), Krimi-Erwartungsent-täuschung und Gattung als Beobachtung 2. Ordnung aufKategorie außerhalb des Textes (nämlich auf Gattung/Genre).Am Ende Exkurs zur Lektüre Geiers Mahlzeit in Simbabwe:Lektüreerfahrungen interkulturell (polnisch-afrikanisch)= (10 Stunden).

Literatur

Arich-Gerz, Bruno/Chikwangura-Gwatirisa, Yemurai (2015): Geiers Mahlzeit in Simbabwe. Lehr-Lernerfolge und Limits der Ver-mittlung literaturwissenschaftlicher Grundlagen im Subsahara-afrikanischen Deutschunterricht. eDUSA 10/1, S. 24-38.

Arich-Gerz, Bruno (2015): „Meine Erlebnisse mit dem Stasimann“. Bernhard Jaumanns deutsch-deutsch-namibische Kriminal -novelle Geiers Mahlzeit zwischen literarischer Brillanz undgroßbundesrepublikanischer Attitüde. Andreas Erb (Hg.), Bern-hard Jaumann: Tatorte und Schreibräume – Spurensicherungen.Bielefeld, Aisthesis, S. 117-130.

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Arbeitspapiere der Germanistischen Institutspartnerschaft (GIP)zwischen der Bergischen Universität Wuppertal

und der Universität Warschau