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Tages-Anzeiger – Samstag, 27. Oktober 2012 37 Kultur & Gesellschaft Von Esther Kern Die Überraschung wird mit jedem Schluck grösser. Da trinkt man Brände aus Apfelquitten, Zwetschgen oder Blut- orangen, denen die alles übertönende, kratzige Schärfe, die einem bei Schnaps sonst oft fast umhaut, fehlt. Stählemüh- le-Destillate sind erstaunlich aroma- tisch, rund und von unglaublicher Fri- sche. Es sind Schnäpse für die Neuzeit, die auch Gourmets in urbanen Zentren ins Schwärmen bringen – so erstaunt es nicht, dass dahinter einer steht, der vor noch nicht allzu langer Zeit selber ein sehr urbanes Leben führte. Bei einem Kaffee sitzt der Brenner Christoph Keller am Küchentisch im mo- dern ausgebauten Wohngebäude der Stählemühle, einem romantischen Bau- ernhof im Grünen, eine gute halbe Stunde nördlich von Konstanz. 2004 ist er mit seiner Frau Christiane Schoeller und den zwei kleinen Kindern hergezo- gen. Das Ziel: weniger Hektik, hatte die Familie doch zuvor in einer Wohnung in Frankfurt gelebt, die gleichzeitig das Büro von Kellers erfolgreichem Kunst- buchverlag Revolver war. Diesen ver- kaufte er kurz vor dem Umzug. Ungefähr zwei Jahre, resümiert er, habe das geklappt mit der Entschleuni- gung. In dieser Zeit entdeckte er das Brennen hochwertiger Obstdestillate. Zu- sammen mit seiner Frau gründete er das Label Stählemühle. Die Destillate avan- cierten zum Geheimtipp; auch in der Schweiz gibt es eine Fangemeinde. 2011 nahmen «Gault Millau» und Destillata die Stählemühle in den Kreis der zehn besten europäischen Brennereien auf. Jagd auf das ideale Aroma Wie kam es dazu, dass ein Quereinsteiger die Brennerdomäne so stürmisch er- oberte? Angefangen, so erzählt Keller, habe alles rund zehn Tage nach dem Um- zug, «mit zwei Zollbeamten, die hier draussen vorfuhren. Sie liessen mich wis- sen, dass ich, wolle ich das Brennrecht des Hofes behalten, auch brennen müsse.» Der Kunstbuchverleger kaufte Fachbücher und liess sich vom Sohn des ehemaligen Stählemühle-Besitzers in die Brennkunst einführen. Und immer wie- der gab ihm die Natur Ansporn zum Wei- termachen. «Da hinten auf der Wiese ste- hen zwei Türkenkirschen-Bäume, also Wildpflaumen», so Keller. «Damit musste ich mich einfach befassen.» Wildpflau- men sind verbreitet in der Region und lie- fern wichtiges Rohmaterial für Brände. Heute gedeihen auf dem Land der Stäh- lemühle 250 Wildpflaumenbäume. Wer nun aber meint, dass Keller nur regionale Produkte verarbeitet, liegt falsch. «Wir wollen beste Früchte, Kräu- ter, Beeren, Nüsse, denn wir jagen das ideale Aroma.» Womit das Gespräch am Küchentisch beim Kern der Sache ange- kommen ist: Was ist ein gutes Destillat? 90 Prozent mache der Rohstoff aus, so Keller. Für Williamsbirnen etwa sei es zu warm am Bodensee, sie bräuchten kalte Nächte – darum bezieht er sie aus Süd- tirol. Zu den Rohstoffen kommt er über ausgewählte Händler oder indem er reist, etwa ins Piemont, für Haselnüsse. Für Rohstoff aus der Region sucht er die Zusammenarbeit mit Bauern, die für ihn die Früchte an ausgewählten Lagen ex- tra lang reifen lassen, um sie dann baum- fallend, also mit höchstmöglichem Aro- men- und Zuckergehalt, zu ernten. Auch das Einmaischen hat Keller per- fektioniert. Er führt den Prozess der Ver- gärung möglichst kontrolliert durch, mit natürlichen Zusätzen wie Hefe, Säure, Enzymen und seit neustem auch mit Tro- ckeneis – ein Versuch. Im Gegensatz zur bäuerlichen Tradition, wo man die Mai- sche oft monatelang stehen liess, wird der Brennprozess in der Stählemühle möglichst früh eingeleitet. Bei der Quitte schon nach zehn Tagen. «Das Brennen selbst», sagt Keller, «macht dann nur noch einen kleinen Bestandteil aus.» Amortisieren kann er seine Brennerei dank dem Kultgin «Monkey 47», den Kel- ler in der Stählemühle destilliert. Er hat ihn im Auftrag der Black Forest Distillers entwickelt. «Als die Anfrage kam, war für mich klar, dass ich kein Industriepro- dukt machen will.» 120 Chargen produ- zierte er, bis das aktuelle Ginrezept mit 47 Zutaten stand – und einschlug wie eine Bombe. 2011 wurde er zum welt- weit besten Gin gewählt. Erfolg weckt Begehrlichkeiten. Klar, er sei ehrgeizig, sagt Keller. Aber Erfolg heisst auch, dass Christiane Schoeller im Garten nur noch Kräuter fürs Brennen pflanzt – statt Gemüse, wie in den ersten paar Jahren. Und dass sie Stunden im La- ger verbringt, etikettiert, verschickt. Keller wiederum erhält 60 bis 80 Mails pro Tag, «ich beantworte sie gerne, die Frage ist nur, wann». Und noch etwas kam mit dem Erfolg: der Tourismus. Kunden wollen sehen, wie die Destillate gemacht werden. Doch: «Man kann uns nicht besuchen, wir sind nicht dafür ein- gerichtet», sagt Keller. Manchmal sehne er sich schon «nach einer Wohnung, mit Vermieter, Putz- frau, alles geregelt», sagt Keller. Die Mühle bedeute auch Bestandeserhal- tung. «Die Spielzeit ist kurz, der Rest ist harte Arbeit.» Mit Spielzeit meint er seine Experimente, die Recherche zu Früchten, das Ausprobieren neuer Roh- stoffe. «Das ist das, was uns antreibt», sagt er. Derzeit arbeitet er mit einer Spit- zenwinzerin aus dem Rheingau an einem Projekt. Es geht um Rieslingtrauben be- gehrter Lagen, um Terroirstücke wie Schiefer, die der Maische beigegeben werden. «Aber da kann ich noch nicht viel dazu sagen», so Keller. Nach dem Ausblick in die Zukunft gibts den Ausflug in die Gegenwart. Kel- ler führt über den Hof, wo Hühner ga- ckern und prachtvolle Hähne stolzieren. Weiter oben grasen Lamas, und ir- gendwo weiden Schafe und Ziegen ge- fährdeter Rassen – ein Hobby von Keller und Schoeller. Keller führt ins Brenn- häusle. 2010 wurde die neue Destilla- tionsanlage eingebaut, der Brennmeis- ter hat sie mitentwickelt. Manches läuft hier unter Betriebsgeheimnis. Aber so viel gibt Keller preis: Er kann sehr hoch- prozentig brennen. Und an zwei Orten hat er die Möglichkeit, Siebe einzuhän- gen für die Perkolation. Der Alkohol- dampf wird dabei über Kräuter oder Obst geleitet und nimmt so flüchtige Aromen an. Bei der Ginherstellung ist Dampfextraktion eine traditionelle Me- thode, Keller nutzt sie auch bei Obst- bränden und Geisten. Jugendlicher Esprit Die Früchte von Kellers Tun stehen im Reifelager im umgebauten Silo, einem Raum aus Beton mit Metallregalen. Da- rauf stehen Glasballone, gefüllt mit kla- ren Wassern, die im Licht funkeln. Jede Flasche in dieser Brenner-Schatzkam- mer hat ihre Geschichte. Christoph Kel- ler greift nach dem Gingko-Geist, einem Experiment, das ihm Freude bereitet. Er entkorkt die Flasche und riecht da- ran. «Die Primäraromen der Gingko-Sa- men stinken», sagt er. «Der Gingko- Geist hat sich aber dank der destillier- ten Sekundäraromen und nach einem Jahr Lagerung wunderbar gewandelt.» Üblich ist es nicht, dass die Destillate hier lange lagern. Je nach Sorte wird schon nach drei Monaten abgefüllt. «Ken- ner wollen junge Destillate», sagt Keller. Zwar werde ein Schnaps mit dem Alter milder wie der Mensch. «Wir wollen es aber in den meisten Fällen stürmisch, vielschichtig, komplex und mit jugendli- chem Esprit.» Das heisst, dass die Destil- lation perfekt sein muss, denn häufig werden Schnäpse nur darum lange gela- gert, weil sich so Fuselstoffe abbauen. Keller selber verkostet seine Erzeug- nisse übrigens nur beruflich. Und in der Vor-Stählemühle-Zeit hat er höchstens mal einen Gin getrunken, sonst wenig Alkohol. Trotzdem treibt ihn nun das Hochprozentige an. Oder vielmehr gibt es ihm einen künstlerischen Wirkungs- raum. Denn was er macht, ist nicht nur Aromenjagd, sondern der gelungene Versuch, die Seele von Früchten, Kräu- tern und Beeren einzufangen. www.staehlemuehle.de Stählemühle-Destillate sind in Zürich erhältlich bei: Globus, Edition Populaire (www.editionpopulaire.ch), Sportbar (www.sport-bar.ch). Christoph Keller kann man an einer Degustation am 20. November in Basel erleben: www.pfifferling.ch In Basel sind Stählemühle-Destillate erhältlich bei Pfifferling Deli. Beseelte Destillate Einst erfolgreicher Kunstbuchverleger, heute erfolgreicher Brenner, einer der besten weltweit: Christoph Keller destilliert auf der Stählemühle am Bodensee begehrte Edelobstbrände und Geiste. Ist es Ihnen in den letzten zehn Jahren auch aufgefallen, dass die Milch zuneh- mend befremdlich schmeckt, manch- mal stark bitter? Alle Milcharten und -bezeichnungen (auch die Appenzeller Milch) auf allen Verkaufskanälen sind davon betroffen. Seit einem halben Jahr hat die Milch einen derart starken Nebengeschmack, dass man sie oft wegschütten muss. Im Labor lässt sich nicht unbedingt etwas Negatives nach- weisen, aber die Geschmacksverände- rung ist dramatisch und dürfte noch schlimmer werden. Dies ist auch nicht erstaunlich: Früher gab es frei wei- dende Kühe mit Hörnern und normal grossen Eutern, die zufrieden drein- schauten. Inzwischen sind die Tiere ausdruckslose Produktionseinheiten, ohne Hörner, dafür mit erschreckend überdimensionierten Eutern, wodurch sie hinten einknicken und kaum mehr laufen können (sofern sie überhaupt nach draussen gelassen werden). Sie erhalten ein chemisch versetztes Futtergemisch, um die Milchproduk- tion zu steigern. G. S. Lieber Herr S., Da ich selber keine Milch trinke, son- dern sie in Form von Käse, Joghurt und Butter vorziehe, habe ich Ihre Frage einem erfahrenen Experten vorgelegt. Oskar Flüeler, Ingenieur Agronom ETH, war an der Forschungsanstalt für Milch in Liebefeld verantwortlich für das Ver- suchswesen, Pilot-Plant- und Praxisver- suche. Nach zehn Jahren an der For- schungsanstalt übernahm er die Fami- lienkäserei in Alpnach und produzierte bis zur Pensionierung Sbrinz. Er kennt also beide Seiten der Milch- und Käse- wirtschaft. Seine Antwort: «Als Milchwirtschafter sollte ich die Milch verteidigen, aber als Lebensmit- telwissenschafter und Konsument kann ich an den Realitäten nicht vorbei- schauen», sagt er. «Die Ursache des Nebengeschmacks hat der Leser selbst erkannt. Sie besteht mit grösster Wahr- scheinlichkeit darin, dass die Kuh zu- sätzlich zum Gras und Heu auch noch eine tüchtige Portion Kraftfutter verab- reicht bekommt.» Solche Kühe könnten viel mehr Milch produzieren als Kühe, die kein Kraftfutter fressen. Ein grosses Euter brauche eben mehr und «bessere» Nährstoffe. Das überdimensionierte Euter hat ein grosses Gewicht, das die Hinterbeine tragen müssen. «Sind die Hinterbeine nicht stark genug, verformen sie sich – die Kuh bekommt krumme Beine.» Aus- serdem leiden ihre Hufe unter dem mächtigen Gewicht. Auch der Faktor Wirtschaftlichkeit spielt bei ihrer Hal- tung mit: Die neben dem Gras und Heu verabreichte Kraftfutter-Ration sollte möglichst günstig sein und die zeitliche Arbeitsbelastung nicht verlängern. Kommt dazu: Die Konkurrenz aus dem Ausland drückt auf den Milchpreis, so- dass die Bauern zugunsten der Wirt- schaftlichkeit mit günstigem Kraftfutter mehr Leistungsvermögen in die Kuh pumpen. Oskar Flüeler weiter: «Das von der Kuh aufgenommene Futter wird in ihrem Pansen vergoren und durch Mikroorga- nismen aufgewertet, die Nährstoffe wer- den dann ans Blut abgegeben. Das Blut ist die Basis zur Milchproduktion im Eu- ter. Einzelne Geschmacksstoffe aus der Nahrung gelangen so über das Blut ins Euter und zum Teil in die Milch.» Ob eine Kuh Hörner trägt oder nicht, hat hingegen keinen nachweisbaren Ein- fluss auf deren Milch. Bei fehlenden Hör- nern könnte aber womöglich das Selbst- wertgefühl der Kuh leiden, was sich auf ihre Befindlichkeit negativ auswirken dürfte. Soll der Konsument nun auf Milch verzichten? «Nein!», erklärt der Fach- mann energisch und empfiehlt, regio- nale Labels auszuprobieren. Wie gesund ist Kuhmilch? Seite 48 Warum schmeckt die Milch zunehmend befremdlich? Leser fragen Paul Imhof Der TA-Experte beantwortet Fragen zum leiblichen Wohl, zu Völlerei und Fasterei, zu festlichen und alltäglichen Tafeln, Küchen und Kellern. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tagesanzeiger.ch Der Gin «Monkey 47» von Christoph Keller gewann Gold an der International Wine & Spirits Competition 2011. Foto: Bernd Kammerer

Christoph Keller von der Stählemühle

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Beseelte Destillate

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Page 1: Christoph Keller von der Stählemühle

Tages-Anzeiger – Samstag, 27. Oktober 2012 37

Kultur & Gesellschaft

Von Esther KernDie Überraschung wird mit jedem Schluck grösser. Da trinkt man Brände aus Apfelquitten, Zwetschgen oder Blut-orangen, denen die alles übertönende, kratzige Schärfe, die einem bei Schnaps sonst oft fast umhaut, fehlt. Stählemüh-le-Destillate sind erstaunlich aroma-tisch, rund und von unglaublicher Fri-sche. Es sind Schnäpse für die Neuzeit, die auch Gourmets in urbanen Zentren ins Schwärmen bringen – so erstaunt es nicht, dass dahinter einer steht, der vor noch nicht allzu langer Zeit selber ein sehr urbanes Leben führte.

Bei einem Kaffee sitzt der Brenner Christoph Keller am Küchentisch im mo-dern ausgebauten Wohngebäude der Stählemühle, einem romantischen Bau-ernhof im Grünen, eine gute halbe Stunde nördlich von Konstanz. 2004 ist er mit seiner Frau Christiane Schoeller und den zwei kleinen Kindern hergezo-gen. Das Ziel: weniger Hektik, hatte die Familie doch zuvor in einer Wohnung in Frankfurt gelebt, die gleichzeitig das Büro von Kellers erfolgreichem Kunst-buchverlag Revolver war. Diesen ver-kaufte er kurz vor dem Umzug.

Ungefähr zwei Jahre, resümiert er, habe das geklappt mit der Entschleuni-gung. In dieser Zeit entdeckte er das Brennen hochwertiger Obstdestillate. Zu-sammen mit seiner Frau gründete er das Label Stählemühle. Die Destillate avan-cierten zum Geheimtipp; auch in der Schweiz gibt es eine Fangemeinde. 2011 nahmen «Gault Millau» und Destillata die Stählemühle in den Kreis der zehn besten europäischen Brennereien auf.

Jagd auf das ideale AromaWie kam es dazu, dass ein Quereinsteiger die Brennerdomäne so stürmisch er-oberte? Angefangen, so erzählt Keller, habe alles rund zehn Tage nach dem Um-zug, «mit zwei Zollbeamten, die hier draussen vorfuhren. Sie liessen mich wis-sen, dass ich, wolle ich das Brennrecht des Hofes behalten, auch brennen müsse.» Der Kunstbuchverleger kaufte Fachbücher und liess sich vom Sohn des ehemaligen Stählemühle-Besitzers in die Brennkunst einführen. Und immer wie-der gab ihm die Natur Ansporn zum Wei-termachen. «Da hinten auf der Wiese ste-hen zwei Türkenkirschen-Bäume, also Wildpflaumen», so Keller. «Damit musste ich mich einfach befassen.» Wildpflau-men sind verbreitet in der Region und lie-fern wichtiges Rohmaterial für Brände. Heute gedeihen auf dem Land der Stäh-lemühle 250 Wildpflaumenbäume.

Wer nun aber meint, dass Keller nur regionale Produkte verarbeitet, liegt falsch. «Wir wollen beste Früchte, Kräu-ter, Beeren, Nüsse, denn wir jagen das ideale Aroma.» Womit das Gespräch am Küchentisch beim Kern der Sache ange-kommen ist: Was ist ein gutes Destillat? 90 Prozent mache der Rohstoff aus, so Keller. Für Williamsbirnen etwa sei es zu warm am Bodensee, sie bräuchten kalte Nächte – darum bezieht er sie aus Süd-tirol. Zu den Rohstoffen kommt er über ausgewählte Händler oder indem er reist, etwa ins Piemont, für Haselnüsse. Für Rohstoff aus der Region sucht er die Zusammenarbeit mit Bauern, die für ihn die Früchte an ausgewählten Lagen ex-tra lang reifen lassen, um sie dann baum-fallend, also mit höchstmöglichem Aro-men- und Zuckergehalt, zu ernten.

Auch das Einmaischen hat Keller per-fektioniert. Er führt den Prozess der Ver-gärung möglichst kontrolliert durch, mit natürlichen Zusätzen wie Hefe, Säure, Enzymen und seit neustem auch mit Tro-ckeneis – ein Versuch. Im Gegensatz zur bäuerlichen Tradition, wo man die Mai-sche oft monatelang stehen liess, wird der Brennprozess in der Stählemühle möglichst früh eingeleitet. Bei der Quitte schon nach zehn Tagen. «Das Brennen selbst», sagt Keller, «macht dann nur noch einen kleinen Bestandteil aus.»

Amortisieren kann er seine Brennerei dank dem Kultgin «Monkey 47», den Kel-ler in der Stählemühle destilliert. Er hat ihn im Auftrag der Black Forest Distillers entwickelt. «Als die Anfrage kam, war für mich klar, dass ich kein Industriepro-dukt machen will.» 120 Chargen produ-zierte er, bis das aktuelle Ginrezept mit 47 Zutaten stand – und einschlug wie eine Bombe. 2011 wurde er zum welt-weit besten Gin gewählt.

Erfolg weckt Begehrlichkeiten. Klar, er sei ehrgeizig, sagt Keller. Aber Erfolg heisst auch, dass Christiane Schoeller im Garten nur noch Kräuter fürs Brennen pflanzt – statt Gemüse, wie in den ersten paar Jahren. Und dass sie Stunden im La-ger verbringt, etikettiert, verschickt. Keller wiederum erhält 60 bis 80 Mails pro Tag, «ich beantworte sie gerne, die Frage ist nur, wann». Und noch etwas kam mit dem Erfolg: der Tourismus. Kunden wollen sehen, wie die Destillate gemacht werden. Doch: «Man kann uns nicht besuchen, wir sind nicht dafür ein-gerichtet», sagt Keller.

Manchmal sehne er sich schon «nach einer Wohnung, mit Vermieter, Putz-frau, alles geregelt», sagt Keller. Die Mühle bedeute auch Bestandeserhal-tung. «Die Spielzeit ist kurz, der Rest ist harte Arbeit.» Mit Spielzeit meint er seine Experimente, die Recherche zu Früchten, das Ausprobieren neuer Roh-stoffe. «Das ist das, was uns antreibt», sagt er. Derzeit arbeitet er mit einer Spit-zenwinzerin aus dem Rheingau an einem Projekt. Es geht um Rieslingtrauben be-gehrter Lagen, um Terroirstücke wie Schiefer, die der Maische beigegeben werden. «Aber da kann ich noch nicht viel dazu sagen», so Keller.

Nach dem Ausblick in die Zukunft gibts den Ausflug in die Gegenwart. Kel-ler führt über den Hof, wo Hühner ga-ckern und prachtvolle Hähne stolzieren.

Weiter oben grasen Lamas, und ir-gendwo weiden Schafe und Ziegen ge-fährdeter Rassen – ein Hobby von Keller und Schoeller. Keller führt ins Brenn-häusle. 2010 wurde die neue Destilla-tionsanlage eingebaut, der Brennmeis-ter hat sie mitentwickelt. Manches läuft hier unter Betriebsgeheimnis. Aber so viel gibt Keller preis: Er kann sehr hoch-prozentig brennen. Und an zwei Orten hat er die Möglichkeit, Siebe einzuhän-gen für die Perkolation. Der Alkohol-dampf wird dabei über Kräuter oder Obst geleitet und nimmt so flüchtige Aromen an. Bei der Ginherstellung ist Dampfextraktion eine traditionelle Me-thode, Keller nutzt sie auch bei Obst-bränden und Geisten.

Jugendlicher EspritDie Früchte von Kellers Tun stehen im Reifelager im umgebauten Silo, einem Raum aus Beton mit Metallregalen. Da-rauf stehen Glasballone, gefüllt mit kla-ren Wassern, die im Licht funkeln. Jede Flasche in dieser Brenner-Schatzkam-mer hat ihre Geschichte. Christoph Kel-ler greift nach dem Gingko-Geist, einem Experiment, das ihm Freude bereitet. Er entkorkt die Flasche und riecht da-ran. «Die Primäraromen der Gingko-Sa-men stinken», sagt er. «Der Gingko-Geist hat sich aber dank der destillier-ten Sekundäraromen und nach einem Jahr Lagerung wunderbar gewandelt.»

Üblich ist es nicht, dass die Destillate hier lange lagern. Je nach Sorte wird schon nach drei Monaten abgefüllt. «Ken-ner wollen junge Destillate», sagt Keller. Zwar werde ein Schnaps mit dem Alter milder wie der Mensch. «Wir wollen es aber in den meisten Fällen stürmisch, vielschichtig, komplex und mit jugendli-chem Esprit.» Das heisst, dass die Destil-lation perfekt sein muss, denn häufig werden Schnäpse nur darum lange gela-gert, weil sich so Fuselstoffe abbauen.

Keller selber verkostet seine Erzeug-nisse übrigens nur beruflich. Und in der Vor-Stählemühle-Zeit hat er höchstens mal einen Gin getrunken, sonst wenig Alkohol. Trotzdem treibt ihn nun das Hochprozentige an. Oder vielmehr gibt es ihm einen künstlerischen Wirkungs-raum. Denn was er macht, ist nicht nur Aromenjagd, sondern der gelungene Versuch, die Seele von Früchten, Kräu-tern und Beeren einzufangen.

www.staehlemuehle.de

Stählemühle-Destillate sind in Zürich erhältlich bei: Globus, Edition Populaire (www.editionpopulaire.ch), Sportbar (www.sport-bar.ch). Christoph Keller kann man an einer Degustation am 20. November in Basel erleben: www.pfifferling.ch In Basel sind Stählemühle-Destillate erhältlich bei Pfifferling Deli.

Beseelte DestillateEinst erfolgreicher Kunstbuchverleger, heute erfolgreicher Brenner, einer der besten weltweit: Christoph Keller destilliert auf der Stählemühle am Bodensee begehrte Edelobstbrände und Geiste.

Ist es Ihnen in den letzten zehn Jahren auch aufgefallen, dass die Milch zuneh-mend befremdlich schmeckt, manch-mal stark bitter? Alle Milcharten und -bezeichnungen (auch die Appenzeller Milch) auf allen Verkaufskanälen sind davon betroffen. Seit einem halben Jahr hat die Milch einen derart starken Nebengeschmack, dass man sie oft wegschütten muss. Im Labor lässt sich nicht unbedingt etwas Negatives nach-weisen, aber die Geschmacksverände-rung ist dramatisch und dürfte noch schlimmer werden. Dies ist auch nicht erstaunlich: Früher gab es frei wei-dende Kühe mit Hörnern und normal grossen Eutern, die zufrieden drein-schauten. Inzwischen sind die Tiere ausdruckslose Produktionseinheiten, ohne Hörner, dafür mit erschreckend überdimensionierten Eutern, wodurch sie hinten einknicken und kaum mehr laufen können (sofern sie überhaupt nach draussen gelassen werden). Sie erhalten ein chemisch versetztes Futtergemisch, um die Milchproduk-tion zu steigern. G. S.

Lieber Herr S.,Da ich selber keine Milch trinke, son-dern sie in Form von Käse, Joghurt und Butter vorziehe, habe ich Ihre Frage einem erfahrenen Experten vorgelegt. Oskar Flüeler, Ingenieur Agronom ETH, war an der Forschungsanstalt für Milch in Liebefeld verantwortlich für das Ver-suchswesen, Pilot-Plant- und Praxisver-suche. Nach zehn Jahren an der For-schungsanstalt übernahm er die Fami-lienkäserei in Alpnach und produzierte bis zur Pensionierung Sbrinz. Er kennt also beide Seiten der Milch- und Käse-wirtschaft. Seine Antwort:

«Als Milchwirtschafter sollte ich die Milch verteidigen, aber als Lebensmit-telwissenschafter und Konsument kann ich an den Realitäten nicht vorbei-schauen», sagt er. «Die Ursache des Nebengeschmacks hat der Leser selbst erkannt. Sie besteht mit grösster Wahr-scheinlichkeit darin, dass die Kuh zu-sätzlich zum Gras und Heu auch noch eine tüchtige Portion Kraftfutter verab-reicht bekommt.» Solche Kühe könnten viel mehr Milch produzieren als Kühe, die kein Kraftfutter fressen. Ein grosses Euter brauche eben mehr und «bessere» Nährstoffe.

Das überdimensionierte Euter hat ein grosses Gewicht, das die Hinterbeine tragen müssen. «Sind die Hinterbeine nicht stark genug, verformen sie sich – die Kuh bekommt krumme Beine.» Aus-serdem leiden ihre Hufe unter dem mächtigen Gewicht. Auch der Faktor Wirtschaftlichkeit spielt bei ihrer Hal-tung mit: Die neben dem Gras und Heu verabreichte Kraftfutter-Ration sollte möglichst günstig sein und die zeitliche Arbeitsbelastung nicht verlängern. Kommt dazu: Die Konkurrenz aus dem Ausland drückt auf den Milchpreis, so-dass die Bauern zugunsten der Wirt-schaftlichkeit mit günstigem Kraftfutter mehr Leistungsvermögen in die Kuh pumpen.

Oskar Flüeler weiter: «Das von der Kuh aufgenommene Futter wird in ihrem Pansen vergoren und durch Mikroorga-nismen aufgewertet, die Nährstoffe wer-den dann ans Blut abgegeben. Das Blut ist die Basis zur Milchproduktion im Eu-ter. Einzelne Geschmacksstoffe aus der Nahrung gelangen so über das Blut ins Euter und zum Teil in die Milch.»

Ob eine Kuh Hörner trägt oder nicht, hat hingegen keinen nachweisbaren Ein-fluss auf deren Milch. Bei fehlenden Hör-nern könnte aber womöglich das Selbst-wertgefühl der Kuh leiden, was sich auf ihre Befindlichkeit negativ auswirken dürfte.

Soll der Konsument nun auf Milch verzichten? «Nein!», erklärt der Fach-mann energisch und empfiehlt, regio-nale Labels auszuprobieren.Wie gesund ist Kuhmilch? Seite 48

Warum schmeckt die Milch zunehmend befremdlich?

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Der Gin «Monkey 47» von Christoph Keller gewann Gold an der International Wine & Spirits Competition 2011. Foto: Bernd Kammerer