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Connemara Blues am Zürichsee Der Mann ist wie eine Flasche besten irischen Whiskeys: lebendig, erfrischend, Herz erwärmend und bisweilen berauschend …

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Der Mann ist wie eine Flasche besten irischen Whiskeys: lebendig,erfrischend, Herz erwärmend und bisweilen berauschend …

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Und wenn er dann anfängt zureden über die Zeit („Auf unse-rer Farm habe ich gelernt zuarbeiten, aber selbst bei harterArbeit gab es einen Rhythmusvon arbeiten und stiller Be-trachtung“), und über seineLiebe zu Connemara („DieLandschaft da ist so schön, soooleer und sinnlos, als hätte Sa-muel Beckett sie entworfen“),über seine Begegnungen mitSterbenden („Es ist so traurig,wenn du als Priester zu jeman-dem kommst, der sein Lebenfremdbestimmt und verfehltbeenden soll“) und sein Ver-hältnis zur deutschen Sprache(„Hölderlin und Meister Eck-hart – ich liebe die deutscheSprache – ich könnte mit ihr insBett gehen“) und danach seinLachen, pure Lebenslust – dannkommt der Gedanke, mit die-sem Mann eben jene FlascheWhiskey bis auf den Grund zuleeren.Aber der Reihe nach: Parabola,der Ein-Mann-Kulturbetriebvon Bernhard Schaer in Zürichhatte John O’Donohue zu ei-nem zweitägigen Workshopeingeladen. Und so versammel-te sich an einem sonnigenSamstagvormittag eine illustreGruppe. Knapp 50 Personenunterschiedlichen Alters warte-ten gespannt darauf, was erdenn nun zu sagen hätte.Welten treffen aufeinander: derIre aus der stimulierenden Ein-öde Connemaras inmittenschwyzerischer Gemütlichkeitmit dunklen, holzvertäfeltenWänden, hohen Polsterstühlen,Kachelofen und antikem Kron-leuchter. John O’Donohue aberist sich seiner Rolle bewusstund sicher. Zielstrebig arran-giert er Tisch und Stuhl, ordnetseine Unterlagen (die er spätergar nicht braucht – er liest nichtab; er betrachtet, reflektiert, er-

innert und lässt mit jeder Ein-heit ein neues Gedankengebäu-de entstehen) und konzentriertsich. Und baut trotz seinesfreundlichen Lachens eineSphäre der Distanz um sich her,die nur wenige betreten dürfen.Und erst im Laufe der Zeit be-greift der Beobachter, dass erdie Abgeschiedenheit und dasfür-sich-Sein braucht. „DasNichts ist der Ort des Entste-hens für alles, was ist“, sagt derehemalige Priester und verab-reicht der weitgehend esote-risch orientierten Hörerschaftunversehens eine gute Dosisbiblisch-christlicher Theologie.Nach seinem Weggang aus derkatholischen Kirche („Manch-mal fehlt mir doch die Feier derEucharistie“) kann er ganzohne dogmatischen Ballast undmit weitaus besserer Bezahlungfür Menschen da sein. Für die-ses Publikum lebt, denkt, lachtund inszeniert er sich selbst.Und vermittelt doch jedem ein-zelnen den Eindruck, nur ihmganz persönlich gehöre seineganze Aufmerksamkeit.

Mit Schweizer Pünktlichkeitbeginnt die Veranstaltung.. Undsofort wird klar, JohnO’Donohue will keine Minuteverlieren. Mutig und mit profes-sioneller Sicherheit bietet ersich den Zuhörern als Führer indie Tiefe der eigenen Persön-lichkeit an. Sein Lachen, seinePointen kommen an den richti-gen Stellen. Sie lösen schwereGedanken, nehmen die Scheuund fördern die Konzentration.Jede Einheit beginnt er mit Stil-le und einer gelenkten Medita-tion („Legen Sie alles ab, womitsie nicht geboren sind – nein -zu den Kleidern kommen wirspäter“) und wieder diese Hei-terkeit, die letztlich nur die Kon-zentration erhöht. Man könnte

jetzt die berühmte Stecknadelfallen hören. Von draußendringt Gelächter aus den Stra-ßencafés durch die geöffnetenFenster und er? – „ Sie lachenunten und wissen nicht, wasoben geschieht – ist das nichtimmer so?“ Da muss einer sehrgegenwärtig und voller Lebens-lust sein, dass er Bemerkungen,Pointen und Jokes so treffsicherplatziert.

Und worüber hat er nun gere-det? Was war sein Thema?Schwer zu sagen! Er fängt anmit der Sehnsucht der Men-schen, in sich selbst beheima-tet zu sein. „So viele Leute le-ben, ohne sich selbst in sich zuentdecken. Das Schönste, wasdu dir selbst geben kannst, bist

du selbst und die Frage ist, war-um wir uns das nicht geben?“Und dann redet er über Leereund Einsamkeit, die Menschenin ihrem Leben erfahren. Wieschwer es ist, sich darauf ein-zulassen und Freundschaft zuschließen mit den Wüsten desLebensweges. Daraus aber, sobehauptet er, entsteht die Wahr-nehmung des eigenen Ichs. Dassei überhaupt der Sinn des Le-bens, sich selbst zu entdecken

und dann anderen zu helfen,dass sie sich entdecken.

Es ist auch seine eigene Le-bensgeschichte, die er entfaltet.Hin und wieder blitzen seineVerletzungen auf. Etwa wenn erauf seine Auseinandersetzun-gen mit dem vorgesetzten Bi-

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schof anspielt. Wie der ihmSchwierigkeiten machte, dassdie Chemie nicht stimmte under deshalb seinen Priesterdienstquittierte („Ich war 19 Jahrelang katholischer Druide“).Doch er hat seine Geschichtedurchgearbeitet. Jetzt nutzt erdie früheren Begegnungen, umdaraus sein Wissen und seineWeisheit abzuleiten.

Die Zwänge und die Dogmendes Katholizismus ist er jetztlos. Sein Glaube ist geblieben.

Er träumt davon, die Kirchen zuOrten zu machen, wo nicht Sün-den heruntergeleiert werden,sondern „sie sollen ein Ort wer-den, wo du deine eigene Hei-lung findest und deine Heraus-forderung dir begegnet unddich finden kann“. Gnade ist fürJohn O’Donohue kein theologi-sches Fremdwort, sondern es istdie schlichte Erkenntnis einesMenschen, dass es kein Zufallist, dass er auf dieser Welt ist.Bissig wird sein Blick auf diePapstkirche, wenn er feststellt,

dass man dort einen Glaubenablehnt, der sich gleichsam „àla carte“ nur das nimmt, wasihm schmeckt: „Ich habe nochnie erlebt, dass man von einemMenü alles aufgegessen hat,was einem angeboten wurde!“.Weiter fragt er dann unter zu-stimmendem Gemurmel: Soll-te man von der Tradition nichtdas nehmen, was einem für dieGegenwart hilfreich ist und denRest weglassen? Zum Schlussstellt er fest: Nur kritischesWachsein ist doch die Tür zur

Freiheit. Es sind nachdenkens-werte Sätze, die nur so aus ihmheraussprudeln. Alleine - Zeitbleibt kaum für einen eigenenGedanken. Selbst in die Pausengibt John seine mehr und mehrberüchtigten Lebensfragen mit.Sind zwei Stunden Freizeit ge-nug, um darüber nachzuden-ken, an welcher Lebensschwel-le ich gerade stehe? Die Auffor-derung, die sieben oder achtwichtigsten Übergänge meinesLebens zu erinnern und nach-zuschauen, wer mich da beglei-

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tet hat und woher die Freundekamen, verschiebe ich auf spä-ter. Und wer es für sich zulässt,den schont er nicht, sondernkonfrontiert ihn mit dem Ge-danken ans Sterbebett und dieRückschau auf das bisherigeLeben: „Was ist in der Land-schaft deines Lebens vorhan-den, was nicht da sein sollte?Und was ist noch nicht da, wasdu gerne dort in dieser Lebens-landschaft hättest, damit du ger-ne und voller Freude daraufschaust?“ Eine ganze Reihe sol-cher Fragen stellt der Ire, derseine Wurzeln tief in die deut-sche Mystik gesteckt hat. Undwenn er Geburtshelfer dafürsein könnte, dass jemand in ei-nen neuen Lebensabschnittgeht und dadurch näher undinniger zu sich selbst findet – erwäre zweifelsohne sehr glück-lich.

„Ich würde gerne mit einemGedicht... – aber nein ich lassees“, beginnt John, der Dichter,eine der eindrücklichsten Ein-heiten. Manchmal muss er ein-fach zur Poesie greifen, um aus-zudrücken, was ihn bewegt.Das verbindet ihn mit seinenirisch-keltischen Wurzeln.Dann schwelgt er in Sprache,Worten und Bildern und relati-viert lachend seinen Stolz vorden Zuhörern: „Es ist so schön,Opfer zu haben für die eigenenGedichte“.

Darauf schließt sich ein erst-klassiger Diskurs über dasKranksein an. Er spürt das Ver-langen seiner Zuhörerschaft,Krankheit als eine Botschaft zuinterpretieren. John, der Mysti-ker, bleibt Realist: „Du kannstnicht alle Krankheit psychischerklären. Manchmal entstehenKrankheiten, weil du aus demStoff bist, der du bist. Darin

kann zwar eine Botschaft fürdich liegen, aber wie bei einemTraum kannst du sie nur sehrachtsam und indirekt erfahren.Aber wichtig ist es, eine Krank-heit nicht als Gegenüber zu be-greifen“. Sodann entfaltetO’Donohue, wie es gelingenkann, im Krankenhaus aus derPassivität und der Rolle desOpfers herauszufinden. Minuti-ös beschreibt er, wie er Men-schen hilft, sich auf eine bevor-stehende Operation vorzuberei-ten. Unter Hinzuziehung vonneurologischen Erkenntnissengeht er davon aus, das der Geistund das Gehirn des Menschendie Kraft haben, die physiologi-sche Struktur des Körpers zuverändern.

„Wenn du nun in deinem Kran-kenbett liegst, gehe in Gedan-ken noch einmal zurück undvergegenwärtige dir die Ge-schichte und den Werdegangdeiner Krankheit. Wenn einesdeiner Organe krank ist, dannbeginne ein inneres Gesprächmit ihm. Danke ihm für alles,was es bisher für dich getan.Und wenn es jetzt operiert wer-den soll, verabschiede dich vonihm. Erkläre deinem Organ ge-duldig, warum es wichtig ist,dass es jetzt entfernt wird. Und,so schließt John O’Donohue,wenn die Operation dannkommt, setzen die Ärzte nur dasfort, was du selbst schon begon-nen hast. Sie werden deine Hel-fer, deine Werkzeuge. Und duselbst entgleitest nicht zum Ob-jekt der dich behandelndenÄrzte und des Krankenhauses.Du bleibst das Subjekt einerVeränderung, die durch eineKrankheit ausgelöst wird.“

Als ich nach zwei Tagen wiederim Flieger sitze und Zürichlangsam im Dunkel ver-

schwimmt, ist eine FlascheWhiskey in meinem Gepäck.Ich werde wohl auf ihn ansto-ßen, auf diesen keltischen Prie-ster, diesen mystischenCharismatiker, der in Wortefasst, was man eigentlich so-wieso schon weiß, der es aberbestärkt und ins Bewusstseinhebt. Vielleicht, dass man danndoch sich selbst entdeckt. Viel-leicht dass man Zutrauen ge-winnt, „in dir ist eine größereKraft und ein größerer Geist amWerke, als du dir bewusstmachst“. Das zweite Glas wer-de ich darauf trinken, dass sei-ne bissige Bemerkung nichtzutreffen möge: „Wenn ein neu-er Gedanke in sein Gehirnkäme, dann käme er an den ein-samsten Ort der Welt!!!“. Undbeim dritten Glas nehme ichmir noch vor, seinen Rat zu be-folgen, ein Journal, ein Tage-buch der Seele anzulegen. Dahinein, so die Empfehlung desTeetrinkers aus Connemara(„Ich brauche immer wiederganz viele Tassen Tee, um nacheiner Auslandsreise zu Hauseanzukommen“), kommt nurdas, was für die eigene Personwirklich wichtig ist. „Nenn es‚Einblicke in den harten Spie-gel deiner Selbsterkenntnis’oder ‚das Buch meiner gefähr-lichsten Gedanken’ oderschlicht ‚Träume für michselbst’. Das Wichtigste ist: fangan damit. Und beginne mit derFrage, wann du das letzte Malein Gespräch mit einem Men-schen hattest, das noch Tagespäter in dir nachgeklungenist?“ Ich wüsste, womit der Ein-trag beginnt.

Fotos und Text:Helmut

Schneider-Leßmann

Anam Cara (keltisch für ‚derSeelenfreund’) war das ersteBuch, das John O´Donohue1997 über seine Zugänge zurkeltischen Weisheit veröffent-lichte. Der in Connemara le-bende ehemalige Priester stu-dierte in Tübingen philosophi-sche Theologie und hat 1990über Hegels Phänomenologiedes Geistes promoviert. SeineGedanken entwickelt JohnO’Donohue in einer Syntheseaus keltischen Ursprüngen und

Bezügen u.a. zu Platon, MeisterEckhart, Hölderlin, Dostojewskiund Heidegger. Als Dichter undPhilosoph avancierte er mit sei-ner Neuinterpretation kelti-schen Wissens mittlerweilezum Kultautor. Weitere Veröf-fentlichungen sind ‚Echo derSeele’, ‚Connemara Blues’ undals letztes der Titel ‚Schönheit– das Buch vom Reichtum desLebens’, alle bei dtv.

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Dichter und Denker John O'Donohue schaut durch das keltische Objektiv "Nichts beeinflußt einen so sehr wie die Philosophie. Denken ist DAS Medium, mit dem wir die Welt erfahren und durch das wir uns mit der Welt auseinandersetzen", antwortet John O'Donohu e auf die Frage, welche Rolle die Philosophie für ihn spielt. Dichten und Denken sind die beiden Zentren, um die das Leben von John O'Donohue kreist. Man hüte sich aber, sich nun einen alten weisen Einsiedler vorzustellen, der von aller Welt abgeschieden über den Zusammenhang der Dinge nachsinnt. Diese Vorstellung stimmt nur, wenn es um die Abgeschiedenheit geht. Mit einem Wohnsitz im Herzen Connemaras ist John O'Donohue räumlich vom Rest der Welt distanziert, aber ansonsten steht er mitten im Leben: Der 41-jährige ist auf der Grünen Insel seit 10 Jahren landauf, landab ein begehrter Redner, der es mit faszinierender Leichtigkeit versteht, die Beklommenheit, die die meisten Menschen bei den Begriffen Philosophie und Dichtung erfaßt, beiseite zu schieben und komplizierte Gedankengänge auf eine allen zugängliche Ebene zu bringen. 1956 als ältestes von vier Kindern im Burren in der Grafschaft Clare geboren - seine Eltern betrieben einen Bauernhof - studierte John O'Donohue in Maynooth Philosophie, englische Literatur und Dichtung. Er ging dann nach Deutschland, lernte in Murnau und Berlin die Landessprache und studierte vier Jahre lang philosophische Theologie in Tübingen. 1990 promovierte er über Hegel. Jetzt wurde sein "Anam Chara - Das Buch der keltischen Weisheit" bei dtv veröffentlicht. Die irische Originalausgabe erschien 1996, die erste Auflage war im Frühherbst dieses Jahres vergriffen. Im Januar 1998 wird der Autor zu einer Vortragsreise nach Deutschland kommen. Für John O'Donohue ist Philosophie "die Wissenschaft des Wundersamen", mit ehrlicher und ansteckender Begeisterung hinterfragt er akzeptierte Ideen und Erfahrungen, sucht nach einem neuen Ansatzpunkt, einem ungewohnten Blickwinkel. Für ihn ist Philosophie ein andauernder Vorgang, ein ständiges Neuentdecken. In seinem Buch "Anam Chara" - der keltische Begriff für einen "Seelenfreund" - benützt John O'Donohue die Weisheit und die Denkweise der Kelten als ein Objektiv, durch das er die Fragen und Probleme unserer Zeit betrachtet. Keltisches Denken, keltische Weisheit oder Spiritualität, wie immer man es nennen möchte, hat in den vergangenen Jahren in der westlichen Welt eine gewaltige Anhängerschaft gefunden. Eine Entwicklung, die John O'Donohue nicht überrascht. Für ihn hat das keltische Denken Antworten auf die Fragen, die unser modernes, vom Materialismus geprägte Leben offenläßt. Der heutige Mensch, entfremdet von der Natur und sich selbst, findet durch keltisches Denken die Rückkehr zu sich selbst, zur Harmonie mit der Natur und zu den keltischen Wurzeln, die nach John O'Donohues Auffassung irgendwo in der Seele der meisten Iren, Kontinentaleuropäer und Amerikaner vorhanden ist. Was, seiner Meinung nach, im keltischen Denken den modernen Menschen außerdem anspricht, ist zum einen, daß kein moralischer Zeigefinger erhoben wird und zum anderen, wie selbstverständlich mit dem Tod und dem Leben nach dem Tod umgegangen wird: "Im keltischen Denken weht nur ein dünner Schleier zwischen dieser und der nächsten Welt," sagt er. Und der Begriff des Vergänglichen eröffnet den Zugang zum Dichter John O`Donohue: "Dichtung ist für mich der Kampf gegen das Vergängliche, der Versuch, Empfindungen und Gefühle sichtbar zu machen, ein Gestalten von Worten, die nie alt werden". Nach einer kurzen Pause fügt er lachend hinzu: "Auf jeden Fall ist es eine harte und anstrengende Arbeit!" John hat sein erstes Gedicht mit neunzehn Jahren geschrieben. 1994 wurde seine erste Gedichtsammlung veröffentlicht ("Echoes of Memories", Salmon Poolbeg Press, IRP 5.99) und im Augenblick arbeitet er an einem zweiten Gedichtband. Doch zurück zum keltischen Denken. Was ist ein "Seelenfreund"? Kann man ihn in zwei Sätzen beschreiben? John muß nicht lange nachdenken: "Alle Freundschaften beruhen auf einem Vorgang des Erkennens. Wenn zwei Menschen Seelenfreunde werden, erwacht tief in ihrem Inneren etwas, was schon sehr lange vorhanden und verborgen war. Es ist so, als sähe man im anderen sein seelisches Spiegelbild, es entsteht eine Beziehung, die durch nichts zerstört werden kann." - Wohl dem, der einen "Anam Chara" findet... Dagmar Kolata sprach mit John O'Donohue in der letzten Oktoberwoche 1997.

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John O'Donohue: Wahre Macht ist der beharrliche Mut. Sich mit dem Ungelösten und Unfertigen wohl zu fühlen

Jeder von uns nennt es anders, fühlt es anders, jeder geht anders damit um, aber es steckt in jedem von uns - das, was John O'Donohue "die schöpferische Spannung zwischen Sehnsucht und Zugehörigkeit" nennt. "Das ist ein Thema, das mich schon immer fasziniert hat", sagt der irische Philosoph und Dichter, der hofft, mit seinem jetzt in Deutsch erschienenen Buch "Echo der Seele" dem Leser auf der Suche nach dem Sinn des Lebens eine helfende Hand zu reichen. Der Anstoß für das Buch war in gewisser Weise die eigene Sehnsucht, das Suchen in ihm selbst. "Echo der Seele" ist, wenn man so will, eine Veröffentlichung von intensiven Gedanken, die er durchforscht hat, langen Gesprächen, die er mit guten Freunden geführt hat. Für das Thema der Sehnsucht ist der Ire besonders empfänglich - John O'Donohue begründet es zum einen mit der leidvollen Geschichte des Landes, zum anderen mit dem ungeheuren Einfluß von Natur und Landschaft, die den Iren in seiner Spiritualität geprägt haben. Tief verwurzelt in dieser keltischen Spiritualität ist John O'Donohue überzeugt, daß es ohne Sehnsucht keinen Glauben gibt, für ihn ist Glaube die Suche nach der wahren und

endgültigen Zugehörigkeit. Im Gespräch mit ihm wird deutlich, daß er selbst ein gutes Stück Zugehörigkeit gefunden hat, er ist zuhause in dem Zauber und der Faszination der Landschaft, in der er wohnt. Gelegentlich überwältigen ihn Macht und Majestät der Natur und er braucht Zeit, um diese Erfahrungen umsetzen zu können. "Wenn ich nicht wäre, wo ich bin, könnte ich nicht schreiben", sagt er schlicht. Und schreiben kann John O'Donohue. Sein erstes Buch "Anam Cara" ist ein internationaler Bestseller und "Echo der Seele" ist auf dem Weg , einer zu werden. Besteht zwischen beiden Büchern eine Beziehung? John O'Donohue bejaht: "Sie sind eng miteinander verbunden". "Echo der Seele" kehrt, mit einem anderen Blickwinkel, zu vielen Themen zurück, die schon in "Anam Cara" berührt werden: Sehnsucht, Sein, Gebet, Leid, um nur einige zu nennen. Gerade jetzt, auf der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend, fühlen sich viele Menschen in einem spirituellen Niemandsland. John O'Donohue glaubt, daß die Menschen einen "ungeheuren spirituellen Hunger" haben, den die herkömmlichen Strukturen nicht befriedigen können. Mit "Echo der Seele" möchte er dem Leser helfen, eine Tür zu öffnen, die ihn auf den Weg führt, die Einmaligkeit der eigenen Individualität und Spiritualität zu entdecken. Hat ihn der Erfolg von "Anam Cara" überrascht? "Vollkommen", lautet die Antwort. Warum? Es folgt eine Pause, dann sagt John O'Donohue: "Das Schreiben eines Buches ist eine ungeheuer mühselige Aufgabe, das Finden und Verflechten von Worten, die allmählich Sätze und Absätze werden, zu Kapiteln wachsen und schließlich ein Buch bilden. All das findet in der Einsamkeit meiner vier Wände statt und plötzlich berührt es so viele Menschen. Sonderbar!" Vielleicht doch nicht, vielleicht hat der Mann in der verwunschenen Einsamkeit und Stille Connemaras seinen Finger viel stärker am Puls der Zeit als seine Mitmenschen, die in der computergesteuerten Zivilisation die Welt bewegen. Oder, um aus "Echo der Seele" zu zitieren: "Wahre Macht ist der beharrliche Mut, sich mit dem Ungelösten und Unfertigen wohlzufühlen; die Fähigkeit, in den planlosen Graffiti unserer Wünsche die Schrift des Ewigen zu erkennen".

Dagmar Kolata (aus irland journal 6.99)

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»When you live the life, that you love, you will receive the blessing from above« (Van Morrisson) Woran denkt man, wenn der erste Schock überwunden ist? John O’Donohue stirbt an einem unbedeutenden 4.-Januar-Freitag im Alter von 53 Jahren in Südfrankreich. Eben selbst noch in Irland, war es die erste Mail, die mich abends erreichte. Telefonate mit ihm und die persönliche Begegnung in Zürich tauchen aus der Erinnerung aus (vgl. irland journal XVII, 4.06: „Connemara Blues am Zürichsee“). Im Rückblick lesen sich die Notizen wie eine Vorahnung. „You’ll never see a trailor after a hearse“ („Hinter einem Leichenwagen wirst du nie einen Anhänger sehen“) – der Satz stammt aus seinem Mund. Und darin lag eines seiner Lebensthemen quer durch alle Philosophie, Poesie und keltische Spiritualität. Es kam ihm auf die Beheimatung im eigenen Leben an. Da konnte er zornig und leidenschaftlich, traurig und auch verzweifelt werden. „Versuch nicht die Arme um die Welt zu legen – du kannst sowieso nichts mitnehmen. Erlerne vielmehr die Kunst, in dir selbst zu leben und das geschenkte Leben zu genießen.“ Manches klingt wie eine Befreiung aus dem Priesterdasein (John O’: „Ich war neunzehn Jahre lang Priester, [lacht] also katholischer Druide!“). Trotz Verletzung und Demütigung durch die Amtskirche war es der Beruf, der ihm rückblickend die tiefsten und nachdrücklichsten Begegnungen mit Menschen erlaubte. Der Tod war ihm nicht fremd. Er war selbstverständlicher Horizont seines Lebens. Ironie und Witz halfen, seine Gedanken für andere erträglich zu machen. Aus einer Anleitung zur Meditation: „Legen Sie einmal alles ab, womit Sie nicht geboren sind – nein, zu den Kleidern kommen wir später …!“ – und dann war da sein herzliches, dröhnendes Lachen. Nur um Sekunden später die Menschen wieder zu packen, wenn er fortfuhr: „Ist das nicht eine seltsame Ironie: Es ist so ein langer Weg bis man zu dem kommt, was im Innersten ganz nah in uns ist? – So viele Leute leben, ohne sich selbst zu entdecken!“ Solche Gedanken entwickelt jemand, der es gelernt hat, bei Sterbenden auszuhalten. Der genau weiß, dass die Lebenszeit begrenzt ist und darum Begegnungen mit Menschen reflektiert und transzendiert. Da ist seine Leidenschaft zu spüren. Man sieht sich mit ihm am Bett eines Sterbenden sitzen, wenn man die Worte hört: „Und nun, jetzt, wo du bereit bist zu sterben – was hältst du von deinem Leben – von all dem?“ Und dann sieht er jedem Einzelnen ins Gesicht: „Es ist so traurig, wenn jemand sein Leben fremdbestimmt gelebt und verfehlt hat!“ Natürlich war er auch eitel und genoss die Bewunderung, die man ihm entgegenbrachte. Unter allem Lachen war er auch eigenwillig und wusste, was er wollte und was nicht. Unvergesslich wie er beschrieb, dass ein Ehepaar seine Adresse in Connemara ausfindig gemacht hatte und sie zu seinem Entsetzen nun vor seiner Tür standen. Das war ein Eindringen in seine ureigenste Sphäre. Seiner Stimme war noch nach Jahren die Entrüstung anzumerken über so ein dreistes Verhalten: Fremde klingeln an seiner Tür, wollen mit ihm reden, und er kommt möglicherweise nicht umhin, sie zu einem Tee hereinzubitten. Das Einzige, was nach seinem Bekunden die Situation rettete, war das Bekenntnis der Frau, dass sie seine Tübinger Doktorarbeit über das Nichts bei Hegel gelesen hatte. Wer durchhielt, was er da in Deutschland geschrieben habe, schloss John seine Erzählung, den könne man beim besten Willen nicht einfach so vor der Tür stehen lassen. Es sind in der Hauptsache zwei Bilder, die sich mir eingeprägt haben und die mir ein Schlüssel zu seiner Persönlichkeit wurden. Bei besagtem Seminar im Jahr 2006 in Zürich wurde John O’Donohue immer wieder angesprochen und Menschen wollten seine Meinung hören. Und in diesen Momenten konnte er alles andere ausblenden und war ganz und gar auf sein Gegenüber konzentriert, als gäbe es auf der Welt nur ihn, als sei er einzigartig und unverwechselbar mit seinem Anliegen. Diese absolute Zuwendung für einige Minuten oder auch nur für kurze Momente, diese ungeteilte Aufmerksamkeit waren faszinierend und ließen eine ganz enge Beziehung entstehen. Da glaubte man ihm solch steile Sätze: „Die Einzigartigkeit des Menschen ist ein Sakrament, d. h. ein sichtbares Zeichen einer unsichtbaren Gnade.“ Und dann wieder sehe ich ihn abends an einem Tisch eines Straßenrestaurants. Er ist alleine. Menschenmassen schieben sich vorbei durch die Gassen Zürichs. Es ist ein warmer Samstagabend im Herbst. Vor John O’Donohue steht ein großes Glas Wein. Dichte Qualmwolken kommen aus einer dicken Zigarre, die er genüsslich pafft. John wartet auf sein Essen und beobachtet das Treiben ringsum. Wehe dem, der ihn da angesprochen hätte. Er brauchte dieses Alleinsein mitten unter vielen Menschen. Einfach nur dasitzen, betrachten und genießen – und nichts tun. Nach eigenen Worten hat er das bei Hegel und in Connemara (wo er

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bis zuletzt lebte) gelernt: dass das Nichts der Ort ist, an dem alles entsteht. Die Leere ist ihm eine Einladung und, so befand John, es ist schwer, sich auf sie einzulassen und mit ihr Freundschaft zu schließen. Und dann erzählt er von seinen Entdeckungen in der Hegelschen Philosophie, wie in der Spannung von These und Antithese zuerst einmal nichts geschieht, bevor aus dem „Zwischen“ dann Neues entsteht. Und wie er in einer Buchhandlung stöberte und ein Buch über das Nichts fand: „In Connemara gäbe es so ein Buch nicht, da ist es um dich – das Nichts“. Und mir schien es, als bräuchte er das, um seine Gedanken und Erfahrungen zu reflektieren und daraus das entstehen zu lassen, was dann literarisch zu Bestsellern wurde: Anam Cara, Echo der Seele und Schönheit. Ach ja, Tübingen, Hegel und die deutsche Sprache: Gerne mochte er sie. Zitierte Goethe und Meister Eckhart (Letzteren besonders gerne – seine Gedanken erleben gerade eine Renaissance), mochte den Klang und die Möglichkeit feinsinniger Nuancen. Und dann, nach einem auf Deutsch vorgetragenen Gedicht aus seiner Feder („Diese Einheit würde ich vielleicht gerne mit einem Gedicht … aber nein – ich lasse es … oder doch: Es ist so schön, Opfer zu haben für die eigenen Gedichte“, lacht und beginnt zu rezitieren), blitzt wieder sein irischer Humor auf: „Die deutsche Sprache: Sie ist so schön – ich könnte mit ihr ins Bett gehen …“ In der Sprache fand John O’Donohue auch einen Schlüssel für den Zugang zum keltischen Denken, dem er mit seinen Schriften über die esoterischen Kreise hinaus Aufmerksamkeit verschaffte. Wenn er am Deutschen die Präzision und das Analytische schätzte, so ist ihm die irische Sprache eine Heimat für die Lyrik und die Poesie des Erzählens. Jedes Feld und jeder Berg habe seine Geschichte, die erzählt wurde. Familiengeschichten mit Gespenstern und Geistern im Dorf zeugen von der Vielfalt des Vergangenen. Sind vor allen Dingen aber auch Hinweis auf die keltische Sichtweise, wonach es keine Trennung gibt zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt. Daraus kam ihm eine für viele Menschen tröstliche Sichtweise des Todes: Die Toten, so war seine feste Überzeugung, sterben nicht aus der Welt hinaus, sondern bleiben hier um uns, nur in einer anderen Form. Trauer begriff er folgerichtig als die Aufgabe, sich an die neue Gestalt des unsichtbaren geliebten Menschen zu gewöhnen. Spiritualität (nicht der Begriff, aber die Sache durchzieht Johns Schriften) steht seiner Meinung nach vor einer einzigen großen Frage: der nach dem Tod. Keiner weiß eben, was ihm hinter dieser Schwelle bevorsteht. Aber es geschieht etwas, wonach das Heute und das Morgen getrennt ist. Das Leben geht nicht mehr weiter wie bisher. Und dann bricht bei solchen Betrachtungen zuerst der Priester in ihm durch: „Das große Privileg des Priesterseins besteht darin, Menschen beim Sterben begleiten zu dürfen. Und dann machst du ein Floß aus Worten, die dem Sterbenden helfen loszulassen.“ Danach meldet sich der Philosoph in ihm: „Um eine Sache zu verstehen, müssen wir sie immer von zwei Seiten betrachten können. Aber das Erlebnis des Todes kennt kein Nachher, keine rückschauende Betrachtung. So bleibt der Tod als Auflösung von Raum und Zeit ein Rätsel. Und wenn du fragst, wo die Seele des Toten hingeht, dann gibt es nur die Antwort: nirgendwo. Denn im Tod gibt es kein ‚hin‘.“ Gewiss – das ist kein klassischer Nachruf. Nicht einmal eine ordentliche Bestandsaufnahme von Leben und Werk John O’Donohues. Es ist eher der (traurige) Vollzug eines Abschieds. Aber wenn ich meine Aufzeichnungen zu unserer denkwürdigen Begegnung heute noch einmal lese, wird mir klar, wie selbstverständlich John O’Donohue sich dem Thema Tod aussetzte. Und wie er daraus Kraft hatte für ein Leben, um das ihn mancher beneidete und das manchem auch ziemlich „spinnert“ vorkam wie sein ganzes Denken. Durch alles hindurch spürbar war für mich jedoch eine große Bewegung. John O’Donohue hat aus seinen vielen Sterbebegleitungen gelernt. Daher wollte er so leben, dass es im Rückblick auf die Landschaft seines Lebens keine Furcht geben sollte vor der Frage: „… und nun, was hältst du von deinem Leben, von all dem?“

Helmut Schneider-Leßmann (aus irland journal 1.2008)

Der Autor ist evangelischer Pfarrer in Erftstadt-Lechenich. Er begegnete John O’Donohue bei einem zweitägigen Workshop unter dem Titel „Anam Cara“ im September 2006 in Zürich. Im Anschluss blieb der Kontakt zwischen beiden bestehen.