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BERGER ROLAND .COM NEW! BERGER ROLAND .COM NEW! THINK ACT COO INSIGHTS Industrie 4.0? Hier geht's lang! THINK ACT COO INSIGHTS 1 | 2016 INDUSTRIE 4.0? HIER GEHT'S LANG! Wie SAP-Entwicklungsvorstand Bernd Leukert  Industrien und Services vernetzen will CLOUD Das Geschäft schickt der Himmel GESCHÄFTSMODELLE 4.0  Neues Spiel für Anbieter und Anwender Individualisierte Massenproduktion und die Rückkehr industrieller Arbeitsplätze in die Hochlohnländer der westlichen Welt: zwei der zentralen Versprechen von Industrie 4.0 (Seite 10) 1 | 2016 INDUSTRIE 4.0? HIER GEHT'S LANG! JAPAN Wo die Roboter übernehmen

COO INSIGHTS ACT - Roland Berger · 2020-05-12 · USA oder "Made in China 2025" in China – sich leicht unterscheiden, haben sie doch eine gemeinsame Vision: Die Fertigung der Zukunft

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Industrie 4.0? Hier geht's lang!

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Wie SAP-Entwicklungsvorstand Bernd Leukert Industrien und Services vernetzen will

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Das Geschäft schickt der

Himmel

GESCHÄFTSMODELLE 4.0 

Neues Spiel für Anbieter und

Anwender

Individualisierte Massenproduktion und die Rückkehr industrieller Arbeitsplätze in die Hochlohnländer der westlichen Welt: zwei der zentralen Versprechen von Industrie 4.0(Seite 10)

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Wo die Roboter übernehmen

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COO Insights 1 | 2016

SCHLÜSSELFRAGE

Industrie 4.0 und darüber

hinaus:Lernt Europa, die

Digitalisierung zu lieben?

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3Erste Antworten

VERTRAUEN IN DIE VERNETZUNG

Das Internet der Dinge führt zu einem grundlegenden Wandel in allen Lebensbereichen. Vielerorts ist er bereits deutlich zu spüren, wie in der industriellen Produktion. Der industriellen Fertigung gerade in Hoch-kostenländern bietet die Vernetzung erhebliche Effizienz- und Effek-tivitätschancen – auch durch neue Geschäftsmodelle. Das gelingt umso besser, wenn die Vernetzung entlang der Wertschöpfungskette nicht an Grenzen haltmacht. Bosch ist deshalb gemeinsam mit Part-nern in Europa, Asien und den USA tätig. Intensiv arbeiten wir mit dem Industrial Internet Consortium zusammen. Kernziel: einheitliche Tech-nik-Standards und so eine gemeinsame Sprache schaffen, um die Vorteile der Vernetzung über Landesgrenzen hinweg zu nutzen.Bei Bosch verstehen wir uns als Leitanwender und -anbieter von In-dustrie 4.0. Eine Doppelstrategie, die sich auszahlt: Bis 2020 wird uns die vernetzte Produktion kumuliert voraussichtlich jeweils eine Milliarde Euro Kostenersparnis und Zusatzumsatz bringen. Dazu ge-hen wir bei Bosch selbst in drei Schritten vor: Erstens realisieren wir Anwendungen in einzelnen unserer weltweit 250 Werke. Zweitens optimieren wir Wertströme bis hin zum Endkunden. Und drittens steuern wir weltweite Netzwerke.Zentraler Bestandteil unserer Vernetzungsstrategie ist die unterneh-menseigene Cloud-Plattform. Die Bosch IoT Cloud bietet eine sichere technische Infrastruktur für die Skalierbarkeit von vernetzten Lösun-gen. Schon heute bauen viele Lösungen und Projekte von Bosch und unseren Kunden auf dieser auf. Schließlich managen und analysieren wir große Datenmengen – gerade auch in der Industrietechnik.Ein wesentlicher Aspekt der Vernetzung ist Vertrauen. Wie sicher sind und wem gehören die Daten? Transparenter Umgang mit Daten und klare Vereinbarungen zur Nutzung sind Voraussetzung für eine Zu-sammenarbeit. Bei Bosch haben die Kunden das erste und das letzte Wort bezüglich der Verwendung ihrer persönlichen Daten. Das ist unsere Antwort auf Bedenken zum Datenschutz. Was ist Ihre?

DER KUNDE KOMMT ZUERST

Industrie 4.0 garantiert bessere Produkte, effizientere Produktions-methoden und maßgeschneiderte industrielle Dienstleistungen. Die digitale Verknüpfung komplexer Prozesse in Produktion, Logis-tik und Services ist ein so bedeutendes wie anspruchsvolles Thema bei praktisch jedem Industrieunternehmen in Europa. Auch in den USA und in Asien ist Industrie 4.0 eine treibende Kraft.In Amerika versuchen sich Unternehmen an radikalen Innovationen, China setzt auf Geschwindigkeit, viele Europäer – darunter Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien oder Schweden – brillieren mit exzellenten Ingenieursleistungen, während sich Japan auf Skalierbarkeit in smarten Fabriken fokussiert. Aber wie genau hat sich Industrie 4.0 weiterentwickelt, seit wir uns damit beschäf-tigen? Wo stecken die Potenziale? Das erfährt nur, wer sich auf De-tails einlässt.Als Beratungsunternehmen investieren wir viel Zeit und intellektu-elle Energie, um unseren Kunden Orientierung zu sichern und ge-schäftliche Perspektiven durch Industrie 4.0 zu eröffnen. Die Nach-frage ist riesig. Unsere Partner und Berater in Europa haben eine internationale "Core Group Industrie 4.0" gebildet, in der wir uns seit Jahren regelmäßig über Projekterfahrungen und neuste Er-kenntnisse austauschen. Wir diskutieren erfolgreiche Unterneh-mensbeispiele oder darüber, welche Muster wir in der industriellen Digitalisierung erkennen. Wir konkretisieren neue Geschäftsmodel-le rund um den 3D-Druck oder – immer häufiger – in der Cloud. Aber natürlich nicht nur dort.Überall beobachten wir eine Symbiose zwischen klassischer Pro-duktionstechnologie und neuer IT-Technologie. Wir verstehen beide Welten. Das verschafft uns seit jeher einen Wettbewerbsvorteil. Wie macht der COO Industrie 4.0 für sein Unternehmen zum Er-folg? In der Industrie gilt jetzt, was wir in der Beratung längst verin-nerlicht haben. Der Kunde mit seinen Bedürfnissen kommt zuerst.

DR. VOLKMAR DENNERVorsitzender der Geschäftsführung, Robert Bosch GmbH

THOMAS RINNist Partner und Mitglied im Global Executive Committee von Roland Berger

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Alles dreht sich um Industrie 4.0: wie Unternehmen weltweit von der Digitalisierung profitieren können

40Japan modernisiert seine

Wirtschaft. Roboter spielen eine Hauptrolle

Vorausgesetzt, Newcomer und Platzhirsche lernen schnell ihre

Lektionen

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Wettbewerb

4.0 eröffnet einmalige Chancen für neue Geschäftsmodelle

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INDUSTRIE 4.0

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Vordenker der digitalen Transformation bei SAP: Entwicklungsvorstand Bernd Leukert im Interview

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InhaltArbeit und Wertschöpfung neu definiertWas Vordenker zum Thema "Digitale Transformation" sagen

Leitstern für die nächsten JahrzehnteEtablierte Industrienationen und Schwellenländer setzen auf Industrie 4.0

Rundum sorglos vernetztVon der Entwicklung bis zum Service: Unternehmen profitieren vielfältig von Industrie 4.0

Von Pythons und ProduktenWer Produkte und Prozesse zukunftsfähig macht, wird zu den Gewinnern im Wettbewerb 4.0 gehören

Menschen, Märkte und MaschinenGestern Science-Fiction, heute Realität: Wie die Digitalisierung unser Leben verändert

"Wir wollen der 'Intel Inside'der digitalen Wirtschaft sein"SAP-Entwicklungsvorstand Bernd Leukert über den Kulturwandel bei SAP, die Rolle deutscher Wurzeln im Cloud-Geschäft und Industrie 4.0 in Europa

Das Geschäft schickt der HimmelDie Cloud ändert die Spielregeln der Industrieautomatisierung. Neueinsteigern bleibt nicht viel Zeit zum Umdenken

I, Robot? Deregulierung, Kooperation, Digitalisierung: Japans Aufholjagd hat begonnen

COO WorkshopEinladung zum Weiterdenken: Zahlen und Studien von Roland Berger

Warum die neue industrielle Revolution uns alle angehtProf. Thomas Bauernhansl über die Chancen von Industrie 4.0

Terra NumerataDas digitale Netzwerk von Roland Berger vereint Branchen- und funktionale Kompetenz sowie die Verbindung mit digitalen communities

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Das Geschäft schickt der Himmel

Die Cloud ändert die Spielregeln der Industrieautomatisierung

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"Die vierte industrielle Revolution hat das Potenzial, sowohl das Wirt - schaftswachstum zu steigern als auch einige der größten globalen Herausforderungen, denen wir uns als Menschheit gegenübersehen, zu entschärfen."Klaus Schwab, Gründer und Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums

"Europa ist in der Lage, seine eigene sichere Backbone-Struktur zu schaffen. Jetzt geht es darum, branchen übergreifend EU-weite Standards und Gesetze voranzutreiben."Reinhard Ploss, Vorstandsvorsitzender, Infineon AG

"The time to capitalize on digital factories is now. The U.S. ticks all the right boxes to be the future of digitized automotive manufacturing."Stephan Keese, Senior Partner, Roland Berger, Chicago

"Nach unserer Bestandsaufnahme sind wir überzeugt, dass wir an einem Wendepunkt stehen – am Anfang einer Veränderung, die ebenso tief greifend ist wie die industrielle Revolution."Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee, Autoren von "The Second Machine Age"

STATEMENTS

Unternehmer, Manager, Wissenschaftler:

Was Vordenker über Industrie 4.0 sagen

Arbeit und Wert - schöpfung

neu definiert

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"Die Karten der Wertschöpfung werden in den nächsten fünf Jahren neu gemischt. Ort und Art der Leistungserbringung werden sich ändern, und alle Wirtschaftsräume müssen hier ihre Hausaufgaben machen."Prof. Thomas Bauernhansl, Fraunhofer-Institut (IPA) und Universität Stuttgart

"In Europa sind viele Rahmen- bedingungen für Industrie 4.0 noch immer viel zu zersplittert."Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung, Robert Bosch GmbH

"Aber auch wenn intelligente Systeme immer mehr Standard - aufgaben übernehmen können, bleibt es un ersetzlich für erfolgreiche Unternehmen, die Erfahrung ihrer Mitarbeiter zu nutzen und weiter zu fördern."Bernd Leukert, Entwicklungsvorstand SAP AG

"Sie müssen sich überlegen, ob Sie Teil der Veränderung sein wollen – oder verändert werden."Joe Kaeser, CEO Siemens AG

"Die Arbeit verschwindet nicht, sie wird nur neu definiert. Mit der sich vernetzenden Produktion wird auch der Bedarf an Fachkräften aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik steigen."Henning Kagermann, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften

"Es ist eine Chance zum sozialen Wandel: Industrie 4.0 kann völlig neue Impulse für Wachstum und Beschäftigung setzen."Max Blanchet, Senior Partner, Roland Berger, Paris

Statements

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Leitstern für die nächsten

Jahrzehnte

Cover Story Deep dive 1 Deep dive 2

Radikale Innovation:Digitale Innovation in die physische Welt bringen. Startups für das Internet der Dinge und eine Renaissance der Produktion

USA

Technische Höchstleistung:Exzellentes Engineering in die digitale Welt bringen. Visionäre Konzepte, die Technologie, Gesellschaft und Wirtschaft integrieren.

Großbritannien, Schweden, Norwegen, Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien

Industrie 4.0 hat die Produktion revolutioniert. Die Motive der Akteure sind unterschiedlich. Der Fortschritt alles andere als eine Schnecke.

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INDUSTRIE 4.0

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Geschwindigkeit:Pragmatische Anwendung von Quick Wins und Langzeitstrategie. Nutzung reifer Technologien, strategische Schlüssel- technologie-Entwicklung.

China

Skalierbarkeit:Innovation durch

Anwendung. Massiver Aufbau von Smart

Factories und sehr große Hersteller, die durch

interne Nachfrage ihre Produkte stärken.

Japan, Südkorea

E in Begriff elektrisiert Unternehmen, Wissenschaftler und Politiker welt-weit: Industrie 4.0. Vor fünf Jahren

auf der Hannover Messe 2011 erstmals öf-fentlichkeitswirksam vorgestellt, beschrei-ben er und ähnliche Schlagworte wie "In-dustrial Internet" und "Advanced Manufacturing" einen Prozess, der nichts weniger als eine neue industrielle Revoluti-on zum Ziel hat. Die etablierten Industrie-nationen erhoffen sich davon mehr Effizi-enz und eine höhere Wettbewerbsfähigkeit, die zu einer "Renaissance" der industriel-len Produktion in Hochlohnländern füh-ren könnte. Schwellenländer wie China wollen hingegen den Sprung von der "Werkbank der Welt" zum technologischen Vorreiter bei Produkten und Produktions-verfahren schaffen.

HOCHGRADIG VERNETZT UND EXTREM FLEXIBELAuch wenn die Schwerpunkte der interna-tionalen Initiativen – darunter die "Platt-form Industrie 4.0" in Deutschland, das "Industrial Internet Consortium" in den USA oder "Made in China 2025" in China – sich leicht unterscheiden, haben sie doch eine gemeinsame Vision: Die Fertigung der Zukunft soll hochgradig vernetzt und ext-rem flexibel sein. Allgegenwärtige Senso-ren und intelligente Algorithmen sollen dafür sorgen, dass sich Produkte bis hinun-ter zur Losgröße 1 fertigen lassen – in Seri-enqualität und zu den Kosten einer Mas-senfertigung. Wer bei diesem weltweiten Rennen die Standards setzt, dürfte auf Jahrzehnte hinaus zu den Gewinnern der Globalisierung gehören. "Industrie 4.0 ist definitiv der Leitstern für die nächsten

Jahrzehnte", sagt Wolfgang Dorst, Be-reichsleiter Industrial Internet und 3D-Druck beim deutschen Digitalverband Bitkom.

Für die USA eröffnet der Prozess die Chan-ce, verloren gegangene Produktion wieder zurück ins Land zu holen und die Wirt-schaft zu reindustrialisieren. Niedrige Energiepreise in Kombination mit einer hoch innovativen IT-Szene sind eine gute Voraussetzung, um beim Rennen um die Kunden von morgen erfolgreich zu sein. Gerade der intelligente Umgang mit riesi-gen Datenmengen wird in den kommen-den Jahren ein entscheidender Wettbe-werbsvorteil sein – und auf diesem Gebiet kommt US-amerikanischen Champions wie Google oder Amazon weltweit niemand gleich. Experten erwarten, dass die nord-amerikanischen Unternehmen vor allem mit neuen Services und Geschäftsmodel-len punkten werden.

Ähnlich wie die deutsche "Plattform Indus-trie 4.0" treibt in den USA das "Industrial Internet Consortium" (IIC) die vierte in-dustrielle Revolution voran – auch unter Beteiligung deutscher Technologieführer wie Siemens, SAP und Bosch. Um das The-ma gemeinsam weiter voranzutreiben, ha-ben sich beide Organisationen im März 2016 auf eine Kooperation geeinigt. "In-dustrial Internet bedeutet, Daten aus Ma-schinen zu gewinnen und aus ihnen nütz-liche Erkenntnisse für unsere Kunden zu erlangen", sagt Jeff Immelt, CEO des IIC-Mitglieds General Electric (GE). "Das schafft Werte in Billionen-Höhe und wird GE transformieren."

Mehr Wissen als PläneWo die vierte industrielle Revolution Fahrt aufgenommen hat: Vor allem in KMUs ist Industrie 4.0 noch nicht angekommen.

Quelle: ZEW 2015

Transport und Logistik6% 1,3%

Finanzdienstleistungen3%19%

Fahrzeugbau

9%29%Chemie und Pharma

6%35%

Maschinenbau

IT- und Tele- kommunikation

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Bestehende und geplante Industrie-4.0-Projekte

Im Durchschnitt:

Kenntnisse über Industrie 4.0 18%

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Quelle: Bitkom 2016

So lesen Sie beispielsweise die Grafik zum Maschinenbau: 28 Prozent aller Industrie-4.0-Anwendungen stammen aus dieser Branche. Sie steuerte zehn Prozent aller Anwendungen aus der Kategorie "Assistenzsysteme für Auto - matisierungslösungen" (E) bei und vier Prozent aus der Kategorie "Value-based Services Werke/Maschinen" (D).

HIMMELWEITE UNTERSCHIEDEAuf der Basis von 203 Anwendungsbeispielen der "Plattform Industrie 4.0" hat Bitkom die Industrie-4.0-Aktivitäten verschiedener Branchen verglichen. Führend ist der Maschinenbau (28 Prozent der Beispiele). Bei den Anwendungen dominieren Assistenzsysteme für Automatisierungslösungen (34 Prozent, rechts).

Branchensektoren

Metallerzeugung und Bearbeitung, Herstellung von Metallerzeugnissen

Herstellung von chemischen und

pharmazeutischen Erzeugnissen

Herstellung von Gummi-, Kunststoff-, Glaswaren

und Keramik

Herstellung von Nahrungsmitteln und

Getränken, Tabakverarbeitung

Herstellung von Möbeln und sonstigen Waren,

Reparatur und Installation von

Maschinen

Sonstiges verarbeitende Gewerbe

Fahrzeugbau

Maschinenbau

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Herstellung von DV-, Elektronik-, Optik-Erzeugnissen und

elektronischer Ausrüstung

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Value-based Services bezogen auf eigene Werke/Maschinen

Assistenzsysteme für Automatisierungs-

lösungen

Assistenzsysteme für Steigerung der

Energieeffizienz

Transparenz und Wandlungsfähigkeit

ausgelieferter Produkte

Wandlungsfähige Fabrik

Adaptive Logistik

Smart Engineering

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Anwendungskategorien

A B

C

Auftragsgesteuerte Produktion innerhalb

des Konzerns

Auftragsgesteuerte Produktion in einer "connected world"

Value-based Services bezogen auf ausgelieferte

Produkte

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In China gehört der Umbau der Volkswirt-schaft zu den höchsten Prioritäten der kommunistischen Partei, die diesen Pro-zess strategisch angeht. 2015 rief die Regie-rung das Programm "Made in China 2025" ins Leben, das als Antwort auf die deutsche Industrie-4.0-Initiative gilt. Im Juni 2016 folgte ein Fonds, aus dem rund drei Milliar-den Dollar in die Modernisierung der In-dustrie fließen sollen. Und auch der Kauf des deutschen Roboterherstellers KUKA durch die chinesische Midea-Gruppe passt in diese Strategie – ebenso wie das Interesse an weiteren Unternehmen wie Aixtron (Ma-schinen für die Halbleiterproduktion) und SGL (Produkte auf Basis von Kohlenstoff).

Zu den wichtigsten Zielen des Landes zählt eine stärkere Automatisierung der kleinen und mittleren Unternehmen. Aus Sicht der Chinesen ist die digitale Wirtschaft der ent-scheidende Schlüssel für künftigen Wohl-stand. Darum forderte Staatspräsident Xi Jinping auf dem letzten G20-Treffen in Hangzhou, Innovationen in diesem Bereich weltweit stärker zu fördern. "Wir müssen mehr tun, um das Potenzial für mittel- und langfristiges Wachstum freizusetzen", sag-te er zum Abschluss des Treffens.

Den bereits sehr weit entwickelten Unter-nehmen in Japan und Südkorea geht es vor allem darum, durch eine intelligente Vernetzung ihre Produktivität weiter zu steigern. Mehr Automatisierung und der zunehmende Einsatz von Robotern sen-ken aber nicht nur die Kosten – sie sind auch eine Möglichkeit, die Folgen des ra-schen demografischen Wandels in diesen Ländern abzufangen. Treiber des Um-bruchs sind in beiden Ländern die großen industriellen Konglomerate, welche die vernetzten Produktionssysteme zunächst für den Einsatz in ihren eigenen Konzer-nen entwickeln (siehe dazu auch den Be-richt ab Seite 40).

Auch für Europa spielen die internationale Wettbewerbsfähigkeit und der demografi-sche Wandel eine Schlüsselrolle beim Um-bau der industriellen Produktion. Der Kon-tinent kann dabei auf einer relativ gut

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wird, existieren hier auch die umfang-reichsten Daten zum Umsetzungsgrad und zu den Zielen, die Unternehmen mit dem neuen Paradigma verbinden. Im Novem-ber 2015 stellte beispielsweise das Zent-rum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) eine Studie vor, die zu recht überra-schenden Ergebnissen kommt: "Lediglich 18 Prozent der Unternehmen ist der Begriff Industrie 4.0 bekannt, wobei große Unter-nehmen deutlich häufiger informiert sind als kleine." Und nur vier Prozent der Be-fragten gaben an, "die Digitalisierung und Vernetzung von Produktionsprozessen im Rahmen von Industrie-4.0-Projekten be-reits durchzuführen oder dies in naher Zu-kunft zu planen".

ausgebauten Infrastruktur und einer gro-ßen Zahl von qualifizierten Arbeitnehmern aufbauen – denen Industrie 4.0 Jobs ver-spricht, die dank neuer Technologien wie Augmented Reality und kollaborative Robo-ter auch für ältere Beschäftigte geeignet sind. Innerhalb Europas ist Deutschland der wichtigste Treiber der "vierten industri-ellen Revolution". Das Land ist nicht nur der klassische "Fabrikausrüster der Welt", sondern auch ein wichtiger Anwender der neuen Produktionstechnologien.

DIE UMSETZUNG IST ERST AM ANFANGUnd weil der Begriff "Industrie 4.0" in Deutschland bereits seit Jahren von Wirt-schaft, Wissenschaft und Politik diskutiert

Quelle: Bitkom 2016, Umfrage unter 364 Unternehmen mit mindestens 100 Mitarbeitern.

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50

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80 Verbesserte Prozesse

Bessere Planung von Wartungsfenstern

Entwicklung neuer bzw. Veränderung

bestehender Geschäftsmodelle

Verbesserte Kapazitätsauslastung

Schnellere Umsetzung von individuellen Kundenwünschen

Ansprache neuer Kundengruppen

Geringere Produktionskosten

Flexiblere Arbeitsorganisation

Geringere Personalkosten

Erweiterung der Produktpalette

EFFIZIENZ IM VISIER

INDUSTRIE 4.0

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Welche Ziele Unternehmen mit Industrie 4.0 verfolgen

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VOM MARATHON ZUM SPRINT

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me für Automatisierungslösungen im Mit-telpunkt stehen. Wenig überraschend ist die zweitplatzierte Branche: Unternehmen aus den Bereichen Datenverarbeitung, Elektronik, elektronische Ausrüstung und Optik lieferten 26 Prozent aller konkreten Projekte – und auch hier dominierten As-sistenzsysteme für Automatisierungslö-sungen als meistgenannte Anwendung. Den dritten Platz belegten mit 16 Prozent die Fahrzeugbauer, ebenfalls auf der Suche nach Assistenzsystemen für Automatisie-

rungslösungen.

EFFIZIENZINNOVATIONENSTEHEN IMVORDERGRUND"Die aktuellen Anwendungs-fälle kommen vor allem aus

der Automatisierung", fasst Dorst die Studienergebnisse zu-

sammen. "Es handelt sich dabei um Effizi-enzinnovationen und nicht um Durch-bruchsinnovationen." Für ihn steht aber auch fest, dass es keine Alternative zu In-dustrie 4.0 und ihren disruptiven Verände-rungen gibt: "Entscheidend ist, dass sich jetzt so viele Unternehmen wie möglich auf den Weg machen."

Speedfactory statt Industrie 3.0: Adidas setzt auf eine hochautoma- tisierte, individualisierte Produktion – was die Einführung neuer Produkte dramatisch beschleunigt.

Und zumindest einige industrielle Vorrei-ter haben den neuen Leitstern als Orientie-rungshilfe schon heute fest im Blick. "Auch wenn die Entwicklung eher evolutionär als spektakulär verläuft, hat sich in den ver-gangenen Jahren doch einiges getan", sagt Professor Jürgen Jasperneite, der sich am Fraunhofer-Anwendungszentrum Industri-al Automation in Lemgo schon seit Jahren mit dem Thema Industrie 4.0 beschäftigt. "Die Unternehmen haben neue Kompeten-zen aufgebaut, vor allem um intelligentere Produkte zu entwickeln und die Produkti-on zu optimieren."

Im Vergleich zu den "Smart Products" und der "Smart Production" hätten sie aller-dings die "Smart Services" – neue, intelli-gente Dienstleistungen rund um ihre Pro-dukte – bisher vernachlässigt. Im Bereich der vernetzten Produktion stehe die Echt-zeit-Analyse von Maschinen, Anlagen und ganzen Fabriken oben auf der Agenda – ein weiterer Hinweis darauf, dass derzeit die Optimierung der Prozesse der wichtigste Treiber von Industrie 4.0 ist. Es gibt aber auch Unternehmen, die über Effektivitäts-steigerungen hinaus weitere Potenziale von Industrie 4.0 erschließen.

DIE FERTIGUNG KEHRT AUS ASIENZURÜCKEines davon ist der Sportartikelhersteller Adidas, der bereits teilweise auf Indust-rie-4.0 setzt: Statt wie im gewohnten Indus-trie 3.0-Modus Sportschuhe in großen Mengen in Asien zu produzieren, setzt man dort künftig auf die "Speedfactory" – eine Produktion nahe bei den Kunden, die hochautomatisiert abläuft und zudem die Herstellung individueller Laufschuhe in kurzer Zeit ermöglicht. "In dieser sich stets verändernden Welt wollen unsere Konsu-menten immer die aktuellsten und neues-ten Produkte – und sie wollen sie jetzt", so Herbert Hainer, bis September 2016 Adi-das-Vorstandsvorsitzender. Hier macht die Speedfactory ihrem Namen alle Ehre: Neue Schuhe kommen schon nach Tagen oder wenigen Wochen zum Kunden – und nicht erst 18 Monate nach Design, Produktion und wochenlangem Schiffstransport von

"Wir waren von den Ergebnissen selbst überrascht und hatten mit einem deutlich höheren Bekanntheitsgrad gerechnet", kommentiert Prof. Irene Bertschek, Leite-rin des Bereichs Informations- und Kom-munikationstechnologien beim ZEW, das Resultat. "Es gibt zwar einzelne Vorreiter, aber eben auch andere Unternehmen, die keine Kapazität für das Thema haben oder Industrie 4.0 nur als logische Weiterfüh-rung der Automatisierung betrachten."

Der Bekanntheitsgrad hing aller-dings auch stark von der unter-suchten Branche ab: Vor allem Unternehmen aus den Berei-chen IT und Telekommunikati-on, Elektroindustrie und Ma-schinenbau wussten etwas damit anzufangen. Die Trans-port- und Logistikbranche erwies sich als Schlusslicht der Untersuchung – obwohl Industrie 4.0 dank enger geknüpf-ter Lieferketten gerade für sie in Zukunft von großer Bedeutung sein wird.

Womit sich die Vorreiter unter den deut-schen Unternehmen beschäftigen, zeigt die Bitkom-Studie "Industrie 4.0 – Status und Perspektiven". Sie liefert auf Basis von 203 Einzelanalysen aus der Plattform In-dustrie 4.0 einen Überblick darüber, in wel-chen Branchen die Unternehmen bereits konkrete Projekte durchführen und welche Industrie-4.0-Anwendungen dabei die wichtigste Rolle spielen. Vorreiter mit 28 Prozent aller Beispiele ist der Maschi-nenbau, bei dem vor allem Assistenzsyste-

Adidas Speedfactory Auslieferung

in einigen Tagen oder Wochen

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Asien nach Europa oder in die USA. Die ers-te Speedfactory steht in Ansbach nahe der Adidas-Zentrale und soll bereits 2017 rund 500.000 Paar Schuhe herstellen. Die zweite Speedfactory wird im kommenden Jahr in den USA entstehen. "Als ich 1987 bei Adi-das angefangen habe, wurde die Produkti-on gerade nach Asien verlagert", so Hainer. "Jetzt schließt sich der Kreis, und die Ferti-gung kommt zurück."

Individualisierte Massenproduktion und die Rückkehr industrieller Arbeitsplätze in die Hochlohnländer der westlichen Welt: Das Beispiel illustriert zwei der zentralen Versprechen, die sich mit Industrie 4.0 ver-binden. Soll die vierte industrielle Revolu-tion ein Erfolg werden, muss sich neben den Vorreitern unter den Konzernen aber auch die breite Masse der kleinen und mittleren Unternehmen für das Thema be-geistern. Ihnen müssen schon heute Brü-cken gebaut werden, damit sie nicht in Zu-kunft von Industrie 4.0 überrollt werden.

Wer den Wandel in die neue Welt der indus-triellen Produktion erfolgreich bewältigt, kann auf eine deutlich gestiegene Profitabi-lität hoffen. Am Beispiel eines Automobil-zulieferers hat Roland Berger berechnet, wie sich Industrie 4.0 auf die Rendite des eingesetzten Kapitals (ROCE) auswirkt. Durch eine virtuelle Fabrik (Simulation des Fertigungsprozesses), automatisierte Mate-rialflüsse, intelligente Maschinen, voraus-schauende Wartung und ein vernetztes Produktionssystem steigt die Kennzahl beim Zulieferer von 15 auf 40 Prozent. Da-hinter stehen einerseits eine verbesserte Produktivität durch sinkende Lohnkosten, eine höhere Wertschöpfung und eine opti-mierte Auslastung der Anlagen. Zudem führt Industrie 4.0 zu einem höheren Kapi-talumschlag: Jeder investierte Euro oder Dollar führt zu höheren Umsätzen, unter anderem weil Maschinen sich schneller auf neue Produkte umstellen lassen und selte-ner stillstehen. Hochgerechnet auf die Volkswirtschaften Westeuropas kommt Roland Berger für das Jahr 2035 auf einen ROCE-Wert von 28 Prozent durch Industrie 4.0 – verglichen mit 18 Prozent heute.

Herbert Hainer, bis September 2016 Adidas-Vorstandsvorsitzender

"Als ich 1987 bei Adidas

angefangen habe, wurde die

Produktion gerade nach

Asien verlagert. Jetzt schließt sich der Kreis,

und die Fertigung kommt zurück."

INDUSTRIE 4.0 ZAHLT SICH AUSNicht nur die Profitabilität steigt: Effekte von Industrie 4.0, simuliert für einen typischen Automobilzulieferer

Quelle: Roland Berger 2016

Profitabilität

ROCE

Auslastung der Fabriken

Kapitalumschlag (Umsatz/eingesetztes Kapital)

Personal- kosten

Maschinenpark

Heute6%

Heute15%

Heute65 %

Heute80,6%

Heute100 %

Heute100 %

Industrie 4.013 %

Industrie 4.040 %

Industrie 4.090 %

Industrie 4.0100%

Industrie 4.055 %

Industrie 4.070 %

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Herkömmliche Produktion

18 Monate bis zur Markteinführung

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kleinster Innendurchmesser

3,56 mm

O-Ring

größter Innendurchmesser 400 mm

Schnurstärken 1,5 mm–8,4 mm

Sollbereich

geringe Abweichungen

große Abweichungen

300

200

100

Kleines Bauteil, große Vielfalt: O-Ringe gibt es in unterschiedlichsten Größen. Industrie 4.0 macht die Auswahl einfacher.

Rundum sorglos vernetzt

Anwender profitieren von Industrie 4.0: von A wie After Sales bis Z wie Zulieferer.

von Oliver Herweg

Bewertung der Auslegungsparameter

Cover Story Deep dive 1 Deep dive 2

Kunstwerk O-Ring

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Manchmal kommt der Fortschritt-ganz unscheinbar daher. Zum Beispiel beim Vertrieb von O-Rin-

gen: Die Dichtungselemente finden sich in der Industrie ebenso wie in Millionen Was-serhähnen. Wer bei Freudenberg Sealing Technologies ein spezielles Modell aus ei-nem Portfoliobestand von knapp 30.000 Artikeln bestellen möchte, kann das im In-ternet mit dem "O-Ring-Konfigurator" tun. Eine scheinbar einfache Aufgabe, die aber eine Menge Erfahrung und Know-how er-fordert. "Hinter einem zuverlässig funktio-nierenden O-Ring steckt geballte Ingenieurs- kunst", erklärt Christophe Meyer, Senior Manager Digital Business Development bei Freudenberg Sealing Technologies. "Neben den Abmessungen des Einbauraums kommt es unter anderem auch auf Be-

triebstemperatur, die abzudichtenden Medien und die Druckbelastung an."

Deshalb führt der neue O-Ring-Kon-figurator die Kunden schrittweise durch eine Reihe von Abfragen zum O-Ring und zum Bauraum. Anschließend sehen sie im "Aus-legungscockpit", ob alle Werte im grünen Bereich sind – Abwei-chungen führen je nach Größe zu einer gelben oder einer roten Bewertung. Danach zeigt das Auslegungswerkzeug diejenigen Produkte aus dem Freuden-

berg-Katalog an, die den speziel-len Anforderungen am besten ent-

sprechen. Der Werkstoff-Assistent schlägt anschließend aus 30 Möglich-

keiten diejenige Option vor, die am bes-ten zu den Medien und den Temperatu-

ren passt. "Die größte Herausforderung bei der Erstellung des O-Ring-Konfigurators war für uns, alle technischen Auslegungs-parameter zu kategorisieren, die Ausle-gungslogik in der Software zu hinterlegen und das Tool so zu gestalten, dass es der Kunde intuitiv und ohne Expertenwissen bedienen kann", so Meyer.

ENTLASTUNG FÜR INGENIEURE Freudenberg-Kunden profitieren von ei-nem schnellen und unkomplizierten Be-

stellprozess, denn sie können ihre O-Rin-ge rund um die Uhr konfigurieren, die Verfügbarkeit prüfen und – für ausge-wählte Kunden – sofort ordern. Das Unter-nehmen wiederum entlastet Vertrieb und Ingenieure von Standardanfragen. Mitarbeiter können sich auf anspruchsvol-le Aufgaben konzentrieren. Das Beispiel dürfte Schule machen: Im Zuge von Indus-trie 4.0 werden individualisierbare Pro-dukte immer wichtiger – und mit ihnen Sales-Werkzeuge, welche die Kunden bei der Konfiguration und beim Bestellen un-terstützen und gleichzeitig die Anbieter vor allzu vielen Anfragen bewahren.

Industrie 4.0 verändert nicht nur den Ver-triebsprozess fundamental. Das neue Para-digma wird sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette auswirken – vom Vertrieb über das Produkt- und Produkti-onsdesign, Einkauf und Produktion bis hin zur Logistik und zum After-Sales-Ser-vice. Dabei sind Unternehmen ganz unter-schiedlich von den Veränderungen durch Industrie 4.0 betroffen. Roland Berger hat die verschiedenen Typen von Anwendern

klassifiziert und diejenigen Schritte der Wertschöpfungskette identifiziert, die sich bei den Anwendertypen jeweils am ehesten für Industrie 4.0-Lösungen anbieten. Freu-denberg Sealing Technologies zeigt beson-ders deutlich, wie sich der Vertrieb indivi-dualisierter Massenprodukte über einen Web-Shop effizienter gestalten lässt: Eine komplexe Software führt durch den Aus-wahlprozess, stellt die spätere Funktion und die Erfüllung der einschlägigen ISO-Norm sicher und ermöglicht es, sofort zu bestellen.

VIRTUELLE MASCHINE Neben dem Vertrieb eröffnen sich auch in der Produktionsplanung viele Anwen-dungsmöglichkeiten für Industrie 4.0. Hier profitieren vor allem Unternehmen, die entweder kundenindividuelle Massen-produkte oder komplexe Produkte herstel-len. Eines davon ist Grieshaber aus Schil-tach im Schwarzwald: Der Mittelständler verarbeitet jedes Jahr bis zu 3.500 Tonnen Aluminium zu hochpräzisen Teilen für die Automobilindustrie – vor allem jene, die besonders schwer zu fertigen sind. Für die Produktion kommen komplexe Mehrspin-delmaschinen zum Einsatz, die mit Sie-mens-Steuerungen ausgestattet sind.

Grieshaber setzt NX Virtual Machine von Siemens ein, eine Lösung für die NC-Pro-grammierung und -Simulation. Auf einem normalen PC lassen sich alle Bearbei-tungsoperationen genauso programmie-ren, als stünde der Nutzer direkt an der realen Maschine – so sieht er schon vor dem Produktionsbeginn, ob alles so ab-läuft wie gewünscht. Das vermeidet nicht nur Kollisionen, sondern schafft auch Transparenz über Abfolge und Dauer der einzelnen Bearbeitungsschritte. Eine ein-fache Grafik zeigt, wie lange die einzelnen Werkzeuge an den Spindeln im Einsatz sind. Die virtuelle Maschine liefert mit ih-rer detaillierten Zeiterfassung die Grund-lage für eine Optimierung der Produktion – wobei sich die Einsparung einer Zehntel-sekunde bei den hohen Stückzahlen schnell zu mehreren Tagen pro Jahr auf-summieren kann.

Maßarbeit statt Konfektion

Geschäftsmodell entscheidendDer Nutzen und die Dringlichkeit von Industrie 4.0 hängen stark davon ab,

welches Geschäft ein Nutzer betreibt.

Wertschöpfungskette analysierenDie Schwerpunkte beim Einsatz

von Industrie 4.0 längs der Wertschöpfungskette hängen

entscheidend vom Anwendersegment ab.

Eigene Strategie entwickelnAlle potenziellen Nutzer müssen

ihre Industrie-4.0-Strategie individuell entwickeln – pauschale Rezepte

sind nicht sinnvoll.

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15Deep dive 1

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Aber nicht nur beim Einrichten von Ma-schinen sorgen Industrie 4.0-Lösungen für mehr Präzision. Auch während der Produk-tionsprozesses lässt sich die Qualität durch intelligente Technik weiter verbessern. Wie das in der metallverarbeitenden Industrie aussehen kann, hat der Verbindungstech-nik-Spezialist Weidmüller aus Detmold un-tersucht. Die Metallteile für die Verbin-dungstechnik werden in komplexen, mehrstufigen Umformprozessen herge-stellt, die auch bei hohen Stückzahlen sehr präzise ablaufen müssen. Um während der laufenden Fertigung eine gleichbleibend hohe Qualität zu gewährleisten, hat Weid-müller ein Kamerasystem eingesetzt, das die Herstellung kontinuierlich überwacht und bei Abweichungen von der vorgegebe-nen Geometrie der Werkstücke automa-tisch gegensteuert.

So kann der Herstellungsprozess kontinu-ierlich ablaufen, auch wenn es durch Tem-peraturschwankungen oder Verschleiß an den Maschinen zu Abweichungen kommt.

"Bisher mussten wir die Maschinen anhal-ten und die neuen Prozessparameter ma-nuell und mit großem Aufwand program-mieren, wobei die Erfahrung der Maschinenbediener eine wichtige Rolle spielte", erklärt Horst Kalla von Weidmül-ler. "Durch die neue Technik ist das nicht mehr nötig. Das vermeidet Unterbrechun-gen und verringert unseren Ausschuss deutlich."

FEHLERFREIE ABLÄUFE IN DERSUPPLY CHAINBesonderen Herausforderungen sehen sich Unternehmen auch bei der Logistik gegenüber. Sie wird sich im Zeitalter von Industrie 4.0 durch die immer stärkere In-tegration von Zulieferern, Herstellern und Logistikpartnern spürbar verändern. Rei-bungslose und fehlerfreie Abläufe sind die Voraussetzung für die Supply Chain der Zukunft – und einige Vorreiter wie Herma aus Filderstadt machen heute schon vor, wie sich die Logistik mithilfe aktueller Technologien optimieren lässt. Zwischen

Quelle: Roland Berger 2016

WO DAS POTENZIAL AM GRÖSSTEN ISTEntlang der drei Achsen "Losgröße", "Automatisierungspotenzial" und "Individualisierung" lassen sich industrielle Cluster bilden. Je höher die Kurve verläuft, desto höher ist das Potenzial. Die Breite der Bänder zeigt die Bedeutung von Industrie 4.0 für einzelne Wertschöpfungsstufen.

"Manufaktur-Produkte"

Musikinstrument, handbemaltes Porzellan,

mechanische Uhr

ClusterAutomatisierungsgrad

Beispiele

Losg

röße

IndividualisierungAutomatisierungspotenzial

stan

dard

isie

rt

nied

rig mitt

el hoch

konfi

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spez

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ert

hoch

nied

rig

"Massenprodukt" (d.h. standardisiert, große Losgrößen)

Kleidung, Wälzlager, Dachziegel, Werkzeug

Kundenspezifische Großserien-Produkte mit hohem

Automatisierungspotenzial

Fahrzeug-Spritzgussteil, Leiterplatte, Packmittel

hochmittelniedrig oder mittel

niedrig

"Bisher mussten wir die Maschinen anhalten und die

neuen Prozess- parameter

manuell und mit großem Aufwand programmieren. Durch die neue Technik ist das

nicht mehr nötig."Horst Kalla, Weidmüller

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700 und 800 Paletten mit Haftmaterial und Klebeprodukten verlassen derzeit jeden Tag das Werk, wobei die jährliche Steige-rungsrate bei etwa zehn Prozent liegt. "Wir müssen fehlerhafte Verladungen vermei-den, weil sie zu hohen Kosten und großen Problemen bei der pünktlichen Lieferung an unsere Kunden führen", beschreibt Frank Baude, Logistikleiter bei Herma, die Herausforderung.

OPTIMIERTE VERSANDLOGISTIK Um die Versandlogistik zu optimieren, nutzt Herma ein Breitband-Ortungsver-fahren. Alle Gabelstapler sind mit jeweils vier Tags ausgestattet, mit denen sich die Position und die Fahrtrichtung auf weni-ge Zentimeter genau bestimmen lassen. Ein Display dirigiert die Fahrer zum Standort der Paletten und zum wartenden Lkw. "Unser System weiß genau, wo die Ware im Versandbereich steht und in wel-chen Laster sie verladen werden soll", so Baude. "So erkennen wir sofort, wenn ein Stapler die falsche Palette oder den fal-

schen Lkw anfährt." Solche Leitsysteme für die Staplerfahrer sind aber nur ein Baustein für die Logistik der Zukunft – zahlreiche Forschungseinrichtungen ar-beiten bereits an Lösungen wie etwa auto-nomen Intralogistiksystemen, die sich die Prinzipien der Schwarmintelligenz zunut-ze machen.

Mit der Auslieferung der Ware ist der Pro-duktlebenszyklus aber noch nicht abge-schlossen. Gerade intelligente Services er-öffnen im Industrie-4.0-Zeitalter vielen Unternehmen äußerst lukrative Markt-chancen. Um sie zu erschließen, bieten sich – ähnlich wie beim Verkauf – On-line-Lösungen an, die Endkunden oder Händlern beispielsweise einfachen Zugriff auf Ersatzteile verschaffen. Mit seiner App "SH Connect" kommt der Fahrzeugzuliefe-rer SAF-Holland diesen Erwartungen ent-gegen: "Von ihr profitieren zum Beispiel Lkw-Fahrer, die unterwegs dringend Er-satzteile benötigen", berichtet Thomas Piroth, zuständig für das strategische Busi-

ness Development bei SAF-Holland. "Sie nennt ihnen mithilfe der GPS-Ortung ihres Standorts die nächste Werkstatt und deren Telefonnummer." Mit der App lässt sich auch der QR-Code eines defekten Fahr-zeugteils lesen, sodass der Pannendienst mit Sicherheit den passenden Ersatz mit-bringt.

VERKNÜPFTE INFORMATIONENWerkstätten haben über die App zusätzlich Zugriff auf den Online-Katalog von SAF-Holland sowie auf Informationen über den korrekten Einbau der Ersatzteile. Falls der Versand zu lange dauern würde, nennt die Software den nächsten Händler, der die gesuchte Komponente auf Lager hat. Die Verbindung von Ortsinformationen, Tei-le-Identifikation via QR-Code und Zugriff auf den aktuellen Lagerbestand macht die App beispielhaft für After-Sales-Lösungen im Rahmen von Industrie 4.0.

Kundenspezifische Produkte mit hohem manuellen

Fertigungsanteil

Fahrzeug-Kabelbaum, Karosserie-Werkzeug,

Schaltschrank, Gasturbine

Konfigurierte Produkte mit einfachem Herstellungsprozess

Sportschuh nach Kundenkonfiguration, konfigurierte

Dichtung, konfiguriertes Möbel

Standardisierte Produkte mit komplexem

Herstellungsprozess

Kühlschrank, Mobiltelefon, Elektrowerkzeug, Computer

Konfigurierte Produkte mit komplexem

Herstellungsprozess

Auto, Flugzeug

Vertrieb

Konstruktion

Industrie 4.0 in einzel - nen Wertschöpfungsstufen

Fertigungsplanung

Einkauf

Produktion

Logistik

Service

Kontakt: [email protected]

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COO Insights 1 | 2016

Von Pythons und Produkten

Wettbewerb 4.0 eröffnet Newcomern und Platzhirschen einmalige Chancen zur Innovation ihrer Geschäftsmodelle – vorausgesetzt,

sie lernen schnell und gründlich ihre Lektion.

W er einen Vorgeschmack auf die Automatisierungslösun-gen der Zukunft bekommen

will, kann sich den ModBerry 500 des pol-nischen Herstellers Techbase ansehen: Das kleine Kästchen beherbergt einen Einplatinencomputer auf der Basis des Raspberry Pi, der seit Jahren weltweit un-ter Schülern, Studenten und Bastlern Mil-lionen Fans hat. Aber statt Hobbyelektro-niker zu begeistern, haben die Entwickler des ModBerry eine ganz andere Anwen-dung im Blick – die Industrie-Automati-sierung, bisher die Domäne teurer Spezi-al-Hardware. Rechenleistung, Speicher- platz und Schnittstellen sind auf dem Winzling reichlich vorhanden, und das Open-Source-Betriebssystem Linux bietet eine stabile Plattform für zahlreiche Ap-plikationen.

"Nach unserer Erfahrung werden viele Pro-zessoren nach kurzer Zeit wieder ersetzt – darum haben wir uns für eine bewährte Lösung wie das Raspberry-Modul ent-schieden", sagt Bartosz Bielawski von Techbase. "Zudem ist die Software heute viel wichtiger als die Hardware. Wenn wir den Computer in ein industrietaugliches Gehäuse eingesetzt und die benötigten

Protokolle implementiert haben, bietet er sogar mehr Funktionen als andere Lösun-gen auf dem Markt – und das zu deutlich geringeren Kosten." Techbase-Kunden set-zen den ModBerry unter anderem für die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation, das Container-Management und die Über-wachung von Mobilfunkstationen ein.

Das Beispiel zeigt: Hardware wird im Zeit-alter von Industrie 4.0 fast zum Allerwelts-produkt. Zulieferer, die im "Wettbewerb 4.0" nicht den Anschluss verlieren wollen, sollten darum in ihrer Strategie für die kommenden Jahre keinesfalls ausschließ-lich auf bestückte Platinen setzen – es sei denn, in den Produkten steckt einzigarti-ges Know-how für lukrative Nischenan-wendungen. Das ist aber nicht die einzige fundamentale Veränderung, vor der die industrielle Zulieferer-Landschaft steht: In Zukunft bahnen sich durch Industrie 4.0 vor allem in der diskreten Fertigung gravie-rende Umbrüche an. Etablierte und neue Zulieferer müssen sich in Entwicklung, Produktion, Integration und bei der Be-herrschung der Automationssysteme um-stellen. Zulieferketten werden sich erwei-tern und die Wertschöpfungsschwerpunkte eine fundamentale Verschiebung erleben.

"Wenn wir den Computer in ein

industrietaugliches Gehäuse eingesetzt und die benötigten

Protokolle implementiert

haben, bietet er sogar mehr

Funktionen als andere Lösungen auf dem Markt."

Bartosz Bielawski, Techbase

Cover Story Deep dive 1 Deep dive 2

von Ralph Lässig und Christoph Schäff

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Drei Hebel sind der Schlüssel zum Erfolg: Zulieferer müs-sen neue Softwarekompeten-zen aufbauen, weil sich die Wertschöpfung weg von der Hardware und hin zur Program-mierung verschieben wird. Sie müssen Chancen und Risiken der nachlassenden Bedeutung der Hardware erkennen und rechtzeitig darauf reagieren. Und sie sollten sich über Partnerschaften, Unternehmens-zusammenschlüsse oder Zukäufe exter-nes Know-how in ihre Organisation ho-len, um ihre Portfolios schnell an das neue Umfeld anzupassen.

1 NEUE SCHLÜSSELKOMPETENZEN UND EIN NEUES DENKEN

Vor allem die Beherrschung neuer Soft-ware-Architekturen wird in Zukunft für Zu-lieferer unverzichtbar sein, wobei sich die künftigen Anforderungen deutlich von de-nen der Vergangenheit unterscheiden. So werden beispielsweise statt hardwarenaher Programmiersprachen wie C "Internet-Spra-chen" wie Java oder HTML5 Einzug in die Automatisierung halten. Ebenfalls aus dem Internet dürften die Kommunikationsstan-dards der Industrie 4.0 stammen: Niemand

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HARDWARE WIRD ZUM ALLERWELTSPRODUKT

INDUSTRIE 4.0 FÜHRT ZU WETTBEWERB 4.0

Internet-Sprachen wie Java und HTML5 gewinnen an Bedeutung

Standards verdrängen Speziallösungen

Die Wertschöpfung verlagert sich in Richtung Software

Newcomer machen den Platzhirschen Konkurrenz

Zulieferer müssen ihre Portfolios anpassen

Passend zur Programmiersprache "Python" und zum Leitstern "Industrie 4.0", orientiert sich die Grafik am Sternenbild der "Schlange" (liegend).

3 EXTERNE TREIBER

ZULIEFERKETTEN UND DIE SCHWERPUNKTE DER

WERTSCHÖPFUNG VERSCHIEBEN SICH

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zweifelt daran, dass das Internet Protocol (IP) langfristig proprietäre Standards und Protokolle in den Fabrikhallen ersetzen wird. Und schließlich müssen die Zulieferer auch bei der Datenverwaltung Neuland be-treten: Einerseits spielt bei ihren Kunden Big Data eine Schlüsselrolle für die Optimie-rung ihrer Prozesse. Andererseits dürfte we-gen der zunehmenden vertikalen Integrati-on der Daten auch die Bedeutung von buchungsbasierten Datenbanken wie SAP im Vergleich zu den echtzeitbasierten Daten aus Manufacturing-Execution-Systemen (MES) zunehmen.

Für Zulieferer kommt es künftig darauf an, nicht einfach neue Softwarekompetenzen aufzubauen – sie müssen sich stattdessen an eine völlig neue Denk- und Herange-hensweise anpassen. Denn die Program-mierung in Java ermöglicht nicht nur eine plattformunabhängige Software-Entwick-lung, sondern erfordert zugleich auch ande-re Software-Architekturen. Für besonders zeitkritische Projekte bieten sich in Zukunft fehlertolerante Programmiersprachen wie PHP oder Python an, mit denen sich Appli-

kationen deutlich schneller entwickeln las-sen als in C oder in Assembler.

Die Spielregeln ändern sich also – aber wie können Zulieferer sich mit der erforderli-chen Geschwindigkeit daran anpassen? Hier bieten sich zwei Vorgehensweisen an: Beim "Inkubator-Ansatz" können sie kreati-ve Mitarbeiter mit dem richtigen "Mindset" intern in einer eigenen Einheit konzentrie-ren und bei der Entwicklung neuer Ideen unterstützen. Beim "Excubator-Ansatz" wird eine Untergruppe eines Unternehmens aus-gelagert, mit einem gewissen Grad an Auto-nomie ausgestattet und als Startup für die Erzeugung innovativer Ideen genutzt.

2 CHANCEN UND RISIKEN DER KOMMODITISIERUNG ERKENNEN

Generell haben reine Hardwarezulieferer im Wettbewerb 4.0 keine großen Erfolgs-aussichten. Schwindende Differenzie-rungsmöglichkeiten werden zu sinkenden Margen und einem harten Verdrängungs-wettbewerb führen. Hier zeigt sich wieder: Alleinstellungsmerkmale lassen sich fast nur noch über Software oder Innovation

20 Deep dive 2

NEUE SCHLÜSSELKOMPETENZEN UND EIN NEUES DENKEN

1

2

CHANCEN UND RISIKEN DER KOMMODITISIERUNG ERKENNEN

Eigene Mitarbeiter in "Inkubatoren" bündeln

Sinkende Margen und harter Verdrängungswettbewerb

Unternehmens- Untergruppen auslagern

Lukrative Nischen besetzen

3 ERFOLGSFAKTOREN

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Die Spielregeln für Unternehmen

ändern sich. Kleine und flexible Einheiten können das Innovations- tempo erhöhen.

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des Geschäftsmodells erzielen, zum Bei-spiel durch Zusatzmodule oder eine be-sonders gut gestaltete Benutzerschnitt-stelle. Denkbar sind auch zahlungs- pflichtige Zusatzfunktionen, die einen klar erkennbaren Mehrwert gegenüber allge-mein üblichen Features oder gar Open- Source-Produkten bieten – beispielsweise eine kostenlose Motorsteuerung, die sich um ein kostenpflichtiges Modul zur Ver-schleißüberwachung erweitern lässt.

Gerade die Kombination von kostenlosen und kostenpflichtigen Ausstattungsmerk-malen kann – strategisch klug eingesetzt – die Marktchancen eines Zulieferers er-höhen. Der Einsatz von Open-Source-Soft-ware schafft dabei eine breite Nutzerbasis für die eigentlichen Umsätze mit den Add-ons. Entscheidend ist aber, dass die offen-gelegte Software nicht das Kern-Know-how des Anbieters berührt.

3 NEUE PARTNERSCHAFTEN EINGEHEN

Standardhardware statt maßgeschneider-ter Lösungen für die Automatisierung:

Die Anbieter industrieller Software müs-sen sich auf diesen Zukunftstrend einstel-len und versuchen, auf bereits bestehende Lösungen aufsetzen und unnötige Ent-wicklungen zu vermeiden. Eine Möglich-keit ist der Einsatz von Open-Source- oder Standard-APIs aus der IT-Welt, hinzu kommt die Integration von "Software as a Service" – etwa, um Big-Data-Algorithmen oder Funktionen der Künstlichen Intelli-genz in die Produktpalette aufnehmen zu können. Eigene Software ist nur sinnvoll, wenn damit Möglichkeiten für eine Diffe-renzierung verbunden sind. Ähnlich wie in der PC-Welt sollten Zulieferer im Wett-bewerb 4.0 bestehende Produkte der "Community" nutzen, wo immer es tech-nisch möglich ist.

Attraktiv ist auch eine Strategie der Vor-wärtsintegration, weil durch diese Aus-weitung der Leistungspalette die Kom-plexität der Beziehungen zwischen industriellen Kunden und ihren Zuliefe-rern verringert werden kann. Für einen Anbieter von Antrieben ist es beispiels-weise sinnvoll, integrierte Drive-Steue-

rungslösungen in sein Portfolio aufzu-nehmen. Ein Zulieferer von Motoren könnte eine Lösung entwickeln, die indi-viduelle dreidimensionale Bewegungs-profile abfahren kann. Und ein Hersteller von Robotersystemen kann sein System-wissen nutzen, um eine Gesamtlösung für eine Montagelinie anzubieten.

Derart erweiterte Portfolios erfordern den raschen Aufbau neuer Kompetenzen, was über strategische Partnerschaften, Zukäufe oder Zusammenschlüsse gesche-hen kann – Zulieferer müssen in Zukunft also verstärkt im "M&A-Game" mitspie-len. Zuvor müssen sie aber einige grund-legende Fragen klären: Für welche Pro-duktbereiche ist eine Partnerschaft sinnvoll? Wo lohnt sich ein Zukauf? An welcher Stelle besteht kein Handlungsbe-darf? Entscheidend wird sein, dass ein Zulieferer sein Wissen über das Gesamt-system behält und Kernelemente seines Portfolios weiterhin selbst anbieten kann – sonst droht die Gefahr, dass er seine führende Position verliert und nur noch als Second-Tier-Zulieferer wahrgenom-men wird.

EINMALIGE CHANCEN DURCH WETTBEWERB 4.0Industrie 4.0 bringt für Zulieferer gute und schlechte Nachrichten zugleich. Die schlechte lautet: In Zukunft werden die Karten neu gemischt – kein Unternehmen kann sich angesichts des rapiden techni-schen Wandels auf seiner bislang erfolg-reichen Produktpalette oder seiner Markt-position ausruhen. Nur wer schnell und gründlich seine Lektion lernt und sich ent-lang der drei strategischen Hebel aufstellt, wird erfolgreich bleiben können. Die gute Nachricht lautet: Der Umbruch durch Wettbewerb 4.0 eröffnet Newcomern und innovativen Platzhirschen einmalige Chancen. Wer heute seine Produkte und Prozesse zukunftsfähig macht, wird zu den großen Gewinnern der digitalen Transformation in der Industrie gehören.

Deep dive 2

3

NEUE PARTNERSCHAFTEN EINGEHEN

EINMALIGE CHANCEN DURCH WETTBEWERB 4.0

Im "M&A-Game" mitspielen

Leistungsausweitung durch Vorwärtsintegration

Zu den Gewinnern der digitalen Transformation

gehören

Kontakt: [email protected].

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MENSCHEN, MÄRKTE UND MASCHINEN

Intelligente Produkte und maßgeschneiderte Services: Die Digitalisierung revolutioniert die Art, wie wir leben und arbeiten.

Was früher Science-Fiction war, ist heute Realität.

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Verlängerter ArmMit dem Da-Vinci-Operationssystem können Ärzte ferngesteuert Eingriffe vornehmen. Der Roboter soll dem Chirurgen ein genaueres Arbeiten erlauben. Die minimalinvasive Technik verspricht, die Patienten zu schonen.

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Der Server vom AmtGeroutet, nicht gestöpselt: Serverfar-

men sind die Nervenzentren der vernetz-ten, digitalen Wirtschaft. Wo früher

Telefonistinnen von Hand zwei Men-schen miteinander verbanden, schicken

Computer heute riesige Datenmengen blitzschnell um den Globus.

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27Photo Story

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ShoppingwallWaren statt warten: In der U-Bahn von Seoul können die Pendler mit einer App einkaufen. Sie fotografieren einen QR-Code unter dem Produktfoto und bekommen die Waren nach Hause geliefert. Einen ähnlichen Service gibt es auch am Londoner Flughafen Gatwick.P.

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"Wir wollen der

'Intel Inside'

der digitalenWirtschaft sein."

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SAP verkauft schon lange ein digitales Pro-dukt. Wie steht es um Ihre digitale Trans-formation?Ich wäre hier fehl am Platz, wenn ich sagen würde, es gibt keine. In der Vergangenheit hat die Software, die wir jetzt seit 44 Jahren bauen, Kern-Wertschöpfungsprozesse un-terstützt. In Zukunft ist sie Teil oder sogar essenzieller Bestandteil dieser Wertschöp-fungsprozesse, auch in klassischen, pro-duzierenden Unternehmen. Woran machen Sie das fest?Bisher gab es einen Produktions- oder Werksleiter und es gab einen IT-Leiter. In den Organigrammen der Unternehmen stand, dass man beide Funktionen trennt. In Zukunft werden sie nicht mehr trenn-bar sein. Manche versuchen, diese Silos jetzt schon zu überbrücken, indem sie ei-nen Chief Digital Officer benennen, der die beiden an einen Tisch bringt. Und SAP?Wir haben einen Chief Digital Officer, weil wir zum einen unsere Software in Zukunft über digitale Kanäle vertreiben wollen, zum anderen, weil wir im Zeitalter von Big Data für und mit unseren Kunden neue, digitale Geschäftsmodelle erkunden möchten. Die Zeit, in der Vertriebsspezia-listen mit Produkten zum Kunden fahren oder sie auf Messen vorstellen, wird es weiter geben, aber sie wird signifikant an Bedeutung verlieren. Es wird viel mehr über digitale Marktplätze verkauft?Ja, weil Digitalisierung Markttransparenz bringt, weil Digitalisierung Einblick in Wettbewerbsprodukte bringt. Manche mögen das nicht, aber wer sich diesem

Wettbewerb nicht stellt, der wird bald nicht mehr mitspielen.Viele sagen das. Wie reagieren Ihre Kunden?Wenn ein Bankvorstand mir sagt, dass er heute mehr als 50% seiner Bausparverträ-ge nicht mehr über Filialen, sondern über Plattformen im Internet zugespielt be-kommt, dann können Sie sich vorstellen, dass das zu einem Umdenken im gesam-ten Banken- und Versicherungsmarkt füh-ren wird und somit auch für uns. Wir ha-ben einen Chief Digital Officer, um einen Store zu etablieren, wie man ihn von Apple kennt. Wir wollen Produkte kleinteiliger anbieten, um sie nicht mehr nur an den CIO oder COO zu verkaufen, sondern an den Leiter eines jeden Geschäftsbereichs, ob das ein Chief Procurement Officer ist, ein Chief Finance Officer oder ein Chief Marketing Officer. Wir wollen ihnen Inst-rumente an die Hand geben, um ihre Ge-schäftsbereiche optimal durch digitale Unterstützung zu steuern.Das klingt fast so, als hätte der Chief Digital Officer die Rolle eines Vertriebsvorstands und weniger die eines Verantwortlichen für die Digitalisierung von SAP.Da ist die Frage: Was führt und was folgt? Wenn ich die Transformation vorantrei-ben möchte, kann ich versuchen, die Welt auf den Kopf zu stellen und alle Mitarbei-ter von Change-Prozessen zu überzeugen. Oder wir ziehen das ganze vom anderen Ende auf und versuchen, über ein neu de-finiertes Engagement mit dem Kunden SAP intern zu transformieren.Und, greift das schon?Es beginnt im Vertrieb, aber es endet nicht dort. Es geht auch in den Geschäftsbe-

Interview: Thomas Rinn, Carsten Rossbach und Thomas Reinhold Fotos: Andreas Reeg

SAP-Entwicklungsvorstand Bernd Leukert spricht über Kulturwandel bei SAP, die Rolle deutscher Wurzeln im

globalen Cloud-Geschäft, Industrie 4.0 in Europa – und japanische Busfahrer im Unterzucker.

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reich der Entwicklung, den ich verantwor-te. Die Art und Weise, wie wir Software entwickeln, hat sich fundamental verän-dert. Früher haben wir versucht, den Markt zu verstehen, haben Spezifikatio-nen und Anforderungen in Dokumenten aufgeschrieben, die gingen in Review-Pro-zesse und wurden dann verabschiedet. Im klassischen Wasserfallmodell heißt das, es gab Software-Entwickler, dann Quali-tätssicherung und Markteinführung, an-schließend Feedback-Prozesse, in denen allein wir 12 bis 18 Monate gewartet ha-ben, bis das Feedback da war. Das können Sie heute schneller?Ja, heute entwickeln wir Software gemein-sam mit Kunden. Gerade hat uns ein Un-ternehmen vorgeschlagen, zusammen ein "Internet-of-Things-Lab" zu gründen. Das heißt, unsere Kunden haben die Fachkom-petenz, egal in welcher Industrie, und wir bringen die digitale Kompetenz mit. Man kann in der digitalen Welt keine Software bauen, ohne neue Geschäftsmodelle zu de-finieren.Stichwort Geschäftsmodell. Sie befinden sich seit mehreren Jahren in der Cloud-

Bernd Leukert

Nach dem Abschluss als Diplom-Wirtschaftsingenieur an der

Universität Karlsruhe studierte Leukert ein Jahr am Trinity College in Dublin,

Irland. Auf seiner Heimreise begegnete Leukert einem Freund, der bereits bei SAP

tätig war.

Was mit einem gemeinsamen Kaffee begann, entwickelte sich als Grundstein

seines beruflichen Werdegangs. 1994 stieg Leukert als Software-

Entwickler für SAP R/3 ein. Seit 2014 ist Leukert Mitglied des Vorstands der

SAP SE mit globaler Verantwortung für die Entwicklung und Auslieferung aller

Produkte des SAP-Portfolios.

Zudem leitet er strategische Innovationsinitiativen und erschließt neue Wachstumsmöglichkeiten für SAP, unter

anderem in den Bereichen Internet der Dinge, Industrie 4.0 und SAP S/4HANA.

Transformation. Teilen Sie doch Ihre Er-fahrungen mit uns.Software aus der Cloud zu konsumieren, wird das zukünftige Standard-Default-Mo-dell sein. Kein Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, ein Datacenter mit Hardware zu besitzen und zu betreiben. Die möch-ten ja eigentlich Software nutzen. Das ein-zige Argument, heute noch Datacenter selbst zu betreiben, ist die Hoheit über die Daten und deren Sicherheit. Es geht nicht mehr darum, ob ich eine IT-Abteilung beim CIO etablieren möchte, die sich per-manent damit beschäftigt, Software zu testen, zu installieren und zu betreiben. Aber das geht doch noch weiter?!Das zweite Argument ist, dass Unterneh-men mehr und mehr Schwierigkeiten ha-ben werden, die schnellen Zyklen der digi-talen Veränderung mitzugehen. Dafür muss man seine IT-Abteilung permanent auf dem neusten Wissensstand halten. Manchmal ist es der CIO, der bremst, ob-wohl er eigentlich derjenige sein sollte, der die Digitalisierung vorantreibt. Aber er braucht eine Mannschaft, die das, was der Markt bietet, auch umsetzen kann. Dabei

"Heute entwickeln wir Software gemeinsam mit Kunden", sagt Bernd Leukert (Mitte), im Gespräch mit den Roland Berger Partnern Thomas Rinn (li.) und Carsten Rossbach.

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erleben wir einen Wandel vom Besitz zum Konsum eines Produkts, von Ownership zu Consumption. Es kommt darauf an, wie schnell ich Innovationen im meinem Un-ternehmen nutzen, also wertstiftend ein-setzen kann. Wenn ich mir den Weg durch eigene IT-Lösungen verstelle, kann es sein, dass ich schnell von denen überholt wer-de, die aus der Cloud kommen.SAP hat sich selber bewusst kannibalisiert. Gab es Widerstände? Wie haben Sie Ihre Leute zur Revolution mitgenommen?Das war eine große Umstellung innerhalb der SAP. Man muss Mitarbeitern, denen man jahrelang erzählt hat, Marge sei für den Kapitalmarkt wichtig, jetzt plötzlich erklären, dass in der Cloud kurzfristig Wachstum zählt, und mit Wachstum Marktpräsenz und Marktpenetration, und danach kommt erst die Marge. Das ist be-sonders schwierig für ein Unternehmen, das im DAX notiert ist und von Finanzana-lysten auch nach traditionellen Kriterien bewertet wird, während die neuen Startups rein nach Wachstum bewertet werden.Haben Sie ein Geheimrezept für den kultu-rellen Wandel?Ich kann Erfahrungen weitergeben. Wer glaubt, man könne eine bestehende Struk-tur unverändert lassen und ihr lediglich neue Ziele geben, um dann später schmerz-haft festzustellen, dass es eigentlich keine Veränderung gegeben hat, der wird schei-tern. Man muss bewusst ein neues Ge-schäftsmodell etablieren, dazu eine neue Art zu arbeiten, und das am besten in einer separaten Organisation. Das haben wir er-kannt und umgesetzt. Das Zweite, was wir lernen mussten – und weshalb wir die eine oder andere Akquisition getätigt haben: Der Gang in die Cloud bedeutet nicht, dass ein Unternehmen die Software, die alle sei-ne Kernprozesse steuert, von heute auf morgen aus einem On-Premise-Datencen-ter in ein Cloud-Datencenter überträgt. Es gibt organisatorische Beharrungskräfte.Ja, aber derjenige, der die Kaufentschei-dung für die Cloud trifft, ist in der Regel nicht der IT-Chef, sondern der Verkaufslei-ter oder der Procurement-Leiter.Warum ist es wichtig, das zu bedenken? Wir haben den Fehler gemacht, dass wir

mal ab, um das neue Produkt zu platzieren …Beim letzten Halbsatz möchte ich wider-sprechen.Tun Sie's!Es wäre uns nicht gelungen, eine intensive Kundenbeziehung zum Personalleiter aufzubauen, wie wir sie durch die Akquisi-tion von SuccessFactors gewonnen haben. Wir hatten plötzlich eine Entwicklungs- und Vertriebsorganisation, die von mor-gens bis abends nur an den Personalchef und seine Abteilung gedacht und eine Be-ziehung genau zu dieser Gruppe aufge-baut hat. Der CIO war bewusst unser zwei-ter Ansprechpartner. Wir haben also nicht nur eine Software, ein Datacenter und ei-nen Cloud-Betrieb kennengelernt, sondern haben Kundenbeziehungen eingekauft.Was alleine aus organisatorischem Wachs-tum nie denkbar gewesen wäre.

damals SAP Business ByDesign als gesam-te Suite in die Cloud gebracht haben, wäh-rend der Markt zu Beginn nur Teillösun-gen gefordert hat. Vor der Akquisition von SuccessFactors, von Ariba, von Concur und Hybris galt die Integration noch als einfach, danach als großes Dilemma. Was uns der Markt gelehrt hat: Man muss be-kannte Assets bewusst aufgeben, um sie dann wieder zu revitalisieren und den Kunden vom Mehrwert integrierter Ge-schäftsprozesse zu überzeugen. Sie sagen, Cloud kommt, der CIO war bisher unser Kunde, ist es aber immer seltener. Das heißt, Sie müssen ja parallel Ihre Leute auf andere Zielgruppen einstellen ...Ganz genau.… und müssen die dann funktional und über Geschäftsbereiche erreichen, teilweise regio-nal. Sie schaffen Ihre eigene Kundenbasis erst

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Quelle: Oxford Economics/SAP analysis update 4/2016

2015 2020

18,5 - 20 Mrd. €

7,5 - 8 Mrd. €

18,5 Mrd. €

GESAMT 20,8 MRD. € GESAMT 28,0 MRD. €

2,3 Mrd. €

Umsätze von SAP: Cloud Software-Lizenzen und -Support, Services

11%

89%

≈ 29%

≈ 71%

WACHSENDE WOLKEDie Cloud-Dienste entwickeln sich zu einem signifikanten Faktor für das Umsatzwachstum bei SAP. Der Anteil am Gesamtumsatz wird sich bis 2020 nahezu verdreifachen, in harter Währung gemessen ist der Zuwachs sogar noch größer.

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Das zweite, was uns nicht gelungen wäre, ist die interne Transformation, also der Mannschaft beizubringen, dass wir nicht mehr nur Software bauen, sondern auch für deren Betrieb verantwortlich sind. Wir hatten keine Erfahrung, was es heißt, Kunden ein System 24 Stunden, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr zur Verfügung zu stellen. Diese Erfahrung hatte der CIO ei-nes jeden Unternehmens. Nur war er eben zu langsam. Jetzt haben wir über diese Ak-quisition Geschwindigkeit plus den Zu-gang zu den Entscheidern eingekauft. Was dürfen wir von SAP im Service erwar-ten? Wir haben von Komplettverantwor-tung im Prozessbereich etwa bei Themen wie Mobility gelesen.Dazu zwei Aussagen. Punkt 1: Alle Kern-geschäftsprozesse des Unternehmens werden als digitaler Service zur Verfü-gung gestellt. Das wäre aber zu kurz ge-sprungen, wenn das die Zukunft der SAP wäre. Der zweite Punkt ist, dass wir neue Geschäftsmodelle, die durch Digitalisie-rung möglich sind, durch Software unter-stützen wollen. Und ich wähle bewusst das Wort "unterstützen". Wir wollen sie nicht besetzen. Wir wollen der "Intel In-side" der digitalen Wirtschaft sein. Gäbe es einen anderen Weg für SAP?Wir hätten für die Industrie werden kön-nen, was Google für den Konsumenten ist. Damit wären wir in den direkten Wettbe-werb mit unseren Kunden gegangen. Aber wir haben uns dagegen entschieden. Wir wollen für alle Kunden als Enabler fungie-ren, um ihnen eine digitale Plattform zu ermöglichen und in einer Co-Innovation diese Services zu bauen. Und der zweite Aspekt?Wir sind in 25 Industrien tätig und wol-len es unseren Kunden ermöglichen, di-gitale Services über Industrien hinweg anzubieten. Ich werde nicht müde, Auto-mobilherstellern zu sagen, dass sie zwar auch "nur" Mobilität als Service anbieten können, aber eine Riesenchance haben, weil die Plattform Auto bei den Konsu-menten vorhanden ist. Sie können dort über den digitalen Zugang eine Menge an weiteren Mobilitäts-Services anbieten. Was haben Sie denn diskutiert?

Warum soll mir das Auto nur ein Navigati-onssystem anbieten, das mir den Weg von A nach B weist und dabei noch Staus be-rücksichtigt? Wenn ich nach Heidelberg in die Innenstadt fahre, würde ich mir gerne über ein integriertes System einen Platz im Parkhaus reservieren können und nicht am Samstagvormittag ankommen um le-sen zu müssen: "Parkhaus besetzt". Das geht dann weiter. Wenn ich doch einen Parkplatz gefunden habe, muss ich lästig mit einem Kärtchen oder Chip einen Par-kautomaten ausfindig machen, dann wie-der mein Auto aufsuchen. Warum kann ich nicht direkt einsteigen, rausfahren, das System identifiziert mein Auto und schickt mir – wie beim Mobiltelefon auch – monat-lich eine Rechnung. Das Gleiche könnte man beim Tanken machen oder beim Bu-chen eines Restaurants. Und immer dann könnte der Automobilhersteller eine kleine Gebühr von dem Beteiligten verlangen. Wir wären gerne die Firma, die diese Ver-netzung von Industrien und Services an-bietet und ins Auto bringt.

SAP-Kunden sollen digitale Services über Industrien hinweg anbieten können.

"Man kann in der digitalen Welt keine Software bauen, ohne neue Geschäftsmodelle zu definieren."

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Da stehen wir noch sehr am Anfang.Das gilt auch in anderen Industrien. Kun-den wollen eigentlich keine Luftkompres-soren besitzen. Kunden wollen kompri-mierte Luft konsumieren. Wenn die deutschen Hersteller einen Qualitätsvor-teil reklamieren, könnten sie doch anbie-ten, einen Kompressor in eine Fabrikati-onshalle zu stellen und nur noch die Nutzung der Maschine abzurechnen.Das machen sie doch längst: Kaeser, Air Liquide. Wozu braucht man SAP? Weil wir das digital ermöglichen. Wir kön-nen permanent den Zustand der Kompres-soren überwachen. Die Anbindung von Endgeräten über Sensorik an eine Platt-form, Auswertungen anbieten, in einem Servicecenter Warnungen auslösen, am besten bevor der Kompressor ausfällt, wir kennen das: Es nennt sich vorausschauen-de Wartung, Predictive Maintenance. Dar-aus ein Geschäftsmodell zu machen, "Mein Auto bleibt nie liegen" oder "Mein Kompressor fällt nie aus", ist ein klarer Wettbewerbsvorteil. Wir haben die nöti-gen Plattformen und können darauf inno-vative Geschäftsmodelle mit einem digita-len Kern verbinden. Hier schließt sich der Kreis zwischen dem Produktionsleiter und dem CIO. Plötzlich mögen die sich und wollen zusammenarbeiten. Aber es gibt viele Spezialanbieter, die Ihnen gerade mit solchen Überwachungslösungen den Garaus machen könnten, weil sie schnel-ler oder billiger sind, weil sie Nischen beset-zen können. Ist Größe ein Vorteil oder nicht?Es gibt diese Spezialanbieter. Sie machen uns bei diversen Kunden das Leben schwer. Keine Frage. Aber viele bekom-men ein Problem, wenn es über einen Pi-lotversuch, über einen Proof of Concept oder über einen kleinen, isolierten Ge-schäftsbereich hinaus um einen globalen Rollout geht. Und dann reden wir über Skalierbarkeit. Dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Jetzt brauche ich plötzlich lokale Präsenz von Servicecentern in La-teinamerika, in Asien, in Südeuropa. Und jetzt beziehen Sie mal diesen Service von einer Startup-Firma.Eigentlich sagen Sie ja, Sie unterstützen mit Software Betreibermodelle.

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Ja, innovative, digitale Geschäftsmodelle.Viele Unternehmen können nicht weit in Vorleistung gehen. Ihre Maschinen müs-sen sie weiterhin verkaufen, um finanziell auf festen Beinen zu stehen. Wäre SAP auch ein Partner, Finanzierungsmodelle zu unterstützen?Was wir machen, ist ein Risk-Sharing-Mo-dell. Wir wollen keinen Financial Service aufbauen.Ist es nicht Voraussetzung, damit Ihr Ge-schäft erfolgreich werden kann?Das glaube ich nicht. Die Unternehmen sind bereit, gemeinsam den Weg des Risi-kos und des Vorteils zu gehen. Wir bieten etwa an, dass wir digitale Lösungen bau-en, ohne dass der Kunde gleich Lizenzen bezahlen muss. Das wird die nächste Säu-le sein, die durch Digitalisierung bei uns signifikant an Bedeutung gewinnt. Es ist doch für den Kunden nur dann ein Risiko, wenn er sein Modell umstellt, an die SAP hohe Gebühren für Lizenzen oder die Cloud bezahlen muss, seine Kunden das neue Geschäftsmodell aber noch nicht an-nehmen. Wenn wir bereit sind, mit dem Kunden ins Risiko zu gehen und gemein-sam die Co-Innovation zu machen, dann sind die Zeiten vorbei, wo die SAP große

Millionendeals mit einem Vorablizenzmo-dell macht. Aber dafür haben Sie ein nachhaltigeres Geschäftsmodell, ein planbares.Genau. Es werden Maschinen und Werke aufgeschaltet, es werden Autos vernetzt, damit wird auch unsere Industrie planba-rer. Aber für den Finanzmarkt heißt das trotzdem, dass zu Beginn weder der Kun-de noch die SAP diese großen Upfront-De-als haben.In der Industrie 4.0 könnte man meinen, es gehöre zum guten Ton, seine eigene Platt-form anzubieten. Enabler für digitale Ge-schäftsmodelle wollen auch andere sein. Wie viele Plattformen kann es denn geben? Ich habe eine klare Meinung dazu und weiß, dass sie nicht jedes Industrieunter-nehmen teilt …... das hatten wir jetzt gedacht …Ich schaue denen in die Augen und frage, was sie in Zukunft als Kernkompetenz für ihr Unternehmen definieren wollen. Wenn sie in Wettbewerb mit der SAP, mit Microsoft, mit IBM treten wollen, ist das ihr gutes Recht. Wir wollen keine Pressen, keine Rasenmäher, keine Kühlschränke herstellen, was wir ja machen könnten und was manche IT-Unternehmen sogar

"Wir wären gerne die Firma, die die Vernetzung von Industrien und Services anbietet."

tun werden, so wie Google oder Apple Au-tos herstellen wollen. Ich glaube, dass die Unternehmen, die sich nicht einen star-ken IT-Partner suchen, über kurz oder lang scheitern werden. Wer mit Ihnen arbeitet, muss keine Angst haben, dass Sie seine Daten woanders nochmal monetarisieren?Nein, wir garantieren das dem Kunden schriftlich. Und die europäische Daten-schutzgrundverordnung mit dem Recht auf Datenschutz und Privacy wird dafür sorgen, dass auch andere Konzerne das in Zukunft tun werden. Denn wer einmal da-gegen verstößt und vier Prozent seines Jah-resumsatzes als Strafe zahlen muss, der kann es 25-mal machen, dann ist der Jah-resumsatz weg. Wir haben uns immer zu diesen ethischen Grundsätzen bekannt. Datensicherheit, Datenschutz: Sind Sie aus Sicht Ihrer Kunden noch ein deutsches Un-ternehmen oder ein multinationaler Kon-zern? Wir sind ein globales Unternehmen mit deutschem Hauptsitz, das sich den mora-lischen Grundsätzen der westlichen Welt verschreibt und die deutsche, aber auch die europäische Datenschutzgrundver-ordnung respektiert und übererfüllt.Kann es mitunter sinnvoll sein, sich als eu-ropäisches Unternehmen zu positionieren, weil es immer noch gewisse Vorbehalte gibt, Daten in die Cloud zu geben?Ja, das ist kein Geheimnis. Wir reden nicht nur von Technologie, sondern von Vertrau-en. Wir haben über 40 Jahre Zugang zu den Daten und IP-Rechten der Kunden. Wir ha-ben nie Missbrauch begangen. Das möchte ich deutlich betonen. Das ist ein Wert, der in der Digitalisierung extrem geschätzt wird. In meinen Gesprächen mit Entschei-dern wird das Thema Sicherheit und Ver-trauen immer unter den Top 3 genannt. Deshalb haben wir mit dem Hauptsitz in Deutschland und den ethischen Wurzeln einer deutschen Firma sicher Vorteile.Lassen Sie uns die SAP verlassen. Sie waren einer der maßgeblichen Treiber der Platt-form Industrie 4.0. Wie zufrieden sind Sie mit den Fortschritten?Wir haben das Thema Industrie 4.0, das auf die Produktion fokussiert war, hin zu

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rern in einer japanischen Stadt. Warum soll man nicht über Sensoren in Dienst-kleidung feststellen, dass ein Busfahrer müde ist oder sogar in Unterzuckerung fällt? Bei Müdigkeit reicht ein Alarm, bei Unterzucker könnte man den Bus kontrol-liert zum Stillstand bringen. Wir reden auch mit Bergwerkgesellschaften, die Mi-neralien abbauen. Dort gibt es Sensorik in den Kanälen und Schächten, aber nicht an den Menschen. In einem deutschen Che-mieunternehmen gab es vor Kurzen einen Todesfall, als ein Mitarbeiter unerlaubt in einen Bereich eintrat und in eine Presse geriet. Sensoren in Sicherheitskleidung können in gefährlichen Bereichen Ma-schinen zum Notstopp bringen. Solche Technologien gibt es schon. Wie wird moderne Unterstützung von Ar-beitsplätzen in der Zukunft aussehen?Wir werden maschinelles Lernen, künstli-che Intelligenz, in allen Applikationen se-hen. Wir müssen unsere eigenen Applika-tionen zu einem Decision-Support-System umwandeln. Da sehe ich einen großen Trend, der zur Veränderung der Gesell-schaft führen wird. Müssen wir uns Sorgen machen?Der Mittelstandsbereich wird sich verän-dern, durch intelligente Algorithmen, durch maschinelles Lernen. Aber auch wenn intelligente Systeme Standardaufga-ben übernehmen, bleibt es unersetzlich für erfolgreiche Unternehmen, die Erfahrung ihrer Mitarbeiter zu nutzen und weiter zu fördern. Gleichzeitig entstehen in der digi-talen Arbeitswelt neue Geschäftsfelder und Berufsbilder, die neue Beschäftigungsmög-lichkeiten schaffen, es kommt zu einer Ver-lagerung von Kompetenzen.Sprechen wir zu viel über Digitalisierung in physischen Abläufen und zu wenig in der geistigen Arbeit, in der Verwaltung, im Büro? In freien Berufen?Ja. Wir werden in der geistigen Arbeit eine massive Veränderung sehen. Als persönli-chen Ausblick: Ich glaube, dass maschi-nelles Lernen, künstliche Intelligenz, das Verstehen des Umfeldes, in dem sich eine Person bewegt, in Zukunft wesentlich re-levanter und in den menschlichen Alltag einziehen werden.

digitalen Services ein großes Stück voran-gebracht. Insbesondere haben wir Wirt-schaft, Sozialpartner, Gewerkschaften, Po-litik und Wissenschaft zusammengebracht und über das Labs Network Industrie 4.0 auch kleineren und mittelständischen Un-ternehmen Zugang zur Digitalisierung er-möglicht. Ohne große Anfangsinvestition. Diese Hürde war extrem hoch. Und wie geht es weiter?Jetzt machen wir allen klar, dass der digita-le Wettlauf der Industrie nicht in Deutsch-land oder Europa gewonnen oder verloren wird. Wir müssen uns öffnen und mit den Kollegen in den USA, also dem Industrial Internet Consortium, dem IIC, und den Asiaten zusammenarbeiten. Insofern ha-ben wir große Fortschritte gemacht: Zu-gang zu Technologie ermöglicht, mit dem Referenzarchitekturmodell RAMI 4.0 ein Modell geschaffen, wie Standards zu defi-nieren und einzusetzen sind, Praxisbei-spiele benannt. Der nächste Schritt ist jetzt, dass wir diese Kooperation mit den Partnern aus Asien und den USA intensi-vieren. Zum ersten Mal hat das Quartals-treffen des IIC in diesem September in Europa, in Deutschland, stattgefunden –

besser gesagt: bei uns, bei der SAP. Wir ha-ben das mit Bosch vorangetrieben, weil wir in beiden Gremien vertreten sind. Digitali-sierung wird sich nicht an Länder- oder Kontinentgrenzen aufhalten. Andererseits ist gerade das der Charme, nicht durch physische Restriktionen eingeschränkt zu sein, wenn die Politik es zulässt.Wen meinen Sie, wenn Sie von den Asiaten sprechen? China, Japan?Die Chinesen sind sehr ambitioniert, weil sie bis 2025 aus "Made in China" ein "In-novate in China" machen wollen. Jeder, der weiß, wie diszipliniert chinesische Un-ternehmen funktionieren, sollte das als deutlichen Weckruf verstehen. Auch für Japan, das nach Kaizen und Lean den An-schluss zu verlieren drohte, ist die Digita-lisierung eine neue Chance. Ich bin oft in Japan, um Smart Services und das Inter-net der Dinge zu positionieren sowie In-novationspartnerschaften einzugehen. Und zwar nicht nur mit dem klassischen Elektronikkonzern, der jedem gleich ein-fällt, sondern auch mit Herstellern von Kleidung. Das macht uns neugierig.Wir planen ein Pilotprojekt mit Busfah-

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Cloud Business

Das Geschäft schickt der

HimmelDie Cloud ändert die Spielregeln der

Industrie-Automatisierung. Neueinsteigern bleibt nicht viel Zeit zum Umdenken. Hier ist das

Topmanagement gefordert.

von Carsten Rossbach und Daniel Lock

F eld, Maschine, Fabrik und Unter-nehmen: Viele Maschinenbauer un-terteilen die Welt noch immer nach

den Kategorien der klassischen Automati-sierungspyramide. Einen ganz anderen Blick auf die Industrie haben ihre neuen Konkurrenten aus der IT-Branche – wer in Kategorien der Cloud denkt, sieht statt physischer Objekte vor allem digitale Schichten, in denen neue Geschäftsmo-delle entstehen. Ganz unten, in der physi-schen Schicht, finden sich Sensoren, Ak-tuatoren, eingebettete Computer und Netzwerk-Komponenten, die in der Pro-duktion aktuelle Messwerte liefern, Aktio-nen und Berechnungen ausführen und Informationen weiterleiten. Hier hat sich wenig geändert. Aber direkt darüber, in der Schicht der Cloud-Services, beginnt der Wettbewerb um neue Lösungen für Industrie 4.0. Gefragt sind hier zum Bei-spiel die vorausschauende Wartung von Maschinen oder maximale Transparenz

über die aktuelle Leistung von Fabriken oder Windparks.

BASISDIENST CLOUD-INTEGRATIONSchon heute kämpfen neue Anbieter mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen um Marktanteile. Das einfachste eröffnet seinen Kunden die Integration in die Computerwolke und ihre zahlreichen Dienste: Unternehmen wie Temboo ver-binden Sensoren und andere Hardware aus dem Internet der Dinge über die Cloud mit Diensten und Datenbanken im Internet. Als digitaler Vermittler über-nimmt das New Yorker Unternehmen ne-ben dem Transport der Daten auch si-cherheitskritische Funktionen wie die Authentifizierung. Selbst einfache Feed-back- und Kontrollmechanismen bietet Temboo an. Temboo-Kunden nutzen den Cloud-Dienst beispielsweise, um den Füllstand in Wassertanks zu bestimmen sowie Lecks rechtzeitig zu erkennen und

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schnell zu beheben. Andere Unterneh-men überwachen medizinische Versuche oder verbessern die Datenanalyse. Für alle Anwendungen gilt: Über den Daten-transport und einfachste Auswertefunk-tionen hinaus stellt der Anbieter seinen Kunden nichts zu Verfügung. Um Spei-cherung, Datenmanagement und Daten-analyse müssen sie sich selbst kümmern.

VON ANALYTICS BIS ZUR KOMPLETTLÖSUNGAndere Anbieter von Cloud-Diensten über-nehmen auch diese Aufgaben – zum Bei-spiel Xively und Amazon mit seinen Web Services (AWS): Ihre Kunden können über die reine Konnektivität hinaus auch auf ma-thematische Werkzeuge zugreifen, mit de-nen sich beispielsweise Streaming-Daten in Echtzeit analysieren lassen. Dafür ist eine derart hohe Rechenleistung nötig, dass die Auslagerung in die Cloud für viele Unter-nehmen sinnvoll ist. Andere nutzen das An-gebot für Speicherung und Analyse großer Mengen an Patientendaten und von Mess-werten, die der Mars-Rover der NASA liefert.

Einen Schritt weiter gehen die Anbieter von Cloud-Komplettlösungen für ganze Bran-chen. Hier versuchen die Schwergewichte aus der klassischen Industrie, mit einer Kombination aus gewachsenem Branchen-wissen und neu aufgebautem IT-Know-how Fuß zu fassen. Ihr Ansatz umfasst neben der Automatisierung auch die Steuerung konkreter Anwendungen. Siemens bietet mit seiner "MindSphere" eine Plattform, die neben dem sicheren Datentransport und der Speicherung auch die Optimie-rung industrieller Assets ermöglicht – "MindApps" sorgen für die vorausschauen-de Wartung der Anlagen und gewährleisten, dass sie sich nach vorgegebenen Kriterien wie Energie- oder Ressourcenverbrauch op-timieren lassen. Ein ähnliches Angebot hat GE mit seiner "Predix-Cloud" im Portfolio. Mit ihrer Hilfe lassen sich beispielsweise Apps für die vorausschauende Wartung von Windrädern entwickeln.

Auch der Maschinenbauer TRUMPF hat das Cloud-Potenzial erkannt und bietet

Die Cloud ruft: Unternehmen lagern immer mehr Aufgaben aus – und Dienstleister erweitern ihre Angebote

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Cloud Business

über sein Tochterunternehmen AXOOM eine digitale Plattform an, auf der Kunden alle Schritte der Wertschöpfungskette ein-fach vernetzen können. "Die Durchgängig-keit der horizontalen Wertschöpfungskette ist in der Industrie derzeit ein großes The-ma", sagt AXOOM-Geschäftsführer Florian Weigmann. "Die Unternehmen wollen ma-ximale Transparenz – von der Angebotser-stellung über Materialbeschaffung, Pro-duktionsplanung, Materialverwaltung und Produktion bis hin zum Versand und zur Rechnungsstellung." Weil jeder Kunde in-dividuelle Bedürfnisse hat und mit unter-schiedlichen Softwaresystemen arbeitet, lässt sich das Angebot modular zusammen-stellen – wer also eine ERP-Lösung braucht wird ebenso fündig wie ein Unternehmen, das auf der Suche nach einem Manufactu-ring Execution System (MES) ist.

VERSCHLÜSSELT VERBINDENVia Internet lassen sich Maschinen unter-schiedlicher Hersteller verschlüsselt mit der AXOOM-Cloud verbinden, wobei die Infrastruktur für europäische Kunden in Deutschland steht, um den Schutz der Da-ten zu garantieren. "Unsere Kunden sehen auf Dashboards aktuelle Informationen aus der Produktion", so Weigmann. "Dazu gehören Informationen über den Zustand und die Auslastung der Maschinen. In Ab-sprache mit anderen Kunden ist es sogar möglich, ein Benchmarking zwischen ver-schiedenen Unternehmen durchzuführen."

Ein ähnliches Angebot macht die Deutsche Telekom ihren Kunden mit der "Cloud der Dinge". Auch hier können Unternehmen ihre Daten in die Cloud transportieren und auswerten lassen. "Dieses Angebot ist eine Art Werkzeugkasten mit allen Grundfunktio-nen für das Internet der Dinge", so Marke-ting-Manager Christian Krebs. "Es erspart unseren Kunden viel Aufwand, etwa beim Aufbau der Lösung, bei der dazu benötigten IT-Infrastruktur und den Sicherheitsmaß-nahmen." Neben der Anzeige aktueller Sensor daten und daraus abgeleiteten Funk-tionen, wie die Alarmierung und voraus-schauende Wartung, unterstützt die Cloud der Dinge auch einen Diebstahlschutz über

die Lokalisierung von Maschinen über GPS (Geo Fencing) und automatische Firmwa-re-Updates. Im Gegensatz zu ihren meisten Konkurrenten verfügt die Telekom auch über ein eigenes Netzwerk. Sie kann in Zu-kunft beispielsweise über den neuen Mobil-funkstandard 5G die drahtlose Vernetzung von Anlagen und Geräten sowie die lokale Datenauswertung mit Edge-Computing un-terstützen. Um Reaktionszeiten im Millise-kunden-Bereich zu erreichen, werden dabei zeitkritische Berechnungen möglichst nahe am Standort des Kunden durchgeführt.

DIFFERENZIERUNG IN VIER DIMENSIONENWer sich als Anbieter von Cloud-Services etablieren will, kann sich auf vier zentralen Feldern vom Wettbewerb differenzie-ren: Neben dem eigentlichen An-gebot – Integration in die Cloud, Analyse und Datenmanagement oder komplette Branchenlösung – spielen hier das Bezahlmodell, die Techno-logieplattform und die eigene Wertschöp-fungstiefe eine entscheidende Rolle.

Bei den Bezahlmodellen bietet pay-per-use den Kunden die größte Flexibilität und den Cloud-Anbietern zugleich eine relativ hohe Marge. Grundlage für die Berech-nung können beispielsweise die genutzte Rechenzeit oder der aufgetretene Daten-verkehr sein. Vor allem die Anbieter kom-pletter Branchenlösungen erheben eine Grundgebühr, die sich etwa auf die Zahl der Nutzer beziehen kann. Beim "Freemi-um"-Modell können die Kunden einen be-stimmten Umfang an Services kostenlos nutzen und müssen das bezahlen, was über das Basisangebot hinausgeht.

Die Technologieplattform bietet eine wei-tere Möglichkeit zur Differenzierung. An-bieter müssen entscheiden, mit welchen Services sie sich vom Wettbewerb abheben wollen. Für besonders zeitkritische Anwen-dungen ist beispielsweise eine Kombinati-on von Cloud- und Edge-Computing denk-bar: Eine erste Datenverarbeitung erfolgt direkt vor Ort, und erst danach werden die Informationen in die Cloud übertragen.

13,1%Wachstum mit CAGR von 37,1 (2016)

auf 59,5 Mrd. USD (2020)

Ausgaben für Cloud-

Infrastruktur

19,4%CAGR weltweit von ca. 70 (2015) auf

über 141 Mrd. USD (2019)

Ausgaben für Public Cloud

Services

WACHSENDE WOLKEImmer mehr Prozesse und Dienstleistungen wandern in die Cloud. Entsprechend stark steigen weltweit die Ausgaben.

Quelle: IDC 2016 P.38

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AUTOMATION LAYER Cloud Services

Integration und Governance

Enabling Services

Plattformen für intelligente

Services

PHYSICAL LAYER BUSINESS OPERATIONS LAYER

Security

Storage

Analytics

Sensoren und andere Ein- und Ausgabegeräte

Predictive Maintenance

Fabriksteuerung

(Embedded) Computing

1

2

3Cybersicherheit berücksichtigen, denn die zunehmende Vernetzung auf Basis be-kannter IT-Standards macht Industrieanla-gen anfälliger für Angriffe. Und schließlich sollten sie gemeinsam mit Pilotkunden ei-nen agilen Entwicklungsansatz verfolgen – ihre Produkte also stärker iterativ ver-bessern und nicht immer auf eine perfek-te Lösung warten.

RECHTZEITIG UMSTEUERNDiese neue Denkweise widerspricht vielen Gewohnheiten aus der Industrie. Aber wenn sich die Unternehmen nicht recht-zeitig umstellen, wird die Cloud keine Chance für sie sein – sondern als dunkle Wolke über den Anbietern klassischer Au-tomatisierungstechnik schweben.

Siemens und GE. Neueinsteigern bleibt darum nicht mehr viel Zeit, um ihre eige-nen Angebote auf diesem schnell wach-senden Markt zu platzieren. Hier ist das Topmanagement gefordert: Die neuen Services müssen in kurzer Zeit entwickelt werden und zugleich Teil einer langfristi-gen Unternehmensstrategie sein. Es reicht darum nicht aus, das Thema auf der CIO- oder CTO-Ebene voranzutreiben: Hier ist der volle Einsatz des CEO gefragt.

Insbesondere große Unternehmen sollten die Cloud-Services darum nicht nur als weiteren Teil ihres klassischen Geschäftes betrachten. Erfolgversprechender ist es, diese Aktivitäten in neue Einheiten auszu-lagern, die flexibel wie Startups agieren und direkt unter dem CEO angesiedelt sind. Daneben müssen die Unternehmen auch von Anfang an das zentrale Thema

Über die Vernetzung lassen sich die Ser-vices verschiedener Anbieter einfach kom-binieren – es ist für Unternehmen darum leicht, ihre Wertschöpfungstiefe optimal an das eigene Angebot anzupassen. Sie können entscheiden, wie viel Leistung sie selbst erbringen wollen und wo es sinnvol-ler ist, Dienste von Partnerunternehmen einzubinden. Darum werden Allianzen in der Cloud-Welt eine große Rolle spielen. Anbieter von Komplettlösungen für einzel-ne Branchen könnten sich mit Amazon zu-sammentun, um grundlegende Funktiona-litäten einzukaufen und sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren.

VOLLER EINSATZ DES CEO GEFRAGTSchon heute sind zahlreiche Unterneh-men auf den Cloud-Zug aufgesprungen – neben einer ganzen Reihe von Startups auch international tätige Konzerne wie

Kontakt: [email protected].

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Deregulierung, Kooperation, Digitalisierung. Japan modernisiert seine Wirtschaft.

Dabei spielen Roboter eine Schlüsselrolle

von Daisuke Nakano

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Industire 4.0 in Japan

J Japan ist ein Land der Zukunftstech­nologien. Egal, ob Brennstoffzel­len, Sensoren oder Nanotechnolo­

gie – der fernöstliche Inselstaat ist in vielen Bereichen führend. Doch beim Thema Digitalisierung hatte Japan lange Zeit nur eine Beobachterrolle inne. Das könnte sich nun ändern. Denn das Inter­net of Things (IoT), Big Data und Indust­rie 4.0 stehen seit rund zwei Jahren ganz oben auf der Prioritätenliste der Regie­rung: Bis 2020, wenn Tokio die olympi­schen Sommerspiele ausrichtet, soll die sogenannte "vierte industrielle Revolution" rund fünf Prozent des Bruttoinlands­produkts generieren.

Dieses Ziel soll durch verschiedene Initia­tiven erreicht werden. Zum einen will Ja­pan die Vorschriften in bestimmten Be­reichen lockern, um zum Beispiel die kommerzielle Nutzung von Drohnen zu fördern und bis 2020 autonom fahrende Autos auf Tokios Straßen zu bringen. Zum anderen wird eine engere Zusam­menarbeit zwischen Wirtschaft, Wissen­schaft und Politik forciert. So sollen die Unternehmen die Forschungsgelder, die sie Hochschulen und anderen Einrich­tungen zur Verfügung stellen, bis 2025 verdreifachen – auf dann 240 Milliarden Yen (rund 2,1 Milliarden Euro).

INNOVATION UND ICTAußerdem wurden mehrere Plattformen und Komitees neu eingerichtet, in denen Unternehmensvertreter, Wissenschaftler und Beamte gemeinsam die Förderung vielversprechender Industriebereiche pla­nen. Darunter findet sich die "Smart Ja­pan ICT Strategy", die das Land bis 2020 zum "aktivsten Land der Welt" im Bereich Informations­ und Kommunikationstech­nologie machen will. Breiter angelegt ist das ministeriumsübergreifende "Strate­

gic Innovation Program" (SIP), dem im aktuellen Fiskaljahr (bis Ende März 2017) 50 Milliarden Yen für Projekte in zehn In­dustriebereichen zur Verfügung stehen.

Besonders große Hoffnungen setzt die Regierung auf die Robotertechnologie – ein Bereich, in dem Japan weltweit füh­rend ist. Dem Wirtschaftsministerium in Tokio zufolge produzierte Nippon im Jahr 2011 gut 50 Prozent aller Industrierobo­ter weltweit. Selbst wenn sich dieser An­teil seither verändert haben sollte: Her­steller wie Fanuc, Yaskawa oder Kawasaki Heavy Industries produzieren für einen Markt, der jährlich zweistellige prozentu­ale Wachstumsraten aufweist. Der Ge­samtumsatz erreichte laut International Federation of Robotics (IFR) im Jahr 2014 rund 10,7 Milliarden US­Dollar.

EINEN SCHRITT VORAUS "Der Roboterboom markiert einen wichti­gen Meilenstein für die Umsetzung der vierten industriellen Revolution", so Joe Gemma, Präsident des IFR, bei der Vor­

stellung der jüngsten Zahlen. Mit ihren digitalen Schnittstellen könnten Industrie roboter nahtlos in die vernetzten Strukturen von Smart Factories integriert werden. Auch die Zahl der verkauften Ser­vice­Roboter steigt laut IFR. Japan eilt die­sem Trend einen Schritt voraus – mit der Entwicklung immer fortschrittlicherer Modelle, darunter sogenannte "Huma­noide", die menschenähnliche Gliedma­ße aufweisen.

Seit dem Jahr 2000 entwickelt zum Bei­spiel Honda den Roboter "Asimo", der freundlich grüßen, Getränkeverschlüsse öffnen und Treppen steigen kann. Das Mobilfunkunternehmen Softbank ver­marktet den mit Bildschirm und Sprachsystem ausgerüsteten Service­Ro­boter "Pepper". Und der Elektronikkon­zern Toshiba programmiert Roboter, die auf den ersten Blick wie junge Frauen aussehen (einschließlich Mimik und Ges­tik), für Tätigkeiten als Empfangsdamen und Dolmetscherinnen. Einige Exempla­re haben bereits eine Anstellung gefun­den: So gibt es in der Nähe von Nagasaki ein Hotel, in dem der Portier, Rezeptio­nist, Kofferträger und Weckdienst ein Ro­boter ist.

Um die Verbreitung von Robotern und ihre digitale Vernetzung noch schneller voranzubringen, hat die Regierung im Mai 2015 einen "Robot Revolution Initiati­ve Council" ins Leben gerufen, der vom früheren Toshiba­Chef Tadashi Okamura geleitet wird. Mehr als 300 Firmen gehö­ren diesem Rat an. Zum einen geht es um eine vermehrte Nutzung von Robotern in der Altenpflege, in Krankenhäusern und im Katastrophenschutz, zum anderen um nicht weniger als eine Modernisierung der gesamten japanischen Industrie, ein­schließlich der Einbindung von IoT, Big

Robot Revolution Initiative Council

Japan könnte vor allem vom

zunehmenden Einsatz von

Robotern profitieren.

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Industrie 4.0 in Japan

Data und künstlicher Intelligenz (KI) in den Produktionsprozess.

Japan, darin sind sich Regierung und Ex­perten einig, könnte von einem vermehr­ten Roboter­Einsatz besonders profitie­ren. Die Wirtschaft leidet unter der Alterung und Schrumpfung der Bevölke­rung. Ökonomen prognostizieren, dass der demografische Wandel zu negativen Wachstumsraten führen könnte. In vielen Bereichen – insbesondere auf dem Bau und in der Pflege – führt der Arbeitskräf­temangel bereits zu Problemen. "Unsere Mission ist es, einen durch sinkende Ar­beitsproduktivität verursachten Rück­gang des Bruttoinlandsprodukts mithilfe von Innovationen auszugleichen", sagt Yuko Harayama, die als Mitglied im Council for Science and Technology Po­licy die Technologiepolitik der japani­schen Regierung mitgestaltet.

KONFORMITÄT VERSUS KREATIVITÄTDas Problem: In Japans Gesellschaft wird Konformität höher geschätzt als Kreativi­tät. Organisationen sind wenig durchläs­sig und strikte Hierarchien noch immer die Norm. Hinzu kommt ein Mangel an IT­Spezialisten. "Es fehlen Data Scien­tists, aber auch Planer, die verstehen, wie man diese Daten in Produkte und Dienst­leistungen umsetzen kann", sagt Profes­sor Ichiro Sakata, Leiter des Policy Alter­natives Research Institute der

Was ist die e-F@ctory Alliance?Sie ist ein von Mitsubishi Electric gegründeter Unternehmensverbund. Mit rund 300 Partnern bieten wir intelligente Lösungen für Pro- duktionsprozesse an. Unser Ziel ist, die Gesamtkosten unserer Kunden zu senken. Dazu verbinden wir die Fabri ka- tionsebene über einfache Schnittstellen mit der IT-Ebene.

Viele unserer Kunden können ihren großen Datenpool nicht optimal nutzen. Wir wollen Daten nicht nur sichtbar, sondern auch nutzbar machen.Wer sind Ihre Partner? Sie kommen grob gesprochen aus drei Bereichen: System Integration, Software Provider und Device Supplier. Darunter sind auch deutsche Unter- nehmen wie Eplan oder Balluff. Die Stärke von Mitsubishi

Ein anderer AnsatzDaten nutzbar machen: Mitsubishi Electric

Takeshi Tamai, Deputy General Manager e-F@ctory Strategy and Business Planning Project

Quelle: World Robotics 2015

AUF DEM VORMARSCHJapan setzt auf eine Modernisierung seiner Industrie mithilfe von Robotern.

AUF DER ÜBERHOLSPUREinmalig: geschätzte Lieferung von Mehrzweck-Industrierobotern pro Jahr (Stückzahl).

Industrieroboter: Japan hat große Ambitionen auf dem Heimatmarkt

Serviceroboter: Der Markt wird in 5 Jahren um das Zwanzigfache wachsen

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Mrd. Yen Mrd. Yen

2014-2015

2013 2014 2015* 2018*

2019-2020

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*Prognosen

Asien/Australien Europa Amerika

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*1.200 Mrd. Yen entsprechen ca. 11,5 Mrd. $(US)

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Industrie 4.0 in Japan

hand der Daten prognostiziert, wie voll das Disney­Land in Tokio an bestimmten Tagen und zu bestimmten Uhrzeiten ist", berichtet Gou Soda, der im Cabinet Office für die Weiterentwicklung von Resas zu­ständig ist. Andernorts analysieren japani­sche Bürgermeister dank Resas erstmals, wie die Handelsströme der Firmen vor Ort aussehen.

In puncto Industrie 4.0 und Big Data hat sich in Japan also vieles getan. Was jetzt noch fehlt, ist eine Stärkung der interna­tionalen Zusammenarbeit. Dabei geht es um die Setzung von Standards ebenso wie um die Expansion auf ausländische Märkte. Immerhin: Im April haben Japan und Deutschland in einem Memorand­um of Understanding eine engere Zusam­menarbeit im Bereich Industrie 4.0 be­schlossen. Global agierende Konzerne wie Mitsubishi Electric und Siemens ar­beiten daran, ihre jeweiligen Standards miteinander kompatibel zu machen. Und Nippons Großunternehmen blicken ver­mehrt ins Ausland, wenn es um Investiti­onen in IoT­Technologien geht. Diese größere Offenheit bedeutet wachsende Chancen – nicht nur für Japans Wirt­schaft, sondern auch für deutsche Unter­nehmen, die starke Partner in Fernost suchen.

renommierten University of Tokyo. Dies führt zu einem mangelnden Interesse vie­ler Firmen, ihre Daten optimal zu verwen­den: "Selbst wenn Daten erfasst und ge­sammelt werden, nutzt man sie nicht dazu, um auf ihrer Basis Entscheidungen zu treffen."

SCHULTERSCHLUSS MIT DEUTSCHLANDObwohl Nippons Firmen traditionell gro­ßen Wert auf die Interaktion mit ihren Kunden legen, sei die Nutzung von Social Media oder KI noch unzureichend. Durch den Einsatz technischer Mittel könnten Nippons Firmen nicht nur die Bedürfnis­se und Wünsche ihrer Kunden besser ver­stehen, sondern auch ihre Kosten sen­ken, ist Sakata überzeugt. Mit AI ließen sich beispielsweise Persönlichkeitsprofile erstellen, die zeigten, welcher Mitarbeiter für ein Verkaufsgespräch mit einem Kun­den am besten geeignet sei. "Das wäre sehr zeitsparend und effizienzfördernd", so Sakata.

Doch die Nutzung persönlicher Daten ist in Japan umstritten und ihre Schutz oft unzureichend, wie zahlreiche Skandale be­legen. Damit Big Data dennoch nutzbar wird, richtet die Regierung Plattformen wie "Resas" ein: Sie fasst Datenbanken von Mobilfunkanbietern, Verkehrsunterneh­men und Behörden zusammen und macht sie jedermann zugänglich. "Es gibt zum Beispiel einen Hausfrauen­Blog, der an­

Electric liegt bei der Fabrikation. Um die Daten digital zu erfassen, zu filtern, zu analysieren, in ein IT- System einzuspeisen und die Ergebnisse in Echtzeit für die Steuerung des Produktions- prozesses zu verwenden, benötigen wir eine Allianz von Experten.Wer sind Ihre Kunden? Sie kommen aus den verschiedensten Bereichen.

Seit Gründung der e-F@ctory Alliance vor 13 Jahren haben wir weltweit rund 7.000 Projekte abge- schlossen. Ein Beispiel ist die Digitalisierung einer Halb- leiter-Fabrik von Intel in Malaysia, die etwa durch bessere Prozesse jährlich neun Millionen US-Dollar spart.Wo sehen Sie Unterschiede zu Deutschland?

Unsere Herangehensweise ist anders. In Japan bauen wir auf vorhandenen Lö - sungen auf, während man in Deutschland eine "ultimativ smarte" Vision verfolgt. Die Ergebnisse ähneln sich jedoch bisher. Es gibt noch nirgendwo eine Fabrik, die vollkommen "smart" ist. Stattdessen sehen wir viele kleine Schritte in diese Richtung.

1. ZIELGRUPPE UND BRAND VISION:Ein gutes Produkt garantiert keinen Geschäftserfolg. Unternehmen müssen verstehen, welchen Zusatznutzen sich ihre Kunden wünschen und sich danach ausrichten.2. PRÄSENZ UND ACHTSAMKEIT:Die Interaktion mit dem Kunden dient nicht nur Vertriebszwecken. Sie hilft, den Kunden vom Produkt und dessen Nutzen zu überzeugen sowie geänderte Bedürfnisse vorherzusehen. 3. KOSTEN RUNTER, NUTZEN RAUF:Kleinere und leichtere Komponenten und Module verbessern die Effizienz. Kooperationen mit innovativen Zulieferern sind dafür essentiell.4. LIEFERZEITEN VERKÜRZEN:Wer seinen Vorrat an flexibel verwendbaren Zwischenprodukten aufstockt, kann mehr Produkte und Dienstleistungen schneller bereitstellen.5. OPTIMALER LIEFERZEITPUNKT:Um die Kosten der Vorratshaltung zu begrenzen, sollten Unter­ nehmen eine für sie und die Kunden optimale Zeitspanne für die Lieferung festlegen.6. ZUSÄTZLICHE EINNAHMEN:Eine umfassende Beratung der Kunden zu Nutzung, Überlassung oder Entsorgung des Produkts ermöglicht Umsatzsteigerungen.7. GEWINNE REINVESTIEREN:Unternehmen sollten Gelder bereitstellen, um Zusatznutzen für die Kunden zu schaffen. Zudem ermöglichen Invest ­ ments in künstliche Intelligenz Produktivitätssteigerungen.

Aus der Sicht des KundenIn Japan ist der Kunde nicht "König", sondern "Gott". Unternehmen sollten immer dessen Perspektive einnehmen.

Kontakt: [email protected]

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COO WorkshopDenkanstöße: einschlägiges Wissen und

Studien von Roland Berger

2,4 Milliarden

1,5 Milliarden

3,3 Milliarden

6,0 Milliarden

0,7 Milliarden

0,9 Milliarden

1,2 Milliarden

französischer Markt

italienischer Markt

deutscher Markt

weitere Märkte

spanischer Markt

polnischer Markt

britischer Markt

Milliarden Euro des jährlichen Gesamtmarktvolumens ent-

fallen auf die Fahrzeuginstand-haltung in Europa

16

AUF DER DIGITALEN SPUREin großer Teil der Kosten von Eisenbahnunter-nehmen entfällt auf die Wartung. Was wird die Digitalisierung in diesem Bereich mit einem Geschäftsvolumen von 16 Milliarden Euro jährlich in Europa verändern? Wir haben mit Führungskräften aus der Eisenbahnbranche gesprochen. Wir schlagen sechs Hebel vor, um die Dienstleistungen weiter in Richtung einer digitalen Instandhaltung 4.0 voranzutreiben: Daten teilen, in Sensoren investieren, Gesamt-bild prüfen, externen Experten vertrauen, innovative Methoden verwenden und eigene Kompetenz verbessern.

ÜBERNAHMEKARUSSELL DREHT SICH SCHNELLER

Viel Wind um M&A. Die Konsolidierung unter Automobilzulieferern wird durch die Notwendigkeit angeheizt, Kompetenzen im Bereich Technologie, Material und Prozesse zu entwickeln. Eine Studie von Roland Berger zeigt, dass viele Komponenten für den Ver-brennungsmotor und rein mechanische Antriebe bald an Bedeutung verlieren wer-den – der aktuelle Umsatz wird dadurch um sage und schreibe 40% zurückgehen. Sie werden durch Komponenten ersetzt, die für alternative Antriebe, Elektronikteile für die Vernetzung, Fahrerassistenzsysteme für automatisiertes Fahren und neue leichte Materialien benötigt werden. Unser Magazin ACC Insights analysiert die dringendsten Herausforderungen für Zulieferer.

ihres aktuellen Umsatzes werden Automobilzulieferer voraussichtlich durch technologische Veränderungen einbüßen.

INDUSTRIE 4.0 AUF "ARTE"

Der Einfluss von Industrie 4.0 wird überall in der Wirtschaft spürbar. Seien Sie Teil dieser Revolution, schulen Sie Ihre Mitarbeiter und digitalisieren Sie die Produktion. Andernfalls laufen Sie Gefahr, den Anschluss zu verlie-ren, so Thomas Rinn, Partner bei Roland Berger in einem ausführlichen Film für den französisch-deutschen Fernsehsender ARTE. Besonders KMUs fehlt noch die erforderliche Dynamik. Sein französischer Partnerkollege Max Blanchet räumt ein, dass viele Unternehmer noch zögern, weil sie das Konzept der Industrie 4.0 mit Auto-matisierung verwechseln. Rinn, Blanchet und andere Experten von Roland Berger zeigen in dieser anregenden Fernsehdoku-mentation, welche beachtlichen Möglichkei-ten sich mit Industrie 4.0 eröffnen.

40 %http://rbsc.eu/2agr378

http://rb.digital/2fawkRwhttp://rbsc.eu/1QLYfzg

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45COO-Workshop

COO Insights 1 | 2016

Positionierung EVU

Marktstruktur

Digitalisierungsindex Polen

Unternehmen mit der laut Selbsteinschätzung größten digitalen Reife haben bei den Finanzer-gebnissen die Nase vorn. In Polen verzeichne-ten sie 2015 die höchste durchschnittliche EBIT-Marge von zehn Prozent – bei durch-schnittlichen Betriebseinnahmen von zwei Milliarden Zloty (knapp 470 Mio. Euro). Die am wenigsten digitalisierten Unternehmen kamen auf eine EBIT-Marge von nur sechs Prozent bei einem durchschnittlichen Umsatz von 26 Milli-arden Zloty (sechs Milliarden Euro). Der aktuel-le Roland Berger Digital Index deutet darauf hin, dass Polen sich auf die digitale Transfor-mation der Produktion und die Weiterentwick-lung der fachlichen Qualifikation der Arbeits-kräfte konzentrieren sollte, um seinen Wettbewerbsvorsprung auszubauen. Polen ist damit schon weiter als Tschechien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien.

Showdown im Energiesektor

Die Trends Digitalisierung, Dezentralisierung und Technologiekonvergenz bedrohen traditionelle Energiemärkte. Das bedeutet für Produzenten und Händler schrumpfende Märkte und Margen. Zu-dem entstehen neue Produkte und Akteure, die das klassische Geschäft weiter infrage stellen. Die Transformation der Energielandschaft wird weiter beschleunigt, nationale Grenzen halten diese Entwicklung nicht auf. Dem lässt sich nur strikt unternehmerisch begegnen: mutig und flexibel. Die Leadership-, Nischen- oder Harvest-Strategie eignet sich ebenso wie schnelle Desinvestitionen, um den Wert des Unternehmens zu steigern und sich auf einen weiteren Wettlauf in naher (!) Zu-kunft vorzubereiten. Nur wenn Energieunterneh-men neue Geschäfte entwickeln, werden sie im Wettbewerb bestehen können.

Leadership- oder Nischen-Strategie

Nischen- oder Harvest-Strategie

Schnelle Desinvestitionen

Harvest-Strategie oder schnelle

Desinvestitionen

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Marktstruktur ungünstig Marktstruktur günstig

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Selbstbeurteilung zur Digitalisierung

Durchschnittliches Betriebseinkommen

10%EBIT-Marge

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Durchschnittliche EBIT-Marge

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46 Letzte Antwort

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Im Jahr 2020 werden voraussichtlich 50 Milliarden Dinge und vier Mil-liarden Menschen im Internet vernetzt sein. Die Services für uns Men-schen, aber auch Autos, Haushaltsgeräte oder Maschinen sind unge-zählt, darunter neue Formen des Wirtschaftens, wie die Shared Economy (nutzen statt kaufen und besitzen) oder Prosumer-Modelle, bei denen Konsumenten in die Wertschöpfung integriert werden. Kern dieser Entwicklung sind neue Systemarchitekturen, die Cyber-Physi-schen Systeme (CPS) – einer der meist diskutierten, aber häufig miss-verstandenen Begriffe der vierten industriellen Revolution. Der physische Teil eines CPS besteht aus einer Mensch-Maschi-ne-Schnittstelle, die durch Sprach- und Gestensteuerung oder augmen-tierte Realität neue Formen der Interaktion ermöglicht. Sensoren helfen, ein möglichst umfassendes digitales Abbild des Nutzerverhaltens zu erzeugen. Der Cyber-Teil besteht aus einer Plattform, auf der die Daten der CPS verarbeitet werden – etwa korreliert mit weiteren Daten (zum Beispiel aus sozialen Netzwerken), sodass daraus neue Services für Nut-zer, aber auch für die CPS entstehen. Die wirklich intelligenten Funktio-nen liegen somit auf der Plattform und sind nicht mehr an das physische System gebunden. Diese revolutionäre Architektur ermöglicht völlig neue Wertschöpfungssysteme. Wir können Kunden und ganze Entwicklungs-Communitys in die Wei-terentwicklung von Services und Produkten integrieren und so die Kom-plexitätskosten der Personalisierung, aber auch die Transaktionskosten massiv senken. Zudem können wir damit über den gesamten Lebenszy-klus Funktionen des Produkts an die Nutzerwünsche dynamisch anpas-sen und dies auch noch zu variablen Kosten (pay-per-use) abrechnen. Plattformbasierte Business-Ecosysteme lassen die Grenzen von B2B und B2C verschwimmen. Nicht mehr die Wertschöpfungskette – also der Weg vom Rohstoff bis zum Endkunden – steht im Vordergrund, son-dern die nutzerzentrierte Wertschaffung auf Plattformen mit all ihren ökonomischen Netzwerkeffekten. Es entsteht das Konzept Busi-ness-to-User (B2U), das zum Ziel hat, schnell, sämtliche Bedürfnisse der Endkunden zu erfüllen.

Um diese Wertschaffungssysteme zu etablieren, sollten Unternehmen strategische sowie lose Kooperationen mit vielen Partnern eingehen, zum Beispiel aus der Internet-Ökonomie oder sogar mit ihren Wettbe-werbern. Die Plattformen selbst müssen offen und attraktiv sein, damit sich Partner schnell anschließen. Offenheit, Veränderungsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit entwickeln sich zu zentralen Erfolgsfaktoren. Dabei entstehen neue Geschäftsmodelle rund um den Zugang und die Verwertung von Nutzerdaten. Hier ist eine beachtliche Verschiebung der Kernkompetenzen sowie des Leistungsangebots in Richtung IT und Big Data wahrscheinlich. US-Konzerne wie Google oder Amazon versuchen bereits heute, ihre dominante Position im Internet der Menschen mit dem Fokus auf Ser-vices in den Consumer-Märkten auf das Internet der Dinge und damit auf die Industriemärkte zu übertragen. Asien wird den Schritt zur kos-tengünstigen Automatisierung schnell schaffen und die dritte industri-elle Revolution quasi überspringen. Europa, insbesondere Deutschland, wird mit Industrie 4.0 die eigene Wertschöpfung absichern und ausbau-en können.Entscheidend für den Kundennutzen ist die Verfügbarkeit aller Services über eine einzige Plattform, da der Kunde kein Interesse daran hat, sich in mehreren Plattformen für die jeweiligen Aufgaben anzumelden und seine Daten an verschiedenen Stellen abzulegen.Die Karten der Wertschöpfung werden in den nächsten fünf Jahren neu gemischt. Ort und Art der Leistungserbringung werden sich ändern und alle Wirtschaftsräume müssen hier ihre Hausaufgaben machen.

Warum die neue industrielle Revolution uns alle angeht

von Thomas Bauernhansl

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl leitet seit 2011 das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA sowie das Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart.

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DesignBlasius Thätter (Art Director), Axel Springer SE Corporate Solutions (Design)

DruckGiro Druck, Hamburg

Auflage3,500

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HinweisDie im Magazin enthaltenen Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Heraus- gebers wieder. Haben Sie Fragen an das Redaktionsteam? Interessieren Sie sich für Studien von Roland Berger? Schreiben Sie an: [email protected]

Veröffentlicht im November 2016

In einer volatilen, dynamischen Welt ist es für Organisationen praktisch unmöglich, die digitale Transformation intern zu meistern. Die dafür erforderlichen Fähigkeiten finden sich selten unter einem Dach. Vielmehr stammen sie aus verschiedenen Disziplinen.

Terra Numerata™ bündelt diese Fähigkeiten, die über Kontinente verstreut liegen, und verbindet die Punkte des fragmentierten digi-talen Unternehmensumfelds. Das digitale Netzwerk zielt darauf ab, Europa mit den High-Tech-Hubs in Palo Alto, Shenzhen und Shang-hai zu verbinden. Zusammen mit dem internationalen Expertennetzwerk von Roland Berger und unserer umfassenden Kenntnis der Märkte vereint Terra Numerata™ das Beste aus den verschiedenen Welten: Branchen-

und funktionale Kompetenz sowie Verbindung mit Digital Communities. Das Netzwerk ist offen für die Kooperation und Mitgestaltung zwischen Partnern. Im Mittelpunkt steht die Verwirklichung der digitalen Transformation.

In Berlin haben wir eine Kooperation mit Visa Europe: Im SPIELFELD Digital Innova-tion Hub lernt jeder von jedem. Im Mittelpunkt stehen dabei Agilität und der Hunger nach Neuem.

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In Paris arbeitet Roland Berger mit NUMA, einem Startup-Inkubator und -Accele-rator zusammen. Wir bieten Digital Labs und Prototypentwicklung an, außerdem helfen wir, innovative Startups zu lancieren.

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