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Impressumisw-report 53, Dezember 2002Publikationsreihe report: ISSN 1614-9289Herausgeber: isw – institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung e.V.80639 München, Johann-von-Werth-Str. 3, Tel. 089/130041 Fax: 168 94 15email: [email protected], http://www.isw-muenchen.deKonto: Sparda Bank München, Konto-Nr. 98 34 20 (BLZ 700 905 00)IBAN: DE49 7009 0500 0000 9834 20, Swift-Code: GENODEF1S04Redaktion: Franz Garnreiter, Sonja Schmidverantwortlich im Sinne des Presserechts: Fred SchmidLayout: Monika Ziehausgrafiken/karikaturen: Franz Garnreiter, Bernd Bücking, Monika ZiehausRedaktionsschluss: 14. November 2002Eigendruck im Selbstverlag Schutzgebühr: 3,50 EUR

Inhalt

Erklärung von Porto Alegre zum Wasser .................................................................................. 1I. Wasserverfügbarkeit, Wasserverbrauch, Wasserwirtschaft

1. Weltweiter Überfluß und Knappheit von Wasser ............................................................... 31.1 Wasservorräte und Wassernutzung ........................................................................... 31.2 Der Trinkwasserzugang als soziales Problem ............................................................ 5

2. Struktur der Wasserwirtschaft in Deutschland .................................................................. 62.1 Wasserverbrauch ........................................................................................................ 62.2 Branchengröße und Branchencharakteristika ............................................................ 82.3 Unternehmensstruktur in der deutschen Wasserversorgung ..................................... 82.4 Wasserversorgung in anderen Ländern ..................................................................... 9

II. Politische Ökonomie der Deregulierung und Privatisierung3. Der Hintergrund der Marktöffnung in der Wasserwirtschaft ........................................... 10

3.1 Umverteilung schafft anlagesuchendes freies Kapital .............................................. 103.2 Neue Anlagefelder für Kapitalüberschüsse: Privatisierung ...................................... 123.3 Neue Anlagefelder für Kapitalüberschüsse: Auslandsinvestitionen ......................... 133.4 Der Privatisierungstreibsatz: kommunale Verschuldung und Sparzwang ............... 15

4. Herausbildung der Global Players in der Wasserwirtschaft ........................................... 18

III. Perspektiven und Erwartungen5. Folgen und Konsequenzen der Marktöffnung in der Wasserwirtschaft .......................... 19

5.1 Privatisierungserfahrungen in Frankreich und in England ........................................ 195.2 Effizienzgewinne – das Hauptargument der Privatisierer und Deregulierer ............. 235.3 Perspektiven für Deutschland ................................................................................... 255.4 Perspektiven für Entwicklungsländer ........................................................................ 30

6. Wasserknappheit als Ursache von Konflikten und Kriegsgefahren ............................... 336.1 Gründe für Konflikte .................................................................................................. 346.2 Beispiele größerer Konflikte ...................................................................................... 346.3 Privatisierung und Widerstand .................................................................................. 36

10 Punkte von ver.di zur Privatisierung der Wasserwirtschaft ................................................ 38

Seite 14: GATS – ein Vertrag für die Offensive der KonzerneSeite 17: Cross Border Leasing – ein Finanzierungs-MehrzweckinstrumentSeite 18: RWE und EON – Hintergründe zum Verständnis der Wassermarkt-AmbitionenSeite 32: Privatisierung der Wasserversorgung in La PazFußnoten und Quellenverzeichnis: Seite 36

Die AutorInnen: Franz Garnreiter Kapitel 1 – 5 / Sonja Schmid Kapitel 6

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In Porto Alegre versammelte sich Anfang Februar 2002 zum zweiten Mal in Folge die globale Opposition – mitzahlreichen Themen, Facetten, Zielsetzungen und Aktionsformen. Über 70.000 Menschen aus 150 Ländern nah-men am Weltsozialforum 2002 teil. Die gemeinsame Klammer: Opposition gegen die zerstörischen Auswirkungendes Neoliberalismus in Wirtschaft und Gesellschaft.

Erklärung von Porto Alegre zum Wasser

Uns einen folgende gemeinsame Grundsätze, Überzeugungen und Werte:

1.Dass das Süßwasser der Erde allen auf ihr lebendenArten gehört und deshalb nicht als eine Ware behan-delt werden darf, die gekauft oder veräußert oder mitder wie mit einem Wirtschaftsgut Handel betriebenwerden darf. Die Menschengemeinden vor Ort tragendie vorrangige Verantwortung dafür, dass Wasser alsgemeinsames Erbe behandelt wird.2.Dass Wasser ein grundlegendes Menschenrecht undein Recht aller Spezies ist. Es muss von den öffentlichenBehörden und Institutionen durch nationales und inter-nationales Recht geschützt werden. Das Menschen-recht auf Wasser in zum Leben ausreichender Quanti-tät und Qualität (40 – 50 Liter am Tag je Person für denhäuslichen Gebrauch) ist ein individuelles und kollekti-ves unveräußerliches Recht, das keiner Einschränkunggesellschaftlicher (Geschlecht, Alter, Einkommen), poli-tischer, religiöser oder finanzieller Art unterworfenwerden kann. Die Kosten, dieses Recht für alle zu be-friedigen, müssen von der Gemeinschaft aufgebrachtwerden.3.Wasser ist eine natürliche Ressource, die in nachhalti-ger Weise zum allgemeinen Wohl unserer Gesellschaf-ten und der natürlichen Umwelt verwendet werdenmuss. Die heutige Politik des Baus großer Staudämmemuss in Übereinstimmung mit den Empfehlungen derInternationalen UNO-Kommission über große Stau-dämme gründlich revidiert werden.4.Wasser ist wesentlich für die Sicherung unserer Ge-meinschaften und Gesellschaften. Aus diesem Grundgehören Besitz, Kontrolle, Verteilung und Verwaltungvon Wasser in die Hände der Öffentlichkeit.5.Der öffentliche Sektor ist per Gesetz und Verfassungvorgesehen und beauftragt, das öffentliche Interessezu vertreten. Der private Sektor kann nicht mit denInteressen der Öffentlichkeit betraut werden.

6.Die Bürgerinnen und Bürger müssen bei der Gestaltungder öffentlichen Politik im Zentrum der Entscheidungs-prozesse stehen, die ihr Leben so fundamental beein-flussen wie die Kontrolle über das Wasser auf "lokaler",internationaler und globaler Ebene.7.Die Verwaltung des Wassers muss dem Grundsatz dersozialen Gleichbehandlung in Bezug auf Geschlecht,öffentliche Gesundheit und Umwelt verpflichtet sein.

8.Anders als die Weltbank, der Weltwasserrat und dieGlobale Wasserpartnerschaft sind wir nicht der Auffas-sung, dass das "französische Modell" der Privatisierung,das auf langfristigen Konzessionsverträgen basiert,eine gute Lösung für eine gerechte, nachhaltige unddemokratische Kontrolle und Verwaltung des Wassersim öffentlichen Interesse ist.

Geeint durch die oben formulierten Grundsätze, Über-zeugungen und Werte verpflichten wir uns zur Bildungund Förderung der "Weltkoalition von Bürgerorganisa-tionen zur Bekämpfung der Privatisierung und desHandels mit Wasser". Das Hauptziel der Koalition be-steht in der Stärkung der Zusammenarbeit unter denGründungsmitgliedern.

Unterzeichner: Association française pour le Contrat Mondialde l’Eau; Association québécoise pour le Contrat Mondial del’Eau; Attac Frankreich; Attac Italien; CEVI - Italienische Was-serkampagne; Comitato italiano per il Contratto Mondialedell’Acqua; Council of Canadians; Federación FuncionariosOSE (Uruguay); Fondação Agua Viva Florianópolis (Brasilien);Fondation pour le Progrès de l’Homme (Frankreich); ForoBoliviano Medio Ambiente; IEDECA (Ecuador); MAB (Brasili-en); PIPAL TREE (Indien); PSIRU (Großbritannien) u.a.

Zweites Weltsozialforum von Porto AlegreBrasilien, Februar 2002

isw-report Nr. 53 1

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Wasser ist neben Luft der einzige Stoff, dessen Bedarf fürden Menschen durch keinen anderen Stoff ersetzt wer-den kann. Wasser hat daher – so unproblematisch seineVerfügbarkeit im Alltag bei uns empfunden wird – einenzentralen Stellenwert im Leben der Menschen.

Das ist der Kern der Gebrauchswertseite der Ware Was-ser. Gebrauchswerte haben in einer kapitalistischen Ge-sellschaft bekanntlich immer Warencharakter. Auch derWare Wasser (das dem Verbraucher zur Verfügung ge-stellte Wasser) kommt daher ein Wert bzw. ein Tausch-wert zu – Wasser kann produziert (d.h. gefördert undverteilt) und verkauft werden, sein Tauschwert kann inGeld zurück verwandelt werden.

Anders als bei den meisten anderen Waren blieb derWarencharakter des Wassers bislang im Hintergrund –ebenso wie beispielsweise bei Postdiensten, beim Schie-nenverkehr, bei Bildungs- und Gesundheitsleistungen.Derartige Güter und Dienstleistungen wurden als not-wendig zur Deckung von Grundbedürfnissen der Bevöl-kerung eingeschätzt und – um die Versorgung kontinu-ierlich und zuverlässig zu gewährleisten – aus demMarktmechanismus herausgenommen und vom Staatbereit gestellt. Darin dokumentiert sich ein tiefes Miss-trauen gegenüber der sonst so vehement vertretenenPosition, der Marktmechanismus würde jederzeit undüberall alles zum Besten richten. Für diese Bereitstellungvon Gütern zur Deckung der Grundbedürfnisse wurdeder Begriff der Daseinsvorsorge geprägt; die kommuna-le Daseinsvorsorge ist ein Grundgedanke des kommu-nalen Selbstverständnisses.

Seit einiger Zeit, sehr deutlich seit vielleicht einem Jahr-zehnt, erfährt dieses bisher langfristig stabile Nebenein-ander von Markt bei "normalen" Gütern und staatlichorganisierter Bedarfsdeckung bei Grundbedürfnissen beiuns und auch in anderen Ländern massive Verände-rungsimpulse, und zwar in zweifacher Hinsicht:

● Nicht mehr der Staat soll diese Güter bereitstellen,sondern private Unternehmen (Privatisierung, Entstaat-lichung).

● Die Bereitstellung dieser Güter soll nicht mehr als ge-lenkte Vorsorge oder Versorgung geschehen, sondernsie soll dem Marktmechanismus unterworfen werden,also allein nach den Kriterien der Profitproduktion und-realisierung funktionieren (Deregulierung, Liberalisie-rung, Kommerzialisierung).

Darin äußert sich eine massive Offensive des kapitalis-tischen Gesellschaftssystems. Die Ausdehnung auf Be-reiche, die dem Profitprinzip bisher noch kaum direktunterworfen waren, geht parallel mit der Offensive derkapitalistischen Ideologie in Gestalt des Neoliberalismus.

Im vorliegenden isw-report wollen wir diese Entwicklun-gen und ihre Hintergründe anhand des zentralen Lebens-mittels Wasser untersuchen. Der report gliedert sich indrei Hauptteile.

Der erste Teil soll einen Überblick über das ElementWasser und die Wasserwirtschaft geben. Er umreißtdie weltweite Verteilung der Wasserverfügbarkeit undder Wassernachfrage, die Wasserversorgung als sozialesProblem. Strukturgrößen wie der Wasserverbrauch undKennwerte für die deutsche Wasserwirtschaft rundenden Überblick ab.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit den Hintergründender aktuellen Bestrebungen nach Deregulierung undPrivatisierung von bislang geschützten Wirtschaftsberei-chen – was ja nicht nur die Wasserwirtschaft betrifft. Eswird der Bogen gespannt von der laufenden Umvertei-lung von Einkommen und Vermögen über die darausresultierende Wirtschaftsschwäche (Nachfrageausfall) biszu den Anstrengungen, ausreichende Verwertungsmög-lichkeiten für die angesammelten überschüssigen Kapita-lien zu finden. Hierfür bietet sich gerade aufgrund desSparzwanges der Kommunen die Privatisierung der Ein-richtungen zur Daseinsvorsorge an, also eben auch dieWasserwirtschaft.

Im dritten Teil diskutieren wir die Perspektiven einerderegulierten und privatisierten Wasserwirtschaft.Nach einem Überblick über die Erfahrungen in Frankreichund in England, wo die Wasserwirtschaft privatisiert ist,wird das zentrale Versprechen der Privatisierer analysiert,eine Privatisierung würde Produktivitätsgewinne undniedrigere Kosten mit sich bringen. Davon ist nichts zuerwarten, dagegen um so mehr Risiken für die Umweltund Gesundheit sowie eine weitere Umverteilung zulas-ten der Beschäftigten. Auf der internationalen Ebenewird unter der herrschenden Art der Globalisierung fürdie Armen keine Besserung resultieren. Die Weiterent-wicklung der gegebenen Verhältnisse wird im Gegenteildie Wasserknappheit, die Probleme der Umweltflüchtlin-ge und auch die Kriegsgefahren angesichts knapper wer-dender Wasserressourcen verschärfen.

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Kapitel I.

Wasserverfügbarkeit, Wasser-verbrauch, Wasserwirtschaft

1. Weltweiter Überfluss und Knappheit von Wasser

1.1 Wasservorräte und Wassernutzung

Weltweite WasserressourcenWasser ist in ungeheuren Mengen auf dem Erdball vor-handen: nämlich 1,4 Milliarden km3; das entspricht einerKugel mit 1.400 km Durchmesser (1 km3 = 1 Mrd. m3;1 m3 = 1.000 Liter). Allerdings liegt fast alles Wasser(97,5 %) als Salzwasser in den Ozeanen und Meeren. Nur2,5 % ist Süßwasser – und davon wiederum liegen zweiDrittel nicht nutzbar fest als kilometerdicke Gletscher aufGrönland und den Polargebieten (WWC1), 20.3.1999). Esbleibt die immer noch unvorstellbar große Menge vonetwa 10 Mio. km3 übrig. Diese Wassermenge wiederumbesteht größtenteils aus Grundwasser und Luftfeuchtig-keit, nur ein winziger Teil ist Oberflächenwasser in Seenund Flüssen. Beim Grundwasser unterscheidet man dasoberflächennahe, sich in Wochen regenerierende, unddas sehr viel umfangreichere tiefe Grundwasser. Diesesletztere wird als fossiles Wasser bezeichnet, da es, ähn-lich wie bei Öl und Gas, Jahrzehntausende oder gar Jahr-millionen dauerte, bis diese Lagerstätten voll sickerten.Die weltweit jährlichen Regenmengen über bewohntenLandgebieten kann man auf eine Größenordnung von100.000 km3 schätzen. Ein Teil dieser Regenmenge wirdvon den Pflanzen aufgenommen oder verdunstet am Bo-den, der andere Teil fließt als (oberflächennahes) Grund-wasser und als Oberflächenwasser zusammen. Dieserletztere Teil wird auf 40.000 km3 beziffert (Fischer,2000), und nur diese laufend sich erneuernde Wasser-menge darf in einer ökologisch nachhaltig geführtenWirtschaft genutzt werden. Sie entspricht etwa 7000 m3

pro Person pro Jahr weltweit, also etwa 20.000 Liter proPerson pro Tag.Wasservorräte und Regenwasser sind geografischund jahreszeitlich äußerst ungleich verteilt: Extremwasserreiche Regionen sind das Amazonas- und das Kon-gobecken sowie die Nordregionen Kanada und Sibirien.Diese sehr bevölkerungsarmen Gegenden umfassen inetwa die Hälfte der Weltwasservorräte. Dem gegenüberstehen teilweise bevölkerungsreiche und gleichzeitigwasserarme Gegenden, vor allem Nordchina, Nordafrika,der Mittlere Westen in Nordamerika. Weiterhin verdecktin vielen Gebieten der Jahresdurchschnittswert die pro-blematische jahreszeitliche Regenverteilung. Insbeson-dere das bevölkerungsreiche Südasien (Indien) und Süd-ostasien sind durch krasse jahreszeitliche Unterschiedebeim Regenfall charakterisiert: Monsunregen mit kata-strophalen Überschwemmungen wechseln sich mit Dür-rezeiten ab.Von Wasserknappheit spricht man bei einer jährlichenregionalen Verfügbarkeit von weniger als 1.700 m3 proKopf (also einem Viertel des heutigen Welt-Durch-

schnitts), von Wassermangel bei weniger als 1.000 m3

pro Kopf. Heute gelten vor allem die Länder um die Wüs-tengebiete Sahara bis Arabien als Wassermangelgebiete.Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung ist absehbar,dass in den nächsten Jahrzehnten die Wassermangellagedrastisch zunehmen wird.

Bild 1 vermittelt einen Eindruck von den krassen Unter-schieden bezüglich der Verteilung der verfügbaren er-neuerbaren Welt-Wasserressourcen auf die Weltbevölke-rung. Bei diesen Daten handelt es sich um Jahresdurch-schnitte und Landesdurchschnitte. Die jahreszeitliche Re-genverteilung und die landesinterne soziale Verteilungdes Wasserzugangs findet hier also keine Berücksichti-gung. Unter den Wasserressourcen werden die erneuer-baren Süßwassermengen verstanden: die jährliche Fluss-wassermenge incl. aus anderen Ländern zufließendeFlüsse plus jährliche Grundwasser-Wiederauffüllung.Bild 1 visualisiert, dass das wasserärmste Viertel derWeltbevölkerung (also das mit den geringsten Pro-Kopf-Reserven an Wasser) heute in Gebieten lebt, in denen nurrund 5 % der Süßwasserreserven vorkommen. Auch dasnächste Viertel der Weltbevölkerung lebt unter ähnlichenBedingungen, so dass sich die wasserärmere Hälfte derWeltbevölkerung mit 12 % der Welt-Wasserressourcenbegnügen muss.Am anderen Ende der Skala lebt das Zehntel der Weltbe-völkerung mit den höchsten Pro-Kopf-Reserven in Gebie-ten, in denen mehr als die Hälfte des gesamten nachhal-

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tig nutzbaren Welt-Süßwassers abfließt. Rund drei Viertelder Weltbevölkerung wird nur unterdurchschnittlich, einViertel dagegen in überdurchschnittlichem Ausmaß vonder Natur mit Wasser versorgt.Die Konzentration der Wasserressourcen auf die Bevölke-rung, also das Auseinanderfallen von bevölkerungsrei-chen, aber wasserarmen und bevölkerungsarmen aberwasserreichen Weltregionen ist heute schon extrem. DieBevölkerungsentwicklung in den kommenden 50 Jahren(hier in Bild 1 entsprechend der UNO-Bevölkerungspro-jektion, mittlere Variante, dargestellt) wird an dieserKonzentration nichts zum Positiven wenden, im Gegen-teil: Nach der UNO-Projektion steigt die Weltbevölkerungbis 2050 um 53 Prozent, was für sich schon eine drasti-sche Reduzierung der Pro-Kopf-Wasserressourcen imWeltdurchschnitt mit sich bringt. Wie Bild 1 verdeutlicht,wird sich die Konzentration der Wasserressourcen ver-schärfen: Vor allem in den sehr wasserarmen Ländernwird das Bevölkerungswachstum über dem Weltdurch-schnitt liegen. Als Folge werden beispielsweise den was-serärmsten 40 Prozent der Weltbevölkerung im Jahre2050 nur noch 7 % der Welt-Wasserreserven zur Verfü-gung stehen statt heute noch 9 %.Hinter diesen Prozentzahlen verbergen sich dramatischeEntwicklungen. Für diese 40 % wasserärmste Bevölke-rung wird sich nämlich der heutige Bestand an Wasser-ressourcen (immer im Gesamtdurchschnitt gerechnet,also ohne Berücksichtigung der inneren sozialen Vertei-lung!) in Höhe von heute 1.800 m3 pro Kopf auf 920 m3

pro Kopf im Jahr 2050 halbieren. 3,5 Milliarden Men-schen werden dann – im Durchschnitt – unterhalb derWassermangelgrenze von 1.000 m3 pro Kopf und Jahrihr Dasein fristen müssen. In diesen Wasservorräten miteingerechnet sind die Zuflüsse aus anderen Ländern, bei-spielsweise das Nilwasser aus Sudan/Äthiopien für Ägyp-ten. Es gehört nicht viel Vorstellungskraft dazu, sich dieKonfliktpotenziale um diese spärlichen Wasserflüsse vor-zustellen (siehe Kapitel 6).Indien gehört nicht zu den extremsten wasserarmen Re-gionen. Immerhin 12 % der Weltbevölkerung leben heu-te in wasserärmeren Gegenden als der Durchschnitts-In-der (in 2050 aufgrund des relativ moderaten Bevölke-

rungswachstums in Indien sogar 22 %). Dennoch werdenauch am Beispiel Indiens die bedrückenden Perspektivendeutlich, zu denen die mögliche Bevölkerungsentwick-lung führen kann. Indien (siehe Bild 2) wird in Kürze denZustand dauerhafter Wasserknappheit erreichen, in demes im günstigsten Fall (!) viele Jahrzehnte verharren wird,bis es die Bevölkerungszunahme kontrollieren und zu-rücknehmen kann. Im ungünstigsten Fall wird die indi-sche Bevölkerung im absoluten Wassermangel versinken.

Weltweiter Wasserbedarf

Der Weltwasserbedarf stößt heute schon regional andie Grenzen der Verfügbarkeit: Die globale Wasserent-nahme liegt heute bei 3.800 km3 pro Jahr, also bei (nur)etwa einem Zehntel des genannten, sich laufend regene-rierenden, nachhaltig verfügbaren Frischwassers von40.000 km3. Vor hundert Jahren lag der Bedarf noch bei600 km3; er verdoppelte sich in der ersten Hälfte undverdreifachte sich nochmals in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts. Für die kommenden 50 Jahre wird eineweitere Verdoppelung erwartet, je zur Hälfte bedingtdurch den Bevölkerungszuwachs und durch einen zu-sätzlichen Bedarf pro Kopf. Während in den wasserrei-chen Regionen nur ein winziger Bruchteil des Angebotesgenutzt wird, werden in den trockenen und halbtrocke-nen Gebieten der Erde heute schon 80 % und mehr desspärlichen Wasserangebotes genutzt.

Der weltweit wichtigste Wasserverbraucher ist dieLandwirtschaft. Weltweit teilt sich der Wasserverbrauchderzeit auf in 70 % für die Landwirtschaft (für Bewässe-rung), 20 % für die Industrie (v.a. für die Restwärmeküh-lung in Kraftwerken) und 10 % geht zur Trinkwasserauf-bereitung in die Wasserwerke. In den Entwicklungslän-dern ist der Wasserverbrauch für industrielle Zweckeniedrig; erst recht der Prokopf-Verbrauch in Trinkwasser-qualität. Um so höher ist der Anteil des Bewässerungsbe-darfs, nämlich mehr als 80 % des Gesamtverbrauchs. Inden großen Ländern Indien und China (bewässerungsin-tensiver Reisanbau) gehen sogar 93 % bzw. 87 % desgesamten Wasserverbrauchs in die Bewässerung. (WWC,13.8.2001)

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Die Bewässerung hat in der Welt-Landwirtschaft einezentrale Stellung inne: Bewässerte Flächen machen nurein Sechstel der gesamten Landwirtschaftsfläche aus, sieerbringen aber 40 Prozent des weltweiten Nahrungsmit-telbedarfs. Bewässerte Flächen sind also mehr als dreimalso ertragreich wie nicht bewässerte. Es liegt daher aufder Hand, dass der Konflikt Wasserschutz–Nahrungsmit-telknappheit zukünftig an Bedeutung gewinnen wird.Stark wassersparende Bewässerungstechniken (woraufhier nicht eingegangen werden kann) existieren, aber siesind teuer. Wie immer, steht auch hinter diesem KonfliktUmweltschutz–Wohlstand das soziale Problem, die Ver-teilungsfrage, die gesellschaftlichen Produktionsverhält-nisse.

Der Wassermangel verschärft sich durch Übernut-zung und Vergiftung des Wassers: Die erste Folge deshohen Wasserbedarfs für Bewässerungszwecke in dentrockenen Gebieten war, dass die Flüsse leer gepumptwurden. Dramatische Beispiele sind der Gelbe Fluss/Ho-angho, die Zuflüsse Amudarja und Syrdarja in den Aral-see in Zentralasien, der Colorado in den USA, der Gan-ges. Besonders kritisch ist die Lage mittlerweile in Zen-tralasien hinsichtlich des Kaspischen Meeres und desAralsees (beides salzhaltige Gewässer, da sie wie Meereohne Abfluss sind). Von letzterem, dem einstmals fünft-größten See der Erde (wenn auch sehr seicht), dürften inwenigen Jahrzehnten nur noch einige kleine Restseenübrig sein. Auch das Kaspische Meer zieht sich aufgrundder Auszehrung seiner Zuflüsse beständig zurück. Übrigbleiben weite unfruchtbare Salzwüsten, ein zerstörtesLand.Da auch Süßwasser in geringem Ausmaß Salze beinhaltet(Mineralwässer werben damit), führt Bewässerung introckenen Gebieten dazu, dass das Wasser verdunstetund die Salze sich im Boden anreichern. So sind diebewässerten Flächen etwa im Südwesten der USA und inZentralasien heute salzhaltiger, als sie es vor der Aufnah-me der Bewässerung waren. Eine Zunahme des Salzge-haltes macht das Land weniger fruchtbar (nur wenigePflanzen sind salz-unempfindlich). Insbesondere in Zen-tralasien dürften katastrophale Verhältnisse herrschen:

Rückgang der nutzbaren Wasserressourcen, Bodenversal-zung aufgrund einer jahrzehntelangen Bewässerung mithohen Wasserverlusten, Verlandung der Seen mit derFolge von Salzwüsten, die sich aufgrund von regelmäßi-gen Salz-Sand-Stürmen weit ausdehnen: Das alles lässtbefürchten, dass dieses riesige Land in naher Zukunftwüstenhafter, unfruchtbarer und unwirtlicher sein wird,als es jemals vor der Aufnahme der Bewässerung war.Wenig Aufmerksamkeit ist bisher darauf verwendet wor-den, wie der Wasserbedarf für Bewässerungen verringertwerden könnte. Statt dessen ist man dazu übergegan-gen, Wasser aus immer tieferen Schichten heraufzupum-pen, also das fossile Grundwasser anzugreifen und – imunmittelbaren Sinne – zu verbrauchen. So wird in derspanischen Hauptanbauregion La Mancha um ein Drittelmehr Grundwasser für Bewässerungszwecke hochge-pumpt als neues Grundwasser wieder nachströmt(WWC, 13.8.2001). Noch erschreckender in den USA:Dort entnahm die Landwirtschaft in den Staaten desMittleren Westens in den letzten 50 Jahren dem riesigenGrundwasserbecken von Kanada bis Texas mehr Wasser,als vermutlich in den nächsten 500.000 Jahren nachströ-men wird (Wiwo 40/2000). Ähnliche Auswirkungen ha-ben großangelegte Bewässerungsprojekte in Libyen aufdas fossile Grundwasser, das seit Jahrzehntausenden un-ter der Sahara liegt. Aus Mexico-Stadt wird berichtet,dass sich aufgrund des Grundwasserraubbaus der Bodenabzusenken beginnt (Spiegel, 21/2000). Ähnlich ist dieLage in Bangkok.Die meisten Megastädte liegen in Küstennähe. Sie wei-sen einen regionalen Spitzen-Wasserbedarf auf, der auf-grund der Bevölkerungszunahme, der Migration und derIndustrialisierung noch stark wachsen wird. Soweit dieseStädte auf Tief-Grundwasser angewiesen sind, führt dieüberhand nehmende Grundwasserausbeutung in Mee-resnähe dazu, dass salzhaltiges Meerwasser in dieGrundwasser-Lagerstätten nachzuströmen beginnt. Da-mit wird dieses Grundwasser, weil sein Salzgehalt lau-fend steigt, wertlos. (WWC, 20.3.1999)Der übermäßige Wasserverbrauch, insbesondere durchBewässerung, stellt nicht die einzige Belastung für Welt-wasser und Umwelt dar. Ähnlich wichtig ist – vor allemin den armen Weltregionen – die enorme Belastung derFlüsse durch Abwässer aus Haushalten und Industrie, dienicht oder kaum geklärt eingeleitet werden. Hinzukommt die Vergiftung der Flüsse aufgrund der Rückstän-de von Düngemitteln und Pflanzenchemikalien auf denFeldern. Beispielsweise wird dem Nil 90 % seines Wassersentzogen (für Bewässerung usw.). Dafür wird er mit in-dustriellen und kommunalen Abwässern, Dreck und Gif-ten so überfrachtet, dass der Fluss in Kairo eine regel-rechte Giftbrühe ist. Oder die Wolga, in deren Einzugsbe-reich 60 Millionen Russen leben: Nur 3 % ihres Wassersist heute in einem Zustand, dass es für Trinkwasser-zwecke aufbereitet werden kann. (WWC, 29.11.1999)

1.2 Der Trinkwasserzugang als soziales Problem

Weltweit haben 1,2 bis 1,4 Milliarden Menschen (also einFünftel der Weltbevölkerung) keinen Zugang zu siche-rem, sauberem Trinkwasser; haben 2,3 Milliarden Men-schen keine angemessene sanitäre Entsorgung; sterben

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je nach Schätzung 3,5 bis 7 Millionen Menschen – v.a.Kinder – jährlich an Krankheiten, deren Entstehung oderAusbreitung durch schlechtes Wasser bewirkt oder be-günstigt wird (v.a. Durchfall/Austrocknung, Malaria,Wurmkrankheiten) (WWC, 20.3.1999). Die Wasserversor-gung der Menschen in den armen Ländern ist also –gemessen an unseren deutschen Standards – die Kata-strophe schlechthin.Die Wasserleitungen erreichen in den Städten der sog.3. Welt meist nur die wohlhabenden Stadtviertel, nichtaber die armen und die Slums. Die städtische Wasserver-sorgung wird sich zukünftig wohl als riesiges Problemherausstellen. Denn gerade in den armen Ländern wirddie städtische Bevölkerung sogar noch überproportionalzunehmen, folgt man den schon angesprochenen Bevöl-kerungsprojektionen der UNO. Danach wird die städti-sche Bevölkerung zwischen 2000 und 2030 in Europa

nur um 2 % wachsen, in Lateinamerika um 53 Prozent(1,4 % im jährlichen Durchschnitt), in Asien um 96 Pro-zent (2,3 % Jahresdurchschnitt), und in Afrika wird siesich mit einer Zunahme von rund 170 Prozent (3,3 %Jahresdurchschnitt) fast verdreifachen.Teilweise sind die Wasserpreise für Leitungswasser – zumTeil durchaus in guter Absicht, aus sozialen Gründen –subventioniert. Doch diese Subventionen erreichen, wiedas Wasser selbst, auch nur die Wohlhabenden. Diearme Bevölkerung kauft zwangsläufig abgefülltes Wasserzweifelhafter Qualität vom Wasserverkäufer (Tankwagenoder fliegender Händler), das sehr viel teurer ist.Beispiel Lima/Peru: Die Armen zahlen mit 3 Dollar pro m3

(1.000 Liter) an den Wasserverkäufer den 20-fachenWasserpreis wie Mittelständler, die an das Netz ange-schlossen sind. Die Mittelstandsfamilie verbraucht sechs-mal so viel Wasser wie die arme Familie, und trotzdemliegen die gesamten Wasserkosten der armen Familiedreimal so hoch wie die der wohlhabenden Familie –ganz zu schweigen vom Einkommensanteil, der für Was-ser bezahlt werden muss.So wie in Lima ist es überall in der 3. Welt. Verglichenmit dem Wasserpreis derjenigen, die ans Netz ange-schlossen sind, zahlen die Armen an den Wasserverkäu-fer in Tunis das 10-fache, in Nairobi und Lagos das 11-fa-che, in Dhakka das 25-fache, in Kairo das 40-fache, inJakarta das 60-fache, in Karatschi das 83-fache. DerDurchschnitt liegt beim 12-fachen. (WWC, 5.8.1999)Für die Ärmsten ist der Wasserverkäufer zu teuer. Siemüssen das Wasser, woher sie es auch immer bekom-men (direkt aus Flüssen u.ä.), unbedingt abkochen. Daserfordert Brennstoff, verursacht also Kosten. Beim ein-kommensärmsten Viertel der Bevölkerung in Bangla-desch beispielsweise verschlingen allein die Wasserab-koch-Brennstoffkosten im Schnitt 11 % des Haushaltsein-kommens. So werden die genannten erschreckendenschmutzwasserbedingten Todesfälle nachvollziehbar:Mindestens jeder zehnte Mensch ohne sauberesTrinkwasser erkrankt irgendwann daran tödlich, diemeisten von ihnen schon als Kind.Zur sozialen weltweiten Katastrophe rund um das Was-ser gehört auch, dass 1998 25 Millionen Menschen ihreHeimat verlassen mussten, weil Wasser zu knapp oderLand zu trocken wurde. Erstmals lag die Zahl dieser Um-weltflüchtlinge höher als die Zahl der vor Krieg und Ge-walt Geflohenen. Bis 2025 ist mit einer Vervierfachungder Anzahl der Umweltflüchtlinge zu rechnen: 100 Mil-lionen Menschen jährlich, jedes Jahr die Gesamtbevölke-rung von Deutschland plus Österreich plus der Schweiz!

2. Struktur der Wasserwirtschaft in Deutschland

2.1 Wasserverbrauch

Deutschland gilt als wasserreiches Land, bezogen auf dieFläche, insbesondere Süddeutschland, weniger dagegenOstdeutschland. Von der weltweit nachhaltig nutzbarenWasserverfügbarkeit in Höhe von 40.000 km3 treffenrund 180 km3 (= 180 Mrd. m3) auf Deutschland, also einknappes halbes Prozent bei einem Flächenanteil von ei-nem Viertel Prozent. Diese 180 Mrd. m3 verfügbaren

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Wassers erhält Deutschland allerdings zu einem be-trächtlichen Anteil (70 Mrd. m3) über Zuflüsse aus denNachbarländern, hauptsächlich aus den Alpen. Umge-kehrt erhalten vor allem die Nachbarländer Niederlandeund Österreich über Rhein und Donau Wasser ausDeutschland.Bezogen auf die Bevölkerung ist Deutschland (82 Millio-nen Bewohner = 1,3 % der Weltbevölkerung) heute eineher wasserarmes Land. Aber anders als die wirklichtrockenen Länder, hat Deutschland mit seinem gemäßig-ten Klima den Vorteil einer jahreszeitlich ausgeglichenenRegenverteilung und vor allem, dass die Landwirtschaftpraktisch keinen Bewässerungsbedarf hat.Beim weltweiten Vergleich der nachhaltig nutzbarenWasserreserven pro Kopf (Daten und Verfahren wie imBild 1) kann man feststellen, dass heute etwa 29 % derWeltbevölkerung in Ländern mit geringeren Pro-Kopf-Re-serven leben (und in der Regel mit der zusätzlichen Hy-pothek eines ungleichmäßigen Regenfalls und eineslandwirtschaftlichen Bewässerungsbedarfs). Aufgrundder weltweiten Bevölkerungszunahme bei gleichzeitigerAbnahme in Deutschland bis 2050 (von 82 auf 70 Millio-nen) werden dann sogar 61 % der Weltbevölkerung inLändern mit geringeren Pro-Kopf-Reserven leben.

Die gesamte Wasserentnahme in Deutschland betrug2001 knapp 41 Mrd. m3, also 23 % des verfügbarenWassers. Anders als im weltweiten Durchschnitt benötigtdie Landwirtschaft in Deutschland (siehe Bild 4) nur einevernachlässigbare Wassermenge. Fast zwei Drittel desWasserbedarfs entfällt auf die Kraftwerke bei der Strom-erzeugung: Nur etwa 40 % der in Kohle, Gas, Uran ent-haltenen und freigesetzten Verbrennungsenergie kann inStrom umgewandelt werden, der große Rest wärmt alsabzuführende Wärme die Luft und/oder die Flüsse auf.Gut 20 % des entnommenen Wassers stellt Kühl- undProzesswasserbedarf in der Industrie dar. Und lediglich5,5 Mrd. m3, also weniger als 15 %, werden von deröffentlichen Wasserversorgung zu Trinkwasserqualitätaufbereitet und geliefert.

Da die Kraftwerke und die Industriebetriebe den größtenTeil ihres Nicht-Trinkwasserbedarfs über eigene Brunnenund Leitungen selbst beschaffen, besteht die eigentlicheWasserwirtschaft im wesentlichen "nur" aus der Aufberei-tung und Verteilung der 5,5 Mrd. m3 Trinkwasser.Fast 70 % dieses von der Wasserwirtschaft aufbereitetenWassers wird an die privaten Haushalte geliefert, einknappes Fünftel an andere Abnehmer aus Industrie,Handwerk, Dienstleistung, Behörden etc. Ein Achtel stelltWasserverluste bzw. den Eigenverbrauch der Wasserwer-ke dar (Bild 5).

Grundwasser ist mit einem Anteil von 65 % die wichtig-ste Ressource für die Wasserwirtschaft. An zweiter Stellesteht mit 26 % die Aufbereitung von Oberflächengewäs-sern und schließlich folgt Quellwasser mit einem Anteilvon 9 % an der Bedarfsdeckung.Für den Haushalts-Wasserverbrauch wurde Mitte der70er Jahre von verschiedenen Institutionen ein Anstiegvon damals etwa 130 Liter pro Kopf und Tag auf 200Liter im Jahr 2000 prognostiziert. Dem lag die jahrzehn-telange Erfahrung eines steten Anstiegs des Verbrauchsvon Trinkwasser zugrunde. Tatsächlich sank der Trink-wasserverbrauch seit seinem Höchststand um 1990 be-trächtlich (Rückgang der Wasserförderung um 1,9 % imJahresdurchschnitt der 90er Jahre). Daher liegt der Pro-Kopf-und-Tag-Verbrauch mit etwa 130 Liter heute wie-der auf dem Niveau von vor 25 Jahren. Die Ursachendieses Rückgangs liegen in wesentlichen Verbesserungenbei Wasch- und Geschirrspülmaschinen, Armaturen usw.bezüglich des Wasserverbrauchs sowie der starken Nach-frage nach solchen Geräten.Relativ noch stärker ist in den 90er Jahren in Deutschlanddie gesamte Wasserentnahme zurückgegangen, nämlichum 2,3 % im Jahresdurchschnitt. Hier hat sich dieschlechte Konjunktur in diesem Jahrzehnt (annäherndesNullwachstum in der industriellen Produktion) bei gleich-zeitigem Trend zur Wasser-Mehrfachnutzung in der In-dustrie ausgewirkt. (StaBuA, 2001)

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Im internationalen Vergleich der Verbrauchswerte liegtDeutschland auf einem guten Platz.

Verbrauch von Wasser in Trinkwasserqualitätin m3 pro Jahr und pro EinwohnerSüdkalifornien 1.130 Schweiz 88US-Durchschnitt 255 Italien 77Japan 102 Schweden 69europ. Durchschnitt 57 Frankreich 58Deutschland 47 England 55Sahelzone 11 Niederlande 47Quelle: Bundestag, 2002, S. 362. BGW, 2002.

Der Wasserwirtschaftsverband BGW streicht zwar stolzden nach BGW-Statistik niedrigsten Prokopf-Trinkwasser-verbrauch aller Industriestaaten hierzulande heraus,warnt aber gleichzeitig vor "übertriebener Sparsamkeitder Verbraucher", die der Wasserwirtschaft "Schwierig-keiten" bereiten würde. (SZ, 11.3.2002)

2.2 Branchengröße und Branchencharakteristika

Der Wirtschaftszweig "Wasserversorgung"2) ist nach derVolkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des StatistischenBundesamtes eine sehr kleine Branche. Mit 42.000 Er-werbstätigen entfiel auf diese Branche nur etwa jederTausendste der 38 Millionen Erwerbstätigen in der Ge-samtwirtschaft. Eine vergleichbare Größe haben etwaauch die Forstwirtschaft, die EDV-Hersteller, die Luft-fahrt. Wichtige Industriebranchen wie Chemische Indus-trie, Maschinenbau, Fahrzeugbau, Nahrungsmittelindus-trie sind jeweils etwa 20 mal so groß, gemessen an derAnzahl der Beschäftigten.In Tab. 1 sind einige Kennzahlen für die Wasserwirtschaftangegeben. Sie stellen diese Branche ins Verhältnis zumProduzierenden Gewerbe insgesamt sowie zur Energie-versorgung (Strom und Gas), also der Branche, derenKonzerne sich anstrengen, die Wasserwirtschaft aufzu-kaufen und zu vereinnahmen.

Tab. 1: Kennzahlen für die Wasserwirtschaft 1999AbsoluteWerte

in % des ProduzierendenGewerbes 1)

in % derBrancheEnergie-versorgung 2)

Arbeitnehmer (in 1000)

42 0,40 15,0

Produktionswert 3)

(Mrd. Euro)7,70 0,53 12,5

Lohneinkommen(Mrd. Euro)

1,60 0,42 11,2

Gewinneinkom-men (Mrd. Euro)

1,62 1,90 19,7

Abschreibungen(Mrd. Euro)

1,66 2,16 17,1

1) Produzierendes Gewerbe = Energie- plus Wasserwirtschaft + VerarbeitendesGewerbe + Bergbau + Baugewerbe. – 2) Strom plus Gas (ohne Öl und Kohle). -3) in etwa: Umsatz + Lageraufbau + eigenerstellte Anlagen.

Quelle: Statist. Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.3. - Eigene Berechnungen.

Tabelle 1 verdeutlicht, dass der Umfang der BrancheWasserversorgung um die 15 % des Umfanges der Bran-che Strom- plus Gasversorgung ausmacht. Auffallend an

den Daten ist die extreme Kapitalintensität der Wasser-versorgung im Vergleich zum Produzierenden Gewerbe:Während nur 0,4 % der industriellen Arbeitnehmer in derWasserversorgung beschäftigt sind, ist 2,2 % des indu-striellen Sachkapitals dort angelegt (gemessen an denAbschreibungen, d.h. an den 1999 vernutzten und inden Erlösen wieder verdienten Kapitalanteilen). Die Kapi-talintensität ist also mehr als fünfmal so hoch wie imindustriellen Durchschnitt und sogar noch etwas höherals in der sehr kapitalintensiven Energiewirtschaft.

Auch die Gewinneinkommen liegen in der Wasserwirt-schaft vergleichsweise sehr hoch. Die Wasserwirtschaftist zwar eine recht kleine Branche, aber ihr herausragen-des Charakteristikum, die relativ sehr hohe Kapitalinten-sität, macht sie hochattraktiv für anlagesuchendes, ren-ditesuchendes, freies Kapital.

2.3 Unternehmensstruktur in der deutschen Wasserversorgung

Die deutsche Wasserwirtschaft ist durch die Existenz we-niger größerer (im internationalen Vergleich aber immernoch recht kleiner) und einer Vielzahl von sehr kleinenVersorgungsunternehmen geprägt, die in unterschied-lichen Rechtsformen geführt werden. Wasserversorgungund Abwasserentsorgung erfolgen häufig durch ge-trennte Unternehmen. Das Eigentum an den Unterneh-men liegt noch überwiegend bei den Kommunen.

Die Unternehmensform Regiebetrieb und Eigenbetriebist die unmittelbarste Unternehmensführung durch Kom-munen. Hier laufen alle Kosten und Erträge über denKommunalhaushalt; Stadtspitze und Stadtrat haben di-rekten und unmittelbaren Einfluss auch auf die Unter-nehmenspolitik, Personalpolitik, Preisfestsetzung usw.Diese Unternehmen werden in öffentlich-rechtlicherForm geführt. Eine Kapitalbeteiligung seitens Privater istbei dieser Form nicht möglich.

Eigenbetriebe werden zur Zeit häufig in Eigengesell-schaften umgewandelt. Das sind Unternehmen in derForm einer GmbH oder AG, die (zunächst) voll im Eigen-tum der Kommune stehen, aber privatrechtlich geführtwerden: Kosten und Erlöse laufen nicht mehr über denKommunalhaushalt, die Unternehmensführung ist weit-gehend autonom, die Stadtspitze hat als Eigentümerin

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Einfluss nur noch über die Aufsichtsgremien und nurnoch in grundlegenden Fragen. Der Kommunalhaushalterhält jährlich eine Gewinnausschüttung.In Folge der Stromwirtschafts-Deregulierung 1998 wur-den viele Stadtwerke in eine Stadtwerke GmbH umge-wandelt. Und zwar mit dem Argument, die Stadtwerke-führung sei dann wesentlich flexibler bei personalpoliti-schen Entscheidungen (Entlassungswellen!), bei Ver-tragspartnerwechseln und auch bei der Expansion inneue Tätigkeitsgebiete. Damit verbunden ist – spiegel-bildlich – eine Entdemokratisierung in der kommunalenWirtschaftstätigkeit, die bisher als allgemeine Daseins-vorsorge verstanden wurde. Konkret hat der Stadtrat we-niger oder gar keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr inder kommunalen Energiepolitik, z.B. bezüglich der Ener-gieerzeugungs- und -verteilungsstrukturen und der Ge-staltung energiesparender Tarife und Energiesparpro-gramme.

Im Grunde ist der Schritt vom Eigenbetrieb zur Eigenge-sellschaft GmbH/AG der wesentliche Privatisierungs-schritt, auch wenn die GmbH noch in kommunaler Handbleibt. Denn jetzt liegt das Unternehmensziel nicht mehrin der öffentlich-rechtlichen Daseinsvorsorge, sondern inder privatrechtlichen Gewinnerzielung und -maximie-rung. Jetzt können auch Anteile an private Kapitalgeberverkauft werden. Hier sind im wesentlichen drei Stufendenkbar oder üblich, die das Profitmaximierungsmotivzunehmend in den Vordergrund rücken:

Minderheitsbeteiligung von privaten Kapitalgebern bis zu einem Anteil von 49,9 ProzentMinderheitsbeteiligung plus zusätzlich Geschäfts-führungsübertragung an den PrivatenMehrheitsbeteiligung bis 100 Prozent

In der Regel argumentieren die Kommunen/Stadtwerkebei einem Teilverkauf an einen Privaten, die Kommunehabe als Mehrheitsgesellschafterin nach wie vor das Sa-gen und könne "ideelle" wasserwirtschaftliche Ziele jen-seits der blanken Profitmaximierung verfolgen. Tatsäch-lich aber muss nach herrschender Rechtsauffassung derMehrheitseigner die "schutzwürdigen Interessen" der pri-

vaten Minderheitseigner berücksichtigen, und dazu ge-hört elementar, dass der Mehrheitseigner jegliche Tätig-keit unterlässt, die die wirtschaftlichen Ertragschancenvermindert. Konkret: Die Gewinnerzielungsabsicht ei-nes privaten Minderheitseigners ist ein schutzwürdi-ges Interesse, das die Kommune als Mehrheitseignernicht beeinträchtigen darf. (Vergabekammer Düsseldorf,zitiert nach: PDS, 2002)Von den etwa 6.000 bis 7.000 tätigen Wasserversor-gungsunternehmen (Strukturdaten aus: Ewers u.a., 2001)in Deutschland werden die meisten (85 %) öffentlich-rechtlich geführt. Sie fördern und verteilen aber nur52 % der Wassermenge. 15 % der Wasserversorger sindprivatrechtlich organisiert und kommen auf einen Anteilvon 48 % der Wassermenge. 1,6 % der Unternehmenbefinden sich vollständig in privatem Eigentum.Die Konzentration ist enorm hoch. Reiht man die Wasser-versorger nach der Größe aneinander, dann entfallen aufdie kleinsten Unternehmen (70 %) nur 8 % der Wasser-menge, auf die größten aller Unternehmen (3,6 %) dage-gen 60 % der Wassermenge. Das durchschnittliche großeUnternehmen ist also etwa 150 mal so groß wie einerder Kleinbetriebe.Die Abwasserentsorgung ist mit etwa 8.000 Betriebennoch kleinräumiger organisiert. Etwa 88 % sind öffent-lich-rechtlich, etwa 12 % sind privatrechtlich organisiert.(Über die Konzentration ist uns nichts bekannt.)

2.4 Wasserversorgung in anderen Ländern

Bis heute wird die Wasserversorgung und die Abwasser-entsorgung in Europa und auch weltweit in der Regelvon öffentlichen Unternehmen durchgeführt, stellt dieEnquete-Kommission Globalisierung des Deutschen Bun-destages fest (Bundestag, 2002, S. 366). Privatisierung istdie Ausnahme, öffentliche Versorgung der Normalfall. Inden USA ist die große Mehrheit der 4.000 (manche Quel-len sprechen von 55.000) Wasserbetriebe in kommunalerHand. Ähnlich ist es in Kanada, Japan, Australien undNeuseeland.

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Bild 6 zeigt die Situation in Europa, allerdings für dasschon etwas zurück liegende Jahr 1996. In den meistenLändern war damals die Versorgung fast ausschließlichöffentlich geregelt. Abweichend davon ist die Lage inFrankreich und in England (zu den Auswirkungen sieheAbschnitt 5.1). Frankreich besitzt mit 15.500 Wasserver-sorgern eine besonders kleinräumige Struktur, wobei15.000 Betriebe auf dem Land nur zehn Millionen Ein-wohner versorgen. Üblicherweise vergeben die Gemein-den die Betriebsführung ihrer Wasserwerke in zeitlichbefristeten Verträgen. Während sich für die Kleinversor-ger auf dem Land niemand interessiert, sind die Konzes-sionsverträge für die Versorgung der Städte für die fran-zösischen Wasserkonzerne interessant. Dieses System hatdazu geführt, dass die beiden weltweit mit Abstandgrößten Wasserkonzerne französischer Herkunft sind.In England und Wales wurde 1989 die Wasserversor-gung und die Abwasserentsorgung vollständig privati-siert – nicht dagegen in Schottland, dessen Regionalpar-lament sich weigerte. Zusätzlich zu einer Reihe kleinererprivater Versorger, die schon vor 1989 existierten, wurdeein Dutzend große Unternehmen geschaffen, die Versor-gung und Entsorgung aus einer Hand anbieten.

Kapitel II.

Politische Ökonomie der Deregulierung und Privatisierung

3. Der Hintergrund der Marktöffnung in der Wasserwirtschaft

Jahrzehntelang war die Deregulierung und die Privatisie-rung der Wasserwirtschaft kein Thema. Seit einigen Jah-ren ist es das plötzlich, und es ist sogar furchtbar dring-lich. Warum?Nun ist es ja nicht so, dass eklatante Missstände in derWasserwirtschaft festgestellt werden konnten. Im Ge-genteil, nach einhelliger Ansicht ist die Wasserqualität inDeutschland sehr hoch. Und auch über die Kosten undPreise sind – bis zum Beginn der Privatisierungsdiskussi-on – kaum Klagen laut geworden. (In diesem Punkt wur-de die Stromwirtschaft anders gesehen: Die industriellenVerbraucher stimmten jahrzehntelang das Klagelied überzu hohe, angeblich wettbewerbsgefährdende Preise an).Um die Privatisierungsbestrebungen der Wasserwirt-schaft einzuordnen, muss man etwas tiefer gehen. Diefolgenden Abschnitte umreißen in vier Punkten die allge-meinen politisch-ökonomischen Grundlagen, vor derenHintergrund die Privatisierungsbestrebungen entstandenund stark geworden sind.

3.1 Umverteilung schafft anlagesuchendes KapitalEin zentrales Merkmal des Kapitalismus, das in den letz-ten Jahren/Jahrzehnten immer auffälliger wurde, ist diestete Verschiebung in der Einkommensverteilung: zulas-

ten der Arbeits- und zugunsten der Unternehmens- undVermögenseinkommen und innerhalb der Gewinnein-kommen zulasten der kleinen und zugunsten der großenUnternehmen.Vor der staatlichen Besteuerung und vor den Sozialabga-ben besteht alles Einkommen (das Volkseinkommen) aus(Brutto-)Arbeitseinkommen und Gewinneinkommen. Inden letzten beiden Jahrzehnten konnten die Gewinnein-kommen ihren Anteil bei der primären Verteilung deut-lich ausbauen. Erhielt das Kapital im Konjunkturwende-jahr 1982 23,1 % des Volkseinkommens, so erreichte esim folgenden Krisenjahr 1993 schon 31,8 % (nur West-deutschland). Vom Einkommenszuwachs zwischen 1982und 1993 erhielt das Kapital einen Anteil von 42 Prozent.Der Anschluss der DDR führte zu einer strukturell neuenprimären Verteilung: Unternehmen mit der Firmenzen-trale im Osten machten vergleichsweise geringe Gewinne(man denke an die hohen bilanziellen Verluste desGroßunternehmens Treuhandgesellschaft), so dass sich1993 der Kapitalanteil am Volkseinkommen für Gesamt-deutschland auf nur 25,3 % belief. Von diesem neuenNiveau aus stieg er weiter – bis zum Krisenjahr 2001 auf27,5 %. Das bedeutet einen Anteil von 38 % am Zuwachsdes Volkseinkommens zwischen 1993 und 2001.Über die Umverteilung innerhalb des Sektors der Un-ternehmen gibt eine kürzlich erschienene Untersuchungder Deutschen Bundesbank Auskunft (Monatsberichte12/2001). Darin wird die Ertragslage von Kapitalgesell-schaften (AG, GmbH), Personengesellschaften (OHG, KG)und Einzelunternehmen (Handwerker, Selbständige, Frei-berufler usw.) vergleichend ausgewertet, allerdings nurfür den Zeitraum 1994 bis 1999.

Das Fazit der Untersuchung ist in Bild 7 festgehalten.Danach entfielen 1994 auf die Kapitalgesellschaften(ohne Banken und Versicherungen) 41 % des gesamtenJahresgewinns aller einbezogenen Unternehmen, fünfJahre später dagegen schon knapp 55 %. Vom Gewinn-zuwachs, der zwischen 1994 und 1999 von den Unter-nehmen erreicht wurde, fielen damit 84 % an die Kapi-talgesellschaften, nur 11 % an die Personengesellschaf-ten und 5 % an die Einzelunternehmen.Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Gewinn der Nicht-kapitalgesellschaften noch der sogenannte Unterneh-merlohn enthalten ist; das ist die rechnerische Entloh-nung für die konkrete Arbeit der Besitzer und ihrer

Alles in einem Topf isw-grafik bb

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mithelfenden Familienangehörigen in den kleinen Unter-nehmen. Der Abzug eines angemessenen Unternehmer-lohns würde laut Bundesbank dazu führen, dass sich dieGewinnsituation der Nichtkapitalgesellschaften deutlichschlechter darstellte, da insbesondere bei den Einzelun-ternehmen der ausgewiesene Gewinn im wesentlichennur aus Unternehmerlohn besteht. Eine nennenswerteRendite auf das eingesetzte Eigenkapital erreichen dieseUnternehmen also nicht.Auch andere Kennziffern verdeutlichen die überlegeneErtragsstärke der Kapitalgesellschaften. So entfielen 1999auf sie 47 % der unternehmerischen Zinskosten, aber 81 %der Zinserträge (Einzelunternehmen: 23 % zu 1,5 %). DerBesitz von Wertpapieren und Unternehmensbeteiligun-gen konzentrierte sich 1999 zu 88 % auf die Kapitalge-sellschaften, während den Einzelunternehmen nur 0,7 %blieben.Diese drastischen strukturellen Änderungen sind keinNovum der 90er Jahre. Auch in den 80er Jahren belegtenähnliche Untersuchungen der Bundesbank sowie die da-mals noch geführte Unternehmensstatistik des Statisti-schen Bundesamtes eine strukturelle und im Zeitverlaufzunehmende Überlegenheit großer Unternehmen bzw.Kapitalgesellschaften im Verhältnis zu den anderen Un-ternehmen (vgl. isw-report 32, Macht und Herrschaft inder Marktwirtschaft, S. 3 ff.).

Staatliche Unterstützung der UmverteilungAls allgemeines Selbstverständnis galt bisher, dass dieEinkommensbesteuerung – die einen Hauptteil der Gel-der zur Finanzierung staatlicher Aufgaben aufbringensoll – von der individuellen Einkommensstärke abhängenmuss: Wirtschaftlich Starke sollen stärker (mit höherenSteuersätzen) herangezogen werden als wirtschaftlichSchwache. Dieser soziale Aspekt ist vielfach in Grundsät-zen und Feiertagsreden formuliert worden.Die Realität ist das glatte Gegenteil des schönen Scheins.Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestagesbeschäftigte sich unter anderem auch mit der Steuerbe-lastung der verschiedenen Einkommen. Danach lag die

durchschnittliche Steuerbelastung des Lohneinkommens1960 bei 6 %, 1980 bei 15 % und heute bei knapp 20 %.Dagegen blieb die Steuerbelastung der Gewinn- und Zins-einkommen bis Anfang der 80er Jahre unter Schwankun-gen bei etwa 30 % konstant und sank anschließend – dieKohlsche Wende wurde durchgesetzt – auf etwa 20 %.(Bundestag, 2002, S. 236)Weiterhin kam die Kommission zu dem Resultat, dassLohneinkommen in Deutschland höher und Kapitalein-kommen niedriger besteuert werden als in Großbritanni-en und in den USA. (ebda., S. 99f.)

Gewinneinkommen höher als Bedarf zur Gewinnverwendung

Was passiert mit diesen von Konjunkturzyklus zu Kon-junkturzyklus stetig steigenden Anteilen am Netto-Volks-einkommen in der Hand der Konzerne? Die Neoliberalenhaben auf diese Frage seit Jahrzehnten das gleichblei-bende und einfache Klischee zur Antwort: Höhere Unter-nehmensgewinne heute führen morgen zu höheren Inves-titionen und übermorgen zu mehr Arbeitsplätzen. Dasstatsächlich immer mehr Arbeitslose zu verzeichnen sind,stört die Neoliberalen nicht wirklich. Die Unternehmens-gewinne, so argumentieren sie seit Jahrzehnten, seieneben noch nicht genügend gestiegen; ein weiterer undstärkerer Anstieg würde ganz sicher die verkündeten Ar-beitsplätze erzeugen.Wenden wir uns der Realität zu. Bild 8 zeigt in einerLangzeit-Darstellung die Verwendung des unternehmeri-schen Einkommens nach Steuerzahlung (1991 Daten-Strukturbruch durch den DDR-Anschluss und durch eineStatistikänderung: seither Unternehmen ohne Einzelun-ternehmer). Bis in die 70er Jahre hinein verwendeten dieUnternehmen mehr als 60 % ihres Einkommens fürSachanlageinvestitionen (Nettoinvestitionen nach Abzugvon Abschreibungen, also zusätzliche und im wesent-lichen arbeitsplatzschaffende oder -erhaltende Sachanla-gen). In den 70er Jahren sank dieser Anteil auf etwa50 %, in den 80er Jahren sank er weiter auf 30 % bis40 %, und in den 90er Jahren (abgesehen vom An-

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schlussboom) sank er auf ein Niveau von 25 %. Nur einViertel ihres Einkommens brauchen die Unternehmenalso für Investitionen zur Aufrechterhaltung und Erweite-rung der Produktion. Drei Viertel sind frei. Sie werdenausgeschüttet an die Anteilseigner (meistens Großkon-zerne und Finanzwirtschaft) oder gehortet; faktisch sinddas Gelder auf der Suche nach profitabler Anlage.Damit haben wir ein Grundthema der aktuellen kapitali-stischen Entwicklung: Große überschüssige und konzen-trierte Finanzmassen, die verwertet werden wollen.

3.2 Neue Anlagefelder für Kapitalüberschüsse: Privatisierung

Das Zusammentreffen der skizzierten Umverteilung mitdem Triumph der marktradikalen neoliberalistischenIdeologie und mit der in Schwung gebrachten Privatisie-rungswelle ist alles andere als Zufall. Den Kapitalüber-schüssen werden durch die Privatisierungen neue Anla-gemöglichkeiten eröffnet und der Ausverkauf öffent-lichen, gemeinwirtschaftlichen Eigentums wird ideolo-gisch abgesichert. Das Motto lautet: Alles, was Privatun-ternehmen machen können, das können sie besser ma-chen als Staatsunternehmen. Nach diesem Motto wirdprivatisiert und dereguliert. Deregulierung bedeutet dieEntregelung der Produktionsbedingungen in Branchen,deren Produktion bisher aufgrund ihrer hohen inhalt-lichen Bedeutung (Daseinsvorsorge) besonderen Bedin-gungen und Grenzen unterworfen war.Konkretisiert auf die Branche Energie- und Wasserversor-gung: Unter den in Frage kommenden zu deregulieren-den und zu privatisierenden Branchenteilen (Strom, Gas,Wasser, und künftig wohl auch Abfall) ist die Stromwirt-schaft mit großem Abstand die größte und profitabelste.Ihre Deregulierung wurde bereits 1998 als erste umge-setzt (ausführlich dazu: isw-report 41). Heute bestätigtsich, dass sich unsere damaligen Befürchtungen als rich-tig erweisen: Die Stromwirtschaft ist stärker konzentriertals je zuvor, öffentliche Eigentümer haben sich aus derVerbundebene (die Ebene der großen Stromkonzerne)

zurückgezogen, die Stadtwerkelandschaft ändert sichdrastisch: "Die Finanznot zwingt die Kommunen zumVerkauf der Stadtwerke. Zweite Angebotswelle. Hunder-te Stadtwerke stehen zum Verkauf", jubelt die FAZ(8.3.2002) ganz im Stil eines Kriegsberichterstatters, dermeldet, dass der Gegner nach den Angriffswellen unmit-telbar vor der totalen Kapitulation steht. "Die Ver-äußerung kommunaler Vermögenswerte wird in denkommenden Jahren der größte Bereich des gesamtenÜbernahme- und Beteiligungsmarktes in Deutschlandsein." (ebda.). Das ist die Kernaussage von KPMG, demgrößten Berater bei Anteilsverkäufen von Stadtwerken3).Prima Aussichten für die angehäuften Kapitalüberschüs-se, die in Form von sogenannten Liquiditätsreserven(oder Kriegskassen) in den Konzernen bereit liegen.Von den 900 kommunalen Versorgern gelten laut KPMG650 als privatisierungsfähig. Von ihnen haben (laut FAZ"erst") 263 eine private Beteiligung. Ein paar Monate spä-ter zählt das ’Handelsblatt’ schon "knapp 300" teilprivati-sierte Stadtwerke (HB, 27.8.2002). Allein die Thüga – dasist eine relativ unbekannte EON-Tochter – meldet in ih-rem Geschäftsbericht 130 Beteiligungen an den Stadt-werken. EON insgesamt kommt auf etwa 190 Stadtwer-ke-Beteiligungen, was die enorme Machtkonzentrationvon EON auf dieser Versorgungsstufe verdeutlicht. Kon-kurrent RWE zählt rund 50 Beteiligungen, aber "arbeitetmit 120 Stadtwerken zusammen" (HB, 27.8.2002), wasimmer das auch heißen mag.Mit Energie und Wasser ist sicherlich nicht der Endpunkterreicht. Vor allem mit dem Öffentlichen Personennah-verkehr, mit Krankenhäusern und kommunalen Woh-nungsgesellschaften wird die Privatisierung vorwärtsschreiten, prognostiziert die FAZ.

Deregulierung, Marktöffnung

Für den Energiebereich (Strom und Gas) hatte die EU-Kommission für die Mitgliedsländer verpflichtende Vor-gaben in Richtung Deregulierung, Marktöffnung undWettbewerbseinführung beschlossen. In Bezug auf denWasserbereich dagegen sprach sie sich lediglich – und

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vorerst nicht verbindlich – für Liberalisierung und Was-serhandel aus. Als der deutsche (ehemalige) Wirtschafts-minister Müller daraufhin die Gebietsmonopole (wie beiStrom und Gas) abschaffen wollte, erhob sich gegen die-se Pläne Widerspruch von seiten des EU-Parlaments undin Deutschland protestierten die Kommunen, das Um-weltbundesamt, die Regierungsfraktionen und die Um-weltminister der Länder. Ergebnis dieser ersten Ausein-andersetzung war, dass sowohl das Umweltbundesamt(Uba, 2000) als auch das Wirtschaftsministerium (Ewersu.a., 2001) Gutachten über die voraussichtlichen Auswir-kungen einer Liberalisierung des Wassermarktes in Auf-trag gaben.

Zur Diskussion stehen – alternativ oder gebündelt – eineReihe möglicher Gesetzesänderungen. Die wesentlichen:

Abschaffung der Gebietsmonopole: Das Gesetz gegenWettbewerbsbeschränkungen GWB verbietet (u.a.) allge-mein den Ausschluss des Wettbewerbs durch den grund-sätzlichen Ausschluss von Marktteilnehmern. Ausnah-men sind in § 103 geregelt; die Strom- und Gaswirtschaftist mittlerweile aus dem Ausnahmen-Katalog gestrichen,die Wasserwirtschaft noch nicht. Danach gibt es in einemgeografisch abgegrenzten Gebiet genau einen Wasser-versorger, der hier allein tätig werden darf und der aller-dings jeden Interessenten anschließen und zu den glei-chen, auf Kostenbasis festgelegten Tarifen beliefernmuss. Die Streichung der Wasserwirtschaft aus § 103wäre der weitestgehende Deregulierungsschritt. DerWassermarkt wäre dann formal offen für den Zutrittneuer, konkurrierender Versorger.

Leitungszugang und Wasserhandel: Überlegt wird,den Wasserversorgern das Recht zu geben, Kunden zugewinnen (die an fremden Leitungen hängen) und ihrWasser – bei ausreichender Netzkapazität und gegen an-gemessene Kostenerstattung – in das fremde Netz einzu-speisen und zum neugewonnenen Kunden durchzulei-ten. Es wäre dann Wasser-Fernhandel möglich. DieDurchleitung ist bei der Liberalisierung von Strom undGas ein zentraler Punkt und seither, wie man sich vorstel-len kann, Dauerbrenner in vielen Gerichtsverfahren.

Ausschreibungspflicht: Das ist nur relevant, wenn dasGebietsmonopol bestehen bleibt. Dann könnte durchge-setzt werden, dass die Versorgung in regelmäßigen Ab-ständen von neuem an ein Unternehmen vergeben wird,quasi in Betriebsführungspacht (so ist es in Frankreich).Dabei würde die Versorgung international im EU-Rah-men zu den gleichen Bedingungen ausgeschrieben.

Zusammenführung von Versorgung und Entsorgung:Die Abwasserentsorgung ist organisatorisch-betriebs-technisch häufig getrennt von der Versorgung. Mehr In-tegration wird als attraktiv für private Investoren einge-schätzt, denn der gesamte Wasserbereich incl. der Wie-deraufbereitung könnte dann in einer Hand zusammen-gefasst werden. Derzeit ist die Abwasserbehandlung,wenn sie von kommunalen Eigenbetrieben durchgeführtwird, von der Umsatzsteuer befreit; nicht aber dann,wenn sie von einer privatrechtlichen GmbH durchgeführtwird (was diese als Konkurrenznachteil wertet). Die steu-erliche Gleichbehandlung ist daher ein Mindestziel desBMWi.

Benchmarking: Eine Lieblingsvokabel der Shareholderzieht in die Wasserwirtschaft ein. Benchmarking bedeu-tet das Sich-vergleichen-lassen am Besten. Alle Unterneh-men der Wasserwirtschaft sollen nach diversen Produkti-vitätskennziffern untersucht und in Rangfolgen einge-ordnet werden. Als Konsequenz soll jedes Unternehmendem kennziffernmäßig jeweils Besten nacheifern. Die for-male Installation eines solchen Verfahrens, das üblicher-weise massiven Druck auf die Beschäftigten ausübt, istunter den Deregulierungs-Diskutanten wohl weithin ak-zeptiert. Die weitergehende Forderung ist, dass dieschlecht abschneidenden Unternehmen zum Verkauf an-geboten werden müssen.

3.3 Neue Anlagefelder für Kapitalüberschüsse: Auslandsinvestitionen

Ein zentrales Ventil für anlagesuchende Kapitalüber-schüsse sind Auslandsinvestitionen, jedenfalls aus natio-nalem Blickwinkel betrachtet. Aus diesem Blickwinkelheraus handelt es sich um die Erschließung von neuenAnlagemöglichkeiten für die kapitalistische Verwertung.Freilich ist die Öffnung von Ländern für Auslandsinvesti-tionen grundsätzlich eine wechselseitige Angelegenheit.Der Heimatmarkt muss dann prinzipiell auch für auslän-dische Konkurrenten geöffnet werden. Inwieweit diewechselseitige Marktöffnung tatsächlich gleichgewichtigerfolgt, ist eine Frage der Machtverhältnisse. Historischzeigt die gesamte Freihandelsdiskussion und Freihandels-entwicklung, dass die Forderungen nach Freihandel (dieder Forderung nach Investitionsfreiheit vorausging) im-mer nur von den jeweils wirtschaftlich stärksten Staatenund ihren Unternehmen vorgetragen und durchgesetztwurde. (Bundestag, 2002, S. 191 ff.)

Die weltweiten Auslandsinvestitionen aller Länder (alsodie Zuflüsse, nicht der Bestand) lagen 1982 bei 60 Mrd.Dollar, 1990 schon bei 200 Mrd. Dollar und 2001 sogarbei 735 Mrd. Dollar. Mittlerweile werden allein von denausländischen Töchtern der Multis 11 % des Welt-BIPserzeugt, und zwar mit stark steigender Tendenz (1982noch 5,5 % und 1990: 7 %). (UNCTAD, 2002)

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Das große Problem der (potentiellen) Auslandsinvestorenist die Sicherheit ihrer Kapitalanlage, ihre große Angstist die mögliche Benachteiligung oder gar Enteignungdurch den Gaststaat.

Beim Außenhandel mit Waren existiert unter der Organi-sation WTO, der Welthandelsorganisation, ein in Jahr-zehnten und in vielen Verhandlungsrunden ausgetüftel-tes System von Regeln, das Handelshemmnisse abbauen,Freihandel garantieren und dagegen Verstoßende mit

Strafmaßnahmen bedrohen soll. Hinsichtlich der Absi-cherung von Auslandsinvestitionen existiert ein derartigallgemeines System derzeit nicht. Allerdings gibt es1.800 bilaterale Investitionsschutzverträge, davon 120mit deutscher Beteiligung (www.bmwi.de/Politikfelder/Außenwirtschaft).

Ende 1998 scheiterte mit dem MAI, dem MultilateralenAbkommen über Investitionen, der bisher umfassendsteVersuch, zu einer diesbezüglichen Regelung zu kommen,

GATS – ein Vertrag für die Offensive der Konzerne

Bei den Bretton-Woods-Verhandlungen am Ende des 2. Welt-krieges, in denen es um die Konstruktion und um die Institu-tionen der Nachkriegs-Weltwirtschaft ging, wurde u.a. auchder GATT-Vertrag ins Leben gerufen. Dieser Vertrag, dem diemeisten Länder als Vertragspartner beitraten, hatte den Ab-bau von Zöllen und Handelsbeschränkungen beim Waren-handel zum Ziel. Das wurde in einer Vielzahl von Verhand-lungsrunden schrittweise vorangetrieben. Nach der letzten,der sogenannten Uruguay-Runde (1986 – 1993) wurde dieWTO (World Trade Organisation) gegründet (in Kraft seit1995), die seither die GATT-Anliegen weiter wahrnimmt.Während GATT nur ein Vertrag war, ist die WTO, ähnlich wiedie UNO, eine Organisation. Sie verfügt daher über Sank-tionsmöglichkeiten (z.B. Strafzölle, Boykott), die sie bei Ver-tragsverletzungen verhängen kann.In den meisten Ländern verzeichnet der Dienstleistungssek-tor heute deutlich höhere Wachstumsraten als die industriel-le Produktion. Er erwirtschaftet 60 % des globalen Sozialpro-duktes, macht aber erst 20 % des gesamten Welthandels aus(der Dienstleistungshandel besteht heute hauptsächlich ausgrenzüberschreitenden Transportleistungen und vor allemaus Urlaubsreisen, die als Export bzw. Import von Dienstlei-stungen in die Statistik eingehen). Die Wachstumsraten iminternationalen Handel mit Dienstleistungen übersteigen die-jenigen des Warenhandels; allgemein wird er als zukünftigsehr wachstumsstark eingeschätzt.Wegen der zunehmenden Bedeutung und des hohen Ge-schäftspotenzials des Dienstleistungshandels wurde zeit-gleich mit der WTO und integriert in den weiter laufendenWTO-Verhandlungsprozess, also unter Schirm und Schutz derWTO, das GATS gegründet, das General Agreement onTrade in Services (Übereinkommen über den Handel mitDienstleistungen). Laut BMWi ist es das "erste multilateraleAbkommen zur fortlaufenden Liberalisierung des internatio-nalen Dienstleistungshandels". (www.bmwi.de/Politikfelder/Außenwirtschaft). In den Begriffen "fortlaufende Liberalisie-rung" stecken die wesentlichen Punkte:● Die laufenden GATS-Verhandlungen sollen den Umfangdes Dienstleistungshandels über eine Reihe von Zwischenstu-fen und Teilverträgen laufend ausdehnen: Der Geltungsbe-reich des GATS umfasst alle privatwirtschaftlich darstell-baren Dienstleistungen; ausgenommen sind nur staatlich-hoheitliche Dienste. Das GATS ist also prinzipiell praktischunbegrenzt. Branchen mit privatwirtschaftlicher Dominanzfallen sowieso in den Geltungsbereich, also etwa Post, Tele-fon, Verkehr, Versorgung (Energie und auch Wasser). Aberauch staatlich dominierte Dienste, die sogenannten sensiblenBereiche, wie insbesondere Bildung und Gesundheit, sindnicht ausgenommen, denn sie könnten grundsätzlich (undwerden schon teilweise) durch Private unter Konkurrenzbe-dingungen betrieben (z.B. private Kliniken und Universitä-

ten). Durchaus denkbar ist auch das Vordringen privater An-bieter in Bereiche, die bisher eindeutig staatliche Leistungenwaren, beispielsweise die Bearbeitung und Genehmigungs-vorbereitung von Bauanträgen durch Ingenieurbüros (in die-se Richtung wandelt die bayerische Staatsregierung das Lan-desbaurecht um), private Arbeitsvermittlung, privates Sozial-hilfe-Management, private Gefängnisverwaltung (gibt es inden USA und in Ansätzen auch bei uns) usw. Dann fallenauch diese Tätigkeiten unter die GATS-Handelsliberalisierung.

● Immerhin hat jedes Land das Recht, festzulegen, welcheBranchen es für den GATS-Vertrag-Wettbewerb öffnen will.In der EU darf das von Land zu Land unterschiedlich sein.Fraglich ist allerdings, wie weit sich vor allem arme, abhängi-ge Länder dem Öffnungsdruck anderer, wirtschaftlich mäch-tiger Länder widersetzen können. In jedem Fall ist eine ein-mal erteilte Öffnungszusage nicht widerrufbar. Sie ist end-gültig. Die "fortlaufende Liberalisierung" ist also eine Ein-bahnstraße.

● Da Dienstleistungen nicht wie Waren verschickt, sondernhäufig nur an Ort und Stelle erbracht werden können, bedeu-tet Handel mit ihnen die Öffnung des Anbietermarktes fürAuslandsinvestoren: Zwangsläufig bedeutet der Freihandelbei Dienstleistungen den freien Marktzugang (jeder privateWettbewerber darf anbieten), die Inländerbehandlung (aus-ländische Anbieter dürfen nicht schlechter behandelt werdenals inländische) und die Meistbegünstigung (kein Anbieter,auch nicht ein staatseigener, darf bevorzugt werden hinsicht-lich des rechtlichen Rahmens, nötiger Genehmigungen, even-tueller Subventionen usw.). Vorübergehende (für längstenszehn Jahre) Erleichterungen für Entwicklungsländer sind zu-gelassen. Ohne diese Kriterien wäre ein freier Wettbewerbmit gleichen Voraussetzungen nicht möglich. Das GATS istalso gleichzeitig ein Handels- und Investitionsschutzab-kommen.

Im November 2001 hat die WTO-Konferenz in Katar den fol-genden GATS-Verhandlungsfahrplan festgelegt: Bis Ende Juni2002 sollen die Staaten anmelden, welche Liberalisierungs-forderungen (bezüglich welcher Dienstleistungszweige) siean andere Staaten stellen wollen; Bis Ende März 2003 sollendie eigenen Liberalisierungsangebote vorliegen; Bis zum1. Januar 2005 soll der GATS-Vertrag fertig verhandelt sein.

Die Forderungen und Angebote seitens der EU-Staaten wer-den zentral von der EU gestellt, in Deutschland vom BMWikoordiniert. Beide Diskussionen werden nicht öffentlich ge-führt, einbezogen werden nur die betroffenen Wirtschafts-verbände, nicht dagegen Umweltorganisationen usw.

Der unterschriebene GATS-Vertrag bindet die Mitgliedsstaa-ten dann wie internationales Recht, das nicht kündbar ist.GATS macht den Weg frei für die weltweite Deregulierungund Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen. VomGedanken der Daseinsvorsorge, der Befriedigung des Bedarfsals Ziel kommunalen Wirtschaftens wird nichts mehr bleiben.Wichtig ist dann die höchstmögliche betriebswirtschaftlicheProduktivität und die kaufkräftige Nachfrage.

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an den Protesten der Globalisierungsgegner und an Dif-ferenzen zwischen Frankreich und den USA. Nichtsdesto-trotz halten das Wirtschaftsministerium und die EU einumfassendes Regelwerk mit den folgenden wesentlichenPunkten für notwendig (BMWi, ebda.):● Freier Marktzugang, unbeschränkte Unternehmens-gründung im Gastland (also keinerlei spezielle Auflagenim Zusammenhang mit der Auslandsinvestition).

● Volle Garantie der Nicht-Diskriminierung ("Meistbe-günstigung": keine Schlechterstellung als irgendein an-deres vergleichbares Unternehmen hinsichtlich gesetz-licher Vorschriften, Besteuerung, Zugang zu Staatsauf-trägen des Gastlandes, eventueller Subventionen undVergünstigungen usw.),

● Uneingeschränkter Rechtsschutz (freier Transfer vonKapital und Erträgen in konvertibler Währung, Schutzvor enteignungsähnlichen Maßnahmen, organisierteStreitschlichtung durch ein internationales Gremium,dessen Spruch sich der Gaststaat fügen muss).

Im Bewusstsein, dass genau dies die konfliktträchtigenMAI-Punkte sind, fährt die EU defensiv und schlägt "Vor-erst-" und "Zunächst-"Regelungen vor (BMWi, ebda.):● Vorerst: keine Geltung für kurzfristige Kapitalanlagen.● Vorerst: Zulassung von staatlichen Maßnahmen zu-gunsten eines definierten Konzeptes von nachhaltigerEntwicklung in den Entwicklungsländern.● Vorerst: Zulassung der Regulierungshoheit des Gast-staates bezüglich Umwelt- und Sozialstandards, voraus-gesetzt, die Nicht-Diskriminierung der Auslandsinvestiti-on ist gewahrt.Daran, dass derartige Selbstverständlichkeiten für staat-lich-hoheitliches Handeln als vorübergehende Ausnah-men für zögernde Staaten erklärt werden, sieht man dasextreme Ausmaß der geplanten Zurückdrängung staat-licher Hoheit zugunsten der Handlungsfreiheit transna-tionaler Konzerne. Im Moment sind die Verhandlungenüber diese Regelungen – im Rahmen der WTO – ausge-setzt. Nach der nächsten WTO-Konferenz 2003 sollen siewieder aufgenommen werden.Multilaterale Verträge mit ähnlichen Bestimmungen, al-lerdings mit beschränktem Wirkungskreis, gibt es bereits:Dazu gehört das TRIMS (BMWi, ebda.), das den Schutzvon handelsbezogenen Investitionen regelt (also Ver-kaufsbüros usw.). Und dazu gehört auch die sogenannteEnergiecharta, die v.a. von europäischen und UdSSR-Nachfolgeländern unterschrieben wurde. Sie soll faktischden freien Zugang zu den russischen und zentralasiati-schen Öl- und Gasfeldern regeln.Der wichtigste Punkt in dieser Hinsicht, jedenfalls fürunser Thema Wasserwirtschaft und Privatisierung, ist dasGATS, ein derzeitig verhandeltes Abkommen über dieDeregulierung des internationalen Handels mit Dienst-leistungen (siehe Kasten). Der GATS-Verhandlungsfahr-plan sieht die folgenden Termine vor:● Bis Ende Juni 2002 sollten die Staaten anmelden, wel-che Liberalisierungsforderungen (bezüglich welcher Dienst-leistungszweige) sie an andere Staaten stellen wollen.● Bis Ende März 2003 sollen die Staaten ihre eigenenLiberalisierungsangebote vorlegen.● Bis zum 1. Januar 2005 soll der GATS-Vertrag fertigverhandelt sein.

Die EU fordert die Liberalisierung der Wasserversorgungin Nicht-EU-Ländern, also den Zugang der EU-Konzernezu den Wassermärkten außerhalb der EU. Hinsichtlichder Gegenrichtung betont das BMWi, dass Liberalisie-rungsforderungen und -angebote keinesfalls spiegelbild-lich ausgestaltet sein müssten. So will das BMWi dendeutschen Wassermarkt gegenüber der ausländischenKonkurrenz abschotten und ihn nicht im Sinne desGATS-Vertrages öffnen. Diese Maximalposition wirdschwer durchzuhalten sein. Die von Deutschland im Rah-men der EU gegen Drittländer erhobene Marktöffnungs-forderung wird wohl im Gegenzug das Zugeständnis er-zwingen, dass auch die deutsche Wasserversorgung vollliberalisiert wird.

Falls GATS so zustande kommt, dann hat zukünftig jedesWasserversorgungsunternehmen das Recht, sich in ei-nem beliebigen Land nieder zu lassen und dort Wasser inKonkurrenz zur bestehenden Versorgung zu verkaufen.Zwangsläufig bedeutet das Deregulierung und Kapital-verkehrsfreiheit in die und aus der Wasserwirtschaft(ausdrücklich wird auch die Freiheit für alle internationa-len Zahlungsvorgänge incl. Gewinnübertragungen ver-langt). Zudem kann der neue Versorger unter dem Regi-me der "Meistbegünstigung" dieselben Konditionen ver-langen wie etwa ein kommunaleigener Versorger, soweitdiesem gegebenenfalls günstige Bedingungen von derKommune eingeräumt werden (z.B. niedrige Pacht fürkommunale Gebäude).

3.4 Der Privatisierungstreibsatz: Kommunale Verschuldung und Sparzwang

Die Staatsverschuldung fiel in Deutschland wegen Steu-erreformen und Krise schon 2001 viel höher aus als ver-anschlagt. 2,7 % des BIP (statt geplante 1,5 %) schaufel-te der Staat (Bund, Länder, Kommunen, Sondervermö-gen, Sozialversicherungen) als zusätzliche Verschuldungauf den vorhandenen Schuldenberg. Dem stabilitätspoli-tischen Musterknaben drohte im Herbst 2001 ein Mahn-brief von der EU-Kommission, der an die Maastricht-Ver-pflichtung von maximal 3 Prozent Neuverschuldung erin-nern sollte.

Dieses als Schmach verstandene Signal wollte die Bun-desregierung auf Biegen und Brechen verhindern. Des-halb verpflichtete sie sich gegenüber Brüssel zu einemverschärften Stabilitätsprogramm: Innerhalb von dreiJahren, also bis 2004, soll der Gesamt-Staatshaushaltausgeglichen sein – angesichts der sowieso schon ange-spannten Haushaltssituation aufgrund der bisherigenHaushaltskürzungen und den Fernwirkungen der Steuer-reformen ein Unterfangen, das extreme Kürzungspro-gramme erzwingt ("äußerst ambitioniert" lobte sich dasFinanzministerium, BMF, 2001). Zudem war die Regie-rung von einem deutlichen Konjunkturaufschwung aus-gegangen, was sich mittlerweile als glatte Fehlprognoseherausstellte. Nach diesem Stabilitätsprogramm soll derBund (incl. Sondervermögen wie Treuhand-Nachfolger)bis 2004 seinen Haushaltssaldo um 1 % des BIP verbes-sern, die Länder plus Gemeinden ihren Haushaltssaldozusammen ebenfalls um 1 % des BIP und die Sozialver-sicherungen müssen auch etwas beitragen. In der Sum-me soll bis zum Jahr 2004 eine Defizitverringerung beimGesamtetat um 2,5 Prozent erreicht werden.

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Im Herbst dieses Jahres 2002 wird immer deutlicher,dass ungeachtet aller auferlegten Sparzwänge der Kon-junktureinbruch und die Steuererleichterungen für dieKonzerne so stark wirken, dass für 2002 nicht nur eineReduzierung des 2,7%-Defizites von 2001 nicht zu er-warten ist, sondern dass das Defizit nach Meinung derEU-Kommission weit über die 3%-Grenze hinauswachsenwird, womöglich sogar die 4%-Marke erreichen könnte(HB, 21.10.2002). Das "äußerst ambitionierte" Programmreicht also bei weitem noch nicht.

Die Zwangslage der Gemeinden

Besonders in die Klemme geraten die Gemeinden. Nachwenigen Jahren mit geringen Überschüssen sinken diesederzeit wieder stark ins Minus. Die beiden Hauptursa-chen: "Der beispiellose Absturz der Gewerbesteuer4) so-wie die steigenden Sozialausgaben" (DStGB, 4.4.2002),also die Folge der immer größeren Steuerschlupflöcherund die Folge von Krise und Arbeitslosigkeit. Das bedeu-tet: "Während das Ausgabenniveau von Bund und Län-dern kräftig gestiegen ist, befinden sich die Ausgabender Kommunen zur Zeit unter dem Niveau von 1993",und: "Die Investitionsausgaben sanken seit 1992 umrund ein Drittel." (DStGB, 5.6.2002).

Nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes(FS 18, R. 3.1) reduzierten die Gemeinden schon in den90er Jahren ihre Investitionen aufgrund der Sparzwängevon rund 60 auf rund 40 Mrd. DM (21 Mrd. Euro) jähr-lich, weitaus stärker als jede andere staatliche Gliede-rung. Besonders stark (um mehr als die Hälfte) sankendie Umweltschutzinvestitionen, außerdem die Investitio-nen in Soziale Sicherung und in das Wohnungswesen.Man könnte vielleicht meinen, dieser langjährige Rück-schritt – der auch von einer entsprechenden Arbeitsplatz-vernichtung in den Gemeinden begleitet war – wirke alsAlarmzeichen. Nicht so bei der Bundesregierung. Das Fi-nanzministerium bleibt cool: Das kommunale Haushalts-recht bewirke, "dass auf hohe Finanzierungsdefizite ...mehr oder weniger schnell Jahre mit Finanzierungsüber-schüssen folgen", Panik sei also nicht angebracht.Dieses Haushaltsrecht besagt: "Bei sinkenden Einnahmenund/oder steigenden Ausgabeverpflichtungen im Verwal-tungshaushalt muss die Kreditaufnahme – und damitauch die Investitionstätigkeit – zwangsläufig zurückge-führt werden. Zudem fordert die Kommunalaufsicht desLandes bei defizitären Verwaltungshaushalten verbind-liche Strategien zu einem mittelfristigen Abbau der Defi-zite." (BMF, 2002). Konkret also: Verschuldete Kommu-nen werden gezwungen (notfalls durch den Entzug derHaushaltsvollmacht und den Einsatz einer Art staatlichen

Konkursverwalter), Sachanschaffungen und Investitionenzusammen zu streichen. Das angekündigte "äußerst am-bitionierte" staatliche Stabilitätsprogramm wird dieseZwänge durch weitere Lastenübertragungen an die Kom-munen sicherlich noch potenzieren5) 6).

Diese den Kommunen auferlegten Sparzwänge geratennaheliegenderweise mit dem kommunalen Investitions-bedarf in Konflikt. Das Deutsche Institut für Urbanistik(Difu) – wohl das wichtigste Institut in Deutschland, dassich seit Jahrzehnten mit kommunalen Fragen beschäf-tigt – hat eine Studie veröffentlicht, die den gesamtenkommunalen Investitionsbedarf von 2000 bis 2009 auf665 Mrd. Euro beziffert, also 67 Milliarden Euro pro Jahr(Difu, 2002). 26 % davon entfallen auf den Verkehrsbe-reich, 19 % auf Soziale Infrastruktur und 18 % auf Was-ser und Umweltschutz. Allein dieser letztere Bedarfsbe-reich macht mit 12,5 Mrd. Euro im Jahresdurchschnittschon mehr als die Hälfte dessen aus, was die Kommu-nen bisher – vor dem Zwangs-Stabilitätsprogramm –überhaupt noch an Investitionskraft aufbringen können.Die Kostenstrukturstatistik (Jahrbuch des StatistischenBundesamtes) zeigt die Verschuldung der kommuna-len Unternehmen. Im Durchschnitt aller Industriebran-chen lag der Kostenanteil für Fremdkapitalzinsen amUmsatz 1998 bei etwa 1 %. Bei der Wasserversorgung,die zumindest 1998 noch sehr stark durch die Stadtwer-ke geprägt war, mussten knapp 10 % der Umsatzerlöseals Zinsen an die Banken gezahlt werden. Jede sonstigeBranche liegt unter 2 % Zinsbelastung ihres Umsatzes –mit Ausnahme der ebenfalls sehr stark kommunal ge-prägten Fernwärmeversorgung mit 4 %.

Die angebotene Lösung

Der krasse Widerspruch zwischen dem Bedarf an Investi-tionen und dem heutigen und sich noch verschärfendenMittelaufkommen hierfür ist offensichtlich. Die Wasser-ver- und -entsorgungsanlagen haben immer höheren Re-novierungsbedarf, dem aufgrund des Haushaltsrechtesund der schon bestehenden Schuldenlast nicht nachge-kommen werden kann. Und der Wasserkonzernvertre-ter steht vor der Tür, bietet Investitionen und Beteili-gung oder die Übernahme der Wasserwerke an. Eine fürdie anlagesuchenden Kapitalüberschüsse der Konzernegünstigere Lage der Kommunen ist kaum vorstellbar. So-weit diese Zwangslage bewusst so herbei geführt wurde,ist das zweifellos sehr geschickt eingefädelt. Die Progno-se, dass der kommunale Ausverkauf in den nächsten Jah-ren den Schwerpunkt des deutschen Beteiligungsmarktesdarstellen wird (siehe Abschnitt 3.2), ist daher leichtnachvollziehbar.

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Cross Border Leasing – ein Finanzierungs-Mehrzweckinstrument

Cross Border Leasing (= grenzüberschreitendes Leasing)heißt ein neues Finanzierungsinstrument, das vor etwa fünfJahren von Finanzinstitutionen entworfen wurde und denKommunen als die neue Wunderwaffe gegen Verschuldungpräsentiert wird. Kurz gesagt, vermietet eine Kommune Anla-gen an einen US-Investor und mietet sie gleichzeitig von ihmzurück. Dafür erhält sie zu Vertragsbeginn einen einmaligenBetrag in Höhe von 3 bis 6 % des Anlagenwertes.In Wirklichkeit ist dieses Geschäft höchst komplex und dieentsprechenden Verträge sind viele hundert Seiten lang. Spe-zialisierte Sondervermögen in den USA, aufgelegt von Finanz-institutionen und Banken, treten bei deutschen Kommunenals Hauptmieter auf und leasen in einem langfristig (mindes-tens 99 Jahre) angelegten Hauptmietvertrag kommunaleAnlagen wie etwa das Abwasserreinigungssystem. Die Kom-mune wird damit zum Hauptvermieter. Zeitgleich mietet dieKommune in einem kürzer laufenden (25 Jahre) Rückmiet-vertrag die selben Anlagen zurück. Sie bleibt nach deut-schem Recht weiterhin Eigentümerin und Betreiberin. Nach25 Jahren kann sie den Vertrag ohne weitere zusätzlicheZahlung beenden, ansonsten wird der US-Investor zum tat-sächlichen Anlagenbetreiber.Nach US-Recht wird dieser Spezialfonds, ein von US-Finanz-institutionen wie Banken, Versicherungen, Pensionsfondseingerichtetes Sonder-Treuhandvermögen, zum Eigentümerder deutschen kommunalen Anlagen. Er kann diese nun inseiner Bilanz aktivieren und deshalb abschreiben. Das ist derspringende Punkt. Es handelt sich um eine extreme Formeiner Abschreibungsgesellschaft, gegründet mit dem allei-nigen und ausschließlichen Ziel einer Steuervermeidung inden USA.Nach deutschem Steuerrecht wäre das eine reine Steuerum-gehungs-Konstruktion und damit von vornherein nicht aner-kennungsfähig. Deshalb ist auch kürzlich der spektakulärePlan der Stadt München, ihr Rathaus an eine deutsche priva-te Stiftung zu verkaufen, aber trotzdem als Stiftungserbe"faktisch Eigentümer" zu bleiben und durch das Ausnutzendes Erbschaftssteuerrechts zu 20 Millionen Euro zu kommen,nach Drohungen des bayerischen Finanzministers gleich wie-der zurückgezogen worden (HB, 17.10.2002). In den USAscheint so etwas besser zu gelingen; allerdings streiten sichdie Kommentatoren über mögliche Risiken für solche Ge-schäfte, die aus zukünftigen Änderungen der US-Steuerge-setze resultieren könnten. Immerhin schätzt das US-Finanz-ministerium, dass diese Konstruktionen zur Zeit zu Steuerver-lusten von 10 Milliarden Dollar jährlich in den USA führen(Rügemer, 2002).Diese Art legaler Steuerumgehung ist also weit verbreitet.Neben einigen Industriekonzernen sind es vorwiegend Kom-munen (und zwar in vielen europäischen Ländern), die Anla-gen vermieten, in Deutschland vorwiegend in Nordrhein-Westfalen und in Ostdeutschland. Waren es ursprünglichhauptsächlich Straßenbahnanlagen, so wurde der Umfangnach und nach ausgeweitet auf Wasserversorgung und Ab-wasserentsorgung, auf Strom- und Gasnetze, Kraftwerke,Messehallen, Krankenhäuser usw. usw. "Laufend werdenneue Arten verwertbarer Infrastruktur entdeckt," berichtetder österreichische Städtebund (2002).

Die Hauptnutznießer der SteuerumgehungenWer aber sind die Hauptnutznießer dieser Steuerumgehun-gen? Das sind mitnichten die deutschen Kommunen. DerBruttoertrag für den US-Investor aus diesem Anlagenab-

schreibungsgeschäft, also für den dahinter stehenden Fi-nanzkonzern, beläuft sich nach Angaben von Rügemer auf10 bis 35 % des Anlagenwertes. Das ist die Summe allerzukünftigen mit diesem Geschäft verbundenen Zahlungsströ-me (Haupt-, Rückleasingraten, Steuererstattungen usw.), ab-gezinst auf den heutigen Zeitpunkt (Gegenwartswert allerZahlungen). Etwa 3 bis 6 % des Anlagenwertes geht an dieKommune, also rund ein Fünftel des gesamten Geschäfts-ertrages.Mit vier Fünfteln teilen sich die anderen Beteiligten dieHauptbeute: Das ist in erster Linie der besagte US-Investor.Dann ist manchmal zur Absicherung eine Sonder-Gesell-schaft auf den Cayman-Inseln oder an ähnlichem steuerpara-diesischem Ort dazwischen geschaltet. Vor allem aberbraucht man auch in Deutschland eine buchführende undabsichernde Großbank, wahrscheinlich, weil den Kommunennicht zu trauen ist: Auf sie überweist der US-Investor den Teildes Gesamtertrages, der für die Kommune bestimmt ist (alsoihren einmaligen, anfänglichen Barwertertrag für das Haupt-leasing) sowie eine weitere Summe, die bei der Bank ver-bleibt und die ausreichend ist, um daraus die 25 Jahre langlaufenden Rückleasingraten der Kommune an den US-Inves-tor zu entnehmen. Schließlich brauchen auch die internatio-nalen Anwaltsbüros für die Erarbeitung der voluminösenVerträge und die US-amerikanischen Bewertungsbüros fürdie Aufnahme und Wertschätzung der Kommunalanlagennach US-Bewertungskriterien noch einiges Honorar. SolcheGeschäfte rentieren sich daher erst bei einer Anlagensummevon mindestens 150 Mio. Dollar, die höchste Einzelvertrags-summe lag bisher bei 1,5 Mrd. Dollar (Rügemer, 2002). Die Entspannung der kommunalen Sparzwangslage ist teuererkauft: mit einem Profit in mehrfacher Höhe für das Finanz-kapital und mit beträchtlichen Risiken für die Kommunen.Die Kompliziertheit dieser Verträge bringt teilweise recht un-durchsichtige Beziehungen zwischen den Vertragspartnernmit sich, die häufig wohl durchaus gewollt und vertraglichfestgelegt wird. So berichtet Rügemer (2002) von der Un-möglichkeit, den letztlichen US-Vertragspartner für dasCross-Border-Leasing der Kölner Klärwerke herauszufinden.Auch der Kölner Stadtrat wurde informativ knapp gehalten,er hatte als Beschlussvorlage nur eine kurze Zusammenfas-sung des 800-seitigen Vertrages. Im Fall der Nürnberger Klär-werke wurde den Stadtwerken vertraglich untersagt, denUmfang der Geschäfte auszuplaudern; sie dürfen nicht ein-mal bekannt geben, wer der ausländische Investor ist (SZ,6.11.2002). Hoffentlich wissen sie es selber. Wer weiß, wie-viel Schwarzgeld in diesen höchst dubiosen Geschäften undSonderfonds weiß gewaschen wird!Trotzdem: Am lautesten freuen sich die Kommunen, denmeisten Grund zur Freude haben offensichtlich die beteilig-ten Finanzkonzerne. Alle wesentlichen Risiken liegen beiden Kommunen. Das Nicht-Zustande-Kommen eines Ver-trags bei einem Verhandlungsabbruch, der Untergang (Zer-störung) oder die Stillegung der Anlagen, gleich aus wel-chem Grund, das vorzeitige Vertragsende durch Konkurs: alldas führt zu Kostenerstattungen und Vertragsstrafen in dras-tischer Millionenhöhe (z.B. um die 20 % des Anlagenwertesbei vorzeitiger Vertragskündigung). Im übrigen ist auch derVerkauf von Anlagenteilen untersagt – jedenfalls soweit diesnicht speziell im Leasingvertrag geregelt ist. Möglich bleibtallerdings eine unternehmensrechtliche Ausgründung undder Verkauf des gesamten Anlagevermögens, also etwa dieGründung einer Stadtwerke Strom GmbH und ihre Privati-sierung.

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4. Herausbildung der Global Players in der Wasserwirtschaft

Unter den Global Players sind die auf dem Weltmarktmaßgebenden und dominanten Konzerne einer Branchezu verstehen. In den letzten beiden Jahrzehnten vollzo-gen sich in der Welt-Wasserwirtschaft drastische Ände-rungen hinsichtlich der Unternehmensstruktur.

Bis in die 80er Jahre hinein war die Wasserwirtschaftüberall eine Branche mit einer eher gemächlichen Ent-wicklung. In aller Regel lag die Wasserversorgung in öf-fentlicher Hand, auch in Frankreich, wo allerdings dieKommunen seit jeher langfristige Betreiberverträge mitPrivatunternehmen abschlossen. Große private Wasser-betriebe gab es daher praktisch nur dort; in erster Linie:

Générale des Eaux, Lyonnaise des Eaux, Suez, Saur. Auchder traditionsreiche größte deutsche private Wasserver-sorger, die Gelsenwasser (ein Tochterunternehmen derVeba, der späteren EON), war und ist sehr klein im Ver-gleich zu diesen französischen Betrieben.

Privatisierung und Konzentration

Ab 1989 kam Leben in diese Struktur. Die Thatcher-Regierung privatisierte in England die Wasserwirt-schaft. Die bisher kommunalen Versorger wurden ingrößeren Einheiten zusammengefasst und vollständigverkauft. Zu dieser Zeit wuchsen auch die französischenUnternehmen stark durch Aufkäufe im Inland und durchdie Aufnahme von Auslandsinvestitionen. Besonderswichtig war die Fusion von Suez mit Lyonnaise des Eaux,deren Wasser-Konzernteile den wohlklingenden Namen

RWE und EON – Hintergründe zum Verständnis der Wassermarkt-Ambitionen

Zwei Konzerne sind in Deutschland mit großem Abstand diegrößten und wichtigsten im Bereich Energie & Versorgung:RWE (Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke) und EON(New-Economy-Kunstname, auch e.on), beide von ungefährgleichem Gewicht.Bis 1998 war die Stromwirtschaft (wie die Wasserwirtschaftauch heute noch) von der formalen Konkurrenz ausgenom-men. Jedes Stromunternehmen war auf ein geografischesGebiet festgelegt, in dem es jeden Anschlusswilligen versor-gen musste. Umgekehrt durfte kein Stromverbraucher Stromvon einem gebietsfremden Stromunternehmen beziehen. DieStromtarife wurden auf Basis der entstandenen Kosten vomWirtschaftsministerium genehmigt, was den Stromunterneh-men finanziell sehr auskömmliche Verhältnisse verschaffte.Der Fleckerlteppich der Gebietsmonopole wiederholte sichauf drei Ebenen: die unterste war/ist von ca. 800 Stadtwer-ken besetzt, die mittlere (nicht flächendeckend) von ur-sprünglich ca. 70 Regionalversorgern, die oberste von neunVerbundkonzernen.

Ursprünge von RWE und EONRWE war während der Gebietsmonopol-Zeit der Stromversor-gung jahrzehntelang der unangefochten stärkste, lukrativsteund führende Stromkonzern. Bis heute monopolisiert er fastden kompletten Braunkohlebergbau, was ihm jahrzehntelangkonkurrenzlos günstige Stromerzeugungskosten bescherteund die Ansiedlung der größten industriellen Stromverbrau-cher in seinem Gebietsmonopol (mit Unterbrechungen vonHolland bis Südbayern) sehr förderte. Basierend auf dieserErtragslage heimste er reihenweise branchenfremde Indus-trieperlen ein wie Heideldruck (Weltmarktführer im Druck-maschinenbau), Hochtief (ein auch in der heutigen Baukriseaufgrund seiner weltweiten Tätigkeit lukrativer Baukonzern),DEA (die vormalige Deutsche Texaco) und Thyssengas (be-deutender Gasversorger).EON entstand erst nach 1998 aus dem Zusammenschluss vonVeba und Viag. Beide waren ursprünglich Holdings in Staats-besitz (heute längst privatisiert), unter deren Dach strategischwichtige Industrien gesammelt wurden. In der Nazizeit wur-den sie groß und umfassten vor allem Chemiefirmen (Benzin(Aral) und Kohlechemie), die komplette Aluminiumherstel-lung (VAW), die technisch wichtigen Ferrolegierungen undden zweitgrößten Stromkonzern Preußenelektra (Schleswig-Holstein bis Hessen). Veba war vor der Fusion mit Viag der

Konzern mit den meisten Tochterfirmen und dem häufigstenKauf und Verkauf von Töchtern. Viag kaufte um 1990 dendrittgrößten Stromerzeuger Bayernwerk, wobei – in einemlangwierigen Arrondierungsprozess der Besitzverhältnisse –die Thyssengas an RWE im Tausch für RWE-Anteile an dersüddeutschen Stromerzeugung abgegeben wurde.

Deregulierung und Konzentration in der StromwirtschaftDie Gebietsmonopole hatten den Vorteil gesicherter Mono-polprofite, aber den Nachteil der Geschäftsbegrenzung. Die-ser Nachteil wog dann schwerer, als das angestammte Gebietzu eng für die Konzerngröße wurde und die großen Konzer-ne sich von gebietsübergreifendem Wachstum viel mehr ver-sprachen. 1998 fiel die formale Monopolwirtschaft EU-weit,es wurde Konkurrenz, Effizienz, Wohlstand versprochen. Die-se Deregulierung hatte in der BRD durchschlagenden Erfolg.Aus den neun Verbundunternehmen wurden vier Konzerne,die samt Regionaltöchtern die Republik flächendeckend do-minieren. RWE kaufte den Dortmunder Nachbar-Stromkon-zern VEW, der das Ruhrgebiet versorgte. Der Zusammen-schluss von Veba und Viag brachte auch Preußenelektra undBayernwerk zur EON Energie zusammen – und damit einStromunternehmen in Deutschlands Mitte durchgehend vonFlensburg bis Berchtesgaden. Im Südwesten entstand der Zu-sammenschluss EnBW (Energie Baden-Württemberg). Und imNordosten werden unter der Obhut des schwedischen Strom-konzerns Vattenfall gerade die Hamburger HEW, die BerlinerBewag und die ostdeutsche VEAG zusammengeschoben.RWE und EON sind wohl die potentesten in der europäischenStromwirtschaft. Zwar setzen die russische RAO und die fran-zösische EdF mehr und die italienische Enel etwa ebenso vielStrom ab wie RWE oder EON, aber EdF und Enel werdenstaatlicherseits eng geführt wie ein großer gesamtstaatlicherStadtwerkebetrieb. EdF ist zudem – AKWs sind auch in Frank-reich teuer – immer noch stark verschuldet und die RAO(strommäßig noch um die Hälfte größer als die EdF) magvielleicht für russische Verhältnisse potent sein.

Interessenabgleich: EON – Erdgas; RWE – WasserBesondere Anstrengungen richtet EON derzeit auf den Gas-bereich. Hier besitzt EON mit der wenig bekannten Thügabereits eine absolute Perle: Thüga ist an rund 130 Stadtwer-ken und Regionalverteilern beteiligt, wenn auch in der Regelnur in der Minderheit. Die Thüga versteht sich als Unterstüt-

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Ondeo bekamen. Zusammen mit der Générale des Eaux,die sich in Vivendi umbenannte, entstanden so zwei Kon-zerne, die mit riesigem Abstand vor den nachfolgendenKonzernen die Weltrangliste anführten.

Richtige Dynamik kam dann Ende der 90er Jahre in denWassermarkt, und zwar aus einer geografisch und bran-chenmäßig zunächst fremden Ecke: Die Deregulierungder Energiemärkte (Strom und Gas) ab 1998 in der EUhatte in der BRD durchschlagenden Erfolg (siehe dazuauch isw-report 41 über die Stromwirtschaft). Innerhalbweniger Jahre wurde der deutsche Fleckerlteppich vonGebietsmonopol-Versorgern durch eine flächendeckendeDominanz von vier großen Stromkonzernen samt Regio-naltöchtern abgelöst (siehe Kasten RWE und EON). DieKonzentration auf die Kernkompetenzen führte vor allembei den beiden größten Konzernen zum Abstoßen nicht

mehr brauchbarer Geschäftsfelder und damit zu giganti-schen Massen an liquiden Mitteln: EON um die 50 Mrd,RWE um die 30 Mrd. Euro.

Beide Konzerne zählten neben Strom und Gas auch dieWasserversorgung zu ihren Kernkompetenzen. Da hattensie zwar so gut wie nichts auf der Palette: EON nur den –im internationalen Vergleich – Regionalligisten Gelsen-wasser; RWE hatte gar nichts Nennenswertes, gründeteaber auf die Schnelle schon mal RWE Aqua. Das dahinterstehende Konzept war und ist – RWE propagiert das amausdauerndsten – "Multi Utility": Alle ähnlichen Versor-gungen und Dienstleistungen sollen aus einer Hand kom-men: Strom, Gas, Wasser und Abwasser, Müllentsor-gung, Dienstleistungen vom Contracting bis zur Heizko-stenabrechnung. Der Kunde braucht den Konzern niemehr verlassen.

zerin und Beraterin der Stadtwerke bei allen Optimierungs-fragen zur Geschäftsführung, bei der Vertragsgestaltung undGeschäftsanbahnung usw. Bei der Thüga ist möglicherweisedas profundeste Wissen über Lage, Erfolge, Probleme derdeutschen Stadtwerke konzentriert. Zu diesem Potenzialkommen noch 60 Stadtwerke-Beteiligungen von seiten EONaußerhalb der Thüga dazu (darunter 20 der EON-Wassertoch-ter Gelsenwasser), insgesamt ein Endkunden-Marktanteil von38 %. Überwiegend handelt es sich um Anteile an mittel-großen Stadtwerken, allerdings sind darunter auch dieStadtwerke Bremen und Hannover sowie Heingas, der Ver-sorger von ganz Hamburg.Derzeit dürfte EON der Zugriff auf die Ruhrgas gelingen.Ruhrgas ist auf der Gasseite – ähnlich wie RWE und EON aufder Stromseite – europaweit zwar nicht der absatzstärksteGaskonzern, hat aber in der Rangliste der lukrativsten undökonomisch stärksten Gaskonzerne eine Topposition inne.Mit dieser Übernahme ist EON dann nicht nur einer dergrößten Stromkonzerne, sondern auch der schlagkräftigsteGaskonzern. In Deutschland hat die Ruhrgas um die 60 %Marktanteile beim Import und Großhandel, bei der Endver-sorgung der Verbraucher dürfte der Marktanteil von EON &Ruhrgas (bestehend aus den von Ruhrgas abhängigen End-verteilern und dem auf Thüga und anderen beruhenden EON-Potenzial) sogar noch höher sein. Nach der Fusion soll dieThüga auf die Ruhrgas verschmolzen werden.Kein Wunder, dass sich Bundeskartellamt und Monopolkom-mission unisono vehement gegen die Übernahme ausgespro-chen haben. Das interessierte niemanden groß, jedenfallsnicht die EON und nicht die Bundesregierung, der daran gele-gen war, einen international höchst schlagkräftigen Gaskon-zern aufzubauen. Wirtschafts-Staatssekretär Tacke – er orga-nisiert die Ministerentscheidung*) zur Korrektur des Fusions-verbotes seitens des Kartellamtes – zu dieser wohl ziemlichbeispiellosen Zusammenballung von Marktmacht gleicher-maßen auf der Bezugs- und Großhandelsseite wie auch imEndverbrauchermarkt: Mit der gesicherten Absatzbasis durchdie Thüga könne die Ruhrgas leichter das Risiko tragen, sicham Fördergeschäft zu beteiligen (HB, 8.7.2002). Das zeigt dieZielrichtung auf: Offen ins Visier genommen wurde der Ein-stieg (Perspektive Übernahme) bei der russischen Erdgasför-derung, d.h. bei der Gazprom, dem einzigen großen russi-schen Konzern, der satte Profite macht. 5 % Anteil daran hatdie Ruhrgas derzeit, auf 20 % spekuliert sie (EID, 26/2001);heute schon ist sie der größte Teilhaber an dem ansonstenstaatlichen Konzern. Großes Interesse wurde auch an demzur Privatisierung anstehenden norwegischen FörderkonzernStatoil angemeldet. Norwegen und Russland decken mit stei-

gender Tendenz zwei Drittel des deutschen Gasimportes ab.Noch mal Tacke, stolz auf sein Werk: "Es entsteht ein deut-scher Global Player, der international im Wettbewerb beste-hen kann." (HB, 8.7.2002).Der stärkste Widerstand gegen die Fusion kam im Vorfeldvom äquivalenten Konkurrenten RWE. Dieser bezeichnet sichselbst aufgrund einer Vielzahl von Firmenübernahmen, v.a.im östlichen Ausland, als fünftgrößter europäischer Gaskon-zern mit wichtigen Zugängen zu den Förderstätten. Die Über-nahme der Ruhrgas durch EON beschränkt die Machtpositionder RWE auf dem Gasmarkt deutlich. Die glückliche Lösungdieses Problems lag auf der Hand, und wir folgen hier derDarstellung der Wirtschaftswoche (13/2002): Der Finanzkon-zern Allianz ist mit 12 % an RWE und mit 10 % an EONbeteiligt und gilt in beiden Fällen als einflussreichster Teilha-ber. Zur Wahrung der Gesamtinteressen wurde festgelegt:EON konzentriert sich auf die Gaswirtschaft, RWE bekommtvon EON neben anderen Wohltaten zur Besänftigung die Gel-senwasser und konzentriert sich, von EON hier ungestört, aufdie Wasserwirtschaft.

*) Bezeichnend war das Bieterverfahren. Geboten hat für den RWW-Anteil alles,was national und international Rang und Namen hat (SZ, 28.8.2001), wobeiRWE Aqua und EON-Gelsenwasser beide mit jeweils 226 Mio. DM das Höchst-gebot abgaben. Im Frühjahr 2002 zog Gelsenwasser ihr Angebot sang- undklanglos zurück – offensichtlich war hinter den Kulissen der Interessenausgleichrund um die Ruhrgas-Annexion gefunden. RWE Aqua war der verbleibendeHöchstbieter, worauf nach der Darstellung der "Mülheimer Bürgerinitiativen"(www.mbi-mh.de) Nachverhandlungen aufgenommen wurden, die zu einer mas-siven Vergünstigung für den Käufer führten (insbesondere das Recht zu einerWasserpreiserhöhung um 6,5 %), laut MBI im Gegenwert von 80 Mio. DM, natür-lich ohne Kaufpreiserhöhung.

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Klar war bei der dürftigen Ausgangsposition im Wasser-markt, dass ein organisches Wachstum ohne Aufkäufedie Ambitionen nicht annähernd traf. Also fing mangleich ganz oben an. RWE verhandelte mit Vivendi, EONmit Suez und später mit Saur über Fusionen bzw. Über-nahmen des Wassersektors. Das war denn doch etwas zuüberheblich – alle diese Versuche scheiterten.Übrig blieben immerhin einige gemeinsame Projekte, v.a.der gemeinsame 49,9%-Anteil von RWE und Vivendi anBerlinwasser (50,1 % bleiben vorläufig beim Senat). 1999kaufte die Bietergemeinschaft den Anteil für 3,1 Mrd.DM, was als teuer galt; aber der Einstieg ins hauptstädti-sche Wassergeschäft hatte eine wegweisende Funktionin der Privatisierungsdiskussion. Suez und Thyssen grün-deten zu je 50 % Eurawasser (mittlerweile 100 % Suez).Eurawasser hat in Ostdeutschland einige Beteiligungen,wurde allerdings aus den beiden wichtigsten, Rostockund Potsdam, hinaus gekündigt: Entgegen den Abspra-chen im Beteiligungsvertrag hatte Eurowasser dort dieWasserpreise erhöht.

RWE wird Wasserkonzern

Während EON auf dem Wassermarkt keine Erfolge erzie-len konnte, gelang RWE 2000/2001 ein durchschlagen-der Treffer, nämlich der Kauf von Thames Water, demgrößten englischen und drittgrößten weltweiten Versor-ger (je 12 Mio. Kunden in England und international);Kaufpreis: ca. 10 Mrd. Euro. Gleichzeitig richtete sich derBlick stark auf den sehr zersplitterten US-Wassermarkt.Kurz bevor sie endgültig geschluckt wurde, kaufte Tha-mes Water noch die US-Unternehmen E’town und Azurix(letzteres von Enron, das diese Tochter kurz vor demeigenen Zusammenbruch verscherbelte).Unmittelbar darauf landete RWE mit dem Kauf von Ame-rican Water Works, einem der größten US-Wasserkonzer-ne (15 Mio. Kunden), einen weiteren großen Erfolg. Die

nächste größere Akquisition waren 49 % der Hongkon-ger China Water mit 4 Mio. Kunden und damit der Ein-stieg in das chinesische Wassergeschäft. Schließlich er-hält RWE aktuell im Rahmen der EON-Ruhrgas-Fusionzum Interessenausgleich neben anderen Vergünstigun-gen von EON deren Wassertochter Gelsenwasser. Damitführt RWE im Inland unangefochten. Der im Frühjahr2002 von der Stadt Mülheim verkaufte Mehrheitsanteilan RWW (Rheinisch-Westfälische Wasserwerke) mit einerMillion Kunden im Bereich Mülheim–Oberhausen–Bot-trop fiel selbstverständlich auch an RWE7). In der interna-tionalen Rangliste (Tab. 2) liegt RWE damit an dritterStelle, deutlich hinter Suez und Vivendi, aber mit großemAbstand vor den Nachfolgenden. Ausdrückliches Ziel vonRWE ist es, in der Wasserwirtschaft zum weltweit profi-tabelsten Konzern aufzusteigen. (SZ, 27.3.2002)Schaut man sich die Rangliste an, dann fällt auf, dass beiden ersten vier (beim vierten mit Einschränkungen) dasWassergeschäft in einen vielfach größeren Konzern ein-gebunden ist. Bouygues ist einer der weltweit größtenBaukonzerne. RWE und Suez haben beide die Schwer-punkte Strom und Wasser. Dabei ging Suez den umge-kehrten Weg wie RWE. Ursprünglich ein Wasserkonzern,kaufte Suez nach der EU-Deregulierung die belgischeStromwirtschaft auf (Tractebel und Electrabel), was inso-fern Sinn macht, als beide – Suez und Tractebel – sehrstark im lateinamerikanischen Markt verankert sind. Suezist in mehr als 100 Ländern weltweit präsent, besondersstark in Ostasien und in Südamerika. So liegt die größteeinzelne Versorgung von Suez mit 9 Millionen Kunden inBuenos Aires im kollabierten Argentinien (HB, 4.6.2002).Vivendi ist ein aktueller Problempunkt. Der Nicht-Wasser-bereich des Konzerns, zu dem über 3.000 Firmen gehö-ren, besteht aus Geschäften mit Medien, Filmen, Verla-gen, Internet usw. Vivendi hat sich – wie viele im Kom-munikationsgeschäft – damit völlig überhoben. WährendRWE 30 Milliarden Euro Reserven hat, sitzt Vivendi auf

Tab. 2: Große Wasserkonzerne

Umsatz weltweit in Mrd. Euro(neuestes verfügbares Jahr)*

Anzahl Wasserkundenweltweit in Mio.

Gesamtkonzern Wasserbereich

Vivendi (F) 57,8 Mrd. Euro 13,6 Mrd. Euro 114 (v.a. F, USA)Suez (F) (Ondeo) 42,4 Mrd. Euro 10,1 Mrd. Euro 115 (weltweit tätig, in Südamerika 25)RWE Thames Water (D)(Aggregation: letzte Bilanz) 62,9 Mrd. Euro 2,8 Mrd. Euro 43

zzgl. American Water + Azurix 2,0 Mrd. Euro 15 zzgl. China Water 0,4 Mrd. Euro 5 zzgl. Gelsenwasser 5

Summe RWE ca. 6 Mrd. Euro 68Saur (F) (= Bouygues) 21,0 Mrd. Euro 1,9 Mrd. Euro 31 (in Frankreich: 6)United Utilities (GB) 2,0 Mrd. Euro 1,6 Mrd. Euro ca. 30Severn Trent (GB) 2,9 Mrd. Euro 1,5 Mrd. Euro ca. 20Anglian Waters (GB) 2,9 Mrd. Euro 1,2 Mrd. Euro ca. 10* Die Daten basieren auf den Angaben in den jeweiligen Geschäftsberichten. In der Regel 2001, z.T. früherAnmerkung: Da die Daten aus verschiedenen Quellen stammen, sind die Definitionen nicht immer identisch (Abgrenzung des Wasserbereichs, evtl. Doppelzählung vonWasserversorgung und -entsorgung usw.). Die Angaben sind daher als Größenordnung zu verstehen.

Quellen: Geschäftsberichte, Zeitungsmeldungen

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35 Mrd. Euro Schulden und stand im Sommer 2002mehrfach unmittelbar vor dem Konkurs. Als Nothilfewurde das Wassergeschäft (= Vivendi Environnement),an dem die Vivendi-Holding (= Vivendi Universal) schonnur noch 63 % Anteil hatte, zunächst auf 41 % gesenkt.Künftig soll es ganz abgegeben werden. Darauf hat RWEgerade gewartet, worauf wiederum in Frankreich – sowie es im umgekehrten Fall bei uns wohl auch der Fallwäre – Ängste vor ausländischer Vormacht in der Was-serwirtschaft geschürt wurden (innerhalb von Frankreichist Vivendi der mit Abstand größte Versorger). In einerstaatsmonopolistisch gesteuerten Aktion (Präsident Chi-rac ist unmittelbar involviert) sollen die frei werdendenAnteile zunächst bei den französischen Großbanken undbei "Investoren" geparkt werden. Dann will man weitersehen. Chirac: Ein solch zentraler Service wie die Wasser-versorgung Frankreichs dürfe "nicht in falsche Hände ge-raten" (HB, 25.9.2002).

Wie auch immer das letztlich ausgehen wird, Vivendi fälltals handlungsfähiger Konkurrent auf dem Wassermarktwohl auf längere Zeit weitgehend aus und muss womög-lich mit der Zerfledderung rechnen. Dann bleiben zweiKonzerne, die den Welt-Wassermarkt extrem dominieren:Suez und RWE. Beide Wasserunternehmen sind einge-bettet in kapitalstarke, hochprofitable und weltweit ver-zweigte Konzernholdings. Das Wassergeschäft von Suezliegt vor allem in Frankreich und in der 3. Welt, hier vorallem in Lateinamerika. RWE konzentriert sich beim Was-ser auf England und Nordamerika, ist insgesamt aber inmehr als 40 Ländern aktiv.Dem gegenüber stehen die drei englischen Unternehmenauf der Liste: Mit 2 bis 3 Mrd. Euro Umsatz handelt essich um bedeutende Unternehmen; aber ohne größerenKonzern-Rückhalt haben sie (bestenfalls) zweite Ränge.Damit sind sie nicht so sehr Subjekte, sondern eher Ob-jekte im Spiel der Global Players. Insgesamt sind seit derTotal-Privatisierung 1989 etwa 40Prozent der englischenWasserwirtschaft unter ausländische Konzernkontrollegeraten (www.datamonitor.com, 10.5.2002).

Kapitel III.

Perspektiven und Erwartungen

5. Folgen und Konsequenzen der Marktöffnung in der Wasserwirtschaft

Zur Erörterung der zu erwartenden Folgen der Privatisie-rung ist es nützlich, sich zunächst einige wesentliche Er-fahrungen in Frankreich und in England anzusehen.

5.1 Privatisierungserfahrungen in Frankreich und in England

Frankreich

Die Wasserversorgung ist in Frankreich Aufgabe der36.000 Gemeinden. Diese vergeben per Ausschreibungdas Recht zur alleinigen Versorgung eines bestimmtengeschlossenen Versorgungsgebietes: In den Städtenmeist an private, im zersplitterten ländlichen Raum meistan eigene kommunale Unternehmen (den privaten Ver-sorgern ist es hier zu kleinräumig). Die Anlagen bleibenim Eigentum der Gemeinden; zeitlich befristet (ca. 20Jahre) erhält in einer Art Konzessionsvertrag das Versor-gungsunternehmen die Betriebsführung. Auf dieses wirdauch das Planungs-, Investitions- und Finanzierungsrisikoübertragen. Investitionen, Wasserpreise usw. werdenzwischen der ausschreibenden Gemeinde und dem be-werbenden Versorgungsunternehmen vertraglich festge-schrieben.Interessanterweise liegen die Wasserpreise bei privat-wirtschaftlicher Versorgung um 15 bis 20 % höher alsbei einer kommunal betriebenen Versorgung (Lanz,2002). Den Städten stehen auf der Seite der Konzessions-nehmer nur wenige große Privatkonzerne gegenüber.70 % der französischen Wasserversorgung wird durchdie drei Konzerne Vivendi, Suez und Saur abgedeckt.Diese Marktstruktur begünstigt Bieterabsprachen zwi-schen den Marktteilnehmern. Dementsprechend werdenlaufend zahlreiche Bestechungsskandale bei der Vergabevon Konzessionsverträgen bekannt. Derartige Strukturenwirken preistreibend. Vor allem seit Mitte der 90er Jahresind die Wasserpreise stark gestiegen.Relativ hohe Wasserpreise entstehen auch durch die un-stetige Investitionstätigkeit der Privaten: Gegen Ende derKonzessionszeit werden Investitionen, die nicht unbe-dingt sein müssen, zurückgefahren und zurückgehalten,solange der Anschlussvertrag nicht unter Dach und Fachist. Es gibt daher mehr – letztlich preistreibende – Flick-schusterei und Verrottung als bei einer kontinuierlichenund langfristig angelegten Investitionstätigkeit.In aller Regel sind die Kommunen bei der Konzessions-vergabe den sich bewerbenden Konzernen fachlich aus-geliefert, was ebenfalls preistreibende Wirkung auf dieWasserpreise hat: Was von den Konzernen als notwendi-ge Kosten und Maßnahmen für die Wasserversorgungdargestellt wird, bestimmt die vereinbarten Preise (eben-so wie bei uns die Versorgungstarife auf der Grundlageeiner Kostenrechnung genehmigt werden). Um die Un-

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gleichheit der Vertragspartner bei den Verhandlungen zureduzieren, werden die Kommunen unterstützt: "Sie er-halten Beratung u.a. durch den Verband der delegieren-den Kommunen, Beratungsbüros des Städtebundes,Hochschulen und Institute, Wirtschaftsberater und An-wälte und durch staatliche Stellen (Départements, Regio-nen). Auch der Zentralstaat unterstützt die Kommunen,z.B. durch die Vorlage von Musterverträgen und Ver-trags-Revisionen durch den Staatsrat." (Ewers u.a., 2001,Seite 27).Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass das Wasser-versorgungssystem in Frankreich

● objektiv teuer ist: Zeitweise gesichertes Privatmonopolmit Preisüberwälzung; teilweise suboptimale Vergabeper Korruption; suboptimale diskontinuierliche Investiti-onstätigkeit;

● eine beträchtliche Ämter- und Instanzenflut nach sichzieht, um den strukturellen Verhandlungsnachteil derKommunen gegenüber den Wasserkonzernen halbwegsaufzufangen, und um die Nachteile für den Verbraucheraus dieser Ungleichheit nicht ausufern zu lassen.

England und Wales

1989 wurde die öffentliche Wasserversorgung in Eng-land und Wales in einem Dutzend Unternehmen zusam-mengefasst und in einem Rutsch privatisiert. Danebenexistieren noch kleinere private Versorger, die es schonvor 1989 gab. (Schottland machte die Privatisierungnicht mit). Seither hat sich die Versorgungsqualität deut-lich gebessert – wenn auch die Wasserqualität und dasUmweltschutzniveau im Vergleich zu Deutschland nachwie vor niedrig sind.Bevor man, wie die Privatisierungsanhänger, diese Ver-besserungen dem positiven Marktwirken zuschreibt,muss man das Ausgangsniveau und die Rahmenbedin-gungen bedenken. Den vor 1989 öffentlich-rechtlichenWasserversorgern auf kommunalem Niveau war eineKreditaufnahme durch das britische Haushaltsrecht ver-boten. Sie waren angewiesen auf Geldzuwendungen sei-tens des zentralstaatlichen Finanzministeriums. Damitwaren sie noch viel schärferen finanziellen Restriktionenunterworfen als es die deutschen Kommunen undStadtwerke sind. Durch die Verweigerung der notwendi-gen Geldmittel bewirkte die Thatcher-Regierung, dassdie Wasserversorgung zusehends verrottete. Die Privati-sierung erschien als Segen, die dringendsten Maßnah-men konnten in Angriff genommen werden.Der zweite Faktor bei der Qualitätsverbesserung ist dieVerschärfung einer Reihe von Vorschriften zur Wasser-qualität seitens der EU in den 90er Jahren. Wie in ande-ren Ländern, so musste auch die englische Wasserwirt-schaft – unabhängig von der Privatisierung – diese Quali-tätsanforderungen erfüllen. Der deutsche Umwelt-Sach-verständigenrat berichtet über "Erfahrungen aus Eng-land, dass die Durchsetzung entsprechender Standardshäufig auf erbitterten Widerstand seitens der privatenBetreiber stößt" (SRU, 2002, S. 302). Ohne Privatisie-rung wäre die Qualitätsverbesserung offensichtlichreibungsloser verlaufen.So restriktiv die Thatcher-Regierung sich gegenüber denfinanziellen Bedürfnissen der bis 1989 öffentlichen Be-treiber zeigte, so entgegenkommend erwies sie sich an-

lässlich der Privatisierung gegenüber den privaten Inves-toren. Den Wasserversorgern wurden aus Steuermittelnüber 8 Mrd. Euro Schulden zurück bezahlt und zusätzlichwurden sie mit einer Startsubvention von 2,6 Mrd. Euroausgestattet (Lanz, 2002).Trotz dieser äußerst günstigen Kaufbedingungen stiegendie Wasserpreise nach der Privatisierung über viele Jahrehinweg um jährlich 5 Prozent real (also Inflationsrateplus 5 %). Bei einkommensschwachen Haushalten nah-men Probleme mit Wasserrechnungen schneller zu alsalle anderen Verschuldungsursachen (Guy/Marvin, 1996,S. 51). Gleichzeitig wuchsen Gewinnmargen, Dividendenund Vorstandsgehälter in einer Geschwindigkeit, dassdie Privatisierungskritik auf zunehmenden Widerhallstieß (Beispiel: Die von RWE aufgekaufte Thames Waterliefert 4 % Beitrag zum RWE-Umsatz, aber 20 % Beitragzum RWE-Profit, wobei RWE dank des Stromgeschäfteswahrlich kein profitarmes Unternehmen ist). Eine Analy-se der staatlichen Regulierungsbehörde brachte ansLicht, dass fast der gesamte Umsatzzuwachs bis 1997 alsDividende oder als Gehaltserhöhung für die Chefebeneausgeschüttet wurde (Lanz, 2002).Zur Eindämmung des Unmutes setzte die Regulierungs-behörde knappere Preiserhöhungsgrenzen und fordertefür das Jahr 2004 sogar eine Preissenkung. Im Gegenzugdrohten die privaten Versorger mit Investitionsboykott(Sie gaben an, die Investitionen nicht mehr finanzierenzu können); einige drohten damit, die privatisierten Anla-gen wieder auf den Staat zurück übertragen zu wollen.

Sogar die Thatcher-Regierung war sich bewusst darüber,dass private Konzerne, insbesondere in einem so mono-pol- und renditeträchtigen wie auch sozial empfindlichenBereich wie der Gebietsversorgung, beaufsichtigt werdenmüssen. Sie hat daher der englischen Öffentlichkeit eineumfangreiche Wasserwirtschafts-Überwachungsbürokra-tie beschert:● Office of Water Services (OFWAT) für die wirtschaft-liche Überwachung (u.a. Preisgrenzen);● Environment Agency zum Schutz der Umwelt;● Drinking Water Inspectorate für die Trinkwassergüte;● OFWAT Customer Service Committees und OFWAT National Customer Council für Verbraucherinteressen;● Später zusätzlich: Consumer Council for Water zur Unterstützung der oben genannten Einrichtungen.

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5.2 Effizienzgewinne – das Hauptargumentder Privatisierer und Deregulierer

Die wichtigste und die am häufigsten geäußerte Begrün-dung für eine Deregulierung und für eine Privatisierungder Wasserwirtschaft ist – wie auch bei jedem anderenPrivatisierungsvorhaben – die Erwartung höherer Effizi-enz (höherer Produktivität) in der Produktion und niedri-gerer Preise für die Verbraucher. Dass private Unterneh-men im Wettbewerb eine höhere Effizienz in der Pro-duktion als öffentliche Unternehmen in der Daseins-vorsorge erreichen, dass sie also zu niedrigeren Kostenproduzieren, das ist sozusagen das marktwirtschaftlicheUrwissen in unserer Gesellschaft. Und dass es auf Kos-tenminimierung, Konkurrenzstärke und Höchsteffizienzentscheidend ankommt, das ist das elementare Glau-bensbekenntnis in dieser Gesellschaft.Um die tatsächlich zu erwartenden Konsequenzen einerDeregulierung und Privatisierung der Wasserwirtschaftzu erläutern (Abschnitt 5.3), muss in diesem Abschnitterst noch etwas ausgeholt werden. Da die Effizienzthe-matik die Lieblingsthematik der Marktöffner ist, soll auchhier etwas ausführlicher darauf eingegangen werden.(Dieser Abschnitt ist notwendigerweise theorielastigerund trockener als andere.)

5.2.1 Zur Kritik der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie

Hinter dem Glauben an die marktwirtschaftliche Effizienzsteht ein höchst abstraktes Lehrsatzgebäude: die Allge-meine Gleichgewichtstheorie. Dieses Theoriegebäudeformuliert streng mathematische Sätze, hauptsächlichaus den Gebieten der Differentialgleichungen und derAlgebra. Es beweist unter anderem und vor allem, dassbei beliebiger Ausgangskonstellation der Güterausstat-tung und Güterverteilung auf die Marktteilnehmer, eineindeutiges Tausch-Gleichgewicht existiert, dass diesesstabil ist (d.h. es wird von einem beliebigen Startort auszwingend erreicht) und wohlfahrtsoptimal ist (d.h. nie-mand kann besser gestellt werden, ohne dass irgendjemand anders dafür schlechter gestellt werden müsste).Wie bei jedem mathematischen Beweis sind auch hierVoraussetzungen gegeben. Von der Vielzahl der Voraus-setzungen seien einige, für den Preisbildungsprozess we-sentliche, hier genannt:● Kein Tausch im Ungleichgewicht (also solange das An-gebot ungleich der Nachfrage ist); das bedeutet unend-lich schnelle Anpassung der Preise an die Gleichge-wichtspreise;● Volle Information aller Beteiligten über alle Preise undGütereigenschaften (keine Kosten für die Informations-beschaffung);

● Keine externen Effekte (alle gesellschaftlichen Kostensind im Marktpreis einbezogen, keinerlei Auswirkungendes wirtschaftlichen Handelns auf unbeteiligte Dritte; dasbedeutet: keine Umwelt- und Gesundheitsschäden anDritten durch die Produktion, auch keine öffentlichenGüter wie Straßen, -beleuchtung, Schulen, Finanzämter);

● Rein polypolistischer Markt (Jeder Marktteilnehmerhat nur einen infinitesimalen, d.h. unendlich kleinen Ein-fluss auf die Marktpreise).

Es ist ganz offensichtlich, dass diese Voraussetzungen inder realen Marktwirtschaft nicht erfüllt sind. Darüber be-steht auch noch voller Konsens. Aber genau an diesemPunkt beginnt das Anti-Wissenschaftliche, das rein Ideo-logische: Es wird behauptet, die Realität sei ungefähr so,wie die formulierten Voraussetzungen, also etwa: DiePreise reagieren doch auf Ungleichgewichte, Unterneh-men und Haushalte haben doch beträchtliche Informa-tionen über ihre Güterwünsche, es gibt doch beispiels-weise ziemlich viele Bäckereien usw. Daraus wird derSchluss gezogen: Weil die reale Welt fast so gut ist wiedie Theorie es verlangt, ist das marktwirtschaftliche Er-gebnis ebenfalls fast so gut wie die Allgemeine Gleich-gewichtstheorie beweist.Diese simple Behauptung (mehr ist sie wirklich nicht)wird flugs in den Adelsstand der Theoriebildung geho-ben und als die Theorie vom Zweitbesten (second-best-theory) ausgezeichnet. Verbunden damit ist implizit undoft auch explizit, dieses Zweitbeste sei in einer realenGesellschaft das bestmögliche erreichbare Ergebnis wirt-schaftlichen Handelns. Das anti-wissenschaftliche an die-ser Sache, und damit der Erfolg der Marktwirtschafts-Propagandisten, ist das Ungefähr, das Fast-so. Dennwenn der Mathematiker unendlich oder infinitesimalsagt, dann meint er und braucht er das auch genauso,und so etwas wie sehr wenig oder ziemlich viel oder 20Billionen hilft ihm gar nichts 8). Und wenn er "keine Infor-mationskosten" voraussetzt, dann reicht so etwas wie"gut Bescheid wissen" vielleicht in einer schlechten Pisa-Gesellschaft.

Nimmt man die genannten Voraussetzungen so, wie dieTheorie sie benötigt, dann zeigt sich, dass die Realitätnicht ungefähr so ist, sondern das glatte Gegenteil dieserVoraussetzungen. Das bedeutet, dass die AllgemeineGleichgewichtstheorie, die in der Tat ein ausgesprochenelegant und überzeugend formuliertes Theoriegebäudedarstellt, über eine reale kapitalistische Gesellschaftschlicht gar nichts aussagen kann. Sie ist einfach nichtdarauf anwendbar, auch nicht ungefähr oder fast oder inetwa. Mit derselben Rechtfertigung (also mit keiner)könnte man sie dazu heranziehen, um ein stabiles undoptimales Gleichgewicht beim Weltklima zu beweisen.

Wenn das so ist, dann bedeutet das, dass die Theorieden tiefsten Glaubenssatz von der überlegenen Effizienzprivatwirtschaftlicher profitgesteuerter versus öffentli-cher Unternehmen entgegen einer populären Ansichtnicht beweisen kann.

5.2.2 Effizienzgewinne nicht zu erwarten

Auch empirisch kann man allgemein (nicht nur für dieWasserwirtschaft) nicht nachweisen, dass private Unter-nehmen grundsätzlich effizienter (kostengünstiger) pro-duzieren als öffentliche (SRU, 2002, S. 450). Dies beziehtsich auf die betriebliche Effizienz. Regelmäßig ungün-stiger schneiden private Unternehmen ab, wenn man diegesamtwirtschaftliche Effizienz betrachtet. Denn hiersind auch die Folge-, Neben- und Zusatzkosten einer Pri-vatisierung einzurechnen. Deregulierung und Privatisie-rung bedeuten in jedem Fall eine Verminderung desstaatlichen Einflusses auf die Qualität und die Nebenef-fekte (externe Effekte) der Leistungserstellung. Zur Ge-währleistung der vorgegebenen Qualitäts- und Umwelt-

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standards wird mehr Kontrolle nötig, mehr Bürokratie.Genau das sind die Erfahrungen in Frankreich und Eng-land (siehe Abschnitt 5.1). Ein eventueller betrieblicherEffizienzgewinn kann daher auf gesamtwirtschaftlicherEbene ohne weiteres ins Gegenteil verkehrt werden.Die Frage ist nun, ob die Wasserwirtschaft mit ihren be-sonderen Produktionscharakteristika eher günstige odereher ungünstige Voraussetzungen für Effizienzgewinnedurch Privatisierung und Deregulierung bietet.

Ungünstige Produktionscharakteristika

Wie schon in Tabelle 1 dargestellt, zeichnet sich die Was-serwirtschaft durch eine extrem hohe Kapitalintensitätaus. Das Rohwasser selbst verursacht kaum Kosten(eventuell Genehmigungsgebühren für die Gewinnung),dafür aber Leitungsbau, Speicherbau, Aufbereitungsan-lagen. Infolgedessen wird die Wasserpreiskalkulation voneinem Fixkostenanteil von 80 % dominiert.

Eine höhere Produktionseffizienz durch Privatisierungwürde, nach der üblichen Argumentation, den Ersatz ei-nes öffentlichen Monopolbetriebes durch solche Privat-unternehmen voraussetzen, die in intensivem Wettbe-werb stehen. Mit der Privatisierung allein ist es alsokeinesfalls getan, wesentlich für die langfristige Produkti-vitätsentwicklung ist die Wettbewerbsstruktur unter denmöglichen Anbietern, also die Marktform. Diesbezüglichbietet die Wasserwirtschaft aufgrund ihrer hohen Kapi-talintensität ungünstige Voraussetzungen.

Fallende Grenzkosten: Unter Grenzkosten (Marginalkos-ten) versteht man die Mehrkosten (bzw. Kostenverringe-rung) für eine zusätzliche (bzw. verringerte) Produktion-seinheit. Bei hohen Fixkosten sind die Grenzkosten regel-mäßig niedriger als die Durchschnittskosten (= Gesamt-kosten durch Gesamtproduktion). Das trifft insbesondereauch auf die Wasserwirtschaft zu. Eine Verdoppelungder Produktion erfordert also weniger als verdoppelteKosten. Dies ist der klassische Fall für eine unterneh-merische Monopolsituation. Zwei oder mehr konkurrie-rende Anbieter haben zusammen höhere Kosten als einzusammenfassender Anbieter (ein Netz statt mehrereNetze nebeneinander, wenige größere statt viele kleineAufbereitungsanlagen usw.). Die Konkurrenzsituation istdaher nicht stabil, sie wird sich in Richtung Monopolverändern.

Nun kann (und wird) auch ein Monopolinhaber versu-chen, seine Produktionskosten zu senken und damit sei-ne eigene betriebliche Produktivität zu erhöhen. Aberwarum sollte er deshalb seine Abgabepreise senken? Dasmüsste er nur dann tun, wenn ihm Konkurrenz derge-stalt drohte, dass ein neuer Anbieter, der bisher nochnicht im Wassergeschäft war, in den Markt eintreten undihm Absatzanteile weg konkurrieren wollte und könnte.Solange diese Gefahr nicht gegeben oder solange siegering ist, führt eine Rationalisierung im Monopolbetriebzu einem entsprechenden Gewinnanstieg: Bei gleichblei-benden Absatzpreisen werden Kosten reduziert und inGewinne umgewandelt. Gesamtwirtschaftlich betrachtetsind Gewinne ebenfalls Kosten (nämlich Kapitalkosten),weswegen ein gesamtwirtschaftlicher Produktivitätsan-stieg ebenso wenig festzustellen ist wie gesamtwirt-schaftliche Preissenkungen (Kostensenkungen für Was-serverbraucher).

Hohe Marktzugangsschranken: Würde ein neuer An-bieter von außen in den Markt eindringen wollen, dannmüsste er ein komplettes paralleles Leitungsnetz aufbau-en oder zumindest eine extra Leitung zu einem speziel-len, dem bestehenden Anbieter abzujagenden Kunden.Eine solche Konkurrenz um einen festen Kundenbestand,die auf der Basis eines neuen Netzes (und neuer Gewin-nungsanlagen etc.) gegen die wesentlich niedrigeren Kos-ten eines (teilweise) abgeschriebenen Netzes geführtwird, kann unter "normalen Umständen" nicht erfolg-reich sein. Auch ein hocheffizienter Wettbewerber kanneinem Monopolanbieter den Markt kaum streitig ma-chen. Eine Monopolsituation kann daher von außenkaum aufgebrochen werden.Allenfalls könnte ein finanzstarker Konzern versuchen,ein Zweitnetz zum bestehenden aufzubauen (das danneine gesamtwirtschaftlich ineffiziente Überkapazität dar-stellte) und per ruinösem Preiswettbewerb den Marktin-haber zu verdrängen. Das hat mit der behaupteten Effizi-enz marktwirtschaftlichen Handelns aber nichts zu tun.9)

Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Was-serwirtschaft sicher nicht die Vorstellung erfüllt, dass vie-le kleine private Unternehmen im intensiven Wettbewerbum Produktivitätserhöhungen ringen und das ProduktWasser hocheffizient und kostengünstig für die Verbrau-cher erzeugen.

Wettbewerb per Durchleitung

Von der vollständigen Deregulierung und Privatisierungsind also die versprochenen Produktivitätsgewinne nichtzu erwarten. Die Privatisierungsbefürworter suchen da-her nach Auswegen. Wie bringt man einen aufgrund derProduktionscharakteristika weitgehend gesicherten Mo-nopolisten dazu, Kostensenkungen und Rationalisie-rungserfolge in den Preisen weiter zu geben?

Ein oft diskutierter Denkansatz ist, die Netzbetreiberdazu zu verpflichten, ihr Netz für Wasserdurchleitungenfremder Anbieter zu öffnen. Danach sollten freie Netz-kapazitäten anderen Wasseranbietern gegen angemesse-nes Kostenentgelt zur Verfügung gestellt werden müs-sen. Das ist eine teilweise Enteignung; die volle Verfüg-barkeit über das Eigentum wird beschränkt. DerartigeBestimmungen sind in Deutschland bei der Deregulie-rung der Strom- und Gaswirtschaft festgelegt worden,und in England wurde auch in der Wasserwirtschaft indieser Weise experimentiert.

Die bisherigen Erfahrungen mit einem solchen Zwangs-markt sind allerdings ernüchternd. In der deutschenStrom- und Gaswirtschaft verhandeln die beteiligten Ver-bände (Anbieter und Nachfrager unter der Moderationdes BDI) seit Jahren fleißig und zäh über Regelungsver-einbarungen. Abgeschlossene Vereinbarungen haben le-diglich den Charakter von vorläufigen Verhandlungs-Momentanstand-Festschreibungen, die anschließend ge-kündigt und/oder weiterverhandelt werden. Natürlichwill kein Netzbetreiber einen Konkurrenten in seinemNetz haben. Die Abwehrmechanismen sind jedenfalls sozahlreich und so subtil, dass weder die Vereinbarungennoch eine Vielzahl von gerichtlichen Auseinandersetzun-gen und auch nicht die laufenden sehr strengen Ermah-nungen des bisherigen Wirtschaftsministers Müller dieNetze wirklich für Klein- und Mittelverbraucher geöffnet

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hätten. Durchleitungen gibt es praktisch nur vomGroßanbieter zum Großverbraucher-Konzern, aber dasgab es vorher fallweise auch schon.Aus England berichtet der Umwelt-Sachverständigenrat,dass Severn Trent Water, einer der großen Wasseranbie-ter und gleichzeitig der größte Netzbetreiber, ein mehrals 400-seitiges Regel-Handbuch zur Durchleitung her-ausgegeben hat, offensichtlich mit dem Ziel, Durchlei-tungs-Interessenten abzuschrecken (SRU, 2002, S. 299).Die Bürokratiekosten für die Organisation der Durchlei-tung (Transaktionskosten nennen das die Ökonomen,faux frais nannte das Marx), die ja keinerlei Gut erzeugensondern nur Mehrwert vernichten, würden eine erhoffteEffizienzverbesserung aufzehren.

Wettbewerb um den Markt

Es bleibt noch die Konstruktion eines Wettbewerbs "umden Markt": Das ist die Ausschreibung der Wasserversor-gung an Private in periodischen Abständen. Der Gedan-ke: Wenn man die Versorgung häufig neu an Interessen-ten vergibt, dann erhält man jedesmal neu einen Effizi-enzschub vom aktuell effizientesten Wettbewerber.Das Problem ist auch hier die hohe Kapitalintensität unddie geringe Zahl möglicher Interessenten (Monopoltrendin der Branche). Strebt man, wie es der Grundgedankenahelegt, eine häufige Ausschreibung an (alle paar Jah-re), dann kann man nur die reine Betriebsführung verge-ben. Das Anlageneigentum und die Investitionstätigkeitmuss dann – aufgrund des langen Investitionszyklus undder langen Anlagenlebensdauer – im Eigentum und inder Verantwortung der Kommune (des Ausschreibers)verbleiben. Dann aber ist der Betreiber nur Ausführungs-organ und kann die Produktivität kaum beeinflussen.Also muss man, so wie es in Frankreich tatsächlich ge-handhabt wird, die Ausschreibungsperiode auf etwazwanzig Jahre verlängern. Dann kann der Betreiber allewesentlichen Anlagen besitzen und dann ist er frei,durch Investitionen auf eigene Rechnung und effizienteBetriebsführung die Produktivität seiner Wasserversor-gung zu maximieren. Dadurch entsteht ein solides pri-vates Monopol auf Zeit. Während der Vergabeperiodeist das Monopol garantiert und nicht in Gefahr. DieMarktform ist dieselbe wie bei einem traditionellen öf-fentlichen Monopolunternehmen. Der Eigentümerwech-sel allein bei gleichbleibender Marktform – von öffentlichnach privat – garantiert noch keine Effizienz.Die Hoffnungen richten sich hier auf die Konkurrenz-intensität zum Vergabezeitpunkt. Man will den Bestenfinden. Empirisch lässt sich aber zeigen, dass solcheHoffnungen verfehlt sind. Beispiel Frankreich: Es gibt nurwenige mögliche Bieter und es erweist sich, "dass Aus-schreibungsverfahren insbesondere auf Märkten mit ho-hem Konzentrationsgrad geradezu eine Einladung zu Ab-sprachen zwischen den Bietern und zu anderen Unregel-mäßigkeiten darstellen." (SRU, 2002, S. 301). Fast-Mono-pol-Situationen sind sehr korruptionsintensiv. Die Ablö-sung des bisherigen Unternehmens durch ein anderesstellt infolgedessen die Ausnahme dar. Darin drückensich die vorhin angesprochenen hohen Marktzugangs-barrieren aus. Aufgrund der faktischen Fortschreibungprivater Monopole ist damit nicht nur jede Hoffnung aufmarktbedingte Effizienz hinfällig; gesamtwirtschaftlichergeben sich zudem hohe Korruptionsverluste.

Es kommt noch ein sehr wichtiges Moment hinzu: In denKonzessionsverträgen wird, gewitzt aus schlechter Erfah-rung, darauf geachtet, dass die Wasserpreise bzw. de-ren Veränderungsmöglichkeiten fest vereinbart werden.Damit soll den privaten Monopolen eine übergroße Aus-beutung der Nachfrager verwehrt werden. Dadurch aberwird der marktwirtschaftliche Preisänderungsmecha-nismus außer Kraft gesetzt. Das ist genau der Mecha-nismus, nämlich die freien Preisbewegungen, die die An-gebots- und Nachfrageschwankungen ausgleichen sol-len. Das schlagende Herz der Marktwirtschaft schlecht-hin, die pulsierenden Preise, die Preisfreiheit, wird damitzerstört. Wo da noch Effizienz, Gleichgewicht, Optimali-tät usw. herkommen sollen, bleibt wohl ein Geheimnisder Propagandisten der Marktwirtschaftslehre.

Im Grunde ist es die absolute Bankrotterklärung desüberzeugten Marktwirtschaftlers, wenn er den Preisme-chanismus freiwillig außer Kraft setzt. Alle von den Priva-tisierungs-Befürwortern geäußerten Erwartungen hin-sichtlich Produktivitätssteigerungen und niedrigeren Ver-braucherpreisen dürften häufig in den Vordergrund ge-schobene taktische Argumente sein: Sie sollen die Haupt-gründe für die Forderung nach Privatisierung der Was-serwirtschaft nicht so offen werden lassen: das im Kapi-tel 3 dargestellte Bedürfnis nach Verwertung für die an-gesammelten Kapitalüberschüsse.

5.3 Perspektiven für Deutschland

Gesamtwirtschaftliche Effizienzgewinne in der Wasser-wirtschaft sind weder von ihrer Deregulierung noch vonihrer Privatisierung zu erwarten. Stattdessen ist mit an-deren Entwicklungen zu rechnen. Im folgenden einigeAnmerkungen zu wichtigen Bereichen.

5.3.1 Umwelt und Gesundheit

Die heutige Versorgung berücksichtigt sehr stark orts-nahe oder regionale Wasservorkommen. Das bedeutet,dass lokaler Umweltschutz – im Sinne von Grundwasser-schutz und Gewässerschutz – eine relativ wichtige Rollespielt. Im Ergebnis stellen viele Wasserversorger eine sehr

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gute, über die Grenzwerte der Trinkwasserverordnungdeutlich hinausgehende Trinkwasserqualität bereit. EineVernachlässigung des lokalen Wasserschutzes würde al-ternativ spezielle Investitionen in Wasseraufbereitung-stechniken erfordern.

Mit der Konzentration der Wasserwirtschaft, der Ausbrei-tung von überregional wirtschaftenden Unternehmen,und mit der Vereinfachung von Wasser-Durchleitungs-rechten entfällt zunehmend die Begrenzung der Wasser-aufkommen auf die Region. Der Zugang zu entferntenWasserressourcen kann dann günstiger sein. (Tatsächlichstreuen die Wasserpreise, auch in anderen Ländern, re-gional sehr stark, was sicher auch an Menge und Quali-tät der verfügbaren Wasserressourcen liegt.) Der erleich-terte Zugriff auf billiges Fernwasser führt – zwangsläu-fig bei profitorientiert geführten Unternehmen – zu einerVernachlässigung des lokalen und regionalen Gewässer-schutzes. Hält man Gewässerschutz weiterhin für sinn-voll, dann muss hierfür eine andere Behörde beauftragtbzw. gegründet und mit Steuergeldern ausgestattet wer-den. Genau diese strikte Trennung zwischen gebühren-finanzierter Wasserversorgung und steuerfinanziertemGewässerschutz fordern die Protagonisten der Privatisie-rung (z.B. Ewers u.a., 2001, S. 52ff.). Nicht diskutiertwird dabei, was aus dem Gewässerschutz wird, wennorganisch direkt zusammen gehörende Tätigkeiten aus-einander gerissen werden und wenn der Druck zur Aus-gabenreduzierung bei den öffentlichen Haushalten auchdie Ausgaben für Gewässerschutz erreicht (siehe die be-sonders starke Reduzierung kommunaler Umweltschutz-investitionen in den 90er Jahren, Abschnitt 3.4).

Ein ausgebautes überregionales Fernwassernetz (analogdem Stromverbundnetz oder dem Ferngasnetz) existiertbisher nicht; eine auf die lokalen Ressourcen setzendeWasserwirtschaft kann darauf verzichten. Die Zunahmevon Fernwassertransporten als Folge einer Marktöffnungbringt gesundheitliche Probleme: Wässer unterschied-licher Herkunft unterscheiden sich nach chemischen undmikrobiologischen Kennwerten. Mischt man beim Fern-wassertransport die verschiedenen Wässer, dann können– im einzelnen schwer voraussehbar, auch wegen dersich ändernden jeweiligen Wasserzusammensetzung –die Spurenchemikalien und Mikroorganismen ungünstigmiteinander reagieren und das Wasser qualitätsmäßigstark verschlechtern oder gar unbrauchbar machen. Indiesen Fällen wären die Ursachen der Qualitätsreduzie-rung schwer zuzuordnen; kaum lösbare haftungsrecht-liche Schwierigkeiten wären die Folge.

Hinzu kommt, dass sich Wasser auf Dauer zersetzt, d.h.es findet eine Anreicherung von Bakterien statt. Bei einerNahversorgung mit einer kurzen Zeitspanne zwischenGewinnung und Abgabe spielt das keine Rolle, bei derlangen Transportzeit einer Fernwasserversorgung dage-gen eine sehr große.

Aus diesen beiden Gründen, um gesundheitliche Gefähr-dungen zu vermeiden, stellt eine Fernwasserwirtschaftsehr hohe Anforderungen an die Wasserstabilität. DieProbleme aus Wassermischung und Wasserzersetzungkönnen zwar relativ kostengünstig durch die Zugabevon Chlor ins Wasser bekämpft werden. ChloriertesWasser ist aber qualitativ schlechteres Wasser und nachheutiger Rechtslage nur dann zulässig, wenn nur durchdie Chlorierung schwer wiegende Risiken (Krank-

heitsüberträger) vermeidbar sind. Ansonsten ist die Chlo-rierung mit dem derzeitigen Vorsorgeprinzip nicht ver-einbar.Hier besteht also noch juristischer Anpassungsbedarf.Eine Qualitätsverschlechterung des Wassers infolge sei-ner chemischen Behandlung, dies infolge der vermehrtenFernwassernutzung, dies infolge der Vernachlässigunglokaler und der Nutzung entfernter billiger Wasserquel-len, dies infolge der Konzentration in der Wasserwirt-schaft und der Durchleitungserleichterung: damit mussgerechnet werden. Vielleicht weichen die Verbraucherdann verstärkt auf abgepacktes Mineralwasser für denTrink- und Kochbedarf aus. In diesem Fall dürfte eineventueller Preisvorteil aus der Privatisierung der Wasser-wirtschaft mehr als aufgezehrt werden: Mineralwasserkostet pro Liter hundert bis tausend mal so viel wie Lei-tungswasser. Sinnvoll wäre es dann wohl für die Wasser-konzerne, die Getränkeindustrie aufzukaufen.Des weiteren ist damit zu rechnen, dass aus Gründen derGewinnmaximierung und der Kostenminimierung dieTrinkwasserqualität auf das gesetzlich gerade noch er-laubte Maß heruntergefahren wird – anstatt wie heutzu-tage noch das Verordnungsniveau deutlich zu übertref-fen. Eine derartige "Optimierungs"-Strategie, jeden Si-cherheitsabstand zum gesetzlichen Minimum aufzuge-ben, würde erlauben, schlechte und billige Rohwässermit guten zu mischen und damit Kosten für die Wasser-aufbereitung einzusparen. Die Folge einer solchen Strate-gie wäre, dass sich Verletzungen des gesetzlichen Quali-tätsminimums häufen würden, aus welchen Gründenauch immer: seien sie Maschinenversagen, Rohwasser-verseuchungen durch Überschwemmungen, durch Über-düngung, durch Ölunfälle usw. Es hat also durchaus sei-nen Sinn, wenn heutige Wasserwerke die Qualitätsanfor-derungen deutlich übererfüllen.Das Fazit des Umweltbundesamtes: "Aus Sicht des Ge-sundheits- und Umweltschutzes bestehen schwerwie-gende Bedenken gegen die Liberalisierung der Was-serversorgung." (Uba, 2000, S. 83). Fast wortgleichwendet sich auch der Verband kommunaler Unterneh-men gegen "verstärkte Privatisierung und Marktöffnung"(VKU, 2001).

5.3.2 Wasserpreise

Das Versprechen niedrigerer Wasserpreise ist das haupt-sächliche Zugpferd-Argument, das in der Öffentlichkeitdie Stimmung zugunsten von Privatisierung/Deregulie-rung wenden und verfestigen soll. Nun sind die Wasser-preise in der Realität ausgesprochen heterogen. Das be-legt etwa eine Tarifzusammenstellung der Gewerkschaftver.di für das Jahr 2000 (Klopfleisch/Ladstätter, 2002).Danach reichen die Wasserpreise für den Verbrauch einerFamilie von etwa 1,50 Euro/m3 (Stadtwerke Münchenund Karlsruhe) bis etwa 3,00 Euro/m3 (Stadtwerke Mainzund Wiesbaden). Kein privates Unternehmen belegt ei-nen vorderen Platz. Wiesbaden und Mainz gewinnen dasWasser aus dem Rhein und haben daher sehr viel höhereAufbereitungskosten als etwa München mit dem Bezugvon quellnahem Voralpenwasser.Anzumerken ist an dieser Stelle noch, dass zu den Was-ser(versorgungs)kosten noch die Abwasserentsorgungs-kosten hinzu kommen. Sie liegen etwas höher als die

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Frischwasserkosten: derzeit bei etwa 2,20 Euro pro m3

(bezogen auf die Frischwassermenge). Der durchschnitt-liche Haushalt in Deutschland wendet damit etwa 0,5 %bis 1 % seines verfügbaren Einkommens für Wasser plusAbwasserentsorgung auf.Bezüglich international vergleichbarer europäischerTrinkwasserpreise für Haushalte hat das Umweltbundes-amt 1998 eine eingehende Untersuchung veröffentlicht(zitiert nach BGW, 2002 und Uba, 2000):

Vergleich der europäischen Trinkwasserpreise Euro/m3

Spanien 0,20Italien 0,35Dänemark 0,40England 0,85Frankreich 1,00Niederlande 1,40Deutschland 1,45

Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass "eindirekter Vergleich der Preise pro m3 Wasser nur vonäußerst geringer Aussagekraft" (SRU, 2002, S. 296) ist.Mehrere wichtige Faktoren beeinflussen die jeweiligenWasserpreise in den Ländern ganz unterschiedlich:

Größe und Besiedlungsdichte des VersorgungsgebietsQualität, Menge, Verfügbarkeit der WasserressourcenQualität und Mengenabgabe des TrinkwassersHöhe der VersickerungsverlusteUnterschiedliche Subventionierung bzw. Gebührenbelastung

Die abgegebene Menge und die Höhe der Versickerungs-verluste hat deshalb einen hohen Einfluss auf den Preispro m3, weil die Wasserverteilungskosten zu 80 %, alsozu einem extrem hohen Anteil, Fixkosten darstellen (Kos-ten für Leitungsbau, Zähler usw.). Bei niedrigem Durch-fluss verteilen sich die Fixkosten auf weniger m3, so dassder Preis (bei voller Kostenberechnung) steigen muss. InDeutschland ist der Haushaltswasserverbrauch in denletzten Jahren deutlich gesunken und liegt mit etwa 130Liter pro Kopf und Tag klar unter dem der meisten ande-ren Länder (siehe Übersicht in Abschnitt 2.1).

Insgesamt, so das Fazit des Umweltbundesamtes, sinddie Wasserpreise in Deutschland, Frankreich und Englandsehr ähnlich, wenn man die genannten Einflussfaktorenund Kostengrundlagen berücksichtigt.

Einfluss einer Marktöffnung

Die Deutsche Bank Research schätzte im Jahr 2000 dasPotenzial für Preissenkungen in Folge einer stärkerenMarktöffnung in der Wasserwirtschaft auf 10 bis 15 % inden nächsten zehn Jahren. Andere Autoren halten sogarnoch viel höhere Kosteneinsparungen für möglich (Ewersu.a., 2001, S. 23). Andererseits zieht das Umweltbundes-amt in der gerade zitierten Preisuntersuchung denSchluss, dass die Unternehmens-Rechtsform, also die Pri-vatisierung, keinen wesentlichen Einfluss auf die Haus-halts-Wasserpreise ausübt. Schließlich legen die Privati-

sierungserfahrungen (Abschnitt 5.1) eher nahe, dass eineVersorgung nach privatwirtschaftlichen Kriterien dieWasserpreise eher erhöht als senkt.Zu diesem scheinbaren Widerspruch zwei auflösende An-merkungen: Zum einen sind die Begleitumstände bei derTeilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe BWB auf-schlussreich. 1999 übernahmen RWE und Vivendi 49,9 %der BWB. Der Kaufvertrag legte nicht nur eine Mindest-verzinsung auf den Kapitaleinsatz der Konzerne fest (2 %über dem allgemeinen Langfrist-Zinsniveau). Er bestimm-te weiterhin, dass die Rationalisierungsgewinne der er-sten drei Jahre nicht in Gebührensenkungen weiter ge-geben werden dürfen (PDS, 2002).Die bei Privatisierungen häufig feststellbaren Rationalisie-rungswellen führen also – ähnlich wie die Startsubventio-nen beim Privatisierungsbeginn in England – zwar zuKostensenkungen, aber nicht (in diesem Umfang) zuPreissenkungen. Lohnkosten und andere Kosten werdenin Gewinne umgewandelt, die Preise bleiben gleich.Der andere Grund, warum blauäugige Erwartungen zu-gunsten der Haushalte enttäuscht werden, ist die Markt-machtstruktur auf deregulierten Märkten: In einemMonopol-Wassermarkt (wie bisher) kaufen alle beim zu-ständigen Versorger; im deregulierten Wassermarkt da-gegen kann man sich den Versorger aussuchen (sofernDurchleitung möglich ist). Wie bei Strom und Gas ist dasfür die Haushalte praktisch irrelevant, dagegen aberhoch bedeutsam für industrielle Großverbraucher. Wiebei Strom und Gas, so werden sie auch beim Wasser ihreNachfragekraft als Verhandlungsmacht ausspielen undPreisreduzierungen erreichen.Bei Strom und Gas purzelten die Preise für die Größtver-braucher, die schon vorher vergleichsweise niedrig wa-ren, nach der Deregulierung tief in den Keller, währenddie Haushaltspreise sich nur wenig bewegten. Teilweiseund zeitweise lagen/liegen die Strompreise für die Größt-verbraucher sogar unterhalb der variablen Erzeugungs-kosten (der Kraftwerks-Brennstoffkosten), nur um dieneue Konkurrenz (neue Anbieter auf den dereguliertenMärkten) per Preiskampf zum Aufgeben zu zwingen. Dashat bekanntlich gut geklappt; die entgangenen Erlösebei diesen Preiskämpfen um die Größtkunden haben dieStromanbieter bei den Kleinkunden (Haushalte, Kleinge-werbe) wieder hereingeholt: Diese sind sogenannte ge-fangene Marktteilnehmer, da sie sich faktisch keinen al-ternativen Versorger aussuchen können.Deregulierung des Wassermarktes, also die Fähigkeit derGrößtverbraucher, Wasser von anderen Versorgern ein-zukaufen, und die Fähigkeit der Versorger, Wasser anbisher fremde Kunden zu verkaufen – diese Deregulie-rung bedeutet eine Änderung der Preisstrukturen: DerPreisabstand zwischen Klein- und Großverbrauchernwächst; nur die Preise für die Großverbraucher fallen.Die Kleinverbraucher subventionieren faktisch dieGroßverbraucher.Dass auch andere Verhältnisse vorstellbar sind, zeigt ab-schließend eine Meldung von Radio China Internationalvom 5.3.2002, nach der in Peking der Wasserpreis fürIndustriekunden um 60 Prozent höher liegt als der fürHaushalte (germany.cri.com.cn). Offensichtlich ist diechinesische Industrie trotz der für deutsche Verhältnisseunerträgliche Wasserpreisstruktur nach wie vor auf demWeltmarkt vertreten.

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5.3.3 Arbeitsplätzeund Arbeitsbedingungen

Rückgang der Anzahl der Arbeitsplätze

Bild 9 zeigt die Entwicklung der Zahl der Beschäftigten inder Wasserwirtschaft in den letzten beiden Jahrzehnten(die Datenlage reicht derzeit nur bis 1998). In den 80erJahren war noch ein Zugewinn an Arbeitsplätzen zu ver-zeichnen, in den 90er Jahren nach dem DDR-Anschlussdagegen ein starker Abbau. Dieser Abbau ging über dieArbeitsplatzvernichtung in Ostdeutschland in Folge desAnschlusses hinaus: Während in den 80er Jahren dieWasserwirtschaft hinsichtlich der Arbeitsplätze einen An-teil an der Gesamtwirtschaft in konstanter Höhe vonetwa 0,15 % aufwies, fiel dieser Anteil seit Mitte der 90erJahre deutlich.

Das erinnert an die Stromwirtschaft, die Pionierbrancheim Bereich der Versorger hinsichtlich der Marktöffnung:Dort blieb die Beschäftigtenzahl in den 80er Jahren kon-stant, während von 1992 bis 2000 mehr als 25 % (über50.000) aller Arbeitsplätze vernichtet wurden: jährlichum die 4 % mit sogar steigender Tendenz (Daten desStatistischen Jahrbuchs des StaBuA zugrunde gelegt).

Diese Entwicklung ist auch die Perspektive der Beschäf-tigten in der Wasserwirtschaft. Jede Privatisierung undjede Fusion predigt und verstärkt den Zwang zur Kosten-reduzierung, zum – in der Shareholdersprache – besserenKostenmanagement. Und jedesmal wird dabei ein, wennnicht der, Schwerpunkt auf die Personalkosten gelegt.Die Liste der möglichen Maßnahmen ist lang: Rationali-sierung und Arbeitsverdichtung, Auslagerung/Outsour-cing von EDV, Wartung, Fuhrpark usw., Ausbau von Leih-arbeit und Arbeitsbefristungen zu Lasten der bisherigenArbeitsplätze, Wegfall von privatwirtschaftlich unrentab-len Tätigkeiten, etwa im vorsorgenden Umweltschutz(siehe Punkt 5.3.1), usw. usw. Das Ergebnis: "Die Be-schäftigten sind extrem verunsichert", berichtet die fürdie Wasserwirtschaft zuständige Gewerkschaft ver.di .

Rückgang der Qualität der Arbeitsplätze

Privatisierung und Deregulierung erhöhen nicht nur dieArbeitslosigkeit, sie verschlechtern auch die verbleiben-den Arbeitsplätze. Die zitierte "extreme Verunsicherung"wirkt in jeder Hinsicht belastend.

Wir verweisen auf isw-report 51 "Arbeit und menschlicheWürde", der sich ausführlich mit den Ursachen, Formen,Entwicklungen und Konsequenzen von Arbeitsbelastun-gen beschäftigt: "Unsicher Beschäftigte tragen eingrößeres Belastungsrisiko als die Beschäftigten in stan-dardisierten Arbeitsverhältnissen. Sowohl der Abbau vonArbeitsplätzen als auch Ausgliederungen, die Umstruktu-rierung von Unternehmensteilen und ebenfalls der ver-mehrte Einsatz von freien Mitarbeitern und Aushilfen[zieht] ein steigendes Belastungsrisiko innerhalb der Be-legschaft nach sich." (S. 30).

"Vor dem Hintergrund von Arbeitslosigkeit und unsiche-rer Beschäftigung wächst die Angst, den Arbeitsplatz zuverlieren. Diese gezielt geschürte Angst wird Tag für Tagvon den Unternehmens- und Personalleitungen genutzt,um weitere Verschlechterungen bei den Einkommens-

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bedingungen und bei der Arbeitszeit durchzusetzen.Und sie wird genutzt, um die Leistung der Beschäftigtennoch mehr zu steigern. Die Angst - die Existenzangst - istein zentraler Faktor zur Aufrechterhaltung von Herr-schaft geworden. Der Preis für diese betriebliche Praxisist hoch: Die Arbeitsbelastungen der Beschäftigten unddie daraus resultierenden gesundheitlichen Schäden neh-men zu. Die Lebensbedingungen verschlechtern sichmassiv." (S. 2). Erstmals seit der Industrialisierung erhältdie ins Berufsleben neu eintretende Generation schlech-tere Arbeitsbedingungen, als sie ihre Eltern vorfanden.Die Marktöffnung der Wasserwirtschaft trägt ihren Teilbei zu dieser Zukunft.

5.3.4 Volkswirtschaft

Einkommensverteilung

"Analysten erwarten sprudelnde Gewinne ... PrivatenWasseranbietern winken riesige Wachstumschancen"(HB, 19.6.2002) jubeln die Börsianer und legen Wasser-fonds und Wasserzertifikate auf. Heute werden in denUSA 14 % und in Europa 38 % der Bevölkerung von pri-vaten Wasseranbietern versorgt. Weltweit sind es sogarnur 7 Prozent – wobei der niedrige Wert daher kommt,dass viele Menschen gar nicht versorgt werden. Bis 2015erwarten die Wasserfonds-Analysten einen Privatisie-rungsgrad in den USA von 65 % und in Europa von75 %. RWE erwartet eine Verfünffachung des Gesamt-umsatzes privater Wasseranbieter von 90 Mrd. Euro in1999 auf 430 Mrd. Euro in 2010 (Bundestag, 2002,S. 368). Grund genug zum Jubel.Die Börsianer jubeln über die hohen Profite, die in derprivatisierten Wasserwirtschaft zukünftig zu erwartensind. Wie gerade ausgeführt, werden die Privatisierungensicherlich begleitet von einem Rationalisierungsschub(v.a. Personalabbau) und von der Einführung und Erhö-hung eines Gewinnaufschlages auf die Kosten (egal, obman das nun Unternehmerlohn, Risikozuschlag auf dasEigenkapital, EBITDA oder Betriebsergebnis nennt). Bis-herige Lohnkosten werden teilweise durch Profitkostenersetzt: das bedeutet einen zusätzlichen gesamtwirt-schaftlichen Schritt in der Einkommensumverteilung.

Bürokratiekosten

Privatisierung und Deregulierung in der Wasserwirtschaftbedeuten, dass ein staatlicher Monopolbetrieb, der derkommunalen Aufgabe der Daseinsvorsorge verpflichtetist und vom Gemeinderat kontrolliert wird, ersetzt wirddurch ein privates Unternehmen, das wie die anderendem Profitprinzip verpflichtet und formal dem Wettbe-werb ausgesetzt ist. Dabei ähnelt die Position eines überdie Leitungen verfügenden Unternehmens weitaus mehreinem Monopol als einem klassischen Konkurrenzunter-nehmen aus dem Lehrbuch.Im Grunde ist allen Beteiligten klar: Wenn man ein mo-nopolähnliches Gebilde nach den Regeln der Profitmaxi-mierung wirtschaften lässt – zumal in einem so sensiblenBereich wie der Wasserwirtschaft –, dann müssen Über-wachungs- und Kontrollmaßnahmen (und die zugehöri-gen Behörden und Paragraphen) installiert werden, da-mit die Interessen ohne Kaufkraft nicht völlig unberück-

sichtigt bleiben. Dementsprechend sind ja auch in Frank-reich und England eine Vielzahl von Kontrollbehördenund Beratungsstellen eingerichtet worden. Ihre Kostensind Nebenkosten der Wasserwirtschaft, die Folge ihrerbesonderen monopolähnlichen privatwirtschaftlichen Or-ganisation. Demzufolge müssten sie eigentlich aus denErlösen der Wasserwirtschaft bezahlt werden. Das aberwürde die versprochenen Rationalisierungsgewinneschnell mehr als aufzehren.

Konzentration

Gerade die Deregulierung – die Aufhebung der Gebiets-abschottung und der allgemeine Zugang zum Leitungs-netz – stellt einen starken Anreiz zur horizontalen, flä-chenmäßigen Konzentration dar. Die Zusammenfassungmehrerer Wasserunternehmen vereinfacht die Wasser-fernleitung sehr, es entfallen die Verhandlungen überden Leitungszugang mit anderen Unternehmen.

Entlastung Staatsdefizit

Es besteht Konsens dahingehend, dass kommunaleSparzwänge (mal abgesehen davon, wer sie setzt undwie man sonst noch mit ihnen umgehen könnte) denDruck zur Privatisierung hervorrufen oder zumindestmassiv verstärken. Aber bringt ein Anteilsverkauf derStadtwerke eine mittel- und langfristige Entlastung?In der gegenwärtigen politischen Konstellation sichernicht. Zweierlei Mechanismen verhindern eine solche Per-spektive:● Immer, wenn es den Kommunen im Vergleich zu denmeist noch defizitäreren Bund und Ländern relativ gutgeht, wird umverteilt: Zuschüsse an die Kommunen wer-den gekürzt, die Steueraufteilung zulasten der Kommu-nen verschoben, zusätzliche und erweiterte Aufgaben andie Kommunen übertragen.● Der Staat insgesamt wird seit Jahren immer stärkermit der Forderung konfrontiert, Steuerreformen undSteuererleichterungen zugunsten der Wirtschaft durch-zuführen, sobald überhaupt etwas Verteilungsmasse vor-handen ist.Von daher werden sich die Privatisierungserlöse ziemlichschnell in Reduzierungen der Gewerbe- und Körper-schaftsteuer verwandeln.

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5.4 Perspektiven für Entwicklungsländer

5.4.1 Klimakatastrophe und Wasserversorgung

Die abgelaufenen 90er Jahre waren höchstwahrschein-lich das weltweit wärmste Jahrzehnt im letzten Jahrtau-send – die Wärmeperiode im Mittelalter mit einbezogen.Der Klimawandel setzt sich fort und wird dramatischer.Die aus der Klimazerstörung resultierenden Risiken fürdie weltweite Wasserversorgung hier in Stichworten(SRU, ebda.):

● Der Klimaverlauf wird allgemein weniger gemäßigtverlaufen, er wird sprunghafter werden. Extremereignis-se werden sich häufen: Trockenheit wird abwechseln mitStarkregen, Dürreperioden mit Überschwemmungen.

● Bisher trockene Gebiete werden noch trockener. Da-mit steigt der Bewässerungsbedarf. Das betrifft die zen-tralen kontinentalen Gebiete.

● Die Bodenerosion und die Siedlungsbedrohung durchhäufigere Extremereignisse werden zunehmen. Bereitsheute ist weltweit eine Anbaufläche von der mehrfachenGröße der Gesamtfläche Deutschlands durch Erosion sogeschädigt, dass sie brach liegt.

● Küstennahes Grundwasser droht durch den Meeres-spiegelanstieg zu versalzen.

Die laufende Klimazerstörung wird also die sowiesoschon kritische Wasserversorgung gerade in den gefähr-deten Ländern des Südens weiter verschärfen.

5.4.2 Von der Verschuldung zum Privatisierungszwang

Ein allgemeines Merkmal in der Gruppe der armen Län-der ist ihre nationale Verschuldung. Abgesehen von Ex-tremwerten, reicht die übliche Spannweite der Verschul-dung von 30 % – 60 % am jeweiligen Sozialprodukt (beinoch eher günstig situierten Schwellenländern) bis weitüber 100 % des Sozialprodukts (bei vielen sehr armenLändern, vor allem in Afrika).Bei den Schulden handelt es sich um die angelegtenÜberschüsse der reichen Länder. Trotz aller Schulden-krisen sind sie gut angelegt. Seit Mitte der 80er Jahrenämlich fließt Jahr für Jahr mehr Geld von den armen zuden reichen Ländern als umgekehrt. Der laufende Schul-dendienst liegt höher als die Zuflüsse seitens der Gläubi-ger, und dennoch steigt der Schuldenstand jährlich lau-fend an. In gewisser Weise finanzieren die Menschen inden armen Ländern den Konsum in den reichen Ländern.Nun sind die einzelnen Länder durchaus unterschiedlichbetroffen von der Verschuldung, sowohl was die Schul-denhöhe als auch was die Tilgungsfähigkeit oder die Wi-derstandsfähigkeit gegen Gläubigerforderungen betrifft.Bei vielen von der Schuldenmühle erfassten Ländern istaber ein quasi standardisierter, jeweils ähnlicher Prozesszu beobachten, der in Etappen abläuft. Er wird gesteuertvon den Gläubigerbanken (in den reichen Ländern) undvon den internationalen Finanzorganisationen (v.a. IWF,Weltbank). Deren Politik wird entscheidend von den USAbzw. den G7-Ländern geprägt.

Zunächst wird von den Gläubigern im Gegenzug für eineweitere Kreditvergabe (Neuaufnahme oder Umschul-dung) häufig eine Währungsabwertung 10) verlangt. Zielist ein Exportanstieg und damit Mehreinnahmen; mit ih-nen sollen Zins und Tilgung leichter bezahlt werden kön-nen. Konsequenz ist aber eine steigende Inflation infolgeder verteuerten Importwaren. Die Inflation muss nun aufDruck des IWF per Kosten- und Steuersenkungen einge-dämmt werden. Das bedeutet Kürzung von Sozialpro-grammen, Bildungs- und Gesundheitsausgaben, Entlas-sung von Staatsbediensteten, Abbau der Arbeitsgesetzeund Kampf gegen die Gewerkschaften. Das Ergebnis isthäufig eine Verschärfung der Wirtschaftskrise (Wachs-tumseinbruch), weitere Währungsabwertung und da-durch weiter steigende Verschuldung, da Schuldenstand,Zins und Tilgung in nationaler Währung mit jeder Ab-wertung ansteigen.

Das war allgemeiner Stand in der Schuldenkrise Anfangder 80er Jahre. Eine Entschuldung wurde zunehmendaussichtslos. Jetzt kommt Phase zwei. Gläubigerbankenund Finanzorganisationen erfinden den dept-equity-swap, den Tausch Schulden gegen Anlagen. Der Zen-tralstaat, aber auch die Provinzen und Gemeinden, sollenstaatseigene Unternehmen verkaufen und mit dem Erlösdie Verschuldung senken (also eine ähnliche Strategie,wie sie auch den deutschen Gebietskörperschaften emp-fohlen wird). Naheliegenderweise ist der Erlös unter die-sen Voraussetzungen relativ niedrig.

Es zeigt sich, dass solche Einzelaktionen nicht ausrei-chen. IWF und Weltbank verlangen in Phase drei einegrundsätzlichere Herangehensweise: die Öffnung desLandes, den Verzicht auf Autonomie, die Unterordnungunter die Globalisierung. Reformen werden verlangt:Sie betreffen etwa das Bodenrecht (Aufgabe des traditio-nellen dörflichen oder kommunalen Gemeineigentums,Privatisierung und Kommerzialisierung des Bodens); dieFreizügigkeit für ausländische Investoren, insbesondereAbbau von Beschränkungen bei Investitionsvornahmen,Devisenverkehr, konzerninternen Verrechnungen, Trans-fer von Profiten, Verzicht auf Einbindung in die nationaleÖkonomie/Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen; De-regulierung des Bankensektors und freie Währungskon-vertibilität für Investoren; allgemeine Abkommen zumInvestitionsschutz, Patentschutz und eben auch GATS.

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Das ist der Stand heute. Die armen Länder liegen alleoffen da, die Konzerne der reichen Länder greifen zu, dieWelt-Wirtschaftsaussichten werden stetig düsterer.IWF und Weltbank reagieren auf die Misere wie der deut-sche Sachverständigenrat auf die Arbeitslosigkeit: igno-rieren und weitermachen: "Afrikas enttäuschende wirt-schaftliche Leistung belegt nicht etwa, dass die Anpas-sungserfordernisse verfehlt wären ... Mehr – nicht weni-ger – Anpassung würde den Armen und der Umwelthelfen ... Anpassung ist der notwendige erste Schritt aufdem Weg zu nachhaltiger Armutsverminderung", so dieWeltbank, zitiert nach Chossudovsky (2002), der eine Fül-le von Details und eingehende Erläuterungen zu den hierdargestellten Abläufen gibt. Welch ein Zynismus: UnterAnpassung verstehen IWF/Weltbank die noch radikalereDurchführung ihrer Ratschläge.

Dem faktischen Privatisierungszwang können die Ent-wicklungsländer wenig entgegen setzen. "Das Macht-gefälle zwischen transnationalen Unternehmen, IWF undWeltbank auf der einen und den Regierungen bzw. denKommunen der Entwicklungsländer auf der anderen Sei-te ist ungleich größer als zwischen Unternehmen und deröffentlichen Hand in einem Industrieland wie Deutsch-land", schreibt die Enquete-Kommission Globalisierung(Bundestag, 2002, S. 372) 11).

Die armen Länder werden aus dem Kreislauf hohe Inflati-on <–> Abwertungsdruck gegenüber Dollar, Euro, Yennicht herausfinden können. Deshalb sind die transnatio-nalen Konzerne als Aufkäufer der ehemals staatlichenUnternehmen Telefon, Wasser, Strom usw. längst dazuübergegangen, ihren inländischen Kunden die Rechnungin Hartwährung zu stellen (auch eine Form der Ent-Natio-nalisierung einer Ökonomie). Damit laden die Konzernedas Wechselkursrisiko auf ihre Kunden ab.

Weit fortgeschritten auf dem Weg zur Agonie ist Argen-tinien: Dieses Land, ein anerkannter absoluter Muster-schüler des IWF, ist vollständig ausverkauft, trotzdem (inWirklichkeit: deswegen!) ist die Verschuldung so gestie-gen, dass die offene Zahlungsunfähigkeit nicht mehr ab-gewendet werden konnte. Der argentinische Peso wurdedrastisch abgewertet, so dass die ex-staatlichen Versor-gungsleistungen – zu bezahlen in Dollar – heute einMehrfaches in Peso kosten. Die argentinische Wirtschaftstürzt fast wie ein Kartenhaus zusammen; der absehbareRückgang des Sozialproduktes in diesem Jahr liegt umdie 20 %. Übrigens ist der weltgrößte WasserkonzernSuez derjenige, der die argentinische Wasserwirtschaft(und auch die anderer lateinamerikanischer Länder) flä-chendeckend beherrscht 12).

5.4.3 Schlechte Aussichten für die Menschen

Auf der Rio-Nachfolgekonferenz in Johannesburg/Süd-afrika im August/September 2002 wurde allseits bedau-ert, dass viele Menschen unterhalb eines Minimums ansanitärer Hygiene leben müssen: Weltweit haben 1,2 Mil-liarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberemTrinkwasser und doppelt so viele haben keinerlei geregel-te Abwasserentsorgung. Feierlich kam man in den klima-tisierten Räumen im Villenvorort überein, diese Zahlenbis 2015 halbieren zu wollen.

Viele der Delegierten mögen mit dieser Beschlusslageund ihren Konferenzaktivitäten wohl ganz zufrieden sein.Für die Menschen in den armen Ländern bestehen trotz-dem schlechte Aussichten, in den Genuss dieses Konfe-renzzieles zu gelangen:

● Der Staat und noch mehr die Gemeinden sind in derRegel hoch verschuldet; sie haben und bekommen kei-nen Kredit mehr.

● Der geschilderte Privatisierungszwang ist unerbittlich.Nicht nur, dass die Wasserkonzerne, allen voran die fran-zösischen, bereits die Besitzer der Wasserleitungen in vie-len Drittwelt-Metropolen sind. In einer Vielzahl von Fäl-len verlangen IWF und Weltbank zur Aufrechterhaltungvon Hilfsmaßnahmen ganz konkret, den Wassersektor zuprivatisieren sowie Subventionen abzubauen und kosten-deckende Preise zu verlangen (zusammengestellt z.B. in:Hoering, 2001).

Privatisierung live hätten sich die Delegierten auf demWeltgipfel in Johannesburg gleich nebenan im Elends-viertel Alexandra ansehen können. Dort wurde neben derStrom- auch die Wasser- und die Abwasserversorgungprivatisiert. Nachdem die Bewohner die Kosten nichtmehr bezahlen konnten, sperrte die Wasserfirma die Lei-tungen. Die Bewohner mussten mit der Flussbrühe vor-lieb nehmen, was im letzten Jahr eine Cholera-Epidemiezur Folge hatte. (SZ, 30.8.2002)

Oder in Cochabamba, der zweitgrößten bolivianischenStadt im Frühjahr 2000: Auch dort knüpfte die Weltbankdie Vergabe von Krediten und Hilfsprogrammen an dieBedingung, die Wasserwirtschaft zu privatisieren. DenProtesten gegen die Privatisierungen (und die damit ver-bundenen Preiserhöhungen um das annähernd Zehnfa-che) begegneten die Ordnungsmächte mit Gewalt; De-monstrationen wurden beschossen, Menschen ermordet.Letztlich musste die Privatisierung dennoch zurückge-nommen werden.

Oder in den afrikanischen Ländern, in denen unter Welt-bankregie das Wasser kommerzialisiert wird: "Das Welt-bankprogramm macht aus Wasser eine Ware, die kosten-deckend an verarmte Bauern verkauft wurde. Aufgrundfehlender Mittel waren die Staaten gezwungen, sich ausder Bewirtschaftung und Bewahrung der Wasserres-sourcen zurückzuziehen. Wasserstellen und Bohrbrunnentrockneten aufgrund mangelnder Wartung aus oderwurden privatisiert und an lokale Händler oder reicheBauern verkauft. In semiariden [halbtrockenen] Gebietenführt diese Kommerzialisierung des Wassers und der

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Bewässerungsanlagen zum Zusammenbruch der ge-sicherten Nahrungsmittelversorgung und zu Hungers-nöten." (Chossudovsky, 2002, S. 116 f.).Die Privatisierer betonen häufig, dass die ÖffentlicheHand in den armen Ländern zu nachlässig, uninteressiertund schwerfällig sei gegenüber den Wasserversorgungs-Bedürfnissen der Bevölkerung. Deshalb müssten zwangs-läufig die großen Wasserkonzerne die Versorgung in dieHand nehmen. Diese Situationsbeschreibung mag in vie-len Fällen durchaus zutreffen. Nur: Die Untätigkeit derKommunen und Staaten ist kein Argument für die Priva-tisierung, sondern ein Grund zur Kritik an den und zurAufklärung über die politisch-ökonomischen Verhältnis-se. Und diese Verhältnisse sind (siehe oben) geprägtdurch die Vorherrschaft und Interessensdurchsetzungmächtiger Finanzinstitutionen, die natürlich auf bereit-willige Mitarbeiter und Unterstützer vor Ort angewiesensind.Wie stark die Privatisierer den Ausbau der Wasserver-sorgung überhaupt voran treiben, bleibt dabei eine offe-ne Frage. Generell findet eine Auslandsinvestition nur in

seltenen Fällen dadurch statt, dass ein Investor eine neueProduktionsstätte baut, dass er neue Kapazitäten schafft.Der größte Teil der Auslandsinvestitionen besteht darin,dass ein existierendes Unternehmen aufgekauft wird. Oftwird es anschließend teilweise ausgeschlachtet und still-gelegt, dann sinken sogar die Kapazitäten.Es ist (uns) nicht bekannt, wie das Verhältnis zwischenAufkauf und Neubau in der Wasserwirtschaft ausfällt.Zumindest steht aber zu befürchten, dass sich die Was-serkonzerne nicht anders verhalten als andere Konzerne,dass also ihr Hauptaugenmerk mehr darauf gerichtet ist,bestehende profitabel arbeitende Versorgungen aufzu-kaufen, als Wasserleitungen zu den Bedürftigen zu bau-en. Auf 60 bis 70 Milliarden Dollar schätzt die Weltbankden jährlichen (!) Investitionsbedarf, um bis 2015 in denEntwicklungsländern eine flächendeckende Wasserver-sorgung und Abwasserentsorgung zu installieren (Hoe-ring, 2001, S. 9).Generell steht zu vermuten, dass die Tätigkeit der Was-serkonzerne mehr mit "Rosinenpicken" und weniger mitBedürfnisbefriedigung zu tun hat. Die Konzerne investie-

Privatisierung der Wasserversorgung in La Paz

"Als lehrreiches Beispiel kann die Privatisierung der Wasser-versorgung in der bolivianischen Hauptstadt La Paz dienen.In Alto Lima, dem ältesten und ärmsten Viertel von La Paz,quoll im Februar 2002 infolge schwerer Regenfälle schlammi-ges Schmutzwasser aus den Abwasserkanälen. Auf den un-gepflasterten, mit Schlaglöchern übersäten Straßen häuftsich regelmäßig der Abfall, seit die Müllabfuhr ebenso wiedie nächtliche Straßenbeleuchtung privatisiert worden ist. ...

Seit das französische Konsortium Aguas del Illimani (SuezLyonnaise des Eaux) die Wasserversorgung verwaltet, hat sichder Preis versechsfacht, von 2 auf 12 Bolivianos. Die meistenEinwohner von Alto Lima gehen seither in öffentliche Bäder,weil sie sich die Dusche zu Hause nicht mehr leisten können.In den städtischen Einrichtungen gilt noch der alte Preis.

Vor der Privatisierung waren in den nördlichen Stadtbezirken18 Techniker damit beschäftigt, allmonatlich knapp 80.000Wasserzähler abzulesen. Nach der Privatisierung wurde dieHälfte von ihnen aus Kostengründen entlassen, der Rest mitWartungsarbeiten betraut. ... Als sich das Konsortium um dieKonzession bewarb, stellte es besseren Service und den Aus-bau des Leitungsnetzes in Aussicht. Die Realität sieht freilichanders aus: Immer häufiger ist die Wasserversorgung wegenunzureichender Wartung unterbrochen und es dauert immerlänger, bis der Schaden behoben ist. Manchmal bleibt keineandere Möglichkeit, als die alten Brunnen wieder in Betriebzu nehmen.

Während sich die Führungskräfte des Wasserkonsortiumseine Gehaltserhöhung von 12.000 auf 65.000 Bolivianos ge-nehmigten, muss sich ein Arbeiter mit durchschnittlich 1.800Bolivianos zufrieden geben. Für die Einrichtung eines Wasser-anschlusses werden seit der Privatisierung 1.100 Bolivianosfällig (rund 150 Euro), zuvor konnte man die Kosten von 730Bolivianos (knapp 100 Euro) in fünf Jahresraten abstottern.Ein ehemaliger Arbeiter von Aguas del Illimani meint: ’Wasserist in El Alto heute ein Luxus.’ Den kann auch er sich seitseiner Entlassung nicht mehr leisten.

Der französische Chef des Wasserversorgers, Arnaud Bazaire,erklärt dazu: ’Wir wollten zeigen, dass sich die Lyonnaise desEaux auch schwieriger Stadtteile annehmen kann’. Das Er-gebnis ist nicht gerade überzeugend. Ein Wartungsarbeiter:’Sie haben von Neuinstallationen geredet, aber dann habensie nur die Rohre weiß angestrichen.’ Überdies findet man inder Kanalisation immer häufiger tote Tiere. In anderen Län-dern sind private Wasserversorgungsunternehmen bereitsverurteilt worden, weil sie die hygienischen Mindeststan-dards nicht eingehalten haben. Aguas del Illimani wurde bis-lang nur dafür verurteilt, dass er mehrere Wochen lang dieVersorgung kommunaler Institutionen unterbrochen hatte,darunter auch sämtlicher Schulen der Stadt. Der zweite unddritte Bezirk von Alto Lima ist seit mehreren Monaten ohneWasser. Arnaud Bazaire erklärte dazu im Dezember 2000, dieMenschen von Alto seien die ’übelsten Kunden’ und ’dieschlechtesten Verbraucher der Welt’.Der Wasserexperte bei der Interamerikanischen Entwick-lungsbank (IDB), Denis Cravel, stimmt in das Klagelied ein:’Die Bevölkerung hat schlechte Angewohnheiten.’ Sie glaube,’der Service müsste kostenlos sein’. Wasser sei aber nicht nurein ’soziales’, sondern auch ein ’Wirtschaftsgut’. Nach An-sicht von Alvaro Larrea Alarcon, Ingenieur beim boliviani-schen Regionalentwicklungsfonds, könnte die Wasserkonzes-sion durchaus rentabel sein, wenn die Bevölkerung nur mehrverbrauchen würde. ’Es ist von allergrößter Wichtigkeit, denLeuten zu vermitteln, dass sie sich daran gewöhnen müssen,ihre Wasserrechnung zu bezahlen. Viele Menschen wachsenhier ohne Wasseranschluss auf. Sie gehen zum Waschen inöffentliche Einrichtungen oder an den Fluss. Sie sind es ge-wohnt, zu Hause kein Wasser zu haben. Das ist eine Frageder kulturellen Gewohnheiten. Man muss den Leuten bei-bringen, einmal am Tag zu baden, ihre Pflanzen zu gießen,ihr Auto zu waschen.’ Der Ingenieur scheint keine Ahnungdavon zu haben, dass die Bevölkerung der Altiplano-Hoch-ebene fast nur öffentliche Verkehrsmittel benutzt und dassdas Andenbecken zunehmend austrocknet." (Poupeau, 2002).

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ren dort, wo die höchsten Gewinne winken: Das sinddie Schwellenländer und nicht die ärmsten Länder, inner-halb dieser Länder die Städte und nicht die ländlichenGebiete, und in den Städten die wohlhabenderen undnicht die besonders bedürftigen Gebiete (Hoering, 2001,S. 33). Privates Wasser kommt nicht dahin, wo es amdringendsten gebraucht wird, sondern dahin, wo diehöchste Kaufkraft winkt, wo am meisten dafür bezahltwerden kann. Nur effiziente oder zumindest Gewinn ver-sprechende Betriebe lassen sich privatisieren, ineffizienteBetriebe dagegen nicht. Auf ihnen bleiben Staat/Gemein-den sitzen.

Die Bewohner armer Stadtviertel oder Landstriche, dieohne Leitungswasserversorgung einen vielfach höherenWasserpreis bezahlen müssen, kommen durch die Priva-tisierung wohl kaum näher an den ersehnten Wasseran-schluss. Im Gegenteil, sie müssen befürchten, durch dieKonzentration des Ausbaus der Wasserversorgung aufdie wohlhabenderen Stadtviertel erst recht abgedrängtzu werden. Die Aussichten dieser Menschen bleibenschlecht.

6. Wasserknappheit als Ursache von Konflikten und Kriegsgefahren

Noch werden Kriege um Erdöl geplant und geführt. Aberschon jetzt gibt es Hinweise, dass Konflikte und Kriegs-gefahren um die Verfügbarkeit von Wasser im 21. Jahr-hundert womöglich eine ähnliche Bedeutung gewinnenwerden, wie der Kampf um Erdöl im 20. Jahrhundert.Im Rahmen dieses reports können nur einige Aspektestichpunktartig benannt werden. Die vielschichtigen Zu-sammenhänge reichen von geologischen über technischebis hin zu gesellschaftspolitischen Aspekten.Vor allem in den letzten zehn Jahren hat sich der Blickund die gesellschaftspolitische Diskussion auf diese Pro-blematik fokussiert. Zwar haben Fachleute schon in derzweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Konfliktlini-en erkannt und thematisiert – in der allgemeinen Diskus-sion ist der Blick auf die Konfliktgefahr "Wasser" aber erstseit der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung1992 in Rio geschärft worden. Nimmt man die Zeitspan-

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ne von Rio bis zum Weltgipfel für Nachhaltige Entwick-lung 2002 in Johannesburg muss festgestellt werden,dass die Lösung der Probleme nicht vorangeschritten ist.Das Bundesministerium für Entwicklung und Zusammen-arbeit feiert das Ergebnis von Johannesburg als großenErfolg – mit der Begründung, dass zumindest eine Ziel-stellung formuliert wurde und zwar eine Zielstellung, dievon der bundesdeutschen Regierung angepeilt wurde.

Nelson Mandela sprach auf dem Weltgipfel in Johannes-burg das Grundproblem an. Solange der Zugang zu Was-ser nicht als Menschenrecht international anerkanntwird, sondern als "Human Need" (menschliche Bedürfnis-se) gilt – und deshalb beliebig vermarktet werden kann –sind Konflikte vorprogrammiert.

6.1 Gründe für Konflikte

1. Natürliche Wasserknappheit / Bevölkerungswachstum(wurde in Kap. 1.1 ausgeführt)

2. Wasservorkommen mit mehreren Anrainerstaaten

Länder mit starker Abhängigkeit von grenzüberschreitenden Zuflüssenin % des von außerhalb der eigenen Grenzen stammenden WassersÄgypten 97 % Syrien 79 %Ungarn 95 % Kongo 77 %Mauretanien 95 % Sudan 77 %Botswana 94 % Paraguay 70 %Bulgarien 91 % Niger 68 %Niederlande 89 % Irak 66 %Gambia 86 % Albanien 53 %Rumänien 82 % Uruguay 52 %Kambodscha 82 % Deutschland 51 %Luxemburg 80 %Quelle: FAO, World Food Summit, documents (2), Abschn. 2.13

Mehr als 200 Flüsse sind es weltweit, die durch zweioder mehrere Länder fließen. Die Anrainer eines Quellge-biets sind gegenüber den stromabwärts liegenden Nach-barn begünstigt.

Zu zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen um dieRessource Wasser kann es kommen,

wenn der Unterliegerstaat gänzlich oder fast vollstän-dig vom grenzüberschreitenden Zufluss abhängig ist:wenn der Oberliegerstaat in der Lage ist, den Wasser-abfluss zum Nachbarn gravierend einzuschränken;

wenn es unüberbrückbare gegensätzliche Auffassun-gen über die Wasserverteilung unter den Fluss- bzw.Seeanliegern gibt;wenn einer der betroffenen Staaten über die militäri-sche Überlegenheit verfügt und auch bereit ist, sie fürdie Durchsetzung seiner Ziele einzusetzen.

(zitiert nach Sager: "Wasser")

3. Wasserverunreinigung und -verschwendung(siehe dazu Kap. 1.1 und 5.4.1)

6.2 Beispiele größerer Konflikte

Durchsucht man die Literatur in den letzten fünf bis zehnJahren zu diesem Thema, stößt man unweigerlich auf diefolgenden Problemzonen, die natürlich nur als krassesteBeispiele gesehen werden können.

Wasserpolitik im Nahen Osten

Heute erscheint eine friedliche Lösung des Konfliktes imNahen Osten weiter entfernt als je zuvor. Doch zu jederZeit spielte die Frage des Wasserzugangs eine große Rol-le. "Im Palästina-Konflikt, so warnte das Londoner Nach-richtenmagazin The Middle East, könne am Ende dasWasser alle anderen Streitpunkte übertreffen. Israel unddie palästinensischen Gebiete – in einem Trockengürtelder Erde gelegen – können abgesehen von Regenfällennur auf zwei Wasserressourcen zurückgreifen. Da ist ein-mal der Jordanfluss mit seinen Quellflüssen, der Tiberias-See und der Yarmuk, der in den unteren Jordan mündet.Da sind zum anderen drei wichtige Grundwasserbecken:einmal das nördliche, unter dem von Norden nach Südenverlaufenden Gebirgsrücken, das westliche, der Yarkon-Teaninim, sowie das östliche Becken in den sogenanntenJudäischen Bergen, das sich bis an die Jordan-Senkezieht." (Klaus Polkehn: "Das Wasser und die Palästina-frage" IPPNW-Forum 73)Israel kontrolliert seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 nichtnur die Grundwasserreserven in den Bergen, sondernnutzt auch Wasser aus dem Gaza-Streifen und der West-bank. Die Wasserquellen der Westbank wurden sogarunter militärische Kontrolle gestellt. Von den rund 650Mio. m3 erneuerbaren Grundwassers der Westbank ver-braucht Israel ca. 80 % und verkauft es zum Teil – zuhorrenden Preisen – wieder an die Palästinenser.

● Während die israelischen Siedlungen durchweg mitWasser versorgt sind, gibt es in der Hälfte der palästinen-sischen Dörfer kein fließendes Wasser.

● Die Israelis dürfen Brunnen bis 800 m in den Bodenbohren – während es den Palästinensern verboten ist,ihre Brunnen tiefer als 140 Meter Meter zu bohren..

● Die israelischen Siedler verbrauchen bis zu 350 Litertäglich – die Palästinenser verfügen oft nur über einZehntel davon.

● Israel zieht Wasser aus dem Westjordanland bis in seinKernland hinein, wo etwa 70 % verbraucht werden; nur17 Prozent bleibt für die Palästinenser.

Da Israel auf keinen Fall auf seine "Rechte" sprich auf dieInanspruchnahme der bisher genutzten Wasserressour-cen verzichten will, ist dieser Aspekt ein ständiger Teilder kriegerischen Auseinandersetzung.

Aus dem Aktionsplan von Johannesburg

Bis zum Jahr 2015 soll weltweit der Anteil der Menschenhalbiert werden, die keinen Zugang zu sauberem Wasserund sanitärer Grundversorgung haben. Für Aktionspro-gramme in diesem Bereich stellt die EU 1,4 Milliarden Eurojährlich zur Verfügung. Deutschland beteiligt sich daranmit ca. 350 Millionen Euro jährlich.

zit. nach Wieczorek-Zeul in E+Z – Entwicklung und Zusammenarbeit Nr. 10, Okt. 2002

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Türkei: Das GAP-ProjektIm Rahmen des Südostanatolienprojekts (GüneydoguAnadolu Projesi – GAP) in Kurdistan waren 30 Staudäm-me und 19 Wasserkraftwerke an Euphrat und Tigris ge-plant, die neben einer jährlichen Energieerzeugung von27.300 Gigawattstunden (ein Fünftel des türkischenEnergiebedarfs) die Bewässerungslandwirtschaft auf ca.1,7 Millionen Hektar ausweiten und damit die Agrarpro-duktion des Landes um 60 Prozent steigern sollten. 1990wurde das Kernstück dieses gigantischen Vorhabens, derAtatürk-Staudamm, fertig gestellt.Die Verteilung der knappen Ressource Wasser wird durchdas GAP-Projekt (auch ohne den Ilisu-Staudamm – sieheunten) massiv beeinflusst und schränkt die Nutzung vonEuphrat und Tigris durch Syrien und den Irak dramatischein. Die beiden Flüsse sind die Hauptwasseradern desIrak, und 90 Prozent des Syrischen Wasserbedarfs wirddem Euphrat entnommen. Syrien und der Irak sind des-halb durch die Türkei politisch erpressbar.Aber auch in der Türkei sind die in der Region lebendenMenschen betroffen: Millionen Menschen wurden/wer-den aus ihrer angestammten Heimat vertrieben und un-absehbare Schäden am Ökosystem sind die Folge diesesGroßprojekts, das auch gegen die "UN-Konvention überdie nicht-schiffbare Nutzung internationaler Wasserwe-ge"; und die "Konvention über den Schutz und die Nut-zung grenz-übergreifender Wasserwege und internatio-naler Seen" verstößt.

Nachdem die türkische Regierung Diskussionen überDürregefahr und Wassernot verweigerte und auch nichtbereit war, ein völkerrechtlich bindendes Abkommen mitden betroffenen Nachbarstaaten zu unterzeichnen, hatdie Weltbank 1984 entschieden, sich nicht an der Finan-zierung des GAP zu beteiligen.

Aus für Ilisu-Staudamm

Der Ilisu-Staudamm – ein weiteres Herzstück des GAP-Projekts – sollte den Tigris aufstauen und v.a. der Ener-giegewinnung dienen. Ein 313 Quadratkilometer großesGebiet sollte überflutet, 101 kurdische Städte und Dörfersollten zerstört (u.a. die archäologisch bedeutsame StadtHasankeyf) und 60.000 Menschen zwangsumgesiedelt

werden. Für dieses Projekt hatte die Sulzer Hydro inDeutschland einen Antrag auf Übernahme von Hermes-Bürgschaften gestellt.Die mehrjährige Kampagne von Menschenrechtsorgani-sationen, Umweltschützern und Archäologen unter demMotto "Save Hasankeyf" hat sich gelohnt: 2000/2001 zo-gen sich die ausländischen Firmen (England, Italien,Schweden) aus dem Projekt zurück und im Herbst 2002sah sich die deutsche Bundesregierung endlich (! – über15.000 Kurden waren schon vertrieben) gezwungen, dieHermes-Bürgschaft abzulehnen.Ohne ausländische Geldgeber (Die Baukosten werdenauf 1,52 Mrd. US-Dollar beziffert) kann der Ilisu-Stau-damm vorerst nicht gebaut werden.

Mekong

Mit 4.200 km ist der Mekong der wichtigste und längsteFluss in Südostasien. An seine Ufer grenzen China, Laos,Thailand, Kambodscha, Vietnam und Myanmar (Burma).Da die Anrainerstaaten unterschiedliche Nutzungspläneentwickeln, sind Streitigkeiten nicht auszuschließen. Mitder "Mekong-River Commission" (MRC) wurde 1995 eineKooperation für eine dauerhafte Entwicklung des Me-kong-Fluss-Systems vereinbart. Seit 1996 werden auchmit den nicht beteiligten Staaten China und MyanmarGespräche über eine Kooperation über die gesamte Län-ge des Flusses geführt.

Nilregion

Die "Nile Base Initiative" versucht mit einer Reihe vonKonferenzen 1993 – 2002, jährlich in einem anderenLand, den Problemen mit Verträgen zu Leibe zu rücken.1999 gelang es erstmals, alle Anrainerstaaten einzube-ziehen. Die meisten dieser Länder gehören zu den Ärm-sten der Welt und haben es gleichzeitig mit extrememBevölkerungswachstum13) zu tun. Ägypten und Sudan,seit der Kolonialzeit die aktivsten Nutzer des Nilwassers,werden sich mit den übrigen Anrainerstaaten arrangie-ren müssen, soll nicht das Wasser als Waffe eingesetztwerden.

Einzugsgebiete des NilsFläche in km2 Anteil in %

Sudan 1.931.300 63.75Äthiopien 356.900 11,75Ägypten 273.100 8,99Uganda 238.900 7,86Tansania 120.300 3,96Kenia 50.900 1,68Dem. Republik Kongo 21.700 0,71Ruanda 20.800 0,69Eritrea 3.500 0,12Quelle: International Journal of Water resources Development 1999

Indien/Bangladesh

Mehr als 50 Flüsse durchziehen das Gebiet von Indienund Bangladesch. (Hauptflusssysteme: Ganges undBrahmaputra). Seit Jahrzehnten wird versucht, die stän-digen Streitereien um das Wasser vertraglich zu lösen

Wasser als WaffeWie Wasser als Waffe eingesetzt werden kann, wurde1991 demonstriert. Während des Golfkrieges drosselte dieTürkei den Wasserzufluss zum Irak. "Rund 5,5 Millionenirakische Bauern, die in der Nähe des Euphrat wohnen,wurden von diesem Flussimperialismus betroffen und eineähnlich große Zahl von Menschen in Syrien. Trinkwasser istseither für viele zum Luxusgut geworden. In der südiraki-schen Hafenstadt Basra kostet ein Liter Trinkwasser fünf-zigmal soviel wie ein Liter Benzin." Jörg Dietziker: Wasser als Waffe

"Die zukünftigen Kriege in dieser Region werden Kriegeums Wasser sein. Mir ist es lieber, wenn wir die Türkeiordentlich mit Panzern ausgerüstet haben, als dass wir imNATO-Fall pflichtgemäß unsere Soldaten dorthin schicken."Verena Wohlleben, SPD-Wehrexpertin in der Diskussion über den Antrag der türkischenRegierung auf Lieferung von 1.000 Panzern. zitiert nach junge welt, 29.6.2000

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und man kommt immer wieder einen Schritt voran. Dieunsteten politischen Verhältnisse in beiden Ländern bil-den jedoch einen unsicheren Rahmen.

6.3 Privatisierung und Widerstand

Jährlich werden weltweit 1 Billion US-Dollar für Trinkwas-ser ausgegeben, Kein Wunder, dass die Bestrebungenwachsen, diesen Markt für private Anleger zu öffnen undzu nutzen. "Wasser ist die letzte Infrastruktur-Herausfor-derung für Privatinvestoren", meint John Bastin von derEuropäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung(zit. nach Christoph Kletzer, Attac Österreich)Das Geschäft mit dem "blauen Gold" ist gerade erst ange-laufen, da finden schon die ersten internationalen Strei-tigkeiten statt. Auf der Grundlage von Verträgen wie z.B.NAFTA (North American Free Trade Agreement) undWTO (World Trade Organisation) oder GATS (General Ag-reement on Trade in Services) soll die nationale Kontrolleund Verfügung über nationale Ressourcen außer Kraftgesetzt werden, indem Wasser als Handelsgut eingestuftwird.Die kalifornische Sun Belt-Water Inc. z.B. verklagte dieProvinzregierung von British Columbia (Kanada), weildiese per Gesetz den Massen-Export von Wasser aus Bri-tish Columbia verboten hat. Hintergrund ist, dass US-Fir-men Zugang zu den kanadischen Gletschern und ande-ren großen Wasserreservoiren beanspruchen, um darausTrinkwasser für den Export mittels Pipelines und Tankernnach Asien zu gewinnen. Aufgrund der heftigen Protestevon Umweltschutzorganisationen in Kanada wurde derExport in den geplanten Dimensionen verhindert. JackLindsay, Geschäftsführer von Sun Belt führt internationa-le Rechtsstreits nicht von ungefähr: Nach seiner Schät-zung hätte sein Unternehmen bei einem Export von nureiner halben Mio. acre-feet (= 617 Mio. m3) Wasser jähr-lich innerhalb von fünf Jahren 1 Milliarde Dollar erzielenkönnen. An jeden Tropfen des Wassers, so John Carten(Jurist der Sun Belt Water Inc.) könnte man Dollarzeichenkleben. Ähnlich äußerte sich der Sprecher eines anderenWasserkonzerns in einem Rundfunkinterview: "Abgefüll-tes Wasser verkauft sich für einen Dollar pro Liter, Benzinfür die Hälfte."Ein weiteres Beispiel: Die Nova Group von Sault Ste Maireaus dem Staat Ontario hatte beantragt, jeden Tag 10Mio. Liter Wasser aus dem Lake Superior (einer der welt-weit größten Süßwasserseen) abzupumpen – für denVerkauf nach Asien. Auch dies hat öffentlicher Druck –vorläufig – verhindert."Während die internationalen Wasserkriege noch am Ver-handlungstisch ausgetragen werden können, sind die so-zialen Wasserkonflikte längst ausgebrochen. In Alexan-dra bildete sich schon bald eine aggressive Widerstand-bewegung gegen die rabiaten Methoden der Wasserfir-men. Gewerkschaften und Bürgerorganisationen zerstör-ten die Verbrauchsmesser der Wasserleitungen in denElendsvierteln. Als sich der Wasserpreis in der argentini-schen Andenprovinz Tucumán verdoppelte, zwang eineProtestbewegung der Bauern den Vivendi-Konzern zurAufgabe. In Bolivien brachten die Bewohner der StadtCochabamba die Regierung mit einem Generalstreikdazu, die Verträge mit dem amerikanischen KonzernBechtel rückgängig zu machen. Im Mittelwesten der USA

hinderten Farmer die Firma Perrier daran, ihr Wasser inFlaschen zu füllen." (SZ, 30.8.2002) Beim EuropäischenSozialforum in Florenz (6.–10.11.02) wurden in einemvon ca. 300 Teilnehmern besuchten Seminar weitere Bei-spiele dargestellt, wie in den unterschiedlichsten Ländern– oft mit Erfolg – gegen die Privatisierung der Wasserver-sorgung gekämpft wird.

Resümee

Heutzutage werden die meisten Kriege um Rohstoffe,vor allem um Erdöl, geführt. Angesichts der Tatsache,dass sich das Wasserproblem zuspitzt, muss befürchtetwerden, dass das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der"Wasserkriege" wird. Wenn es nicht gelingt, eine nach-haltige Entwicklung des Wassersektors, verbunden mitsozialer Gerechtigkeit und ökologischer Verträglichkeit,bei der Nutzung der weltweiten Wasserressourcen zurealisieren. Dieser notwendigen Entwicklung stehen dieInteressen der Transnationalen Konzerne entgegen, diesich die Wasserressourcen sichern und profitabel ver-markten wollen. Erdöl ist prinzipiell durch andere Energien wenigstensteilweise ersetzbar. Nicht so das Wasser. Es ist eine Le-bensgrundlage für Mensch und Natur und durch nichtszu ersetzen. Wasser gehört zur allgemeinen Daseinsvor-sorge und muss für alle verfügbar und in ausreichendemMaße bereit gestellt werden können.Wenn Kriege um Wasser in diesem Jahrhundert verhin-dert werden sollen, muss sich die Erkenntnis durchsetzenund international verankert werden, dass Wasser nichtprivaten Profitinteressen unterworfen werden darf.Wir halten die eingangs abgedruckte Erklärung von Por-to Allegre, als weitreichende Grundlage für künftige Akti-vitäten auf diesem Gebiet. Als Beispiel für Forderungenin unserem Land sollen die 10 Punkte der Gewerkschaftver.di dienen (siehe Kasten Seite 36).

Fußnoten1) Der Weltwasserrat (World Water Council, WWC) wurde auf der UN-Wasserkon-ferenz 1977 gegründet, aber erst 1996 als Organisation aufgestellt. Er versteht sichals Nichtregierungs-Schirmorganisation mit über 300 Mitgliedern (aus dem öffentli-chen und privaten Sektor, NGOs, UN-Agenturen). www.worldwatercouncil.org.2) Lieferung von Trinkwasser ohne Abwasserbeseitigung. Die Abwasserbeseiti-gung ist in der Statistik ein kleiner Teil der Branche Entsorgungsdienstleistungen(v.a. Abfälle aller Art) und kann leider nicht aus ihr herausgelöst werden. Sie dürftenach den Branchenkennzahlen der Tab. 1 eher etwas größer sein als die Wasser-versorgung.3) Das Bundeskartellamt schaut schon sorgenvoll zu. Sein Präsident Böge: "Wirbetrachten die mit hohem Tempo fortschreitende Beteiligung der großen Energie-versorger an Regionalversorgern und Stadtwerken unverändert kritisch." (SZ,13.9.2002).4) Die Gewerbesteuer ist ziemlich konjunkturabhängig. Zudem hat FinanzministerEichel zur Finanzierung seiner Steuerreform den Anteil der Kommunen an derGewerbesteuer ab 2004 von 80 auf 70 Prozent gesenkt.5) Im Sommer 2002 meldete sich die vergleichsweise reiche Stadt München pleiteund verordnete den totalen Stopp für alle nicht gesetzlich vorgeschriebenen Ausga-ben. Hauptgrund: Der Gewerbesteuer-Einbruch. Lediglich der Mittelstand zahltnoch teilweise Gewerbesteuer, dagegen zahlen die in München ansässigen siebenDax-Unternehmen keinen Cent mehr: Siemens, Infineon, Epcos, BMW, Allianz,Münchner Rück, Hypovereinsbank.6) Von den 23 großen Städten in Nordrhein-Westfalen müssen derzeit 21 Städte (inHessen 5 von 5, in anderen Bundesländern ähnlich) Haushaltspläne und Haus-haltssicherungskonzepte der Kommunalaufsicht vorlegen, die Details bis zum Ein-trittsgeld für den Tierpark vorschreiben (SZ, 19.9.2002).

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7) Von bislang sieben Ministerentscheidungen bei Fusionsvorhaben gingen drei anVeba und EON (Wiwo, 13/2002). Der Bund der Energieverbraucher brachte esrichtig auf den Punkt: "Wann fusioniert die Bundesregierung mit EON?" (SZ,6.7.2002).8) Vermutlich muss man dem Großteil der Volkswirte zugute halten, dass sie dieAllgemeine Gleichgewichtstheorie, die letztlich von Mathematikern formuliert wur-de, gar nicht verstanden haben.9) Empirisch gibt es in den letzten Jahrzehnten – zumindest auf größerem Niveau –nur einen einzigen Fall eines erfolgreichen Aufbrechens eines solchen Marktes.Ende der 80er Jahre baute der Chemiekonzern BASF seine Tochter Wingas zueinem bewusst gegen die Ruhrgas konkurrierenden Gasversorger auf. Dass dieWingas sich mittlerweile am Gasmarkt festsetzen und behaupten konnte, lag da-ran, dass die BASF riesige Milliardenbeträge in den Aufbau eines Parallelnetzesinvestieren konnte, dass der Eigenverbrauch der BASF (das ist der deutscheGrößtverbraucher von Gas, im übrigen auch von Strom) seinen Bedarf über dieeigene Wingas deckte, und dass nach dem Zusammenbruch 1989 die BASF-Win-gas einen günstigen Zugang zur Gazprom (Russengas) offeriert bekam.10) Eine Währungsabwertung hat einerseits zur Folge, dass mehr Exportgüterhingegeben werden müssen für dieselbe Importmenge. Insofern bedeutet sie eineVerarmung des Landes. Andererseits hat sie den Effekt, dass die einheimischeProduktion, die gegen nun teurere Importe, und auf dem Weltmarkt gegen nunteurere Exporte anderer Länder konkurriert, wettbewerbsfähiger wird. Deshalbkann mehr Nachfrage im Land bleiben und mehr Beschäftigung entstehen. Beistark verschuldeten Ländern dürfte entscheidend negativ sein, dass Schuldenstandund Schuldendienst in nationaler Währung steigen.11) Der von 1997 bis 2000 amtierende Chefökonom der Weltbank, Joseph Stiglitz,schrieb einen Aufsehen erregenden kritischen Bericht über das Wirken der Finanz-kapital-Gruppen, über ihre Inanspruchnahme von IWF und Weltbank, und vor allemüber die Bereitschaft von IWF und Weltbank, sich für diese Interessengruppeninstrumentalisieren zu lassen. Die subtilen Zwänge, die auf die Entwicklungsländerwirken, stellte er anhand der IWF-"Unterstützung" für Südkorea in Folge der ost-asiatischen Finanzkrise 1997 dar: "Natürlich tut der IWF so, als würde er dieBedingungen jeder Kreditvereinbarung mit einem Schuldnerland nicht diktieren,sondern aushandeln. Aber es sind einseitige Verhandlungen, in denen die gesamteVerhandlungsmacht beim IWF liegt ... Koreanische Beamte erklärten mir widerstre-bend, sie hätten es nicht gewagt, [dem IWF] offen zu widersprechen. Denn der IWFkönne nicht nur seine eigenen Mittel abdrehen, sondern seinen enormen Einflussauch dafür geltend machen, Anlagen privater Investmentfonds zu unterbinden,indem er Finanzinstituten des privaten Sektors seine Zweifel an der wirtschaftspoli-tischen Solidität Koreas mitteilte ... Selbst indirekte Kritik Koreas an dem Programmdes IWF könnte verheerende Folgen haben: Sie würde beim IWF den Verdachtwecken, dass die Regierung die ’ökonomische Lehre des IWF’ nicht richtig ver-stand und folglich das Programm nicht ordnungsgemäß umsetzte." (Stiglitz, 2002,S. 58).12) Noch mal der frühere Weltbank-Chefökonom Stiglitz, der über das direkteEingreifen der französischen Regierung zugunsten von Suez berichtet: "In Argenti-nien schaltete sich die französische Regierung ein, um eine Änderung der Konzes-sionsbedingungen für einen Wasserversorger (Aguas Argentinas) zu erreichen,nachdem die französische Muttergesellschaft (Suez Lyonnaise), die die Verträgeunterzeichnet hatte, festgestellt hatte, dass sie nicht so profitabel waren, wie sieursprünglich gedacht hatte." (Stiglitz, 2002, S. 90).13) Bevölkerungswachstum verstärkt bestehende Probleme und soll hier keines-falls als Ursache für Wasserknappheit verstanden werden. Aus einem Spiegel-Interview (20/2000) mit Uno-Umweltminister Klaus Töpfer: Spiegel: Herr Töpfer,wie viele Menschen verträgt die Erde? Töpfer: "Wenn Sie fragen, wie viele Ameri-kaner mit ihrem gegenwärtigen Lebensstil die Erde verträgt, dann sind die sechsMilliarden, die wir jetzt haben, schon zu viel. Wenn Sie fragen, ob das auch für denInder gilt, der gerade geboren wird, dann ist das ganz sicher nicht der Fall."

QuellenverzeichnisBGW – Bundesverband Gas und Wasser: verschiedene Materialien zum ThemaWasser in: www.bundesverband-gas-und-wasser.de/bgw/wasser und .../abwasser,Stand Herbst 2002BMF – Bundesministerium der Finanzen: Deutsches Stabilitätsprogramm, Aktuali-sierung, Dezember 2001BMF – Bundesministerium der Finanzen: Entwicklung der Kommunalfinanzen undGemeindefinanzreform, in: Monatsbericht 5/2002BMWi – Bundesministerium für Wirtschaft: verschiedene Ausführungen in: www.bmwi.de/Homepage/PolitikfelderBundestag – Deutscher Bundestag: Schlussbericht der Enquete-KommisisonGlobalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten: BT-Druck-sache 14/9200 vom 12.6.2002Chossudovsky Michel: Global brutal. Der entfesselte Welthandel, die Armut, derKrieg, Verlag Zweitausendeins, 2002Deutsche Bundesbank: Erträge und Finanzierungsverhältnisse deutscher Unter-nehmen nach Rechtsformen, in: Monatsberichte 12/2001Difu – Deutsches Institut für Urbanistik: Kommunaler Investitionsbedarf bis 2009,Medieninformation, Juni 2002DStGB – Deutscher Städte- und Gemeindebund: Neue Zahlen bestätigen denAbsturz der Kommunalfinanzen, Pressemitteilung 4. 4. 2002DStGB – Deutscher Städte- und Gemeindebund: Nach Steuereinbruch und Mehr-ausgaben für soziale Leistungen: Gemeindefinanzreform muss die Handlungsfähig-keit der Gemeinden wieder herstellen!, Pressemitteilung 5. 6. 2002

EID – Energie Informationsdienst: Bergmann: Mehr als 10%-Anteil an Gazpromvorstellbar, Nr. 26/2001Ewers Hans-Jürgen, Konrad Botzenhart, Martin Jekel, Jürgen Salzweel, AndreasKraemer: Optionen, Chancen und Rahmenbedingungen einer Marktöffnung füreine nachhaltige Wasserversorgung. Endbericht BMWi-Forschungsvorhaben11/00, Juli 2001FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung: Hunderte Stadtwerke stehen zum Verkauf,und: Die Finanznot zwingt die Kommunen zum Verkauf ihrer Stadtwerke, beides8.3.2002Fischer Weltalmanach 2000 Zahlen Daten Fakten, Fischer-Verlag, 1999Guy Simon, Marvin Simon: Wasser als Ware. Die Privatisierung der Wasserversor-gung in Großbritannien, in: PROKLA Heft 102, Westfälisches Dampfboot 1996HB – Handelsblatt: Suez hält an Engagement in Lateinamerika fest, 4.6.2002HB – Handelsblatt: Wasser wird das Öl des 21. Jahrhunderts, 19.6.2002HB – Handelsblatt: Bundesregierung verlangt Eon für Ruhrgas viel ab, 8.7.2002HB – Handelsblatt: Energiekonzerne buhlen um Stadtwerke, 27.8.2002HB – Handelsblatt: Vivendi will sich von Versorgersparte trennen, 25.9.2002HB – Handelsblatt: Stadt München verkauft ihr Rathaus, 17.10.2002HB – Handelsblatt: Deutsches Defizit steigt dramatisch, 21.10.2002Hoering Uwe: Privatisierung im Wassersektor. Entwicklungshilfe für transnationaleWasserkonzerne – Lösung der globalen Wasserkrise? WEED-Arbeitspapier, Bonn,November 2001Lanz Klaus: Private Wasserspiele in Europa, in: Hans-Böckler-Stiftung: Die Mitbe-stimmung, Heft 4/2002, S. 36 - 40Klopfleisch Reinhard, Ladstätter Mathias: Wasserwirtschaft im Wandel, in: Hans-Böckler-Stiftung: Die Mitbestimmung, Heft 4/2002Österreichischer Städtebund: US Cross Border Leasing für kommunale Anlagen –Gibt es rechtliche Risiken? Oder: Das Geld liegt auf der Straße, News-Service,14.6.2002PDS-Fraktion im Bundestag: Wasser jenseits des DAX; Berlin, Juli 2002Petrella Riccardo: Wasser für alle – ein globales Manifest, Rotpunktverlag, 1999Polkehn Klaus: Das Wasser und die Palästinafrage, IPPNW-Forum 73)Poupeau Franck: Die Privatisierung des Wassers, in: Le Monde diplomatique,17.5.2002Radio China International: Wasserpreis der Stadt Beijing gesteigert, 5.3.2002Rügemer Werner: Pokerspiel mit Stadtwerken. Immer mehr Städte in Europaschließen dubiose US-Leasing-Verträge ab, Junge Welt, 6. und 7.2.2002Der Spiegel: Der Kampf ums Wasser, Heft 21/2000Sager, Wilhelm: Wasser, Rotbuch 3000SRU – Umweltgutachten 2002 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen:Für eine neue Vorreiterrolle; BT-Drucksache 14/8792 vom 15.4.2002StaBuA – Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch Inland und Ausland,verschiedene JahrgängeStaBuA – Statistisches Bundesamt: Fachserie 18 Volkswirtschaftliche Gesamtrech-nungen, Reihe 1.3StaBuA – Statistisches Bundesamt: Bericht des Statistischen Bundesamtes zu denUmweltökonomischen Gesamtrechnungen, Oktober 2001Stiglitz Joseph: Die Schatten der Globalisierung, Siedler-Verlag 2002SZ – Süddeutsche Zeitung: Geschäfte kommen in Fluss, 28.8.2001SZ – Süddeutsche Zeitung: Wasserwirtschaft will keine Sparsamkeit, 11.3.2002SZ – Süddeutsche Zeitung: RWE verdient gut mit Wasser, 27.3.2002SZ – Süddeutsche Zeitung: Grüne kritisieren Ministererlaubnis, 6.7.2002SZ – Süddeutsche Zeitung: Die Durstigen dieser Erde, 30.8.2002SZ – Süddeutsche Zeitung: Andrian Kreye, 30.08.02SZ – Süddeutsche Zeitung: Energiemarkt wird straffer, 13.9.2002SZ – Süddeutsche Zeitung: Kommunen in Fesseln, 19.9.2002SZ – Süddeutsche Zeitung: Gewinnbringer aus Übersee, 6.11.2002Uba – Umweltbundesamt: Liberalisierung der deutschen Wasserversorgung. Aus-wirkungen auf den Gesundheits- und Umweltschutz, November 2000UNCTAD: World Investment Report 2002. Overview, New York / Genf, 2002UNDP – United Nations Development Program: Bericht über die menschliche Ent-wicklung, Bonn, versch. Jgge.Ver.di, Fachbereich Ver- und Entsorgung: der ver.di report, Heft 3/2002Villiers. Marq de: Wasser – die weltweite Krise um das blaue Gold, Econ, 2000VKU – Verband kommunaler Unternehmen: Liberalisierung der Wasserwirtschaft?Der Preis für Verbraucher und Umwelt wäre zu hoch, April 2001weed-Kurzinfo v. 11.10.1999Wiwo – Wirtschaftswoche: Nasses Gold, Heft 40/2000Wiwo – Wirtschaftswoche: Mein Gas, mein Wasser, mein Strom, Heft 13/2002WWC – World Water Council: The World Water Gap, Press Release 20.3.1999WWC – World Water Council: The Poor Pay Much More for Water ... Use MuchLess – Often Contaminated, Press Release 5.8.1999WWC – World Water Council: World’s Rivers in Crisis. Some Are Dying; OthersCould Die, Press Release 29.11.1999WWC – World Water Council: Growing Water Scarcity Threatens Global Food andEnvironmental Security, Press Release 13.8.2001ZEFnews Nr. 6 Januar 2001

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10 Punkte von ver.di zu den Privatisierungs- und Liberalisierungsbestrebungen in der Wasser-/Abwasserwirtschaft

1. Die Wasserversorgungsunternehmen in Deutsch-land erzeugen für die Verbraucher/Innen Trinkwassergrundsätzlich mit hoher Qualität, gleichermaßen er-bringen die Abwasserentsorger ihre Dienstleistungenauf hohem Qualitätsniveau, unabhängig von der je-weiligen Organisationsform. Dieses Qualitätsniveauist ausschlaggebend für Entgelt- und Gebührenhöhe.

2. Diese hervorragende Dienstleistung als unverzicht-bare Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge istnicht ohne den engagierten Einsatz der Beschäftigtenzu erreichen. Deshalb spricht ver.di sich dagegen aus,die Personalkosten als Schlüssel für Gebühren- undEntgeltabsenkungen zu betrachten. Arbeitsplatzab-bau bedeutet, Abstriche an der Dienstleistungsquali-tät in Kauf zu nehmen und damit einen Imageverlustbeim Kunden zu bewirken.

3. Die Privatisierung in der Wasserwirtschaft hatnoch in keinem Fall zur Gebühren- oder Entgeltabsen-kung geführt. Die Tatsache, Gewinne für die Aktionä-re zu erwirtschaften, führt kurz- und mittelfristig zueiner Kostenerhöhung. Um dies zu verschleiern, ver-zichtet man eher auf die notwendige laufende undVersorgungssicherheit gewährleistende Instandhal-tung und auf bestandssichernde Investitionen. DieWasserver- und Abwasserentsorgung muss neben derökonomischen Betrachtungsweise immer gleichrangigökologische, soziale und hygienische Funktionen er-füllen.

4. Entschieden und kompromisslos lehnt ver.di alleLiberalisierungsbestrebungen für die Wasserwirt-schaft ab. Liberalisierung, so die Erfahrungen in derStromwirtschaft, dient einzig den Global Playern, diesich mit ihrer wirtschaftlichen Macht und Finanzkrafteine Oligopolstruktur aufbauen. Liberalisierung ziehtArbeitsplatzverluste, Qualitätsabbau und Missach-tung der Umwelt zugunsten von Gewinnmaximierungnach sich. Für die Verbraucher/Innen ist bei einer Libe-ralisierung der Wasserwirtschaft mit Preissteigerun-gen und Qualitätseinbußen zu rechnen.

5. In der Wasserversorgung wird etwa ein Fünfteldes Wassers von privaten Unternehmen gefördertund an die Verbraucher/Innen verteilt. Im Abwasser-bereich liegt der Anteil privater Dienstleister bei 6 %inklusive Betreiber-/Kooperationsmodelle. Gebührenund Entgelte dieser Unternehmen sind keinesfallsgünstiger als die der öffentlichen Anbieter.

6. In den europäischen Ländern, in denen der privateSektor überwiegt, ist die Qualität des Trinkwassersschlechter. Shareholder value und Ökonomie befin-

den sich nicht im Gleichgewicht mit den Umweltan-forderungen einer nachhaltigen Wasserwirtschaft.Aus dieser Erfahrung heraus lehnt ver.di eine weitere,das derzeitige Kräfteverhältnis wesentlich beeinflus-sende Verschiebung zugunsten privater Dienstleisterab.

7. Es ist unbestreitbar, dass häufig die defizitäreHaushaltslage der Kommunen zu Privatisierungenführt. Dies ist eine sehr kurzsichtige Haushaltssanie-rungspolitik. Die Kommunen vergeben Einfluss undGestaltungsmöglichkeiten bei den kommunalen Dienst-leistungen. Der Privatisierungserlös fließt häufig in ei-nen Topf ohne Boden. Beschäftigte müssen um ihreArbeitsplätze bangen und die Verbraucher/Innen wer-den um ihr gebührenfinanziertes Eigentum gebracht.Eine Überarbeitung der Steuerreform ist überfällig, daderzeit die Lasten des Steuersenkungsprogramms denLändern und Kommunen aufgebürdet werden. Aus-wirkungen auf die Lebensqualität in unseren Städtenund Gemeinden sind bereits erkennbar.

8. ver.di tritt für eine nachhaltige Wasserwirtschaftein, in der Vorsorge- und Verursacherprinzip eine ent-scheidende Rolle spielen. Überwachung und Kontrollevon Schadstoffeinleitern sind Aufgaben der öffentli-chen Institutionen. Kooperationen von Behörden,Wasserwirtschaftsunternehmen, Landwirtschaft undanderen Einleitern beim Gewässerschutz sind gleich-wohl notwendig und müssen verstärkt werden.

9. Eine weitere Privatisierung der Wasserwirtschaftist abzulehnen. Regionale Entscheidungen könnendazu führen, dass Privatisierungen letztendlich nichtmehr zu verhindern sind. Dann kommt es vorrangigauf Sicherung von Beschäftigung und Unternehmens-bestand sowie Gestaltung der Arbeitsbedingungenan. Die betriebliche und wirtschaftliche Mitbestim-mung ist zwingend zu erhalten.

10. Für ver.di ist es entscheidend, unabhängig vonEigentümerschaft und Unternehmensformen, unsereKollegen und Kolleginnen zu unterstützen, wenn esgegen den Abbau sozialer und ökologischer Stan-dards geht.

Mathias Ladstätterfür die Bundesfachgruppe Wasserwirtschaft

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Wie die Linke in Europa gegen die Sparprogramme mobil macht

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