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Universität Duisburg-Essen Institut für Politikwissenschaft Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung Bachelorarbeit Erstprüfer: Prof. Dr. Andreas Blätte Zweitprüferin: Daniela Strüngmann, MA Carsten Kaefert Karl-Jarres-Str. 153 47053 Duisburg Mobil: 0172-7885736 [email protected] Matrikel-Nr.: 2224077 (8. FS) Duisburg, den 20.12.2010

Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

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„Die Globalisierung stellt einen Aspekt der klassischen Definition von Governance zunehmend in Frage: die Kopplung von 'governance' an 'government', d.h. die Gleichsetzung von politischer Steuerung oder ordnungspolitischer Verantwortung mit Regierungsmacht.“ An die Stelle der Definition des Begriffes Governance als Vorgang des Regierens tritt also ein erweiterter, modernerer Begriff, der Governance als den Prozess der Interessenvermittlung innerhalb eines Systems sieht. Dieser veränderte Begriff führt zur Fragestellung dieser Arbeit: Wie verändert Corporate Social Responsibility das Verhältnis zwischen Unternehmen und Staat? Um diese Frage beantworten zu können, werden zunächst die wesentlichen Begriffe definiert und erklärt. In einem weiteren Schritt wird dann die Entwicklung vom Regieren im Nationalstaat hin zum Regieren in einem System der akteursübergreifenden Global Governance erklärt, wobei hier von einem Netzwerksystem ausgegangen wird. Vor diesem Hintergrund wird dann die Bedeutung von CSR im nationalen, an dieser Stelle speziell deutschen, wie globalen Kontext dargestellt, wobei auch auf die Legitimation der Akteure eingegangen wird.

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Page 1: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Universität Duisburg-Essen

Institut für Politikwissenschaft

Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Bachelorarbeit

Erstprüfer: Prof. Dr. Andreas BlätteZweitprüferin: Daniela Strüngmann, MA

Carsten KaefertKarl-Jarres-Str. 153

47053 DuisburgMobil: [email protected]

Matrikel-Nr.: 2224077 (8. FS)

Duisburg, den 20.12.2010

Page 2: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Inhaltsverzeichnis1. Einleitung.....................................................................................................................................32. Begriffliche Klärung....................................................................................................................5

2.1. Corporate Citizenship..........................................................................................................52.2. Corporate Social Responsibility...........................................................................................72.3. Netzwerkgovernance............................................................................................................9

3. Macht und Staatlichkeit.............................................................................................................123.1. Regieren in liberalen Demokratien....................................................................................123.2. Governance – Global und national.....................................................................................14

4. CSR im globalen und nationalen Kontext.................................................................................204.1. Institutionalisierte CSR und Global Governance...............................................................204.2. Vergleich von CSR im globalen und nationalen Kontext..................................................25

5. Die Frage nach der Legitimität..................................................................................................286. Fazit...........................................................................................................................................31Appendix........................................................................................................................................33Bibliografie....................................................................................................................................34

2

Page 3: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

1. Einleitung

Die Globalisierung der Wirtschaft hat das Gesicht der Welt verändert. Warenströme

in zuvor ungekanntem Ausmaß umfließen den Planeten und ebenso überwinden

Finanzmittel und Informationen nationale Grenzen mit großer Leichtigkeit. Eine

solche Umwälzung kann auch politisch nicht folgenlos bleiben. Der globale Norden

sieht sich mit der Verschiebung arbeitsintensiver Industrien in Schwellenländer und

dem damit einhergehenden Verlust an Arbeitsplätzen konfrontiert; auch sind

aufstrebende Länder wie China längst mehr als nur die „verlängerte Werkbank“ der

etablierten Industrienationen.1 Doch nicht nur innerstaatliche Herausforderungen und

Änderungen an der internationalen Machtordnung treten in Folge der Globalisierung

auf, es treten auch neue, nicht-staatliche Spieler auf die Tagesordnung: Unternehmen.

Die Tatsache, dass die Handelskette Walmart mehr Waren in China einkauft als

Länder wie England oder Russland, verdeutlicht die politische Machtfülle, die

Unternehmen in der globalisierten Welt zufällt.2

Dass dies eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Staat und Unternehmen

bedeutet, ist offensichtlich. Es lässt sich vermuten, dass zunehmende

Einflussmöglichkeiten für Unternehmen und ein weiter anwachsender

gesellschaftlicher Bereich, der staatlicher Regulierung nicht zugänglich ist, eine

Machtverschiebung weg von demokratischen Regierungen bedeuten. Gerade im

deutschen Kontext ist aber die Idee politischer oder gesellschaftlicher Macht – und

damit einhergehend auch Verantwortung ohne staatliches Mandat ein Novum,

weshalb dieser Verschiebung die zentrale Aufmerksamkeit dieser Arbeit gilt. Das

tradierte Akteursverhältnis in Deutschland ist bestimmt durch die starke

sozialstaatliche Tradition im Lande, in der Unternehmen zwar stets für das

gesamtgesellschaftliche Wohl eingespannt waren, die Politik hierfür aber die

Verantwortung trug und den Rahmen setzte, ergo die Rolle der Unternehmen

definierte. Beispiele sind etwa das duale Ausbildungssystem oder

Tarifverhandlungen.3 In den letzten 20 Jahren hat sich dieses Korsett aus Regulierung

1 Vgl. Wolek, Knecht, und Borowicz, “Operationelle Herausforderungen von Mergers & Acquisitions in China und Indien,” 187.

2 Palazzo, “Die Privatisierung von Menschenrechtsverletzungen,” 20-21.3 Vgl. Backhaus-Mauk u. a., “Corporate Citizenship in Deutschland. Die überraschende Konjunktur

1. Einleitung 3

Page 4: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

jedoch zusehends aufgelöst oder wenigstens gelockert, wozu mindestens drei

Faktoren beigetragen haben: 1.) Der massive Verlust an Arbeitsplätzen in

Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung, 2.) der zunehmende globale

Wettbewerb und 3.) die steigende Bedeutung neuer Instrumente in der politischen

Entscheidungsfindung, wie beispielsweise inter- oder supranationale Absprachen und

Organisationen und die Zivilgesellschaft.4 Es wird somit deutlich, dass der Staat

nicht mehr allein die Bedürfnisse der Gesellschaft befriedigen kann, da ihm hierzu

die Mittel und teils auch die Expertise fehlen.5 Unternehmen können an dieser Stelle

durch Strategien wie Corporate Citizenship und Corporate Social Responsibility

Gestaltungsmacht gewinnen, die über ihre rein ökonomischen Zielsetzungen hinaus

geht. Zugespitzt lässt sich sagen: „Die Globalisierung stellt einen Aspekt der

klassischen Definition von Governance zunehmend in Frage: die Kopplung von

'governance' an 'government', d.h. die Gleichsetzung von politischer Steuerung oder

ordnungspolitischer Verantwortung mit Regierungsmacht.“6 An die Stelle der

Definition des Begriffes Governance als Vorgang des Regierens tritt also ein

erweiterter, modernerer Begriff, der Governance als den Prozess der

Interessenvermittlung innerhalb eines Systems sieht.7 Dieser veränderte Begriff führt

zur Fragestellung dieser Arbeit: Wie verändert Corporate Social Responsibility das

Verhältnis zwischen Unternehmen und Staat? Um diese Frage beantworten zu

können, werden zunächst die wesentlichen Begriffe definiert und erklärt. In einem

weiteren Schritt wird dann die Entwicklung vom Regieren im Nationalstaat hin zum

Regieren in einem System der akteursübergreifenden Global Governance erklärt,

wobei hier von einem Netzwerksystem ausgegangen wird. Vor diesem Hintergrund

wird dann die Bedeutung von CSR im nationalen, an dieser Stelle speziell deutschen,

wie globalen Kontext dargestellt, wobei auch auf die Legitimation der Akteure

eingegangen wird.

einer verspäteten Debatte.,” 18.4 Berthoin Antal, Oppen, und Sobczak, “(Re)discovering the Social Responsibility of Business in

Germany,” 286.5 Ebd.6 Barth, Corporate Citizenship aus der Sicht der Landespolitik Verstandnis, Ziele, Instrumente , 48.7 Wald und Jansen, “Netzwerke,” 93.

1. Einleitung 4

Page 5: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

2. Begriffliche Klärung

Corporate Social Responsibility und Netzwerkgovernance sind nicht nur die

zentralen Begriffe dieser Arbeit. Beides sind auch relativ junge Begriffe, über deren

Inhalt, Tragweite und Abgrenzung keine umfassende Einigkeit besteht. Besonders

CSR sticht hier heraus. In der Literatur ist der Begriff fast immer neben dem der

Corporate Citizenship zu finden und von diesem oft nur unscharf differenziert.

Mitunter werden beide Begriffe sogar synonym verwendet.8 Selbst wenn es eine

scharfe Trennung zwischen beiden Begriffen gibt, besteht Uneinigkeit über ihre

jeweilige Reichweite: Ist Corporate Citizenship die übergeordnete Idee und CSR nur

eine Dimension dessen9, oder ist es genau andersherum, wie es etwa die Enquéte-

Kommission des Bundestages vorschlägt?10 Um also CSR im Folgenden sinnvoll

verwenden zu können, ist es nötig, beide Begriffe zu definieren und ihr Verhältnis

zueinander zu klären.

2.1. Corporate Citizenship

Corporate Citizenship lässt sich anhand konventioneller und erweiterter theoretischer

Konzeptualisierungen erklären. Die konventionellen Ansichten definieren CC

stammen eher aus der Praxis denn aus dem wissenschaftlichen Diskurs.11 Sie

betrachten CC immer im Wechselspiel mit CSR nach Archie B. Carrolls Definition

der Verantwortlichkeiten eines Unternehmens.12 In diesem Rahmen wird CC

verwendet „zur Bezeichnung von bürgerschaftlichem Engagement von

Unternehmen.“13 Innerhalb der konventionellen Betrachtung von CC werden

weiterhin zwei Reichweiten unterschieden. In der beschränkten Sichtweise ist CC

freiwilliges Handeln von Unternehmen jenseits dessen, was allgemein von ihnen

erwartet wird. „Als Resultat wird CC aus dieser Sicht als bürgerschaftliches

Engagement und unternehmerische Philanthropie zu einem untergeordneten

8 Curbach, Die Corporate Social Responsibility-Bewegung, 19.9 Barth, Corporate Citizenship aus der Sicht der Landespolitik Verstandnis, Ziele, Instrumente , 26.10 Ebd., 27.11 Sison, “From CSR to Corporate Citizenship: Anglo-American and Continental European

Perspectives,” 240.12 Matten und Crane, “CORPORATE CITIZENSHIP,” 167.13 Curbach, Die Corporate Social Responsibility-Bewegung, 20.

2. Begriffliche Klärung 5

Page 6: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Teilbereich von CSR.“14 Die äquivalente Perspektive ist hingegen weitergefasst. Sie

kombiniert CSR und CC entlang Carrolls' Definition, jedoch weniger auf die

Verantwortlichkeiten selbst als auf ihre Erfüllung fokussiert.15

Die erweiterte theoretische Konzeptualisierung von CC hingegen erfasst mehr als nur

das bloße Verhalten von Unternehmen und bietet einen Einstieg in die Debatte um

Staatlichkeit:

We thus contend that “corporations” and “citizenship” come together in modern society at the point where the state ceases to be the only guarantor of citizenship—and that a term such as corporate citizenship is a legitimate way of characterizing this situation.16

Dieses Verständnis von CC basiert auf einem liberalen Verständnis von Bürgerschaft

(citizenship), also einem, das diese als eine Menge individueller Rechte definiert 17,

genauer als „Freiheit von Unterdrückung und Schutz vor der willkürlichen

Herrschaft einer absolutistischen Regierung oder Staates.(sic!)“ 18 Dieses Verständnis

von Bürgerschaft verleiht Corporate Citizenship eine weitere Dimension. Nicht nur

sind Unternehmen demzufolge Garant von Bürgerschaft, sie sind selbst ihr Subjekt,

schließlich liegt es im besten Interesse von Unternehmen, die erwähnten Rechte auch

für sich selbst zu wahren. Bürgerschaft lässt sich somit als Arena beschreiben, in der

Unternehmen Akteure sind. Sie können zwar selbst keine Bürger sein, legen aber

bürgerschaftliches Verhalten an den Tag.

Im Folgenden wird diese erweiterte theoretische Konzeptualisierung von CC

verwendet, da sie relevanter für die Fragestellung dieser Arbeit ist, berührt sie doch

direkt die Thematik einer möglichen Machtverschiebung zwischen der

wirtschaftlichen und der politischen Sphäre. Zudem erlaubt sie es, die Strukturen in

Kontexten zu analysieren, in denen Regierungen aufgehört haben, Bürgerschaft zu

gewähren, Bürgerschaft noch nicht gewähren oder in denen es jenseits der

14 Ebd., 21.15 Matten und Crane, “CORPORATE CITIZENSHIP,” 169.16 Ebd., 171-172.17 Ebd., 170.18 Sison, “From CSR to Corporate Citizenship: Anglo-American and Continental European

Perspectives,” 241, Übersetzung durch den Autor.

2. Begriffliche Klärung 6

Page 7: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Reichweite nationaler Regierungen liegt, Bürgerschaft zu gewähren.19 Alle drei Fälle

lassen sich direkt auf Herausforderungen beziehen, die von der Globalisierung mit

sich gebracht werden.

2.2. Corporate Social Responsibility

Kaum ein Text zum Thema Corporate Social Responsibility kommt ohne Verweis auf

Milton Friedman aus, der eine gesellschaftliche Verantwortung negiert:

In einem fairen Wirtschaftssystem gibt es nur eine einzige Verantwortung für die Beteiligten: sie besagt, daß die verfügbaren Mittel möglichst gewinnbringend eingesetzt und Unternehmungen unter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Profitabilität geführt werden müssen20

Zwar schränkt er dies an gleicher Stelle dadurch ein, dass das Profitstreben natürlich

innerhalb der gesellschaftlichen und rechtlichen Regeln zu erfolgen hat, verdeutlicht

aber nochmals, dass jegliche darüber hinausgehende Verantwortung nicht nur unnütz,

sondern vielmehr sogar schädlich ist:

Es gibt wenig Entwicklungstendenzen, die so gründlich das Fundament unserer freien Gesellschaft untergraben können, wie die Annahme einer anderen sozialen Verantwortung durch Unternehmen.21

Trotz dieser prominenten Gegenwehr hat sich Begriff und Konzept gesellschaftlicher

Verantwortung mittlerweile etabliert – in Wissenschaft und Praxis.22 Seitdem hat sich

das Feld deutlich weiterentwickelt. Ausgehend von Carrolls' Unterscheidung in

ökonomische, rechtliche, ethische und philantropische Verantwortlichkeiten,23 auf die

bereits verwiesen wurde, hat sich der Begriff verengt und präzisiert.24 Leider hatte

dieser Prozess keine einheitliche Richtung, sodass es mittlerweile eine Vielzahl von

19 Matten und Crane, “CORPORATE CITIZENSHIP,” 172.20 Friedman, Kapitalismus und Freiheit, 175.21 Ebd., 176.22 Beschorner, “Corporate Social Responsiblity und Corporate Citizenship: Theoretische

Perspektiven für eine aktive Rolle von Unternehmen,” 112.23 Matten und Crane, “CORPORATE CITIZENSHIP,” 167.24 Jackson und Apostolakou, “Corporate Social Responsibility in Western Europe: An Institutional

Mirror or Substitute?,” 372.

2. Begriffliche Klärung 7

Page 8: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Interpretationen gibt. Dow Votaw beschrieb dieses Dilemma schon 1972 anschaulich,

als er konstatierte: „corporate social responsibility means something, but not always

the same thing to everybody.“25 Diese Vielfalt an Definitionen lässt an der

konzeptionellen Schärfe des Begriffs zweifeln, so sehr, dass er mitunter gar nur mehr

„eine Leerformel zur inhaltlichen Festlegung von gesellschaftlich-normativen

Rollenerwartungen an Unternehmen“26 zu sein scheint. Ein Ausweg ist eine

allgemeine Definition, wie sie etwa Berthoin et al. anbieten:

On the one hand, CSR entails expanding the scope of action of business in society, because companies are being expected to participate in solving complex problems that government can no longer manage alone. On the other hand, CSR is also a means of reining business in and bringing its activities under public scrutiny 27

Entsprechend dieser Definition ist CSR die Gesamtheit jener Verhaltensweisen und

Strukturen, die Unternehmen, auch über das bloße Friedman'sche Profitstreben

hinaus, an der Lösung gesellschaftlicher Probleme beteiligen und sie hierzu in die

Verantwortung nehmen. Insbesondere der zweite Teil ist hier von Bedeutung,

schließlich macht er klar, dass CSR nicht bloß ein freiwilliges, dem guten Willen von

Unternehmern geschuldetes Verhalten ist, sondern durchaus verpflichtender Teil

unternehmerischen Handelns. Darum wird in dieser Arbeit von CSR als dem

umfassenderen Konzept ausgegangen, welches CC mit einschließt. Ergo handelt es

sich dabei um ein Cluster-Konzept.28

Diese Definition schließt die beiden grundlegenden Konzepte von CSR mit ein, die

in der Empirie anzutreffen sind, also sowohl das kontinentaleuropäische Konzept

impliziter CSR als auch das angelsächsische Konzept expliziter CSR 29. Diese beiden

Konzepte stellen die wesentlichen Entwicklungsstränge unternehmerischer

Verantwortung dar. Explizite CSR manifestiert sich hauptsächlich in freiwilligen

25 Votaw, “Genius Becomes Rare,” 25.26 Curbach, Die Corporate Social Responsibility-Bewegung, 26.27 Berthoin Antal, Oppen, und Sobczak, “(Re)discovering the Social Responsibility of Business in

Germany,” 287.28 Matten und Moon, “A Conceptual Framework for Understanding CSR,” 335.29 beide Albareda, Lozano, und Ysa, “Public Policies on Corporate Social Responsibility: The Role

of Governments in Europe,” 394.

2. Begriffliche Klärung 8

Page 9: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Handlungen und Policies von Unternehmen, die motiviert sind von vermeintlichen

Erwartungen der verschiedenen Stakeholder eines Unternehmens. Die implizite

Interpretation von CSR dagegen zeichnet sich aus durch auf verschriftlichten,

verpflichtenden Erwartungen an ein Unternehmen basierende Normen und Werte.30

Implizite CSR kann auch als gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen „vor

CSR“31 verstanden werden, wie sie etwa in der starken Einbeziehung von

Unternehmen in das Angebot öffentlicher Güter in der sozialen Marktwirtschaft

Deutschlands einen Ausdruck findet. Ein Beispiel ist etwa das duale

Ausbildungssystem Deutschlands.

2.3. Netzwerkgovernance

Die Praktiken unternehmerischer Partizipation und der Gestaltung des

Gemeinwesens, die in den vorangegangenen beiden Abschnitten dargestellt wurden,

bringen zwangsweise eine Interaktion dieser wirtschaftlichen Akteure mit den

Institutionen des Staates mit sich. Der Begriff der Netzwerkgovernance bietet einen

Weg, diese Interaktionen systematisch zu erfassen. Um diesen Ansatz im weiteren

Verlauf dieser Arbeit erfolgreich einsetzen zu können, ist es nötig, den Begriff genau

zu definieren.

Governance ist im englischen Sprachgebrauch sehr allgemein definiert als „the

action or manner of governing a state , organization.“32 Auch im deutschen Umfeld

gilt zunächst eine sehr breite Definition: „Allgemein kann unter Governance die

Koordination von interdependenten Handlungen verstanden werden.“33 Im

politikwissenschaftlichen Diskurs setzte sich jedoch eine andere, spezifischere

Deutung durch. Hier wird Governance als Gegensatz zum hierarchischen Begriff

Government verstanden. Das Verständnis von Entscheidungs- und

Umsetzungsprozessen durch Governancemechanismen setzte sich in der zweiten

Hälfte des 20. Jahrhunderts durch. Ihm vorangegangen waren die Modelle, die unter

30 Jackson und Apostolakou, “Corporate Social Responsibility in Western Europe: An Institutional Mirror or Substitute?,” 375.

31 Berthoin Antal, Oppen, und Sobczak, “(Re)discovering the Social Responsibility of Business in Germany,” 288.

32 Oxford Dictionaries, “Definition of "governance" from Oxford Dictionaries.”33 Wald und Jansen, “Netzwerke,” 93.

2. Begriffliche Klärung 9

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den Schlagworten Planung und Steuerung standen. Der von der „Vorstellung einer

primär hierarchischen, etatistischen Gestaltung gesellschaftlicher Felder durch

Politik“ 34 geprägte Begriff der Planung wurde bereits in den spätern 1960er, bzw.

den frühen 1970er Jahren vom Begriff Steuerung abgelöst. Er war stärker

systemtheoretisch geprägt und verwies „auf die Resistenz gesellschaftlicher

Teilsysteme gegen politische 'Interventionen'.“35. Auf das Scheitern auch dieses

Instrumentariums reagierte die Politik in der Praxis mit neoliberalem Streben nach

mehr Markt. Die Reaktion der Politikwissenschaft zeichnete sich durch größere

Differenziertheit aus. Zwar ließ man auch hier althergebrachte etatistische Konzepte

hinter sich, substituierte diese aber nicht durch ein vereinfachendes Marktmodell,

sondern durch eine Vielzahl verschiedener Governancemechanismen. 36

Es ist einleuchtend, dass die Abkehr von einer simplen top-down-Struktur komplexe

Akteurskonfigurationen mit sich bringt. Diese lassen sich sowohl in ihrer

strukturellen wie auch ihrer prozessualen Dimension als Netzwerke beschreiben.

„Die klaren Grenzen zwischen Staat und Gesellschaft verwischen sich,“37 wenn man

Governance netzwerkförmig betrachtet. Im Sinne dieser Perspektive werden

„Netzwerke (…) neutral als eine Menge von Akteuren betrachtet, die über eine

Menge von Beziehungen mit einem bestimmbaren Inhalt verbunden sind.“ 38 Beide

Begriffe sind also sehr weit gefasst, der von Governance ist mit seinen vielfältigen

Verwendungen über Disziplingrenzen hinweg beinahe unbenutzbar. Es ist daher

notwendig, diese beiden Begriffe so sehr zu verengen, dass sie einen klar definierten,

in der empirischen Wirklichkeit verwendbaren Terminus ergeben. Dazu ist es

sinnvoll, den Begriff der Netzwerkgovernance umzudrehen und zunächst

Governancenetzwerke zu definieren. Eva Sørensen und Jacob Torfing verwenden die

folgenden Kriterien:

34 Benz u. a., Handbuch Governance: Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, 12.

35 Ebd.36 Ebd., 13.37 Wald und Jansen, “Netzwerke,” 93.38 Ebd.

2. Begriffliche Klärung 10

Page 11: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

As such, we shall define a governance network as: 1. a relatively stable horizontal articulation of interdependent, but operationally autonomous actors; 2. who interact through negotiations; 3. which take place within a regulative, normative, cognitive and imaginary framework; 4. that is self-regulating within limits set by external agencies; and 5. which contributes to the production of public purpose.39

Es ist natürlich zu erwarten, dass es eine Vielzahl von Fällen gibt, die nicht alle der

Merkmale aufweisen, aber trotzdem aufgrund ihrer wesentlichen Charakteristika zum

Feld der Governancenetzwerke zu zählen sind. Die Mechanismen der

Entscheidungsfindung in einem von solchen Netzwerken geprägten System bilden

eine vollwertige Alternative zu sowohl marktlichen, als auch hierarchischen

Modellen. Dies findet zum einen Ausdruck in der Beziehung zwischen den Akteuren,

da diese hier ein plurizentrisches System autonomer, interdependenter Handelnder

bilden. Marktliche Modelle setzen im Gegensatz dazu auf eine unendliche Zahl auf

Eigenwohl bedachter Konkurrenten. Hierarchische Modelle wiederum bauen auf den

Staat als zentrale Entscheidungsinstanz. Außerdem zeichnen sich

Governancenetzwerke durch ihre Entscheidungslogik aus. Im Gegensatz zur

substanziellen Rationalität staatlicher Regulierung und der prozeduralen Rationalität

des Marktes entscheiden Governancenetzwerke nach einer reflexiven Rationalität.

Sie entscheiden also durch Interaktionen im Rahmen anhaltender

Verhandlungsprozesse zwischen verschiedenen Akteuren, die auf ihre

wechselseitigen Abhängigkeiten bauen. Als drittes und letztes

Alleinstellungsmerkmal ist die Durchsetzung verhandelter Entscheidungen zu

betrachten. Governancenetzwerke setzen hier nicht auf rechtliche Sanktionen oder

Verlust am Markt, sondern auf gegenseitiges Vertrauen, politische Verpflichtungen

und daraus erwachsende, selbstbestimmte Regeln und Normen. 40

Als zusätzliches, neues Steuerungskonzept steht „Netzwerkgovernance (…) für den

Versuch, politische Steuerungsdefizite der Nationalstaaten in der globalisierten Welt

durch die Einbindung und Verknüpfung privater und öffentlicher Akteure zu

überwinden.“41

39 Sørensen und Torfing, “Introduction. Governance Network Research: Towards a Second Generation,” 9.

40 Ebd., 11-12.41 Wieland, CSR als Netzwerkgovernance - theoretische Herausforderungen und praktische

2. Begriffliche Klärung 11

Page 12: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

3. Macht und Staatlichkeit

3.1. Regieren in liberalen Demokratien

Es ist noch gar nicht so lange her, da waren die Konzepte, mit denen man Regieren

zu verstehen suchte, noch recht einfach. So ist der für westliche Demokratien

relevanteste Typ legitimer Herrschaft bei Max Weber jener der legalen Herrschaft.42

Als Struktur, die in diesem System Herrschaft vermittelt, sieht er einzig und allein

die Bürokratie aus Beamten vor:

Man darf sich durch alle scheinbaren Gegeninstanzen, seien es kollegiale Interessentenvertretungen oder Parlamentsausschüsse oder ,, Räte-Diktaturen" oder Ehrenbeamte oder Laienrichter oder was immer (und vollends durch das Schelten über den ,,hl. Bureaukratius") nicht einen Augenblick darüber täuschen lassen, daß alle kontinuierliche Arbeit durch Beamte in Bureaus erfolgt.43

Leider ist die heutige Realität etwas unübersichtlicher und das etatistisch-

hierarchische Verständnis von Regierung ist, wie geschildert, nicht mehr zeitgemäß.

Zudem erklärt Weber zwar, wie Herrschaft umgesetzt wird, aber nicht, woher sie

kommt. Die Mechanismen der Macht, die in der Bundesrepublik Deutschland am

Werke sind, lassen sich damit also nicht erklären. Hierzu ist es zunächst einmal nötig,

das politische System hierzulande genauer zu charakterisieren. Es ist geprägt von

einer Mischform konkordanzdemokratischer und konkurrenzdemokratischer

Entscheidungsmechanismen, wie Lehmbruck bereits in den 1960er Jahren

feststellte.44

Um dieses komplexe System zu verstehen, bieten sich verschiedene Zugänge an, die

mit jeweils unterschiedlichen Handlungslogiken einhergehen. Zunächst ist hier das

Modell des politischen Systems zu erwähnen. Es bezeichnet politische Systeme als

„die Gesamtheit von Strukturen (Institutionen) und Regeln (Verfahren), die politische

und gesellschaftliche Akteure (…) in regelgeleitete Wechselbeziehungen

Antworten uber das Netzwerk von Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft , 7.42 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 124.43 Ebd., 128.44 Korte und Fröhlich, Politik und Regieren in Deutschland : Strukturen, Prozesse, Entscheidungen,

19.

3. Macht und Staatlichkeit 12

Page 13: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

(Interaktionen) zueinander setzen.“45 Ein solches System benötigt zum Funktionieren

Input in Form von Unterstützung, reagiert dann in einem Prozess, der organisierte

Interessen mit einbindet, auf die Anforderungen seiner Umwelt und erzeugt als

Output Entscheidungen in Form von Regelsetzung, -anwendung und -auslegung.46

Zu beachten ist hier allerdings, dass es zur Stabilität solche Strukturen benötigt, die

„jeweils in der Lage sind, flexibel auf die Anforderungen der 'Umwelt' (…) zu

reagieren.“47 Dies kann jedoch heutzutage nicht mehr uneingeschränkt gewährleistet

werden, da sich im Rahmen der Globalisierung Regulierungslücken auftun, die vom

Staat nicht oder nicht mehr zu füllen sind.

Zusätzlich ist dieses abstrakte Modell des politischen Systems für die vorliegende

Analyse untauglich, da es die prozessuale Komponente der politischen

Entscheidungsfindung weitestgehend außer Acht lässt. Hier bietet das Modell des

Policy-Zyklus (s. Abb. 1)

einen besseren Einblick.

Es betrachtet die

verschiedenen Phasen

politischer

Entscheidungsfindung

(ohne diese jedoch in

einen fixen kausalen

Zusammenhang zu stellen) und erlaubt die Untersuchung eines politischen Systems

sowohl in der prozessualen Dimension, als auch im Hinblick auf Strukturen. Die

Akteursdimension wird in der Betrachtung von Policy-Netzwerken noch weiter

ausgebreitet. Sie ermöglicht es, „handelnde Akteure im Institutionengefüge

dynamisch interagierend zu analysieren und Handlungskorridore zu differenzieren.“48

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass sich Regieren verstehen lässt, wenn

man Institutionen, Akteure, Strukturen und Prozesse, die zur Identifizierung und

Behandlung eines gesellschaftlichen Sachverhalts notwendig sind, in der Gesamtheit

45 Ebd., 28.46 Ebd., 30.47 Ebd., 28.48 Ebd., 34.

3. Macht und Staatlichkeit 13

Abbildung 1: nach Korte und Fröhlich: 2009

Page 14: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

ihrer Dimensionen beschreibt. Kevenhörster bricht diese Komplexität auf eine

überschaubare Definition des politischen Prozesses herunter: „Der politische Prozess

lässt sich folglich im Rahmen der repräsentativen Demokratie so deuten, dass die

unterschiedlichen Teilbereiche allgemeine Handlungsorientierungen vermitteln und

die einzelnen Akteure Ergebnisse erzeugen.“49 Diese Teilbereiche – es sind

Wählerschaft, Medien, Umwelt, intermediäre Institutionen und das

Regierungssystem – ergeben zusammen das politische System, welches er

ausdrücklich von den übrigen gesellschaftlichen Subsystemen, wie etwa der

Wirtschaft, abgrenzt. Es ist dieses Subsystem, in dem Regieren stattfindet, in dem

also Interessen formuliert, aggregiert und in politisches Handeln umgesetzt werden.

Dieser Unterscheidung verschiedener, in sich relativ geschlossener Sphären

entspringt auch die Definition der Rolle des Staates, wie Friedman sie sieht.

Regierungen sind für ihn „Spielleiter und Schiedsrichter“50, steht also am

Spielfeldrand und nimmt nicht am Spiel teil, so wie auch die Spieler nicht die Regeln

bestimmen und durchsetzen.

3.2. Governance – Global und national

3.2.1. Global Governance

Governance löst, wie bereits beschrieben, diese klare, institutionalistische

Perspektive politischer Regelsetzung ab. Es wird ersetzt durch ein komplexes

Regelsystem, „das aus dem pluralen Zusammenspiel unterschiedlicher

Autoritätssphären entsteht. Weltgesellschaft wird dabei als ein Geflecht verstanden,

innerhalb dem die Autoritätssphären versuchen, globale Dynamik nach ihren Zielen

zu beeinflussen.“ 51 Auf globaler Ebene wird der Begriff Internationale Politik vom

Begriff Governance abgelöst, und erweitert.52 Zwei Dimensionen des Begriffs sind

dabei zu unterscheiden, einerseits „die normative Interpretation von Global

Governance (…), die ein Ordnungskonzept zur effektiveren Lösung globaler

Probleme beinhaltet,“ und anderseits die Deutung von Global Governance „als

49 Kevenhorster, Entscheidungen und Strukturen der Politik, 49.50 Friedman, Kapitalismus und Freiheit, 49.51 Reder, Global Governance : philosophische Modelle der Weltpolitik, 83.52 Behrens und Reichwein, “Global Governance,” 311.

3. Macht und Staatlichkeit 14

Page 15: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

kategorialen Rahmen (...), um Formen politischer Steuerung und Koordination im

internationalen System zu untersuchen.“ 53 Da eine normative Bewertung von Global

Governance weder beabsichtigt noch im Rahmen dieser Arbeit zu realisieren wäre,

wird im Weiteren der zweite, deskriptive Ansatz verwendet. Besonders im Vergleich

zum herkömmlichen Verständnis internationaler Politik lassen sich vier

Charakteristika ausmachen54: Global Governance...

– ist weniger staatenzentriert als Internationale Politik, kann also auch

die Regulierungsfunktion privater Akteure erklären;

– rückt Handlungsfähigkeiten und Normen anstelle des staatlicher

Souveränität in den Mittelpunkt und kann somit Interdependenzen

zwischen den verschiedenen Akteuren erklären;

– berücksichtigt, von der Europa-Forschung inspiriert, die

Mehrebenenstruktur internationalen Handelns und

– zieht auch „private Akteure, die sich mit Fragen von Normen,

Standards und Verregelungsformen zur Bearbeitung globaler

Probleme befassen und Koordinationsfunktionen übernehmen“ mit in

Betracht.

Konkret lässt sich Global Governance auf die Dimensionen der Strukturen, Akteure

und Prozesse anwenden. Im Bereich der Strukturen erfasst das Konzept die nationale,

regionale und die internationale Ebene. Es lassen sich damit also auch Phänomene

erfassen, die sich weder bei der Betrachtung der Ebene nationalstaatlichen Regierens

noch innerhalb des Konzeptes internationaler Politik vollständig beschreiben lassen,

weil sie die Grenzen zwischen diesen überschreiten. Neben dieser vertikalen

Unterscheidung erlaubt Global Governance auch eine horizontale Differenzierung

und damit die Betrachtung struktureller Zusammenhänge zwischen verschiedenen

53 Ebd.54 Ebd., 312.

3. Macht und Staatlichkeit 15

Page 16: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Aspekten wie etwa Umwelt und Handel. Das ermöglicht eine Analyse von

Koordinationsproblemen, namentlich Regulierungslücken und -konkurrenzen.55

Entsprechend der Definition von Berthoin et al. sind es eben diese Leerstellen

politischer Regulierung, die Unternehmen durch CSR auffüllen. Erfüllen Firmen also

ihre Rolle als Gewährer von Bürgerschaftsrechten, wie es das Modell von Matten

und Crane vorsieht, sind sie somit schon qua Struktur Teil globaler Governance.

Die Betrachtung der Akteursdefinition von Global Governance bestätigt diese

Wahrnehmung. Sie unterstreicht nämlich die wachsende Rolle transnationaler,

privater Akteure, also von Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen. 56 Die

empirische Beobachtung, dass sich die Zahl dieser Akteure im Zuge der

Globalisierung vervielfacht hat,57 bestätigt diese Beobachtung eindrücklich. Damit

einher gehen veränderte Ansprüche der an internationaler Koordination beteiligten

Akteure. So ließ sich im Kontext des alten Verständnisses internationaler Politik

Multilateralismus als ein Club-Modell begreifen. Dieser Begriff zeichnet sich also

aus durch exklusive Mitgliedschaft, geschlossene Strukturen und relativ homogene

Interessen der Akteure. Global Governance setzt dem klassischen einen komplexen

Multilateralismus entgegen, in dem nicht-staatliche Akteure für eine größere

Offenheit, Öffentlichkeit und Transparenz eintreten.58 Wobei an dieser Stelle

festgehalten werden muss, dass nicht alle nicht-staatlichen Akteure in jeder Situation

hinter all diesen Forderungen stehen. So kann zwar Offenheit durchaus als

universelle Forderung verstanden werden, denn erst diese erlaubt es privaten

Akteuren überhaupt, an solchen Deliberationen teilzunehmen. Es ist aber leicht,

einen Fall zu konstruieren, in dem Öffentlichkeit und Transparenz gerade für

Unternehmen unerwünscht sind.

55 Ebd.56 Ebd., 312-313.57 Cohen, “The World's Business. The United Nations and the globalisation of coporate citizenship,”

185.58 Behrens und Reichwein, “Global Governance,” 313.

3. Macht und Staatlichkeit 16

Page 17: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Die dritte Betrachtungsebene stellen schließlich die Prozesse dar. Die Einbeziehung

der Koordinationsleistung nicht-staatlicher Akteure führt zur Bildung einer „Vielzahl

politischer Koordinationsformen.“ 59 Für die Prozessdimension von Global

Governance sind hier besonders die drei Ausprägungen Hegemonic, International

und Transnational Governance zu erwähnen. Hegemonic Governance bezeichnet

wenig überraschend das Handeln innerhalb einer von einem dominanten Hegemon

geprägten Weltordnung, also etwa die Pax Britannica oder die Pax Americana. Als

Steuerungsinstrument dienen hier Macht und Konsens.60

International Governance dagegen „betont den intergouvernementalen, kooperativen

Modus politischer Entscheidungsprozesse, an denen mindestens drei Staaten beteiligt

sind.“61 International Governance findet hauptsächlich auf Gipfeltreffen zwischen

Regierungschefs und in der Arena multilateraler, völkerrechtlicher Verträge statt.

Für die Fragestellung dieser Arbeit ist jedoch die dritte Perspektive, Transnational

Governance, am relevantesten. Sie „bezieht sich auf institutionalisierte

Koordinationsformen, in denen private Akteure systematisch in Prozesse der

Normsetzung und Normdurchsetzung eingebunden sind bzw. die von ihnen initiiert

(…) werden.“62 Hier lassen sich zwei Koordinationsmechanismen unterscheiden:

Public Private Partnerships beziehungsweise Public Private Networks auf der einen

Seite und Private Governance beziehungsweise Private Private Partnerships auf der

anderen. Public Private Partnerships bringen Regierungen und den privaten Sektor

„in einem institutionalisierten Modus nichthierarchischer Steuerung als weitgehend

gleichberechtigte Partner zusammen,“63 Private Governance hingegen bezeichnet die

Kooperation ausschließlich privater Akteure, um von Staaten oder internationalen

Organisationen delegierte Aufgaben umzusetzen, einer staatlichen Regulierung

zuvorzukommen oder eigene Normen umzusetzen. Diese Motivlage für private

Koordination deckt sich mit jener, die Unternehmen zu Corporate Social

Responsibility antreibt.

59 Ebd.60 vgl.Ebd.61 Ebd.62 Ebd., 314.63 Ebd.

3. Macht und Staatlichkeit 17

Page 18: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Mit Global Governance liegt also ein komplexer, mehrdimensionaler und zudem

noch „anerkannt uneindeutiger“64 Begriff vor. Rosenau beschreibt dieses Dilemma

ausgesprochen anschaulich:

Global governance thus involves crazy-quilt arrangements wherein the exercise of authority is exercised partly by hierarchical structures, partly by horizontal networks, and partly by oblique links among overlapping vertical and horizontal SOAs (spheres of authority, d. Autor) 65

Doch sind im Kontext von Corporate Social Responsibility und Corporate

Citizenship nicht alle dieser „crazy-quilt arrangements“ von Belang. So ist etwa die

Analyse von Hegemoniestrukturen oder intergouvernementalen Strukturen zunächst

einmal eher nebensächlich, wohingegen die Koordination zwischen Staat und

Unternehmen, bzw. Unternehmen untereinander, höchst relevant ist. Diese

Koordinationsprozesse lassen sich am besten als Netzwerke verstehen. So führen

etwa die erwähnten Public Private Networks den Netzwerkbegriff schon im Titel.

Auch ihre Eigenschaft, staatliche und private Akteure weitgehend gleichberechtigt

und auf Augenhöhe gegenüberzustellen, deckt sich mit der Konfiguration, die in

Netzwerkgovernance zu finden ist. Ebenso trifft das auf den Bereich von Private

Governance zu. Dass sich Global Governance auch in den konkreten Handlungen bei

der Vermittlung von Interessen und der Durchsetzung von Entscheidungen als

Netzwerkgovernance erklären lässt, wird das folgende Kapitel über Institutionen

zeigen.

3.2.2. Rückkopplungen auf nationaler Ebene

Es ist unbestreitbar, dass eine solch komplexe internationale Struktur auch

Auswirkungen auf nationaler Ebene hat, zumal Global Governance diese Ebene

explizit mit einschließt. Dies wird noch dadurch verdeutlicht, dass mit Ausnahme

internationaler Organisationen Global Governance-Akteure zugleich auch nationale

Akteure sind. Regierungen sind hier das offensichtlichste Beispiel, da sie auch in den

dargestellten, weniger hierarchischen Kontexten maßgebliche Handelnde mit großem

64 Blumenthal, “Governance - eine kritische Zwischenbilanz,” 1150.65 Rosenau, “Globalization and governance. Bleak prospects for sustainability,” 26.

3. Macht und Staatlichkeit 18

Page 19: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Einfluss und starken Regulierungsmöglichkeiten bleiben. Aber auch Unternehmen –

sogar transnationale – existieren nicht frei schwebend in einem Raum jenseits aller

Geografie, sondern haben ihren Verwaltungssitz in einem Land, müssen nationale

Gesetze einhalten und rekrutieren ihre Arbeitskräfte aus Nationalstaaten.

Entsprechend sind sie immer auch national verwurzelt und somit auch Akteure

innerhalb von Staaten. Es sind also dieselben Akteure, die in einer inter- oder

transnationalen Perspektive miteinander im Austausch stehen, die sich auch in

nationaler Sicht gegenüber stehen.

Doch wie verändern neue globale Koordinationsprozesse den Nationalstaat genau?

Zunächst einmal wird er mit Grenzproblemen konfrontiert, seine territorialen

Grenzen verändern also ihre Bedeutung. So stehen Grenzen einerseits dem

transnationalen Handel im Weg und sind damit ein Hindernis bei der Entfaltung

transnationaler Prozesse und müssen daher durchlässiger werden. Anderseits

gewinnen territoriale Grenzen aber auch an Bedeutung als Bollwerke gegen die

Dysfunktionen globaler Prozesse und gegen transnational ausgetragene

Gesellschaftskonflikte.66

„Governance im Nationalstaat hängt also in zunehmendem Maße mit der

Notwendigkeit zusammen, die an den territorialen, sozialen und funktionalen

Grenzen der Institution Staat entstehenden 'Interdependenzprobleme' zu bewältigen.“67 Als Reaktion auf diese Herausforderungen entstehen „komplexere Governance-

Formen im Schatten oder jenseits der Hierarchie.“68 Netzwerke und die in ihnen

stattfindenden Verhandlungsprozesse sind ein Aspekt dieses Wandels. Das als

netzwerkförmig beschriebene Phänomen Global Governance erzeugt also im

nationalen Rahmen wiederum netzwerkartige Governancestrukturen.

66 Benz, “Nationalstaat,” 342.67 Ebd., 343.68 Ebd., 344.

3. Macht und Staatlichkeit 19

Page 20: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

4. CSR im globalen und nationalen Kontext

4.1. Institutionalisierte CSR und Global Governance

Die Veränderung der Beziehungen zwischen Staat und privaten Akteuren mag zwar

einen Bedeutungsverlust für traditionelle, staatliche Institutionen bedeuten,

Institutionen als solche verlieren dadurch aber nicht an Bedeutung. Lediglich die

Auswahl der Institutionen verändert sich, wie es auch schon in der Definition von

Netzwerkgovernance beschrieben wurde. Entsprechend der Netzwerknatur der

Partizipation von Unternehmen durch Corporate Social Responsibility ist also auch

für diese eine Institutionalisierung anzunehmen. Diese Annahme bestätigt zumindest

die Betrachtung der im globalen Kontext relevantesten unternehmerischen Akteure,

nämlich den transnationalen Unternehmen. So sind etwa die drei nach Umsatz

größten Unternehmen Deutschlands, Volkswagen, EON und Daimler69 allesamt

Mitglieder in verschiedenen CSR-Organisationen.70

Organisationen und Institutionen, die Corporate Social Responsibility

implementieren, lassen sich nach mehreren Gesichtspunkten kategorisieren. Da

bereits zuvor der Fokus dieser Arbeit auf Multi-Stakeholder-Institutionen beschränkt

wurde, bietet sich eine Unterscheidung nach ihrer Reichweite an, also danach, für

wieviele Unternehmen sie relevant sind. Dazu werden zwei Organisationen

dargestellt, die als exemplarisch für globale Institutionen hoher Reichweite betrachtet

werden können. Dies sind die Global Reporting Initiative und der UN Global

Compact. Beide zeichnen sich durch ihre breite Aufstellung aus. Ihnen ist der

Anspruch gemein, alle (transnationalen) Unternehmen ansprechen zu wollen.

CSR im Kontext der UN: der Global Compact

Verflechtungen zwischen den Vereinten Nationen und der Wirtschaft gibt es seit dem

Gründungstag der UN. Durch Standards, die von Unterorganisationen wie der UN

Food and Agriculture Organizaion (FAO) oder die Weltgesundheitsorganisation

69 Finke, “Jahr des Minus, Jahr der Wende,” 25.70 Vgl. Daimler AG, “Daimler Nachhaltigkeitsbericht 2010,” 17, 72; E.ON AG, “E.ON CR-Bericht

2009,” 4-5, 45; Volkswagen Aktiengesellschaft, “Volkswagen Nachhaltigketsbericht 2009,” 2.

4. CSR im globalen und nationalen Kontext 20

Page 21: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

(WHO) gesetzt werden, beeinflussen diese das Wirtschaftsgeschehen – und letztlich

den Alltag auf der Welt – erheblich.71 Während zu Zeiten des Kalten Krieges diese

Beziehungen sich hauptsächlich auf notwendige Standards und die International

Labour Organisation (ILO) beschränkten, kam nach dem Zusammenbruch der

Sowjetunion zu einem Dammbruch bei der Zusammenarbeit der UN mit

Unternehmen: Unzählige partnerschaftliche Projekte wurden in Angriff genommen,

sowohl auf Initiative der UN als auch von Unternehmen.72 Zudem entstanden in den

1990er Jahren einige neue Institutionen innerhalb des UN-Systems um die

Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen und der Wirtschaft zu verbessern.

Ein Beispiel dafür ist die UNEP Financial Institutions Initiative on the Environment

von 1992, die einem Dialog zwischen Finanzmarktakteuren und anderen

Stakeholdern zu den Themen wirtschaftliche Entwicklung, Umweltschutz und

nachhaltige Entwicklung eine Plattform bietet. Ein anderes Beispiel ist die

Partnership for Quality Medical Donations (PQMD) von 1999. Diese

Unterorganisation der WHO hilft bei der Organisation von Medikamentenspenden,

um sicherzustellen, dass auch die richtigen Arzneien in den richtigen Mengen beim

Empfänger ankommen.73

Die bei weitem bedeutendste UN-Institution im CSR-Kontext ist aber der Global

Compact. Ins Leben gerufen wurde die Institution auf dem Weltwirtschaftsgipfel in

Davos 1999 vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan mit folgender

Aufforderung an die Mächtigen der Weltwirtschaft:

This year, I want to challenge you to join me in taking our relationship to a still higher level. I propose that you, the business leaders gathered in Davos, and we, the United Nations, initiate a global compact of shared values and principles, which will give a human face to the global market.74

71 Cohen, “The World's Business. The United Nations and the globalisation of coporate citizenship,” 186.

72 Ebd., 189.73 Ebd., 191.74Annan, “Address to the World Economic Forum in Davos, Switzerland, on 31 January 1999.”Annan, “Address to the World Economic Forum in Davos, Switzerland, on 31 January 1999.”

4. CSR im globalen und nationalen Kontext 21

Page 22: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Inhalte des Paktes sind die Themen Menschenrechte sowie Arbeits- und

Umweltschutz.75 Offizieller Start für den Pakt war im Juli 2000, zu den

Gründungsmitgliedern gehörten neben einigen UN-Organisationen auch 40

multinationale Unternehmen (darunter 8 deutsche), zahlreiche transnationale NGOs

sowie internationale Gewerkschaften und Unternehmerverbände.76 Der Global

Compact basiert auf zehn Prinzipien, die Unternehmen mit ihrer Mitgliedschaft

anerkennen und zu deren Einhaltung sie sich verpflichten:

Principle 1: Businesses should support and respect the protection of internationally proclaimed human rights; and

Principle 2: make sure that they are not complicit in human rights abuses.

Principle 3: Businesses should uphold the freedom of association and the effective recognition of the right to collective bargaining;

Principle 4: the elimination of all forms of forced and compulsory labor;

Principle 5: the effective abolition of child labor; and Principle 6: the elimination of discrimination in respect of employment

and occupation. Principle 7: Businesses should support a precautionary approach to

environmental challenges; Principle 8: undertake initiatives to promote greater environmental

responsibility; and Principle 9: encourage the development and diffusion of

environmentally friendly technologies. Principle 10: Businesses should work against all forms of corruption,

including extortion and bribery. 77

Mit mittlerweile über 2500 Unterzeichnern sind diese Prinzipien die wahrscheinlich

am breitesten anerkannten CSR-Grundsätze der Welt. 78 Trotz dieser breiten

Unterstützung ist der Global Compact im akademischen wie im praktischen Diskurs

nicht unumstritten. Einer der Kritikpunkte ist, dass der Global Compact keine Mittel

hat, seine Prinzipien durchzusetzen, sondern lediglich jährliche Fortschrittsberichte

75 Cohen, “The World's Business. The United Nations and the globalisation of coporate citizenship,” 188.

76 Schorlemer, “Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen –ein Faust'scher Pakt mit der Wirtschaftswelt?,” 508.

77 Egels-Zandén und Kallifatides, “The UN Global Compact and the Enlightenment tradition: a rural electrification project under the aegis of the UN Global Compact,” 265.

78 Ebd.

4. CSR im globalen und nationalen Kontext 22

Page 23: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

seiner Unterzeichner vorsieht.79 Das schwächt den Global Compact gleich zweifach:

Es beschädigt seine Reputation, also verliert er für bestehende Mitglieder an Wert,

und es hält einige (vor allem nordamerikanische) Unternehmen davon ab, den Pakt

zu unterzeichnen, um sich nicht dem Vorwurf des Bluewashing80 auszusetzen.81

Außerdem wird ihm vorgeworfen, inhaltlich zu stark eurozentristisch zu sein, da die

Prinzipien allesamt in der europäischen Tradition der Aufklärung stehen.82

Gleichwohl ist der Global Compact ausgesprochen wirkmächtig. So bildet er für

seine Unterzeichner ein learning network im Hinblick auf die zehn Prinzipien.83 Vor

allem aber ist der Global Compact Ausdruck der veränderten Rolle multinationaler

Unternehmen und einer damit möglicherweise einhergehenden „Transformation der

völkerrechtlichen Beziehungen,“84 da er den Grundstein für die Anerkennung dieser

Unternehmen als Partner innerhalb der UN legte. Sie können somit „– ungeachtet der

Verpflichtungen, die ihre Sitzstaaten auf zwischenstaatlicher Ebene eingegangen sind

– nach eigenem Gutdünken Grundsätze im Bereich Menschenrechte, Umwelt-,

Arbeits- und Sozialstandards für sich übernehmen bzw. nicht übernehmen.“85

Global Reporting Initiative

In Reichweite und Entwicklung mit dem Global Compact durchaus zu vergleichen ist

die Global Reporting Initiative (GRI). Sie entstammt ebenfalls dem UN-Umfeld,

wurde von der US-amerikanischen Coalition for Environmentally Responsible

Economies (CERES) und dem UN Environment Program (UNEP) gegründet86 und

legt Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen fest. Diese

Standards sind mittlerweile das am weitesten anerkannte Regelwerk für

79 Cohen, “The World's Business. The United Nations and the globalisation of coporate citizenship,” 196.

80 Der Begriff „Bluewashing“ ist analog zu „Greenwashing“ zu verstehen, nur bezieht er sich anstelle von Umweltschutzaktivitäten auf UN-Kooperationen aus PR-Gründen.

81 Rasche, “Toward a model to compare and analyze accountability standards - the case of the UN Global Compact,” 202.

82 Egels-Zandén und Kallifatides, “The UN Global Compact and the Enlightenment tradition: a rural electrification project under the aegis of the UN Global Compact,” 275.

83 Rasche, “Toward a model to compare and analyze accountability standards - the case of the UN Global Compact,” 202.

84 Schorlemer, “Der „Global Compact“ der Vereinten Nationen –ein Faust'scher Pakt mit der Wirtschaftswelt?,” 509.

85 Ebd., 510.86 Detomasi, “The Multinational Corporation and Global Governance,” 330.

4. CSR im globalen und nationalen Kontext 23

Page 24: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Sustainability-Reporting und werden auch für die im Rahmen des Global Compact

vorgesehenen Berichte empfohlen.87 Die Website der GRI führt den Global Compact

zudem auch als Partnerorganisation auf.88

Die Gründung der Initiative war eine Reaktion von CERES auf drei Probleme: 1.)

Eine starke Zunahme zeitintensiver Anfragen zu Umwelt- und Sozialperformance bei

Unternehmen, 2.) ein Mangel an Konsistenz, Inhalt und Vergleichbarkeit zwischen

den Berichten, die Unternehmen damals schon veröffentlichten und 3.) eine

Zunahme verschiedener Reporting-Richtlinien und -Frameworks in

unterschiedlichen Ländern und Sektoren. Zunächst nur Blick auf die Umweltschutz-

Dimension geplant, wurde das Regelwerk der Global Reporting Initiative schon in

einem frühen Entwurfsstadium um soziale und unternehmerische Dimensionen

erweitert. Damit soll es dem Wildwuchs an Sustainability-Reporting-Mechanismen

ein System entgegensetzen, das in Strenge, Vergleichbarkeit, Überprüfbarkeit und

Akzeptanz Finanzberichten ebenbürtig ist.89

Im Jahr 2000 erschien die erste offizielle Version dieser Richtlinien. Seitdem sind

mehrere Revisionen erarbeitet worden, die letzte im Jahr 2006.90 Die Richtlinien

erfassen die Performance von Unternehmen in den in Tabelle 1 dargestellten

Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft inklusive jeweils weiterer

Aspekte. Die Richtlinien gehören mittlerweile zu den meistbenutzten CSR-

Werkzeugen. Startete die Initiative 1999 noch mit 21 Unternehmen,91 so erstellten im

Jahr 2010 schon über 1300 Unternehmen und Organisationen einen Sustainability-

Bericht nach CRI-Richtlinien, davon über 400 mit GRI-Zertifikat.92 Damit ist die

87 Rasche, “Toward a model to compare and analyze accountability standards - the case of the UN Global Compact,” 202.

88 Global Reporting Initiative, “GRI Portal - GRI's Alliances & Synergies.”89 Willis, “The Role of the Global Reporting Initiative's Sustainability Reporting Guidelines in the

Social Screening of Investments,” 234.90 Global Reporting Initiative, “RG. Leitfaden zur Nachhaltigkeitsberichterstattung..”91 Willis, “The Role of the Global Reporting Initiative's Sustainability Reporting Guidelines in the

Social Screening of Investments,” 234.92 Die Daten sind der GRI Reports List (http://www.globalreporting.org/NR/rdonlyres/3773FB4F-

78FD-4C43-B2C2-6A95A347C886/0/GRIReportsList19992010_15Dec.xls) entnommen und entsprechen dem Stand von Dezember 2010.

4. CSR im globalen und nationalen Kontext 24

Page 25: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Global Reporting Initiative mittlerweile so sehr zu einem Standard geworden, dass

die EU-Kommission alle Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern dazu

auffordert, einen Bericht nach ihren Richtlinien abzugeben.93

4.2. Vergleich von CSR im globalen und nationalen Kontext

Auf internationaler Ebene ist Corporate Social Responsibility durch die Initiativen

der Vereinten Nationen geprägt von einer strategisch forcierten Koordination und

Implementation. Demgegenüber stehen grundsätzlich andere Verhaltensmuster auf

nationaler, deutscher Ebene. Hierzulande herrscht größere Orientierungslosigkeit, das

Agieren der Bundesregierung lässt sich traditionell eher als „muddling through“94

bezeichnen. Zwar hat das Thema Corporate Social Responsibility hier auch seit den

1990er Jahren Konjunktur, Berthoin Antal et al. stellen trotzdem ein schlechtes

Zeugnis aus:

Overall, German actors did not take the lead in shaping the way problems are addressed and desirable outcomes are defined in these fora (…) Moreover, there is little evidence of a coordinated feedback of their international experiences into the German debate.95

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zunächst einmal ist der deutsche Diskurs

historisch eher von der weniger sichtbaren, impliziten Form geprägt. Es ist die

Soziale Marktwirtschaft, die mit ihrem Fokus auf die Trias aus persönlicher und

wirtschaftlicher Freiheit sowie sozialer Gerechtigkeit bereits Elemente sozialer

Verantwortung für Unternehmen beinhaltet und diesen somit weniger Spielraum (und

ein geringeres Bewusstsein) für Initiative einräumt.96 Zudem mangelt es auch an den

Institutionen, die dieses Bewusstsein und solche Strategien wirkungsvoll in den

politischen Diskurs einbringen könnten:

93 Europäische Kommission, Grünbuch - Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung von Unternehmen, 20.

94 Berthoin Antal, Oppen, und Sobczak, “(Re)discovering the Social Responsibility of Business in Germany,” 289.

95 Ebd., 290.96 Albareda, Lozano, und Ysa, “Public Policies on Corporate Social Responsibility: The Role of

Governments in Europe,” 403.

4. CSR im globalen und nationalen Kontext 25

Page 26: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Germany does not have business schools or think tanks that focus on such issues. Nor has there been a professional forum like the Social Issues in Management Division in the Academy of Management. The result (…) is inefficient learning. 97

Das heißt aber nicht, dass es in Deutschland keine Impulse hin zu einem größeren

Bewusstsein für CSR-Herausforderungen gibt. Das Gegenteil ist der Fall. So hat die

Umweltbewegung, die in Deutschland früher und intensiver Fuß fasste als in anderen

europäischen Ländern, nicht nur Umweltgesetzgebung zur Folge gehabt, sondern

auch für eine neue Qualität von kollaborativem bis konfliktiven Austausch zwischen

Zivilgesellschaft, Staat und Wirtschaft gesorgt. Bei der Definition von Standards und

der Implementation von Transparenzprozessen waren Staat und Unternehmen

führend, haben diesen Vorsprung aber mittlerweile wieder aufgegeben.98

Auch die in Kapitel 2.1. erwähnten Regulierungslücken, die mit der wirtschaftlichen

Globalisierung einhergehen, haben das Verhältnis zwischen Regierung und

Wirtschaft in eine Richtung jenseits von Hierarchie verändert. Als Beispiel sind hier

etwa die regelmäßig verlängerten Ausbildungspakte zwischen

Bundeswirtschaftsministerium und Arbeitgebern zu erwähnen oder die Entwicklung

des Konzeptes vom aktivierenden Staat, in dem die Politik zwar die Verantwortung

für gesellschaftliche Bedürfnisse behält, die Erbringung der Dienstleistungen jedoch

an andere Akteure delegiert.99 Gerade an dieser Stelle lässt sich auch das Aufkommen

von durch Verhandlungsprozesse und autonomen Akteure geprägten

Netzwerkgovernanceelementen beobachten. Sogar manche Unternehmen nehmen

proaktiv an der Debatte teil. „So sind es vor allem inhabergeführte Unternehmen, die

sich in der Tradition eines deutschen Pfades von Corporate Citizenship verorten,“

seit kurzem aber auch kapitalmarktgeführte Unternehmen.100 Dennoch gilt, dass

deutsche Unternehmen im europäischen Vergleich zurückliegen und noch viel zu

97 Berthoin Antal, Oppen, und Sobczak, “(Re)discovering the Social Responsibility of Business in Germany,” 290.

98 Ebd., 291.99 Ebd.100Backhaus-Mauk u. a., “Corporate Citizenship in Deutschland. Die überraschende Konjunktur einer

verspäteten Debatte.,” 32.

4. CSR im globalen und nationalen Kontext 26

Page 27: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

lernen haben. Berthoin Antal et al. urteilen: „They rank low on integrating their

social engagement into business decision making and on the transparency of their

reporting.“101

Erst in den letzten Jahren ist der Begriff Corporate Social Responsibility ins

Bewusstsein gerückt und hat „große Aufmerksamkeit im Bereich des Management

und der Managementtheorie erregt.“102 Auch von Seiten des Staates wurde ihm mehr

Aufmerksamkeit gewidmet.103

Dennoch bleibt das Verständnis von CSR im nationalen, deutschen Kontext ein

grundsätzlich anderes als das im globalen Kontext. Der Unterschied zwischen

national und global weist dabei erhebliche Parallelen zu dem in Kapitel 2.2.

dargestellten Gegensatz zwischen impliziter, kontinentaleuropäischer CSR und ihrem

expliziten, angelsächsischen Gegenstück. In Anbetracht des US-amerikanischen

Ursprungs der wesentlichen Institutionen ist das auch nicht weiter überraschend. Der

explizite Charakter des Begriffs von Corporate Social Responsibility auf globaler

Ebene ist recht deutlich. Es gibt dort – vermutlich auch wegen des Fehlens einer

übergeordneten, globalen Hierarchie – deutlich stärker ausgeprägte Multi-

Stakeholder-Institutionen, in denen Akteure von Werten und Interessen geleitet

zusammenkommen und auf der Basis von Freiwilligkeit Verhaltensweisen

vereinbaren. Dies geht einher mit einer stärkeren Ausprägung von Private-Private-

Partnerships. Auf nationaler, deutscher Ebene bietet sich hingegen ein anderes Bild.

Selbst da, wo sich wirtschaftliche und staatliche Akteure weitestgehend auf

Augenhöhe begegnen, also etwa beim erwähnten Ausbildungspakt, steht die

Möglichkeit einer hierarchischen Regulierung stets noch im Hintergrund. Zwar

erfüllen Unternehmen auch hier eine soziale Verantwortung, die über das von

Friedman definierte Ideal des reinen Profitstrebens hinausgeht, sie erfüllen damit

aber gesellschaftliche oder legale Regeln und Erwartungen, statt eigene Werte zu

101Berthoin Antal, Oppen, und Sobczak, “(Re)discovering the Social Responsibility of Business in Germany,” 292.

102Beschorner, “Corporate Social Responsiblity und Corporate Citizenship: Theoretische Perspektiven für eine aktive Rolle von Unternehmen,” 111.

103Albareda, Lozano, und Ysa, “Public Policies on Corporate Social Responsibility: The Role of Governments in Europe,” 403.

4. CSR im globalen und nationalen Kontext 27

Page 28: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

verwirklichen. Diese Verantwortungsübernahme ist also von Staat und Gesellschaft

mandatiert. Beide Betrachtungsweisen haben aber gemein, dass die aus ihnen

erwachsenden Governance-Prozesse und -Strukturen im Kontext von Netzwerken

verstanden werden können.

5. Die Frage nach der Legitimität

Wenn Corporate-Social-Responsibility-Aktivitäten und ein System globaler

Governance Unternehmen in die Rolle eines Anbieters von Bürgerschaft bringen, sie

sogar als Regierungen handeln lassen,104 dann drängt sich die Frage nach der

Legitimität ihres Handelns förmlich auf. Webers Idee der legitimen Herrschaft

rationalen Charakters, also der legalen Herrschaft, greift dann nämlich nicht mehr.

Unternehmen sind in funktional ausdifferenzierten Demokratien gerade nicht für

politische Entscheidungen zuständig, sondern für das Erwirtschaften von Profit. Die

Legitimität von Unternehmen „auf dem Glauben an die Legalität gesatzter

Ordnungen und des Anweisungsrechts der durch sie zu Ausübung der Herrschaft

Berufenen ruhen,“105 denn Unternehmen sind ja keinesfalls dazu berufen.

Einen der bemerkenswertesten Versuche, dieses Problem zu überwinden,

unternehmen Guido Palazzo und Andreas Georg Scherer mit ihrem Artikel

„Corporate Legitimacy as Deliberation: A Communicative Framework“. Ihnen

zufolge gibt es pragmatische, kognitive und moralische Legitimität. Pragmatische

Legitimität erwächst dabei aus den Eigeninteressen von Individuen. Für ein

Unternehmen bedeutet das, dass es Legitimität dann genießt, wenn Individuen in

seinem Umfeld von den Handlungen des Unternehmens profitieren. Um seine

Legitimität – und damit seine licence to operate – zu erhalten, muss ein Unternehmen

diesem Ansatz nach sein Umfeld, bestehend aus Stakeholdern und betroffenen

Dritten, davon überzeugen, dass es einen nützlichen Output erzeugt.106 Kognitive

Legitimität erwächst dagegen eher aus dem Unterbewusstsein. Werden ein

Unternehmen, sein Verhalten und seine Strukturen von einer Mehrheit als

104vgl. Sison, “When Multinational Coporations Act as Governments. The Mobil corporation experience.”

105Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 124.106Palazzo und Scherer, “Corporate Legitimacy as Deliberation: A Communicative Framework,” 72.

5. Die Frage nach der Legitimität 28

Page 29: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

unausweichlich und notwendig hingenommen, so verfügt es über kognitive

Legitimität. Damit haben Firmen nur eine sehr geringe Einflussmöglichkeit auf diese

Legitimitätsform.107

Der dritte Modus von Legitimität für Unternehmen ist moralische Legitimität. Diese

Perspektive schließt Persönlichkeiten, Strukturen, Prozesse und Ouputs einer Firma

mit ein und fragt nach deren moralischer Rechtfertigung.108 Es ist also ein

Unternehmen dann legitimiert, wenn es „socially acceptable goals in a socially

acceptable manner“109 verfolgt. Palazzo und Scherer argumentieren, dass kognitive

und pragmatische Legitimität in postmodernen Staaten nicht mehr ausreichen, um

einem Unternehmen Legitimität zu verleihen und dass darum ein moralischer

Zugang gefunden werden muss.110 Diesen sehen die Beiden in ihrem Verständnis

deliberativer Demokratie und der damit einhergehenden kommunikativen

Interpretation moralischer Legitimität.111 Die Perspektive wechselt dabei vom Output

der Unternehmen zu einem „political, communication-driven, and input oriented

concept of organisational responsibility.“112 Dies bedeutet dreierlei: Unternehmen

müssen ihre Rolle als politischer Akteur („political“), sich gesellschaftlichen

Diskursen stellen („communication-driven“) und dabei die Wünsche und Bedürfnisse

ihres Umfeldes mit aufnehmen („input-oriented“).

Der Ansatz von Palazzo und Scherer ist nicht unumstritten. Besonders Wilke und

Wilke sparen nicht an zum Teil heftigster Kritik: „We fully agree with the diagnosis

and we fully disagree with their answers.“113 Zunächst kritisieren sie grundlegend die

Rolle von Moral, auf der Palazzo und Scherer ihren Legitimitätsentwurf aufbauen.

Moral sei ein vormodernes Konzept, argumentieren sie, es sei heute unangebracht

und gar schädlich. Sie haben damit Recht. Moderne Staaten legitimieren sich nicht

durch Religion oder Moral, sondern durch eine Verfassung und Gesetze. Auch bei

107Ebd., 72-73.108Ebd., 73.109Ashforth und Gibbs, “The Double-Edge of Organizational Legitimation,” 177.110Palazzo und Scherer, “Corporate Legitimacy as Deliberation: A Communicative Framework,” 73.111Ebd., 78.112Ebd., 79.113Willke und Willke, “Corporate Moral Legitimacy and the Legitimacy of Morals: A Critique of

Palazzo/Scherer’s Communicative Framework,” 28.

5. Die Frage nach der Legitimität 29

Page 30: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

ihrer Kritik an der Politisierung von Unternehmen greifen sie zurück auf schriftliches

Recht als alleinige Legitimationsquelle.114 Wichtiger sind Ihnen in diesem

Zusammenhang aber die anti-aufklärerischen Implikationen dessen: Sowie die

Aufklärung darauf beruht, alle Gesellschaftssphären (außer der Religion) von

Religion zu befreien, beruht die liberale Demokratie darauf, die Gesamte

Gesellschaft (außer der Politik) von Politik zu befreien.115 Auch hier lässt sich

zunächst wieder feststellen, dass Willke und Willke richtig liegen, schließlich ist

funktionelle Differenzierung ein Kernbestandteil des westlich-demokratischen

Gesellschaftssystems. Sei es nun die Arbeitsteilung in der Wirtschaft oder die

Gewaltentrennung in der Politik, überall wird säuberlich getrennt – und was

innerhalb der Sphären gut ist, kann zwischen ihnen nicht gänzlich schlecht sein. So

sehr Willke und Willke hier aber normativ recht haben, bleibt dennoch festzustellen,

dass liberale Demokratien sich im Zuge der Globalisierung ebenso verändert haben,

wie es die Verhaltensmuster von Unternehmen getan haben. In den vorangehenden

Kapiteln wurde zur Genüge dargelegt, wie Unternehmen längst politische Akteure

sind. Selbst wenn Willke und Willke diese Tatsache in ihrer normativen Dimension

ablehnen, so sprechen doch die Reichweite und die Konsequenzen von

unternehmerischen Entscheidungen eine andere Sprache.

Den kommunikativen beziehungsweise deliberativen Aspekt des Modells von

Palazzo und Scherer lehnen sie ebenso ab. Dieser setzt nämlich eine

Gemeinwohlorientierung voraus. Es sei aber unmöglich, argumentieren Willke und

Willke, im heutigen Kontext disaggregierter Politik, gesellschaftlicher Komplexität

und globaler Verflechtung das Gemeinwohl zu definieren, oder auch nur, wer denn

zur Gemeinschaft dazugehört.116 Auch mit dieser Feststellung liegen Willke und

Willke richtig. Allerdings richten Palazzo und Scherer ihren Fokus ausdrücklich

nicht auf den Output, wie es der Verweis auf das Gemeinwohl impliziert, sondern auf

verschiedene Teile des Prozesses (Input, Kommunikation). Die Global Reporting

114Ebd., 33.115Ebd., 32.116Ebd., 135.

5. Die Frage nach der Legitimität 30

Page 31: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Initiative ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine Verständigung über Prozesse zwischen

Akteuren durchaus Ergebnisse zu erzielen vermag, ohne an die von Willke und

Willke formulierten Grenzen zu stoßen.

Legitimität von Unternehmen im Kontext von Corporate Social Responsibility stellt

also ein erhebliches Problem dar. Die Legitimationsmuster liberaler Demokratien,

wie Willke und Willke sie vertreten, sind längst von der Realität eingeholt worden.

Andererseits bietet auch der Fokus auf Moral keine Alternative, da er keine

Zukunftsperspektive bietet. Statt eines Fortschritt hin zu einem Modell jenseits

Weber'scher Legitimationsmodelle, stellt Moral einen Rückfall in die Vergangenheit

dar. Eine Vergangenheit, die mithilfe der liberalen Demokratie überwunden wurde.

Sie bietet daher keinen Ausweg. Den kann aber die Wissenschaft bieten, wenn sie

diesen Themenbereich noch tiefer ergründet.

6. Fazit

Es ist deutlich geworden, dass die Fragestellung dieser Arbeit eigentlich nicht zu

beantworten ist. Denn die Auswirkungen von Corporate Social Responsibility

beziehungsweise Corporate Citizenship sind nicht beobachtbar. Dies liegt allerdings

nicht daran, dass sie nicht stattfinden oder nicht stattgefunden haben. Es liegt im

Gegenteil daran, dass sich das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft in einem

Umfang und in einer Geschwindigkeit ändert, die es unmöglich macht, bestimmte

Resultate spezifischen Ursachen zuzuordnen.

Theorie und Praxis von Corporate Social Responsibility haben zu einer Zeit einen

Entwicklungsschub erlebt, als das auch mit Konzepten wie Global Governance und

Netzwerkgovernance geschah. Bei allen handelt es sich um interdependente

Konzepte, die voneinander zehren und teils so dicht zusammenliegen, dass eine

Trennung der Konzepte selbst schon schwierig erscheint und eine ihrer

Auswirkungen gar nicht in Frage kommt. Es lassen sich aber Aussagen über die

Effekte der Gesamtheit der hier beschriebenen Prozesse machen. Dann lässt sich

feststellen, dass sich das Verhältnis zwischen staatlichen und wirtschaftlichen

6. Fazit 31

Page 32: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Akteuren in der Hinsicht geändert hat, dass Unternehmen aufgestiegen sind. Sie

können jetzt mitunter auf Augenhöhe mit Regierungen verhandeln und verhalten sich

gar selbst mitunter wie welche.117 Die sich aus der Frage nach dem veränderten

Verhältnis beinahe zwangsläufig ergebende Frage nach einer Machtverschiebung

lässt sich hingegen nicht so einfach beantworten. Zwar ist es deutlich geworden, dass

Firmen – besonders transnationale – heute über ein enormes Ausmaß an Macht und

Gestaltungspotenzial verfügen, doch ist nicht eindeutig, ob diese Aufwertung zu

Lasten des Staates geht. Diese Macht haben Unternehmen nämlich vorwiegend dort

gewonnen, wo die Globalisierung Regulierungslücken hinterlassen hat. In Anbetracht

der drei Leitkonzepte dieser Arbeit – Global Governance, Netzwerkgovernance und

Corporate Social Responsibility – darf das jedoch bezweifelt werden. Alle drei

Begriffe haben, besonders in der deutschen Praxis, einen stark internationalen Bezug,

geschehen also in einer Arena, in der der einzelne Nationalstaat ohnehin keine

Autorität hat. Auch national darf eine Machtverschiebung bezweifelt werden.

Besonders in Staaten mit impliziter CSR, wie etwa Deutschland, sind Unternehmen

schon seit jeher Teil staatlichen Funktionierens. Es ist ebenfalls zweifelhaft, ob sich

die Aufwertung unternehmerischer Akteure so fortsetzt, wie sie bisher geschehen ist.

Bereits jetzt leiden sie an einem Legitimitätsdefizit, das mangels passender

theoretischer Konzepte auch nicht leicht wettzumachen ist. Ein weiterer Aufstieg

würde Unternehmen aber endgültig zur vollwertigen Konkurrenz für Staaten

machen. Besonders in Demokratien bestehen berechtigte Zweifel daran, ob die

Bürger beziehungsweise Konsumenten derartige Akteure akzeptieren würden. Noch

scheint die Rolle des Staates als ausschlaggebendem Akteur auf nationaler wie

internationaler Ebene also sicher zu sein.

117Vgl. Sison, “When Multinational Coporations Act as Governments. The Mobil corporation experience.”

6. Fazit 32

Page 33: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Appendix

Dimension Aspekt

Ökonomisch Wirtschaftliche Leistung

Marktpräsenz

Mittelbare wirtschaftliche Auswirkungen

Ökologisch Materialien

Energie

Wasser

Biodiversität

Emissionen, Abwasser und Abfall

Produkte und Dienstleistungen

Einhaltung von Rechtsvorschriften

Transport

Insgesamt

Gesellschaftlich: Arbeitspraktiken & Menschenwürdige Beschäftigung

Beschäftigung

Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis

Arbeitsschutz

Aus- und Weiterbildung

Vielfalt und Chancengleichheit

Gesellschaftlich: Menschenrechte Investitions- und Beschaffungspraktiken

Gleichbehandlung

Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektiv-verhandlungen

Kinderarbeit

Zwangs- und Pflichtarbeit

Sicherheitspraktiken

Rechte der Ureinwohner

Gesellschaftlich/ Sozial Gemeinwesen

Korruption

Politik

Wettbewerbswidriges Verhalten

Einhaltung der Gesetze

Gesellschaftlich: Produktverantwortung Kundengesundheit und -sicherheit

Kennzeichnung von Produkten und Dienstleistungen

Werbung

Schutz der Kundendaten

Einhaltung von Gesetzesvorschriften

Tabelle 1: Dimensionen und Aspekte der GRI-Reporting-Richtlinien, nach Global Reporting Initiative 2006, S.26-36

Appendix 33

Page 34: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

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Page 37: Corporate Social Responsibility als Herausforderung an Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

Eigenständigkeitserklärung

Hiermit versichere ich, diese Arbeit selbstständig und ohne über die zitierten

Hilfsmittel hinausgehende Hilfen erstellt zu haben.

(Carsten Kaefert)

Bibliografie 37