5

Click here to load reader

Daniel Barenboim im Gespräch_ Und die Welt versinkt - FAZ

Embed Size (px)

Citation preview

Page 2: Daniel Barenboim im Gespräch_ Und die Welt versinkt - FAZ

7/30/2019 Daniel Barenboim im Gespräch_ Und die Welt versinkt - FAZ

http://slidepdf.com/reader/full/daniel-barenboim-im-gespraech-und-die-welt-versinkt-faz 2/5

erste Mal. So ein Gefühl kenne ich außerhalb der Musik nicht.

Macht Musik die Menschen besser?

Das sollte so sein. Es ist aber nicht so.

Seltsam. Und ich hatte den Eindruck, dass Sie zumindest seit zwölf Jahren,

seit der Gründung Ihres West-Eastern-Divan-Orchestra, beweisen wollten,

dass gemeinsames Musizieren die Menschen friedfertiger stimmen kann.

Ja, das hat ja schon Franz Liszt gesagt. Liszt erwartete von den jungen Leuten, die zuihm kamen, dass sie durch das Studium der Musik zu besseren Menschen würden. Sie

sollten nicht nur Klavier spielen, sie sollten denken lernen und sich vervollkommnen in

ihrem Mensch-Sein. Das ist das I deal. Wir sollten alle danach streben, das zu erreichen.

Ob es gelingt oder nicht, ist eine individuelle Frage.

Ich frage Sie!

Mich? Ich wäre wahrscheinlich ein viel schlimmerer Mensch, wenn ich nicht zufällig

Musiker wäre! Aber im Ernst, ich glaube fest daran, dass es so ist: dass es einen

Zusammenhang geben muss zwischen dem Musizieren und der Menschlichkeit. Wenn

ich eine Formel wüsste, wie das genau funktioniert, dann wäre ich glücklich, und sicher

 wäre ich auch irgendwann Millionär. Ich werde also nicht aufhören, danach zu suchen.

Sie haben gerade in Berlin die „Barenboim-Said Akademie“ gegründet.

Frank Gehry baut eigens dafür einen neuen Konzertsaal. Noch ist da nicht

mal eine richtige Baustelle, aber 2015 soll es schon losgehen. Warum noch

eine Orchesterakademie in Berlin?

Diese Akademie wird ein Ort sein für junge Musiker aus allen Ländern des Nahen

Ostens, so wie das „Divan“-Orchester auch für alle Israelis und Araber aus allen

arabischen Ländern da ist. Das war damals die Idee, von Edward Said und von mir. Aus

dem Orchester ist inzwischen aber ein professionelles Superorchester geworden, und

 wir finden keinen guten Nachwuchs mehr, wenn wir Probespiele machen in Tel Aviv 

oder in Damaskus. Wir haben v ielleicht zwei oder drei neue Musiker gefunden in den

letzten drei Jahren. Das reicht nicht, um das Orchester zu erneuern. T atsächlich warunsere Idee nicht die, dass wir ein neues Orchester in die Welt setzen wollten - damals.

Heute bin ich nicht bereit, das Niveau des Orchesters für diese I dee zu opfern.

 Was unterscheidet I hre „Divan“-Akademie von anderen

Orchesterakademien?

Es gibt einen beträchtlichen nichtmusikalischen Teil im Curriculum. Die Akademisten

lernen bei einem Orchestermitglied vom „Divan“ oder aus der Staatskapelle ihr

Instrument und das Repertoire. Darüber hinaus sollen sie lernen, zu denken. Zweimal

 wöchentlich gibt es, zum Beispiel, einen Kurs in Philosophie. Da können sie etwas

erfahren über Spinoza und seine Beobachtung des Sonnenuntergangs. Wer ein Mal die

Sonne untergehen sieht, der hat eine Information über das Wann und das Wie-lange

und das Wie. Aber er weiß nichts, denn er kennt nicht das Warum und Wofür. Erst

 wenn man länger beobachtet, kann man die Essenz einer Sache verstehen. Erst dann

kann man von „Wissen“ sprechen. Später komme ich dann in den Philosophiekurs und

erkläre den Akademisten die Verbindung zum Wissen und Denken in der Musik.

Sind nicht alle Musiker denkende Musiker?

Nein. Ich kenne v iele Musiker, die auf höchst geniale Weise instinktiv spielen, und zwar

sehr gut, ohne dass sie dabei denken müssen.

Nennen Sie mir einen Musiker, der nicht denkt.

 Ach was. Das tue ich jetzt nicht!

Es gibt aber doch so etwas wie das haptische Denken! Pianisten denken mit

den Fingern, Fußballprofis denken mit den Füßen und so weiter. Es gibt

 verschiedene Formen des Denkens, da, finde ich, ist so eine neue

Denkfabrik für eine kleine Elit e eher ein Luxusproblem!

Page 3: Daniel Barenboim im Gespräch_ Und die Welt versinkt - FAZ

7/30/2019 Daniel Barenboim im Gespräch_ Und die Welt versinkt - FAZ

http://slidepdf.com/reader/full/daniel-barenboim-im-gespraech-und-die-welt-versinkt-faz 3/5

Page 4: Daniel Barenboim im Gespräch_ Und die Welt versinkt - FAZ

7/30/2019 Daniel Barenboim im Gespräch_ Und die Welt versinkt - FAZ

http://slidepdf.com/reader/full/daniel-barenboim-im-gespraech-und-die-welt-versinkt-faz 4/5

 Von Sibelius habe ich bisher nur die Fünfte Symphonie und das Violinkonzert dirigiert.

Gern würde ich auch die Siebte und die Vierte Symphonie machen. Im Fall von Sibelius

gibt es in Deutschland das besondere Phänomen, dass viele von vornherein denken, dies

sei zweitklassige Musik. Aber das stimmt nicht. Außerdem will ich ab 2014 einen Zy klus

aller Schubert-Sonaten spielen. Und ich möchte noch mehr v on Elliott Carter aufführen.

Sein Tod hat mich sehr erschüttert.

Sie haben viel von Elliott Carter uraufgeführt.

Carter trat auf in einem Moment in der Musikgeschichte, nach dem Neoklassizismus, als

die musikalische Welt sich aufteilte zwischen Strawinsky und Schönberg. Und Carter, als

 Amerikaner, hat beide Pole in seiner Musik zusammengebracht. Er sagte einmal etwas

sehr Schönes über seine Cellosonate, die er 1948 schrieb: Der Cellist müsse

„schönbergsch“ spielen, und der Pianist müsse „strawinskysch“ spielen. Dinge

miteinander zu vereinbaren, die gar nicht zusammengehen, das ist unglaublich wichtig.

 Auch deshalb lagen Carters Stücke mir so am Herzen. Ich habe jedes Jahr in Chicago,

später dann in Berlin, ständig neue Stücke von Carter gelernt und aufgeführt. Seine

einzige Oper „What next?“ habe ich in Auftrag gegeben. Da ist jetzt für mich plötzlich

eine große Lücke. I ch habe ihn sehr geliebt. Ich weiß, das klingt sentimental. Jemand,

der mit hundertdrei Jahren stirbt , hat es verdient, einfach einzuschlafen und zu gehen.

 Wie kann man nur traurig sein, wenn einer stirbt in diesem Alter? Man sollte dankbar

sein, dass er so lange gelebt hat. T rotzdem: Jemand, der so viel bedeutet, der fehlt.

Elliott Carter gehörte zu keiner Schule, er hatte auch keine Schüler. Pierre

Boulez schon.

Ja, Carter war ein Sonderfall. Boulez hat Schüler, das stimmt, Philippe Manoury zum

Beispiel, es gibt eine neue französische Schule. Aber wir haben hier in Deutschland auch

einen großen jungen Komponisten: Jörg Widmann. Vielleicht sollte ich mich jetzt mehr

mit seiner Musik beschäftigen, wo ich keinen Carter mehr habe!

Die Maler und die Schriftsteller haben es leichter: Bei ihnen ist die

 Akzeptanz schneller da. Bis neue Musik sich durchsetzt, dauert es eine

 Weile.

Ja, aber es gibt k leine Fortschritte! Heutzutage braucht es zehn oder zwanzig Jahre, bisein wirklich gutes Musikstück sich durchsetzt. Das letzte Klavierkonzert Mozarts, das B-

Dur-Konzert aus dem Jahr seines T odes, das heute als Meisterwerk schlechthin gilt,

 wurde mehr als hundert Jahre lang verdrängt. Mozart hatte es selbst uraufgeführt in

 Wien, 1791. Danach wurde es das nächste Mal erst wieder 1 929 gespielt, ebenfalls in

 Wien, da spielte das Artur Schnabel. Heute haben wir noch nicht die Kriterien, zu sagen,

das ist v on Dauer oder nicht. Deshalb sollte jeder von uns die eigene Intelligenz und

Beobachtungskraft nutzen, um Komponisten zu suchen, die für uns wichtig werden

könnten. Mir ist es, das möchte ich klar sagen, viel wichtiger, fünf Stücke von Carter

oder von Widmann hintereinander zu dirigieren, als einmal eins von Widmann und dann

eines von Herrn X oder Frau Y . Die zeitgenössische Musik ist keine Prestigefrage für

den Elfenbeinturm. Man muss sich ernsthaft darauf einlassen.

Barenboims fließende Übergänge

Heute feiert Daniel Barenboim in Berlin seinen siebzigsten Geburtstag. Am vergangenen Wochen-ende traf ich ihn in Wien, wo er den sechzigsten Jahrestag seines ersten Wiener Konzertauftrittsfestlich beging - mit den Wiener Philharmonikern und gleich zwei großen Repertoire-Schlachtrössern: Vor der Pause spielt er C hopins erstes Klavierkonzert e-Moll, nach der PauseTschaikowskys erstes Klavierkonzert b-Moll. Zugabe: Schuberts Impromptu As-Dur D935,2.Barenboim kommt von der Probe, er humpelt. Er könne, sagt er, nicht so gut so lange sitzen, seit erneulich während einer „Siegfried“-Aufführung gestürzt sei, aber „alles halb so schlimm“.

Zum Interview legt er sich lang auf die Couch. Ich sitze am Fußende, er zündet sich eine Zigarre an.Fast käme ich mir jetzt vor wie Doktor Freud, wenn nur nicht alle nas-lang das Telefon oder dieTürklingel bimmeln würde.Die Gattin ruft an, der Zimmerkellner schaut vorbei, ein Assistent bringtMedikamente, der Chiropraktiker wird abgesagt. Barenboim spricht Italienisch, Spanisch, Englisch,Deutsch, in fließenden Übergängen.

Die Fragen stellte Eleonore Büning.

Quelle: F.A.Z.

Hier können Sie die Rechte an diesem Artikel erwerben

Page 5: Daniel Barenboim im Gespräch_ Und die Welt versinkt - FAZ

7/30/2019 Daniel Barenboim im Gespräch_ Und die Welt versinkt - FAZ

http://slidepdf.com/reader/full/daniel-barenboim-im-gespraech-und-die-welt-versinkt-faz 5/5

© Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH 2012Alle Rechte vorbehalten.