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2017. Rund 128 S.: Broschiert ISBN 978-3-406-71114-5 Weitere Informationen finden Sie hier: http://www.chbeck.de/05741 Unverkäufliche Leseprobe © Verlag C.H.Beck oHG, München Daniel Dackers Wein Geschichte und Genuss

Daniel Dackers Wein Geschichte und Genuss...tischem Wein aus Trauben, die an Reben in bewässerten Wein-gärten am Nil oder in Oasen im Westen des Landes gewachsen waren. Hieroglyphen,

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Page 1: Daniel Dackers Wein Geschichte und Genuss...tischem Wein aus Trauben, die an Reben in bewässerten Wein-gärten am Nil oder in Oasen im Westen des Landes gewachsen waren. Hieroglyphen,

2017. Rund 128 S.: Broschiert ISBN 978-3-406-71114-5

Weitere Informationen finden Sie hier: http://www.chbeck.de/05741

Unverkäufliche Leseprobe

© Verlag C.H.Beck oHG, München

Daniel Dackers Wein Geschichte und Genuss

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«Alles in allem … bieten Weine auf allen Qualitätsstufen, vomeinfachen Zechwein bis zu den renommiertesten Crus, einengrößeren Genuss denn je in der jahrtausendealten Geschichtedes faszinierendsten Getränkes in Gottes Schöpfung.» Mit eineminsgesamt positiven Urteil über die Weinwelt von heute endetdiese ebenso kenntnisreiche wie unterhaltsame Tour d’horizondurch mehr als 3000 Jahre Weingeschichte. Daniel Deckers lässtdarin die wichtigsten Stationen der Weingeschichte Revue pas-sieren, sucht Reben und Regionen auf und erklärt die jeweiligenBesonderheiten von der Antike bis zur Gegenwart. Seine kun-dige Einführung in die Weingeschichte ist ein Kompendium fürden kultivierten Genießer.

Daniel Deckers ist Redakteur bei der «Frankfurter AllgemeinenZeitung» und Lehrbeauftragter für die Geschichte des Wein-baus und Weinhandels an der Hochschule Geisenheim Univer-sity (Rheingau). Bei C.H.Beck ist von ihm erschienen: «PapstFranziskus. Wider die Trägheit des Herzens. Eine Biographie»(Beck Paperback 6220).

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Daniel Deckers

WEIN

Geschichte und Genuss

Verlag C.H.Beck

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Originalausgabe© Verlag C.H.Beck oHG, München 2017

Druck, Satz und Bindung: Druckerei C.H.Beck, NördlingenUmschlaggestaltung: Uwe Göbel, München

Umschlagabbildung: Caravaggio, eigentl. Michelangelo Merisi; Bacchus,1593/94. Ausschnitt: Linke Hand des Bacchus mit Weinglas, Florenz,

Galleria degli Uffizi. © akg-images/Rabatti & DomingiePrinted in Germany

isbn 978 3 406 71114 5

www.chbeck.de

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Inhalt

I. Wein von innen, Öl von außenWeinkultur in der Antike 6

II. Beten und arbeitenWein zwischen Spätantike undSpätmittelalter 31

III. Saufen wie ein DeutscherZwischen Reformation und Revolution 52

IV. Auf Leben und TodDas lange 19. Jahrhundert 72

V. Neuzeitlicher Weinbau oder dieVerwandlung der Weinwelt 99

Literaturhinweise 126

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IWein von innen, Öl von außen

Weinkultur in der Antike

In den gemäßigten Klimazonen Asiens, Europas und Nordame-rikas wachsen dutzende Arten der Pflanzengattung vitis (Wein-rebe). Aber nur eine dieser Arten haben sich die Menschen sozu Nutze gemacht, dass aus deren Früchten, den Beeren, wohl-schmeckender Wein wird: die edle traubentragende Weinrebe(vitis vinifera Sativa d.C.). Sie ist die Mutter aller etwa8000 Rebsorten, die die Menschheit kennt.

Um aus der Vielzahl der sich selbst befruchtenden vitis-Artenjene kultivieren zu können, die zu unserer Weinrebe werdensollte, mussten viele Faktoren zusammenkommen. Ein gemäßig-tes Klima war in der Erdgeschichte erst in der Jungsteinzeit ge-geben, also im Zeitraum zwischen 8500 und 4000 v.Chr. So-dann stellt eine Rebe hohe Ansprüche an Boden und Klima. DieVegetationsperiode darf 180 Tage nicht unter-, aber auch nichtstark überschreiten. Die Rebe braucht Winterruhe, damit dasHolz ausreifen kann. In den Tropen ist sie daher nicht heimisch.In den gemäßigten Breiten darf es aber nicht zu heiß sein undnicht zu kalt – und das nicht nur bezogen auf die Durchschnitts-temperaturen im Winter wie im Sommer. Sinken die Tempera-turen unter minus zwanzig Grad Celsius, können auch die wi-derstandsfähigsten Reben erfrieren. Im Frühjahr können späteFröste den jungen Trieben gefährlich werden. Frühe Herbst-fröste lassen das Laub absterben, so dass kein Zucker mehr ge-bildet wird und die Trauben nicht mehr reifen. Wasser brauchtdie Rebe auch, weshalb sie mehrere Meter tief wurzeln kann.Überhaupt – sie muss hungern, damit sie das Letzte aus demBoden herausholt.

Von Natur aus legt es die Weinrebe darauf an, in die Höhe zuwachsen beziehungsweise – besser noch – an allem in die Höhe

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zu ranken, was sich als Stütze anbietet. Sie ist ein Lianenge-wächs. Zur Kultur gehört es, die Reben so zu «beschneiden»,dass die Pflanze so viel Kraft wie möglich in die Trauben bringtund so wenig wie nötig in das Holz und das Laubwerk. Reb-erziehung nennt man diese Form des Umgangs des Menschenmit der Rebe.

Wie es die Menschen in vorgeschichtlicher Zeit mit demWeinbau hielten, ist nur schemenhaft zu erkennen. Aber siemussten das Leben als Jäger und Sammler aufgegeben habenund sesshaft geworden sein. Keine landwirtschaftliche Kulturwar und ist so arbeitsintensiv wie der Weinbau – aber keineauch so faszinierend.

Das erste Weinland. Die besten Bedingungen für die Kultivie-rung der Wildreben fanden Menschen in den Randzonen jenesfruchtbaren Halbmonds vor, der sich von Zentralasien bis andie Mittelmeerküste erstreckt. Als nachgerade ideal erwiesensich vor allem die Hänge des Zagros-Gebirges. Nach Südwes-ten hin fällt es in das Zweistromland von Euphrat und Tigrisab, nach Norden grenzt es an die Kaukasusregion. Vergleich-bare Bedingungen boten die Plateaus des Taurus-Gebirges imOsten der heutigen Türkei. Überragt werden sie von dem BergArarat – jenem Berg, von dem das Buch Genesis eine neue Zivi-lisation ihren Ausgang nehmen ließ, nachdem die Sintflut dieersten Ansätze unter sich begraben hatte.

Nun wollte die Schöpfungsgeschichte weder eine naturwis-senschaftliche Erklärung der Entstehung der Welt sein, noch dieFrühgeschichte der Zivilisation erzählen. Gleichwohl ist ihrWahrheitsgehalt nicht zu unterschätzen. Die biblische Erzäh-lung von einem Neubeginn des Lebens auf der Erde ist ein Echoweit älterer Überlieferungen ähnlichen Inhalts – modern ge-sprochen von der Entstehung und dem Wachstum des Men-schengeschlechts nach dem Ende der letzten großen Eiszeit.Wenn die Bibel die Neuschöpfung der Welt in die Region desTaurus- und des Zagros-Gebirges verlegt, dann just dorthin, wosich die ältesten archäobotanischen und -chemischen Zeugnissedes Weinbaus erhalten haben: Traubenkerne sowie eingetrock-

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nete Flüssigkeitsreste, die am Rand oder am Boden von Aufbe-wahrungsgefäßen alle Zeiten überdauert haben. Sie bezeugen,dass die Menschheit weit vor dem Jahr 4000 zu Wein vergore-nen Traubensaft gekannt hat. Aber zunächst nur in dieser kli-matisch besonders begünstigten Region.

In Ägypten war die zum Weinbau geeignete Wildrebe nichtheimisch. Gleichwohl lernten Pharaonen, Priester und Ange-hörige der Oberschicht schnell, den Wein zu schätzen. ImVergleich zu dem allgegenwärtigen Gerstenbier war er ungleichalkoholischer und sicher auch schmackhafter. Die ersten Weineerreichten Ägypten wohl auf dem Seeweg. Sie stammten aus derLevante, wohin sich der Weinbau aus dem kühleren Berglandim Norden wohl als erstes ausgebreitet hatte. In Ägypten selbststand der Weinbau in dem fruchtbaren, wenngleich auf Bewäs-serung angewiesenen Nildelta spätestens um die Wende vomvierten zum dritten Jahrtausend v. Chr. in voller Blüte.

IndemGrabdasPharaosScorpion1. fanden imJahr3150 v. Chr.mehr als 4000 Liter Wein ihre letzte Ruhestätte. Er war ausKanaan importiert worden. Der Pharao Tutenchamun, der um1330 v. Chr. starb, musste in der Ewigkeit mit weniger als zweiDutzend Amphoren Wein auskommen – diesmal aber mit ägyp-tischem Wein aus Trauben, die an Reben in bewässerten Wein-gärten am Nil oder in Oasen im Westen des Landes gewachsenwaren. Hieroglyphen, Wandmalereien, tönerne Weinetiketten,große und kleine Gefäße – sie alle sprechen eine eindeutigeSprache: Ägypter, die es sich leisten konnten, tranken Wein, deraus Trauben gekeltert worden war. Auch die künstlerischenDarstellungen des Weinbaus, etwa der Reberziehung, der Ernte,des Keltervorgangs und des Ausbaus des Weins in Amphoren,die ihrerseits sorgfältig beschriftet wurden, belegen die zentraleBedeutung des Weinbaus für die Religion wie die Festkultur imalten Ägypten.

Die chemische Analyse von Flüssigkeitsresten, wie sie erst seitwenigen Jahrzehnten möglich ist, ergänzt die Bildsprache. Oftwar der Wein mit Terebinthenharz versetzt, manchmal mitMyrrhe. Auch Früchte und Kräuter durften nicht fehlen. Obdiese Ingredienzien den Wein haltbarer machen, ob sie Fehltöne

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oder gar üble Gerüche und Geschmacksnoten kaschieren oderihm die Eigenschaft eines Medizinalgetränks geben sollten –denkbar ist vieles, gewiss ist nichts.

Eine ähnliche Entwicklung wie in Ägypten vollzog sich zwi-schen dem vierten und dem ersten vorchristlichen Jahrtausendam anderen Ende des fruchtbaren Halbmonds, dem Land zwi-schen den Flüssen Euphrat und Tigris. Archäologische Zeugnisseetwa aus der späten Uruk-Zeit ausgangs des vierten Jahrtausendssprechen eine deutliche Sprache. Von Norden aus erreichtenWeintransporte zu Wasser oder auf dem Landweg die aufstreben-den Stadtstaaten im Süden Mesopotamiens. Im Zweistromlandmachte dieser Wein außer dem Gerstenbier auch dem süßen,aus Datteln hergestellten Wein Konkurrenz.

In den sumerischen und babylonischen Städten kreiste das Le-ben um große Tempel – und damit auch um Wein, der aus (zu-nächst wohl ausschließlich roten) Trauben hergestellt wordenwar. Der Kodex Hammurabi, um das Jahr 1750 v. Chr. in Baby-lon entstanden und damit eine der ältesten Rechtsquellen derMenschheitsgeschichte, reglementierte nicht zuletzt den Um-gang der Priesterinnen mit Wein. Weder durften sie sich als Wein-händlerinnen betätigen noch Wein außerhalb des Tempels trin-ken. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass der Wein nicht nur imTempelkult eine zentrale Rolle gespielt hat, sondern auch imUmkreis der Kultstätten reger Handel mit Wein betrieben wurde.

Während für Mesopotamien schriftliche Quellen schon frühreichlich sprudeln, sind die archäologischen Zeugnisse aus die-ser Region spärlicher als etwa aus Ägypten. Szenen der Festkul-tur, etwa Darstellungen königlicher Bankette, haben sich aufSiegeln erhalten. Typisch für Mesopotamien sind auch Trinkge-fäße, aus denen mit Hilfe langer Rohre außer Bier und Dattel-wein auch «richtiger» Wein getrunken wurde.

Süß, gut, stark, reif. Mit König Hammurabi und seinen Er-oberungszügen verbinden sich schriftliche Zeugnisse, die überden Weinhandel entlang von Euphrat und Tigris Auskunft ge-ben. Unter den Ruinen der Stadt Mari, einer der bedeutendstenSiedlungen der altbabylonischen Zeit (ca. 2000–1600 v. Chr.),

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haben mehr als zweitausend in Keilschrift verfasste Tontafelnalle Zeiten überdauert. In akkadischer Sprache enthalten sieunter anderem die Korrespondenz zwischen Weinhändlern ausMari und dem wichtigen Weinumschlagplatz Karkemisch (imOsten der heutigen Türkei) nebst Schilderungen des oft hinder-nisreichen Weintransports. Das Mari-Archiv gibt auch detail-liert Aufschluss über die Art und die Größe der Gefäße, die zumTransport des Weins verwendet wurden, dazu über ihre Aufbe-wahrung im Königspalast und über den Gebrauch, den Königund Königin von dem kostbaren Getränk machten.

Nach dem Untergang das altbabylonischen Reiches wurdendie Assyrer zu Förderern des Weinbaus. Aus einer ihrer Kolo-nien namens Kannesh (im heutigen Anatolien) entwickelte sichseit 1600 v. Chr. das Königreich der Hethiter. Es sollte vier Jahr-hunderte bestehen. In den Archiven, die sich in den Ruinen desKönigspalastes in der Hauptstadt Hatusha erhalten haben,wurden viele Texte gefunden, die sich auf Weinbau und -handelbezogen. Diese Kultur war unter den ersten, wenn nicht dieerste, in denen Wein eine bedeutendere Rolle als Bier oder an-dere fermentierte Getränke spielte – jedenfalls am königlichenHof und im Dienst der Verehrung der Gottheiten. Wein scheintauch die Basis für allerlei Mischgetränke gewesen zu sein.Zudem legen die Texte es nahe, dass die Hethiter außer rotemauch weißen Wein kannten.

Auch in ihrem eigentlichen Herrschaftsgebiet förderten dieAssyrer den Weinbau. Vielerorts wurden neue, königliche Reb-gärten angelegt. Nur selten handelte es sich um reine Weingär-ten oder -berge. Zumeist rankten sich die Reben an Bäumenempor, die ihnen Halt gaben – eine Form der Reberziehung, diesich in Italien und Portugal noch im 20. Jahrhundert findenließ. Schriftliche Quellen, die als Weinlisten identifiziert werdenkonnten, verzeichnen neben roten und nun auch weißen Wei-nen «süße», «gute», «starke» und «reife» Kreszenzen. Und wa-rum sollte Wein nur «pur» aus dem Most frischer Traubengewonnen werden? Warum ihn nicht mit Mostkonzentrat an-reichern, Weizen oder Gerstenmalz hinzugeben und ihn mitKräutern würzen? Als Weintrinker abgebildet wurde jedoch nur

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der König. Wein war das Symbol des Göttlichen wie der Frucht-barkeit der Natur. Warum?

Hat der Rebstock sein Laub abgeworfen, wirkt er wie tot.Treibt er im Frühjahr aus und platzen bald die wolligen Knos-pen, dann bricht sich die lebenspendende Kraft der Natur Bahn.Die Fruchtbarkeit alleine ist es nicht, die den Weinstock vonallen anderen Nutzpflanzen unterscheidet: Es sind die wie vonGötterhand gelenkte Verwandlung des Traubenmostes in Weinund die Wirkung, die dieses Getränk auf den Menschen hat.Die Fermente und das Wasser zur Verwandlung von Getreide inBier oder von Datteln in Wein musste (und muss) der Menschbereitstellen. Der frisch gepresste Saft der Beeren verändert sichohne menschliches Zutun. Er vergärt wie von Geisterhand.

Freilich ist die mystisch-magische Aura nur eine von vielenValenzen, die den Wein seit alters her umgeben. Zwischen demWein in all seiner Profanität als Alltagsgetränk und dem Weinals Medium der Begegnung mit dem Göttlichen als dem ande-ren Extrem liegen viele Deutungs- und Bedeutungsebenen. DenTraubensaft macht sich der Mensch zu den unterschiedlichstenZwecken zunutze: In vergorenem Zustand und fast immer mitWasser vermischt, ist er das Alltagsgetränk schlechthin; beson-ders gute, weil ausnehmend süße oder aromatische Weine die-nen denen, die es sich leisten können, als Genuss- und Rausch-mittel; zugleich markiert er gesellschaftliche Unterschiede undist daher auch als Distinktionsmedium nützlich; sodann erfülltWein in allen Religionen kultische Funktionen; schließlich dienter dem Menschen auch als Heilmittel, sei es als Lösungsmittelfür andere Therapeutika, sei es als Stärkungsmittel, sei es alspharmakon, als Medizin selbst.

Ebenso unentbehrlich wie Wein waren in der Antike nurnoch Getreide und Öl. Oliven waren die Grundlage des Speise-öls, ihr Öl diente aber auch zur körperlichen Reinigung und er-hellte – in einer Zeit ohne künstliche Beleuchtungsquellen – dasDunkel. Doch was sind die Valenzen von Getreide und vonOlivenöl gegen die des Weins, zumal die Rebe nicht selten anStandorten wächst, die für andere landwirtschaftliche Kultur-formen als den Weinbau kaum oder nicht geeignet sind? Wein-

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bau ist somit eine Form der Wertschöpfung, die den Bogenschlägt vom Lebensnotwendigen zum Luxus, vom Profanen zumHeiligen und von der Nüchternheit zum Rausch.

Über den Aufstieg und Fall der antiken Reiche kamen immerneue Elemente hinzu und verbanden sich zu immer komplexe-ren Repräsentationen. Was etwa hat es damit auf sich, dass derassyrische König Assurbanipal (668–627) auf einem Wandre-lief, das ihn in seinem Palast in Ninive zeigt, nicht mehr denWein im Stehen zu sich nimmt, sondern im Schatten von Reben-laub liegend, in der einen Hand einen Becher Wein, in der ande-ren ein Lotosblatt? Vermutlich ist dies die älteste Darstellung,in der Wein in entspannter Position genossen wird. Der Königwar dabei mit der (sitzenden) Königin alleine, sieht man vonden Musikern und den Bediensteten ab, die beiden frische Luftzufächeln. Was das Königspaar im Sinn hatte, erfährt mannicht. Vielleicht handelte es sich um ein kleines privates Nach-spiel nach einer Heldentat.

Esther und Judith. Fünfzehn Jahre nach dem Tod Assurbani-pals war es um die Herrschaft der Assyrer geschehen. Von Sü-den drangen die Babylonier vor, von Osten strömten die Mederin das Zweistromland. Ninive fiel im Jahr 612 v. Chr. Auch dasneobabylonische Reich hatte nicht lange Bestand, wenngleichsich mit ihm die Eroberung Israels und die Zerstörung desjüdischen Tempels verbinden. Anstatt in ihrem Weinland saßendie Israeliten im Exil «an den Wassern von Babylon» und wein-ten.

Die Rettung kam in Gestalt des persischen Königs Kyros,eines Weinliebhabers par excellence. So jedenfalls wollen es diegriechischen Historiker Xenophon und Herodot wissen. Undauch das hat Herodot überliefert: Dass die Perser eine rechteigentümliche Form des Symposions pflegten. Wann immer esgewichtige Entscheidungen zu treffen gelte, täten sie dies involltrunkenem Zustand. Am nächsten Morgen werde das, wasin der Nacht beschlossen worden sei, bei Licht betrachtet. Hieltman die Entscheidung noch immer für gut, wurde sie bestätigt;wenn nicht, wurde sie verworfen.

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