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Das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland Ausgewählte Eckdaten Vorlesung „Internationale Bildungsforschung“ Sommersemester 2011 Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Prof. Dr. Heiner Barz

Das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland ... · PDF fileEin Blick in die Geschichte Die Herausbildung des modernen Schulwesens in der BRD zRelevante Daten: Zeittafel

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Das Bildungssystem derBundesrepublik Deutschland

Ausgewählte Eckdaten

Vorlesung „Internationale Bildungsforschung“Sommersemester 2011

Heinrich-Heine-Universität DüsseldorfProf. Dr. Heiner Barz

Ein Blick in die Geschichte

Die Herausbildung des modernen Schulwesens in der BRD

Relevante Daten: Zeittafel

Zeittafel zum deutschen Schulwesen I

1607 Erste Einführung der Schulpflicht in Anhalt-Bernburg. Es folgen u. a. Weimar 1619, Gotha 1642, Württemberg 1649, Brandenburg-Preußen 1717.

1763 Generallandschulreglement: Erste große Volksschulordnung für ganz Preußen. Geistliche, die ihrer Schulaufsichtspflicht unzureichend nachkommen, werden mit Enthebung vom geistlichen Amt bedroht.

1787 Ober-Schul-Kollegium in Preußen als selbständige, oberste Landesschul-behörde, die dem König direkt untersteht, gegründet.

1788 Einführung der Abitur-Prüfung (ab 1834 alleinige Zugangsvoraussetzung zur Universität)

1794 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten: „Schulen sind Veranstaltungen des Staates, welche den Unterricht der Jugend in nützlichen Kenntnissen und Wissenschaften zur Absicht haben. Desgleichen Anstalten sollen nur mit Vorwissen und Genehmigung des Staates errichtet werden“. Der Staat beansprucht die „volle und alleinige Bestimmungsgewalt in der Schule.“

Zeittafel zum deutschen Schulwesen II

1809 „Sektion für den Kultus und den öffentlichen Unterricht“ als Abt. im preußischen Innenministerium begründet (ersetzt das Ober-Schul-Kollegium). Erster Leiter: Wilhelm von Humboldt (nur eineinhalb Jahre, dennoch sehr folgenreich)

1810 „examen pro fakultate docendi“ als staatliche Lehrerprüfung eingeführt. Ablösung des Lehrerstandes vom Theologenstand.

1812 Gymnasium wird offizieller Name der leistungsfähigeren Lateinschulen.

1815 Berechtigung zum „einjährig-freiwilligen Heerdienst“ für „junge Leute aus den gebildeten Ständen“ eingeführt.

1817 Gemeinschafts- oder Simultanschule (anstelle von Bekenntnisschulen, die erst Ende der 60er Jahre des 20. Jh. endgültig geöffnet wurden) erstmals in Nassau verwirklicht.

1817 Verselbständigung der „Sektion Kultus und Unterricht“ zum Kultusministerium

1832 Staatliche Prüfungsordnung auch für Realschulen: Realschulabschluss berechtigt zum „Einjährigen“

1837 Erster offizieller, verbindlicher Lehrplan fürs Gymnasium

1854 Stiehlsche Regulative: Streng restaurative Schulordnung für die Volks- und Lehrerbildung, die „dem unheilvollen Einfluß des verpesteten Zeitgeistes“entgegenwirken sollte (1872 aufgehoben)

1859 Erlass zur „Unterrichts- und Prüfungsordnung für Real- und höheren Bürgerschulen“sieht Realschulen I. und II. Ordnung (Realgymnasium und Oberrealschule) vor.

1872 Preußisches Schulgesetz: Einführung der Mittelschule als erweiterter Volksschule. Schulaufsichtsbefugnisse werden auf weltliche, fachliche Organe übertragen(Preußischer Kulturkampf bis 1891), gleichwohl auf örtlicher Ebene immer noch meist von Geistlichen ausgeübt, die aber vom Staat ernannt wurden.

Zeittafel zum deutschen Schulwesen III

Zeittafel zum deutschen Schulwesen IV

1900 Realschulen I. und II. Ordnung werden dem humanistischen Gymnasium gleichgestellt: Ihr Abschluss berechtigt zum Hochschulzugang.

1919 Weimarer Verfassung, Art.144: „Das gesamte Schulwesen steht unter Aufsicht des Staates, er kann die Gemeinden daran beteiligen. Die Schulaufsicht wird durch hauptamtlich tätige, fachmännisch vorgebildete Beamte ausgeübt“Art. 145: „Es besteht allgemeine Schulpflicht...“

1920 Reichsgrundschulgesetz: für alle Kinder gemeinsame Unterstufe der Volksschule

1960er Einführung der Koedukation: Nachdem West-Berlin, Hamburg, Bremen und Hessen schon in den 1950er Jahren den Anfang gemacht hatten, folgten alle anderen Bundesländer.

1970er Verbot der körperlichen Züchtigung („Prügelstrafe“) in allen Bundesländern (zuletzt Bayern: 1980)

Das deutsche Bildungswesen: Strukturmerkmale

Drei (plus x) SchulartenStaatliche SchulaufsichtFöderalismus: „Kulturhoheit“ der LänderUneinheitlichkeit bei Schulformen, Abschlüssen, NotenDuale Berufsausbildung

Elementarbereich IKindergärten und vorschulische Einrichtungen Freiwilliger Besuch (ab dem 3. Lebensjahr)Seit 1996 Rechtsanspruch auf KindergartenplatzSubsidiaritätsprinzip: 60% (West: 65%) in freier Trägerschaft (Kirchen, Diakonisches Werk, Deutscher Caritasverband, Arbeiterwohlfahrt etc.), nur 1/3 in öffentlicher HandSchwankungen der Verfügbarkeit zwischen den Bundesländern (1990: ~56% in S.-H. und Hamburg, nahezu 100% in Rh.-Pf. und B.-W.)

Elementarbereich II

Die Kindergärtnerinnen bzw. Erzieherinnen (3-4-jährige Ausbildung in Fachschulen) sind nicht an einen inhaltlich verbindlichen, übergreifenden Lehrplan gebunden. Bestrebungen nach Verschulung, z. B. durch frühes Lesenlernen, (60er Jahre) konnten sich nicht durchsetzen.Freies Spiel, sprachliche und allgemeine kognitive Förderung, soziales Lernen

Berufliche Bildung in der BRD

Gliederung:• Allgemeine und berufliche Bildung• Das Duale System der Berufsbildung• Das Duale System als Exportschlager?• Das Duale System in der Krise?

Allgemeine und berufliche Bildung I

• Bildung ist die „allgemeine Übung der Hauptkräfte des Geistes und (nicht) die Einsammlung der künftig notwendigen Kenntnisse, welche zum wirklichen Leben vorbereitet ... Schulen ... müssen nur allgemeine Menschenbildung bewirken. - Was das Bedürfnis des Lebens oder eines einzelnen seiner Gewerbe erheischt, mußabgesondert, und nach vollendetem allgemeinen Unterricht erworben werden.“

Allgemeine und berufliche Bildung II

Ein altes abendländisches Erbstück: Die Geringschätzung beruflicher Arbeit und BildungAufklärung erkennt die ökonomische Sphäre an und realisiert „Industrieschulen“Der Neuhumanismus kritisiert die totale „Abzweckung“des MenschenHumanistisches Bildungsideal (Humboldt 1767-1835):Ausklammerung von Beruf, Wirtschaft, Technik, PolitikNoch heute: Weitgehende Trennung von allgemeiner und beruflicher Bildung

Allgemeine und berufliche Bildung III

Ausklammerung berufspraktischer Inhalte insbesondere im GymnasiumStärkere Öffnung für allgemeinbildende Inhalte in der BerufsausbildungIntegration von beruflicher Bildung in allgemeinbildenden Schulen nur als Ausnahme (doppelqualifizierendeBildungsgänge): z.B. Kollegschule NRW, Hiberniaschule, OdenwaldschuleNeuere Tendenz: Gleichstellung allgemeiner und berufsbildender Abschlüsse (z.B. Hochschulzugang für Nichtabiturienten)

Das Duale System der Berufsbildung I

Drei Bereiche der beruflichen Bildung:• Berufsausbildung, Fortbildung, Umschulung

Berufliche Erstausbildung:• Duales System: Lehre• Berufsakademien• Fachschulausbildung (z.B. Erzieherin)

Vorteile der Dualen Ausbildung• Praxisnähe• Aktualität der technologischen Ausstattung• Sozialisation im Arbeitsleben

Das Duale System der Berufsbildung II

Lernort Berufsschule Betrieb Sphäre

Gesetzliche Zuständigkeit

Gesetzliche Regelung

Rechtliche Grundlage

Inhaltliche Regelung

Adressaten

Lehrende

Lernorganisation

Didaktische Besonderheit

Zeitanteile

Öffentlich

Bundesländer

Schulgesetze

Schulpflicht

Lehrpläne

Schüler

Lehrer

Unterricht, Projekte

Schwerpunkt Theorie

1-2 Tage

Privatwirtschaftlich

Bund

Berufsbildungsgesetz

Ausbildungsvertrag

Ausbildungsverordnungen

Auszubildende

Ausbilder

“On the Job“

Schwerpunkt Praxis

3-4 Tage

Das Duale System als Exportschlager?Zahlreiche Projekte in Lateinamerika, Afrika, Arabien,

Asien als Teil der deutschen EntwicklungshilfeAber:

• Evaluationen fehlen meist• Zahlreiche Hinweise auf Scheitern

Gründe für das weltweite Interesse• Umverteilung der Ausbildungskosten vom Staat auf

Privatwirtschaft• Abbau des Akademikerüberhangs• Modell Deutschland: Wirtschaftswunder• „taktische“ Bekenntnisse um deut. Finanzhilfen zu erhalten

Das Duale System in der Krise?

1990: Zahl der Studierenden übersteigt erstmals Zahl der AzubisHohe Drop-Out-Quoten (> 20%)Keine Übernahmegarantie nach AbschlußDisparitäten von Angebot und NachfrageVerdrängungswettbewerbHeterogenität der SchülerschaftAusdifferenzierung der Ausbildungsbetriebe

Einführende Literatur und LinksLiteratur:

Albers, Hans-Jürgen: Das berufliche Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland. In: Roth, Leo (Hrsg.): Pädagogik. Handbuch für Studium und Praxis. München 2001. S. 529-537.Roth, Leo: Allgemeine und berufliche Bildung. In: Roth, Leo (Hrsg.): Pädagogik. Handbuch für Studium und Praxis. München 2001. S. 511-528.bmb+f: Berufsbildungsbericht 2010. Bonn 2010.Duales Ausbildungssystem in der Krise? Themenheft des „Durchblick. Zeitschrift für Ausbildung, Weiterbildung und berufliche Integration“. Heft 3/94.Schaack, Klaus: Die Exportierbarkeit des dualen Systems. In: Schaack, Klaus / Tippelt, Rudolf (Hrsg.): Strategien der internationalen Berufsbildung. Frankfurt a.M. 1997. S.197-233.

Links:http://www.bildungsbericht.de/http://www.iab.de/iab/Default.htm

Bildungsbericht für Deutschland –Erste Befunde(Opladen Herbst 2003; 369 S.)

Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder erstellt von:Hermann AvenariusHartmut DittonHans DöbertKlaus KlemmEckhard KliemeMatthias RürupHeinz-Elmar TenorthHorst WeishauptManfred Weiß

SueddeutscheZeitung 2010

„Kennen Sie die deutschen Schulsysteme?“

Wissenstest auf Focus Schule online:http://www.focus.de/schule/schule/schulwahl/schulserie/tid-19655/private-schulgruendung-was-wissen-sie-ueber-das-deutsche-schulsystem_aid_546825.htmlInteraktive Grafik „Die Schulsysteme der Bundesländer“ Sueddeutsche online:http://www.sueddeutsche.de/app/flash/job_karriere/bildungskarte/

Hierarchisierung gleicher Bildungsabschlüsse

Entkopplung von Bildungsgang und -abschluss - Mobilitätsquote

Baumert, Trautwein und Artelt rekonstruierten auf Basis der PISA-E-Daten Schulformwechsel. Mobilitätsquote der 15-Jährigen im Jahr 2000 insgesamt: 14,4%. • in 73% dieser Fälle Schulformabstiege• in 23% Aufstiege

Insgesamt ist im Sekundarbereich die Entkopplung von Bildungsgang und Schulabschluss so weit fortgeschritten, dass im Jahre 2000 nur noch 58% der Hauptschulabschlüsse an Hauptschulen und 48% der Realschulabschlüsse an Realschulen erworben wurdenIm Schuljahr 2001/2002 erhielten immerhin 21% aller Absolventen ihre allgemeine Hochschulreife nicht an einem allgemein bildenden Gymnasium

Entkopplung von Bildungsgang und -abschluss – Folgen

Stehen hinter gleichen Schulabschlüssen unterschiedlicher Schulformen vergleichbare Leistungen?

Wenige empirische Befunden, aber die These, dass die Entkopplung von Schulformen und -abschlüssen die Schwächen des Übergangverfahrens am Ende der Grundschulzeit und das weitgehende Scheitern des Durchlässigkeitskonzeptes ausgleicht, wird tendenziell entkräftet. Es ist nicht auszuschließen, dass die ‚Abnehmerseite‘ die institutionelle Hierarchie gleicher Abschlüsse wahrnimmt und bei Auswahlprozessen wirksam werden lässt.Folge: die zur Verbesserung des gegliederten Schulsystems angelegte Entkopplung von Schulform und -abschluss würde letztlich wieder das Gegenteil bewirken.

Bildungsausgaben

Links und LiteraturErster nationaler Bildungsbericht http://www.bildungsbericht.de/zeigen.html?seite=6129

Neuere Ausgaben des Bildungsberichts:http://www.bildungsbericht.de/

Online-Publikationen des BMBF:http://www.bmbf.de/publikationen/

Datenreport 2006 des Statistischen Bundesamtes:http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2006/Datenreport/Datenreport__06,templateId=renderPrint.psml

Quarks & Co: Infovideo mit Abschnitt zu „Schule nach PISA“:http://www.wdr.de/themen/global/webmedia/webtv/getwebtv.phtml?ref=70101