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Chemisches Gleichgewiaiit in verdiinnten Losungen. 139 VIII. Das c h e d s c h e Gl&hgewCcht Cn uerddlwwtew L6sunqe.n; vow Max Plawck. Wie ich in einer kurzlich erschienenen Abhandlung nach- gewiesen habe l), befinden sich die Hauptsatze der Wiirme- theorie nur dann im Einklange mit den beim Gefrieren oder Verdampfen verdiinnter Losungen beobachteten Erscheinun- gen, wenn die Moleciile der gelosten Stoffe theilweise oder vollstandig chemisoh verandert gedacht werden, und zwar hat sich gezeigt, dass der von van’t Hoff2) in seiner Theorie der chemischen Qleichgewichtszustande fur eine verdiinnte Losung eingefuhrte Zahlencoefficient i direct als das Maass der chemischen Zersetzung des gelijsten Stoffes anzusehen ist, namlich als das Verhaltniss der wirklichen Moleciilzahl zu derjenigen Moleculzahl, welche der normalen Beschaffen- heit aller Molecule entsprechen wiirde. 1st also z. B. i eine game Zahl, so hat sich jedea Molecul vollstandig in i Mole- cule gespalten. Inzwischen ist von S. Arrhenius3) ein Aufsatz uber die Dissociation der in Wasser gelosten Stoffe erschienen, in welchem der Verfasser ganz denselben Gedanken ausspricht und fur eine Reihe von wiisserigen Losungen nach verschie- denen Richtungen durchfuhrt. Wenn nun auch die Grund- lage seiner Ausfuhrungen: die durchgreifende Analogie , die er fur das Verhalten des osmotischen Druckes in verdiinnten Losungen mit dem des Druckes vollkornmener Gase festsetzt, wohl noch nicht den Rang eines vollgultigen Beweises bean- spruchen durfte, so scheint mir doch der Umstand, dass ganz unabhangig von den rein theoretischen . Erorterungen die namlichen Ideen von chemischer Seite angeregt und durch die verschiedenartigsten Griinde unterstiitzt werden, ein An- zeichen dafiir zu sein, dass auch in diesem Falle wieder die Forderuugen des zweiten Hauptsatzes der Wiirmetheorie mit 1) M. Planck, Wied. Ann. 32. p. 462. 1887; vgl. aucli Zeitschr. f. 2) J. H. van’t Hoff, Zeitschr. f. phys. Chern. 1. p. 481. 1887. 3) S. Arrhenius, Zeitschr. f. phys. Chem. 1. p. 631. 1887. __ phys. Chem. 1. p. 577. 1887.

Das chemische Gleichgewicht in verdünnten Lösungen

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Page 1: Das chemische Gleichgewicht in verdünnten Lösungen

Chemisches Gleichgewiaiit in verdiinnten Losungen. 139

VIII. Das c h e d s c h e Gl&hgewCcht Cn uerddlwwtew L6sunqe.n; vow Max P l a w c k .

Wie ich in einer kurzlich erschienenen Abhandlung nach- gewiesen habe l) , befinden sich die Hauptsatze der Wiirme- theorie nur dann im Einklange mit den beim Gefrieren oder Verdampfen verdiinnter Losungen beobachteten Erscheinun- gen, wenn die Moleciile der gelosten Stoffe theilweise oder vollstandig chemisoh verandert gedacht werden, und zwar hat sich gezeigt, dass der von van’ t Hoff2) in seiner Theorie der chemischen Qleichgewichtszustande fur eine verdiinnte Losung eingefuhrte Zahlencoefficient i direct als das Maass der chemischen Zersetzung des gelijsten Stoffes anzusehen ist, namlich als das Verhaltniss der wirklichen Moleciilzahl zu derjenigen Moleculzahl, welche der normalen Beschaffen- heit aller Molecule entsprechen wiirde. 1st also z. B. i eine game Zahl, so hat sich jedea Molecul vollstandig in i Mole- cule gespalten.

Inzwischen ist von S. A r r h e n i u s 3 ) ein Aufsatz uber die Dissociation der in Wasser gelosten Stoffe erschienen, in welchem der Verfasser ganz denselben Gedanken ausspricht und fur eine Reihe von wiisserigen Losungen nach verschie- denen Richtungen durchfuhrt. Wenn nun auch die Grund- lage seiner Ausfuhrungen: die durchgreifende Analogie , die er fur das Verhalten des osmotischen Druckes in verdiinnten Losungen mit dem des Druckes vollkornmener Gase festsetzt, wohl noch nicht den Rang eines vollgultigen Beweises bean- spruchen durfte, so scheint mir doch der Umstand, dass ganz unabhangig von den rein theoretischen . Erorterungen die namlichen Ideen von chemischer Seite angeregt und durch die verschiedenartigsten Griinde unterstiitzt werden, ein An- zeichen dafiir zu sein, dass auch in diesem Falle wieder die Forderuugen des zweiten Hauptsatzes der Wiirmetheorie mit

1) M. P lanck , Wied. Ann. 32. p. 462. 1887; vgl. aucli Zeitschr. f.

2) J. H. van’ t Hof f , Zeitschr. f. phys. Chern. 1. p. 481. 1887. 3) S. Arrhenius, Zeitschr. f. phys. Chem. 1. p. 631. 1887.

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phys. Chem. 1. p. 577. 1887.

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der Zeit eine durchgehende Anerkennnng finden werden. Zugleich ist aber durch diese Unterstiitzung der theoreti- schen SMze die Miiglichkeit geboten, die weiteren Consequen- Zen derselben, soweit sie sich mit logischer Nothwendigkeit ergeben, ruckhaltlos zu verfolgen; denn nur dadurch kann die Zulassigkeit der Theorie des weiteren gepruft werden.

Wir denken uns also den Gleichgewichtszustand einer verdiinnten Losung eines Stoffes im allgemeinen von ganz derselben Art, wie das chemische Qleichgewicht verschiedener aufeinander wirkender Stoffe; es stehen z. B. in der Lasung die unzersetzten Moleciile mit den zersetzten in steter che- mischer Wechselwirkung, und das Gleichgewicht in diesem Gemenge wird im allgemeinen bei einem gewissen mittleren Zustaxide der Zersetzung eintreten, welcher durch die nam- lichen allgemeinen Bedingungen gegeben ist, wie irgend ein anderer chemischer Gleichgewichtszustand. Dabei besteht jedes zersetzte Molecul aus zwei oder mehreren vollstllndigen Einzelmoleciilen, die ubrigens immer noch mit gewivsen beson- deren Kraften aufeinander wirken kijnnen ; denn dass auch die Theilmoleciile unter sich ein einfaches mechanisches Gemenge bilden, darf aus verschiedenartigen Grunden nicht angenom- men werden-l) Wollte man sich z. B. eine verdiinnte was- serige HC1-Losung, fur die i nahezu = 2, als ein Gemenge von gelosten freien H- und C1-Atomen vorstellen, so mtisste man zu der erfahrungswidrigen Folgerung kommen, dass eine Ver- mischung oder auch eine Trennung von beiderlei Atomen von keiner Arbeitsleistung begleitet sei. Welches aber nun die Art des noch restirenden Zusammenhanges der 'einzelnen Theilmolecule untereinander ist , konnen wir fur die folgen- den Untersuchungen ganz unentschieden lassen, es geniigt vollkommen die Annahme, dass jedes Theilmolecul fur sich ein vollstiindiges Molecul bildet.

Dieser Umstand ist auf eine ganze Reihe von Erscheinungen in verdiinnten Losungen von wesentlichem Einfluss, so bedingt er auch ihre sogenannten additiven Eigenschaften, die um so deutlicher hervortreten , je vollstandiger die Dissociation ist.

1) S. Arrhenius , 1. c. p. 838.

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De dieser Punkt sohon vgn 5. A r r h e n i u s ausfiihrlich hervor- gehoben wurde, so geniigt es, auf dessen Darlegung zu ver- weisen. Wir wollen fiir unsere weiteren Untersuchungen zunachst von den Satzen ausgehen, die specie11 aus den Er- scheinungen des Gefrierens oder Verdampfens verdiinnter Losungen fiir die molecularen Verhaltnisse der gelosten Stoffe entspringen. Bezeichnet a0- 9. die Oefrierpunktserniedrigung, p , - p die Dampfdruckerniedrigung, ferner no die Zahl der Molecule des Losungsmittels, qo die Schrnelzwarme eines Mole- ciils desselben (der Index 0 bezieht sich immer auf das reine Losungsmittel), so findet man fur irgend eine verdiinnte Losung nichtfliichtiger Stoffe in einem beliebigenLosungsmitte1 die Zahl z der Moleciile der gelosten Stoffe durch die Gleichungen l) :

Die so berechnete Moleculzahl n stimmt im allgemeinen nicht iiberein mit der ,,normalen" Moleculzahl, d. h. derjenigen Zahl, die man aus dem gewohnlichen Moleculargewicht der gelosten Stoffe erhalt, und die wir mit N bezeichnen wollen. F u r wasserige Losungen wird namlich R gewohnlich > iV, fur Benzollosungen u. s. w. dagegen wird n oft < N. Setzen wir nun n / N = i, so ergibt sich fur i > 1 eine Zersetzung, fiir i < 1 eine chemische Verbindung der normalen Molecule in der Losung. Immer erfahrt man aber eben nur die Ge- sammtzahl der wirklichen Molecule, wodurch in der Regel ihre Beschaffenheit im einzelnen noch gar nicht bestimmt sein wird. Insbesondere bleibt es z. B. ganz offen, ob etwa die Molecule der gelosten Stoffe mit einzelnen Moleciilen des Losungsmittels chemisch verbunden sind, und ich mochte auf diesen Punkt hier besonders hinweisen wegen der Frage der Hydratbildung in wasserigen Losungen. Diese Frage kann durch die Beobachtung des Gefrierpunktes oder der Dampfspannung durchaus nicht entschieden werden; denn die chemische Verbindung der Salz- oder Sauremoleciile mit je einem oder mehreren Moleciilon Wasser andert nichts an der Gesammtzahl der gelosten Moleciile, auf die es hier allein aukommt. Auch das Verhaltniss dieser Zahl zu der der _I__ - - -

1) M. Planck, Wied. Ann. 32. p. 502. 1887.

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Wassermolecfile wird hierdurch aicht wesentlich alterirt , da die letztere sehr gross ist gegen die erstere. Alle Versuche daher, die Abweichung von dem molecularen Gefrierpunkts- oder Dampfspannungsgesetz verdiinnter Losungen durch Hydratbildung zu erklaren , sind principiell aussichtslos; die einzig mijgliche Erkliirung fuhrt zu einer chemischen Ver- iinderung der gel6sten Molectile untereinander.

In manchen Fallen jedoch wird die Gesammtzahl der wirklichen Molectile einen eindeutigen Schhss auf ihre Be- schaffenheit zulassen. Dies tritt z. B. iinmer ein, wenn ein normales Moleciil nur auf einerlei Weise in zwei Einzel- molecule zerfallen kann, wie es oft bei der Dissociation der Ionen in wilsserigen Liisungen der Fall ist. Bezeichnet nam- lich n1 die Znhl der unzersetzten, na die der in je zwei Ionen gespaltenen Molecule, so haben wir: N = n, + n2 und R = n, +2n, , also:

Hiernach lassen sich die Werthe von n1 und na eindeutig aus N und i berechnen. Wir wollen fiir unsere folgenden Untcrsuchungen an diesem einfachen Falle festhalten. Dann liegt i nothwendig zwischen den Grenzen 1 und 2, die einer- seits dem normalen Zustand der gelosten Molecule: n2 = 0 (in wasseriger Losung annahernd Alkohol, Zucker, Ammoniak, Schwefelwasserstoff, Ameisensaure, die Sulfate von Kupfer, Zink , Eisen) , andererseits der vollstandigen Dissociation: n, = 0 (in wasseriger Losung annlhernd die Rydroxyde von Kalium, Natrium, Lithium, die Halogensluren, Schwefelsiiure, Salpetersaure, viele Salze) en tsprechen. Untersuchen wir nun specieller die Eigenschaften des Zersetzungscoefficienten i, wie sie unmittelbar aus der allgemeinen Theorie des chem.i- schen Gleichgewichtes folgen.

Ve r tin d c r 1 i c h k ei t d e 8 Z er se t Z U D g e g r a de B i.

Wenn der Zustand der theilweisen Dissociation der Mole- ciile eines Stoffes in verdiinnter Losung wirklich ein chemi- scher Gleichgewichtszustand ist, bedingt durch die Wechsel- wirkubg der zersetzten und der unzersetzten Molecule, so

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mussen auf ihn die allgeineinen Gesetze des thermodynamisch- chemischen Gleichgewichts Anwendung finden. Wir haben somit als Symbol des in Betracht kommenden Systems:

Dasselbe stellt einen homogenen Korper dar: die Lasung, hestehend aus no Moleculen Lasungsmittel vom Molecular- gewicht mo, n, unzersetzten (normalen) Moleciilen vom Mole- culargewicht m , , und n2 = n, in je zwei Ionen mit den Moleculargewichten m2 und m3 zersetzten Moleculen. Die numerischen Concentrationen, d. h. die Verhliltnisse der ein- zelnen Moleciilzahlen zur gesammten Moleculzahl, sind :

*om,, nl"1i 722m2, n3m3.

- 9 c 3 = c 2 . n2 no + n, + 2n2

1 c, = n1

no + Itl f 2% co = - 2 0 - 7 CI =

no + nl + 2 n ,

Fiir eine etwa eintretende Reaction sind die Verhaltnisse der Aenderungen der Moleculzahlen:

Sn, : a n , : a n , : an, = vo : v1 : v:, : v 3 . Besteht nun die Reaction in der Zersetzung eines nor-

malen Moleciils in zwei Theilmolecule, so ist zu setzen:

und die Bedingung des Gleichgewichtes wid :

wobei K nur von Temperatur und Druck abhangig. Beruck- sichtigt man die Werthe der c und v und bedenkt, dass no sehr gross ist gegen ni und n,, so lasst sich die letzte Glei- chung schreiben :

Yo = 0, v1 = - 1 , v z = 1, v3= 1,

Yo log co + Y] log C ] + ?I2 log c2 + Vg log cg = log K,

oder, wenn man n1 und n2 durch N und i (8. oben) ausdruckt und dabei 2 / K = R setzt:

1J1.2.-..-- N l i = 1 + -.- --L.

g..- N WO

Diese Gleichung lehrt, dass der Zersetzungsgrad i im allgemeinen veranderlich ist , einmal mit Temperatur und Druck, ausserdem aber in angebbarer Weise mit der normalen Concentration, d. h. dem bekannten VerhiLltniss der normalen Moleculzahl N des geliisten Stoffes zu der Moleculzahl no

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des Losungsmittels. Die Art der Veranderlichkeit wird ge- regelt durch die positive Constante X, welohe ein vom Grad der Vordiinnung unabhangiges Maass fiir die chemi- sche Festigkeit des normalen Moleciils in dem betreffenden Lijsungsmittel liefert. Denn fiir K' 5 0 ist i = 2 und ftir K = co ist i = 1 , wodurch die beiden Grenzen von i gege- ben sind. Nur fiir diese Orenzfalle ist i unabhfingig von der Verdiinnung, im allgemeinen findet eine Vermehrung des Zersetzungsgrades mit zunehmender Verdiinnung statt.

Zum Zwecke der Priifung dieser Gleichung durch die Erfahrung fiihren wir den Procentgehalt P der Losung ein, d. h. wir setzen das Verhaltniss des Gewichts des gelosten Stoffes zu dem des Losungsmittels = P: 100. 1st also M das bekannte normale Moleculargewicht des gelasten Stoffes, m, das des Losungsmittels, so haben wir:

N M : nOm, = P : 100. Setzen wir endlich noch zur Abkurzung mo .K'/lOOM= R, eine Grasse, der weseotlich dieselben Eigenschaften zukom- men, wie K , so verwandeln sich die obigen Gleichungen for i in folgende:

Fur Wasses ist = 1 / 103 l) , ferner m, = H,O = 18, wenn man m, und M auf H, = 2 bezieht, folglich:

Diese Gleichung spricht das allgemeine Gesetz der molecularen Gefrierpunkts- und Dampfspannungserniedrigung in verdiinnten wasserigen Lasungen aus. Nur in den Grenz- rillen k = 00 und k = 0 findet vollkommene Constanz fiir das Verhiiltniss der Gefrierpunktserniedrigung (Gesetz von B 1 a g den) oder der relativen Dampfdruckerniedrigung (Ge- setz von W l i l lner ) zum Procentgehalt P der Losung statt; es sind dies also die Falle, in denen entweder gar keine, oder vollstandige Zersetzung eingetreten ist. Im allgemei-

1) Diese Zahl ist besser als die frhher Wied. Ann. 32. p. 499. 1887

-

von mir benubte: 1/102.

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nen werden diese Oesetze aber nicht erflillt sein, sondern i wird sich mit dem Procentgehalt andern.

Bei der Anwendung auf andere Losungsmittel hat man nur in der vorletzten Qleichung das Moleculargewicht m, des Losungsmittels und die Werthe der molecularen Schmelz- warme qo und Schmelztemperatur 8, einzusetzen. Die Ver- gleichung mit den R a0 u 1 t 'schen Gefrierpunktsbestimmun- gen l) habe ich schon fruher angestellt, ebenso unmittelbar lassen sich die inzwischen von R a o u l t veroffentlichten all- gemeinen Ergebnisse der Beobachtungen iiber die Dampf- spannungen 2, der verschiedenartigsten Losungen fur die Theorie verwerthen. R a o u l t folgert u. a. aus seinen Ver- suchen, dass in sehr vielen Fallen der Werth yon:

x PZT2 . - Po p * f n o

fur beliebige Losungen in beliebigen Losungsmitteln constant = 0,0105 ist. Der Vergleich mit der Theorie ergibt, dass in diesen Flillen i 5 1 (d. h. die gelosten Molecule sind von normaler Brosse). Denn hierfiir wird jener Ausdruck = 1/100 = 0,Ol.

Am meisten interessirt hier jedoch die Abhangigkeit des Zersetzungsgrades i vom Procentgehalt P der Losung, wobei indess festzuhalten ist, dass die in der theoretischen Formel dargestellte Abhangigkeit nur fur binare Moleclile Giiltigkeit beansprucht (2 > i > 1) - ein Fall, der in den wasserigen Losungen vieler unorganischer Stoffe realisirt erscheint. Daher bieten sich hier zunachst zur Vergleichung dar die sorgfaltigen und umfangreichen Beobachtungen von G. Tammann3), uber die Dampftensionen wasseriger Lo- sungen bei verschiedenen Concentrationsgraden, und zwar gestatten die von T a m m a n n mitgetheilten Tabellen eine bequeme Prlifung der Theorie durch die Erfahrung. Die Beobachtungen gelten fiir eine Temperatur von nahezn looG C., also fur einen Druck von nahezu 1 Atmosphke, sodass _ _ - -

1) Raoul t , Cornpt. rend. 96. p. 1030. 1882. 2) Raoul t , Compt. rend. 104. p. 1430. 1887. 3) T a r n m a n n , M h . de 1'Acad. de St. PBtersbourg. (7) 36. Nr. 9.

1887. Ann. d. Pbjs. u. Chem. N. F. XXXlV 10

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man in der theoretischen Formel h wohl mit geniigender Annaherung a19 constant betrachten darf. Der Procentgehalt P der Losung ist in Tammann’s Tabellen durch m bezeich- net, ferner der Werth von lOOO/P. (p , -p) /p , durch p. Man hat also das p, der Tabellen nur rnit 0,00556 M zu multipli- ciren ( M das normale Moleculargewicht des gelosten Stoffes), um daraus i zu erhalten, d. h. fur einen bestimmten Stoff ist p proportional i.

Die so berechneten Werthe von i, in ihrer Abhangig- keit von P betrachtet , ergeben einen directen Widerspruch mit der theoretischen Formel; ein Blick auf die Tabellen zeigt namlich, dasq i (oder p) statt rnit steigendem Procent- gehalt abzunehmen, im Gegentheil meistens wachst, d. h. dass der Zersetzungsgrad rnit der Concentration der Losung zu- nimmt - ein Resultat, das von vornherein mit der Theorie unvereinbar ist. Ohne mir fiir jetzt ein endgiiltiges Urtheil fiber den muthmasslichen Grund dieser auffallenden Discre- panz zwischen Erfahrung und Theorie anzueignen , mochte ich hier auf eine Ueberlegung hindeuten, die sich mir schon bei fruherer Gelegenheit aufgedrangt hat. Bekanntlich er- fordert die Herstellung des chemischen Gleichgewichts in einem theilweise dissociirten Gase, z. R. Jodwasserstoff, oft eine sehr lange Zeit, die unter Umstiinden nach Monaten und noch langeren Perioden gemessen wird und dann die Gewinnung des Gleichgewichtszustandes praktisch ganz unmog- lich macht. Setzt man dieselbe Erscheinung fur den Eintritt des chemischen Qleichgewichts zwischen zersetzten und un- zersetzten Moleculen in einer verdiinnten Losung voraus, wie es durch die Analogie geboten erscheint, so konnte darin ein Grund erblickt werden fur die hier in Rede stehende Abweichung , sowie iiberhaupt ftir die zahlreichen Wider- spruche, die sich in den Resultaten der von verschiedenen Forschern angestellten Beobachtungen uber Dampfspannung und Qefrierpunkt der Losungen ergeben haben. Zugleich wird dadurch allerdings die Aussicht auf die Moglichkeit einer scharfen Prufung der theoretischen Formel durch diese Art von Messungen aufgehoben.

Unter diosen Urnstanden erscheint die obige Formel

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zum mindesten bedeutungslos, und ich wiirde daher mit ihrer Veroffentlichung jedenfalls noch gezogert haben , wenn sich nicht auf einer anderen Seite die Aussicht auf eine Best%- tigung derselben durch die Erfahrung darbieten wiirde , die an Scharfe nichts zu wiinschen iihrig lasst. A r r h e n i u s l ) hat gezeigt, dass sich i auch mittelst der electrischen Leit- fahigkeit der Losung berechnen lasst. Bezeichnet nilmlich a den ,,Activitatscoefficienten" der Losung, d. h. das Verhalt- niss zwischen ihrem wirklichen molecularen Leitungsver- mogen und dem Grenzwerth dieses Leitungsvermogens bei unendlicher Verdiinnung , so ist fiir binare Electrolyte, die wir j a hier voraussetzen, i = 1 + a , und diese Bestimmung von i ist scharfer als jede andere, da das Leitungsvermbgen mit der grassten Genauigkeit und Uebereinstimmung der verschiedensten Messungen beobachtet worden ist. Dieser Umstand lasst iibrigens zugleich darauf schliessen, dass das chemische Gleichgewicht in einer verdiinnten Lasung sich vie1 schneller einstellt, wenn W echselstrbme hindurchgelei- tet werden (eine Annahme, die unwillkiirlich an die That- sache erinnert , dass durch mechanisches Schtittsln einer Fliissigkeit der Eintritt des physikalischen (Warme- , Diffu- sions-) Gleichgewichts erheblich beschleunigt wird).

Indem ich damit beschaftigt war, die aus dem Leitungs- vermogen berechneten Werthe von i in ihrer Abhiingigkeit vom Procentgehalt P zunachst an der Hand der Beobach- tungen von F. K o h l r a u s c h zu priifen, las ich eine Notiz von O s t w a lda) , in welcher eine Formel fur die Abhangig- keit des L3itungsvermogens von der Verdlinnung mitgetheilt ist, die zwar nicht der Form, wohl aber der Sache nach voll- kommen iibereinstimmt mit der von mir oben gegebenen. Da 0 s t w a1 d sich kiinftige eingehende Mittheilungen iiber diesen Punkt noch vorbehalten hat, indem er einstweilen nur die durchaus befriedigende Uebereinstimmung seiner Formel mit den Ergebnissen seiner friiheren Beobachtungen constatirt, so glaube ich, ihm darin hier nicht vorgreifen zu sollen. Nur

1) A r r h e n i u s , Zeiteclir. f. phys. Chem. 1. p. 632. 1887. 2) O s t w a l d , Zeitschr. f. phys. Chem. 2. p. 36. 1888.

10*

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sei mir eine allgemeine oorlilufige Bemerkung gestattet Uber die Resultate, die ich bei der Vergleichung der von F. K o h l - r au s chl) beobachteten Werthe der Leitungsfilhigkeit mit den von mir aus der obigen Formel ftir i berechnetep Wer- then erhielt; denn in ihnen ist die Berechtigung der oben und im Polgenden mitgetheilten theoretischen Untersuchun- gcn enthalten. Meine Formel fur die Leitungsfahigkeit eines binliren Electrolyts in verdunnter Losung lautet, der obigen Auseinandersetzung gemass:

K = const.(i- 1). P = a . (V1 + b P - I) , wobei u und b bei constanter Temperatur und constantem Druck constant. Da die Giiltigkeit der Formel sich nur auf sehr ver- diinnte Losungen, als erste Anniiherung, erstreckt, so ist es gleichgultig, ob man in ihr den Gehalt Y nach Gewichtsprocen- ten oder nach der Zahl d t r Molecule in der Volumeneinheit misst. Dennoch schliesst sie sich auch fur massige Verdunnun- genden Beobachtungen merklich besser an als die geK6hnliche quadratische Interpolationsformel. Bildet man aber eine zweite AnnHherung, indem man nicht mehr P gegen 100 vernachlassigt , wodurch die Formel allerdings ein etwas complicirteres Aussehen gewinnt, so ist in den von mir bis jetzt untersuchten Fallen die Uebereinstimmung zwischen den beobachteten und den theoretischen Werthen noch er- heblich besser, und in diesem Umstand sehe ich die kriif- tigste Stutze fur die Theorie. Die ausfuhrliche Ableitung der genaueren Formel denke ich an einer snderen Stelle zu geben, mochte aber gleich jetzt bemerken, dass auch diese von dem Erscheinen eines Maximums der Leitfilhigkeit, wie es z. B. beim LiCl beobachtet wird, keine Rechenschaft gibt. Denn wenn auch der Activitatscoefficient u, das Verhhltniss der Zahl der dissociirten Molecule n2 zur normalen Ge- sammtzahl N = n,+ n2, mit wachsendem N stets abnimmt, so zeigt doch die absolute Zahl der activen Molecule n,, also auch das Leitungsvermogen, ein stetiges Anwachsen mit zuneh- mender Concentration, mithin kein Maximum. Daher reicht fUr concentrirtere Losungen die hier behandelte Theorie nicht aus. -- - -

1 ) F. K o h l r a u s c h , W e d . Ann. 6. p. 1. 145. 1879.

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Chemisches Gleichgewicht in verdunnten Liisungen. 149

A 1 lgeme ine Bedingung e n d es c h e m iec hen G l e i c hge w i c h t 88.

Nachdem durch Theorie und Erfahrung hinlknglich fest- gestellt scheint, dass die Moleciile vieler Stoffe in verdiinnten Lijsungen nicht in ihrer normalen GrGsse, sondern manchmal i n zersetztem, manchmal in mehrfach verbundenem Zustande existiren, und dass noch dam der Grad der Zersetzung, resp. der Vereinigung mit dem Procentgehalt der Losung variirt, erhebt sich die Frage, welche Correction an den allgemeinen, unter Voraussetzung der normalen Verhiiltnisse abgeleiteten Formeln fur das chemische Gleichgewicht von Losungen u. s. w. anzubringen ist, wenn man den nachgewiesenen Verhaltnissen Rechnung triigt. Denn auch die von van ' t Hof f gegebene Gleichung kann nicht mehr geniigen, wenn auf die Verlloder- lichkeit von i Rucksicht genommen wird.

Als Ausgangspunkt unserer Untersuchung benutzen wir die allgemeine, friiher von mir entwickelte Formel') for das chemkch-thermodynamische Gleichgewicht eines Systems von einander beriihrenden verdiinnten Losungen, festen Korpern, Gasgemischen u. s. w. Dieselbe behiilt unter allen UmstBnden ihre Oiiltigkeit, sofern nur die wirklichen Moleciilzahlen und die wirklichen Moleculargewichte fur alle Stoffe in Rechnung gebracht werden. Aber eben deswegen ist diese Formel i m allgemeinen zur unmittelbaren Anwendung nicht brauchbar; sie wird es nur dann, wenn alle in einer Losung vorkommen- den Stoffe ihr normalcs Moleculargewicht besitzen. Wir wollen dtlher im Folgenden durchweg unterscheiden zwischen ,,wirklicheP Moleciilzahl n und ,,normalerL4 Moleciilzahl N eines Stages. Als letztere bezeichnen wir immer die, welohe sich aus der Annahme ergibt, dass alle Moleciile des Stoffes ihre normale durch die gewohnliche Formel definirte Grasse haben; nur sie ist durch das Gewicht des Stoffes unmittelbar bestimmt. Ferner wollen wir, um ganz sicher zu gehen, die Iteihe unserer Schliisse noch von einer Voraussetzung be- freien, die wir bisher immer gemacht haben, die aber nicht nur an und fur sich unbegriindet, sondern sogar einigermassen unwahrscheinlich ist. Es ist die Annahme,

1) M. I'lanck, W e d . Ann. 3'2. p. 489. 1857.

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150 M. Planck.

dass ein Moleciil des fliissigen Losungsmittels (2. B. Wasser) identisch sei mit einem Moleciil des dampffarmigen oder des festen Losungsmittels. Hier, wo es so specie11 auf Molecular- grossen ankommt, ist eine solche Annahme offenbar von vornherein unzulassig; es konnte j a z. B. ein flussiges Moleciil ebensowohl irgend ein Vielfaches eines Dampfmoleciils sein. Daher dehnen wir die Unterscheidung zwischen wirklicher und normaler Moleculzahl auch auf das Losungsmittel selber (no und No) aus; No ist immer bekannt, dagegen no nur fiir den gasformigen Aggregatzustand, aus dem Avo g a d r o'schen Gesetz, Nach diesen Festsetzungen lasst sich nun die Auf- gabe einfach dahin prlcisiren: die bekannte, fiir die wirk- lichen Moleciilzahlen n giiltige Gleichgewichtsformel so um- zuformen, dass in ihr nur die normalen, der Beobachtung zugiinglichen Moleciilzahlen N vorkommen.

Es sei irgend eine verdiinnte Losung gegeben durch das Symbol: NoMo, Nl M , , N,M,, . , . ?

wobei die N und M die normalen Moleciilzahlen und Mole- culargewichte bedeuten. Hiervon verschieden ist das Symbol der wirklichen Grossen:

Haben wir z. B. die Chlorkaliumlosung: No.H,O, N.KC1,

so lautet deren wirkliches Symbol: norno, n1 KC1, n2K, n9 C1,

wobei m, ein gewisses unbekanntes Vielfaches von H,O, n1 die Zahl der unzersetzten, n, = n3 die der zersetzten Mole- cule des Salzes bezeicbnet. Hierbei ist n1 + n2 = N und (n, + 2nz) / N = i , folglich n1 = N(2 - i) und n, = N(i - 1).

Wir stellen nun zunachst die allgemeine, fur die wirk- lichen Moleciilzahlen giiltige Gleichgewichtsbedingung eines Systems von homogenen Korpern auf. Wenn die numerischen Concentrationen der einzelnen Moleciilarten eines Rorpers dargestellt werden durch:

nomo, n1m,? 'tzm,, * *

, . . a , . co = no 9 cl'=------ Z l no + n, f np + - . . no + n, + n, f . .

und bei einer etwaigen Reaction die Moleculzahlen geandei t werden urn:

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Cheniisches Gleichgewicht in verdunnten Liisungen.

an,: Sn, : an, :. . . = v o : v1 : vz : . . . , 16 1

so besteht Gleichgewicht gegen diese Reaction, wenn:

wobei K allein durch Temperatur und Druck bestimmt ist. Die Summe ist uber alle einzelnen Korper des 8ystems zu erstrecken.

Diese Formel wird sich nun andern, wenn statt der wirklichen Moleculzahlen n und Concentrationen c die normalen Moleculzahlen NundConcentrationen: Co= No/(No+Nl -I- N,+...) u. s. w., ferner statt der wirklichen Umeetzungszahlen v die bekannten normalen: SN, : SN, : 6Nz : . . . = No : N, : N, : . . . ein- gefuhrt werden, wir konnen aber die Aufgabe gleich verein- fachen durch die Erwagung, dass die Moleciilzahlen der ein- zelnen Korper des Systems unabhangig voneinander in die obige Summe eingehen. Wenn daher irgend ein Korper eine von der normalen abweichende wirkliche Moleculzahl hat, so geniigt es, ihn fur sich allein zu betrachten. Daher fassen wir im Folgenden nur eine einzelne verdiinnte Losung ins Auge, welche den Beitrag:

zu der allgemeinen Summe liefert, und berechnen die Form, die sie annimmt, wenn man darin die Zahlen N , resp. C einfiihrt.

Beachten wir, dass co nahezu = 1, dagegen ol, cz . . . sehr klein sind, so ergibt sich von selbst eine Eintheilung der moglichen Reactionen in zwei wesentlich verschiedene Classen, je nachdem durch sie die Moleculzahlen der gelosten Stofle eine Aenderung erleiden oder nicht.

E r s t e C las se v o n Reac t ionen . Bei diesen Reactionen erleidet keine der Moleculzahlen der gelosten Stofte eine Aenderung, d. h. fiir sie ist vl = vZ = . . . = 0. (Reactionen physikalischer Art , z. B. Verdampfen , Gefrieren einer Lo- sung.) Dann reducirt sich die obige Summe auf das erste

Yo log co + Y1 log c1 + vz log cz + .

Glied : n, + n, + n8 + ..; . n0

Yo log co = - Yo -

In diesen Ausdruck gehen die Molecille der gelosten Stoffe nur mit ihrer Gesammtzahl ein; bezeichnet also wie bisher

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i das Verhaltniss der wirklichen Moleciilzahl n eines gelosten Stoffes zur normalen Moleciilzahl N , so ist der Ziihler des Bruches zu ersetzen durch die Summe der Producte iN fIir alle Stoffe und dadurch ist die Umformung vollzogen.

Wahrend so fur die gelosten Stoffe die Einfiihrung der N statt der n eine bestimmte Formanderung der Gleichge- wichtsgleichung bedingt, ist dasselbe nicht der Fall fur das Losungsmittel. Denn das Verhilltniss vo : no bleibt offenbar ungeandert, wenn man statt vo und 71, No und No einfiihrt, da QN, dasselbe Vielfache von 8n0 ist, wie No von no. Daher darf man fur das wirkliche Moleculargewicht des Losungs- mittels ohne weiteres das bekannte normale setzen, und alle Schliisse, welche die statischen Erscheinungen des Gefrierens und des Verdampfens verdiinnter Losungen auf die Moleciil- zahl der gelasten Stoffe zu ziehen gestatten, sind unabhhngig von einer Voraussetzung iiber das Grossenverhaltniss der festen, flitssigen und dampfformigen Moleciile des Losunga- mittels. Ebendeswegen gestatten sie aber auch keinen Ein- blick in diese Verhaltnisse.

Z w e i t e C las se von Reac t ionen . Bei diesen Reac- tionen wird die Moleculznhl eines oder mehrerer der gelosten Stoffe geandert, d, h. die Zahlen v l , v2 . . . sind nicht alle =O. Dann verschwindet das Glied mit logc, gegen die ubrigen, in denen die Logarithmen grosse Werthe annehmen, und es blaibt ein Ausdruck von der Form:

Vl log C] + Y2 logc, + . * * = vl l o g 3 + Y2 l o g 3 +. .., n20 no

da der Nenner in den Werthen'der c sich wesentlich auf no reducirt. Nun sieht man zuniichst wieder, dass nian ohne Aenderung der Bedeutung des Ausdruckes fur die Moleciil- zahl des Losungsmittels No statt no setzen darf. Denn dadurch wird der Werth des Ausdruckes im allgemeinen zwar geilndert, aber nur urn eine additive Constante, die man sich in das K auf der rechten Seite der Gleichgewichtsglei- chung einbegriffen denken mag. Also auch in diesem Belle iindert eine specielle Annahme iiber das Moleculargewicht des flussigen Losungsmittels nichts an dem Charakter des Gleichgewichtes.

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Chemisches Gleichgewicht in verdiinnten Losungen. 1 B3

Eine eingehendere Erorterung erheischt dagegen die Ein- fuhrung der N und N statt der n und v fur die gelosten Ptoffe. D a die einzelnen StoRe unabhangig voneinander in die zu betrachtende Summe eingehen, so geniigt es offenbar, jeden gelosten Stoff filr sich zu betrachten und die Aende- rung zu untersuchen, welche die Form des ihm entsprechen- den Ausdruckes durch die Einfilhrung der normalen Moleciil- zahlen erleidet. Zunachst ist zu bemerken, dass die Werthe der v durch die N gar nicht bestimmt sind. Handelt es sich z. B. urn eine Reaction, an der KC1 in vordiinnter wssseriger Losung mit a Molecillen theilnimmt, so ist hierfur N = a zu eetzen (die Beaction in dem Sinne genommen, dass die a Mo- lecule entstehen); aber die v sind noch theilweise willkiihrlich, da gar nicht gesagt ist, welche Ar t von Moleculen an der Reaction betheiligt ist. Bezeichnet namlich n1 die Zahl der unzersetzten Molecule KC1, ferner 12% = n3 die der zersetzten K und CI, so kann man etwa annehmen: vl = a , v2 = v3 = 0, oder auch: v1 = 0, v2 = v3 = a u. 8. w. Wenn Gleichgewicht bestehen soll, so muss fur j e d e dieser beliebigen (virtuellen) Reactionen die allgemeine Bedingungsgleichung befriedigt sein. Theoretisch genommen ist es also ganz gleichgiiltig, welche von ihnen man zur Bildung der Gleichgewichtsglei- chung benutzt, dagegen leiten praktische Grunde dazu, die- jenige Reaction herauszugreifen , welche nur die am zahl- reichsten vorhandenen Molecularten verandert, und die iibrigen ganz unberiihrt lasst. Dann werden die den letzteren ent- sprechenden Umsetzungszahlen v = 0, und die betreffenden Glieder fallen ganz aus der betrachteten Summe heraus. In dem angefiihrten Beispiel von verdiinnter KC1-LiSsung wird man also, da die meisten Molecule zersetzt sind, vl = 0 und vg = v3 = a annehmen, und diese Werthe in die Olei- chung einsetzen. Daraus ergibt sich nun folgende allgemeine Regel :

,,Wenn die Molecule eines Stoffes in verdunnter Losung nicht alle von normaler Beschaffenheit sind, so hat man bei der Aufstellung der Gleichgewichtsformel gerade so zu ver- fahren, als ob nur die am zahlreichsten auftretenden Mole- cularten des Stoffes in der Losung vorhanden waren. Auf

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die anderen Moledar ten wird dabei gar keine Rticksicht genommen."

Dieser Satz beansprucht Giiltigkeit ftir beliebige Lasun- gen in beliebigen Losungsmitteln, einerlei ob i > oder < 1. Vor der van ' t Hoff'schen Formel hat er den Vorzug, dase er auf die Veranderlichkeit von i Rucksicht nimmt; ob er sich fiir den Gebrauch praktischer erweist, ist eine weitere Erage. Vergleichen wir fur einen speciellen Fall, z. B. fur die oben angefiihrte KCI-Lasung, die Ausdriicke, welche die Theorien von Gu ldbe rg -Waage , von van ' t H o f f und von mir fur die Aufstellung des Gleichgewichts ergeben. Nach Guldberg-Waage ' ) hat man einfach einzusetzen: a log C, nach van ' t Hoffa) : ia log C , nach mir: 2a logfC(i - 1)); denn C . ( i - 1) ist die Concentration der Ionen K und C1, = n,lNo, die grosser ist, als die dtrr unzersetzten Moleoiile KC1. J e mehr sich i der 2 nahert, um so geringer wird der Unterschied zwischen dem van ' t H of f'schen Ausdruck und dem meinigen. Wenn i niiher an 1 liegt (z. B. bei CnSO,), so ist die Zahl der unzersetzten Molecitle: n, = N . (2 - i) grosser als die der zersetzten, mithin liefert meine Formel den Ausdruck : a log f C . (2 - i)] , der fur i = 1 mit dem van't Hoff'schen zusammenfallt. - Wenn meine oben m s - gesprochene Vermuthung richtig ist, dass sich das chemilsche Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Molectilarten eines und desselben Stoffes in verdiinnter Losung unter gewilhn- lichen Umstilnden nur sehr langsam einstellt, so dUrfte eine scharfe Bestatigung meiner unter Voraussetzung der Ver- hderlichkeit von i abgeleiteten Gleichgewichtsformel Sohwie- rigkeiten darbieten ; immerhin wird es von Intereese sein, die Bedingungen des von der Theorie geforderten absoluten Gleichgewichtszustandes moglichst vollstandig kennen zu lernen.

E i e l , im Februar 1888.

1) Guldberg-Waage, Journ. f. prakt.. Chem. 19. p. 69. 1879. 2) v a n ' t Hoff, Zeitschr. f. phys. Chem. 1. p. 481. 1887.