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Warum ist denn nichts da? Warum ist die Ordnung in diesem Land nur die Ordnung einer leeren Lade und die Notwendigkeit nur die, sich zu Tode zu arbeiten? Zwischen strotzenden Weinbergen, am Rand der Weizenfelder! Ihre Campagnabauern bezahlen die Kriege, die der Stellvertreter des milden Jesus in Spanien und Deutschland führt. Warum stellt er die Erden in den Mittelpunkt des Universums? Damit der Stuhl Petri im Mittelpunkt der Erde stehen kann! Um das letztere handelt es sich. Sie haben recht, es handelt sich nicht um die Planeten, sondern um die Campagnabauern. Wenn sich alle Gestirne frei im Raum bewegen, wo ist dann Gott? Die Macht der Vernunft. Der Aufklärungsgedanke im nichtaristotelischen Theater. Die dialektische Struktur im Zusammenhang von Aussage und Wirkungsabsicht.

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Warum ist denn nichts da? Warum ist die Ordnung in diesem Land nur die Ordnung einer leeren Lade und die Notwendigkeit nur die, sich zu Tode zu arbeiten? Zwischen strotzenden Weinbergen, am Rand der Weizenfelder! Ihre Campagnabauern bezahlen die Kriege, die der Stellvertreter des milden Jesus in Spanien und Deutschland führt. Warum stellt er die Erden in den Mittelpunkt des Universums? Damit der Stuhl Petri im Mittelpunkt der Erde stehen kann! Um das letztere handelt es sich. Sie haben recht, es handelt sich nicht um die Planeten, sondern um die Campagnabauern.

Wenn sich alle Gestirne frei im Raum bewegen, wo ist dann Gott?

Die Macht der Vernunft. Der Aufklärungsgedanke im nichtaristotelischen Theater. Die dialektische Struktur im Zusammenhang von Aussage und Wirkungsabsicht.

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Übersicht über den Handlungsverlauf

Zeit Venedig - freie Republik

Florenz - Medici - von Rom abhängig

Rom -Sitz des heiligen Offiziums

Bild 1 1609 G will neues kopernikanisches Weltsystem beweisen

Bild 2 G verkauft Teleskop als eigene Erfindung

Bild 3 1610 G beweist mithilfe des Fernrohrs seine Theorie

Bild 4 Gelehrtenwelt lehnt seine Forschung ab

Bild 5 G forscht weiter, trotz Widerstand und Pest

Bild 6 1616 Forschungsinstitut des Vatikan bestätigt seine Lehre

Bild 7 Inquisition erklärt kopernikanisches Weltsystem für ketzerisch

Bild 8 G und kleiner Mönch reden über WIssenschaft und soziale Verantwortung

1616-24

Galilei schweigt

Bild 9 1624 G durch neuen Papst ermutigt, setzt Forschung fort

1624-34

Verbreitung beim Volk

Bild 10 1632 Astronomie als Thema der Fastnachtszüge

Bild 11 1633 G wird zur Inquisition nach Rom geladen

Bild 12 Papst Uran VIII bespricht sein Vorgehen mit dem Inquisitor

Bild 13 1633 G widerruftBild 14 1633-

42G lebt als Gefangener der Inquisition

Bild15 1637 Gs ,,Discorsi" werden über die italienische Grenze geschmuggelt

Italien im 17. JahrhundertVenedig Florenz RomFreiheit der Forschung ist garantiert Steht unter Einfluss Roms Wacht über wissenschaftliche

Forschung, in Florenz strenger als in Venedig

Auch Protestanten zugelassen Veröffentlichung nicht möglich

Kein Einfluss der Inquisition, keine Auslieferung umstrittener Forscher

Inquisitor verlangt Verhör Galileis Kein Einfluss außerhalb Italiens

Geringere Gehälter Florentinischer Hof widersetzt sich Rom nicht

Ahndet Fehlverhalten oder ,,Irrlehren"

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Finanzielle Unterstützung der Forschung nur bei zu vermarktenden Ergebnissen

Herrschaft der Fürsten

Blühender Handel Zahlt Wissenschaftlern bessere Gehälter

VERHALTEN DER PHYSIKER (1939) ====================== Man macht viel her von dem kühnen Denken der Physiker. Es heißt, sie hätten die ältesten Denkgewohnheiten aufgegeben. Seien nur halbwegs genügend Gründe vorhanden, so zögerten sie nicht, die Söhne für ihre eigenen Eltern zu erklären oder andere, nicht weniger erstaunliche und kühne Dinge. Es wird versichert, sie täten dies übrigens nicht aus Übermut oder weil ihnen die alten Behauptungen nachgerade zu langweilig geworden wären, denn ihre Wissenschaft ist eine der allerältesten. Ihre B e r e c h n u n g e n sollen sie zum Verlassen so alter Gemeinplätze gezwungen haben. Ich gestehe, dies kommt mir nicht so überraschend wie ihnen selber. Ich überdenke, wie viele ganz und gar gesicherte Meinungen und Ideale die Bourgeoisie schon aufgegeben hat und auch nicht aus Übermut, sondern nur, von Berechnungen gezwungen. Zahlen sprechen eben eine gewichtige Sprache. Selbstverständlich bin ich weit davon entfernt, die Resultate der Berechnungen zu bezweifeln, ihren fortschrittlichen Charakter zu leugnen; das gestatte ich mir nicht einmal mit solchen Resultaten von Berechnungen, welche man die Zerrüttung der bürgerlichen Familie oder die Unsicherheit des Besitzes oder die Zerstörung der bürgerlichen Persönlichkeit nennt. Das sind alles Fortschritte, wie immer sie erzielt wurden und zu welchem Zweck immer. Was mich lachen macht, ist die Art, wie diese Leute ihre Resultate verallgemeinern oder wie sie sie nicht verallgemeinern. Es ist lustig, zu

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sehen, wie sie einerseits die Philosophen auffordern, Konsequenzen daraus zu ziehen, daß bei ihnen, in der Atomphysik, die Kausalität aussetzt, und wie sie andrerseits versichern, so was komme eben nur bei ihnen, nur in der Atomphysik vor und gelte keineswegs für das Abbraten von Rumpsteaks von seiten normaler Kleinbürger.

Bertolt Brecht

1) Welche Position nimmt Brecht den Physikern gegenüber ein?

2) Worin liegt sein Hauptvorwurf den Physikern gegenüber? Welche Konsequenzen sollen aus ihren Entdeckungen gezogen werden?

4. Mai 1939 Sehr geehrter Herr Brecht:

Sie haben mir mit Ihrem »Galilei« eine große Freude gemacht. Nicht nur scheinen Sie mir die Persönlichkeit Galileis tief erfasst zu haben, sondern auch die Bedeutung seiner Erscheinung in der Entwicklung der Geistesgeschichte und damit in der Geschichte überhaupt. Auch gibt Ihre Darstellung einen tiefen Einblick in die Problemstellung, wie sie Galilei vorlagen und in die Einstellung der vorgalileischen Wissenschaft zur Erfahrung. Sie haben es verstanden, einen dramatischen Rahmen zu schaffen, der ungemein fesselnd ist und uns auch durch die starken Beziehungen zu den politischen Problemen der Gegenwart besonders interessieren muss. Hoffentlich werden es auch die verbildeten Zeitgenossen zu schätzen wissen, was Sie da Vortreffliches hingestellt haben.

Freundlich grüßt Sie Ihr Albert Einstein

Hans Jonas

Das Prinzip Verantwortung. (1979)Vorwort

Der endgültig entfesselte Prometheus, dem die Wissenschaft nie gekannte Kräfte und die Wirtschaft den rastlosen Antrieb gibt, ruft nach einer Ethik, die durch freiwillige Zügel seine Macht davor zurückhält, dem Menschen zum Unheil zu werden. Daß die Verheißung der modernen Technik in Drohung umgeschlagen ist, oder diese sich mit jener unlösbar verbunden hat, bildet die Ausgangsthese des Buches. Sie geht über die Feststellung physischer Bedrohung hinaus. Die dem Menschenglück zugedachte Unterwerfung der Natur hat im Übermaß ihres Erfolges, der sich nun auch auf die Natur des Menschen selbst erstreckt, zur größten Herausforderung geführt, die je dem menschlichen Sein aus eigenem Tun erwachsen ist. Alles

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daran ist neuartig, dem Bisherigen unähnlich, der Art wie der Größenordnung nach: Was der Mensch heute tun kann und dann, in der unwiderstehlichen Ausübung dieses Könnens, weiterhin zu tun gezwungen ist, das hat nicht seinesgleichen in vergangener Erfahrung. Auf sie war alle bisherige Weisheit über rechtes Verhalten zugeschnitten. Keine überlieferte Ethik belehrt uns daher über die Normen von »Gut« und »Böse«, denen die ganz neuen Modalitäten der Macht und ihrer möglichen Schöpfungen zu unterstellen sind. Das Neuland kollektiver Praxis, das wir mit der Hochtechnologie betreten haben, ist für die ethische Theorie noch ein Niemandsland.In diesem Vakuum (das zugleich auch das Vakuum des heutigen Wertrelativismus ist) nimmt die hier vorgelegte Untersuchung ihren Stand. Was kann als Kompaß dienen? Die vorausgedachte Gefahr selber! In ihrem Wetterleuchten aus der Zukunft, im Vorschein ihres planetarischen Umfanges und ihres humanen Tiefganges, werden allererst die ethischen Prinzipien entdeckbar, aus denen sich die neuen Pflichten neuer Macht herleiten lassen. Dies nenne ich die »Heuristik der Furcht«: Erst die vorausgesehene Verzerrung des Menschen verhilft uns zu dem davor zu bewahrenden Begriff des Menschen. Wir wissen erst, was auf dem Spiele steht, wenn wir wissen, daß es auf dem Spiele steht. Da es dabei nicht nur um das Menschenlos, sondern auch um das Menschenbild geht, nicht nur um physisches Überleben, sondern auch um Unversehrtheit des Wesens, so muß die Ethik, die beides zu hüten hat, über die der Klugheit hinaus eine solche der Ehrfurcht sein. [...]

3) Gib Jonas' Grundgedanken in eigenen Worten wieder.

4) Entwirf ausgehend von Jonas' Thesen Grundpositionen einer modernen WIssenschaftethik.

5) Vergleiche Jonas' Konzept von der Verantwortung der WIssenschaft mit dem entsprechenden Konzept, das Brecht in Galilei vertritt.

Gesellschaftliche Moral des WissenschaftlersVon Helmut Schmidt

18. Juni 1982, 8:00 UhrVon Helmut Schmidt

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Auf einem Küchentisch in Berlin ist Otto Hahn und Lise Meitner die erste künstlich herbeigeführte Spaltung eines Atoms gelungen. Wenige Jahre später explodierten die Atombomben über Hiroshima undNagasaki. Seither hat sich das Kernwaffenarsenal der Atommächte ins Ungeheuerliche, ins Unvorstellbare gesteigert, Ohne die vorangegangene wissenschaftliche Leistung zweier Forscher hätte die Frage nach der Bewahrung des Friedens in der Gegenwart kaum gleichzeitig zur Frage nach der Überlebenschance der menschlichen Spezies werden können.

Die vielfach aufgeworfene Frage ist also, ob Otto Hahn und Lise Meitner dafür Verantwortung tragen. Gesetzt den Fall, die Frage nach der Verantwortung wäre – jedenfalls zu einem Teil – mit „Ja,“ zu beantworten: Wie sollte es eigentlich ein einzelner Forscher moralisch ertragen können, im Schatten derartiger Gefährdung und eines möglichen moralischen Vorwurfs noch Grundlagenforschung oder angewandte Forschung zu betreiben?Ich will ein anderes Beispiel wählen, das nicht ganz so spektakulär zu sein scheint, jedenfalls nicht tödlich im physischen Sinne wie das erste, aber doch von sehr weitreichenden, bisher keineswegs abgeschätzten Folgen: Ohne die Leistung der Forschung, ohne die Leistung einzelner Forscher und Wissenschaftler wären die Grundlagen der Mikroelektronik nicht gelegt worden.Ich beschränke mich jetzt ausschließlich auf den Bereich der sogenannten Informations- und Unterhaltungselektronik als Folge dieser wissenschaftlichen Durchbrüche. Ich fürchte, daß die Anwendung, die uferlose, schnelle Ausbreitung dieser neuen Techniken dazu führt, daß das in Auflösung geraten kann, was ich andernorts die „Lesekultur“ genannt habe.

Die Menschen in der heutigen, technisch-wissenschaftlich geprägten Welt – eng aufeinandersitzend, auf engem Raum in immer größerer Zahl lebend – werden überschwemmt durch eine Fülle von Bildern und Buchstaben, von sogenannten „Informationen“.Selbst diejenigen, die sich der Mühe des Lesens tatsächlich unterziehen wollen, müssen einen immer größeren Teil ihrer Zeit und ihrer Arbeitskraft darauf verwenden, das Unwichtige auszusondern und das Wichtige vom Unwichtigen zu scheiden. Häufig bleibt dann nur noch die Gelegenheit zum kondensierenden Überfliegen.Auch ein Politiker beschreibt Ihnen mit diesen Worten seinen eigenen Alltag. Auch er steht vor einer exponential steigenden Flut sogenannter „Informationen“ und muß einen immer größeren Anteil seiner produktiven Kraft darauf verwenden, das Unwichtige auszuscheiden.Aber das sind nur die Folgen für die Minderheit, die durch Ausbildung und Beruf privilegiert ist. Für die große Mehrheit bleibt angesichts dieser schier uferlosen elektronischen Überflutung – pro Tag, pro Stunde, pro Minute – und angesichts ihres bequem verführerischen Konsums, der sich anbietet, ohne daß man danach fragt, zum Lesen weitgehend nur noch das Durchblättern von Boulevardzeitungen übrig. Was das für die Kultur bedeuten wird, wenn es so weitergeht, frage ich mich mit tiefer innerer Besorgnis.

Ich glaube nicht, daß es eine Übertreibung wäre, auch von einer solchen Entwicklung tiefreichende Gefährdungen für unser Leben insgesamt zu erwarten. Spätfolgen werden eintreten, die wir heute nicht übersehen können. Die Selbstbesinnung aus der Erfahrung mit dem Lesen, aus der Verarbeitung dessen, was wir gelesen haben, und das Gespräch über das Gelesene sind gleichermaßen lebensnotwendig für Kultur und Demokratie. Wenn das Lesen und das Verarbeiten des Gelesenen verlorengeht, gerät sehr viel und Wichtigeres in Gefahr als der Umsatzanstieg des Verlagswesens und der Druckereiindustrie,Sind aber dafür wirklich die Forscher verantwortlich zu machen? Oder wie weit sind die mitverantwortlich, die auf dem Weg zur Miniaturisierung von elektronischen Leitern die Durchbrüche erzielt oder die die Lasertechnik erdacht haben? Geht die Kette der Schuld eindeutig Glied um Glied vom Labor bis in die verkümmernde Lesekultur?Wie in vielen Fällen der Verkettung von Ursachen ist es natürlich leicht, sich mit dem Hinweis auf die Verantwortung anderer zu exkulpieren, das heißt die causa efficiens bei anderen festzumachen. Das bietet sich an. Die Anwender in der industriellen Umsetzung seien die Verantwortlichen, so wird man es hören. Oder wenn es sich um Waffen oder um die Kultur insgesamt handelt, wird man hören, die Politiker seien schuld,Sicher, ohne einen Politiker wie Roosevelt und seine politischen Berater – übrigens auch ohne Einsteins Ratschlag – wäre es vielleicht nicht zur Anwendung der Atombombe gekommen. Aber ohne Otto Hahn und Lise Meitner und ohne andere Wissenschaftler hätte

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auch der Politiker nicht die Möglichkeit gehabt, eine derartige Waffe in seine Pläne und in sein tatsächliches Handeln hineinzunehmen.Keiner von beiden, weder der Politiker noch der Wissenschaftler, kann die Verantwortung auf den anderen abschieben. In der Verantwortung hängen sie vielmehr unauflöslich ineinander. Beiden scheint es auf manchem Gebiet so zu gehen wie dem Zauberlehrling, dem die Kontrolle über den wundertätigen Besen entglitten ist. Nun wird der Besen zum Unheil, und niemand hatte es gewollt.Da bleibt das Schlupfloch, daß derjenige nicht wirklich verantwortlich und nicht wirklich moralisch haftbar gemacht werden könne, der nicht in der Lage war, den Überblick über die möglichen Folgen seines Tuns zu haben. Mir scheint dieses Schlupfloch weniger eine Entlastung, sondern vielmehr die Herausforderung zu sein, sich den Überblick über mögliche Folgen des eigenen Handelns zu verschaffen.Sicherlich ist Entwicklung der Wissenschaft durch immer stärkere Spezialisierung gekennzeichnet. Der fruchtbare Schoß der gemeinsamen Mutter Philosophie hat sie und alle ihre Vorgänger nacheinander entlassen, nämlich alle jene Disziplinen, deren für uns Laien manchmal abenteuerliche Aufspaltung jeder von Ihnen in Wirklichkeit auch miterlebt. Man braucht nur die Kataloge der Lehrstühle und der Institute aufzuschlagen. Ich habe mir den Jahresbericht der Max-Planck-Gesellschaft angeschaut und habe mich gefragt, wer in dem zuerst genannten Institut eine Vorstellung von der Arbeit hat, die in dem zuletzt genannten Institut geleistet wird, und umgekehrt.Anscheinend gilt die Erfahrung: Wer sich nicht spezialisiert, verliert den Anschluß an den Standard, den die anderen Spezialisten schon vorgegeben haben. Überall werden Löcher in immer größere Tiefen gebohrt, es wird geforscht und gebohrt, aber die Befunde der Bohrlöcher anderer Disziplinen dringen nicht mehr in das eigene Bewußtsein. Sie können – wenn ich das Bild vom Bohren noch einmal mißbrauchen darf – im eigenen Bewußtsein gar nicht mehr „vertieft“ werden,Es hat in geschichtlicher Vergangenheit einzelne leuchtende Beispiele von Personen gegeben, mit denen die mögliche Einheit von wissenschaftlicher Spitzenleistung und Universalität erreicht worden ist. Man mag einwenden, daß das in der Gegenwart von der Kompliziertheit der Sache her gar nicht mehr möglich sei. Ich will dagegenhalten und sagen: Von der Verantwortung, von der gesellschaftlichen Moral eines Wissenschaftlers her bleibt die Anstrengung zum umgreifenden Überblick unausweichlich geboten!Ich will das Wort von der Bringschuld wiederaufnehmen und – unter dem Gesichtspunkt dieser Verantwortung gegenüber der Gesellschaft – etwas erweitern: Ich möchte an die Forscher und Wissenschaftler appellieren, sich der Anstrengung zum ordnenden Überblick nicht zu entziehen. Das heißt dann vielleicht in einer Vorstufe: sich auch der Anstrengung um einen einordnenden Überblick des eigenen Feldes zum Zweck einer geistigen Ordnung insgesamt nicht zu entziehen.

6) Analysiere Helmut Schmidts Rede. Erarbeite die zentralen Aussagen Schmidts.

7) Vergleiche Schmidts Position mit den Aussagen Brechts.

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Das Epische Theater – Brecht und Piscator  

Erwin Piscator

Verlagseinband des Erstdruckes von Brechts "Dreigroschenoper" von 1928

Das Epische Theater wurde in den 1920er Jahren von Bertold Brecht und Erwin Piscator entwickelt. "Episch" bedeutend "erzählend". Die auf der Bühne dargestellte Realität sollte durch erzählende Elemente gebrochen werden, bisweilen tritt sogar direkt ein Erzähler auf. Der Zuschauer soll sich nicht in die dargestellten Personen hineinfühlen, sondern soll sie kritisch und distanziert betrachten: Abstand statt Mitgefühl. Damit brach man vollkommen mit der Tradition des Theaters.

VerfremdungDas Geschehen auf der Bühne wurde mit erzählenden Formen verbunden, die die Vortäuschung einer Realität brechen sollten. Man nennt diese darum auch Verfremdungseffekte oder kurz V-Effekte. Das waren zum Beispiel:

Ansprache des Publikums durch die Schauspieler Musikeinlagen durch Chöre oder Lieder die Einblendung von Texten, Filmen oder Bildern (z. B. Plakate oder

Spruchbänder) eine karge Bühne, keine Requisiten, keine aufwendigen Kostüme das Sprechen in Versen Schauspieler, die nicht zur Rolle passen, z. B. wenn ein junger Schauspieler

eine alte Figur darstellt sehr helle Beleuchtung mit sichtbaren Scheinwerfern Umbau der Bühne bei offenem Vorhang

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Der Aufbau der StückeAuch der traditionelle und strenge Aufbau in fünf Akte mit einem Höhepunkt im dritten Akt wurde abgeschafft. Stattdessen stehen die einzelnen Szenen im Epischen Theater für sich. Einzelne Episoden reihen sich aneinander. Oft ist auch der Schluss offen gehalten.Das ZielStatt einzelner Schicksale sollten im Epischen Theater große gesellschaftliche Konflikte dargestellt werden. Der Zuschauer sollte dazu bewegt werden, etwas auch in der Wirklichkeit zu verändern. Aus der kritischen Betrachtung heraus soll er Erkenntnisse ziehen und umsetzen. Das Theater wird so zu einem politischen Theater. Das Epische Theater will insbesondere gegen Ausbeutung und Krieg wirken, es ist marxistisch und sozialistisch orientiert.

StückeDie Stücke von Bert Brecht gelten als typischste Vertreter des Epischen Theaters. Die Theorie zum Epischen Theater entstand erst 1930, doch auch das frühe Stück "Baal" von 1918 trägt schon einige seiner Merkmale. Dazu gehören die ins Stück eingestreuten Songs und Gedichte oder das offene Ende.Einer der größten Theatererfolge der Weimarer Republik wurde Brechts "Dreigroschenoper", die 1928 in Berlin uraufgeführt wurde. Als typischstes Beispiel des

Epischen Theaters gilt "Mutter Courage", das jedoch erst 1941 in Zürich zum ersten Mal auf die Bühne kam.

Personenkonstellation als soziales KräfteverhältnisRepräsentanten der neuen Zeit

Repräsentanten der alten Zeit

GalileoAndreaSagredoFederzoniVanni(Bürger und Kaufleute)--> Interesse an Entwicklung

Kleiner MönchClaviusBarberini

LudovicoVirginiaTheologen(Adel, Kirchenvertreter, Großgrundbesitzer)

--> Interesse am Weiterbestehen der Verhältnisse

Verknüpfung von astronomischem Weltbild und Gesellschaft/Menschenbildastronomisches Weltbild

Gesellschaftsbeschreibung und Menschenbild

Konsequenzen für die Gesellschaftsstruktur

geozentrisch Mensch im Mittelpunkt

Minderwertiges dient höherwertigem

Auge Gottes ruht auf den Menschen

Stabilisierung Machterhalt der

Kirche und Elend des Volkes

heliozentrisch Mensch am Rand Papst und Kirche

kein bedeutender Mittelpunkt

Entwicklung/Revolution

Angst der Mächtigen Hoffnung/Befreiung

des Volkes

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7. Bild - Struktur und FunktionTextabschnitt FunktionAuftritt Galileis und Gespräch mit Schachspielern

Verweis auf die neuen Denkweisen

Zitatenduell Ebenbürtigkeit Gs, Argumentation innerhalb der Bibelaussagen

Diskussion über die Rolle der Kirche Demaskierung der kirchlichen Bibelinterpretation als Ideologie

Beschluss des Heiligen Offiziums kirchliche MachtdemonstrationOhnmacht Gs

Auftritt des Inquisitors Personifizierung der kirchlichen Macht

Vergleich kleiner Mönch - GalileiKleiner Mönch Galilei

Argumentation:Verhältnis zu Campagnabauern

fühlt sich ihnen verpflichtet, ist um ihr Wohl besorgt

persönliche Nähe über familiäre Beziehung

fühlt sich ihnen verpflichtet, ist um ihr Wohl besorgt

distanzierte Betrachtungsweise

abgeleitetes allgemeines Verhalten den Bauern gegenüber

nicht ihres Lebenssinns berauben = Elend weiterhin sinnhaft erscheinen lassen

ihre elende Situation verbessern

konkrete für richtig gehaltenen Einzelmaßnahmen

Bedeutung ihrer gottgegebenen ,,Rolle" betonen

bestehende Ordnung durch Dekret stabilisieren

Ausbeutung durch Kirche verhindern

Ordnung destabilisieren

technischen Fortschritt fördern (Wasserpumpe)

angestrebter Endzustand der Bauern

Sinnhaftigkeit, Geborgenheit, ,,Seelenfrieden", Hoffnung auf Jenseits

Glück, Wohlstand, Autonomie (religiöse Dimension ausgeblendet)

Personencharakterisierung:persönliches Verhalten Annerkennung des

Dekrets offizielle Absage

an Autonomie, aber weiterforschen

Absage des Dekrets

Verbreitung seiner Lehre

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Brechts Wertung hin und her gerissene, nicht konsequente Persönlichkeit

gibt ,,falsches Bewusstsein" auf, nachdem es von G entlarvt wurde

Beispiel für Glaubhaftigkeit und Wahrhaftigkeit

Fazit: Beziehungsverhältnis wandelt sich stark (Distanz->Nähe); Gesprächssituation hat großen Einfluss auf Dialog (V=kirch. Aufsicht); Unterschiedliches Wissenschaftsverständnis (A: Zweck heiligt Mittel; G: geselschaftlcihe Verantwortung der Wissenschaft)

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Dialoganalyse Bild 14: Andrea - GalileiGesprächsinhalte Andreas

Grundhaltung/Interessen

Andrea: Sprechakte/Sprechanteile

Beziehung Andrea-Galilei

Galilei: Sprechakte/Sprechanteile

Galilei: Grundhaltung/Interessen

Gs Befinden -Distanz-Fabrizius' Auftrag erfüllen-kein persönliches Mitteilungsbedürfnis

-erkundigt sich kühl-ignoriert Gs Aufforderung, von seiner Arbeit zu erzählen

-erste Begegnung seit Jahren-Versuche Kontaktaufnahme G, Abwiegelung durch A

- direkte Ansprache- duzt ihn- gibt sein Vorwissen kund- weist auf kirchliche Aufsicht hin, beschönigt sie als ,,Aufmerksamkeit"

- Versuch, vertrauliche, unkontrollierte Gesprächssituation zu schaffen- persönliches Interesse an Andrea- Vorspiegelung falscher Tatsachen in Bezug auf Rolle der Kirche

Folgen des Widerrufs für G, Wissenschaft, Andrea

- macht seine Missbilligung des Widerrufs deutlich

- informiert über verheerendes Ausmaß der Konsequenzen bzgl. wissenschaftl. Größen und pers. Vertrauter- weist auf entstandene Probleme für Forschung hin

- A weiterhin abweisend- G am Besucher und seinen Informationen interessiert

- fragt nach- spricht ,,verschleiert"informiert über sein persönliches Befinden- schickt V unter Vorwand weg

- erneuter Versuch, Gespräch ohne Mithörer (V und Mönch) zu führen

Discorsi - Interesse an der ,,Sache"-Hochschätzung Gs wissenschaftl. Arbeit-Kirchenkritik-pers. Betroffenheit-Aufgabe der Distanz

- äußert Unglaube (,,hier?") und Betroffenheit- stöhnt, kommentiert, folgt der indirekten Aufforderung- bewundert das Werk

-weitgehend sachorientierter Austausch über Enstehungsbedin-gungen der Discorsi-komplementäre Beziehung, G dominant, spielt ,,Trümpfe" aus-offenes Gespräch ohne Mithörer

-lässt A ,,zappeln"- gibt Info nur schrittweise bekannt-begründet Schreiben mit Gewohnheit, Eitelkeit und Langeweile-fordert A nur indirekt auf, Discorsi außer Landes zu bringen

-Bekenntnis zu seiner Arbeit-will Kirche korrupt erscheinen lassen-wälzt Verantwortung ab

Bewertung des Widerrufs

-Hochschätzung Gs in Bezug auf Wissenschaft & Ethik-Entwicklung einer Ethik: Zweck heiligt Mittel

-gesteht pers. Schuld, G verkannt zu haben-relativiert Widerruf-entwickelt Theorie über Gründe für Widerruf, spekuliert, verklärt-erklärt G zum Sieger-rechtfertigt Widerruf erneut-Redeschwall, höherer Gesprächsanteil

-Lehrer-Schüler-Verhältnis: G fragt nach, gibt Impulse, A entwickelt Gedankengang, G maßgeblich dominanter Gesprächspartner

-reflektiert sein Verhältnis zur Wissenschaft und Wahrheit in Vergangenheit-fragt nach, verfolgt gedankliche Hypothesewidersprichtoffenbart seine wahren Gründemehr Zuhörer und Gesprächsleiter als Gesprächspartner

-hinterfragt As Ethik

Aufgabe von Wissenschaft/Wiss. um ihrer selbst willen

-Ratlosigkeit, Unsicherheit, persönliche Betroffenheit-Akzeptanz, Nähe zu G (wendet sich ihm zu und bietet Hand an)

- hört zu-aufmerksamer Zuhörer-gibt pers. Wertung zu Gs Selbstreflexion abbringt seine Wertschätzung zum Ausdruck

-G dominant-echter Austausch-altes vertrautes Lehrer-Schüler-Verhältnis wieder hergestellt

-widerspricht A-belehrt ihn-begründet sein Wissenschaftsverständnis-klagt sich selbst an-spekuliert über Folgen, wenn er nicht widerrufen hätte-beurteilt die damalige Situation und sein Verhalten

-vertritt gesellschaftlich zu verantwortende Ethik, nicht Wiss. um ihrer selbst Willen-gibt Lebensweisheit weiter-gefestigter, in sich ruhender Mann

Ist das epische Theater etwa eine "moralische Anstalt"?

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Nach Friedrich Schiller soll das Theater eine moralische Anstalt sein. Als Schiller diese Forderung aufstellte, kam es ihm kaum in den Sinn, daß er dadurch, daß er von der Bühne herab moralisierte, das Publikumaus dem Theater treiben könnte. Zu seiner Zeit hatte das Publikum nichts gegen das Moralisieren einzuwenden. Erst später beschimpfte ihn Friedrich Nietzsche als den Moraltrompeter von Säckingen. Nietzsche schien die Beschäftigung mit Moral eine trübselige Angelegenheit, Schiller erblickte darin eine durchaus vergnügliche. Er kannte nichts, was amüsanter und befriedigender sein konnte, als Ideale zu propagieren. Das Bürgertum ging daran, die Ideen der Nation zu konstituieren. Sein Haus einrichten, seinen eigenen Hut loben, seine Rechnungen präsentieren ist etwas sehr Vergnügliches. Dagegen ist vom Verfall seines Hauses reden, seinen alten Hut verkaufen müssen, seine Rechnungen bezahlen wirklich eine trübselige Angelegenheit, und so sah Friedrich Nietzsche ein Jahrhundert später die Sache. Er war schlecht zu sprechen auf Moral und also auch auf den ersten Friedrich. Auch gegen das epische Theater wandten sich viele mit der Behauptung, es sei zu moralisch. Dabei traten beim epischen Theater moralische Erörterungen erst an zweiter Stelle auf. Es wollte weniger moralisieren als studieren. Allerdings, es wurde studiert, und dann kam das dicke Ende nach: die Moral von der Geschichte. Wir können natürlich nicht behaupten, wir hätten uns aus lauter Lust zu studieren und ohne anderen, handgreiflicheren Anlaß ans Studium gemacht und seien dann durch die Resultate unseres Studiums völlig überrascht worden. Es gab da zweifellos einige schmerzliche Unstimmigkeiten in unserer Umwelt, schwer ertragbare Zustände, und zwar Zustände, die nicht nur aus moralischen Bedenken heraus schwer zu ertragen waren. Hunger, Kälte und Bedrückung erträgt man nicht nur aus moralischen Bedenken heraus schwer. Auch der Zweck unserer Untersuchungen war nicht lediglich, moralische Bedenken gegen gewisse Zustände zu erregen (wenngleich solche Bedenken sich leicht einstellen konnten, wenn auch nicht bei allen Zuhörern — solche Bedenken stellten sich zum Beispiel bei denjenigen Zuhörern selten ein, die von den betreffenden Zuständen profitierten!), Zweck unserer Untersuchungen war es, Mittel ausfindig zu machen, welche die betreffenden schwer ertragbaren Zustände beseitigen konnten. Wir sprachen nämlich nicht im Namen der Moral, sondern im Namen der Geschädigten. Das sind wirklich zweierlei Dinge, denn oft wird gerade mit moralischen Hinweisen den Geschädigten gesagt, sie müßten sich mit ihrer Lage abfinden. Die Menschen sind für solche Moralisten für die Moral da, nicht die Moral für die Menschen. Immerhin wird man aus dem Gesagten entnehmen können, wie weit und in welchem Sinn das epische Theater eine moralische Anstalt ist.

1) Analysiere die Position, die Brecht zu Schillers Ausführungen einnimmt.

2) Inwiefern differieren Schillers und Brechts Vorstellungen von ,,Moral"?

3) Worin liegt nach Brecht die Hauptaufgabe des ,,epischen Theaters"?