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Das kalte Feuer

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Nr. 369

Das kalte Feuer

Auf dem Weg nach Gynsaal

von Horst Hoffmann

Pthor, der Kontinent des Schreckens, hat sich auf Loors, dem Planeten der Bran­geln, lange genug aufgehalten, um es Atlan zu ermöglichen, Spercos, des Tyrannen der Galaxis Wolcion, Gewaltherrschaft ein jähes Ende zu setzen und den unterdrück­ten Völkern die verlorene Freiheit wiederzugeben.

Inzwischen ist Pthor zu neuem Flug durch den Kosmos gestartet. Eingeleitet wurde der Start durch den »Ruf des Wächters«, der fast alle Lebewesen auf Pthor in tiefen Schlaf versinken ließ, und durch das Erscheinen des »Schwarzen Kontrolleurs«.

Um zu verhindern, daß Pthor wieder der Kontrolle der mysteriösen Beherrscher der Schwarzen Galaxis anheimfällt, macht sich Atlan, der dank dem Goldenen Vlies nicht in Tiefschlaf verfallen ist, auf den Weg zur »Seele« von Pthor. Doch es gelingt Atlan nicht, auf die Steuerung Einfluß zu nehmen. Statt dessen wird der Arkonide auf die »Dimensionsschleppe«, den Ableger Pthors, verschlagen, der eine kleine Welt für sich bildet.

Dort hat der Arkonide inmitten von Eis und Schnee und unter den Clanocs, den Ausgestoßenen von Pthor, bereits eine Reihe von gefährlichen Abenteuern bestan­den. Gegenwärtig ist Atlan zusammen mit Dorstellarain, seinem neuen Gefährten, auf dem Weg nach Gynsaal, denn nur von dort aus kann er hoffen, nach Pthor zu­rückzukehren.

Auf seinem Weg trifft der Arkonide Pama, die Para-Pyromanin. Sie beherrscht DAS KALTE FEUER …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Dorstellarain - Der Arkonide und der Clanoc auf dem Weg nach Gynsaal.Grizzard - Ein Fremder in Kennons Körper.Pama - Eine junge Para-Pyromanin.Welk und Pforeilt - Diener der Herren von Gynsaal.Wommser - Der Symbiont geht eine neue Verbindung ein.

1. WOMMSER: BEGEGNUNG AUF PTHOR

Stark vereinfacht ausgedrückt, bestand Wommser je zur Hälfte aus Normal- und Antimaterie. Zumindest waren dies die bei­den Komponenten, aus denen er hervorge­gangen war.

Wommser existierte als energetisches Ge­bilde irgendwo zwischen den Existenzebe­nen, geschützt durch eine ihn umgebende Sphäre, sein Dimensionsnest. Diese Sphäre sorgte dafür, daß er nicht aus dem kompli­zierten Gleichgewicht gebracht werden konnte, in dem sich die beiden gegensätzli­chen Komponenten seines Organismus be­fanden und schützte ihn gleichzeitig vor Energieverlusten.

Im Dimensionsnest konnte Wommser sich wieder »aufladen« und seinen Energiehaus­halt in ein neues stabiles Gleichgewicht bringen, wenn er von einem seiner Ausflüge zu seinem Elter Kolphyr zurückkehrte.

Inzwischen wußte Wommser, daß er einen mehr oder weniger regelmäßigen Kon­takt mit Kolphyr brauchte, um leben zu kön­nen.

Niemand konnte sagen, welchem Um­stand Wommsers Existenz zu verdanken war. Streng betrachtet, durfte es ein Wesen wie ihn überhaupt nicht geben. Möglicher­weise war Kolphyrs Velst-Schleier der Grund dafür, daß es nach der Samenablage des parasitären Vogelwesens auf dem Fluß Xamyhr unter Kolphyrs neutralisierender »Haut« zur Zellwucherung gekommen war.

Wommser wußte es nicht, und er kam nicht dazu, über seine Existenz nachzuden­ken.

Die Schattenballungen in den Dimensi­

onskorridoren, in die Wommser hineinge­trieben war, zehrten an seinem Nest. Bald würden sie alle Energien der Sphäre in sich aufgenommen haben.

Dann war Kolphyrs Symbiont ihnen eben­so schutzlos ausgeliefert wie alles, das in ih­re Netze geriet. Sie lauerten an vielen Stel­len. Es war nicht auszuschließen, daß auch Pthor auf seiner Reise in sie hineingeraten würde.

Dies war ein Grund dafür, daß Wommser den Elter aufsuchen mußte. Der zweite und weitaus wichtigere war der, daß Wommser einen erneuten Kontakt brauchte, um weiter existieren zu können. Auf eine unbegreifli­che Art und Weise war er an Kolphyr ge­bunden und auf ihn angewiesen. Wommser hatte dies selbst erst vor kurzem erkannt, nachdem eine weitere »Hilfeleistung« für den Elter und seine Freunde nicht mehr un­bedingt nötig gewesen war und Wommser sich zurückgezogen hatte, um verlorene Kräfte zurückzugewinnen.

Doch auch das war nun nicht mehr mög­lich. Der Zeitpunkt, an dem die Sphäre sich unter dem Würgegriff der Schattenballungen auflösen würde, stand unmittelbar bevor.

Es gab nur eine Rettung für den Dimensi­onssymbionten: Kolphyr.

Er war aber nicht mehr in der Lage, Kol­phyrs psionische Impulse, die ihm bisher als Bezugspunkt gedient hatten, zu empfangen. Dies lag entweder an Wommser selbst oder an Kolphyr, dem Elter und Bezugspartner.

Die Schattenballungen griffen ungestümer denn je an. Wommser mußte versuchen, Kolphyr trotz allem zu finden.

Er sog die verbliebene Energie aus der Sphäre und staute sie in sich auf. Dann gab er sie schlagartig frei. Die Schattenballungen schlugen hinter ihm zusammen, als er sich

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auflöste, um im gleichen Augenblick über Pthor zu rematerialisieren.

Die Erleichterung darüber, daß er die Welt seiner Geburt erreicht hatte, wich dem Entsetzen, als er auch hier keine Impulse des Bezugspartners auffangen konnte.

Und nicht nur das. Ganz Pthor schien tot zu sein.

Da der von Kolphyr ausgehende Leitim­puls nicht mehr existierte, war das Wesen an jenem Ort materialisiert, wo das letzte Zu­sammentreffen mit dem Elter stattgefunden hatte, in der Senke der verlorenen Seelen.

Wommser war von einem Feld umgeben, das ihn von der Umgebung vollkommen ab­schloß, so daß es nicht zum todbringenden Energieaustausch kommen konnte. Einem Beobachter wäre er als halbtransparente, vo­gelähnliche Gestalt von etwa einem Meter Größe erschienen, die knapp über dem Bo­den schwebte.

Doch es gab niemanden, der ihn hätte se­hen können.

Wommser begann zu ahnen, daß das Aus­maß dessen, was sich auf Pthor ereignet hat­te, seine schlimmsten Befürchtungen bei weitem übertraf.

Wenige hundert Meter entfernt stand ein riesiges Zelt, vor dessen Eingang mehrere große, schlanke Gestalten wie tot auf der Er­de lagen.

Vorsichtig schwebte das Wesen auf den Eingang zu, wissend, daß jede Bewegung wertvolle Energie kostete. Energie, die ihm vielleicht fehlen würde, um zu Kolphyr zu gelangen, wo er sich wieder »aufladen« konnte. Nur dann war er in der Lage, ein neues Dimensionsnest zu schaffen, in dem er sicher vor dem Zugriff der Schattenbal­lungen war.

Wommser schwebte ins Zelt. Was er sah, ließ den letzten Rest Hoffnung schwinden.

Tausende von verschiedenartigen Lebe­wesen in einem todesähnlichen Zustand. Sie lebten, aber ihre Lebensfunktionen waren auf ein Minimum reduziert worden.

Wommser ahnte nicht, daß er es nur dem Neutralisationsfeld zu verdanken hatte, daß

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er nicht ebenfalls sofort nach der Materiali­sation von der Lähmung befallen wurde.

Kein Zeichen von Leben – kein Signal, das ihn zum Bezugspartner führen konnte.

Einen Augenblick dachte Wommser, Pthor könnte ebenfalls in die Netze der Schattenballungen getrieben worden sein. Doch dann hätte er diese spüren müssen. Die Möglichkeit schied aus.

Was war dann geschehen? Unheimliche Stille lastete über dem Land.

Wommser bezweifelte nicht, daß es überall auf Pthor ähnlich aussah.

Und doch war es schwer vorstellbar, daß es in diesem gigantischen Schmelztiegel un­terschiedlichster Lebensformen niemanden geben sollte, der immun gegen die Lähmung war.

Wommser schwebte aus dem Zelt. Wieder lauschte er, und wieder wurde er enttäuscht.

Ohne die Leitimpulse würde er Kolphyr nicht finden können. Und ohne Kolphyr war er zu schnellem Tod verurteilt. Schon jetzt ließen seine Kräfte schnell nach. Die Kon­zentrationsfähigkeit schwand. Lange würde er das Neutralisationsfeld nicht mehr auf­rechterhalten können. Die Folgen könnten nicht nur für ihn, sondern für ganz Pthor verheerend sein.

Unbändige Trauer erfüllte das sensible Wesen. Es war viel zu schwach, um sich noch einmal kontrolliert in den Raum zwi­schen den Existenzebenen zu katapultieren.

Verzweifelt suchte der Dimensionssymbi­ont nach einem Ausweg. Er schwebte über einem der Gelähmten und gab vorsichtig und genau dosiert energetische Ströme ab, versuchte ihn auf die gleiche Weise zu be­einflussen, wie es ihm schon vorher bei den Wesen auf der Welt Loors gelungen war, die sich »Brangeln« nannten.

Doch selbst der direkte Eingriff ins Wil­lenszentrum vermochte die Gelähmten nicht aus ihrer Starre zu reißen.

Wommser empfand schreckliche Angst. Er fühlte, wie seine Gedanken außer Kon­trolle zu geraten drohten. Jeden Augenblick konnte das Feld, nicht mehr als ein dünnes

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neutralisierendes Häutchen, das die gegen­sätzlichen Energien umschloß, sich auflösen.

Wommser schrie nach Kolphyr. Sein psionischer Ruf überzog Atlantis und ver­hallte ungehört jenseits des Wölbmantels.

Kolphyr antwortete nicht. Der Elter war von der gleichen Starre be­

fallen wie alle anderen Wesen auf Pthor – ir­gendwo in den Weiten dieses rätselhaften Kontinents. Hilflos und einer Macht ausge­setzt, die anscheinend alles Leben auf Pthor unter ihre Kontrolle gebracht hatte.

Unter normalen Umständen hätte Womm­ser von seinem Dimensionsnest aus die Vor­gänge, die zur Katastrophe geführt hatten, beobachten und möglicherweise rettend ein­greifen können. Doch der Kampf gegen die Schattenballungen hatte all seine Aufmerk­samkeit gefordert. Auch hierbei hatte er sich verausgabt. Wommser war in der Lage, einen künstlichen Energiestau herbeizufüh­ren und Normal- wie Antimaterie schlagar­tig und gebündelt auf ein Ziel hin abzusto­ßen, wo sie aufeinandertrafen und reagier­ten. Doch auch das hatte die Dunkelelemen­te nicht aufhalten können.

Wommser sah nur noch eine Möglichkeit, eine Katastrophe unabsehbaren Ausmaßes von Pthor und seinen Bewohnern abzuwen­den.

Er schwebte vom Zelt fort und stellte jede Energieabgabe nach außen ein. Zum letzten Mal sammelte er die ihm verbliebenen Kräf­te und staute die Energien, die sich aus dem gegenseitigen Wirken der beiden materiellen Zustandsformen entwickelten, um sich ins Unbekannte zu katapultieren. Er würde ent­materialisieren und wahrscheinlich irgend-wo am Rand der Dimensionskorridore als sich verflüchtigende Energiewolke erschei­nen. Hiervon würde er nichts mehr bewußt wahrnehmen.

Seltsamerweise dachte Wommser gerade in diesen Augenblicken vor dem Tod daran, daß er eigentlich niemals eine richtige Hei­mat gehabt hatte, kein Wesen, das ihm glich. Er liebte Kolphyr wie ein Kind seine Mutter oder den Vater, doch beide trennten Welten.

Noch einmal spürte der Dimensionssym­biont tiefe Trauer. Es gab niemanden, zu dem er wirklich gehörte. Was also hielt ihn, jetzt wo auch Kolphyr schwieg, noch am Le­ben?

Die erforderlichen Energien hatten sich aufgebaut. Wommser ließ seine für einen Menschen unbegreiflichen Sinne noch ein­mal über die Senke schweifen, dann konzen­trierte er sich auf die Entmaterialisierung.

Genau das war der Augenblick, in dem er den Impuls empfing.

Seine jäh aufbrausende Hoffnung wurde zerstört, als er erkennen mußte, daß er nicht von Kolphyr ausging. Aber es gab noch ein anderes Wesen, das lebte und nicht von der Lähmung befallen zu sein schien. Auf Wommser wirkte der Impuls, der sich all­mählich in seiner Intensität steigerte, wie ein Licht im endlosen Dunkel des Todes.

Und es war artverwandtes Leben, das ihn aussandte!

Wommser wurde von seinen plötzlich aufbrausenden Gefühlen übermannt. Die Eu­phorie war stärker als alles rationale Den­ken. Er spürte, daß das artverwandte Wesen in der Lage war, ihm das zu geben, was er am dringendsten benötigte: Energie, um das Neutralisationsfeld aufrechterhalten zu kön­nen.

Er entmaterialisierte, ohne sich dessen wirklich bewußt zu sein. Alle aufgestaute Energie wurde mit einem Mal frei. Womm­ser befand sich in einem Rauschzustand. Es kam ihm gar nicht zu Bewußtsein, daß die auf die Impulsquelle gerichteten Energien diese mit größter Wahrscheinlichkeit um­bringen würden.

Die flimmernde, vogelähnliche Erschei­nung neben dem von Dellos errichteten Zelt löste sich auf.

Im gleichen Augenblick bäumte sich eine junge, unbekleidete Frau am Rand einer Mulde, nicht weit von der Senke der verlore­nen Seelen entfernt, wie unter furchtbaren Qualen auf. Violettes Licht umspielte für Sekunden ihren schlanken, kupferfarbenen Körper. Die langen, bis zu den Ellbogen rei­

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chenden Haare schienen aufzuglühen. Ihr Mund öffnete sich, doch kein Laut kam dar­aus hervor. Die weit aufgerissenen Augen versprühten Blitze. Lichtspeere schossen in alle Richtungen. Was von ihnen erfaßt wur­de, explodierte in phantastischen Leuchter­scheinungen.

Dann verschwand das Licht. Die Frau starrte einen Augenblick ins

Leere, dann gaben ihre Beine nach. Sie schrie in Panik, weil sie nicht wußte,

was in diesen Augenblicken mit ihr geschah. Vielleicht mußte sie sterben. Dies wäre un­ter anderen Umständen nichts gewesen, was sie fürchtete.

Doch sie wartete vergeblich auf den Ruf der Höheren Welten. Mit dem Ruf zu ster­ben, wäre der Beginn eines neuen Lebens für sie gewesen. Schweigen. Dunkel. Und dann trieb ihr Bewußtsein ins Nichts.

2. ATLAN: DIE ZARMACK-BLASEN

Atlan sah seinen Begleiter fragend an. Dorstellarain nickte. Er fühlte sich kräftig genug, um den Weg fortzusetzen.

Der eisige Wind blies den beiden Män­nern ins Gesicht. Atlan war durch den An­zug der Vernichtung vor der Kälte ge­schützt, Dorstellarain durch die dicke Pelz­bekleidung.

Schweigend schritten sie in die Eisland­schaft hinein. Irgendwo vor ihnen mußte sich das mysteriöse Gynsaal befinden. Die Schaltzentrale der Dimensionsschleppe war Atlans einzige Hoffnung auf eine Rückkehr nach Pthor und eine Beeinflussung der Ver­hältnisse auf dem Dimensionsfahrstuhl.

Während Dorstellarain in einer Schnee­höhle ein paar Stunden geschlafen hatte, hat­te der Arkonide Zeit gefunden, um über ihre Lage nachzudenken.

Vieles, was er in den letzten Tagen erlebt hatte, erinnerte ihn an die ersten Abenteuer auf Pthor, als er mit Razamon das urplötz­lich aufgetauchte Neue Atlantis durchstreifte und zunächst vergeblich versuchte, einen

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Sinn in das Durcheinander zusammengewür­felt erscheinender Rassen und Kulturen zu bringen, die niemals von selbst in derart kleinen Gebieten und in unmittelbarer Nach­barschaft anderer, oft völlig anders gearteter Völker entstanden sein konnten.

Natürlich bildeten hier die Clanocs eine Ausnahme. Sie waren von Pthor aus hierher verschleppt worden, weil sie für die ehema­ligen Herrscher zu einer Gefahr geworden waren. Doch das merkwürdige Insektenvolk der Xacoren – bildete es einen Sonderfall, oder gab es in der Dimensionsschleppe wei­tere Rassen, die man irgendwann einmal hier angesiedelt hatte?

Nicht einmal Dorstellarain kannte die Ausdehnung der Dimensionsschleppe, die Pthor in einen n-dimensionalen Kontinuum auf seiner Reise begleitete und einen Kor­rekturfaktor bildete, falls auf Pthor unvor­hergesehene Ereignisse eintraten, die den Dimensionsfahrstuhl daran hinderten, den Zweck zu erfüllen, zu dem er vor länger Zeit auf die Reise geschickt wurde.

Solche Ereignisse waren eingetreten. Die Herren der FESTUNG lebten nicht mehr.

Von der Dimensionsschleppe aus wurde nun versucht, Pthor auf direktem Weg in die Schwarze Galaxis zu steuern, wo die neuen Herrscher jener Macht hilflos ausgeliefert sein würden, die Atlantis als ihr Werkzeug benutzte.

Dies galt es unter allen Umständen zu verhindern. Deshalb waren Atlan und Dor­stellarain auf dem Weg nach Gynsaal, wo al­le Fäden zusammenliefen. Außerdem konn­ten vermutlich von Gynsaal aus die VONTHARA-Anlagen abgeschaltet werden, und Atlan mußte das von den Robotern ge­raubte Steuerelement finden, ohne das La'Mghor Atlantis nicht wieder auf einen stabilen Kurs bringen konnte.

Der Scout Wezzley hatte den beiden Män­nern den Weg gewiesen, von dem er an­nahm, daß er nach diesem mysteriösen Ort Gynsaal führte. Atlan hoffte, daß Wezzley sein Volk wohlbehalten erreicht hatte und dafür sorgen konnte, daß es die neugewon­

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nene Freiheit nutzbringend anwendete und diese so lange wie möglich behalten konnte. Denn der Arkonide zweifelte nicht daran, daß man in Gynsaal auf die Vorgänge in Po­ro-Gheloos aufmerksam geworden war. Die synthetische Königin diente mit ziemlicher Sicherheit einem ganz bestimmten Zweck, der über eine Begrenzung des Nachwuchses hinausging.

Möglicherweise war durch ihre Ausschal­tung bereits ein Ungleichgewicht im Gefüge der Dimensionsschleppe entstanden.

Immer wieder blickte Atlan in das ewige Grau des Himmels, das nur manchmal auf­brach und diffuses Licht durchließ. Der Ne­bel war so dicht, daß man kaum hundert Me­ter weit sehen konnte.

Mußten er und Dorstellarain nicht damit rechnen, daß man jeden ihrer Schritte beob­achtete? Es lag nahe, anzunehmen, daß es auch hier Überwachungsanlagen ähnlich dem Wachen Auge auf Pthor gab.

»Du denkst zuviel nach«, brummte Dor­stellarain. »Versuche lieber nicht, dir Gyn­saal vorzustellen. Du wirst auf jeden Fall et­was anderes sehen und durch deine Vorstel­lungen behindert sein, wenn es gilt, sich auf die Realitäten einzustellen. Verdammt, ich muß verrückt gewesen sein, dir zu folgen. Ich hätte mich in der Nähe unseres Schlos­ses verstecken sollen, dann wäre es mir bald gelungen, die Verräter zu überwältigen und wieder Anführer der Clanocs zu werden.«

»Niemand hält dich«, sagte Atlan kühl. Die Stiefel der Männer versanken knir­schend im harschen Schnee. Der Fußmarsch kostete Kraft. Atlan hatte seinen Zellaktiva­tor, der ihm laufend neue Energien lieferte, doch Dorstellarain würde schon bald wieder eine Ruhepause benötigen. Dorstellarain war ein Hüne, weit über zwei Meter groß und breit gebaut. Dennoch machten sich die Strapazen zunehmend bemerkbar. Atlan mußte unwillkürlich lächeln, als er sich vor­stellte, daß Feigling, der sich inzwischen als der wahre Odin entpuppt hatte, nun neben ihm gehen würde.

»Und ich weiß nicht, was es da zu grinsen

gibt«, knurrte der Clanoc. »Du Schlitzohr weißt genau, daß ich nicht mehr umkehren kann. Ich habe Hunger.«

Dorstellarain war stehengeblieben und be­gann, mit den Stiefelspitzen im Schnee her­umzustochern.

»Glaubst du, auf diese Weise irgendwel­ches Getier aufstöbern zu können?« fragte der Arkonide sarkastisch.

»Haha«, machte Dorstellarain. »Ich suche nach Schneepilzen.«

Atlan blickte sich um. Nichts als Schnee, Eisblöcke und der Nebel. Waren sie über­haupt noch auf dem richtigen Weg?

Wie weit mochte Gynsaal, das angeblich von einem undurchdringbaren Energie­schirm umgeben war, entfernt sein? Einen Tagesmarsch? Zehn?

Plötzlich stieß der Hüne einen triumphie­renden Laut aus. Als Atlan sich umdrehte, hielt er, ein faustgroßes, knollenförmiges Gewächs in der Hand.

»Schneepilze!« sagte er grinsend. »Ich wußte, daß es sie hier gibt. Komm und hilf mir beim Suchen. Sie schmecken nicht gera­de sehr gut, dafür sind sie um so nahrhaf­ter.«

»Und womöglich giftig«, argwöhnte der Arkonide.

»Mach dich nicht lächerlich. Wer Angst vor ein paar harmlosen Pilzen hat, sollte gar nicht erst daran denken, Gynsaal zu stürmen. Es gibt Schneepilze, nach deren Genuß man kleine Tierchen oder zähnefletschende Un­geheuer sieht. Von diesen scheinst du geges­sen zu haben, sonst kämst du nicht auf den verrückten Gedanken, nach Pthor zurück­kehren zu wollen. Ich habe dir oft genug ge­sagt, daß dies unmöglich ist.«

»Wie ich schon sagte«, versetzte Atlan är­gerlich. »Niemand hält dich.«

»Pah! Ich will mitansehen, wie du dir die Hörner abstößt. Glaube mir. Es wird nicht lange dauern, bis wir beide im Schnee liegen und du mich anflehst, dich ins Schloß zu bringen. Doch dazu ist es zu spät.«

»So wird es wohl sein«, meinte Atlan. Er kniete nun auch im Schnee und wühlte mit

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den Händen darin. Dorstellarain hatte bereits vier Knollen gefunden, als der Arkonide den ersten Pilz fand. Das Gewächs verbreitete einen unangenehmen Geruch.

»Sollen wir sie etwa roh essen?« fragte er den Clanoc.

»Jott-Mutesial würde uns ein köstliches Gericht aus ihnen zaubern.«

»Danke«, sagte Atlan. Nach einer halben Stunde hatten die beiden Männer fast dreißig Pilze gesammelt. Dorstellarain zog die dicke, dunkelblaue Schale ab und verschlang das erste Gewächs. Er verzog das Gesicht. Atlan konnte sehen, wie er schluckte.

Es kostete den Arkoniden einige Über­windung, Dorstellarains Beispiel zu folgen. Die Pilze waren hart und bitter, doch sie sät­tigten.

Der Marsch ging weiter, immer noch in die Richtung, die Wezzley angegeben hatte. Zumindest hoffte Atlan, daß sie sich nicht im Kreis bewegten.

Nachdem der Weg bisher durch ebenes Gelände geführt hatte, tauchten nun wieder Hügel auf. Schweigend suchten sich die bei­den Männer Pfade, um die Erhebungen zu umgehen. Es war fast unmöglich, dabei die Orientierung nicht völlig zu verlieren.

Nach etwa drei Stunden blieb Dorstella­rain stehen. Er schien auf etwas zu lauschen.

»Was ist los?« fragte Atlan ungehalten. »Still! Da ist etwas. Verdammt, das sind

Motoren.« Und nun hörte der Arkonide es auch. Mo­

torengeräusch – und es kam näher. »Dort hinauf!« rief er dem Gefährten zu

und zeigte auf einen Hügel zur rechten. Dor­stellarain überlegte nicht lange. Sie rannten durch den Schnee, rutschten aus und kro­chen auf allen vieren die Erhebung hinauf, bis sie hinter einem Eisblock Deckung fan­den – keinen Augenblick zu früh.

Schwer atmend lagen sie auf dem Bauch und beobachteten, wie sich eine kleine Ko­lonne von Raupenfahrzeugen aus dem Nebel schälte. Atlan zählte fünf Maschinen. Sie fuhren in die Richtung, in die er und Dor­stellarain marschierten.

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Zunächst hatte er den Verdacht, daß es sich um einen Suchtrupp handelte. Doch als die Fahrzeuge nahe genug heran waren, sah er, daß sie schwere Gegenstände transpor­tierten. Hinter den dunklen Scheiben der Fahrerkabinen konnte er nicht erkennen, welche Wesen sie steuerten. Möglicherweise handelte es sich um Robottransporter.

Die Kolonne fuhr zwischen dem Versteck und einem benachbarten Hügel vorbei und verschwand wieder im Nebel.

»Hast du solche Maschinen schon einmal gesehen?« erkundigte Atlan sich bei seinem Begleiter.

Dorstellarain zuckte die mächtigen Schul­tern.

»Noch nie, Atlan. Folgen wir ihnen?« Der Arkonide zeigte nach oben. »Wir gehen über den Hügel. Vielleicht

können wir sie einholen.« Schweigend folgte ihm der Clanoc. Nach

einer Viertelstunde hatten sie die Kuppe er­reicht.

Dorstellarain stieß einen Fluch aus, als er sich neben Atlan in den Schnee warf.

Hier war der Nebel nicht so dicht, so daß sie die Kugeln im Tal einigermaßen gut er­kennen konnten. Die Fahrzeugkolonne hielt mitten zwischen ihnen.

»Es gibt sie also wirklich«, preßte der Clanoc hervor.

»Was, Dorstellarain?« »Die Zarmack-Blasen«, sagte der Hüne so

leise, als ob hinter jeder Verwehung ein ver­borgener Beobachter stecken könnte. »Wenn ich recht habe, sind wir näher an Gynsaal, als ich es für möglich hielt.«

*

»Zarmack-Blasen?« fragte Atlan. »Laß dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen. Was sind das für Kugeln?«

»Es ist nur ein Gerücht. Wenn es aber stimmt, was da berichtet wurde, können die Bewohner von Gynsaal über sie die Vorgän­ge auf Pthor beobachten.«

Atlan begriff sofort, welche ungeheure

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Möglichkeit sich ihm hier bieten konnte. »Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte

Dorstellarain, »aber vergiß es. Die Zarmack-Blasen sind so gut bewacht, daß kein Eis­hüpfer in sie eindringen könnte. Sie sind quasi ein Teil von Gynsaal.«

Der Arkonide hörte gar nicht hin. Wieder tauchten die Bilder Pthors vor seinem geisti­gen Auge auf, gelähmte Wesen, unheimli­ches Schweigen, totes Land, so weit das Au­ge reichte.

Die Odinssöhne, Razamon, Kolphyr sie alle waren unfähig, auch nur das geringste gegen das zu unternehmen, was ihnen und allen Bewohnern des Dimensionsfahrstuhls drohte. Sie ahnten nicht einmal, was mit Pthor vorging.

»Du bist wahnsinnig, Atlan!« zischte Dor­stellarain. »Du weißt nicht, worauf du dich einläßt. Zeige mir einen Gegner, den man mit den Händen packen kann. Ich reiße ihn vor deinen Augen auseinander. Aber dies hier …«, der Clanoc breitete die Arme in ei­ner Geste der Hilflosigkeit aus, »dies ist un­heimlich!«

»Jetzt steigen sie aus«, sagte Atlan, ohne auf das Gezeter des Hünen einzugehen. Er hatte erlebt, wie Dorstellarain kämpfen konnte, und er wußte, daß der Gefährte alles andere als ein Feigling war: Die Angst vor Gynsaal und allem, was damit zusammen­hing, mußte aber viel tiefer in den Bewoh­nern der Dimensionsschleppe verwurzelt sein, als er bisher gedacht hatte.

Große schlanke Männer zwängten sich aus den Fahrerkabinen ins Freie und gingen auf die Kugeln zu. Die Zarmack-Blasen hat­ten einen Durchmesser von etwa dreißig Metern und ruhten in schalenförmigen Ge­bilden. Atlan zählte acht von ihnen. Im Ge­gensatz zu den mattschwarzen Schalen schimmerten die Kugeln in einem satten Rot. Atlan erkannte zahlreiche antennenähn­liche Ausbuchtungen. Die Schalen wieder­um ruhten auf ringsum angeordneten Stüt­zen.

Immer mehr Männer verließen die Fahr­zeuge. Und nun öffneten sich die Luken, zu

denen von den Schalen aus schmale Leitern hinaufführten.

Gruppen von Humanoiden erschienen in den Öffnungen. Auch sie waren vom Hügel aus nur schlecht zuerkennen. Immerhin glaubte Atlan zu sehen, daß sie alle die glei­chen eiförmigen Kopfhelme über dunklen Schutzanzügen trugen. Unterschiede waren nicht auszumachen.

Der Arkonide wurde an Androiden erin­nert. Dellos?

Dorstellarain murmelte Flüche vor sich hin, nachdem er erkennen mußte, daß seine Worte keinen Eindruck auf Atlan machten.

Die aus den Kugeln kommenden Männer stiegen nacheinander die Leitern hinunter und gingen auf die Neuankömmlinge zu. Der Eindruck, daß sich eine Wachablösung vollzog, wurde zur Gewißheit, als die Frem­den sich vor den Fahrzeugen gegenüberstan­den und miteinander zu sprechen schienen. Atlan schloß dies aus ihren Gesten, deren Sinn ihm weitgehend verborgen blieb.

Dann kletterten die bisherigen Besatzun­gen der Zarmack-Blasen in die Maschinen. Aus jeder Kugel waren zwölf dieser schlan­ken Wesen gekommen – insgesamt fast hun­dert. Genauso viele stiegen nun die Leitern zu den Luken hinauf: Erst als diese alle ge­schlossen waren, heulten die Motoren der Raupenfahrzeuge auf. Die Kolonne setzte sich in Bewegung und verschwand hinter den Kugeln im Nebel.

»Glaubst du, daß sie direkt nach Gynsaal fahren?« fragte Atlan den Clanoc, der neben ihm im Schnee lag und Unverständliches murmelte.

»Wohin sonst? Und ich sage dir, wir soll­ten ihnen folgen und die Zarmack-Blasen umgehen. Ich weiß nicht, was uns bevor­steht, wenn wir Gynsaal tatsächlich errei­chen sollten. Doch dies hier ist ein ver­wünschter Ort.«

»Unsinn!« sagte Atlan. »Du sagtest selbst, es sei ein Teil von Gynsaal.«

»Es soll einen Clanoc gegeben haben, der sich verirrt hatte und in die Nähe der Blasen gekommen war. Man hat ihn gefangenge­

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nommen und in eine der Kugeln geschleppt, wenn die Geschichten wahr sind. Er verlor den Verstand und wurde von einem Jäger als hilfloser Idiot im Schnee gefunden.«

Atlan war aufgestanden und machte An­stalten, den Hügel hinabzugehen.

»Du bist verrückt!« schrie Dorstellarain. »Einen solch sturen Kerl wie dich habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gese­hen. Ich sollte dir den Schädel einschlagen, um dich zur Vernunft zu bringen. Man sollte es nicht für möglich halten, wie …«

Dorstellarain fluchte und redete weiter. Er fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, tat so, als wollte er ausholen, um seine Dro­hungen wahrzumachen. Gleichzeitig began­nen seine Beine eine Art Eigenleben zu ent­wickeln. Bevor der Clanoc außer Atem ver­stummte, war er schon neben Atlan den hal­ben Hügel hinuntergestampft.

Der Hüne ergab sich in sein Schicksal. Mit finsterer Miene folgte er dem Arkoni­den. Er ballte vor Wut die Fäuste, als dieser sich kein einziges Mal nach ihm umdrehte und ihn dadurch zusätzlich provozierte.

»Glaube nicht, daß ich deinen Trick nicht durchschaue«, grollte Dorstellarain. »Wir sprechen uns noch!«

Atlan schmunzelte. In Gedanken jedoch war er ununterbrochen bei den Fremden in den Kugeln. Hatten sie ihn und Dorstellarain inzwischen bemerkt, oder waren sie so sehr in ihre Arbeit vertieft, daß sie für alles ande­re keine Augen hatten? Bei dem Respekt, den die Clanocs vor den Blasen hatten, war es denkbar, daß sie sich so sicher fühlten, um die zweifellos vorhandenen Überwa­chungsanlagen zu ignorieren.

Auf welche Weise sollte es möglich sein, die Vorgänge auf Pthor von hier aus zu be­obachten? Gab es außer dem Transmitter in Gynsaal noch weitere Verbindungen zwi­schen den beiden Welten?

Noch deutete nichts auf eine Entdeckung hin. Die beiden Männer hatten das Tal er­reicht. Vor den tief in den Schnee einge­drückten Spuren der Raupenfahrzeuge blie­ben sie stehen. Bald würde das allmählich

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wieder stärker einsetzende Schneegestöber sie verwischt haben.

»Und nun?« zischte Dorstellarain. Er sah sich immer wieder nach allen Seiten um. Vor den hoch in den Himmel ragenden Ku­geln kam er sich verloren vor. »Wir stehen hier wie zwei lebende Zielscheiben. Was nun, Wahnsinniger? Die Luken sind ge­schlossen.«

»Dann müssen wir sie eben öffnen«, flü­sterte Atlan, ohne den Blick von der näch­sten Blase und der Leiter zu nehmen, die von der leicht zu erklimmenden Schale zu ihr hinaufführte.

»Du meinst es wirklich ernst«, sagte der Clanoc ebenso leise.

»Natürlich. Komm, du mußt mir helfen, auf den Rand der Schale zu klettern.« Er zeigte nach oben, wo am unteren Ende der Leiter eine weitere, kleinere befestigt war, über die die Fremden offensichtlich hinab­gestiegen waren. Die Ablösung hatte sie dann wieder hochgezogen, wovon Atlan und Dorstellarain von ihrem Versteck aus nichts hatten sehen können.

Mit mürrischem Gesicht stemmte sich der Clanoc gegen die ihnen am nächsten stehen­de Stütze. Er machte einen Buckel. Atlan kletterte vorsichtig an dem Hünen empor und griff nach der Stütze. Erst als er auf Dorstellarains Schultern stand, erreichte er den Rand der Schale mit den Fingerspitzen.

»Richte dich ein Stück auf, Dorstella­rain!«

Atlan wurde etwa zehn Zentimeter in die Höhe geschoben. Seine insgeheim gehegte Hoffnung, daß die Schale aus relativ dün­nem Material bestand, erfüllte sich. Er konn­te die Finger um die Kante legen und fand Halt. Knapp eine Minute später stand er ne­ben der Leiter. Er bedeutete dem Clanoc, zur Seite zu treten und ließ das kleinere Stufen­gestell zu ihm hinunter.

Kurz darauf stand Dorstellarain neben ihm.

»Ich gehe jetzt hinauf und versuche, das Luk zu öffnen. Du wartest am besten hier und paßt auf, daß uns niemand überrascht.«

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»Seit wann macht dir das etwas aus?« fragte der Hüne voller Sarkasmus.

Atlan winkte ab und stieg auf die Leiter. Noch immer deutete nichts darauf hin, daß man die Eindringlinge entdeckt hatte.

Der Arkonide erreichte eine etwa zwei mal zwei Meter große Plattform in etwa fünfzehn Metern Höhe. Er winkte Dorstella­rain beruhigend zu.

Das Luk hatte die Form eines Ovals und war groß genug, um auch den Clanoc durch­zulassen. Atlan wischte sich den Schnee aus dem Gesicht. Dann suchte er nach irgend­welchen Vorrichtungen, um von außen eine Öffnung zu schaffen. Möglicherweise waren nur die Fremden in der Lage, ohne einen Im­puls von innen in die Kugel zu gelangen. Dann standen die beiden Männer auf verlo­renem Posten.

Erst jetzt kam auch dem Arkoniden so recht zu Bewußtsein, wie grotesk seine Si­tuation war. Er kam sich vor wie ein Nean­dertaler, der mit einem Steinkeil versuchte, in ein modernes Raumschiff einzudringen, während dessen Besatzung sich vor Lachen kaum halten konnte.

Nichts. Atlans Hände strichen vorsichtig über das Material des Luks und der Kugel­hülle. Keine Erhebungen oder Vertiefungen, keine Symbole, die auf einen Öffnungsme­chanismus hindeuteten.

Dorstellarains Gestik verriet, was der Cla­noc von den Bemühungen des Gefährten hielt. Atlan verbiß sich einen Fluch. Wieder strich er sich mit der Hand über die Augen, um den Schnee aus dem Gesicht zu wischen. Er hatte ein taubes Gefühl und schüttelte den Kopf und den Oberkörper, um den Kreislauf anzuregen, eine automatische Reaktion, die natürlich durch die Arbeit des Zellaktivators völlig überflüssig war.

Doch da sah er die rote Stelle im Material der Plattform, wo seine Füße den seit der Wachablösung neugefallenen Schnee weg­gewischt hatten. An einer anderen freien Stelle schimmerte das Material mattblau.

Innerhalb weniger Sekunden hatte er einen roten Kreis von etwa fünfzig Zentime­

tern Durchmesser freigelegt. Etwas unsicher trat er mit beiden Füßen in das derart mar­kierte Feld.

Und das, was er kaum zu hoffen gewagt hatte, geschah.

Lautlos schob sich das Luk zur Seite. At­lan wich instinktiv bis an den Rand der klei­nen Plattform zurück. Seltsam fluoreszieren-des gelbgrünes Licht drang aus dem Kuge­linnern hervor.

Und noch immer war keiner der Fremden zu sehen.

Entweder haben wir unverschämtes Glück, dachte der Arkonide, oder die Bur­schen sind sich ihrer Sache so sicher, daß sie in ihrer Sorglosigkeit schon krankhaft sind.

Falsch! meldete sich der Extrasinn. Hast du die ungeheure Bedeutung vergessen, die dieser Anlage zukommt, falls Dorstellarains Informationen zutreffen? Die Unbekannten müssen sich vollkommen in ihrer Arbeit ver­ausgaben. Dafür spricht auch die Ablösung durch neue Mannschaften. Sie haben euch nicht bemerkt!

»Deinen Optimismus möchte ich haben«, murmelte der Arkonide fast unhörbar. Vor­sichtig trat er vor die Öffnung. Wenn er er­wartet hatte, in eine Art Korridor zu blicken, sah er sich getäuscht.

Wenige Meter vor ihm befand sich der er­ste Fremde. Atlan konnte nur einen Teil von ihm erkennen. Der gesamte Oberkörper be­fand sich in einem röhrenartigen Auswuchs, der aus einem an der Decke befindlichen Wust von Schaltanlagen, Kontrollen und In­strumenten herausragte.

Das Innere der Kugel bestand aus einem einzigen großen Raum mit gewölbter Decke. Möglicherweise befanden sich im unteren Teil der Zarmack-Blase Generatoren und Ähnliches. Weitere der seltsamen Röhren waren kreisförmig um einen gemeinsamen Mittelpunkt hin angeordnet, und in jeder steckte einer der Fremden, soweit Atlan dies von seinem Standort aus erkennen konnte.

Er ging zurück zur Leiter und winkte Dor­stellarain zu. Der Clanoc kletterte zu ihm

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herauf. Er zuckte leicht zusammen, als er di­rekt ins Kugelinnere blickte.

»Sie konnten uns gar nicht bemerken«, flüsterte der Arkonide. »Wahrscheinlich nehmen sie von der Umgebung überhaupt nichts wahr, zumindest nichts von ihrer rea­len Umgebung.«

»Du meinst, daß sie in diesen Röhren be­obachten können, was auf Pthor geschieht?« fragte der Hüne, nachdem er die erste Über­raschung einigermaßen verdaut hatte.

»Wieso nicht? Wenn sie deshalb hier sind, werden sie wohl kaum ihre Zeit mit Videospielen totschlagen.«

»Videospiele?« fragte Dorstellarain. »Vergiß es. Komm, wir sehen uns drinnen

um.« Zögernd folgte der Clanoc, als Atlan den

großen Raum, der allem Anschein nach die Zentrale der Zarmack-Blase war, betrat. Ebenso lautlos, wie es aufgefahren war, schloß sich das Luk hinter ihnen.

Die Situation hatte immer noch etwas Un­wirkliches an sich. Atlan fühlte sich zwi­schen widersprüchlichen Gefühlen hin und her gerissen. Er bewegte sich fast wie selbst­verständlich zwischen den Fremden, in einer Anlage, die für Gynsaal und jene Macht, die die Dimensionsschleppe und somit, Pthor kontrollierte, ungeheuer wertvoll sein muß­te. Einerseits fühlte er sich von einer uner­klärlichen Faszination ergriffen, andererseits mußte er sich sagen, daß die Fremden bei al­lem Arbeitseifer nicht das Risiko eingingen, von Eindringlingen überrascht zu werden. War nicht längst irgendein Sicherheitssy­stem in Kraft getreten?

Waren die Männer in den Röhren in Wirklichkeit nur Statisten, und die wirkli­chen Beobachtungsanlagen befanden sich tiefer in der Kugel?

Atlan und Dorstellarain standen mitten zwischen den Röhren. Die kuppelförmig ge­wölbte Decke bestand nur aus unbekannten Instrumenten, Verstrebungen und kleinen Kugeln, die ständig ihre Position veränder­ten.

Keiner der zwölf Fremden rührte sich.

Horst Hoffmann

Und jetzt erkannte der Arkonide, daß es doch einige Röhren gab, die nicht von ihnen besetzt waren.

Er stieß Dorstellarain in die Rippen und zeigte auf sie. Das Gesicht des Clanocs wirkte im Schein des gelbgrünen Lichtes, das direkt aus den Wänden zu brechen schi­en, gespenstisch.

»Ich werde versuchen, meinen Oberkör­per in eine der freien Röhren zu schieben. Du paßt inzwischen auf und holst mich raus, sobald sich einer unserer Freunde zu rühren beginnt.« Er preßte Dorstellarain eine Hand auf den Mund, als dieser etwas entgegnen wollte. »Ich weiß schon. Ich bin verrückt und nicht zu heilen, weil ich mir in den Kopf gesetzt habe, nach Pthor zurückzukehren. Halte jetzt den Mund und laß mich nur ma­chen. Entweder schaffen wir beide es ge­meinsam, oder keiner von uns.« Unwillkür­lich mußte er grinsen. »Und wenn wir es schaffen, besorge ich dir persönlich ein neu-es Piratenschiff. Wenn dich das nicht reizt, kann ich dir auch nicht helfen.«

Er nahm die Hand zurück. »Scher dich zum Teufel!« knurrte der

Clanoc. Atlan war schon auf dem Weg zur nächst­

gelegenen freien Röhre, nachdem er sich da­von überzeugt hatte, daß man immer noch nicht auf ihr Eindringen reagierte. Nur sei­ner jahrtausendelangen Erfahrung in ähnli­chen Gefahrensituationen und der Abge­brühtheit, die er entwickelt hatte, war es zu verdanken, daß er in der unheimlichen Um­gebung nicht in Panik verfiel. Das monotone Summen irgendwelcher verborgener Aggre­gate klang in seinen Ohren. Atlan war si­cher, daß Dorstellarain furchtbare Angst hat­te – trotz der Fassade, mit der er sich umgab.

Er konnte darauf keine Rücksicht neh­men.

Vor der Röhre zögerte er einen Augen­blick. Er holte tief Luft. Plötzlich fühlte er doch, wie es ihn eiskalt durchlief. Wer ga­rantierte ihm, daß er nicht sofort sterben würde, wenn er seinen Oberkörper in die Röhre schob? Vielleicht handelte es sich bei

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den Fremden tatsächlich um speziell heran­gezüchtete Androiden. Vielleicht waren nur sie in der Lage, in den Röhren zu existieren.

Du hast keine Wahl! signalisierte der Ex­trasinn. Der Weg nach Gynsaal führt durch diese Anlage. Von dem, was du hier sehen wirst, hängt es ab, was du gegen die Beherr­scher der Dimensionsschleppe ausrichten kannst. Jede Information kann entscheidend sein!

Atlan zögerte nicht länger. Er blickte sich nicht um. Seine Hände griffen nach dem un­teren Rand der Röhre. Er bückte sich und blickte in waberndes Licht aus ineinander­fließenden Farben. Kurz entschlossen brach­te er den Kopf unter die Öffnung. Dann schob er den Oberkörper in die Höhe.

Er stand aufrecht. Augenblicke lang hatte er die Augen geschlossen, weil das grelle Licht schmerzte. Er spürte einen leichten Ruck, als ob sein Körper von einem Kraft­feld eingefangen worden wäre.

Atlan schlug die Augen auf. Es dauerte ei­nige Sekunden, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatten. Er blickte nicht, wie er es sich insgeheim vorgestellt hatte, auf einen Bildschirm oder in eine Öffnung. Wabernde Farben und Formen flossen ineinander und nahmen Konturen an.

Ein Bild entstand. Wieder dauerte es Sekunden, bis der Ar­

konide erkannte, was er vor sich sah. Es war fast, als erblickte er ein Stück Hei­

mat. Seine Erleichterung war fast so groß, als hätte er Terrania City plastisch vor sich gesehen.

Die Stadt der Händler – Orxeya. Atlan vergaß alles um sich herum. Er war

in Orxeya. Doch die Stadt war wie ausge­storben. Nur hier und da lagen vereinzelt Gestalten am Boden – gelähmt wie alle Be­wohner Pthors. In der Ferne stiegen dunkle Rauchschwaden in den Himmel. Irgendwo mußte es brennen.

Und dann bemerkte der Arkonide die Be­wegung. Fast im gleichen Augenblick sorgte eine optische Vorrichtung dafür, daß die Ge­stalt größer wurde und bald das ganze Blick­

feld ausfüllte. Atlan erkannte sie sofort.

3. GRIZZARD: DAS MÄDCHEN

Grizzard betrachtete erschüttert die Frau-en, die wie tot auf den Feldern links und rechts der Straße lagen. Neben ihnen stan­den noch die Körbe mit den geernteten Früchten. Hier und da entdeckte Grizzard Männer. Auch sie rührten sich nicht.

Verzweifelt blickte der Suchende hinüber zu den mächtigen Mauern der Stadt. Dort la­gen seine Hoffnungen. Doch er machte sich nun schon damit vertraut, auch dort das glei­che Bild vorzufinden.

Leblose Gestalten überall an seinem Weg. Grizzard wußte nicht genau, wieviel Zeit nach seinem Aufbruch nun schon vergangen war. Es wurde nicht mehr Nacht. Der Him­mel war in unheimliches Licht getaucht, und der Tag schien ewig zu währen.

Grizzard versuchte längst nicht mehr, ver­stehen zu wollen, was mit dieser Welt ge­schehen war. Zwar ahnte er gewisse Zusam­menhänge. Caidon-Rov hatte ihm ja davon erzählt, daß Pthor immer nur für kurze Zeit auf einem Planeten blieb, um dann erneut durch die Dimensionskorridore zu jagen.

Aber Grizzard konnte sich nicht vorstel­len, daß dies jedesmal von einem kleinen Weltuntergang, wie er ihn am zweiten Tag seiner Wanderung nach der Händlerstadt er­lebt hatte, verbunden war. Bei einer Tech­nik, wie sie den Herrschern des Dimensions­fahrstuhls zur Verfügung stand, mußte es doch möglich sein, diese Nebeneffekte zu neutralisieren.

Grizzard fragte sich nicht mehr, wo sich Pthor befand und was mit ihm geschah. Nicht mehr, seitdem er die Leblosen gese­hen hatte. Auf dem Weg zur Stadt hatte er sie nur selten zu Gesicht bekommen, die er­sten viele Stunden nach dem unheimlichen Pfeifen, das Grizzard fast zur Panik getrie­ben hätte.

Er sah keinen Zusammenhang zwischen

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dem Pfeifen und den Bewußtlosen. Viel wahrscheinlicher erschien es ihm, daß sie den Beben und dem Chaos, das dem Pfeifen schließlich folgte, zum Opfer gefallen wa­ren.

Den Gedanken an eine verheerende Epi­demie, der sich ihm aufgedrängt hatte, als er eine Gruppe von großen, kräftigen Gestalten leblos mitten auf der Straße fand, hatte er mittlerweile auch verworfen. Immerhin konnte er feststellen, daß die Fremden, ver­mutlich Händler auf dem Weg zur Stadt, nicht wirklich tot waren.

Selbst ihre Reittiere lagen reglos am Bo­den.

Doch wieso war er, Grizzard, dann nicht gelähmt? Er spürte nichts von einer Beein­flussung. Hieß dies aber nicht, daß es weite­re Wesen geben mußte, die immun gegen die Ursachen der Lähmung waren?

Seine Hoffnung, in der Händlerstadt auf solche Immune zu treffen, hatte einen erheb­lichen Dämpfer erhalten, als er die Leblosen auf den Feldern sah.

Vielleicht hatten sich die Immunen hinter die schützenden Mauern gerettet?

Orxeya – so hatte Bördo, jener seltsame Knabe, der seinen Vater Sigurd suchte, die Stadt genannt.

Grizzard gab sich einen Ruck. Die Fuß­spitzen des Zwergenkörpers berührten die feinen Sensoren in der Körpermaske, die ihn in der 2,10 Meter großen und drei Zentner schweren Porquetor-Rüstung hielt. Sie um­gab ihn wie eine zweite, kompakte Haut. Grizzard saß in ihr wie in einem Sattel. Seit­dem er sie in der Feste Grool angelegt hatte, waren die Qualen vorbei, die er in dem miß­gestalten Körper, der nicht sein eigener war, hatte erdulden müssen.

Seine wirkliche Gestalt war neben dem Namen das einzige, woran Grizzard sich er­innern konnte. Immer wieder sah er sich so in Gedanken vor sich, wie er einmal gewe­sen sein mußte – irgendwo auf einer fernen Welt, die vor langer Zeit von Pthor heimge­sucht worden war. Ein junger, kräftiger und schöner Körper.

Horst Hoffmann

Dieses Bild trieb ihn vorwärts. Zwar hatte er gelernt, den Halbroboter perfekt zu steu­ern, fast war er mit dem metallenen Unge­tüm verwachsen. Doch nach wie vor war Grizzards einziges Sinnen und Trachten, den verlorenen Originalkörper wiederzufinden.

Aber Scheintote konnten ihm keine Aus­kunft geben.

Der Druck gegen die Steuersensoren wur­de in die stählernen Gliedmaßen des Halbro­boters übertragen. Die mächtige Lanze aus der Stahlquelle in der Faust, setzte er sich in Bewegung.

Nach einer halben Stunde stand Grizzard vor den geschlossenen Toren der Stadt. Die Mauern ragten in den Himmel hinauf. Griz­zard sah mehrere kleine Türme.

Er rief nach den Torwachen und bat um Einlaß. Seine Stimme wurde dabei so sehr verstärkt, daß sie bis weit in die Stadt hinein zu hören sein mußte.

Keine Reaktion. Grizzard war der völligen Verzweiflung

nahe. Reichte es nicht, daß im Blutdschun­gel und kurz nach dem Betreten der Straße jeder, der ihn erblickt hatte, in Panik vor ihm Reißaus nahm, weil er glaubte, den wirkli­chen Porquetor vor sich zu sehen? Jenen Porquetor, der den Bewohnern des Dschun­gels unendliches Leid zugefügt hatte? Bördo war die einzige Ausnahme gewesen. Sollte Grizzard denn wirklich dazu verurteilt sein, bis zu seinem Lebensende einsam und ohne Freunde zu sein?

In einem plötzlichen Wutanfall begann er, mit den stählernen Armen auf das Stadttor aus massivem Holz einzudreschen. Späne flogen nach allen Seiten. Niemand kam, um ihm Einhalt zu gebieten. Grizzard steigerte sich in einen wahren Rausch hinein. Er riß einen Balken nach dem anderen aus dem Tor, trat mit den Stiefeln nach und schuf so innerhalb weniger Minuten eine Öffnung, die groß genug war, um ihn durchzulassen. Enttäuscht mußte er feststellen, daß er sich in einer mehrere Meter tiefen Torkammer befand. Das innere Tor schien nicht weniger stabil zu sein als das äußere. Wieder ruder­

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ten die Arme der Rüstung durch die Luft. Grizzard spürte keine Erschöpfung. Der ver­heerendste Schlag der Fäuste kostete ihn nichts weiter als einen leichten Druck mit den Fingerspitzen auf die Sensoren der Kör­permaske.

Und dann war er hindurch. Grizzard stieg über die am Boden liegenden Balken und heruntergerissene Metallverstrebungen.

Vor ihm lag Orxeya. Er hatte versucht, sich auszumalen, wie es

in der Händlerstadt aussehen würde. Doch das, was er durch die Linsen im Kopfteil der Rüstung sah, übertraf all seine Befürchtun­gen.

Grizzard mußte sich zusammenreißen, um nicht sofort wieder aus der Stadt zu rennen. Er kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an.

Dann zwang er sich, hinzusehen. Ein großer Platz, auf dem noch kleine

Verkaufsstände und Marktbuden aufgebaut waren. Es roch nach verfaulten Früchten. Rings um den Marktplatz befanden sich Rei­hen pittoresker Ziegelhäuser, meist mit Strohdächern. Sie waren willkürlich anein­andergebaut worden. Dazwischen lagen kleine Gassen. Karren mit faulenden Früch­ten und Getreide standen vor den Häusern, deren Fenster und Türen weit aufgerissen waren.

Ihre Bewohner waren von der Katastro­phe überrascht worden, doch offensichtlich hatten die meisten noch genug Zeit gehabt, um sich ins Freie zu schleppen. Das zeigte ihre verkrampft wirkende Körperhaltung.

Überall lagen sie. Vor den Häusern, auf dem Marktplatz, selbst direkt unter den Fen­stern, durch die sie ins Freie gelangen woll­ten. Hunderte von Männern und Frauen, die denen ähnelten, die Grizzard unterwegs ge­sehen hatte. Die Männer waren groß, kräftig und meist untersetzt, trugen das lange, bis weit über die Schultern reichende Haar zu Zöpfen geflochten und waren durchweg bär­tig. Die Frauen waren dick und für Grizzards Geschmack mehr als unappetitlich.

Für Sekundenbruchteile erschien ein an­

deres Bild vor Grizzards geistigem Auge. Frauen, grazil, schlank und großgewachsen. Dunkle lange Haare, die ihre Gesichter um­spielten. Als er sich darauf zu konzentrieren versuchte, verschwand die Vision. Das Herz in der Brust des Gnomenkörpers schlug hef­tig.

Bilder aus seiner, Grizzards, Welt? Ein erstes Anzeichen dafür, daß die Erin­

nerung allmählich doch zurückkehrte. Grizzard konnte nicht recht daran glau­

ben. Sicher spielte ihm seine Phantasie einen Streich.

Grizzard besiegte seinen Widerwillen und marschierte über den großen Platz. Auch hier deutete alles darauf hin, daß die Händler noch versucht hatten, sich in Sicherheit zu bringen.

Grizzard bezweifelte nun, daß es über­haupt noch einen Ort auf Pthor gab, wo man vor der Lähmung sicher war.

Und doch konnte er nicht der einzige Im­mune sein! Welchem Umstand sollte er dies zu verdanken haben?

Wieder rief Grizzard nach eventuell ver­schont Gebliebenen. Vielleicht hatten sie sich aus lauter Angst in ihre Häuser zurück­gezogen, oder sie sahen in ihm Porquetor und versteckten sich.

Keine Antwort. Auf einem der Türme kann ich mir am be­

sten eine Aussicht über die ganze Stadt ver­schaffen, dachte der Einsame. Es wäre Un­sinn, die unzähligen Gassen zu durchkäm­men.

Wenige Meter neben dem zertrümmerten Stadttor fand er eine aus Stein gemauerte Treppe, die an der Mauer entlang zu einer Plattform führte, von wo aus ein Turm mit einer Leiter zu erreichen war.

Grizzard hatte Schwierigkeiten, die schwere Rüstung die schmale Treppe hin­aufzusteuern, ohne dabei das Gleichgewicht zu verlieren. Auf dem Vorsprung angekom­men, bezweifelte er, daß die Leiter stark ge­nug wäre, um sein Gewicht zu tragen. Er rüttelte an ihr und wagte einen Versuch. Nachdem die ersten Sprossen sich als stabil

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erwiesen, stieg er weiter. Immerhin, so sagte er sich, waren die Orxeyaner auch keine Leichtgewichte.

Er erreichte sein Ziel wohlbehalten. Von hier aus konnte er einen großen Teil der Straße jenseits der Stadtmauer überblicken. In der Ferne zeichneten sich die Ausläufer des Blutdschungels ab.

Grizzard drehte sich um. Die Häuser der Orxeyaner waren offenbar

willkürlich nebeneinandergesetzt worden, nicht nur jene, die er vom Marktplatz aus hatte beobachten können. Er konnte in eini­ge Gassen blicken. Soweit die Lichtverhält­nisse es zuließen, erkannte er auch dort leb­los am Boden oder noch halb in den Türen ihrer Behausungen liegende Gestalten. Kin­der waren mitten im Spiel von ihrer Läh­mung überrascht worden.

Verzweifelt fragte Grizzard sich, wohin er sich jetzt noch wenden konnte.

Möglicherweise würden die Gelähmten niemals wieder zu sich kommen. Dann konnte er solange umherirren, bis er entwe­der starb oder den Verstand verlor, wobei letztere Möglichkeit wahrscheinlicher war. Das Versorgungssystem des Halbroboters würde noch auf Jahre hinaus arbeiten. Die Nahrungsmittelkonzentrate reichten aus, um Grizzard noch lange zu ernähren.

Plötzlich stutzte er. Täuschte er sich, oder hatte er eine vage

Bewegung weit hinten, am Rand eines wei­teren Platzes, wahrgenommen?

Grizzard konzentrierte sich auf die betref­fende Stelle. Die Linsen des optischen Sy­stems lieferten auch auf die Entfernung von mehreren hundert Metern ein gestochen scharfes Bild.

Da war es wieder! Ein Kind! Grizzard hatte Mühe, seine Erregung un­

ter Kontrolle zu bringen. Er hatte das Kind nur für Sekunden gesehen. Dann war es zwi­schen einigen kleinen Bauten verschwun­den. Die weit ausladenden Strohdächer ver­einigten sich über der Gasse und nahmen je­de Sicht. Grizzard zögerte keinen Augen­blick.

Horst Hoffmann

Er verzichtete darauf, nach dem Kind zu rufen, weil er Angst hatte, daß es sich dann vor ihm verstecken würde.

Er kletterte die Leiter so hastig hinunter, daß sie bedenklich zu schwanken begann. Auf der kleinen Plattform angekommen, machte er kurz halt und versuchte, aus der veränderten Perspektive eine Spur des Kin­des zu finden.

Plötzlich sah er Rauch aufsteigen – genau dort, wo sich das junge Geschöpf eben noch befunden hatte. Augenblicke später schlugen Flammen aus den Strohdächern der armseli­gen Häuser. Innerhalb weniger Sekunden brannte es lichterloh.

Ohne sich dessen bewußt zu sein, stürmte Grizzard in der Rüstung die schmale Treppe hinunter. Er ruderte mit den Armen, als ob er in den stählernen Körper hineingeboren worden wäre. Unten angekommen, stürmte er über den Marktplatz hinweg in die Rich­tung, wo jetzt dunkle Rauchschwaden in den Himmel stiegen.

Panische Angst erfüllte ihn – Angst da­vor, daß vielleicht der einzige Bewohner der Stadt, der von der Lähmung verschont ge­blieben war, in den Flammen den Tod fand, bevor er ihm zu Hilfe kommen konnte. Griz­zard ahnte nicht, daß jeder seiner Schritte beobachtet wurde. Selbst dann hätte er je­doch nicht anders gehandelt.

Es hätte auch keinen Sinn gehabt. Die Jä­ger waren bereits auf den Plan gerufen.

*

Als Grizzard die Brandstelle erreichte, hatte das Feuer sich auf den ganzen Block ausgedehnt. Darüber hinaus bestand die Ge­fahr, daß es früher oder später auf die etwas größeren und stabiler gebauten Häuser in der Nachbarschaft übergriff, von denen die brennenden Hütten nur durch etwa fünf Me­ter breite Straßen getrennt waren.

Die Gasse befand sich genau zwischen den Hütten und war nicht breiter als zwei, an einigen Stellen höchstens drei Meter.

Hier war das Kind verschwunden. Ver­

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mutlich, so dachte Grizzard, um sich irgend-wo vor dem Feuer zu verkriechen, wo es jetzt von den Flammen umschlossen war.

Den Gedanken, daß es schon tot war, ver­drängte Grizzard einfach aus seinem Be­wußtsein.

Jetzt rief er doch nach ihm. Es mußte furchtbare Angst haben. Grizzard sorgte da­für, daß die Kunststimme Porquetors, in die seine Worte verwandelt wurden, auf eine ge­wisse Lautstärke reduziert wurde.

Niemand antwortete. Er hörte nicht ein­mal Weinen oder Angstschreie.

Es darf nicht tot sein! Grizzard wollte schon in die Gasse ein­

dringen, als er die Gestalt im offenen Ein­gang einer Hütte bemerkte. Natürlich war sie gelähmt und würde verbrennen, falls er sie nicht ins Freie schaffte. Einen Augen­blick wußte Grizzard nicht, was er tun sollte. Sicher gab es in den Hütten noch mehr Ge­lähmte. Wenn er sie alle herausholen wollte, setzte er das Leben des Kindes aufs Spiel.

Er kämpfte mit sich, bis ein brennender Dachbalken direkt neben der Gestalt herun­terkrachte und ihre Kleider Feuer fingen. Grizzard sprang hinzu. Er packte den Balken und schleuderte ihn wie ein Streichholz zur Seite. Dann zerrte er die Gestalt aus dem schmutzigen Eingang. Das Dach der Ba­racke zur Rechten sank unter lautem Kni­stern und Krachen in sich zusammen. Griz­zard konnte nicht darauf achten. Die vorerst Gerettete war eine Frau. Er legte sie in si­cherem Abstand auf den Platz und bahnte sich einen Weg unter herabstürzenden Bal­ken und Strohballen hinweg in die Baracke, wo er zwei weitere Frauen und einen Mann fand. Gerade noch rechtzeitig brachte er sie in Sicherheit. Das Dach stürzte ein. Aus den Fenstern schlugen meterhohe Flammen.

Grizzard spürte die furchtbare Hitze trotz der Isolierung der Porquetor-Rüstung. Wenn das Kind sich noch in der Gasse oder in ei­nem weiter hinten gelegenen Bauwerk be­fand, war es mit Sicherheit jetzt tot.

Grizzard wollte nicht daran glauben. Er holte weitere Gelähmte aus benachbar­

ten Hütten und arbeitete sich so langsam in die Gasse vor. Immer wieder rief er. Und nie erhielt er Antwort. Nur einmal glaubte er, ein leises Kichern zu hören.

Er fragte sich, wie das Feuer überhaupt entstehen konnte. Es ging kein Wind, sonst hätte es sich viel schneller auf die benach­barten Häuserblocks ausgebreitet. Es war zwar trocken, aber nicht so trocken, daß ein Feuer von selbst entstand.

Grizzard durchsuchte jeden Quadratmeter der Gasse, blickte in Kellerfenster und, schleppte noch zwei Gelähmte ins Freie. Die Gasse endete vor einer drei Meter hohen Mauer. Es gab keine nennenswerten Vor­sprünge. Das Kind konnte unmöglich hin­übergeklettert sein.

Brennendes Stroh stürzte in die Gasse. Wenn die beiden Gelähmten nicht sofort auf den Platz gebracht wurden, verbrannten sie. Fluchend bahnte sich Grizzard einen Weg zurück. Nur flüchtig dachte er dabei daran, daß er mit seinem Originalkörper keine Chance gehabt hätte, in den Flammen zu überleben.

Mittlerweile lagen an die zwanzig Geret­tete beieinander. Doch nun brannte es im nächsten Häuserblock, und zwar einige Dut­zend Meter entfernt von der trennenden Straße. Die Flammen konnten niemals von selbst dorthin übergegriffen haben.

Grizzard fiel es wie Schuppen von den Augen. Das Kichern! Er hörte es wieder. Und diesmal kam es genau von der Stelle, wo der zweite Brand ausgebrochen war.

Brandstifter! durchfuhr es Grizzards Be­wußtsein. Aber das würde ja bedeuten …

Er sah die Bewegung und fuhr herum. Im gleichen Augenblick schoß etwas auf ihn zu. Bevor er ausweichen konnte, prallte es an der rechten Schulter der stählernen Rüstung ab. Doch die Wucht reichte aus, um die Rü­stung zu Boden zu reißen. Der Halbroboter lag auf dem Rücken. Grizzard richtete sich auf die Ellbogen auf.

Er sah in ein aufgedunsenes, schmutziges Gesicht, das ihn dumm angrinste. Das Mäd­chen stand breitbeinig vor ihm, eine Waffe

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im Anschlag, die er auf einigen Bildern ge­sehen hatte, die Caidon-Rov ihm gezeigt hatte – eine Skerzaal. Ihre Bolzen waren, trafen sie ihr Ziel, absolut tödlich. Selbst ihn konnten sie gefährden, falls sie etwa die Sehschlitze der Rüstung trafen.

Das Mädchen trug ein paar zusammenge­nähte Lumpen am Leib, die über der Hüfte von einem Strick gehalten wurden. Rote Haare standen strähnig von seinem Kopf ab. Es war ziemlich füllig und wirkte schwerfäl­lig. Der ganze Körper war mit Dreck be­schmiert oder schwarz von Ruß.

Wieder das Kichern. Grizzard wußte nun, daß er sich nicht getäuscht hatte. Die Kleine hatte die Brände gelegt.

Die wasserblauen Augen des etwa 1,40 Meter großen Kindes rollten in ihren Höh­len, als es die Skerzaal auf die Rüstung an­legte.

»Und jetzt schieße ich dich tot«, rief die Brandstifterin mit krächzender Stimme und solch naiver Begeisterung, als ob sie soeben ein neues, großartiges Spielzeug geschenkt bekommen hätte.

4. ATLAN: VERLORENES SPIEL

Dorstellarain fluchte still in sich hinein. Hier stand er nun, war zur völligen Untätig­keit verurteilt und wartete verzweifelt dar­auf, daß Atlan endlich wieder aus der Röhre kam.

Dorstellarain kam sich vor wie in einer Leichenhalle. Kein Laut außer dem monoto­nen Summen irgendwelcher technischer An­lagen. Ab und zu sah er unter der von Instru­menten und Kontrollen gespickten Decke seltsame Leuchterscheinungen. Das grüngel­be, unnatürliche Licht im Innern der Zar­mack-Blase machte ihn fast verrückt.

Die Fremden in ihren dunklen Schutzan­zügen standen wie versteinert in den Röh­ren. Auch Atlan hatte sich nicht mehr ge­rührt, seitdem er den Oberkörper in das aus der Decke ragende Gebilde geschoben hatte.

War er überhaupt noch bei Sinnen, oder

Horst Hoffmann

hatte sich ein fremder Bann auf ihn gelegt? Dorstellarain hatte ihn gewarnt, hierherzuge­hen, aber Atlan in seiner Besessenheit hatte ja nicht gehört.

Der Clanoc hatte noch nie einen Kampf gescheut. Auch jetzt brannte es ihm förmlich in den Fingern, für »klare Verhältnisse« zu sorgen. Aber dies hier war ihm unheimlich. Hier gingen Dinge vor, die er nicht begrei­fen konnte und mit denen er deshalb so we­nig wie möglich zu tun haben wollte.

Mit einem Fluch packte er Atlan an den Hüften und versuchte, ihn unter der Röhre hervorzuzerren. Er reagierte nicht einmal.

Verdammt! dachte der Hüne. Ich kann ihn doch nicht anschreien, nicht einmal zu ihm sprechen. Das wäre zu riskant. Jeden Au­genblick können die Kerle in ihren Röhren auf uns aufmerksam werden. Es ist sowieso ein Wunder, daß sie uns nicht längst be­merkten!

Noch einmal rüttelte er am Körper des Gefährten. Dann packte ihn die Wut. Dor­stellarain holte aus und trat mit dem Stiefel gegen Atlans Scheinbein.

Jeder hätte jetzt lauf aufgeschrien, doch Atlan zeigte wieder keine Reaktion.

Jetzt wußte Dorstellarain mit Bestimmt­heit, daß Atlans Geist nicht mehr auf dieser Welt war. Die Gerüchte über die Zarmack-Blasen fielen ihm wieder ein. War es mög­lich, daß jemand, der unter einer der Röhren steckte, nicht nur sah, was unter Pthor vor­ging, sondern gleichsam auf eine völlig un­vorstellbare Art und Weise auch dort war?

Einige Augenblicke hatte der Clanoc nur einen Gedanken:

Wie komme ich am schnellsten hier her­aus?

Er fühlte sich von Atlan im Stich gelas­sen. Noch als er nach einem Mechanismus suchte, der das Luk von innen öffnete, ge­wahrte er aus den Augenwinkeln heraus eine vage Bewegung.

Dorstellarain fuhr herum. Er stieß einen wilden Schrei aus.

Alle zwölf Besatzungsmitglieder der Ku­gel begannen sich zu bewegen. Einer nach

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dem anderen kam unter seiner Röhre zum Vorschein. Dorstellarain wich bis an die Wand der Zentrale zurück.

Die zwölf schlanken Gestalten, jede an die zwei Meter groß, bewegten sich wie Schlafwandler auf ihn zu. Vergeblich ver­suchte der Clanoc, hinter den dunklen Sichtscheiben der Kopfhelme Gesichter zu erkennen.

»Zurück mit euch!« schrie er. »Macht, daß ihr verschwindet!«

Sie kamen näher, Meter für Meter. Jetzt bildeten sie einen Halbkreis um ihn.

»Verschwindet!« brüllte Dorstellarain noch einmal. Mit einem schnellen Blick auf Atlan stellte er fest, daß dieser nach wie vor wie eine Statue unter der Röhre stand.

Einer der Hochgewachsenen streckte sei­ne Hand nach Dorstellarain aus. In diesem Augenblick sah der Clanoc rot. Alle aufge­stauten Aggressionen verschafften sich Luft. Wie ein Berserker stürmte der Hüne vor und drosch auf die schlanken Gestalten ein. Zwei von ihnen gingen sofort zu Boden und rühr­ten sich nicht mehr. Andere taumelten, von Dorstellarains Fäusten getroffen, zurück und blieben wie benommen stehen.

»Atlan!« rief der Clanoc. »Verdammt, wie müssen hier raus!«

Ein Schlag traf ihn in den Nacken. Un­gläubig drehte er sich um. Er sah gerade noch eine Faust auf sich zukommen, dann knallte etwas gegen seine Stirn und ließ ihn rückwärts taumeln. Schwarze Schleier tanz­ten vor seinen Augen.

Die Hochgewachsenen waren aus ihrer scheinbaren Teilnahmslosigkeit erwacht und griffen an. Dorstellarain teilte Fausthiebe aus, trat, rammte den Kopf in die Magenge­gend der Fremden und warf einige Angreifer zu Boden. Doch die Übermacht war zu groß. Er spürte, wie jemand nach seinen Beinen griff und eine Schlinge um sie legte. Dor­stellarain stürzte. Sofort waren die Fremden über ihm. Weitere Schlingen flogen heran und legten sich wie klebrige Fäden um sei­nen Körper. Sie hafteten sofort und zogen sich wie von selbst zusammen. Dorstellarain

schrie vor Schmerzen auf, als sie sich in die Fellbekleidung schnitten. Er konnte die Hän­de nicht mehr bewegen, bäumte sich auf und schrie aus Leibeskräften, bis er die Sinnlo­sigkeit erkannte.

Dorstellarain war gefangen. Untätig muß­te er jetzt mitansehen, wie die Fremden auf Atlan zugingen, eine Schaltung an seiner Röhre vornahmen und ihm die gleichen Sch­lingen um die Beine legten. Dann zogen sie ihn heraus. Der Blick des Arkoniden schien verklärt, und als er erkannte, was mit ihm geschah, war es längst zu spät.

Gefesselt wurde er zu Dorstellarain ge­führt und zu Boden gestoßen. Er landete un­sanft neben dem Clanoc.

»Hast du nun endlich die Nase voll?« zischte der Hüne.

Atlan drehte sich so, daß er ihm ins Ge­sicht sehen konnte.

»Weißt du, daß du mich an jemanden er­innerst?«

»So!« machte Dorstellarain. »Und der Kerl hat dich auch nicht zur Vernunft brin­gen können?«

»Ich habe viel von ihm gelernt«, sagte At­lan. »Er hieß Fartuloon.«

»Vielleicht hätte dieser Fartuloon dir jetzt sagen können, wie wir aus dem Schlamassel wieder herauskommen.«

Atlan hob den Kopf, soweit er konnte, und sah über Dorstellarains Brust hinweg, wie die Unbekannten einige Geräte einschal­teten. Bildschirme, die am Ende schlanker Teleskoparme von der Decke herabhingen, leuchteten auf, doch konnte Atlan nicht er­kennen, was sie zeigten.

»Hör zu«, flüsterte er. »Ich habe tatsäch­lich Pthor gesehen, und zwar Ausschnitte ei­ner Stadt, die ich gut kenne. Alle sind ge­lähmt, wie zu erwarten war – mit zwei Aus­nahmen. Ein alter Bekannter von mir und ein junges Mädchen, das nicht ganz richtig im Kopf zu sein scheint. Sie war drauf und dran, ihn umzubringen, als unsere Freunde mich aus der Röhre zerrten.«

»Das gleiche habe ich auch schon ver­sucht«, knurrte Dorstellarain. »Ohne Er­

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folg.« »Möglicherweise wird derjenige, der in

einer Röhre steckt, solange in ihr festgehal­ten, bis eine Programmierung ihn freigibt«, vermutete der Arkonide.

»Das ist sehr gut möglich. Alle zwölf Be­obachter kamen zur gleichen Zeit unter ihren Röhren hervor. Sie scheinen ein Alarmsignal erhalten zu haben. Außerdem hantierten sie an deiner Röhre herum, bevor sie dich her­ausholten. Und was nützt uns das alles? Wir wissen, daß du Pthor gesehen hast. Und?«

»Warte ab. Kurz bevor der Kontakt abriß, sah ich einen Schwarm dieser schwarzen Roboter, die überall auf Pthor auftauchten und versuchten, das Steuerzentrum zu er­obern – jene Roboter, die aus dem Transmit­ter kamen.«

»Das wußtest du alles auch so«, murrte der Clanoc.

»Aber jetzt wird mir klar, war ihre eigent­liche Aufgabe ist, Dorstellarain. Wieso tau­chen sie immer dort auf, wo jemand sich ge­gen die Lähmung immun zeigt? Die einzig logische Erklärung ist die, daß sie im Auf­trag der Herrscher von Gynsaal alles gefan­gennehmen, was nicht durch die VONTHA­RA-Anlagen gelähmt wurde. Dann bringen sie die Betroffenen zum Transmitter. Dir ging es ebenso, als du deportiert wurdest. Nun kannst du die armen Kerle in Empfang nehmen.«

»Dann dienen die Zarmack-Blasen also dazu, Pthor zu beobachten, Immune aufzu­stöbern und ihnen die Roboter auf die Fer­sen zu schicken?«

»Ich bin fast sicher. Und Porquetor weiß nicht einmal, daß sie schon in der Nähe sind.«

»Spare dir dein Mitleid für uns auf.« »Wenn es uns gelingen würde, die Kugeln

unschädlich zu machen«, fuhr Atlan unbeirrt fort, »bräche das ganze Beobachtungssystem zusammen.«

»Träumer!« Dorstellarain lachte rauh. Die Hochgewachsenen schienen eine An­

weisung bekommen zu haben. Fünf von ih­nen kamen auf die Gefangenen zu.

Horst Hoffmann

»Was jetzt?« zischte Dorstellarain. »Sie stehen da wie bestellt und nicht abgeholt.«

»Sie werden auf die Ablösung warten«, vermutete der Arkonide.

»Die Ablösung? Bist du zum Hellseher geworden?«

»Keinesfalls. Aber für sie sollte es nur zwei Möglichkeiten geben. Wir sind Spione, die ihr Geheimnis entdeckt haben. Sie könn­ten uns töten oder wegschaffen.«

»Getötet haben sie uns nicht«, meinte der Clanoc. »Sie hatten ja die Gelegenheit da­zu.«

»Eben. Und sie werden uns an einen Ort bringen, wo wir kein Unheil anrichten kön­nen.«

Dorstellarain kniff die Augen zusammen. »Kein Unheil, eh? Gynsaal!« Atlan grinste, als er den Verschwörerblick

des Hünen bemerkte. Dorstellarain schien die Schlägerei mit den Fremden gutgetan zu haben. Jetzt war er wieder der Alte.

Im nächsten Moment stieß der Arkonide einen Fluch aus.

»Was ist los?« wollte Dorstellarain wis­sen.

»Mein Knie. Ich habe plötzlich verdamm­te Schmerzen.«

Dorstellarain wälzte sich herum und lach­te dröhnend. Er lachte auch noch, als sich zwei der Fremden über ihn beugten und zwei andere Atlan packten. Der fünfte öffne­te das Luk zur Leiter. Schnee wehte von draußen herein.

*

Schon auf der Plattform hörten sie das na­hende Motorengeräusch. Die vier Fremden trugen Atlan und Dorstellarain vorsichtig die Leiter hinunter, wo derjenige, der schon das Luk geöffnet hatte und offensichtlich der Befehlshaber der Gruppe war, auf sie warte­te.

Eines der bekannten Raupenfahrzeuge, fast zehn Meter lang und halb so breit, mit einer großen Fahrerkabine und freier Last­fläche, schälte sich aus dem Nebel und hielt

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an. Wie Atlan nicht anders erwartet hatte, sprangen zwölf Männer aus der Kabine. Die letzten Mitglieder der abzulösenden Besat­zung kamen die Leiter herunter. Offensicht­lich wurden die Blasen jeweils nur mit kom­pletten, eingearbeiteten Teams besetzt. Einer der Neuen unterhielt sich kurz mit dem An­führer. Dann winkte dieser seinen Leuten zu. Wieder packten sie die Gefangenen und schleppten sie in die Fahrerkabine, die groß genug war, um auch zwanzig Männer auf­nehmen zu können. Die Ablösung kletterte inzwischen in die Kugel.

Atlan hatte nicht verstehen können, ob die beiden Hochgewachsenen vorhin Pthora ge­redet hatten. Dazu war ihre Unterhaltung zu kurz und zu leise gewesen.

Die Motoren heulten auf, nachdem der letzte der zwölf Fremden eingestiegen war und die Tür sich geschlossen hatte. Das Fahrzeug ruckte an und setzte sich in Bewe­gung. Atlan konnte keine Steuerungsinstru­mente erkennen. Der Fahrer hatte sich eine halbkugelförmige Haube über den Kopf ge­stülpt und die Hände in zwei Vertiefungen einer länglichen Bank an der Frontseite der Kabine geschoben.

Die Maschine fuhr den Weg zurück, den sie gekommen war. Atlan hoffte, daß man ihn und Dorstellarain nach Gynsaal bringen würde, wo sich vielleicht eine Möglichkeit finden ließ, sich zu befreien.

Flüchtig dachte der Arkonide an Grizzard, wie Caidon-Rov den verkrüppelten Mann in der Porquetor-Rüstung genannt hatte, und das seltsame Mädchen. Er hatte die Bilder von Pthor geräuschlos empfangen, wie in ei­nem uralten Stummfilm. Doch es war nicht schwergefallen, sich einen Reim auf die Vorgänge in Orxeya und der Umgebung der Stadt, wo die Roboter aufgetaucht waren, zu machen.

Es war anzunehmen, daß die Porquetor-Rü­stung auch einen Skerzaal-Schuß aus aller­nächster Nähe aushielt. Vermutlich hatte dieser Grizzard das Mädchen längst schon überwältigt.

Doch gegen die Roboter war auch er

wehrlos. Wieso war er eigentlich nicht von der

Lähmung befallen? Atlan konnte es sich nur so erklären, daß die Rüstung den Effekt neu­tralisierte.

Atlan verscheuchte die Gedanken. Die Fesseln drückten sich in die Bein- und Arm­partien des Goldenen Vlieses. Zwar konnten sie es nicht zerschneiden, doch sie schmerz­ten.

Sollte sich dazu noch einmal eine Gele­genheit bieten, hatte Atlan ein Wörtchen mit dein Clanoc zu reden. Das rechte Schienbein brannte höllisch.

Doch das war jetzt zweitrangig. Immer wieder die gleiche Frage: Wer wa­

ren jene, die Gynsaal beherrschten? Ein un­tergeordnetes Hilfsvolk, das nur dann in Er­scheinung trat, sobald die Herren der FE­STUNG in Bedrängnis gerieten und selbst nicht mehr mit ihren Problemen fertig wur­den, oder eine Macht, die noch über den ge­stürzten Gewaltherrschern stand?

Ein direktes Bindeglied zu den Mächtigen in der Schwarzen Galaxis?

Welche Chancen hatten er und der ehema­lige Flußpirat Dorstellarain dann gegen sie – trotz des Anzugs der Vernichtung und der Entschlossenheit zweier Männer, die nichts mehr zu verlieren hatten?

Dorstellarain schwieg und hing seinen ei­genen Gedanken nach. Die Fahrt ging weiter ihrem unbekannten Ziel zu.

5. GRIZZARD: DER UNHEIMLICHE

GEGNER

Grizzard sah, daß das Mädchen genau auf den Kopfteil der Rüstung zielte. Es war ihm unverständlich, wie ein Kind die schwere, armbrustähnliche Waffe so leicht heben konnte. Doch darüber machte er sich jetzt keine Gedanken.

Grizzard handelte instinktiv. Sein rechter Fuß traf die Beine der Brandstifterin und fegte sie vom Boden. Sie schrie auf und ließ die Skerzaal fallen. Grizzard zog die Beine

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der Rüstung an und richtete sich mit einem Ruck auf. Zwei Sekunden später kniete er über dem Kind.

Das Mädchen blickte einen Augenblick ungläubig in die Linsen der Sehschlitze. Dann stieß es ein ohrenbetäubendes Gebrüll aus.

Grizzard wußte nicht, wie er sich verhal­ten sollte. Die Kleine war nicht verletzt. Er konnte nicht einmal Hautabschürfungen feststellen. Sie lag einfach auf dem Rücken, Arme und Beine weit von sich gestreckt und von Grizzards Hand am Boden gehalten.

Als sie Luft holen mußte, um das Geheul mit neuer Kraft fortzusetzen, sah Grizzard, wie sie ihn verstohlen musterte. Offenbar wußte auch sie nicht so recht, was sie mit dem stählernen Kerl anfangen sollte. Als er keine Reaktion zeigte, heulte sie weiter.

Grizzard wartete noch bis zur nächsten Atempause, zum nächsten abschätzenden Blick der frechen kleinen Augen, zum näch­sten Anlauf, ihn durch das Geschrei zu zer­mürben. Als er sicher war, daß er es mit ei­ner kleinen Schauspielerin zu tun hatte, stand er auf. Vorsichtshalber nahm er die Skerzaal an sich.

»Hör auf!« sagte er. »Das Theater macht auf mich keinen Eindruck.«

Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, daß das zweite Feuer sich immer schnel­ler ausbreitete. Er konnte sich nicht länger mit dem Mädchen abgeben, wenn er die Hausbewohner retten wollte.

Sie würde ihm dabei helfen müssen. Wie­der holte sie Luft.

»Schluß jetzt!« dröhnte die Stimme des Stählernen über den Platz.

Die Brandstifterin zuckte zusammen. Zu­erst sah sie ihn erschrocken an, dann richtete sie sich auf und grinste Grizzard so frech entgegen, als ob sie eben zusammen die toll­sten Dinge ausgeheckt hätten.

»Ich habe Feuer gemacht«, sprudelte es plötzlich aus ihr heraus. Ihre Stimme war schrill und klang unangenehm. »Feuer!« Sie kicherte. »Paß auf!«

Ehe Grizzard begriff, drehte sie sich um

Horst Hoffmann

und blickte konzentriert zu einem großen, mit Stroh beladenen Karren hinüber. Im nächsten Augenblick züngelten kleine Flam­men am Holz empor. In Sekundenschnelle brannte das Stroh.

Grizzard war dermaßen erschrocken, daß er zunächst kein Wort herausbrachte. Sie hatte den Karren nur angesehen!

Doch ehe er sich weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, sprang sie auch schon wieder im Kreis herum, bis sie ein Haus ge­funden hatte, das die anderen an Größe und Imposanz weit übertraf. »Zum fetten Raub­schwein« las Grizzard über dem breiten Ein­gang.

Sie drehte sich um und zeigte mit leuch­tenden Augen auf das Dach.

»Feuer!« rief sie voller kindlicher Begei­sterung. »Pama macht Feuer für dich, großer Kerl!«

Ihr Verhalten beseitigte auch die letzten Zweifel, daß Grizzard es mit einer geistig Zurückgebliebenen zu tun hatte, die vermut­lich nicht einmal wußte, was sie anrichtete.

»Kein Feuer!« rief er deshalb schnell. Vielleicht gelang es ihm, sie solange abzu­lenken, bis er sich im klaren war, was er, mit ihr anzufangen hatte. Die Gelähmten in den brennenden Häusern mußten ins Freie!

Wenn sie die Gabe besaß, durch ihre Blicke ein Feuer zu entfachen, war es viel­leicht auch möglich, daß sie auf ähnliche Weise Brände löschen konnte.

Pama, wie sich das Mädchen genannt hat­te, blickte enttäuscht. »Kein Feuer für dich?«

»Feuer machen kann jeder«, rief Grizzard. »Das ist ein schlechtes Spiel.«

»Du redest so komisch, großer Kerl. Zeig besseres Spiel!«

»Feuer löschen.« Pama blickte verständnislos – ratlos. Griz­

zard erkannte, daß seine Hoffnung verfrüht gewesen war. Um so überraschter war er, als Pama in die Höhe sprang und in die Hände klatschte.

»Hast recht, großer Kerl! Wir spielen: Ich hole Wasser, und du schlägst das Feuer tot.«

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23 Das kalte Feuer

»So machen wir's«, sagte Grizzard schnell, bevor sie es sich wieder anders überlegen konnte. Sie lief über den Platz, wahrscheinlich zu einem Brunnen. Grizzard stürmte auf das nächste brennende Haus zu und machte sich daran, die Räume, die noch nicht unter herabgestürzten Balken begraben waren, nach Gelähmten zu durchsuchen. Aus vielen Fenstern schlugen Flammen. Dort war niemandem mehr zu helfen. Als Pama mit zwei gefüllten Eimern zurück­kehrte, lagen drei Frauen und zwei Männer nebeneinander auf dem Platz. Grizzard frag­te sich, woher die Idiotin die Kraft nahm, die beiden schweren Behälter zu tragen. Er nahm ihr einen ab und mußte im gleichen Augenblick erkennen, wie aussichtslos alle Bemühungen waren.

Hier war nichts mehr zu retten. Er konnte höchstens verhindern, daß das Feuer auf die Nachbarhäuser übergriff.

Grizzard schüttete das Wasser über eine Stelle, wo schon einige Balken zu glimmen begonnen hatten. Pama folgte seinem Bei­spiel mit Begeisterung.

»Mehr Wasser?« »Ja«, sagte er. »Lauf zum Brunnen.« »Feines Spiel«, jauchzte Pama und war

schon unterwegs. Grizzard räumte auf die Straße gestürzte

Balken beiseite, nahm neue Eimer in Emp­fang und suchte weiter nach Gelähmten.

Nach einer halben Stunde hatte er alles in seiner Macht Stehende getan.

Zusammen mit Pama sah er zu, wie die brennenden Häuser einstürzten. Der Brand hatte sich nicht ausdehnen können.

Der Mann ohne Erinnerung atmete auf. Er dachte daran, Pama Fragen nach seinem ur­sprünglichen Körper zu stellen, als sie ju­belnd aufschrie und ihn an der Hand packte.

Sie zeigte in den Himmel, auf etwas, das in Grizzards Rücken lag.

»Und jetzt spielen wir mit denen da.« Er fuhr herum und sah die Roboter.

*

Es waren sieben, und sie griffen an. Schwarze Scheiben aus einem unbekannten Metall, zwei Meter durchmessend und einen halben Meter dick. Grizzard sah verschiede-ne künstliche Extremitäten wie Tentakel, Arme mit Werkzeughänden und Rohre, de­ren Mündungen bedrohlich flimmerten. Je­der der Maschinen war unterschiedlich mit diesen Extremitäten besetzt. Keine war ein exaktes Ebenbild einer anderen.

All das nahm Grizzard in Sekundenbruch­teilen eher unterbewußt wahr. Die Art und Weise, wie die Scheiben sich auf ihn und Pama herabstürzten, ließen auch für Griz­zard, der unter anderen Umständen an Hilfs­roboter, etwa solche, die zum Löschen des Brandes gekommen waren, gedacht hätte, keinen Zweifel an ihren Absichten.

Er stieß Pama an. »Los, lauf schnell weg. Die Dinger wollen

nicht mit uns spielen.« Pama blickte trotzig. »Nicht spielen? Dann mache ich ihnen

kaltes Feuer.« »Laß den Unsinn! Lauf und verstecke

dich irgendwo. Ich versuche sie zurückzu­halten.«

Beleidigt rannte das Mädchen davon, auf das große Haus mit der seltsamen Inschrift über der Tür zu. Erst später sollte Grizzard erfahren, welchen Fehler er gemacht hatte.

Die Porquetor-Rüstung stand breitbeinig wie ein ehernes Mahnmal auf dem Freien Gelände und wartete auf die ersten Angriffe. Zwei der Roboter kamen im Tiefflug heran. Offensichtlich wollten sie den Giganten, der da vor ihnen stand und keine Anstalten zur Flucht traf, nicht töten, sondern lebend ein­fangen.

Grizzard war aufgeregt. Er mußte sich da­zu zwingen, nicht zu früh die Sensoren zu berühren. Dann, als die beiden Scheiben na­he genug heran waren und ihre Tentakel zu schwingen begannen, sausten die stählernen Arme in die Luft und fuhren mit furchtbarer Wucht auf die Maschinen herab. Dies ging so schnell, daß diese keine Möglichkeit zum Ausweichen hatten. Sie gerieten ins Torkeln

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und gingen zwanzig Meter hinter dem Stäh­lernen zu Boden. Grizzard nutzte das kurze Orientierungsmanöver der fünf anderen, um sich nach der Lanze zu bücken, die er abge­legt hatte, als er mit seinen Rettungsaktionen begann …

Dies war sein zweiter Fehler. Nur eine Scheibe schwebte auf ihn zu,

während die anderen vier Pama eingeholt hatten und umkreisten. Grizzard schrie vor Wut und stieß die Lanzenspitze mit aller Wucht gegen den schwarzen Leib des Robo­ters. Sie rutschte ab, und Grizzard fiel vorn­über zu Boden. Er sah, wie das Mädchen von den Tentakeln berührt wurde. Gleichzei­tig flimmerte die Luft um Pama herum.

Sie brach ohnmächtig zusammen. Griz­zard wollte aufspringen und ihr helfen. Doch nun waren auch die beiden beschädigten Scheiben wieder in der Luft. Sie drängten ihn vor sich her. Tentakel schwirrten durch die Luft und verfehlten nur knapp ihr Ziel. Grizzard arbeitete wie besessen in seiner Körpermaske. Im Augenblick ging es nur darum, die eigene Haut zu retten. Pama war paralysiert worden – gelähmt. War es das, was der Bevölkerung Pthors zugestoßen war?

Er durfte auf keinen Fall selbst paralysiert werden. Grizzard drehte sich immer wieder so, daß er den beiden nebeneinander fliegen­den Robotern gegenüberstand. Der dritte versuchte, sich von hinten zu nähern.

Grizzards Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als er einen Augenblick lang ste­henblieb und zusah, wie die beiden Maschi­nen heranschwebten. Er wußte, wozu ihr Manöver diente. Als er glaubte, lange genug gewartet zu haben, riß er den Porquetor-Robo­ter herum und schlug blind zu. Seine Faust prallte auf die dritte Scheibe und schmetterte sie zu Boden, wobei er fast selbst von der Wucht des Aufpralls umgerissen worden wäre. Er hörte Pama schreien. Es klang wie aus weiter Ferne. Als er sich umdrehte, wa­ren die beiden nebeneinander schwebenden Roboter heran. Was jetzt kam, war reine In­stinktreaktion. Die Lanzenspitze fuhr in eine

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Öffnung, aus der sich weitere Tentakelarme schieben wollten, und setzte die betreffende Maschine außer Gefecht. Jetzt hatte er es nur noch mit einem Angreifer zu tun. Grizzard hatte keine Zeit mehr, die Arme der Rüstung hochzureißen, dazu war die Scheibe schon zu nahe heran. Die ersten Tentakel schwirr­ten heran und legten sich um den Kopfteil. Verzweifelt, warf Grizzard den Halbroboter gegen das schwarze Objekt. Er wurde in der Körpermaske regelrecht durchgeschüttelt und verlor für einige Augenblicke die Kon­trolle über Porquetor.

Als er wieder völlig bei Sinnen war, sah er die drei Maschinen am Boden liegen. Er richtete die Rüstung auf und sah sich nach Pama um. Sie war verschwunden. Auch von den vier anderen Robotern war nichts zu se­hen.

Panik erfaßte ihn. Grizzard sah, wie die beschädigten Maschinen sich in ein grün­flimmerndes Feld hüllten. Vermutlich diente es dazu, die Schäden selbsttätig zu beheben. Grizzard packte die Lanze mit beiden Hän­den und versuchte, sie zwischen zwei aus ei­ner Öffnung hervorragenden Tentakel zu stoßen – ohne Erfolg. Sie prallte an dem flimmernden Feld ab.

Grizzard war sich dessen bewußt, daß er unglaubliches Glück gehabt hatte. Noch ein­mal würde er den Robotern nicht entkom­men. Er hatte keine große Lust, dabei zuzu­sehen, wie sie sich selbst reparierten.

Grizzard begann zu laufen, auf das Stadt­tor zu, dann hinaus auf die Straße, auf der er nach Orxeya gekommen war. Er wußte nicht, wohin er fliehen könnte. Wenn er erst einmal außer Sichtweite der Roboter war, konnte er sich darüber Gedanken machen.

Nachdem er gesehen hatte, wie schnell sich die beiden, die er vorübergehend außer Gefecht setzen konnte, »erholt« hatten, war er jetzt darauf bedacht, so schnell wie mög­lich ein Versteck zu finden. Auf offener Straße war er noch kilometerweit für sie sichtbar, und der Blutdschungel war weit.

Nach etwa einer halben Stunde sah er eine kleine, halbverfallene Baracke am Rand ei­

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nes Obstfeldes. Er blickte sich um. Noch war nichts von den Verfolgern zu sehen.

Grizzard verließ die Straße und lief auf den Schuppen zu. Wie nicht anders zu er­warten, lagen zwei gelähmte Frauen vor dem Eingang. Grizzard fragte sich, wieso ih­re Lebensfunktionen nicht erloschen, wenn sie tage- oder wochenlang so herumlagen. Gott sei Dank schienen auch alle Tiere von der Paralyse betroffen zu sein, so daß keine Räuber in die Nähe kamen.

Grizzard sah sich noch einmal um. Nichts. Keine dunklen Punkte, die über den Stadt­mauern in die Luft stiegen.

Er schlug ein schmutziges Tuch zur Seite und drang in die Hütte ein. Ein Mann lag über einem Tisch, einen Krug mit übelrie­chender Flüssigkeit in der Hand.

Grizzard kümmerte sich nicht um ihn. Er blickte sich um. Einige Stühle standen in den Ecken, dazu Krüge und mit verfaulen­den Früchten gefüllte Körbe. Die Hütte be­stand nur aus einem Raum und mochte vier mal fünf Meter groß sein. Das Dach war so niedrig, daß die Rüstung ständig gebeugt werden mußte, um nicht an Balken zu sto­ßen.

Durch kleine Fenster war ein Teil der Straße und der umliegenden Felder zuerken­nen.

Grizzard atmete auf. Hier war er sicher. Die Roboter würden ihn zuerst in der Stadt oder in den kleinen Hainen in der Umge­bung suchen.

Nur Minuten später erkannte er seinen Irr­tum.

Die drei Scheiben erschienen über der Stadtmauer und nahmen direkten Kurs auf die Hütte. Es gab keinen Zweifel daran, daß sie von Anfang an gewußt hatten, wo er steckte.

Das ging nicht mit rechten Dingen zu! Wieder spürte Grizzard die Panik in sich

aufsteigen. Er konnte nicht hinaus, ohne den Verfolgern direkt in die Arme zulaufen. Doch auch wenn er hier blieb, hatten sie ihn innerhalb weniger Minuten umzingelt. Über die Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung

standen, machte er sich keine Illusionen. Was wollten sie von ihm? Weshalb hatten

sie Pama weggeschleppt? Was nützte ihnen oder jenen, die sie geschickt hatten, eine Idiotin?

Aus Grizzards Sicht war die einzige Mög­lichkeit die, daß es sich um ein Wachkom­mando handelte, das ihn neben Pama für die Brandstiftung verantwortlich machte.

War es dann nicht vernünftiger, sich zu stellen und darauf zu hoffen, daß sich alles aufklärte?

Irgend etwas in ihm wehrte sich dagegen. Unbewußt hatte Grizzard damit begonnen, die Füße des Halbroboters den aus Lehm be­stehenden Boden aufwühlen zu lassen. Plötzlich stießen sie gegen etwas Hartes.

Grizzard blickte aus dem Fenster. Die Jä­ger waren noch einen halben Kilometer ent­fernt. Schnell legte er die betreffende Stelle ganz frei. Ein metallener Ring war in eine etwa zwei mal zwei Meter breite Holzplatte geschraubt.

Draußen begann die Luft zu flimmern. Merkwürdige Leuchterscheinungen erfüllten das Innere des Schuppens. Ohne lange zu überlegen, griff Grizzard mit Porquetors rie­sigen Händen nach dem Ring und riß die Platte aus dem Boden. Er blickte in einen dunklen Schacht.

Grizzard stieg über eine nach unten füh­rende Leiter hinein und schob die Platte wie­der an ihren Platz. Wenn die Maschinen die Hütte nur flüchtig untersuchten, bemerkten sie die Schleifspuren und den aufgewühlten Lehm vielleicht nicht.

Doch darauf wollte er sich nicht verlas­sen. Grizzard stieg weiter nach unten. Viel­leicht handelte es sich bei dem Schacht um einen stillgelegten Brunnen. Wahrscheinli­cher war, daß er schon den Bewohnern der Hütte als Schutz gegen die Angriffe der Ein­geborenen aus dem Blutdschungel gedient hätte. Caidon-Rov hatte davon berichtet, daß einige Stämme regen Handel mit den Or­xeyanern trieben, aber jede Gelegenheit nutzten, um die Stadt anzugreifen.

Endlich erreichte er die Sohle. Es war völ­

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lig dunkel, aber offensichtlich, daß Grizzard sich auf einem Gang befand, groß genug, um ihn aufrecht gehen zu lassen.

In Gedanken bei den Verfolgern, steuerte er den Halbroboter immer tiefer in den Stol­len hinein. Es fiel schwer, hier Entfernungen abzuschätzen. Irgendwo mußte es einen zweiten Ausgang geben.

Immer wieder blieb Grizzard stehen und sah sich um. Der erwartete Lichtschein blieb aus. Entweder hatten die Roboter den Gang tatsächlich nicht entdeckt, oder sie hatten von vornherein auf eine Verfolgung verzich­tet. Selbst wenn sie sich querstellten, paßten die Scheiben nicht in den Stollen hinein.

Was taten sie dann? Warten? Oder wuß­ten sie schon jetzt, wo er wieder auftauchen würde?

Endlose Minuten voller Ungewißheit. Und dann stieß die Rüstung gegen eine Wand.

Grizzard fand eine Leiter und kletterte daran in die Höhe, bis der Helm gegen ein Hindernis stieß. Vorsichtig hob er die Platte hoch. Sie war schwerer als die in der Hütte und aus Metall.

Durch den größer werdenden Schlitz sah Grizzard Felder und eine Gruppe von Bäu­men. Er war nicht, wie er befürchtet hatte, in der unmittelbaren Nähe von Orxeya.

Grizzard stemmte die Platte zur Seite und kletterte aus dem Stollen. Erleichtert stellte er fest, daß von den Verfolgern nichts zu se­hen war.

Ein kleines Wäldchen. Dichtbelaubte Bäume, die ihm Deckung gaben. Zumindest glaubte er das, bis er die drei Punkte am Himmel sah, die schnell an Größe gewan­nen.

Grizzard resignierte. Es war unmöglich, daß sie von der Hütte

aus beobachtet hatten, wie er hier aus dem Schacht stieg. Aber woher wußten sie dann, wo er zu finden war?

Grizzard versuchte nicht mehr zu fliehen. Er sah, wie die Scheiben auf ihn zukamen und die Luft zu flimmern begann. Kleine blaue Flämmchen züngelten an seiner Rü-

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stung empor. Grizzard hatte das Gefühl, in einen unendlichen Abgrund zu stürzen. Ob­wohl die Optik des Halbroboters nach wie vor ausgezeichnet funktionierte, sah er plötzlich nichts mehr. Dunkelheit griff nach seinem Bewußtsein.

Er nahm nicht mehr wahr, wie Kraftfelder nach ihm griffen und ihn mit der Rüstung in die Höhe hoben.

Eine einzige Frage füllte sein Denken aus, bevor er endgültig die Besinnung verlor:

Warum?

6. ATLAN: GEFANGEN

Atlan hatte keine Ahnung, wie lange sie unterwegs gewesen waren, als das Motoren­geräusch abebbte und kurz darauf das Rau­penfahrzeug zum Stehen kam. Vielleicht drei Stunden, vielleicht fünf.

Die Türen der Fahrerkabine öffneten sich. Die schlanken Fremden stiegen aus, ohne sich um die Gefangenen zu kümmern. Atlan und Dorstellarain lagen allein in der Kabine.

»Was soll das?« grollte die Stimme des Hünen. »Wollen sie uns hier schmoren las­sen?«

»Eher erfrieren«, knurrte Atlan. »Ich glaube, daß die Burschen ihre Schuldigkeit getan haben und sich jetzt jemand anders um uns kümmern wird.«

Dorstellarain kniff die Augen zusammen. »Du meinst, wir sind wirklich in Gyn­

saal?« »Möglich«, sagte der Arkonide. Die bei­

den lagen sich gegenüber. Auch wenn einer von ihnen den Kopf hob, war nicht viel mehr als Schneegestöber zu erkennen.

Es war aber unwahrscheinlich, daß es in Gynsaal, das doch unter einem undurch­dringbaren Energieschirm liegen sollte, schneite.

Wohin hatte man sie dann gebracht? »Das Empfangskomitee«, brummte Dor­

stellarain. Er blickte auf etwas in Atlans Rücken. Fast im gleichen Augenblick spürte der Arkonide die Berührung. Ein langer

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Tentakelarm wand sich um seinen Oberkör­per und hob ihn hoch. Ein zweiter legte sich um die Beine.

Atlan wurde aus der Kabine gezogen, während weitere Tentakel auf Dorstellarain zuschossen.

Atlan sah den Boden auf sich zukommen. Schnee. Jetzt war er sicher, daß man sie nicht nach Gynsaal gebracht hatte.

Er wurde weich abgelegt. Die Tentakelar­me zogen sich zurück. Atlan wälzte sich her­um. Gefesselt auf dem Rücken liegend, er­kannte er zwei der scheibenförmigen Robo­ter, wie sie ihm Scharenweise in der Unter­welt von Atlantis begegnet waren, wo sie vom Transmitter, durch den er hierherge­langt war, ausgespien worden waren.

Die gleichen Roboter hatte er am Stadt­rand von Orxeya gesehen.

Dorstellarain ließ sich nicht so ohne wei­teres aus dem Fahrzeug zerren. Er schrie und bäumte sich auf, versuchte die Fesseln zu sprengen und spuckte nach den Scheiben, mit dem Ergebnis, daß er erheblich unsanf­ter als Atlan im Schnee landete.

»Verfluchte Automaten!« brüllte er. »Feiglinge! Mit einem Gefesselten kann man sich's ja erlauben!«

»Beruhige dich«, sagte Atlan. »Sag mir lieber, ob du weißt, wohin sie uns gebracht haben.«

Dorstellarain murmelte etwas Unfreundli­ches vor sich hin und hob den Kopf. Er lach­te rauh:

»Und ob ich das weiß. Siehst du die Hal­len dort? Genauso sieht's da aus, wo ich dich abholte.«

»Du meinst, daß wir wieder da sind, wo wir angefangen haben?«

»Diese Hallen sind größer«, knurrte der Clanoc. »Es ist nicht die gleiche Nebenstati­on, aber sie könnte den gleichen Zweck er­füllen.«

Atlan kam nicht dazu, eine weitere Frage zu stellen. Einige der schlanken Fremden kamen heran und packten die Gefesselten. Atlan konnte nicht erkennen, ob es sich um dieselben Männer handelte, die sie hierher­

gebracht hatten. Jetzt sah auch er die Hallen. Es waren

mindestens zehn. Weitere konnten sich auf der anderen Seite des Komplexes befinden. Die Hochgewachsenen schleppten sie zu ei­nem der flachen, rechteckigen Gebäude. Ei­ne Tür öffnete sich. Die Halle war in mehre­re Sektoren unterteilt, zwischen denen hel­lerleuchtete Korridore hindurchführten. At­lan und Dorstellarain wurden fast bis zum Ende eines dieser Gänge getragen. Dann öff­nete einer der Fremden eine weitete Tür, aus der fahles Licht drang.

Die Gefangenen wurden in den Raum ge­tragen, der kaum größer war als sechs mal sechs Meter, und abgelegt. Ohne ein Wort oder eine Geste verschwanden die Männer.

Die Tür wurde von außen geschlossen. Es dauerte eine Weile, bis sich die Augen

der Gefesselten, die beide auf dem Rücken lagen, an das Halbdunkel gewöhnten.

»Verdammt!« schrie Dorstellarain plötz­lich so laut, daß selbst Atlan, der von ihm schon einiges gewöhnt war, zusammen­schrak.

»Hör auf zu fluchen! Dadurch kommen wir auch nicht wieder hier heraus.«

»Ich will aber fluchen! Ich brenne am ganzen Körper. Spürst du die Hitze nicht?«

Ein Kichern. Atlan fuhr herum, wobei er sich fast eine Verrenkung zuzog.

Zunächst erkannte er nur eine kleine Ge­stalt, die in der gegenüberliegenden Ecke kauerte.

Dann begriff er. »Du gefällst mir, dicker Kerl«, sagte das

Mädchen, offenbar an Dorstellarain ge­wandt. »Du spielst Feuer mit mir, ja?«

*

Hätte Atlan nur wenige Minuten länger in der Beobachtungsröhre gesteckt, so wäre Dorstellarain wahrscheinlich einiges erspart geblieben. So aber konnte der Arkonide nichts von den erstaunlichen Fähigkeiten des Kindes wissen.

Dorstellarains Fellbekleidung begann zu

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glimmen. Der Clanoc versuchte aufzusprin­gen, aber da seine Beine gefesselt waren, blieb es nur bei einigen Verrenkungen.

Dorstellarain schrie vor Schmerzen. »Gutes Feuer!« jauchzte das Mädchen.

»Sehr gutes Feuer! Gefällt dir doch, dicker Kerl, oder?«

Atlan ahnte etwas. »Machst du das?« fragte er, während er

versuchte, sich an das Mädchen heranzu­schieben.

»Na klar. Pama kann besser Feuer ma­chen als alle. Willst du auch Feuer?«

»Nein, nein«, wehrte der Arkonide schnell ab. »Hör auf damit. Es tut ihm weh.«

Im gleichen Augenblick erlosch das Glimmen.

»Ich habe es schon gemerkt«, sagte das Kind. »Er ist ein dummer dicker Kerl.«

»Der dir eine runterhauen wird, sobald er die Fesseln los ist«, rief Dorstellarain. »Atlan, wer ist diese Verrückte?«

»Das Mädchen, das ich sah, als ich in der Röhre steckte«, antwortete der Arkonide.

»Pama«, korrigierte das Kind. »Ich heiße Pama – und du?«

»Atlan.« »Das ist ein schöner Name. Und wie heißt

der dumme dicke Kerl?« »Der dumme dicke Kerl heißt Dorstella­

rain!« schrie der Clanoc. »Ich werde dir das Fell über die Ohren ziehen!«

»Mit dir spreche ich nicht«, tat Pama be­leidigt kund. Dann kicherte sie erneut. Sie sah Atlan an und entblößte eine Reihe weit auseinanderstehender Zähne. »Willst du spielen?«

»Später bestimmt«, beeilte sich der Arko­nide zu versichern. »Im Augenblick bin ich zu müde, das verstehst du doch?«

»Alle sind sie müde dumm oder dick«, klagte Pama mit einem verächtlichen Blick auf Dorstellarain. »Oder sie wollen Feuerlö­schen spielen wie der Eisenmann.«

»Der … der Eisenmann?« entfuhr es At­lan. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß Griz­zard doch auch hier sein müßte. Es war nach allem, was er jetzt über die Funktion der

Horst Hoffmann

Zarmack-Blasen und der Roboter wußte, fast sicher, daß er zusammen mit dem Mädchen gefangengenommen worden war. Gegen die schwarzen Scheiben hatte er auch in der Porquetor-Rüstung keine Chance.

Wo befand er sich dann? Atlan stellte Pama eine entsprechende

Frage. »Ein dummes Spiel«, sagte sie. »Keine

Lust mehr. Ich finde es ulkig hier.« Dorstellarain warf Atlan einen vielsagen­

den Blick zu. Das Mädchen hatte das geisti­ge Niveau einer Dreijährigen. Es schien ein Tick von Pama zu sein, alles als ein Spiel anzusehen.

Atlan dachte indessen an die plötzlich in Orxeya aufgeflackerten Brände. Er bezwei­felte kaum noch, daß Pama dafür verant­wortlich war, wenn sie auch vielleicht nicht wußte, was sie tat.

Das Mädchen war möglicherweise ein schlummernder Vulkan. Es konnte sie alle umbringen, falls es ihm einfallen sollte, in diesem Gefängnis ein Feuer zu entfachen.

Aber ein Kind, das kraft eines Geistes Ge­genstände oder Menschen zum Brennen bringen konnte, in Orxeya?

Hatte Pama etwas mit den Magiern in der Großen Barriere von Oth zu tun? Wie kam sie dann in die Händlerstadt?

Äußerlich unterschied sie sich, von ihrer Häßlichkeit abgesehen, nicht von den Kin­dern, die Atlan in Orxeya gesehen hatte.

Pama war im Moment nicht ansprechbar. Sie rollte mit den Augen, starrte die Decke an und kicherte hin und wieder in sich hin­ein. Insgeheim war Atlan froh, daß auch sie gefesselt war. Wer wußte, was sie sonst alles anstellen würde.

Wieso verbrannte sie die Fesseln eigent­lich nicht?

Atlan hütete sich, Pama darauf anzuspre­chen. Wenn sie erst einmal wieder angefan­gen hatte, den Feuerteufel zu spielen, war es gut möglich, daß sie außer Rand und Band geriet und nicht zu halten war.

Dennoch spielte der Arkonide mit dem Gedanken, daß sich Pamas Fähigkeiten unter

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Umständen gegen die Fremden einsetzen ließen. Die Frage war nur, inwieweit das Mädchen seine Kräfte kontrollieren konnte.

»Will man uns hier verhungern lassen?« fragte Dorstellarain mürrisch. »Wieso haben die Burschen uns in eine Auffangstation für in die Dimensionsschleppe deportierte Ptho­rer gebracht? Wenn sie uns ausschalten wol­len, können sie's einfacher haben.«

»Bist du jemals solchen Männern begeg­net, als du die Neuankömmlinge abholen mußtest?« fragte Atlan.

»Nie. Sie befanden sich alle so wie du in der Station, ohne Bewachung.«

»Also haben wir es nicht mit einer einfa­chen Auffangstation zu tun«, sagte der Ar­konide. »Die Anlage muß noch andere Zwecke erfüllen. Wahrscheinlich beobachtet man uns. Möglicherweise werden wir ver­hört werden. Dann bietet sich vielleicht doch noch eine Chance.«

Atlan versuchte, durch sein Mienenspiel auszudrücken, was er damit meinte. Falls es versteckte Kameras und Mikrophone im Raum gab, durfte er nichts sagen, was auf seine Absicht schließen ließ.

Und diese Absicht bestand darin, die Fremden auf irgendeine Weise dazu zu brin­gen, daß er und der Clanoc nach Gynsaal ge­schafft wurden.

»Wenn sie uns endlich hören können, sol­len sie wissen, daß ich Hunger habe und endlich die Fesseln los sein will!« rief Dor­stellarain so laut, daß Pama zusammenfuhr.

»Sieh mich nicht so komisch an«, knurrte der Clanoc, der schon befürchtete, Pama könnte ihm erneut einheizen. »Du hast doch sicher auch Hunger, oder?«

»Byjurc frißt am liebsten alte Knollen«, sagte Pama leise. Dann fing sie an zu wei­nen. Tränen liefen ihre Wangen hinab. »Byjurc ist nicht dick und dumm. Er kann nicht mehr laufen.«

Bevor Atlan oder Dorstellarain fragen konnten, wer dieser Byjurc eigentlich sei, begann die Decke des Gefängnisses zu bren­nen. Pama heulte zum Steinerweichen, und je mehr sie sich in ihre Erregung hineinstei­

gerte, desto größer wurden die Flammen, die jetzt regelrecht die Wände herunterwander­ten, den Boden erreichten und sich den Ge­fesselten näherten. Es wurde innerhalb weni­ger Sekunden unerträglich heiß. Atlan schrie das Mädchen an, doch Pama war geistig völ­lig abwesend.

Eine Stichflamme schoß aus dem Boden zwischen Atlan und Dorstellarain. Der Ar­konide wußte nicht, aus welchem Material die Wände und die Decke bestanden.

Das war jetzt auch egal. Sie brannten lich­terloh. Er war gefesselt und mußte hilflos mitansehen, wie die Flammen sich näherten. Eine weitere Stichflamme blendete ihn. Er bekam kaum noch Luft.

Schützte ihn das Goldene Vlies auch ge­gen das Feuer?

Dorstellarains Felljacke begann zu bren­nen. Ätzender Geruch erfüllte den Raum. Atlan zerrte an den Fesseln, versuchte, sich aus ihnen herauszuwinden, schrie weiter nach Pama.

Sie konnte ihn nicht mehr hören. Die Brandstifterin lag bewußtlos am Boden.

Dorstellarains Gesicht hatte sich verfärbt. Der Clanoc biß die Zähne aufeinander und kniff die Augen zusammen. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Es fiel Atlan schwer, noch etwas zu erkennen. Dunkle Flecken er­schienen vor seinen Augen und wurden schnell größer. Doch er nahm noch wahr, wie der Hüne die Luft anhielt und sich mit fast übermenschlicher Kraft auf die Knie aufrichtete. Mit einem ohrenbetäubenden Schrei sprengte er die über den Oberkörper gelegten Fesseln.

Atlan schöpfte neue Hoffnung. Er kämpf­te gegen die Ohnmacht an. Der Zellaktivator und das Goldene Vlies verliehen ihm zusätz­liche Kräfte, doch was war das gegen die ungeheure Energieleistung des Clanocs, dem diese Hilfsmittel nicht zur Verfügung stan­den?

Dorstellarain schaffte es, auch die Fußfes­seln zu lösen. Er schrie auf wie ein Besesse­ner und kam taumelnd auf die Beine.

Sekundenlang starrte er Atlan wie jemand

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an, der nicht begriff, was mit ihm geschah. Er schnappte nach Luft und versuchte, die kleinen Flämmchen an der Jacke und der Beinkleidung zu ersticken.

Von einem Augenblick zum anderen stürzte er mit aufgerissenen Augen zu Bo­den.

Keine Folge der Überanstrengung, mel­dete sich der Extrasinn des Arkoniden. Die Luft ist es. Von den brennenden Wänden ge­hen giftige Dämpfe aus! Es ist fraglich, ob der Aktivator sie neutralisieren kann.

Atlan konnte kaum noch klar denken und die Konsequenzen der Botschaft erkennen. Er wollte nur eines: nicht mehr zusehen müssen, wie Pama und Dorstellarain ver­brannten.

Er spürte die Schmerzen nicht mehr. Pthor, La'Mghor, die Odinssöhne, Razamon, die Schwarze Galaxis – all das war plötzlich unvorstellbar weit weggerückt.

Noch einmal lehnte er sich gegen das grausame Schicksal auf und zerrte an den Fesseln. Außer Atem fiel er auf den Rücken.

Eine Gestalt schälte sich aus den Flam­men. Ein Gesicht, das er kannte und ihn an­lächelte. Perry Rhodan streckte eine Hand nach ihm aus. Atlan wollte sie ergreifen, aber er war unfähig, sich zu bewegen.

Die Vision verschwand so schnell, wie sie gekommen war.

Der Arkonide hatte im Lauf seines langen Lebens und seiner Abenteuer auf der Erde viele Völker kennengelernt. Fast jedes hatte dem nahenden Tod bestimmte Symbole zu­geordnet.

Atlan erinnerte sich an ein Indianervolk Nordamerikas, dessen Angehörige wußten, daß sie sterben würden, wenn sie den flam­menden Stern des Todes sahen.

Apathisch, mit weit aufgerissenen Augen blickte Atlan in die Flammen. Ein heller Punkt schälte sich aus ihnen heraus.

Ein Stern. Ein flammender Stern.

*

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Welk stand in einem flimmernden Feld, kreisförmig und mit einem Durchmesser von etwa drei Metern. Die Höhe der Glocke be­trug fünf Meter. Von Projektoren aus der Decke des quadratischen, mit Instrumenten übersäten Raumes, in dem sich neben Welk drei weitere Kodos befanden, flossen ständig neue Energien in das Feld.

Welk stand in Kontakt mit den Herren von Gynsaal. Er sprach in eine direkt vor seinem Gesicht schwebende, faustgroße Ku­gel und berichtete, was sich in der Zarmack-Blase zugetragen hatte, in die die Fremden eingedrungen waren.

Dann wartete er, bis die Kugel blau zu leuchten begann.

Er vernahm die Anweisungen aus Gyn­saal und bestätigte sie.

Das Leuchten erlosch im gleichen Augen­blick, in dem das Feld sich auflöste. Die Ku­gel schwebte zur Decke empor und blieb zwischen den Projektoren haften.

Welk trat zu den anderen dreien und teilte ihnen mit, wie die Entscheidung über das Schicksal der Gefangenen ausgefallen war. Danach beobachtete er über die Sichtschir­me die Vorbereitungen für die Übernahme des Pthorers, der den Robotern so unerwar­teten Widerstand entgegengesetzt hatte.

Wenig später kam das Signal aus Gyn­saal, daß er abholbereit war. Zwei der Kodos verließen wortlos den Kontrollraum. Bald würden sie mit dem Verbannten zurück sein. Es war nicht Welks Aufgabe, die Konse­quenzen aus dem ungeheuerlichen Gesche­hen der letzten Stunden zu ziehen. Dennoch beschäftigte es ihn. Noch niemals war es vorgekommen, daß ein gezielter Anschlag auf die Zarmack-Blasen ausgeübt worden war.

Welk hatte Befehle auszuführen, mehr nicht. Doch immer öfter ertappte er sich da­bei, daß er Fragen stellte.

Es war nicht das erstemal, daß man von der Dimensionsschleppe aus eingegriffen hatte, wenn Bewohner Pthors zu einer Ge­fahr für den Dimensionsfahrstuhl wurden.

Doch jetzt hatten sich die Verhältnisse

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grundlegend geändert. Die Herren der FESTUNG waren tot.

Gegner waren am Werk und drohten nun so­gar zu einer Gefahr für die Dimensions­schleppe zu werden.

Dennoch hatten sie keine Chance. Indirekt war Gynsaal ein Stück der

Schwarzen Galaxis, aus der auch Welk stammte.

Mit Verbitterung dachte der Kodo daran, daß auch letzteres nur indirekt der Fall war.

Es war ein Frevel, an die Vergangenheit zu denken – an jene Zeit, als sein Volk, ge­nauer gesagt das Volk, das ihn geschaffen hatte, eine eigene Welt bewohnt hatte.

Zumindest behaupteten dies die Legen­den.

Und doch versuchte Welk immer wieder, sich an die Ursprünge zu erinnern, obwohl er wußte, daß ihm dies niemals gelingen würde.

Der Kodo war so in seine Gedanken ver­sunken, daß er das Alarmsignal viel zu spät bemerkte. Herl, der in der Beobachtungsni­sche saß, war völlig von der Außenwelt iso­liert, so daß auch er es nicht hatte sehen kön­nen.

Feuer in der Zelle der Gefangenen! Die Dringlichkeitsstufe des Signals verriet Welk, daß es schon seit Minuten toben mußte.

Sofort schickte er einen Robotertrupp los, aber er machte sich keine Hoffnungen. Ver­mutlich waren die drei längst tot. Sie waren gefesselt und konnten sich nicht wehren.

Welk verfolgte mit steigender Erregung, wie die Roboter durch die Korridore schwebten. Er sah sich in seinen Befürch­tungen bestätigt. Die Dinge begannen außer Kontrolle zu geraten.

Er war dafür verantwortlich, daß die Ge­fangenen nach Möglichkeit unversehrt nach Gynsaal gebracht wurden.

Welk kannte die Gründe für die Entschei­dung aus Gynsaal nicht, und so konnte er nicht einmal Vermutungen darüber anstel­len, welche Folgen der Tod der Fremden ha­ben könnte.

Welk hielt es nicht mehr im Kontroll­

raum. Er holte Herl aus der Nische und wies ihn an, seine Arbeit vorläufig zu überneh­men. Dann stürmte er auf den Korridor hin­aus.

7. WOMMSER: DAS NEUE LEBEN

Sein Bewußtsein tauchte aus dem unend­lichen Dunkel einer unbegreiflichen Welt. Es dauerte eine Weile bis Wommser zu sich selbst fand.

Er lebte. Allmählich kehrte die Erinnerung zurück.

Die Flucht vor den Schattenballungen, die Todesstille über Pthor, die Angst, sterben zu müssen und eine Katastrophe auszulösen.

All das war vorbei. Wommser wußte es ganz einfach. Was er nicht wußte, war, wo er sich befand und was er während der Zeit­spanne vor dem Erwachen erlebt hatte.

Er hatte sich auf einer anderen, phantasti­schen Welt befunden. Aber wo?

Das artverwandte Leben! Wommser spür­te seine Nähe und wie es langsam neue Energien aufbaute – so wie er zuvor.

Er fühlte Angst, doch es war nicht nur sei­ne Angst.

Eine leise Stimme, die aus ihm selbst her­auszukommen schien.

Wer bist du? Die Erleichterung darüber, daß das art­

fremde Leben nicht durch Wommsers »Überfall« ausgelöscht worden war, wich der Neugier.

Wommser wollte eine Antwort formulie­ren, aber er fand keine Begriffe. Als was sollte er sich beschreiben? Wer oder was war er? Wohin gehörte er? Zu Kolphyr?

Dann bist du wie ich, hörte Wommser. Die Stimme entstand mitten in seinem Be­wußtsein. Ich sah die Bilder, die du dach­test. Ich heiße Leenia. Dies ist der Name, den ich einmal erhielt, auf meiner Welt.

Auf deiner Welt? dachte Wommser. Dann stammst du nicht von Pthor?

Immer noch schwang in den Gefühlsbil­dern, die der Dimensionssymbiont wahr­

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nahm, Angst mit. Doch auch Leenia, wie sich das artverwandte Leben nannte, war neugierig. Allmählich schieb sie Zutrauen zu jener Wesenheit zu fassen, die sich in ihr breitgemacht hatte.

Leenia öffnete ihren Gedankenschirm, so daß alles, was sie selbst wußte, Leenias gan­ze »Seele«, ausgebreitet vor Wommser lag.

Augenblicke später wußte Wommser alles über sie – soweit sie selbst sich kannte.

Irgendwann hatte sie sich auf dieser Welt – Pthor – wiedergefunden, nachdem etwas geschehen sein mußte, das jenseits der Erin­nerung lag. Sie wußte nur, daß sie einmal unter Wesen gelebt hatte, die so waren wie sie.

Wommser »sah« Leenias Körper, eine junge Frau mit langen Haaren und kupferfar­bener Haut, doch auch dieses Bild war vage.

Leenia wußte nicht, ob sie immer so ge­wesen war.

Sie wartete auf etwas, das sie sinngemäß den »Ruf der Höheren Welten« nannte. Auch hierüber war sie sich im unklaren. Ir­gendwann würde der Ruf sie ereilen, und sie würde ihm zu folgen haben. Wie das von­statten gehen sollte, lag ebenfalls noch im ungewissen.

Du bist mir ähnlich, dachte Leenia wie­der. Sie kannte Wommsers Entwicklungsge­schichte ebenso wie er die ihre. Es gab zwi­schen den beiden Wesen keine Schranken. Es war, als ob sie zu einem Bewußtsein ver­schmolzen wären.

Ähnlich, dachte Wommser und erschrak über die Bitterkeit, die er plötzlich spürte. Zum zweitenmal innerhalb kurzer Zeit be­gann er sich zu fragen, wer er eigentlich war.

Eine energetische Sphäre, geboren aus dem Aufeinandertreffen von Normal- und Antimaterie. War er ein Neutrum? An die wenigen Tage, in denen er als Symbiont in Kolphyrs Oberarm herangewachsen war, hatte er kaum eine Erinnerung. Ein feines Gespinst hatte ihn von der »Außenwelt«, die auch Kolphyrs Körpergewebe für ihn dar­stellte, isoliert, bis dieser Schutz nicht mehr

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ausreichte und er »geboren« wurde und sich unbewußt in die Räume zwischen den Di-mensionen katapultierte.

War es möglich, daß es dort Welten gab, die es Wesen wie ihm gestatteten, ohne Schutz auf ihnen zu leben? War es das, wo­nach er suchte? Stammte Leenia von einer solchen Welt, auf der es keine gegensätzli­chen Zustandsformen von Materie und Ener­gie gab?

Ein nie gekanntes Gefühl der Geborgen­heit erfüllte Wommser. Der Wunsch, diese Geborgenheit niemals mehr aufgeben zu müssen. Er war in Leenia aufgegangen, als ob er in eine zweite Haut geschlüpft wäre. Doch war ein Zusammensein auf längere Sicht überhaupt möglich, ohne daß einer der beiden Partner Schaden nahm?

Deine Befürchtungen sind unbegründet, wisperte es in ihm. Im Gegenteil gibst du mir neue Kraft. Vorhin hatte ich sogar den Eindruck, ins Nichts geschleudert zu werden und meine Heimat zu sehen. Natürlich ist dies unmöglich, bevor ich nicht den Ruf ge­hört habe.

Ein phantastischer Gedanke kam Womm­ser, und Leenia kannte ihn im gleichen Au­genblick. In ihr existierten die gleichen Kräfte wie in ihm, und auch sie war in ein unsichtbares Neutralisationsfeld gehüllt.

Eine gemeinsame Zukunft für beide als ein Wesen?

Ein neues Leben? Doch da war Kolphyr. Wommser hatte es

bislang als Sinn seiner Existenz betrachtet, dem Elter zur Seite zu stehen, falls dieser in Gefahr geriet. – Kolphyr und seine Freunde. Er konnte Kolphyr nun nicht einfach im Stich lassen, obwohl sich ihm völlig neue Welten auftaten.

Alles war noch viel zu neu und verwir­rend für Wommser. Phantastische Aspekte, die möglicherweise nur die Spitze eines Eis­berges darstellten.

Das eine schließt das andere nicht aus, vernahm er. Wir können beide auf die Suche nach Kolphyr gehen. Solange ich den Ruf nicht höre, bin ich frei in meinen Entschei­

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dungen. Und auch ich werde vielleicht je­manden finden, den ich viel zu früh verlor. Ich traf ihn vor nur kurzer Zeit. Er hieß Le­bo Axton.

Die lautlose Stimme schwieg einen Au­genblick, als lauschte Leenia tief in sich hin­ein, in einen Teil ihres Bewußtseins, das Wommser noch verborgen war.

Und außerdem, teilte sie dann mit, ist eine Trennung nicht mehr möglich. Wir gehören nun zusammen. Niemand von uns hat die Kraft, sich vom anderen zu lösen. Wir sind eins geworden, Wommser.

Leenia dachte dies so gelassen, als gäbe es für sie nichts Selbstverständlicheres auf der Welt.

*

Leenia war durch die Hügel in der Nähe der Senke der verlorenen Seelen gestreift, solange sie sich erinnern konnte. Irgend-wann vor nicht allzu langer Zeit war sie wie aus einem tiefen Schlaf gerissen worden. Wahrscheinlich hatte sie lange Zeit in einem Dämmerzustand auf Pthor zugebracht.

Sie hatte nichts, das ihr gehörte – mit ei­ner Ausnahme.

In der kleinen Höhle an einem schroff ab­fallenden Hang, wo sie erwacht war, befand sich ein Anzug aus unbekanntem roten Ma­terial. Sie hatte ihn nicht angelegt, obwohl sie glaubte, daß er für sie dort deponiert worden war. Der Anzug fühlte sich kalt an, und so hatte sie ihn kaum beachtet und nackt die Wälder durchstreift. Dabei fühlte sie sich wohl. Sie lebte in den Tag hinein, ernährte sich von Früchten und trank das Wasser der klaren Bäche. Irgend etwas sagte ihr, daß sie diese Nahrung nur brauchte, um ihren Kör­per nicht zu verlieren.

Doch auch das bereitete ihr keine Sorgen, solange sie auf den Ruf wartete.

Nur einmal hatte sie Angst davor gehabt, irgendwann ihren jetzigen Körper wieder zu verlieren – als sie Lebo Axton begegnet war.

Vielleicht war diese Angst unbegründet. Vielleicht war sie das Abbild der wirklichen

Leenia. Axtons Anblick war ihr seltsam ver­traut gewesen. Sahen dort, wo sie zu Hause war, ihre Brüder und Schwestern so aus wie er und sie?

Sie würde es früher oder später erfahren. Dann dient dein Aufenthalt auf Pthor ei­

nem bestimmten Zweck? erkundigte sich Wommser, während Leenia sich der Höhle näherte, in der der Anzug liegen mußte.

Ja, dachte sie. Ich habe, einen Auftrag. Und du wirst erst erfahren, wie dieser

Auftrag lautet, wenn du den Ruf der Höhe­ren Welten hörst?

So ist es, bestätigte das Mädchen. Wommser stellte keine weiteren Fragen.

Leenia arbeitete sich mit graziösen Bewe­gungen durch das Dickicht, bis sie einen kleinen Pfad fand. Manchmal, etwa bei Un­wettern oder wenn sie sehr müde war, kehrte sie in die Höhle zurück.

Sie kletterte über ein paar Felsen und blieb an einem Baum stehen, zwischen des­sen riesigen roten Blättern gelbe Früchte hingen. Leenia pflückte einige und aß sie.

Eine halbe Stunde später hatte sie ihr Ziel erreicht.

Der Anzug lag noch immer unberührt ne­ben einem Lager aus Gräsern. Leenia zöger­te einen Augenblick.

Du hast Angst davor, ihn anzulegen, er­kannte Wommser.

Ich weiß nicht, was geschehen wird. Doch wenn wir aufbrechen, muß ich ihn an­legen. Bisher hatte ich mich niemals weit von der Höhle entfernt.

Wer sagt dir, daß du ihn tragen mußt? fragte Wommser.

Es muß so sein, kam die Antwort. Wir werden vielleicht nie mehr zurückkommen.

Leenia bückte sich und berührte den An­zug. Ein feines Flimmern umspielte einen Augenblick lang ihre Finger. Dann gab sie sich einen Ruck und hob ihn auf.

Sie sah sich um, als nähme sie von etwas Abschied. Das Strohlager, die grauen Wän­de der Höhle, die grünen Hügel, die bisher ihre Welt gewesen waren.

Leenia streifte den Anzug über. Er war

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völlig glatt, ohne Taschen oder Besätze und schloß sich über ihrem Oberkörper.

Das Mädchen wußte, daß es ihn nun nicht mehr ausziehen konnte. Leenia lauschte in sich hinein, hörte das ständige Wispern, das sie erfüllte, seitdem Wommser sich in ihr manifestiert hatte, spürte seine Unsicherheit. Das war alles.

Es schien so, als ob sich nichts verändert hätte.

Laß uns gehen, dachte sie schließlich. Wir werden deinen Freund Kolphyr suchen.

Kolphyr ist mein Elter, kam es von jenem Teil des Gesamtbewußtsein, der sich noch mit Wommser identifizierte.

Nein, das ist nicht richtig. Wesen unserer Art werden nicht geboren, korrigierte Lee­nia. Sie entstehen und finden irgendwann zu­einander.

Einen Augenblick lang war es so, als risse der Schleier auf, der Leenias Vergangenheit verbarg.

Einen viel zu kurzen Augenblick.

8. ATLAN: EIN KÖRPER NAMENS KENNON

Jemand rüttelte an seinen Schultern. Atlan erwachte aus der Trance. Ungläubig

sah er, wie Dorstellarains Gesicht sich aus dem hellen Licht schälte.

»Willkommen unter den Lebenden!« Der Clanoc lachte humorlos. Hinter ihm erkann­te Atlan jetzt Roboter, die gleichen Typen, die ihn und Dorstellarain aus dem Raupen­fahrzeug geholt hatten.

»Was … was ist …?« »Nur ruhig«, sagte der Hüne. »Das wäre

fast ins Auge gegangen. Ausgerechnet den Robotern verdanken wir, daß wir noch nicht in der Hölle braten. Verdammt, das Feuer dieser Verrückten hat mir gereicht.«

Pama saß in ihrer Ecke und wirkte ver­stört. Sie schien nicht zu wissen, was sie an­gerichtet hatte. Dorstellarains Galgenhumor täuschte. Der Clanoc sah ziemlich mitge­nommen aus. An vielen Stellen war die Kleidung versengt, ebenso wie ein Teil der

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unter der ehemals völlig weißen Pelzmütze herausragenden rostroten Haare. Seine Hän­de waren schwarz vor Ruß. Er versuchte zwar, seine Schmerzen zu verbergen, aber immer wieder preßte er die Lippen aufeinan­der. Auf der rechten Wange waren Spuren von Verbrennungen zu erkennen.

»Die Roboter kamen gerade noch recht­zeitig, schätze ich«, erklärte er. »Ich weiß es nicht, weil ich erst zu mir kam, nachdem sie mit Löschen fertig waren. Sie haben mir ir­gend etwas injiziert, das mich wieder auf die Beine brachte. Das gleiche geschah mit un­serem kleinen Feuerteufel.« Dorstellarain sah Atlan prüfend an. »Du hast ausgesehen, als ob du mit offenen Augen geträumt hät­test.«

Der Arkonide drehte sich so, daß er Pama sehen konnte. Einen Augenblick trafen sich ihre Blicke, dann tat das Mädchen so, als gä­be es außer ihr niemanden im Raum und musterte interessiert die Decke. Wie die Wände war sie schwarz. An einigen Stellen hatte das Material Blasen geworfen.

»Ich würde mich nicht wundern, wenn sie auch Eisen zum Brennen bringen könnte«, murmelte Atlan. Dann wandte er sich wieder dem Clanoc zu. »Ist wirklich alles in Ord­nung?«

»Deinen Humor möchte ich haben! Nichts ist in Ordnung. Wir sind gefangen und stecken mit einer Verrückten in einer Zelle. Die Roboter lassen uns nicht aus den Augen. Sie wollten mich wieder fesseln, ließen mich aber gewähren, als ich mich um dich küm­merte.«

»Ich muß Feuer machen«, flüsterte Pama. Dorstellarain fuhr auf. Die beiden Roboter im Eingang zeigten noch keine Reaktion.

»Untersteh dich!« rief der Clanoc. »Ich muß!«

Pama begann zu weinen. »Ich will nicht mehr spielen, aber ich muß!«

Kleine Flämmchen begannen auf dem Bo­den zu züngeln. Dorstellarain stieß einen Schrei aus. Blankes Entsetzen stand in sei­nen Augen geschrieben. Es verriet mehr über die Qualen und die Angst, die er ausge­

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standen haben mußte, als alle verharmlosen­den Worte.

Als die erste Stichflamme in die Höhe schoß, verlor der Hüne seine Beherrschung. Mit zwei Sätzen war er bei Pama und ver­setzte dem Mädchen eine schallende Ohrfei­ge.

Im gleichen Augenblick schwebten die Roboter in den Raum und versprühten eine löschende Flüssigkeit. Binnen Sekunden wa­ren die Flammen verschwunden. Die nassen Bodenstellen trockneten so schnell, daß At­lan es mit bloßem Auge verfolgen konnte.

Pama starrte Dorstellarain fassungslos an. Sie bewegte die Lippen, brachte jedoch kein einziges Wort hervor. Atlan glaubte, Ver­zweiflung in ihrem naiv wirkenden Gesicht zu sehen.

Trotz ihrer Häßlichkeit hatte sie ihn vom ersten Augenblick an fasziniert. Atlan hatte auch schon eine Bezeichnung für sie gefun­den. In Gedanken nannte er sie eine Para-Pyromanin.

Sobald wieder Ruhe eingekehrt war, woll­te er versuchen, sie zu befragen und ihr Rät­sel zu ergründen. War sie eine Mutantin oder eine Magierin?

Wo lag die Grenze? Waren nicht auch die Mitglieder des terra­

nischen Mutantenkorps in gewissem Sinne Magier?

Die Roboter zogen sich wieder zum Ein­gang zurück. Pama machte nicht den Ein­druck, als wollte sie in den nächsten Minu­ten ein weiteres Feuer entfachen.

»Dorstellarain«, rief Atlan halblaut. Der Clanoc baute sich vor ihm auf, nach­

dem er den Robotern ein paar mißtrauische Blicke zugeworfen hatte.

»Versuche, mir die Fesseln abzunehmen. Wenn die Blechkerle darauf reagieren, ha­ben wir Pech gehabt.«

Dorstellarain murmelte etwas Unver­ständliches und machte sich an die Arbeit. Kaum hatte er die Stelle gefunden, an der die beiden Enden der Schlinge über der Brust des Arkoniden zusammengewunden waren, hörten die beiden Männer eine

schneidende helle Stimme. Dorstellarain fuhr in die Höhe. Langsam

drehte er sich um, bis auch Atlan den großen schlanken Fremden sehen konnte, dem die Roboter Platz gemacht hatten.

Es war einer jener Männer, die in den Zarmack-Blasen Dienst taten und sie als Ge­fangene hierhergebracht hatten.

Mit einem Unterschied. Der Hochgewachsene trug keinen Schutz­

anzug, sondern lockere Kleidung aus einem fließenden, ständig knisternden Stoff.

Das völlig weiße Gesicht war flach. Nase, Augen und Lippen hoben sich kaum daraus hervor. Atlan, der sich soweit herumgewälzt hatte, um den Fremden genau studieren zu können, wurde an eine Maske erinnert.

Der Mann hob einen Arm. »Hören Sie auf damit«, sagte er in einstu­

diert wirkendem, reinem Pthora, wobei er auf die vom Feuer angegriffenen Stellen der Wände, des Bodens und der Decke zeigte. »Andernfalls kann ich nicht länger die Ver­antwortung übernehmen und muß Ihre Li­quidierung befehlen.«

*

Atlan fand als erster die Sprache wieder. Mit einem Blick gab er Dorstellarain zu ver­stehen, daß er zu Pama gehen und auf sie aufpassen sollte.

»Verantwortung?« begann der Arkonide vorsichtig. »Das heißt, daß Sie der Kom­mandant dieser Station sind?«

»Ich kontrolliere diese Anlage und die Zarmack-Blasen, wenn Sie so wollen«, ent­gegnete der Fremde. »Und ich trage die Ver­antwortung dafür, daß Sie nach Gynsaal ge­bracht werden, wo man über Ihr endgültiges Schicksal entscheiden wird. Sollte die Feu­erlegerei nicht aufhören, werden Sie alle drei vorher sterben. Sie stellen einen Unsi­cherheitsfaktor dar.«

Man könnte es auch anders ausdrücken, dachte Atlan. Die mysteriösen Beherrscher des angeblich unangreifbaren Gynsaal ha­ben Angst vor jemandem, der anders rea­

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giert, als sie es von den anderen Gefangenen her kennen.

Laut sagte er: »Wann sollen wir nach Gynsaal gebracht

werden?« »Das habe nicht ich zu entscheiden«, er­

klärte der Hochgewachsene abweisend. »Wer von Ihnen macht das Feuer?«

Atlan versuchte es mit einem Bluff. »Wir waren alle gefesselt. Wie sollte ei­

ner von uns ein Feuer entzünden können?« »Letztlich spielt es keine Rolle, wer es

ist«, sagte der Fremde. »Wir könnten es fest­stellen, indem wir einen nach dem anderen exekutieren. Jedenfalls sind Sie gewarnt. Noch ein Brand, und Sie sterben alle drei.«

Da der Weißgesichtige einen überaus selbstsicheren Eindruck machte, versuchte der Arkonide, ihn auszufragen.

»Wo befinden wir uns?« »Dies ist Bortolack«, erklärte der Hochge­

wachsene bereitwillig. »Ich nehme an, daß es sich um eine Auf­

fangstation für Wesen handelt, die gegen die durch den VONTHARA-Alarm ausgelöste Lähmung immun sind«, bohrte Atlan weiter.

»Eine Teil der Anlage dient dazu«, sagte sein Gegenüber. Er blickte Dorstellarain und Pama durchdringend an. Das Mädchen weinte leise.

»Ich gehe jetzt«, verkündete er. »Bald wird man einen weiteren Immunen zu euch bringen. Denkt an meine Warnung.«

Atlan fiel es schwer, den Triumph zu ver­bergen. Sie schienen ihr Ziel, nach Gynsaal gebracht zu werden, erreicht zu haben, ohne auch nur einen Finger dafür rühren zu müs­sen.

Falls Pama ihnen keinen Strich durch die Rechnung machte.

»Noch eine Frage«, rief Atlan dem Frem­den hinterher, als dieser schon bei den im­mer noch zu beiden Seiten des Eingangs warteten Robotern war.

Der Weißgesichtige drehte sich noch ein­mal um.

»Ja?« »Wie heißen Sie?«

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»Was nützt es Ihnen, wenn ich es sage?« »Ich möchte es wissen«, erklärte Atlan. »Mein Name ist Welk«, sagte der Fremde.

Dann verschwand er. Die Roboter folgten ihm.

Die drei Gefangenen waren wieder unter sich.

»Die Fesseln, Dorstellarain«, zischte der Arkonide. »Schnell, bevor sie sich's wieder anders überlegen.«

Zwei Minuten später war Atlan frei. Er rieb sich die Stellen, an denen die Stränge gedrückt hatten. Dorstellarain war unterdes­sen dabei, Pama zu befreien.

»Sie fühlen sich verdammt sicher«, knurr­te der Clanoc. »Mir kann niemand erzählen, sie hätten vergessen, daß ich nicht mehr ge­fesselt war.«

»Wozu auch?« Atlan lachte bitter. »Sie werden draußen stehen und aufpassen, daß wir keine Dummheiten machen.«

Pama ließ sich die Fesseln abnehmen, oh­ne Dorstellarain aus den Augen zu lassen. Plötzlich strahlte sie wieder.

Pama stand auf und machte ein paar Sprünge, wobei sie eine Melodie summte. Dorstellarain tippte sich bezeichnend gegen die Stirn.

Das Mädchen hatte es bemerkt. Pama ahmte die Geste nach. Ihr Zeigefinger schlug immer wieder gegen die Schläfe.

»Ein Spiel?« fragte sie hoffnungsvoll. »Warum antwortest du nicht, dummer dicker Kerl? Du willst mit Pama spielen?«

»Äh …«, begann der Clanoc. Atlan packte ihn am Arm und flüsterte

ihm zu: »Geh darauf ein, oder soll sie lieber wie­

der Feuermachen spielen wie vorhin?« »Mit euch spiele ich überhaupt nicht

mehr!« schrie Pama schrill. »Ihr könnt mich nicht leiden. Ach, ihr seid beide dumm!«

Atlan seufzte und setzte sich zu ihr. Pama musterte ihn mißtrauisch und abweisend.

»Hör zu«, sagte der Arkonide lächelnd. »Du bist doch ein schlaues Kind. Dein Feuer hat uns großartig gefallen. Das war wirklich schön. Wir …«

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37 Das kalte Feuer

»Gefallen?« Pamas Augen leuchteten auf. »Soll ich …?«

»Jetzt nicht«, sagte Atlan schnell. »Später kannst du uns zeigen, was du noch alles kannst. Aber wo hast du das gelernt, Pama? Woher kannst du Feuer machen?«

Sogleich trat ein trauriger Ausdruck auf das Gesicht des Kindes. »Ich will manchmal gar nicht spielen«, klagte sie. »Aber dann muß ich, so wie eben. Wenn es in mir heiß wird, muß ich Feuer machen, verstehst du?«

»Ich glaube schon«, sagte der Arkonide. Er legte väterlich den Arm um Pamas schmutzige Schultern und versuchte, den un­angenehmen Geruch zu ignorieren, der von ihr ausging. Sie brauchte dringend einmal ein Bad. »Du merkst, wie es heiß wird, und gibst die Hitze nach außen ab.«

»Du redest aber komisch. Wem soll ich etwas abgeben?«

Dorstellarain grinste zum erstenmal wie­der. Es war offensichtlich, daß er von den Robotern schmerzstillende und entzün­dungshemmende Injektionen bekommen hatte, als er noch bewußtlos war.

»Aber es wird dir immer dann heiß, wenn du dich freust oder besondere Angst vor et­was hast. Stimmt's?«

»Du bist schlau«, sagte Pama zögernd. Dann trat ein freches Grinsen auf ihr Ge­sicht. »Viel schlauer als der dumme dicke Kerl. Wieso spielst du mit ihm?«

»Wir spielen nicht, dumme Ziege!« brüll­te Dorstellarain.

»Mit dir rede ich nicht, dummer Kerl«, rief Pama schrill. »Und ich habe auch nicht vergessen, was du getan hast. Warte, das be­kommst du noch zurück!«

»Haha!« machte der Clanoc. »Also«, fuhr Atlan fort, nachdem er Dor­

stellarain bedeutet hatte, sich zurückzuhal­ten. »Du mußt also Feuer machen, wenn dich etwas aufregt?«

»Ja. So wie der dicke Kerl mich aufregt. Er ärgert mich.«

»Wer sind deine Eltern?« Pama sah den Arkoniden verständnislos

an. Atlan seufzte.

»Ich meine, hast du immer in der großen Stadt gelebt?«

»Nicht immer«, murmelte Pama. Ihr Blick schweifte in die Ferne. »Deshalb sind sie auch alle so eklig zu mir. Niemand spielt mit mir. Alle lachen sie. Das geschieht ihnen recht.«

»Was?« »Daß sie kaputt sind und sich nicht bewe­

gen können.« Atlan wollte eine weitere Frage stellen,

als die Tür aufgerissen wurde und ein weite­rer Gefangener in den Raum gestoßen wur­de.

Pamas Augen leuchteten auf. »Der Eisenmann!« kreischte sie, wobei

sie aufsprang und wilde Sprünge vollführte. »Porquetor!« entfuhr es dem Arkoniden.

Er korrigierte sich, als die Tür des Gefäng­nisses geschlossen war. »Du bist also Griz­zard.«

*

»Sieh dir den da an, dicker Dummkopf!« schimpfte Pama. Sie war mit zwei Schritten bei Dorstellarain und trat ihn vors Schien­bein. Der Clanoc schrie, doch Pama ließ sich nicht beeindrucken. Die Ärmchen in die Hüften gestemmt, blickte sie Dorstellarain provozierend an. Dieser wollte mit der Rechten ausholen, bemerkte aber gerade noch rechtzeitig, wie Pama zu der stählernen Gestalt hinüberschielte.

Bevor Dorstellarain nicht genau wußte, mit wem er es da zu tun hatte, wollte er sich lieber auf nichts einlassen.

»Er hat mich gehauen«, beklagte das Mädchen sich beim »Eisenmann«.

»Er wird's nicht wieder tun«, sagte Atlan und versuchte, Pama zu beruhigen. »Er hatte Angst, das war alles.«

»Wenn ich Angst habe, verhaue ich nie­manden«, entgegnete sie.

»Der Eisenmann paßt schon auf, daß er's nicht wieder tut.« Atlan nickte dem, der in der ehemaligen Porquetor-Rüstung steckte, freundlich zu. Natürlich war der Halbroboter

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nicht gefesselt. Selbst die Schlingen und Stricke der Weißgesichtigen würden ihn nicht halten können. »Du sagtest Grizzard zu mir«, begann Atlans Gegenüber in gebro­chenem Pthora. »Dann kennst du mich?«

»Ich glaube, wir haben einen gemeinsa­men Freund.«

»Caidon-Rov?« Atlan nickte wieder. Es war ruhig im

Raum. Dorstellarain und Pama schienen zu begreifen, daß die seltsame Unterhaltung zwischen Atlan und dem Unbekannten für sie alle wichtig sein konnte.

Vielleicht konnte man sogar mit Hilfe die­ses stählernen Riesen ausbrechen. Doch dar­an dachte der Arkonide im Augenblick nicht.

Er setzte sich. Grizzard blieb vor ihm ste­hen, so daß Atlan den Kopf in den Nacken legen mußte, um in die Sehschlitze zu blicken.

»Wie komme ich hierher?« wollte der Stählerne wissen. »Und wo sind wir? Was soll das alles?«

»Darüber reden wir später«, sagte Atlan. Seitdem der Halbroboter den Raum betreten hatte, beherrschte ein Gedanke den Arkoni­den.

Er hielt es nicht lange auf dem Boden aus und stand wieder auf. Dann trat er dicht vor die Rüstung und berührte deren Brustpartie mit dem Zeigefinger der rechten Hand.

»Kennon«, sagte er. »Sinclair Marout Kennon.«

»Ich verstehe nicht«, dröhnte Porquetors Stimme mit gedrosselter Lautstärke. »Mein Name ist Grizzard.«

»Das mag sein«, murmelte Atlan. »Dennoch möchte ich dich um einen Gefal­len bitten.«

»Atlan!« knurrte Dorstellarain. »Was soll der Unsinn? Wir haben wirklich andere Sor­gen.«

»Es dauert nicht lange«, versprach der Ar­konide. Ein Blick auf Pama zeigte ihm, daß sie den Halbroboter so fasziniert anstarrte, daß sie in den nächsten Augenblicken kaum auf den Gedanken kommen würde, Feuer zu

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machen. »Welchen Gefallen?« fragte Grizzard.

»Weißt du etwas über mich? Dann tue ich alles, was du verlangst.«

»Ich bitte dich darum, die Rüstung zu öff­nen und aus ihr herauszusteigen.«

Die Reaktion seines Gegenübers bestärkte Atlan in seinem Verdacht. Schon in der Fe­ste Grool, als Caidon-Rov seinen seltsamen Gast, der in der Porquetor-Rüstung geflohen war, genau beschrieb, war er hellhörig ge­worden. Doch die Vermutung, die sich ihm unwillkürlich aufgedrängt hatte, war ihm als zu phantastisch erschienen.

Nun wollte er Gewißheit haben. »Grizzard« schien einen Augenblick die

Kontrolle über die Rüstung zu verlieren. Die stählernen Arme zitterten und vollführten schlingernde Bewegungen. Vorsichtshalber sprang Atlan zwei Meter zurück.

»Was ist?« fragte er. »Kannst du nicht al­lein aus ihr heraus? Soll ich dir helfen?«

»Ich … ich kann nicht«, antwortete der Stählerne. Etwas am Klang der Kunststimme jagte Atlan einen Schauer über den Rücken.

Dennoch blieb er hart. »Weil du Angst davor hast, wir könnten

dich auslachen? Weil du ein Zwerg bist?« Die mächtigen Arme sanken herab. Por­

quetor stand wie versteinert da. War es eine Täuschung, oder glühten die Sehschlitze tat­sächlich kurz auf?

»Was weißt du über mich?« Die Stimme, deren Klang einmal genügt hatte, um die Be­wohner des Blutdschungels in Angst und Schrecken zu versetzen, war kaum noch zu vernehmen. Atlan fühlte Mitleid. Und doch mußte er Gewißheit haben.

Er kannte die Akte des USO-Spezialisten Sinclair Marout Kennon auswendig. Sein photographisches Gesicht vergaß nichts, was er einmal gesehen, gehört oder erlebt hatte.

Mit Sicherheit litt Kennon unter seinem mißgestalten Körper. Doch die Reaktion, die er jetzt zeigte, wirkte doch sehr übertrieben.

»Ich kann dir nur helfen, wenn ich weiß, wer du bist«, sagte er.

»Das weiß ich selbst nicht«, erklärte sein

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Gegenüber. Konnte eine Robotstimme Gefühle aus­

drücken? Unbändige Trauer, die Verzweif­lung eines Wesens, das sein ganzes Leben lang nur enttäuscht und immer nur als Son­derling behandelt worden war?

Atlans Sicherheit schwand. Er spürte den Hauch eines Geheimnisses. Kennon, wenn er es wirklich war, müßte wissen, wen er vor sich hatte.

Wie konnte er überhaupt hierher gelan­gen?

»Ich kann dich nur bitten«, sagte der Ar­konide. »Wenn ich recht habe, weiß ich, wo­her du stammst.«

Dies konnte auch eine Erklärung für »Grizzards« Verhalten sein. Wenn Kennon tatsächlich hierher verschlagen worden war, mußte dies auf solch phantastische Art und Weise geschehen sein, daß ein Gedächtnis­verlust nicht ausgeschlossen war. Auf Terra konnte der Spezialist unmöglich nach Pthor gelangt sein.

Ein Ruck ging durch die Porquetor-Rü­stung.

Noch einmal richteten sich die Sehschlit­ze auf Pama und Dorstellarain, als ob das Wesen, das den Halbroboter steuerte, Scheu davor empfand, sich vor ihnen zu entblößen.

»Ich werde es tun«, verkündete dann die Kunststimme.

Atlan ging um den Halbroboter herum, so daß er in seinem Rücken stand. Die Öffnung wurde von innen aufgestoßen. Atlan blickte auf eine Hülle aus elastischem, dünnen Ma­terial, das die Umrisse einer Gestalt zeigte.

Atemlos verfolgte der Arkonide, wie sich scheinbar aus dem Nichts eine Öffnung in der Hülle bildete.

»Du mußt mir helfen«, sagte die Robot­stimme. »Halt mich fest.«

Atlan packte zu. Ein Körper glitt aus der Öffnung. Der Arkonide erkannte eine Art Sattel, auf dem er gesessen hatte. Vorsichtig zog er den Lenker des Stählernen aus der Rüstung. Dieser krallte sich an seinen Ar­men fest, als ob er Angst hätte, auf den Rücken zu fallen.

Zuerst kam der viel zu groß geratene Kopf zum Vorschein, dann der Oberkörper, schließlich die Beine.

Atlan setzte den Kennon-Körper behut­sam ab.

»Ich wußte es«, sagte er leise. »Sinclair Marout Kennon.« Atlan war seit Monaten nicht mehr so erregt gewesen wie in diesem Augenblick. Kennon hier! Doch das konnte nur bedeuten, daß ihn jemand geschickt hat­te.

Natürlich wußte Atlan längst, daß auf Pthor ein anderer Zeitablauf herrschte als auf der Erde. Doch galt dies auch noch nach all dem, was sich in jüngster Zeit ereignet hatte?

Der Dimensionsfahrstuhl war in seinen Grundfesten erschüttert worden.

War es möglich, daß man auf Terra Mittel und Wege gefunden hatte, um Atlantis ein­zupeilen und Hilfe zu schicken?

Ein Gedanke, der Atlan in eine wahre Eu­phorie versetzte. Niemals für möglich gehal­tene Perspektiven taten sich auf.

Doch die Antwort des Mißgestalten setzte der überschäumenden Hoffnung einen Dämpfer auf.

»Ich kenne keinen Sinclair Marout Ken­non, Fremder. Ich weiß nur, daß ich Griz­zard heiße und einmal auf einer Welt lebte, an die ich mich nicht erinnern kann. Dies hier ist nicht mein Körper. Ich hatte einen besseren. Mein einziges Ziel ist es, meinen richtigen Körper zu finden.«

9. PAMA: DAS KALTE FEUER

Pama verstand nicht, was die Großen re­deten. Aber für Atlan, den Hellhaarigen, schien es sehr wichtig zu sein, was ihm der Eisenmann erzählte.

Der Eisenmann tat Pama leid. Er war sehr traurig.

Sogar der dicke dumme Kerl neben ihr schien das zu merken. Er war ruhig.

Pama verfolgte mit steigender Erregung, wie der Eisenmann sich öffnete und ein an­

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derer aus ihm herausstieg. Ein häßlicher Zwerg! Pama war ent­

täuscht. Warum stand der Eisenmann ein­fach nur da und tat nichts dagegen, daß der Zwerg aus ihm herauskam? Es mußte ihm doch weh tun!

War er krank? Warum sagte er nichts mehr?

Dafür sprach Atlan. Was hatte er bloß im­mer mit diesem langen Namen? Sah er denn nicht, daß es dem Eisenmann nicht gut ging? Pama hätte den Hellhaarigen einmal sehen mögen, wenn sie ihm einen Zwerg aus dem Körper geholt hätten!

Pamas Erregung stieg weiter. In den Fin­gerspitzen wurde es schon heiß. Auch die Zehen taten weh.

Sie nahm kaum noch wahr, was um sie herum vorging. Nur die Angst und der Schmerz, die aus den wenigen Worten des Zwerges sprachen, und dann die Erregung des Hellhaarigen.

Atlans nervliche Anspannung übertrug sich auf Pama. Die Hände wurden heiß, dann die Arme, die Schultern …

Pama wollte es nicht, aber sie mußte das Feuer aus sich heraus bringen, um nicht selbst zu verbrennen.

Der hellhaarige Atlan und der dumme dicke Kerl würden schimpfen, wenn sie Feu­er machte. Das war ihr egal, im Gegensatz zu dem, was der Eisenmann dazu sagen wür­de.

Pama hatte ihn gern. Er war komisch. Aber auch er mochte das Feuer nicht. Pama hielt tapfer aus, bis sie zu verbren­

nen glaubte. Die Hitze war furchtbar. Pama blieb nur noch eine Möglichkeit. Sie mußte ein kaltes Feuer entfachen.

*

Dorstellarain bemerkte die Veränderung, die mit dem Mädchen vorging, als erster. Atlan sprach noch mit dem Mißgestalteten. Der Clanoc begriff nicht, was den Gefährten so an dem häßlichen Zwerg faszinieren konnte. Noch weniger verstand er, was es

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mit dem hohlen Roboter auf sich hatte und was der Zwerg darin zu suchen hatte.

Auf jeden Fall schien es für Atlan von großer Wichtigkeit zu sein, Informationen von ihm zu bekommen.

Dabei warteten draußen die Wächter dar­auf, sie nach Gynsaal zu bringen. Obwohl sich hier eine vielleicht einmalige Gelegen­heit bot, den geheimnisumwitterten Ort zu erreichen, sträubte Dorstellarain sich gegen die Art und Weise, wie das geschehen sollte. Einmal in der Gewalt der Mächtigen, hatten sie kaum noch Chancen, auf eigene Faust et­was gegen Gynsaal zu unternehmen.

Doch Dorstellarain hielt sich zurück – bis er bemerkte, wie Pama zu zittern begann.

»Es wird euch nicht weh tun«, flüsterte sie. »Bestimmt nicht. Das Feuer wird kalt sein. Ich muß es machen.« Sie sprang plötz­lich auf und schlug die Hände vors Gesicht. »Ich muß!« schrie sie verzweifelt.

»Du kannst sie nicht hindern!« rief Atlan, der sofort begriff, was mit ihr vorging, dem Clanoc zu, bevor dieser sich auf das Mäd­chen stürzen konnte. »Laß sie!«

Atlan packte den Kennon-Körper und half Grizzard wieder in die Rüstung, wo er auf jeden Fall besser vor dem, was Pama unter einem »kalten Feuer« verstand, geschützt war. Er war jetzt überzeugt davon, daß er es wirklich mit einem fremden Wesen zu tun hatte, das auf eine noch unbegreifliche Art und Weise in den Zwergenkörper geschlüpft war.

Aber wenn der Körper Kennons auf Pthor war – wo steckte dann sein Bewußtsein?

Die Wände begannen plötzlich zu glühen. Atlan überzeugte sich davon, daß Grizzard wieder in seiner als Körpermaske fungieren­den Hülle saß, und schloß die Rückenplatte des Halbroboters, während Dorstellarain von Pama, die mit geschlossenen Augen in der Mitte des Gefängnisses stand, zurückwich.

»Du mußt versuchen, dagegen anzukämp­fen«, redete der Arkonide auf Pama ein. Er kniete neben ihr und hatte die Hände auf ih­re Schultern gelegt.

»Ich muß«, wimmerte sie immer wieder.

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»Versteht ihr denn nicht?« »Ich verstehe dich jetzt gut«, sagte Atlan

leise. Alles hing davon ab, daß Pama ihre Erregung ablegen konnte, bevor sie vollends die Kontrolle über sich verlor.

Das Glühen der Wände verstärkte sich. Jetzt begannen auch Decke und Boden auf­zuleuchten. Und immer noch war keine Hit­zeentwicklung zu registrieren.

»Beruhige dich, Pama. Wenn du Feuer machst, kommen die Roboter und …« Er unterbrach sich. Die Aussicht, getötet zu werden, würde möglicherweise Pamas Erre­gung nur noch verstärken.

Atlan sah Dorstellarain und Grizzard hil­fesuchend an. Alle waren sie ratlos.

Jeden Augenblick konnten die Roboter hereingestürmt kommen.

»Wo ist der Zwerg?« fragte Pama kaum hörbar. Ihr Zittern hatte sich verstärkt. Sie kämpfte immer noch gegen den inneren Zwang an, dem sie unterlag.

»Er ist wieder in den Eisenmann zurück­gekehrt«, sagte Dorstellarain. Im nächsten Augenblick verfluchte er sich für diese Aus­kunft.

»Er soll ihm nicht weh tun!« schrie Pama, riß die Hände von den Augen und taumelte rückwärts gegen eine Wand. Atlan hielt den Atem an, aber das Glühen schien ihr nichts auszumachen.

Und dann brach das Chaos über die Ge­fangenen herein. Von einer Sekunde zur an­deren fuhren Blitze durch den kleinen Raum. Wände, Decken und Boden strahlten in einem grellen weißen Licht. Die Tür wur­de aufgerissen. Welk stürmte herein, gefolgt von Robotern. Ungläubig starrte der Weiß­gesichtige auf die Szenerie, die sich seinen Augen bot. Er sprang zurück zum Ausgang. Dann erst merkte er, daß von dem glühenden Material keine Hitze ausging.

»Ich habe euch gewarnt«, stieß er hervor. Welk drehte sich halb zu den wartenden Ma­schinen um und gab ihnen den Befehl, die vier Gefangenen zu töten.

Atlan, Dorstellarain und Grizzard wichen zurück. Grizzard war sich offensichtlich dar­

über im klaren, daß er keine Chance gegen die Roboter hatte. Diesmal hatten sie nicht den Auftrag, ihn lebend einzufangen.

Aus einigen Öffnungen in der oberen Hälfte der Scheiben schoben sich flimmern-de Projektionsmündungen. Sie zielten auf die vier.

Noch während Atlan krampfhaft nach ei­nem Ausweg suchte, verlor Dorstellarain die Beherrschung über sich. Mit ohrenbetäuben­dem Geschrei warf er sich auf die erste Scheibe. Atlan rief ihm eine Warnung zu. Jeden Augenblick mußte der todbringende Strahl aus den Projektoren schießen.

Doch plötzlich begannen die Maschinen in der Luft zu schaukeln. Dorstellarain sprang zurück. Ungläubig verfolgte er, wie ein Roboter nach dem anderen aufglühte und ohne Hitzeeinwirkung in sich zusam­mensank.

Welk stand mit offenem Mund im Ein­gang. Er war nahe daran, den Verstand zu verlieren. Was sich hier abspielte, war zu hoch für ihn. Er stieß einen gurgelnden Laut aus, sah die Gefangenen wie Geister an und lief schreiend in den Korridor hinaus.

»Frage mich niemand, ob ich noch bei klarem Verstand bin oder träume«, rief At­lan den anderen zu. »Aber falls das kein Traum ist, wird es höchste Zeit, von hier zu verschwinden. Los! Mir nach!«

In einer der Wände entstanden erste Ris­se, ebenso in der Decke. Das unbekannte Material begann zu knistern. Grizzard stürmte als erster aus dem Raum, dann folg­te Dorstellarain. Atlan hatte schon die Tür erreicht, als er Pamas Wimmern hörte.

Sie saß immer noch am Boden und starrte wie in Trance vor sich hin.

»Komm her!« rief der Arkonide. Flu­chend lief er zurück, als das Mädchen sich nicht regte. Er nahm Pama auf die Arme und verschwand keinen Augenblick zu früh mit ihr aus der Zelle.

Die Decke kam herunter. Doch es blieb keine Zeit zur Orientierung. Auch der Korri­dor glühte. Überall bildeten sich Risse. Dut­zende von Robotern schwebten aus Neben­

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gängen, um nach wenigen Augenblicken zu verglühen. Bald war der Boden mit ihren Resten übersät.

Und es war kein Ausgang zu erkennen. Bald würde auch hier die Decke der Halle, in deren Mitte das Gefängnis gelegen hatte, einstürzen.

»Weg hier!« schrie Dorstellarain. Der Clanoc und Grizzard liefen los, mußten aber immer wieder auf Atlan warten, der durch Pama behindert wurde. Der Korridor schien kein Ende nehmen zu wollen. Alles war in unheimliches Licht getaucht. Unmittelbar neben Atlan bildete sich eine Blase in einer Wand und platzte lautlos auf. Ein riesiger Riß entstand.

Im gleichen Augenblick stürzte die Decke vor Grizzard, der an der Spitze der kleinen Gruppe lief, ein. Die Trümmer lagen so hoch, daß es unmöglich schien, über sie hin­wegzusteigen, ohne sich an den scharfen Kanten der noch existierenden Deckenparti­en die Köpfe aufzureißen.

»Kannst du sie beiseite räumen, Griz­zard?« rief Atlan.

»Ich versuche es«, dröhnte die Stimme des Stählernen durch den Gang. Sofort be­gannen die mächtigen Arme in der Luft zu rudern. Die Füße der Porquetor-Rüstung fuhren in die Trümmer. Der Halbroboter ar­beitete sich wie ein Räumfahrzeug durch das weißglühende Material, bis eine Bresche entstanden war, breit genug, um die vier durchzulassen.

Das Glühen ließ nicht nach. Pama mußte also immer noch ihre paranormalen Kräfte freisetzen. Sie hatte mit Sicherheit furchtba­re Angst, was ihre Erregung nur noch poten­zierte.

Hinter Atlan stürzten die ersten Wände ein. Plötzlich blieb Dorstellarain stehen und zeigte nach vorne.

Mehrere der Hochgewachsenen stürmten aus angrenzenden Räumen und flohen in einen Nebengang. Sie achteten gar nicht auf die Ausbrecher.

»Sie wollen zum Ausgang!« schrie Dor­stellarain. »Wir folgen ihnen!«

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Der Clanoc behielt recht. Immer mehr der schlanken Gestalten quollen förmlich aus al­len Teilen der Anlage hervor. Die Gefange­nen prallten an der Stelle, wo der Neben­gang in den Hauptkorridor mündete, fast mit einer Gruppe von ihnen zusammen, ohne daß die Fremden sich um sie kümmerten. Sie alle rannten um ihr Leben.

Dann endlich, verbreiterte sich der Gang. Grizzard blieb stehen und nahm Atlan das Mädchen ab. Er erntete einen dankbaren Blick des Arkoniden.

Sie befanden sich in einer Art Vorhalle, die sie kannten. Von hier aus hatte man sie zu ihrem Gefängnis geschleppt. Dorstella­rain zeigte auf den breiten Ausgang. Immer noch flohen die Weißgesichtigen. Einige tru­gen Schutzanzüge und Helme, andere hatten nicht einmal mehr die Zeit gefunden, diese anzulegen. Draußen war das Geräusch an­laufender Motoren zu hören.

Die vier gelangten ins Freie. Auch hier la­gen vernichtete Roboter herum. Erst als sie etwa hundert Meter zwischen sich und die Halle gebracht hatten, wagten die Flüchtlin­ge stehenzubleiben.

Sie drehten sich um. Atlan stieß pfeifend die Luft aus.

Nicht nur die Halle, aus der sie in letzter Minute entkommen waren, glühte. Die gan­ze Station war von Pamas »kaltem Feuer« erfaßt worden. Überall brachen Gebäude auseinander wie Spielzeughäuser, die von einer Faust zertrümmert werden.

Gebannt verfolgten die vier das Schau­spiel. Pama hatte die Augen jetzt weit aufge­rissen und schien von ihrem Werk fasziniert zu sein. Sie hatte die Arme um den Hals des Halbroboters gelegt.

Atlan löste sich gewaltsam aus dem Bann, der sich über die Flüchtlinge gelegt hatte. Er sah, wie eines der in der Nähe abgestellten Raupenfahrzeuge nach dem anderen gestar­tet wurde und davonfuhr. Die Hochgewach­senen flohen Hals über Kopf. Bortolack, wie sie ihre Station nannten, war vernichtet – zerstört von unheimlichen Kräften.

»Kommt mit«, sagte der Arkonide zu sei­

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nen Begleitern. »Wir müssen versuchen, ei­nes der Fahrzeuge zu erobern.«

*

Allmählich wichen der furchtbare Druck im Kopf und die Hitze, die den ganzen Kör­per auszubrennen schien.

Pama kam zur Ruhe. Immer noch betrachtete sie die zerstörten

Hallen mit einer Mischung aus Stolz, Faszi­nation und Schrecken.

Sicher würden die Männer jetzt böse mit ihr sein, dachte Pama. Sie hatte Angst vor dem dicken Kerl, der immer so furchtbar laut schrie. Der Eisenmann war ihr am lieb­sten. Auch der andere hatte ihr geholfen, als sie sich nicht bewegen konnte.

Pama hatte die ganze Zeit über nur immer an den Eisenmann gedacht und daran, daß ihm durch das kalte Feuer nichts zustoßen durfte.

Das Ergebnis machte sie stolz. Auch der Eisenmann mochte sie, das

spürte Pama. Nur dieser häßliche Zwerg in ihm störte sie.

Pama konnte nicht verstehen, wie der Ei­senmann es zulassen konnte, daß der Zwerg so einfach in ihn hineinkroch.

Manchmal war es schon sehr schwer, die Großen zu verstehen, vor allem, wenn sie so komisch waren. Aber es machte viel Spaß, ihnen zuzusehen. Sie waren jedenfalls nicht so langweilig wie die Großen in Orxeya. Außerdem lachten sie sie nicht andauernd aus.

Pama kicherte bei dem Gedanken, daß sie dem dummen dicken Kerl mit dem langen Namen jetzt so oft vors Schienbein treten konnte, wie sie wollte. Der Eisenmann wür­de schon aufpassen und sie beschützen.

Pama fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr. Daß sie weit weg von ihrem Zuhause war, störte sie gar nicht. Dort schliefen so­wieso alle.

Das kalte Feuer hatte ihr gutgetan. Jetzt würde sie eine Weile Ruhe vor der Hitze ha­ben, wie immer, wenn sie ein großes Feuer

gemacht hatte. Die kleinen Brände in der Stadt waren nur ein Anfang gewesen. Die Hitze kam nicht mit einemmal über sie, son­dern kündigte sich lange vorher an.

In Orxeya hatte ihre Mutter Pama immer aus der Stadt geschickt, damit sie keinen Schaden anrichten konnte, wie sie sagte. Da­bei hatte sie doch nur Angst vor den anderen Großen.

Nein, dachte Pama und kicherte wieder. Zu Hause war niemand so lustig wie die drei Männer – der Eisenmann, der dicke dumme Kerl und der hellhaarige Atlan in seinem goldenen Anzug.

Na gut, sagte sie sich. Auch der häßliche Zwerg war vielleicht nicht so schlimm, wie sie zuerst geglaubt hatte. Wenn der Eisen­mann mit ihm Herein- und Herauslassen spielte, mußte er ihn gut leiden können.

Pama schlang ihre kleinen Arme fest um den Hals des Eisenmanns. Sie freute sich schon sehr auf das, was die Großen als näch­stes anstellen würden.

Atlan und der dicke dumme Kerl liefen, auf eines der großen Gebilde zu, die im Schnee standen und so merkwürdig summ­ten. Einige von ihnen konnten sich sogar be­wegen.

Pama blickte noch einmal zu den großen flachen Häusern zurück. Sie glühten jetzt nicht mehr. Das kalte Feuer war erloschen. Aber sie waren fast alle kaputt.

Pama war mächtig stolz auf sich.

10. ATLAN: DER WEG NACH GYNSAAL

Sie erreichten das panzerähnliche Fahr­zeug genau in dem Augenblick, in dem auch zwei der Hochgewachsenen, beide in Raum­anzügen, heranstürmten. Als diese auf die Flüchtlinge aufmerksam wurden, war es schon zu spät für sie.

Atlan und Dorstellarain packten gleichzei­tig zu. Die Fremden zappelten und schlugen mit den Armen um sich, als sie versuchten, sich aus der Umklammerung zu lösen. Ver­geblich.

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»Einer reicht uns«, sagte Atlan zu Dor­stellarain. Dann packte er den Fremden fe­ster und fragte: »Wer von euch kann diese Maschine fahren?«

»Beide«, beeilte sich derjenige, den Atlan festhielt, zu versichern. »Wir wissen, wer ihr seid. Wir nehmen euch mit, aber laßt uns nicht zurück.«

»Sehr tapfere Burschen«, knurrte Dorstel­larain. Er lachte und sagte sarkastisch: »Wenn Gynsaal auf solche Helfer baut, ha­ben wir eine größere Chance, als ich bisher glaubte.«

»Gynsaal!« entfuhr es dem Fremden. »Ihr wollt nach Gynsaal? Laßt uns hier! Wir wol­len hier sterben, wo wir arbeiteten und leb­ten.«

»Rede keinen Unsinn, Jammerlappen!« herrschte Dorstellarain den Mann an.

Der Clanoc hob den Fremden ohne große Mühe in die Höhe und reichte ihn zu Griz­zard hinauf, der mit Pama schon in die Fah­rerkanzel geklettert war. Atlan war einen Augenblick unaufmerksam. Dieser kurze Moment genügte dem zweiten Fremden, sich loszureißen und wegzurennen.

»Laß ihn«, sagte Dorstellarain. »Ein Fah­rer genügt uns. Außerdem wird's hier bald ungemütlich.«

Atlan drehte sich um und sah die heran­stürmende Gruppe. Schnell kletterte er in die Kabine. Die Tür fuhr zu.

»Los, Kerl!« brüllte der Clanoc den vor Angst bebenden Mann an. »In fünf Sekun­den sind wir unterwegs, oder ich schneide dir die Kehle durch!« Er brachte das Messer zum Vorschein und richtete die Spitze auf den Hals des Fremden – dicht unterhalb des Schutzhelms.

»Wir werden alle sterben müssen«, jam­merte der Mann. »Ihr müßt wissen. Niemand kann nach Gynsaal, ohne …«

»Jetzt reicht's mir!« knurrte Dorstellarain. »Ich zähle bis drei. Eins … zwei …«

Resignierend ließ sich der Hochgewach­sene im Fahrersitz nieder und schob die Hände in die dafür vorgesehenen Vertiefun­gen. Die Haube senkte sich automatisch

Horst Hoffmann

über seinen Kopf. »Na, also«, sagte Dorstellarain zufrieden.

»Man muß nur wissen, wie man mit den Burschen zu reden hat.«

Atlan trat hinter den Fahrer. »Wie heißt du eigentlich?« »Pforeilt«, drang es unter der Haube her­

vor. »Was interessieren uns Namen?« fragte

der Clanoc erstaunt. Atlan zuckte die Schultern. »Diese Kerle sehen einander so ähnlich,

daß es auch Welk hätte sein können.« Die Motoren liefen an. Augenblicke spä­

ter setzte sich das Raupenfahrzeug in Bewe­gung.

Grizzard hielt sich völlig zurück. Pama stand nun neben ihm und klammerte sich an seine Beine. Aus weit aufgerissenen Augen beobachtete sie Pforeilt.

»Daß du keine Dummheiten machst«, warnte Dorstellarain den Fahrer. Er bluffte. »Wir kennen den Weg nach Gynsaal genau. Keine Tricks, verstanden?«

»Ihr könnt mir nicht mehr drohen«, war die Stimme Pforeilts zu hören. »Mir ist es egal, auf welche Weise ich sterben werde. Und sterben werde ich auf jeden Fall.«

Atlan wurde hellhörig. Hatte er das Geze­ter Pforeilts bisher für Ausflüchte gehalten, so jagte ihm nun die Bestimmtheit, mit der der Hochgewachsene von seinem Tod sprach, einen eisigen Schauer über den Rücken.

Was gab es, das sie nicht wußten? Han­delten sie wirklich richtig?

Aber sie mußten nach Gynsaal, wenn sie nicht für alle Zeiten in der Dimensions­schleppe gefangen sein wollten, während Pthor entweder zwischen den Dimensionen strandete oder auf direktem Weg in die Schwarze Galaxis gesteuert wurde.

Plötzlich hielt das Fahrzeug an. Atlan schätzte, daß sie nicht einmal eine halbe Stunde gefahren waren.

»Was ist nun wieder los?« fragte Dorstel­larain barsch.

»Noch können wir umkehren«, sagte Pfo­

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reilt. »Wir sind an der Grenze angelangt. Wenn wir jetzt weiterfahren, sterben wir.«

»Ich sehe keine Grenze«, sagte Atlan kühl. Er versuchte, seine Unsicherheit zu verscheuchen. Vielleicht bluffte Pforeilt doch nur? So weit das Auge reichte, gab es nichts als Schnee und Eis. Keine Barriere, nicht einmal das Flimmern eines Energie­schirms, auf den die Schneeflocken zutrafen.

»Fahr weiter, verdammt!« herrschte Dor­stellarain den Fahrer an.

Pforeilt zitterte. Dennoch setzte er das Fahrzeug erneut in Bewegung.

Nach weniger als zwanzig Metern schrie Pforeilt schrill auf und riß die Hände aus den Vertiefungen. Er griff sich an die Kehle und rang nach Luft. Sein Körper kippte nach hin­ten, der Kopf kam zum Vorschein. Pforeilt riß sich den Helm herab. Seine Augen waren weit aufgerissen, ebenso der Mund.

Starr vor Schreck verfolgten die Gefähr­ten seinen Todeskampf. Als sie den ersten Schock überwunden hatten und ihm zu Hilfe kommen wollten, war es zu spät.

Pforeilt war tot – erstickt. Das Motoren­geräusch erstarb. Die Haube über dem Fah­rersitz fuhr nach oben und wurde mit leisem Klicken unter der Decke arretiert.

»Mein Gott«, flüsterte Atlan. Der Arkoni­de machte sich Vorwürfe. Was immer Pfo­reilt mit seinen Warnungen gemeint hatte – es hatte nur ihn umgebracht, nicht die Passa­giere.

Auch Dorstellarain war blaß geworden. Pama weinte. Grizzard gab keinen Laut von sich.

Gynsaal! Erst jetzt gewannen die Männer eine Vor­

stellung davon, wie unheimlich dieser Ort wirklich sein mußte. Was bisher ein abstrak­ter Begriff gewesen war, nahm Konturen an.

Welche Teufelei steckte hinter Pforeilts Tod?

Auf welche Weise war er ermordet wor­den – und warum? Weshalb lebten sie noch?

Pforeilt mußte davon ausgegangen sein, daß auch sie den Tod fanden, sobald eine gewisse Annäherungsschwelle an Gynsaal

erreicht oder überschritten war. Es war ausgerechnet der bisher schwei­

gende Grizzard, der den Bann brach. »Es sieht so aus, als ob wir von nun an

selbst zusehen müßten, wie wir an unser Ziel kommen«, dröhnte die Kunststimme in ge­brochenem Pthora.

»Da schau her«, sagte Dorstellarain über­rascht. »Kennst du den Weg?«

»Sei still!« zischte Pama. »Der Eisen­mann hat recht, und du bist dumm und …«

»Dick«, vollendete der Clanoc seufzend. »Und wieso hat er recht, dein Eisenmann?«

»Weil er mein bester Freund ist, des­halb!«

Dieser Logik war auch Dorstellarain nicht gewachsen.

*

Das Raupenfahrzeug stand mitten im Schnee. Der Nebel war nicht mehr so dicht. Vom Himmel kam das gleiche diffuse Licht, das Atlan seit seinem Erwachen in der Auf­fangstation begleitet hatte, als er von Dor­stellarain abgeholt worden war.

Selbst ihm, der daran gewöhnt war, sich auf Welten mit unterschiedlichen Lichtver­hältnissen zurechtzufinden, machte dieses ewige Dämmerlicht zu schaffen. Da sich die Dimensionsschleppe in einem unbekannten n-dimensionalen Raum befand und sich nicht wie ein Planet um eine Sonne drehte, gab es keinen Wechsel zwischen Tag und Nacht.

Dies war zwar auch auf Pthor der Fall, seitdem der Dimensionsfahrstuhl von Loors gestartet war, aber dort gab es wenigstens ei­ne mittlerweile vertraute Umgebung, die einen gewissen Rückhalt verlieh.

Noch sah Pama alles, was um sie vorging, als ein besonders aufregendes Spiel an, aber bald würde sie Angst bekommen und sich erneut in eine Erregung hineinsteigern.

Grizzard hatte recht. Sie mußten jetzt so schnell wie möglich Gynsaal finden, koste es, was es wolle. Das aber hieß, daß einer der drei Männer das Fahrzeug steuern muß­

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te. Grizzard schied aus. Die Hände der Rü­

stung paßten nicht in die Vertiefungen. Dor­stellarain mochte mit Brastern umgehen können. Von Technik hatte er kaum viel Ah­nung.

Also mußte Atlan selbst versuchen, die Funktionsweise der Steuerung herauszufin­den.

Einziger Anhaltspunkt für den Weg, den sie zu nehmen hatten, war die Richtung, in die Pforeilt vor seinem Tod gefahren war.

Tod! dachte Atlan bitter. Man hatte ihn brutal ermordet, und der Arkonide fragte sich, was den Feinden Gynsaals blühte, wenn die Beherrscher der Dimensions­schleppe schon so mit ihren Helfern um­sprangen.

Die Art und Weise, wie sie sich bemerk­bar machten, ließ darauf schließen daß sie den ehemaligen Herren der FESTUNG an Grausamkeit und Kompromißlosigkeit noch überlegen waren.

Daran, was ihn und seine Verbündeten dann in der Schwarzen Galaxis erwarten mochte, wagte Atlan gar nicht erst zu den­ken.

»Behaltet die Umgebung im Auge«, for­derte er Dorstellarain und Grizzard auf. »Ich werde versuchen, das Ding zu manövrie­ren.«

Dorstellarain half ihm, den toten Pforeilt aus dem Fahrersitz zu zerren. Dann nahm Atlan an dessen Stelle Platz. Er zögerte einen Augenblick, bevor er die Hände vor­sichtig in die beiden Vertiefungen vor dem Sessel steckte.

Die Kopfhaube bewegte sich nicht. Wahr­scheinlich senkte sie sich erst auf ihn herab, nachdem er die entsprechenden Kontakte gefunden hatte.

Seine Finger berührten kaltes Metall – Knöpfe, Kippschalter und leicht vibrierende Sensortasten. Er mußte jetzt blind alle mög­lichen Kombinationen ausprobieren, mit dem Risiko, daß das Fahrzeug ihm und sei­nen Begleitern bei dem geringsten Fehler um die Ohren flog.

Horst Hoffmann

Atlan prägte sich vorsichtshalber einige markante Punkte der Umgebung ein. Links vom Fahrzeug befanden sich zwei kleine Hügel, direkt vor ihm ein Gebilde, das an einen Eiszapfen erinnerte, den man in den Schnee gerammt hatte – das war auch schon alles, aber es würde die Richtung weisen, falls das Fahrzeug vorübergehend außer Kontrolle geriet und die Insassen sich neu orientieren mußten.

Atlan holte tief Luft. Dann suchten seine Finger zunächst einmal alle Sensortasten, die sie erreichen konnten. Bei der geringsten Berührung hörte das Vibrieren auf.

Ein leises Summen ertönte. Die Kippschalter. Vermutlich handelte es

sich bei ihnen, wie bei den Tasten, um ein Aktivierungssystem, und die Köpfe dienten der eigentlichen Steuerung.

Einer nach dem anderen wurde umgelegt. Die Motoren heulten auf. Erleichtert stieß Atlan die Luft aus.

Die Haube senkte sich auf seinen Kopf herab. Überrascht bemerkte der Arkonide verschiedene Leuchtanzeigen, die genau vor seinen Augen erschienen. Allerdings konnte er vorerst herzlich wenig mit ihnen anfan­gen.

Die Knöpfe. Atlan spreizte die Finger, so daß jeder mit der Spitze auf einem von ihnen lag. Er fühlte sich an die Tastatur eines Mu­sikinstruments erinnert. Vorsichtig drückte er den ersten Knopf, bis er einen Widerstand fühlte.

Die Raupenketten setzten sich in Bewe­gung, allerdings nicht in der gewünschten Art und Weise.

»Wir drehen uns!« rief Dorstellarain. Atlan merkte es an den sich überschlagen­

den Einblendungen. Eine Nadel erschien vor seinen Augen, dann ein winziger Kreis in der Mitte einer leuchtenden Ziffernskala. Die Nadel befand sich an einem Ende dieser Skala.

Der Arkonide begriff. Mit der anderen Hand suchte er nach dem

Knopf, der dem gedrückten in der anderen Vertiefung entsprechen mußte. Er fand und

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drückte ihn. Die Nadel wanderte zur Mitte der Skala

hin und pendelte sich langsam ein, bis sie genau im Kreis stand.

»Wir fahren jetzt geradeaus«, sagte Dor­stellarain. »Leider in der falschen Rich­tung.«

»Paß auf und sag mir Bescheid, sobald wir wieder auf Kurs sind«, rief Atlan. Er drückte einen weiteren Knopf, und das Fahr­zeug vollführte eine Drehung in entgegenge­setzter Richtung. Als er Dorstellarains »Jetzt!« hörte, ließ der Arkonide los.

»Wir müßten nun wieder in der alten Richtung fahren«, informierte der Clanoc Atlan. »Behalte den Kurs bei.«

Die Steuerung war nun ein Kinderspiel. Über kleinere Hügel und Schneeverwehun­gen hinweg arbeitete sich die Maschine durch die Eislandschaft.

Irgendwo hinter den Nebelbänken verbarg sich Gynsaal.

»Meine Mutter«, sagte Pama plötzlich. »Sie würde mir das nie erlauben.«

»Was denn?« fragte Grizzard. »Dieses schöne Abenteuer. Sie sagt im­

mer, ich dürfte nicht allein irgendwo hinge­hen. Immer soll jemand auf mich aufpassen. Dabei hätte sie selber besser aufpassen sol­len.«

»Wieso?« »Die Großen sagen es alle. Es muß etwas

mit meinem Vater zu tun haben.« Atlan, der dem Gespräch bisher nur mit

halbem Ohr gelauscht hatte, wurde hellhö­rig.

»Dein Vater? Kennst du ihn?« »Nein. Aber alle lachen, wenn sie von

ihm sprechen. Sie sagen, er war ein Magier. Ein dummes Wort. Weißt du, was ein Ma­gier ist?«

»Ich denke schon«, sagte Atlan, dem nun einiges klar wurde. Schnell fügte er hinzu: »Ein Magier zu sein, ist nichts Schlechtes, Pama. Sicher ist dein Vater zu den anderen Magiern zurückgekehrt.«

»Dann gibt es noch mehr von ihnen?« »Viele. Vielleicht wird dein Vater dich ei­

nes Tages holen kommen und sie dir alle zeigen.«

»Sind sie lustig?« »Und wie. Sie können Sachen anstellen,

die nicht einmal du dir vorstellen kannst.« »Ich will spielen«, rief Pama übergangs­

los. »Halt an.« »Hier hält nur einer, und zwar du den

Mund«, knurrte Dorstellarain. Im nächsten Augenblick schrie er vor Schmerz laut auf. »Du verdammtes Biest! Ich werde dir …«

»Schluß jetzt, Dorstellarain!« rief Atlan. »Wir sind nicht im Kindergarten.«

»Aber das freche Gör hat mich vors Schienbein getreten!«

»Und wer hat mich vors Schienbein getre­ten, als wir in der Zarmack-Blase steckten?«

»Komm doch, komm doch, dicker Dummkopf!« feixte Pama. »Eisenmann, paß gut auf. Wenn er mir was tun will, verprü­gelst du ihn.«

Atlan war nahe daran, die Geduld zu ver­lieren, als Pama wieder schrie. Selbst unter der Haube schmerzte es in den Ohren.

»Seht nur!« rief das Mädchen. »Seht die schönen weißen Bäume dort draußen!«

»Was meint sie, Dorstellarain?« fragte At­lan, der es nicht riskieren wollte, den Kopf aus der Haube zu ziehen.

Eine Weile sagte niemand etwas. Dann murmelte der Clanoc:

»Wir fahren in eine Art Allee hinein, aber das sind keine Bäume an den Rändern, son­dern eher Figuren. Sie sehen aus, als hätte sie jemand aus Eis geschnitzt. Der Boden ist völlig eben. Jemand muß ihn bearbeitet ha­ben. Und jetzt …«

»Was?« fragte Atlan, als Dorstellarain schwieg. »Was siehst du?«

Die Stimme des Clanocs war kaum zu hö­ren.

»Eine dunkle Silhouette vor uns. Das muß ein riesiger Komplex sein. Halt lieber an, Atlan.«

Gynsaal! schoß es dem Arkoniden durch den Kopf. Er fuhr weiter. »Halt an!« drängte Dorstellarain immer heftiger. »Denk an den Schutzschirm, der um Gynsaal liegen muß.

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Eine unsichtbare und undurchdringbare Energiebarriere.«

Es war offensichtlich, daß die Nähe des Zieles Panik in dem Clanoc hervorrief. At­lan hoffte, daß Grizzard rechtzeitig eingrei­fen würde, falls der Hüne die Kontrolle über sich verlor.

Atlan fuhr weiter. Er konnte sich nur vor­stellen, wie es jetzt draußen aussah. Es gab außer Leuchtanzeigen kein optisches System in der Kopfhaube.

Jetzt bemerkte er eine neue Anzeige. Eine Zahlenreihe, deren Werte schnell abnahmen. Ohne Zweifel Entfernungsdaten.

Atlan beschloß, erst kurz vor Erreichen der Nullmarke das Fahrzeug zum Stehen zu bringen. Dorstellarain fluchte und beschwor ihn, packte schließlich Atlans Schultern und rüttelte so heftig daran, daß er den Arkoni­den fast unter der Helmhaube herausgezerrt hätte. Pama kreischte laut und drängte den »Eisenmann«, Atlan zu Hilfe zu kommen.

Doch Grizzard sollte nicht mehr dazu kommen.

»Weg!« schrie Atlan. Dorstellarain fuhr beim Klang seiner Stimme zurück. Zumin­dest hatte es einen Moment lang den An­schein. Doch ein Blick auf die Zahlenreihe zeigte Atlan, weshalb der Clanoc ihn losge­lassen hatte.

Sie mußten es sehen können, das Etwas, das sich jetzt unmittelbar vor dem Fahrzeug befinden mußte. Entweder wurde die Entfer­nung zum Schirm oder zu Gynsaal selbst ge­messen. Die erste Möglichkeit erschien At­lan einleuchtender.

Es war zu spät, um eine kontrollierte Bremsung auszuführen. Die Werte näherten sich rasend schnell der Null. Atlan riß die Hände aus den Vertiefungen und kam unter der Haube hervor. Ein Ruck ging durch die Maschine, aber sie kam nicht zum Stillstand.

»Raus hier!« rief der Arkonide. Er war bereits an der Tür und machte sich an der Verankerung zu schaffen. Dorstellarain stand mit bleichem Gesicht hinter ihm. Griz­zard hatte Pama wieder auf dem Arm.

Nur einen Augenblick sah Atlan, wie die

Horst Hoffmann

Luft in Fahrtrichtung zu glühen schien. Die Energiebarriere!

Die Tür der Kabine fuhr auf. Im gleichen Moment prallte das Fahrzeug gegen den Schirm. Atlan wurde ins Freie geschleudert. Ein greller Blitz, begleitet von einem furcht­baren Tosen, zerriß für Sekundenbruchteile das diffuse Licht. Atlan spürte die Druck­welle der Explosion, die ihn noch im Fallen erreichte und einige Meter weiter in den Schnee schleuderte. Dorstellarain landete neben ihm. Überall regneten Trümmerstücke vom Himmel herab. Atlan war geblendet und hatte das Gefühl, als ob sein Körper auseinandergerissen würde.

Sekundenlang lag er mit dem Kopf im Schnee und wartete auf weitere Explosionen oder energetische Entladungen. Als nichts geschah, richtete er sich auf.

Dorstellarain bewegte sich ebenfalls. Das Raupenfahrzeug war nur noch ein Wrack. Eine mächtige Gestalt schälte sich aus den teilweise noch glühenden Trümmern. Griz­zard. Er hielt die Arme schützend um Pama gelegt, die offenbar bewußtlos war.

»Ein Wunder«, sagte Dorstellarain kaum hörbar. »Es ist ein Wunder. Wir müßten alle tot sein.« Seine Miene verhärtete sich. »Und das alles nur, weil du nicht auf mich hören wolltest!«

Atlan winkte ab. Er fühlte sich wie gerä­dert und hatte keine Lust, sich auf eine Dis­kussion mit dem Clanoc einzulassen. Ver­mutlich hätte er das Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen bringen können, wenn Dorstel­larain ihn nicht angegriffen hätte.

Der Clanoc stieß plötzlich einen heiseren Laut aus. Er blickte mit weit aufgerissenen Augen auf etwas in Atlans Rücken – dort, wo sich die Energiebarriere befand.

Langsam drehte der Arkonide sich um. Was er sah, drohte ihm den Verstand zu

rauben. Wie eine graue, leicht fluoreszierende

Wand ragte der Energieschirm in den Him­mel und leuchtete immer dann auf, wenn der Wind größere Schneemassen gegen ihn peitschte. Er war also nicht, wie Dorstella­

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rain behauptet hatte, unsichtbar. Doch das war es nicht, was Atlan den

Hals zuzuschnüren drohte. An einer Stelle wurde die graue Wand im­

mer wieder transparent und gab für Sekun­den den Blick auf das frei, was sich hinter ihm befand.

Atlan hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen.

Sie hatten ihr Ziel erreicht. Das war Gynsaal.

11. LEENIA / WOMMSER: AUFBRUCH

Leenia stand am Rand der Senke der ver­lorenen Seelen und blickte auf die in der Ferne blinkenden Glaspaläste. Dazwischen standen die riesigen Zelte, die den aus ihren Tiefschlafkammern geflohenen ehemaligen Schläfern als Notunterkunft dienten.

Es war eine Ironie des Schicksals, daß diese Wesen nun nach relativ kurzer Zeit wieder in einer Art Tiefschlaf lagen.

Immer noch waren die Bewohner Pthors gelähmt. Und nichts deutete darauf hin, daß sich hieran in nächster Zeit etwas ändern würde.

Doch das war nicht Leenias Problem. Im Gegenteil schenkte sie dem Phänomen kaum Beachtung. Und sie fragte nicht danach, wa­rum sie selbst nicht von der Lähmung befal­len war.

Ihr Blick war weit in die Ferne gerichtet, als sie Wommsers telepathische Stimme hörte.

Leenia nickte. Langsam setzte sie sich in Bewegung und schritt den Pfad in die Senke hinunter. Das lange, blauschwarze Haar flat­terte im leichten Wind. Sie strich es immer wieder aus den Augen. Die kupferfarbene Haut des schönen Gesichts bildete einen fas­zinierenden Kontrast zum leuchtenden Rot des Anzugs, der neben dem Kopf nur die Hände freiließ. Die Beine des Kleidungs­stückes endeten in von schwarzen Fäden durchzogenen, kniehohen Stiefeln.

Noch immer konnte Leenia keinerlei Ne­

beneffekte nach dem Anlegen des Anzugs feststellen. Allerdings räumte sie ein, daß es Veränderungen geben könnte, die sie nicht bemerken konnte oder sollte.

Dies waren Befürchtungen jenes Teiles ihres Bewußtseins, der sich mit Wommser identifizierte.

Nach zwei Stunden erreichte Leenia eine Straße. Das Ziel des jungen Doppelwesens war es, sich eines jener Fahrzeuge zu be­schaffen, mit denen die Bewohner der Senke sich fortbewegten.

Leenia fand schon bei der ersten Notun­terkunft einen Torc, wie die Technos ihre schalenförmigen Fahrzeuge nannten. Es war jenes Zelt, vor dem Wommser nach der Flucht aus dem Dimensionsnest materiali­siert war.

Wommser gab wertvolle Hinweise, so daß Leenia den Torc nach wenigen Minuten star­ten konnte. Am Rand der Straße lagen ge­lähmte Technos. Einem versteckten Beob­achter wäre die Szenerie unwirklich vorge­kommen. Eine Frau, die sich wie selbstver­ständlich zwischen den wie tot Daliegenden bewegte. Und niemand hinderte sie daran, das Fahrzeug aus der Senke zu steuern.

Leenia fuhr ohne anzuhalten, bis die Sen­ke der verlorenen Seelen einige Kilometer hinter ihr lag. Dann erst brachte sie den Torc zum Stehen.

Wohin jetzt? fragte Leenia, obwohl sie die Antwort schon kannte. Doch dies gehörte in diesem Stadium der Vereinigung der beiden Wesen noch zum vorsichtigen gegenseitigen Abtasten und drückte den Respekt vor der Individualsphäre der beiden Komponenten in Leenia aus.

Wir haben nur einen Anhaltspunkt, kam es von Wommser. Kolphyr und sein Freund Razamon wollten Grizzard zur FESTUNG bringen, nachdem sie ihn aus seiner Tief­schlafkammer befreiten.

Damit war der Kurs festgelegt. Wommser kannte die Geographie Pthors von seinen Ausflügen genau, zum Teil durch eigene Be­obachtungen, zum Teil durch Informationen, die Kolphyr ihm unbewußt gegeben hatte.

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Leenia startete das Fahrzeug erneut. Es war ungewohnt für sie, die bisher ein regelrech­tes Einsiedlerleben in den kleinen Wäldern zwischen der Senke der verlorenen Seelen und dem Blutdschungel geführt hatte, sich einer fremden Technik anzuvertrauen.

Die Fahrt ging nach Westen, in Richtung Taamberg. Und es war in zweifacher Hin­sicht eine Fahrt ins Ungewisse.

Es war fraglich, was Leenia und Womm­ser in der FESTUNG vorfinden würden, falls es ihnen überhaupt gelang, bis dorthin vorzustoßen.

Und tief im Innern des Doppelwesens reg­ten sich die Zweifel über das, was sich ein­mal aus der Vereinigung ergeben würde. Denn daß sie noch einen langen Weg vor sich und die endgültige Zustandsform noch nicht erreicht hatten, wußten beide Kompo­nenten.

Und es war Wommser, der immer wieder

Horst Hoffmann

die bange Frage stellte, worin Leenias Auf­trag auf Pthor bestand.

War es denn ausgeschlossen, daß Leenia gerade von jener Macht abhing, die Pthor ir­gendwann vor langer Zeit auf die Reise ge­schickt hatte?

Selbst wenn es so wäre – Wommser konnte sie nicht mehr verlassen. Die beiden Wesenheiten waren für immer untrennbar verbunden. Für Wommser war es die dritte Stufe seiner Evolution.

Manchmal fragte er sich, wie Leenia wirklich aussah. Es störte ihn nicht mehr, daß sie jeden seiner Gedanken wie ihre eige­nen mitdachte.

Sie stellte sich die Frage selbst.

ENDE

E N D E