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Das Kompetenznetz Angeborene Herzfehler (KN AHF) Vernetzung statt Insellösungen für optimierte Forschung und Versorgung Ulrike Bauer 1, 2 , Eva Niggemeyer 2 , Peter E. Lange 1 1 Kompetenznetz Angeborene Herzfehler, Berlin, 2 Nationales Register für angeborene Herzfehler e.V., Berlin. Eingang des Manuskripts: 29. 6. 2006. Annahme des Manuskripts: 29. 6. 2006. ZUSAMMENFASSUNG Angeborene Herzfehler (AHF) sind die häufigste angeborene Fehlbildung, wobei es kein einheitliches, klar definiertes Krankheitsbild gibt. Obwohl dank medizinischer Fortschritte heute die Mehrzahl der Betroffenen bis in das Erwachsenenalter überlebt, bleiben diese lebenslang chronisch krank und bedürfen spezifischer Versorgung. Im Rahmen des Kompetenznetzes An- geborene Herzfehler kann diese geleistet und optimiert werden, indem deutschlandweite Kooperation und interdisziplinäre Forschung ermöglicht werden. Die so erzielte breite Datenbasis kann im Rahmen klinischer Stu- dien zu Krankheitsbildern sowie aktuellen Diagnostik- und Therapieme- thoden genutzt werden. Als Kernstück des Netzes erfasst das Nationale Register für angeborene Herzfehler e.V. flächendeckend alle Patienten mit AHF. Diese Daten bilden die Basis für epidemiologische Studien zu Lebens- qualität und psychosozialen Faktoren. Das Resultat ist ein ganzheitliches Betreuungskonzept und ein schneller Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis. Inzwischen konnten pädiatrische Leitlinien entwickelt und auf S2-Niveau angehoben werden. Zudem vermitteln die Ergebnisse des Re- gisters einen ersten Überblick über das Herzfehlbildungsgeschehen, der derzeit in laufenden Studien erweitert wird. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der genauen Bestimmung der Prävalenz sowie den Belangen er- wachsener Patienten. Eine geplante Versorgungsdatenbank soll schließlich das Konzept der integrierten Versorgung umsetzen und die Interdisziplina- rität optimieren. Insgesamt trägt das Kompetenznetz dazu bei, den aktuellen Versorgungsbedarf sowie Versorgungslücken auf dem Gebiet der AHF auf- zudecken, Strategien für eine adäquate und effiziente Versorgung zu entwi- ckeln und diese für alle Beteiligten transparent zu machen. Schlüsselwörter: Angeborene Herzfehler · Fehlbildungen · Epidemiologie · Register · Multizentrisch Med Klin 2006;101:753–8. DOI 10.1007/s00063-006-1104-4 ABSTRACT The Competence Network for Congenital Heart Defects. Networking Instead of Isolated Efforts for Optimized Research and Care Congenital heart defects (CHD) are the most common congenital mal- formation; there is no clearly defined clinical picture. Although, thanks to medical progress, most of those affected survive into adulthood, they remain chronically ill throughout their lives and require specific care. By enabling nationwide cooperation and interdisciplinary research, the Competence Network for Congenital Heart Defects can provide and optimize this care. M it einer geschätzten Gesamtzahl von ca. 300 000 Betroffenen und einem jährlichen Zuwachs um ca. 6 000 neugeborene Fälle in Deutschland stel- len angeborene Herzfehler (AHF) die häufigste angeborene Fehlbildung beim Menschen dar. Die zu erwartende stei- gende klinische sowie gesundheitspo- litische Relevanz dieses Krankheits- bildes ist vor allem der Tatsache ge- schuldet, dass aufgrund eminenter Fortschritte in Medizin und Technik sowie daraus resultierender verbesserter Diagnose- und Therapiemöglichkeiten inzwischen nahezu 95% dieser Patienten das Erwachsenenalter erreichen, eine vollständige Heilung jedoch kaum möglich ist, weshalb meist eine lebens- lange chronische Krankheit bzw. ana- tomische und funktionelle Folgeerkran- kungen bestehen [1, 2]. Diese führen zu erheblichen Beeinträchtigungen, welche alle Lebensbereiche gleicher- maßen betreffen. Von einer eindeutigen Genese oder einem einheitlichen klinischen Erschei- nungsbild kann dabei nicht gesprochen werden. An der Entstehung eines Herz- fehlers können vielfältige, bis dato weit- gehend ungeklärte Ursachen beteiligt sein. Da es dementsprechend eine große Anzahl höchst unterschiedlicher Herz- fehler verschiedenster Schweregrade gibt, bedarf es spezifischer Betreuung und Behandlung nach einer sorgfältigen Einschätzung des jeweils individuellen Falls. Aufgrund der Komplexität sowie hohen Variabilität ist es sehr schwierig, aussagekräftige Daten zu ermitteln, wel- che als Basis für den Aufbau einer ad- äquaten Versorgung und die Entwick- lung optimaler, standardisierbarer Be- handlungskonzepte herangezogen wer- den können. Dies betrifft insbesondere die noch relativ neue, jedoch stetig wachsende Gruppe der erwachsenen Herzfehlerpatienten, welche gegenwär- tig aufgrund ungeklärter Zuständig- keiten und fehlender Expertise oft in ein „Versorgungsloch“ fallen. Gerade jedoch um dem kontinuierlich stei- 753 PERSPEKTIVEN: KOMPETENZNETZE 2006;101:753–8 (Nr. 9), © Urban & Vogel, München

Das Kompetenznetz Angeborene Herzfehler (KN AHF)

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Das Kompetenznetz Angeborene Herzfehler (KN AHF)Vernetzung statt Insellösungen für optimierte Forschung und VersorgungUlrike Bauer1, 2, Eva Niggemeyer2, Peter E. Lange1

1 Kompetenznetz Angeborene Herzfehler, Berlin,2 Nationales Register für angeborene Herzfehler e.V., Berlin.

Eingang des Manuskripts: 29. 6. 2006.Annahme des Manuskripts: 29. 6. 2006.

ZUSAMMENFASSUNG

Angeborene Herzfehler (AHF) sind die häufigste angeborene Fehlbildung, wobei es kein einheitliches, klar definiertes Krankheitsbild gibt. Obwohl dank medizinischer Fortschritte heute die Mehrzahl der Betroffenen bis in das Erwachsenenalter überlebt, bleiben diese lebenslang chronisch krank und bedürfen spezifischer Versorgung. Im Rahmen des Kompetenznetzes An-geborene Herzfehler kann diese geleistet und optimiert werden, indem deutschlandweite Kooperation und interdisziplinäre Forschung ermöglicht werden. Die so erzielte breite Datenbasis kann im Rahmen klinischer Stu-dien zu Krankheitsbildern sowie aktuellen Diagnostik- und Therapieme-thoden genutzt werden. Als Kernstück des Netzes erfasst das Nationale Register für angeborene Herzfehler e.V. flächendeckend alle Patienten mit AHF. Diese Daten bilden die Basis für epidemiologische Studien zu Lebens-qualität und psychosozialen Faktoren. Das Resultat ist ein ganzheitliches Betreuungskonzept und ein schneller Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis. Inzwischen konnten pädiatrische Leitlinien entwickelt und auf S2-Niveau angehoben werden. Zudem vermitteln die Ergebnisse des Re-gisters einen ersten Überblick über das Herzfehlbildungsgeschehen, der derzeit in laufenden Studien erweitert wird. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der genauen Bestimmung der Prävalenz sowie den Belangen er-wachsener Patienten. Eine geplante Versorgungsdatenbank soll schließlich das Konzept der integrierten Versorgung umsetzen und die Interdisziplina-rität optimieren. Insgesamt trägt das Kompetenznetz dazu bei, den aktuellen Versorgungsbedarf sowie Versorgungslücken auf dem Gebiet der AHF auf-zudecken, Strategien für eine adäquate und effiziente Versorgung zu entwi-ckeln und diese für alle Beteiligten transparent zu machen.

Schlüsselwörter: Angeborene Herzfehler · Fehlbildungen · Epidemiologie · Register · Multizentrisch Med Klin 2006;101:753–8.

DOI 10.1007/s00063-006-1104-4

ABSTRACT

The Competence Network for Congenital Heart Defects. Networking Instead of Isolated Efforts for Optimized Research and Care

Congenital heart defects (CHD) are the most common congenital mal-formation; there is no clearly defined clinical picture. Although, thanks to medical progress, most of those affected survive into adulthood, they remain chronically ill throughout their lives and require specific care. By enabling nationwide cooperation and interdisciplinary research, the Competence Network for Congenital Heart Defects can provide and optimize this care.

Mit einer geschätzten Gesamtzahl von ca. 300 000 Betroffenen und

einem jährlichen Zuwachs um ca. 6 000 neugeborene Fälle in Deutschland stel-len angeborene Herzfehler (AHF) die häufigste angeborene Fehlbildung beim Menschen dar. Die zu erwartende stei-gende klinische sowie gesundheitspo-litische Relevanz dieses Krankheits-bildes ist vor allem der Tatsache ge-schuldet, dass aufgrund eminenter Fortschritte in Medizin und Technik sowie daraus resultierender verbesserter Diagnose- und Therapiemöglichkeiten inzwischen nahezu 95% dieser Patienten das Erwachsenenalter erreichen, eine vollständige Heilung jedoch kaum möglich ist, weshalb meist eine lebens-lange chronische Krankheit bzw. ana-tomische und funktionelle Folgeerkran-kungen bestehen [1, 2]. Diese führen zu erheblichen Beeinträchtigungen, welche alle Lebensbereiche gleicher-maßen betreffen.

Von einer eindeutigen Genese oder einem einheitlichen klinischen Erschei-nungsbild kann dabei nicht gesprochen werden. An der Entstehung eines Herz-fehlers können vielfältige, bis dato weit-gehend ungeklärte Ursachen beteiligt sein. Da es dementsprechend eine große Anzahl höchst unterschiedlicher Herz-fehler verschiedenster Schweregrade gibt, bedarf es spezifischer Betreuung und Behandlung nach einer sorgfältigen Einschätzung des jeweils individuellen Falls. Aufgrund der Komplexität sowie hohen Variabilität ist es sehr schwierig, aussagekräftige Daten zu ermitteln, wel-che als Basis für den Aufbau einer ad-äquaten Versorgung und die Entwick-lung optimaler, standardisierbarer Be-handlungskonzepte herangezogen wer-den können. Dies betrifft insbesondere die noch relativ neue, jedoch stetig wachsende Gruppe der erwachsenen Herzfehlerpatienten, welche gegenwär-tig aufgrund ungeklärter Zuständig-keiten und fehlender Expertise oft in ein „Versorgungsloch“ fallen. Gerade jedoch um dem kontinuierlich stei-

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genden Bedarf, welcher zudem einen nicht unerheblichen Kostenfaktor dar-stellt, gerecht werden zu können, sind diese Daten dringend erforderlich und sowohl unter medizinischem als auch unter gesundheitspolitischem Aspekt von erheblicher Relevanz. Das Kon-zept eines Kompetenznetzes erlaubt es, dieser Problematik auf adäquate und effektive Weise zu begegnen.

Mehrwert für Forschung und Versorgung durch Netzwerkstrukturen und interdisziplinäre Zusammenarbeit

Die Kompetenznetzidee existiert be-reits seit mehreren Jahren. Initiiert und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), gibt es diese Forschungsverbünde seit 1999 auch im medizinischen Bereich. Das hohe Potential und der offensichtliche Erfolg dieses Konzepts werden durch das Anwachsen der Zahl auf inzwischen 20 Netze eindrucksvoll belegt. Deren vordringliches Ziel ist es, auf der Grundlage interdisziplinärer und über-regionaler Zusammenarbeit von Ex-perten und Betroffenen (z.B. in mul-tizentrischen Studien) optimale Strate-gien im Umgang mit Krankheitsbildern zu entwickeln, welche aufgrund hoher Morbidität und Mortalität sowie hoher anfallender Kosten von großer sozio-ökonomischer Bedeutung sind und für die Betroffenen und die Gesellschaft gleichermaßen eine große Belastung darstellen. Als einer dieser Zusammen-schlüsse konzentriert sich auch das seit 2003 öffentlich geförderte Kompetenz-netz Angeborene Herzfehler primär auf den Auf- und Ausbau einer leistungs-fähigen vernetzten Forschungsstruktur, welche dazu beiträgt, die Qualität von Forschung und Versorgung in diesem Bereich zu optimieren und darüber hinaus Informationen zur Problematik der AHF transparent für alle Interes-sierten verfügbar zu machen. Somit soll vor allem auch ein schneller und di-rekter Transfer zwischen Forschung und Praxis begünstigt werden. In die-sem Sinne finden kontinuierlich eine enge Zusammenarbeit und ein reger Austausch zwischen den Beteiligten statt, welche sich aus Ärzten, Wissen-schaftlern, Selbsthilfegruppen sowie Elternverbänden zusammensetzen und von den führenden Fachgesellschaften der Kardiologie, Kinderkardiologie und

Herzchirurgie beratend unterstützt werden. Gerade der beschriebenen spe-zifischen Charakteristik des Krankheits-bildes von AHF kann auf diese Weise effektiv und effizient begegnet werden. Nachdem im April 2006 die zweite Förderphase (November 2006 bis ein-schließlich Oktober 2008) bewilligt wurde, kann im Rahmen der betrie-benen medizinischen Grundlagenfor-schung, klinischen Forschung sowie Versorgungsforschung nun damit fort-gefahren werden, die vorliegende Pro-blematik genau zu beleuchten, um auf dieser Grundlage bisher fehlende ad-äquate und ganzheitliche Strategien für deren Handhabung zu entwickeln und als Standard zu etablieren. So führt das Konzept der vernetzten Forschung letztlich zu einem Mehrwert sowohl für die Wissenschaft als auch und ge-rade für die Patienten und deren An-gehörige.

Umsetzung: Aufbau und Strukturen des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler

Mit der Schaffung des Kompetenz-netzes AHF ist es gelungen, vielschich-tige horizontale sowie vertikale Netz-werkstrukturen aufzubauen (Abbildung

1), in welche die maßgeblichen Ebenen der Forschung, der medizinischen Brei-tenversorgung, der Betroffenen und der Öffentlichkeit integriert sind. Dies ge-währleistet den Einbezug aller Daten aller Akteure. Die Kooperation findet insbesondere im Rahmen multizen-trischer Studien statt, so dass wesentlich größere Fallzahlen und somit eine brei-te Datenbasis erreicht, Doppeluntersu-chungen vermieden und Ressourcen gespart werden können. Um darüber hinaus eine hohe Qualität der Daten und die Einhaltung bestehender gesetz-licher Regelungen und Richtlinien zu garantieren, arbeitet das Kompetenz-netz AHF mit dem KKS (Koordinie-rungszentrum für Klinische Studien) Charité, Berlin, dem Institut für Bio-metrie und Medizinische Informatik der Universität Magdeburg und der Abteilung Medizinische Informatik der Universität Göttingen zusammen. Ef-fizienz und Aussagekraft der gewon-nenen Ergebnisse werden so gleicher-maßen optimiert.

Dies gilt in besonderem Maße für die klinischen Studien (Abbildung 2), mittels welcher zum einen eine grund-legende Analyse der Krankheitsbilder sowie der mit diesen und deren Be-handlung zusammenhängenden Ver-

Clinical studies concerning clinical manifestations and recent diagnostic and treatment options can make use of the collected data. Being the core proj-ect of the Network, the National Register for congenital heart defects (registered association) registers all patients with a CHD throughout Ger-many. This data provides a basis for epidemiologic studies concerning qual-ity of life and psychosocial aspects. Thus, integral care and swift transfer of knowledge between science and practice can be achieved. Meanwhile, pediatric guidelines could be developed and raised to S2 level. Addition-ally, the Register’s results allow an assessment of the present situation of cardiac malformations, which is to be further evaluated in current studies. Particular attention is paid to the prevalence of CHD and adult patients’ needs. In the long term, the concept of integrated care, and especially the idea of multidisciplinarity, is to be realized within the scope of a “health care database”. All in all, the Competence Network for Congenital Heart Defects plays a substantial part in detecting needs and deficits of the current care for patients with CHD and helps developing strategies for an adequate and efficient care, while guaranteeing a high degree of transparency for those concerned.

Key Words: Congenital heart disease · Malformations · Epidemiology · Register · Multicenter

Med Klin 2006;101:753–8.DOI 10.1007/s00063-006-1104-4

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läufe, Komplikationen und Spätfolgen stattfindet. Zum anderen dienen sie dazu, aktuelle Diagnostik- und Thera-piemethoden hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit zu evaluieren und deren Effizienz abzuschätzen, um langfristig Standards festlegen und eine evidenz-basierte Versorgung der Betroffenen sicherstellen zu können. Durch die dichte Netzwerkstruktur ist dabei ein direkter Transfer der Forschungsergeb-nisse in die Praxis gewährleistet.

Während sich die klinischen Stu-dien insbesondere mit rein medizi-nischen Fragestellungen befassen, wird daneben auch dem mindestens ebenso wichtigen Aspekt der psychosozialen Versorgung und der Lebensqualität im Rahmen von epidemiologischen Stu-dien Rechnung getragen. Somit steht ein ganzheitliches Betreuungskonzept im Mittelpunkt.

Die Basis der Versorgungsforschung stellt das Kernprojekt des Kompetenz-netzes AHF, das Nationale Register für angeborene Herzfehler [3], dar, ein wissenschaftlicher eingetragener Verein (e.V.), der 2003 von den Fachgesell-schaften der Kinderkardiologie, Kar-diologie und Herzchirurgie gegründet wurde. Als zentrale Datenbank, in wel-cher erstmals bundesweit und flächen-deckend alle Betroffenen mit einem AHF erfasst werden, hat es internatio-nalen Modellcharakter. Die Zahl der

registrierten Patienten beläuft sich der-zeit auf 21 626 (Stand: Mai 2006).

Auf dieser Grundlage lassen sich unter Einbezug alters-, geschlechts- und diagnosespezifischer Aspekte Fra-gestellungen zur konkreten Lebenssi-tuation und Lebensqualität der Betrof-fenen bearbeiten sowie Zusammenhän-ge mit verschiedenen medizinischen und nichtmedizinischen Einflussfak-toren eruieren und genauer beleuchten. Da es gerade auf diesem Gebiet an va-liden Daten und Literatur mangelt [4–6], erhofft sich das Kompetenznetz AHF, signifikant zum aktuellen For-schungsstand beitragen zu können. Indem sich mittels der Arbeit des Re-gisters die gegenwärtige Situation der Patienten erstmals genau feststellen lässt, können Problematiken benannt, der Bedarf an spezifischen Betreuungs-angeboten abgeschätzt und eventuelle Versorgungsdefizite aufgedeckt wer-den. Hierzu gehört auch eine kritische Einschätzung der Qualität und Effizienz derzeit bestehender Versorgungsstruk-turen (Art, Größe, bundesweite Ver-teilung der betreuenden Einrich-tungen), die vor allem auch seitens der Betroffenen kritisiert werden. Auf der Grundlage einer exakten Analyse der bestehenden Probleme können sodann sich daraus ergebende Fragestellungen bearbeitet und adäquate Lösungsstrate-gien entwickelt werden.

Insgesamt trägt die Arbeit im Rah-men des Kompetenznetzes AHF so wesentlich zur Entwicklung bzw. Op-timierung eines adäquaten Versor-gungssystems bei, welches alle Ebenen berücksichtigt. Die erarbeiteten validen und aussagekräftigen Daten sollen Ver-allgemeinerungen zulassen und zur Entwicklung von überregional gültigen Diagnostik- und Therapiestandards so-wie Behandlungsrichtlinien auf hohem Niveau führen.

Erste Ergebnisse und Ausblick

Die beschriebene leistungsfähige ver-netzte Forschungsstruktur (Abbildung 1) mit dem Nationalen Register im Zentrum ist inzwischen hinreichend etabliert, um als solide Basis für die laufenden und alle weiterführenden Projekte zu dienen. Weitreichende po-sitive Effekte sind so auf medizinischer und psychosozialer sowie nicht zuletzt auch auf gesundheitsökonomischer Ebene abzusehen.

In den klinischen Studien, deren Hauptinteresse der bisher wenig er-forschten Therapie und Prävention von Funktionsstörungen des rechten Ven-trikels gilt, sind die Patientenrekrutie-rungsphasen z.T. bereits abgeschlossen, so dass im Anschluss daran mit der Da-teneingabe und Auswertung begonnen werden kann. Aufgrund der Bewilli-

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Abbildung 1. Organigramm des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler.

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gung der 2-jährigen zweiten Förder-phase durch das BMBF steht generell der Fertigstellung der laufenden Pro-jekte nichts im Wege, und es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass die ausstehen-den Resultate mit Optimismus erwartet werden können und ein relevanter In-put für Wissenschaft und medizinische Patientenversorgung zu erhoffen ist.

Die Arbeit im Rahmen der multi-zentrischen Studien konnte des Wei-teren bereits bei der Entwicklung, Pu-blikation und Optimierung von Dia-gnostik- und Therapieleitlinien ver-wertet werden und fand dort ihren Niederschlag. Zudem konnten auf-grund vernetzter und flächenübergrei-fender Studien nahezu alle publizierten Leitlinien [7] inzwischen auf S2-Niveau angehoben werden. Eine weitere An-hebung auf ein noch höheres Evidenz-niveau wird künftig durch die Nutzung und den konsequenten weiteren Aus-bau der etablierten Forschungsstruktur möglich sein und ist klar definiertes Ziel der Beteiligten.

Neben der Optimierung der Dia-gnostik- und Therapieangebote für Patienten mit AHF sind die so erzielten Ergebnisse nicht zuletzt auch unter ge-sundheitsökonomischen Gesichtpunk-ten von Relevanz. Indem sie eine even-tuelle Aufnahme adäquater und effizi-enter Behandlungsformen in den Lei-stungskatalog der Krankenkassen begünstigen können, tragen sie signi-fikant zu einer Verbesserung und Transparenz der aktuellen Versorgungs-situation bei.

Weitere wichtige Ergebnisse auf dem Gebiet der Versorgungsforschung liefern darüber hinaus die Auswer-tungen und Studien im Rahmen des Nationalen Registers für angeborene Herzfehler. Die monatlich erfolgenden Datenbankabfragen vermitteln eine ers-te, ständig aktualisierte Vorstellung vom Herzfehlbildungsgeschehen in Deutsch-land, z.B. hinsichtlich Alter, Geschlecht, Wohnsitz und Diagnose. Zudem er-brachten gezielte Auswertungen erste Ergebnisse zum Zusammenhang von Behinderung und Befinden [8] und zur Medikamenteneinnahme [9] der regi-strierten Patienten. Auch bezüglich der familiären Häufung von AHF lieferte eine stichprobenartige Fragebogenak-tion interessante Einblicke, die in einer folgenden Studie noch weiter erforscht werden sollen.

Ein Meilenstein, der nicht nur die Arbeit des Registers in erheblichem Maße voranbringen wird, ist die im Ju-li 2006 gestartete PAN-Studie (Präva-lenz Angeborener Herzfehler bei Neu-geborenen), deren Ziel es ist, alle AHF-Patienten eines Geburtenjahrgangs in Deutschland vollzählig und flächen-deckend zu erheben, um die Prävalenz von AHF bestimmen zu können. Die Zusage nahezu aller Kliniken/Abtei-lungen für Kinder- und Jugendkardio-logie, Kliniken für Kinderheilkunde und Jugendmedizin mit kinderkardiolo-gischer Versorgung, Schwerpunkt-praxen für Kinder- und Jugendkardio-logie und weiterer Kinderkliniken zur Mitwirkung lässt dabei auf eine erfolg-reiche Durchführung hoffen. Die so langfristig zu erwartenden belastbaren Zahlen sind sowohl für die medizi-nische also auch für die gesundheitspo-litische Versorgungsplanung relevant.

Der relativ neuen und stetig an Be-deutung gewinnenden Gruppe der er-wachsenen AHF-Patienten trägt insbe-sondere die Lebensqualitätsforschung des Nationalen Registers Rechnung. Bei einer ersten Studie zur Erhebung von demographischen, medizinischen und sozialen Basisdaten sowie von Da-ten zur subjektiven gesundheitsbezo-genen Lebensqualität von Erwachsenen mit AHF konnten die Pilotphase gera-

de erfolgreich abgeschlossen und eine hohe Antwortquote sowie -qualität erzielt werden (Stand: Juni 2006). Mit endgültigen Resultaten ist ab Herbst 2006 zu rechnen.

Aus dem erstarkenden Interesse für die spezifischen Belange erwachsener Betroffener [10, 11] ging des Weiteren auf Initiative der Deutschen Gesell-schaft für Kardiologie die seit 2004 aktive EMAH (Erwachsene mit ange-borenen Herzfehlern) Task Force her-vor, die sich auf die drei Bereiche „Versorgungsstruktur“, „Leitlinien“ und „Aus- und Weiterbildung“ kon-zentriert. Erste Ergebnisse dieser Zu-sammenarbeit von Vertretern aus den Fachgesellschaften und Betroffenen-verbänden stellen die bereits publi-zierten „Empfehlungen zur Qualitäts-verbesserung der interdisziplinären Versorgung von Erwachsenen mit an-geborenen Herzfehlern (EMAH)“ [12] dar. Derzeit befasst sich eine Arbeits-gruppe der Task Force mit der Ent-wicklung spezifischer medizinischer Leitlinien zur Behandlung von EMAH, die kurz vor der Fertigstellung stehen und langfristig als Äquivalent zu den pädiatrischen Leitlinien fungieren sol-len. Somit spielen sie eine bedeutende Rolle im Abbau des auf diesem Gebiet bestehenden Wissens- und Versor-gungsdefizits.

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Abbildung 2. Multizentrische Studien im Kompetenznetz Angeborene Herzfehler.

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Während die beschriebene Arbeit noch auf Deutschland konzentriert bleibt, findet im Kompetenznetz in zunehmendem Maße eine Orientie-rung auf überregionale Zusammenar-beit statt. So geht die Einbindung des Nationalen Registers in ein europa-weites Großforschungsprojekt zu den bei der Herzentstehung beteiligten ge-netischen Faktoren („Heart Failure and Cardiac Repair“) bereits einen Schritt über die deutschlandweite Vernetzung hinaus. Um die bereits bestehende Da-tenbasis noch weiter auszubauen und zu international verallgemeinerbaren Ergebnissen zu kommen, sind derartige Kooperationen essentiell, weshalb es ein vordringliches Ziel ist, weitere in-ternationale Projekte an das bestehen-de Netzwerk anzudocken. Dabei wird die durch das Kompetenznetz etablier-te Forschungsstruktur dem Standort Deutschland auch auf lange Sicht zu zentraler Stellung verhelfen.

Der zentrale Gedanke der Interdis-ziplinarität und des schnellen Wissens-transfers bleibt bei all dieser Arbeit stets mitberücksichtigt. Um auch auf dieser Ebene Fortschritte zu erzielen und noch effektiver sämtliche Akteure, ins-besondere auch die Patienten, mit ein-zubeziehen, wird derzeit unter Zusam-menarbeit des Deutschen Herzzentrums Berlin, der Rehabilitations-Einrichtung Brandenburg Klinik und aller nieder-

gelassenen Kinderkardiologen Ber-lin-Brandenburgs sowie der Techniker Krankenkasse Hamburg als Kostenträ-ger das „Pilotprojekt Versorgungsda-tenbank“ [13] entwickelt (Abbildung 3). Hierbei handelt es sich um eine Datenbank, die standardisiert eingege-bene, qualitätsgesicherte Daten der Patienten enthalten soll, die dann den Spezialisten für AHF zeit- und ortsun-abhängig permanent zur Verfügung stehen. Die Steuerung soll dabei über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) und den Heilberufsausweis (HBA) erfolgen. Dies führt zu einer in der Form bisher nicht existierenden Zusammenarbeit aller maßgeblichen Akteure, wobei vor allem dem mün-digen Patienten ein wesentliches Mit-spracherecht eingeräumt und dieser als gleichberechtigter Partner in die Ver-sorgung und Versorgungsplanung mit einbezogen wird. Dabei befinden sich Versorgung und Forschung mittels E-Learning und E-Controlling in stän-digem Austausch, wodurch sicherge-stellt ist, dass alle Beteiligten stets über die neuesten Informationen verfügen, die u.a. aus den Studien des Kompe-tenznetzes AHF einfließen.

Das Ziel ist es, dieses Konzept im Rahmen einer integrierten Versorgung [14] langfristig zum Standard für die Betreuung von Herzfehlerpatienten zu machen und ihnen so eine zeitgemäße,

patientengerechte und effiziente ganz-heitliche Betreuung anzubieten.

Fazit

Medizinische Kompetenznetze stellen ein erfolgversprechendes Konzept dar, um spezifische, bislang wenig erforschte Krankheitsbilder mit hohem medizi-nischem, gesundheitlichem und gesell-schaftlichem Impact zu bearbeiten. Insbesondere der Komplexität und be-sonderen Problematik von AHF kann im Rahmen der interdisziplinären und multizentrischen Arbeit auf optimale Weise Rechnung getragen werden, was sowohl größtmögliche Transparenz als auch eine qualitativ hochwertige und effiziente Betreuung zur Folge hat, wo-von alle Betroffenen gleichermaßen profitieren.

Danksagung

Die Arbeit der Autoren wurde unter-stützt durch das Kompetenznetz An-geborene Herzfehler, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderkennzeichen: 01G10210).

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Abbildung 3. Pilotprojekt Versorgungsdatenbank.

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Herzfehlern – erste Ergebnisse des Nationalen Re-gisters für angeborene Herzfehler e.V. Z Kardiol 2004;93:714.

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KorrespondenzanschriftDr. Ulrike BauerGeschäftsführerinKompetenznetz Angeborene Herzfehlerund Nationales Register für angeborene Herzfehler e.V.Augustenburger Platz 113353 BerlinTelefon (+49/30) 450-576772Fax -576972E-Mail: [email protected]

geborenen Herzfehlern (EMAH). Berlin: Kompe-tenznetz Angeborene Herzfehler, 6. November 2005 (http://www.kompetenznetz-ahf.de/content/documents/EMAH_Strukturpapier_FINAL_06112005.pdf, 26. Juni 2006.

13. Kompetenznetz Angeborene Herzfehler. Die Zu-kunft der integrierten Versorgung am Beispiel angeborener Herzfehler. Kompetenznetz schafft neues Versorgungsmodell für Patienten mit ange-borenen Herzfehlern/Daten aus der Versorgung werden erstmals für die Forschung genutzt. Berlin: Kompetenznetz AHF, 31. März 2005 (http://www.kompetenznetz-ahf.de/content/documents/1_PI_DGK_Frueh05.pdf, 26. Juni 2006).

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