53

Das neue Atlantis

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Das neue Atlantis
Page 2: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Nr. 300

Das neue Atlantis von William Voltz

Auf Terra und den übrigen Menschheitswelten schreibt man das Jahr 2648. Frieden und Wohlstand herrschen im Solaren Imperium. Auf vielen tausend Welten der Milchstraße siedeln Menschen. Doch es ist ein trügerischer Frieden. Eine neue Gefahr für die Menschheit zieht herauf – und Atlan, der unsterbliche Arkonide, ist der einzige, der ihr zu begegnen vermag. Zu-sammen mit einem mysteriösen Gefährten bricht der Mentor der Menschheit auf. Ihr Ziel: DAS NEUE ATLANTIS ...

2

Page 3: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Die Hauptpersonen des Romans: Carmel Sphinx und Purflinth – Zwei USO-Agenten auf den Spuren des Atlan-tis-Rätsels. Tervor Aretosa alias Razamon – Ein Fremder auf der Erde. Atlan – Der Lordadmiral der USO beginnt eine lange Reise. Perry Rhodan – Der Großadministrator des Solaren Imperiums läßt Vorsichts-maßnahmen treffen.

3

Page 4: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

»Vor dem Eingang des Meeres, der, wie ihr

sagt, Säulen des Herakles heißt, befand sich eine Insel, größer als Asien und Libyen zu-sammen.«

(Platon, »Timaios« Kapitel 3)

1. Die trockene Hitze, die im Wettbüro

herrschte, hatte Purflinth schläfrig gemacht, so daß er die Kontrolle über seinen nachemp-fundenen menschlichen Körper zu verlieren begann.

Carmel Sphinx, der den Eingang und die Schalter beobachtete, bemerkte die verräteri-sche Veränderung erst, als eine Gesichtshälfte des Matten-Willys bereits wie eine Teigtasche herabhing.

Der USO-Spezialist zuckte zusammen und trat Purflinth gegen ein Schienbein. Das Bein gab nach und floß unter die Bank.

»Purflinth!« zischte Sphinx wütend. Das Plasmawesen zuckte zusammen und

beeilte sich, die mißratenen Körperstellen wieder zu korrigieren. Zum Glück waren alle Kunden an den Schaltern beschäftigt, so daß niemand den Zwischenfall bemerkt hatte.

»Ich hoffe, daß du dich etwas zusammen-reißt«, warnte Sphinx seinen extraterrestri-schen Begleiter. »Wenn hier jemand merkt, was du wirklich bist, gibt es einen Höllen-spektakel und wir können unsere Nachfor-schungen getrost aufgeben.«

Mutwillig veränderte Purflinth eines seiner Augen, so daß es wie ein Spiegelei aussah.

Sphinx knirschte hörbar mit den Zähnen. »Ich bin dein Assistent«, erklärte der Mat-

ten-Willy. »Trotzdem verlange ich, daß du mich höflich behandelst.«

»Drei Whisky?« fragte Sphinx, der nur mühsam die Fassung bewahrte.

Purflinth leckte sich mit einer Zunge, die wie ein roter Schöpflöffel aussah, über die Lippen.

»Fünf!« »Also gut«, gab Sphinx nach. »Fünf! Aber

ich erwarte, daß du dich jetzt anständig be-trägst.«

Purflinth normalisierte das Auge und blick-te zur Tür.

»Er kommt sowieso nicht.«

»Abwarten!« meinte Sphinx. »Klement hat gesagt, daß er jeden letzten Freitag im Monat kommt, um seine Wetten abzuschließen.«

Klement war der Besitzer des automati-schen Wettbüros. Bei ihm wurden die un-glaublichsten Wetten abgeschlossen. Die Tat-sache, daß Klement eine Villa am Goshun-See und eine Raumjacht besaß, bewies deut-lich, wer bei diesen Wetten zu gewinnen pflegte.

Seit ein paar Monaten war das anders. Damals, am letzten Freitag im Februar des

Jahres 2648, war Tervor Aretosa zum ersten-mal in Klements Wettbüro aufgetaucht. Are-tosa hatte die Gründung einer Sekte mit dem Namen Jünger von Atlantis in Europa vorher-gesagt und eine hohe Summe darauf gewettet, daß dieses Ereignis auch stattfinden würde. Klements Roboter, die trotz aller gründlicher Recherchen keine Anhaltspunkte für eine der-artige Gründung finden konnten, hielten da-gegen – und verloren.

In den vier Monaten März, April, Mai und Juni war Aretosa ebenfalls erschienen und hatte absurde Wetten angeboten, die alle mit dem Thema »Atlantis« in Zusammenhang standen. Auch diese vier Wetten hatte er ge-gen alle Wahrscheinlichkeitsrechnungen der Wettroboter gewonnen.

Klement hatte Nachforschungen angestellt und sogar eine Regierungsstelle benachrich-tigt. Niemand schien Tervor Aretosa zu ken-nen oder zu wissen, wo er lebte.

In seiner Juni-Wette hatte Aretosa ange-kündigt, daß die Regierung sich genötigt se-hen würde, zum Thema »Atlantis« eine Erklä-rung herauszugeben, und genau das war vor ein paar Tagen geschehen.

Carmel Sphinx ging der Atlantis-Rummel auf die Nerven, er war überzeugt davon, daß die wahrhaft epidemische Ausbreitung dieser Geschichten und Gerüchte von einigen geld-gierigen Geschäftemachern ausgelöst worden war.

Wahrscheinlich arbeitete Aretosa mit die-sen Leuten zusammen.

Der USO-Spezialist sah seinen Auftrag so, daß er etwas über Aretosa und dessen Hin-termänner herausfinden sollte und nicht etwa etwas über den möglichen Wahrheitsgehalt der Atlantis-Geschichten.

4

Page 5: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Atlantis war vor zehntausend Jahren im At-

lantik versunken. Atlan selbst hatte noch ein-mal in der Regierungserklärung darauf hin-gewiesen. Alles andere waren Hirngespinste.

Sphinx konnte sich vorstellen, daß die Re-gierung angesichts der Ausmaße, die die At-lantis-Euphorie angenommen hatte, beunru-higt war. Es wurde Zeit, daß man dieser Sa-che ein Ende machte. Sphinx war entschlos-sen, dieses Ende vorzubereiten.

Der USO-Spezialist war ein kleiner hagerer Mann mit einem freundlichen Gesichtsaus-druck, der vor allem von den Lachfältchen um seine großen blauen Augen bestimmt wurde. In Sphinx' Stirn hing stets eine schwarze Lo-cke, die er ab und zu durch ruckartige Bewe-gungen des Kopfes an ihren Platz zurückzu-befördern versuchte.

Bisher war Sphinx mit Nachforschungen bei Rauschgifthändlern beschäftigt gewesen. Bei dieser Arbeit hatte ihm sein Assistent, der Matten-Willy Purflinth, stets gute Dienste geleistet. Diese Wesen konnten in die kleins-ten Winkel und Spalten fließen und sie unter-suchen, so daß man kaum etwas vor ihnen verbergen konnte.

Aber auch bei diesen Einsätzen war Purflinths ständige Müdigkeit eine Erschwer-nis gewesen.

»Wir sollten aufgeben und endlich den ver-sprochenen Whisky holen«, unterbrach der Matten-Willy die Gedanken des USO-Spezialisten. »Ich bin fast bereit, eine Wette anzunehmen, daß Aretosa nicht kommt.«

Sphinx warf einen hilfesuchenden Blick zu Klement hinüber, der in einer Ecke stand und ebenfalls den Eingang beobachtete. Er wollte Sphinx ein Zeichen geben, sobald Aretosa erschien. Die Kunden, die hereinkamen, um bei den Robotbuchmachern ihre Wetten abzu-schließen, kannten Klement nicht, denn er hielt sich nur selten in seinem Wettbüro auf. Klement war ein schwerfällig wirkender, ärm-lich gekleideter Mann. Man hätte ihn eher für einen Kunden des Büros als für dessen Besit-zer halten können.

Sphinx' Blicke wanderten zu den Robot-buchmachern hinüber, einfallslos bemalten Kästen, in denen vergleichende Positroniken eingebaut waren.

In diesem Augenblick wurde es still inner-

halb des Büros. Die Männer und Frauen an den Schaltern hielten in ihrer Tätigkeit inne und starrten in Richtung des Eingangs.

Die Atmosphäre innerhalb des Raumes schien sich mit einem Schlag zu verändern.

Noch bevor Sphinx den Blick wandte, wuß-te er, daß Tervor Aretosa angekommen war.

Im Eingang stand ein überschlanker, etwa 1,80 Meter großer Mann.

Sphinx wurde vom Anblick des Fremden sofort gefangen, er spürte, daß er einem un-gewöhnlichen Menschen gegenüberstand. Trotz seiner Hagerkeit wirkte Aretosa (und es hätte nicht mehr Klements Kopfnicken be-durft, um Sphinx davon zu überzeugen, daß es sich um diesen handelte) knochig und stark. Aretosa hatte mittellanges, blauschwarzes Haar und eng beieinander stehende Augen, mit denen er unstete und stechend wirkende Blicke auf die Umgebung richtete. Dichte schwarze Brauen ließen diese Augen noch düsterer wirken. Die Wangenknochen Areto-sas traten hervor, seine scharfrückige und große Nase verliehen dem Gesicht zusätzliche Härte und Verbissenheit, genau wie die schmalen Lippen. Das massive Kinn war durch ein tiefes Grübchen unterteilt. Die Haut Aretosas besaß einen gelblichen Schimmer und stand in einem unheimlichen Kontrast zu den Augen und den Haaren.

Sphinx ertappte sich dabei, daß er dieses Gesicht nicht nur einfach studierte, sondern davon in Bann geschlagen wurde.

Erst, als ihn die Blicke des Ankömmlings trafen und sekundenlang auf ihm ruhten, als könnten sie ihn und seine Absichten mühelos ergründen, löste sich die Starre des USO-Spezialisten.

Sphinx sah verlegen zu Boden, als hätte man ihn bei einer unrechtmäßigen Handlung ertappt.

»Ist er das?« flüsterte Purflinth. Sphinx nickte. Tervor Aretosa bewegte sich auf den äu-

ßersten rechten Schalter zu, und Sphinx konn-te dabei sehen, daß der Mann das linke Bein etwas nachzog.

Nun begann Klement zu handeln. Ihr ge-meinsames Vorgehen war zwischen Sphinx und Klement genau abgesprochen, aber plötz-lich zweifelte der USO-Mann, daß es auch

5

Page 6: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

funktionieren würde.

Klement setzte sich in Bewegung und blieb zwischen dem Schalter und Aretosa stehen, so daß er seinem geheimnisvollen Kunden prak-tisch den Weg versperrte.

»Tervor Aretosa?« sagte Klement mit sicht-licher Aufregung.

Aretosa wandte Sphinx den Rücken zu, doch der USO-Spezialist konnte sich vorstel-len, daß dieser Mann Klement ansah und daß Klement unter diesen Blicken förmlich litt.

»Der bin ich!« Die Stimme besaß einen fremdartigen Akzent, den Sphinx niemals zuvor gehört hatte, und sie drückte eine ganze Skala mühsam beherrschter Gefühle aus.

»Ich bin Klement, der Besitzer dieses Wettbüros«, sagte Klement. Er drehte sich seitwärts, so daß Aretosa, um ihn weiter anse-hen zu können, ebenfalls eine Drehung voll-führen mußte. Auf diese Weise gelang es Klement, das Gesicht Aretosas wieder in Sphinx' Blickfeld zu bringen. Sphinx hielt das jedoch für einen Zufall, denn er glaubte ein-fach nicht, daß Klement ruhig denken konnte – jedenfalls nicht in dieser Minute.

Aretosa lächelte, ein oberflächliches Lä-cheln, das in den Fältchen rund um die Augen steckenblieb und gleich wieder auseinander-brach, als wäre es eine dünne, nicht zu diesem Körper gehörende Schicht.

»Sie haben viel Geld an mich verloren, Klement.«

»Eine Menge«, bestätigte Klement. »Des-halb möchte ich mit Ihnen sprechen.«

»Diesmal haben Sie Gelegenheit, alles zu-rückzugewinnen«, verkündete Aretosa.

Für Sphinx, der als stiller Beobachter fun-gierte, erhob sich die Frage, ob dieser Mann ein Spiel trieb.

»Sie wollen eine neue Wette abschließen?« erriet Klement.

»Natürlich! Sind Sie interessiert?« Inzwischen waren auch die anderen Kun-

den auf die Unterhaltung aufmerksam gewor-den. Sie umringten jetzt Klement und Areto-sa, aber keiner von ihnen wagte, irgend etwas zu sagen.

Klement sagte nervös: »Es kommt auf den Inhalt der Wette an.«

Aretosa verschränkte die knochigen Arme über der Brust, und Sphinx fand, daß dieser

Mann unglaublich überheblich wirkte – und einsam.

»Es ist sozusagen eine Doppelwette«, er-klärte Aretosa. »In den nächsten zwei Wo-chen wird ein seltsames Artefakt aufleuchten, in das eine Botschaft über Atlantis eingraviert ist.«

»Das ist durchaus wahrscheinlich«, meinte Klement. Sphinx sah, daß der schwere Mann schwitzte. »Nach allem, was Sie bisher pro-phezeit haben, zweifle ich nicht daran.«

»Der zweite Teil meiner Wette«, fuhr Are-tosa fort, »betrifft Atlantis selbst. Es wird am dreißigsten August im Atlantik auftauchen.«

Es blieb unheimlich ruhig, obwohl Sphinx erwartet hatte, daß jemand unter den Zuhörern lachen würde. Aretosas Behauptung war ab-surd, niemand konnte ernsthaft in Erwägung ziehen, daß ein solches Ereignis tatsächlich eintraf.

»Das ... das ist ja verrückt!« brachte Kle-ment schließlich hervor.

»Ich bin bereit, eine Million Solar einzuset-zen«, sagte Aretosa mit einer Selbstverständ-lichkeit, als hätte er gerade einen Soli gewet-tet, daß am nächsten Tag die Sonne aufging.

»Eine Million Solar!« ächzte Klement. »Werden Sie darauf eingehen?« drängte der

Hagere. »Nein ... nein! Selbst wenn ich wollte, kann

ich das nicht. Ich verfüge nicht über soviel Kapital.«

Sphinx erhob sich und ging auf die Gruppe zu. Er versuchte, völlig ruhig zu sein, aber das gelang ihm nicht. Ihm war, als wanderte er am Rand eines Abgrunds, obwohl die Situati-on doch offensichtlich völlig ungefährlich war. Wahrscheinlich war es ihre Ungewöhn-lichkeit, die ihn verunsicherte.

»Ich halte die Wette!« hörte er sich sagen. Aller Augen richteten sich auf Carmel

Sphinx, der unwillkürlich darauf wartete, daß ihn einer der Anwesenden der Verrücktheit bezichtigen würde. Doch die Stille der Zu-schauer hielt an, als würde die Ausstrahlung Aretosas ausreichen, um jede von ihm uner-wünschte Aktivität zu ersticken.

Sphinx sah, daß Klement zitterte. Aretosa sah Sphinx an, eher verächtlich als

interessiert. »Sie? Und wer sind Sie?«

6

Page 7: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

In Sphinx entstand der übermächtige

Wunsch, aufzugeben und das Büro zu verlas-sen. Irgend etwas warnte ihn, sich näher mit diesem Mann einzulassen, ein längst verloren geglaubter Instinkt, der vielleicht den Urmen-schen vor seinen natürlichen Feinden ge-schützt hatte.

Gleichzeitig erwachte ein trotziges Gefühl in dem kleinen Mann.

Das war ja alles lächerlich! Er durfte sich nicht von dem Gebaren eines

Fremden beeindrucken lassen und schon gar nicht von dessen phantastischen Behauptun-gen.

»Mein Name ist Carmel Sphinx«, sagte der USO-Spezialist. »Ich war lange Jahre erfolg-reich als Prospektor im Wega-Sektor tätig und habe mir dort ein Vermögen erworben. Nun vertreibe ich mir die Zeit mit Wetten. Ich ha-be bereits von Ihnen gehört, denn ich bin ein ständiger Kunde Klements. Nach allem, was ich von Ihnen weiß, mußten Sie heute hier auftauchen.«

Falls Tervor Aretosa auf den Gedanken kommen sollte, diese Geschichte nachzuprü-fen, würde er sie als richtig anerkennen müs-sen, denn die USO hatte für Sphinx eine ent-sprechende Vergangenheit konstruiert.

»Spielen Sie gerne Vabanque?« fragte Are-tosa. Er schien amüsiert zu sein.

»Keineswegs!« erwiderte Sphinx. »Aber keine noch so gut arbeitende Organisation kann Atlantis zurückbringen.«

Aretosa hob die Augenbrauen. »So sehen Sie das!« »Ja«, sagte Sphinx. »So sehe ich das.« »Wollen wir beide das Geld bei Klement

hinterlegen?« Diese Frage bedeutet, daß Aretosa eine

Million Solar besitzt! dachte Sphinx betrof-fen.

»Ich bin dafür, daß wir dieses Geschäft pri-vat abwickeln«, schlug der USO-Spezialist vor. »Wenn Sie damit einverstanden sind, suche ich Sie zusammen mit meinem Sekretär auf, dann erledigen wir alle Formalitäten.«

Er gab Aretosa seine Karte. Der schlanke Mann nickte. Sphinx, der ge-

hofft hatte, nun Aretosas Adresse zu erfahren, sah sich enttäuscht.

»Vielleicht rufe ich Sie an, dann machen

wir einen Termin aus«, sagte Aretosa, dann ging er langsam auf die Tür zu.

Sphinx überlegte verzweifelt, wie er den Mann aufhalten konnte.

»Ihr Bein!« rief er, weil ihm nichts Besse-res einfiel. »Sind Sie verletzt? Soll ich Sie nach Hause fliegen?«

Aretosa blieb stehen. Er blickte auf sein linkes Bein. Es war, als würde er angestrengt versuchen, sich an irgend etwas zu erinnern. Er sah jetzt sehr traurig aus.

»Es ist nichts«, sagte er dann. »Lediglich ein Zeitklumpen.«

2.

»Dafür, daß du zehntausend Jahre alt bist,

verfügst du über ungewöhnliche Fähigkei-ten«, sagte Irsthya sanft und strich Atlan über die Haare. Dann glitt sie aus dem Bett und trat an das Fenster.

Atlan beobachtete sie und bewunderte ihre Schönheit, ihre vergängliche Schönheit.

Er hatte Irsthya vor zwölf Jahren kennenge-lernt, damals war sie zweiundzwanzig Jahre alt gewesen.

In diesen zwölf Jahren war er um keine Se-kunde gealtert.

Er mußte zusehen, wie sie an seiner Seite alterte.

Nein, das war nicht das richtige Wort: Er erlebte, wie sie allmählich starb!

Zu Beginn ihrer Freundschaft hatten sie sich oft über dieses Problem unterhalten und Irsthya hatte behauptet, es würde ihr nichts ausmachen.

»Ich werde gehen, sobald es Zeit ist«, hatte sie gesagt.

Inzwischen sprachen sie nicht mehr dar-über. Aber manchmal, wenn sie dachte, daß Atlan schlief, weinte Irsthya.

»Du bist schön«, sagte der Arkonide spon-tan. »Ich liebe dich!«

»Wie liebst du mich?« fragte sie. »Wie ein Mann eine Frau liebt«, erwiderte

der Lordadmiral. Sie warf den Morgenmantel über. »Wann wirst du mich vergessen haben? In

einem Jahr, in zehn Jahren oder in hundert Jahren?«

Atlan richtete sich bestürzt auf. Er kannte

7

Page 8: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

die Bedeutung dieser Worte, er hatte sie oft in dieser oder in jener Form gehört. Irsthya wür-de ihn verlassen.

Er war nicht in der Lage, irgend etwas zu sagen, sondern sah stumm zu, wie sie im Ba-dezimmer verschwand. Als er ihr ein paar Minuten später dorthin folgen wollte, hatte sie die Tür von innen verriegelt.

Atlan orderte Kaffee und Toast in der Ro-botküche und wusch sich im Gästebad. Dann kleidete er sich an und begann zu frühstücken. Er war zu müde und zu enttäuscht, um die Morgennachrichten von Terra-Television an-zuschauen.

Nach einer Weile hörte er eine Tür zu-schlagen. Irsthya war gegangen.

Atlan schloß die Augen. Warum muß es immer so enden? dachte er. Da erfolgte die Explosion. Ein gewaltiger Donnerschlag erschütterte

das Gebäude. Atlan wurde aus dem Stuhl ge-worfen und stürzte zu Boden. Das Früh-stücksgeschirr fiel auf ihn herab. Seine Ohren dröhnten, halb betäubt tastete er umher und versuchte, sich irgendwo hochzuziehen.

Der Explosion folgte fast völlige Stille, nur das Knacken beanspruchten Metalls war zu hören und in einem der Nebenzimmer rieselte Mörtel auf den Boden.

Atlans Gedanken setzten wieder ein. Irsthya! dachte er betroffen. Er kam auf die Beine. Unbewußt nahm er

das Ausmaß der Zerstörung in der Küche wahr. Aber das Zentrum der Explosion hatte außerhalb des Hauses gelegen.

Atlan taumelte auf den Korridor hinaus, dann erreichte er die kurze Treppe, die zum Ausgang führte. Die Tür war zerborsten, ihre Trümmer lagen auf den Stufen verstreut.

Der Gleiter! schoß es Atlan durch den Kopf.

Er gelangte ins Freie, und seine Vermutung bestätigte sich. Der vor dem Haus geparkte Fluggleiter Irsthyas war in die Luft geflogen. Ein Krater markierte die Stelle des Unglücks. Überall lagen Wrackteile, zum Teil waren sie in den Gärten der Häuser in der Umgebung niedergegangen.

Atlan, der benommen dastand, hörte Stim-men.

Von allen Seiten kamen Menschen gerannt.

Das Gewinsel der Alarmsirenen der Robot-feuerwehr und des Unfallkommandos erklang.

Irsthya! dachte Atlan. Er hockte sich auf die untere Stufe vor der

Eingangstür. Allmählich bereitete sich die Erkenntnis in

ihm aus, daß die Frau einem Anschlag zum Opfer gefallen war, der eigentlich ihm gegol-ten hatte.

*

Prohn Korum, der dunkelhäutige Chefre-

dakteur des ASTRA, sah ein bißchen einfältig aus, aber er war es nicht. Unter Korums Lei-tung war der ASTRA zu einem Forum für innenpolitische Ereignisse geworden. Da er nur noch Schreibtischarbeit erledigte, hatte Korum Fett angesetzt, ein Vollbart sollte sein Doppelkinn verbergen.

Sein dreidimensionales Abbild blickte Per-ry Rhodan vom Visiphon herab an.

»Wir hielten die ganze Sache für einen schlechten Scherz der Atlantis-Fanatiker«, sagte er gerade. »Deshalb haben wir uns nicht darum gekümmert und auch keine Meldung gemacht. Wir hätten nicht einmal einen Be-richt darüber gebracht.«

»Nun ist es zu spät«, sagte Perry Rhodan bitter. »Ein Mensch ist gestorben.«

Es entstand eine Pause, weil Korum sich mit jemand im Hintergrund des Redaktions-raums unterhielt. Als er sich wieder an Rho-dan wandte, hielt er ein Blatt Papier in den Händen.

»Hier ist der genaue Text, den der Anrufer durchgegeben hat. Ich zitiere: Atlan will ver-hindern, daß Atlantis in alter Pracht entsteht, deshalb wird er sterben. Legion Atlantis.« Er schnaubte heftig. »Legion Atlantis, pah! All-mählich wird die ganze Sache bedenklich. Die Regierung sollte diesem Rummel ein Ende bereiten.«

Rhodan ging nicht darauf ein. »Konnte festgestellt werden, woher der An-

ruf kam?« »Aus dem Bezirk Xonis im Osten Terrani-

as. Natürlich anonym, aus einer öffentlichen Sprechzelle. Der Anrufer hatte irgend etwas im Mund, um seine Stimme zu verstellen, außerdem war ein Tuch über das Aufnahme-

8

Page 9: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

gerät gehängt, so daß wir nicht sehen konnten, wer gesprochen hat.«

»Ich möchte Sie bitten, vorläufig nicht dar-über zu berichten«, sagte Rhodan. »Erfah-rungsgemäß werden solche Taten nachge-ahmt.«

»Gut«, sagte Korum. »Halten Sie mich auf dem laufenden.«

Die Verbindung wurde unterbrochen. Rho-dan lehnte sich im Sitz zurück und sah Allan D. Mercant an, der ihm gegenübersaß. Der Chef der SolAb nickte nachdenklich.

»Es war zu erwarten, daß einige politische Wirrköpfe die Sache auf die Spitze treiben würden. Atlan muß aufgrund seiner Vergan-genheit und seines Namens auf alle anziehend wirken, die sich der Atlantis-Hysterie ange-schlossen haben. Denken Sie nur an diesen verrückten Propheten Casneur, der die Sekte der Ewigen Atlanter gegründet hat und Atlan als Gottheit verehren läßt.«

»Casneur bringt keine Menschen um!« »Das nicht«, stimmte der unscheinbar wir-

kende Zellaktivatorträger zu. »Aber Casneur und seinesgleichen schaffen den Nährboden, auf dem die Saat der Gewalt schließlich auf-geht.«

»Wenn ich daran denke, wie alles begonnen hat, kann ich mir immer noch nicht vorstellen, daß diese Atlantis-Geschichte ein derartiges Ausmaß angenommen hat. Vielleicht steckt doch mehr dahinter, als wir annehmen.«

»Wir werden die Hintermänner, die das al-les angezettelt haben, bald fassen«, versicher-te der Halbmutant grimmig. »Dann wird die-ser Spuk so schnell vorbei sein, wie er begon-nen hat.«

Zweifellos glaubte Mercant fest an diesen Erfolg, überlegte Rhodan.

Und er selbst? Fast wäre vor ein paar Stunden einer seiner

besten Freunde bei einem Anschlag ums Le-ben gekommen.

Es sah also eher danach aus, als sollte die Entwicklung noch eskalieren.

All das geschah ausgerechnet in einer Zeit, da das Solare Imperium von keinen äußeren Feinden bedroht war. Seit im Jahre 2437 die Gefahr einer Invasion der Uleb aus M-87 endgültig gebannt worden war, hatte sich die Menschheit ganz dem Aufbau ihres Sternen-

reichs widmen können. Die Explorerflotten des Solaren Imperiums waren in allen Teilen der Galaxis unterwegs, um neue Welten zu erforschen. Planeten wurden kolonisiert, Ver-träge mit extraterrestrischen Völkern ge-schlossen und Handel mit anderen Sternenrei-chen betrieben.

Alles, was Rhodan bis zum Beginn der Ge-rüchte um Atlantis Sorgen bereitet hatte, wa-ren die Autarkiebestrebungen einiger Kolonisten. Es wurde von der Gründung selbständiger Sternenreiche gesprochen. Dabei fielen Begriffe wie »Carsualscher Bund« und »Zentralgalaktische Union.«

Die Entstehung des Carsualschen Bundes war wahrscheinlich nicht mehr zu verhindern, denn die Ertruser, die diese Entwicklung för-derten, standen dem Solaren Imperium in den letzten Jahren weitgehend ablehnend gegen-über.

Das waren die Probleme, um die Perry Rhodan sich eigentlich hätte kümmern müs-sen.

Statt dessen mußte er sich mit Vorgängen beschäftigen, die, hätte sie ihm jemand vor-ausgesagt, nur ein ungläubiges Lächeln als Reaktion hervorgerufen hätten.

Wie war es möglich, daß zunächst Hunder-te und nun Tausende von Menschen dieser Hysterie um Atlantis unterlagen?

Zuerst hatte Rhodan geglaubt, daß sich al-les sehr schnell wieder legen würde. Als je-doch das Gegenteil geschehen war, hatte Per-ry Rhodan eine Erklärung abgegeben, um die Bürger Terras zu beruhigen. In dieser Bot-schaft hatte Atlan noch einmal berichtet, wie die Insel, der er den Namen gegeben hatte, untergegangen war und daß alle Spekulatio-nen über dort existierende geheimnisvolle Zivilisationen aus der Luft gegriffen waren.

Doch auch der nüchterne Bericht des von allen Terranern als glaubwürdig anerkannten arkonidischen Augenzeugen der Katastrophe hatte nicht geholfen.

Die Gerüchte wollten nicht verstummen, der Name Atlantis tauchte immer häufiger auf.

»Atlan kommt!« drang Mercants Stimme an Rhodans Ohren.

Rhodan stand auf, um den alten Freund zu begrüßen. Ein Blick in Atlans Gesicht genüg-

9

Page 10: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

te, um Rhodan erkennen zu lassen, welchen Schock der Arkonide erlitten hatte.

»Es tut mir schrecklich leid, Alter«, sagte Rhodan. »Ich trauere mit dir um Irsthya.«

»Ich hatte sie schon vorher verloren«, ent-gegnete der Lordadmiral der USO finster. »Aber das ist es nicht, was mir zu schaffen macht. Im Grunde genommen trage ich die Verantwortung für ihren Tod, denn mein Na-me beginnt sich als eine Art Fluch zu erwei-sen. Alle, die mich kennen, müssen damit rechnen, daß dieser Fluch sie trifft.«

»Ich habe Verständnis für Ihre Gefühle«, warf Mercant ein. »Trotzdem sehen Sie die Dinge falsch. Verbrecher sind für diesen tra-gischen Vorfall verantwortlich. Die eigentlich Schuldigen aber sind jene Menschen, die die Atlantis-Hysterie verursacht haben, um daraus Nutzen zu ziehen.«

Atlan sagte: »Ich verlasse die Erde!« »Wohin willst du gehen?« fragte Rhodan.

»Du gehörst zu uns, und diese Welt ist deine Heimat.«

»Ich weiß noch nicht, wohin ich gehe, aber hier bleibe ich auf keinen Fall. Erst, wenn diese Sache ausgestanden ist, werde ich zu-rückkehren. Das ist die einzige Lösung, wenn ich verhindern will, daß durch mich und mei-nen Namen noch mehr Unheil angerichtet wird.«

»Niemand kann vor seinem Namen flie-hen«, sagte Rhodan sanft. »Dein Name wird dich überall hin begleiten.«

*

Vor zwei Tagen war Roger Casneur von

der Osterinsel zurückgekehrt. Dort hatte er zusammen mit seinen engsten Anhängern die alten Götter um eine Erleuchtung Atlans an-gefleht. Atlan war in Casneurs Augen ein schlafender Gott, der geweckt werden mußte, um seine große Aufgabe in dieser Zeit zu er-füllen.

Als Casneur jetzt vor die Mitglieder der von ihm gegründeten Sekte trat, um über den Erfolg seiner Reise zu berichten, war er sich darüber im klaren, daß sein Auftritt zum ers-tenmal im Beisein von zwei SolAb-Agenten stattfinden würde. Die SolAb hatte diese Maßnahme angekündigt und sie mit den zu-

nehmenden Unruhen begründet, die in Zu-sammenhang mit den Atlantis-Gerüchten ü-berall auf der Erde ausgebrochen waren.

Casneur war klug genug, den wahren Grund zu erraten.

Die Verantwortlichen in der Regierung wollten endlich herausfinden, wer die ganze Entwicklung heraufbeschworen hatte. Roger Casneur gehörte zum Kreis der Verdächtigen.

Casneur wußte nicht, ob er über die Anwe-senheit der beiden Agenten ärgerlich sein o-der sie als sicheres Zeichen seines Populari-tätszuwachses begrüßen sollte.

Das große Kunststoffzelt war bis auf den letzten Platz gefüllt, über dreitausend Men-schen waren gekommen, um Casneur predi-gen zu hören.

Die Ewigen Atlanter waren in weiße Ge-wänder gehüllt, auf der linken Seite war das Emblem der Sekte aufgemalt: ein Stierkopf in einem roten Kreis.

Der Prophet war genauso gekleidet wie sei-ne Anhänger.

Casneur ließ seine Blicke über die Ver-sammlung gleiten. Wo mochten die beiden Agenten sitzen? Er lächelte unmerklich. Was wollten sie schon über ihn herausfinden?

Früher oder später, so hoffte Casneur, wür-de Atlan nachgeben und sich mit ihm ausei-nandersetzen müssen. Der öffentliche Druck auf den Arkoniden würde so stark sein, daß Atlan keine andere Wahl blieb.

Casneur hob mit einer theatralischen Ge-bärde beide Arme. Sofort trat innerhalb des Zeltes Stille ein.

»Das Licht von Atlantis leuchtet bis in un-sere Zeit«, sagte Casneur mit seiner tiefen, weithin hallenden Stimme. »Es wird heller und dringt mit seiner wahrhaftigen Botschaft in die Herzen von immer mehr Menschen.«

Er wunderte sich, mit welcher Leichtigkeit ihm diese Worte über die Lippen kamen. Und es erstaunte ihn immer wieder, welchen Ef-fekt er damit bei anderen Menschen erzielte.

Casneur war ein mittelgroßer schmalbrüsti-ger Mann. Er trug eine schwarze Perücke, die verbarg, daß er fast kahl war. Seinen wach-samen braunen Augen entging keine Reaktion der gebannt lauschenden Menge. Casneur hatte verschiedenen politischen Parteien an-gehört, ohne jemals einen entscheidenden

10

Page 11: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Erfolg erzielt zu haben. Erst, nachdem er sich entschlossen hatte, auf der Atlantis-Welle mitzuschwimmen, hatte sich das geändert.

Casneur hielt eine kurze Predigt, in der er die Wiedererrichtung des Atlantischen Rei-ches ankündigte und Atlan als den unum-schränkten Herrscher und Gott über dieses Reich ausrief. Danach wurde ein Film ge-zeigt, in dem Roger Casneur der Hauptakteur war.

Als die Lichter im Zelt erloschen waren und der Film lief, begab Casneur sich in sein großes Wohnmobil hinter dem Zelt, um neue Mitglieder seiner Sekte zu begrüßen.

Zu seiner Überraschung hatte Delk Massar, sein Manager, alle Bewerber unter einem Vorwand weggeschickt.

»Es gibt wichtige Nachrichten«, begründete Massar seine Maßnahmen. »Wir müssen dar-über sprechen und Entscheidungen treffen.«

Casneur, der zunächst protestieren wollte, nickte und ließ sich in einen Sessel sinken. Er sah den schlanken Mann, der eigentlich wie ein sensibler Künstler wirkte, abwartend an.

»Es gibt ein neues Gerücht«, erklärte Mas-sar. »Irgend jemand hat eine gute Idee gehabt, eine sehr gute Idee. Wenn wir nicht aufpas-sen, verlieren die Ewigen Atlanter den Vor-sprung, den sie gegenüber anderen Vereini-gungen haben.«

Casneur war alarmiert. Er wußte, daß er sich auf Massar verlassen konnte. Massar besaß einen untrüglichen Instinkt für alle Strömungen und Entwicklungen.

»Jemand hat das Gerücht in Umlauf ge-bracht, daß sich ein uraltes Artefakt außerirdi-schen Ursprungs auf der Erde befinden soll«, fuhr Massar fort. »Es soll sich um das Bruch-stück einer Metallplatte handeln, in das eine Botschaft über Atlantis und den bevorstehen-den Weltuntergang eingraviert ist.«

»Raffiniert!« stieß Casneur hervor. »Natür-lich wird dieses Gebilde früher oder später auftauchen. Wer immer es den Menschen präsentiert, kann sich als Erbe von Atlantis profilieren.«

»Eine Sekte, die sich im Besitz dieses Arte-fakts befindet, hätte großen Zulauf«, bestätig-te Massar. »Ich hoffe jedoch, daß lediglich ein großes Geschäft gemacht werden soll. Wahr-scheinlich wird bald jemand erscheinen, um

uns dieses Ding anzubieten.« »Sie meinen, es existiert wirklich?« »Eine Idee allein ließe sich unter diesen

Umständen schlecht verkaufen. Ich bin sicher, daß eine gut gemachte Fälschung existiert.«

Casneur sagte wütend: »Das wird uns viel Geld kosten!«

Massar entzündete ein Räucherstäbchen und inhalierte den Rauch.

»Wenn wir das Artefakt haben, holen wir uns das Geld doppelt zurück!«

In Casneur erwachte die Furcht, daß sie im Begriff standen, eine bestimmte Schwelle zu überschreiten, hinter der sich die Entwicklung nicht mehr unter Kontrolle halten ließ. Se-kundenlang regte sich der Verdacht in ihm, Massar könnte die ganze Geschichte erfunden haben, um schließlich davon zu profitieren.

Massar erhob sich. »Ich werde mich um diese Angelegenheit

kümmern und Kontakte zu Personen aufneh-men, die uns helfen können.«

Casneur fühlte sich unentschlossen. Er dachte an die SolAb-Agenten drüben im Zelt. Auch sie waren ein Beweis für eine Eskalati-on.

»Manchmal denke ich, wir sollten aufhö-ren«, sagte er nachdenklich.

»Aufhören? Jetzt?« Massar sah ihn ungläu-big an. »Nachdem wir alles aufgebaut haben und anfangen, gut zu verdienen!«

»Und wenn wirklich etwas an dieser Atlan-tis-Sache ist?«

»Ich dachte mir, daß Sie früher oder später auf diese Idee kommen würden.« Massar lä-chelte ironisch. »Sie haben sich damit identi-fiziert und beginnen sich zu fragen, ob nicht alles einen realen Hintergrund haben könnte.«

»Könnte es nicht sein?« »Dann wären Sie König von Atlantis«,

spottete Massar.

3. Carmel Sphinx starrte auf die Tür, durch

die Tervor Aretosa vor wenigen Augenbli-cken verschwunden war. Von den Besuchern des Wettbüros schien ein starker Druck abzu-fallen, denn sie begannen plötzlich alle gleichzeitig zu reden.

»Ein Zeitklumpen«, sagte Klement ver-

11

Page 12: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

wirrt. »Was kann er damit gemeint haben?«

Sphinx zuckte mit den Achseln. »Ich werde versuchen, ihm zu folgen!« Er

blickte zu der Bank, wo Purflinth noch immer saß und verschlafen blinzelte. »Komm, mein Freund! Es gibt Arbeit.«

»Ich wußte, daß der Whisky noch auf sich warten lassen würde«, bemerkte der Matten-Willy entsagungsvoll und folgte Sphinx auf die Straße hinaus.

Das Wettbüro befand sich im Vergnü-gungsviertel von Terrania, auf der anderen Straßenseite lagen der Traumpalast und ein Bürgerzentrum. Dazwischen gab es eine Transmitterstation. Sphinx hatte angenom-men, daß Aretosa sich dorthin wenden könn-te, aber jetzt sah er, daß der geheimnisvolle Mann die Straße in Richtung des Stadtkerns hinaufging. Der leicht humpelnde Gang war unverkennbar. Sphinx fragte sich, warum Aretosa nicht das Transferband in der Stra-ßenmitte benutzte.

»Wir folgen ihm unauffällig«, sagte er zu Purflinth. »Vielleicht finden wir heraus, wo er wohnt.«

»Er sieht nicht danach aus, als würde er ü-berhaupt irgendwo wohnen«, stellte Purflinth übellaunig fest. »Er wird uns eine Zeitlang an der Nase herumführen und sich dann auflö-sen.«

»Unsinn!« rief Sphinx. Sie überquerten die Straße und benutzten

die andere Seite des Gehwegs. Dort waren sie vor einer Entdeckung durch Aretosa sicherer. Um diese Zeit war das Vergnügungsviertel nicht übermäßig besucht, nur wenige Passan-ten kreuzten ihren Weg. Aretosa hielt kein einziges mal an oder sah sich um. Er schien keinen Verdacht geschöpft zu haben.

»Sein Name gibt mir zu denken«, bemerkte Sphinx. »Er gibt Anlaß zu Wortspielereien.«

»Wie meinst du das?« »Aretosa klingt nach Esotera oder Satorin.« »Satorin?« »Eine Insel, die auch Thera genannt wurde.

Früher spekulierte man, daß Satorin identisch mit Atlantis gewesen sein könnte. Du brauchst nicht erstaunt zu sein, mein Freund. Ich weiß das auch erst, seit ich diesen Auftrag bekommen habe. Es gibt eine unübersehbare Literatur über Atlantis.«

Purflinth kicherte und vergaß dabei, die Kontrolle über sein Gesicht aufrechtzuerhal-ten. Seine Nase zerfloß und sank bis zum Kinn hinab.

»Paß auf!« herrschte Sphinx ihn an. »Ich kann nicht Aretosa im Auge behalten und gleichzeitig dich beobachten.«

Purflinth brachte den Fehler wieder in Ord-nung, bevor einer der Vorbeikommenden auf ihn aufmerksam wurde.

Sie erreichten die Kaufhauszone. Aretosa bog in eine Seitenstraße ein und bestieg ein Flugtaxi. Sphinx stieß eine Verwünschung aus und rannte los. In der Straße war kein zweites Taxi zu sehen, aber diesmal erwies Purflinth sich als reaktionsschnell und winkte eine Maschine herbei.

Aretosa hatte ein Robottaxi bekommen, a-ber der Gleiter, der neben Sphinx landete, besaß eine menschliche Pilotin.

Sphinx und der Matten-Willy zwängten sich auf den Rücksitz.

Der USO-Spezialist kam sich ein bißchen lächerlich vor, als er auf das startende Robot-taxi deutete und sagte: »Folgen Sie dieser Maschine!«

Die Frau drehte sich im Sitz um. Sie mus-terte Sphinx mißtrauisch.

»Solche Sachen mache ich nicht«, erklärte sie.

Sphinx seufzte und zog seine Identitätskarte hervor. Die Pilotin studierte sie so gründlich und lange, daß Sphinx zu befürchten begann, Aretosa würde ihnen entkommen.

»Besitzt die USO keine Maschinen?« er-kundigte sich die Frau.

»Sie sind alle in Reparatur!« versetzte Sphinx freundlich.

»Ich mag keine USO-Agenten«, sagte die Pilotin. »Aber ich weiß, daß ich Schwierig-keiten bekommen kann, wenn ich Ihnen nicht helfe.«

Sphinx hätte gern etwas zur Aufbesserung seines Images getan, aber da ihm keine Zeit blieb, nickte er nur. Endlich startete die Frau ihren Gleiter. Sphinx konnte das Robottaxi nicht mehr sehen, aber die Tatsache, daß die Pilotin sofort einen festen Kurs programmier-te, bewies ihm, daß sie die andere Maschine nicht aus den Augen verloren hatte.

Wenige Augenblicke später befanden sie

12

Page 13: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

sich in einer Flugschneise, die aus Terrania hinausführte. Sphinx entdeckte den Gleiter mit Aretosa darin wieder.

Purflinth kuschelte sich eng an ihn und schloß die Augen. Sphinx versetzte ihm einen Rippenstoß.

»Werden Sie bezahlen?« fragte die Frau am Steuer.

Sphinx zog einen Zehn-Solar-Schein aus der Tasche und legte ihn auf die Kontrollen.

»Dafür mache ich einen Rundflug!« erklär-te die Pilotin.

Purflinth beugte sich nach vorn und bekam dabei einen unnatürlich langen Hals.

»Haben Sie zufällig Whisky an Bord?« er-kundigte er sich begierig.

»Ist das auch ein USO-Agent?« wollte die Pilotin verächtlich wissen.

»Aber ja!« beteuerte Sphinx. »Der Beste!« Danach verlief der Flug schweigsam. Am

westlichen Rande der Stadt verließ das Robot-taxi die Flugschneise und verlor an Höhe. Sphinx sah, daß es auf eine Vorstadtsiedlung zuflog.

»Kreisen Sie hier und warten Sie, ob die Maschine landet!« ordnete Sphinx an.

Die Pilotin tat, was Sphinx von ihr verlangt hatte. Der USO-Spezialist überlegte, ob Are-tosa tatsächlich in einem dieser kleinen Häu-ser lebte. Er schien nicht in diese friedlich wirkende Umgebung zu passen. Vielleicht würde es interessant sein, einmal seine Nach-barn zu fragen, welche Meinung sie von ihm hatten.

Das Taxi landete auf einem öffentlichen Parkplatz, der zur Siedlung gehörte. Aretosa kletterte heraus und bewegte sich zielstrebig auf eine der schmalen Straßen zu. Hier gab es keine Transferbänder, und die nächste Trans-mitterstation war ein paar hundert Meter weit entfernt.

Sphinx klopfte der Pilotin auf die Schulter. »Das wär's dann«, sagte er. »Landen Sie!« Als sie aus der Maschine stiegen, war das

Robottaxi bereits wieder gestartet. Sphinx und der Matten-Willy rannten auf die Straße zu, in der Tervor Aretosa verschwunden war. Sie kamen gerade noch rechtzeitig, um den ge-heimnisvollen Mann eines der Häuser betre-ten zu sehen.

»Das sieht nicht sehr vielversprechend

aus«, bemerkte Purflinth. »Ein ganz normales Haus in einer ganz normalen Umgebung.«

Sphinx schwieg und ging langsam weiter. Hinter einer großen Ulme blieben sie stehen. Sphinx sah, daß alle Vorhänge an den Fens-tern von Aretosas Haus zugezogen waren. Der Vorgarten sah ungepflegt aus. Am Eingang befand sich kein Namensschild.

Sphinx sah auf die Uhr. »Jetzt bist du an der Reihe«, sagte er zu

Purflinth. »Du mußt in das Haus eindringen und dich im Innern umsehen. Paß auf, daß er dich dabei nicht erwischt.«

»Und was machst du?« »Ich werde inzwischen mit einigen Bewoh-

nern aus den Häusern in der Umgebung spre-chen. In einer Stunde treffen wir uns hier wieder.«

Purflinth schaute sich um. Als er sicher war, daß sie von niemand beobachtet wurden, trat er an die Umzäunung eines Gartens und ließ sich zusammensinken. Als unförmige Masse floß er auf das Grundstück hinüber und war gleich darauf aus Sphinx' Blickfeld ver-schwunden. Der USO-Spezialist wußte, daß Purflinth eine Ritze finden würde, durch die er in Aretosas Haus gelangen konnte. Er war-tete ein paar Minuten, dann überquerte er die Straße und drückte auf den Bildmelder am Eingang eines Hauses.

»Es ist niemand hier«, sagte eine mechani-sche Stimme. »Sie können eine Botschaft hinterlassen.«

Sphinx verzog das Gesicht und ging weiter, um an der nächsten Tür sein Glück zu versu-chen. Diesmal hatte er mehr Erfolg. Eine Frauenstimme fragte nach seinen Wünschen.

Sphinx hielt seine Identitätskarte vor den Aufnahmeteil des Bildmelders.

»Ist etwas passiert?« fragte die Frau im Haus erschrocken.

»Aber nein!« beruhigte sie Sphinx. »Es handelt sich nur um ein paar Routinefragen und betrifft nicht Sie.«

Eine große blonde Frau kam aus dem Haus. Sie öffnete und sah Sphinx mißtrauisch an. Der USO-Spezialist trat in den Vorgarten.

»Es handelt sich um einen Ihrer Nachbarn«, eröffnete er. »Tervor Aretosa! Wissen Sie etwas über ihn?«

Die Frau blickte in die Richtung von Areto-

13

Page 14: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

sas Haus, drehte dann aber sofort wieder den Kopf.

»Ich habe diesen Namen nie gehört«, be-hauptete sie.

»Schon möglich«, gab Sphinx zu. »Aber Sie wissen zweifellos, wer gemeint ist.«

»Niemand kümmert sich um diesen Mann«, erklärte die Frau. »Aber uns wäre wohler, wenn er wieder von hier wegziehen würde.«

»Weshalb?« »Er spricht mit niemand und bekommt

niemals Besuch. Er sieht auch so merkwürdig aus. Manchmal dringen nachts Geräusche aus seinem Haus.«

Sphinx hob die Augenbrauen. »Geräusche?« »Als würde jemand etwas zertrümmern.« Sphinx überlegte, was das zu bedeuten hat-

te. Er bezweifelte, daß irgend jemand mehr über Aretosa wußte als diese Frau.

»Wie lange wohnt er schon dort drüben?« wollte er wissen.

»Knapp zwei Jahre.« Sie sah ihn aufmerk-sam an. »Ist er ein Krimineller?«

»Nein«, sagte Sphinx. »Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen.«

Er wollte sie noch ermahnen, mit keinem ihrer Nachbarn über diese Unterhaltung zu sprechen, aber er bezweifelte, daß das viel Erfolg haben würde, und so ließ er es sein.

Es begann allmählich dunkel zu werden. Sphinx verabschiedete sich und begab sich wieder zu dem mit Purflinth verabredeten Treffpunkt. Er hatte noch über eine halbe Stunde Zeit. Die Frau kam auf die Straße und sah zu ihm herüber. Sphinx fragte sich, ob seinem Begleiter in Aretosas Haus Gefahren drohten. Wenn Purflinth nicht pünktlich zu-rückkam, würde er seine passive Rolle aufge-ben und Aretosa offiziell verhören müssen.

Sphinx lauschte angestrengt, aber kein Ge-räusch drang aus Aretosas Haus. Ein paar Minuten später wurde die Straßenbeleuchtung eingeschaltet. Das Licht aus den Scheinwer-fern vorbeifliegender Gleiter huschte über die kleinen Gebäude beiderseits der Straße hin-weg und tauchte sie ab und zu in Helligkeit. Ein paar Häuser weiter straßenaufwärts ver-ließen zwei Halbwüchsige ihre Wohnung, sie kamen an Sphinx vorbei, ohne ihn zu beach-ten. Auch Aretosas Haus schenkten sie keine

Aufmerksamkeit. In dem Haus, vor dem Sphinx Posten bezo-

gen hatte, öffnete sich ein Fenster. Ein Mann blickte heraus. Musik drang an Sphinx' Oh-ren. Er lehnte sich gegen den Baum und war-tete.

*

Purflinth war durch einen Spalt unter der

Terrassentür in Aretosas Haus geglitten. Das Zimmer, in das er auf diese Weise gelangte, war dunkel. Obwohl kein Zweifel daran be-stand, daß der Mann sich irgendwo aufhielt, war es vollkommen still. Purflinth wartete, bis seine Sinne sich soweit an die Dunkelheit gewöhnt hatten, daß er sich orientieren konn-te. Das Zimmer, in dem er sich befand, war mit einfachen Möbeln eingerichtet, aber ihm fehlte jede Behaglichkeit. Purflinth lebte schon seit vielen Jahren auf Terra und kannte die Mentalität der Menschen. Er vermochte sich nicht vorzustellen, daß sich hier jemand wohl fühlen konnte.

Von Aretosa war noch immer nichts zu se-hen oder zu hören.

Purflinth floß über den glatten Bodenbelag bis zur Tür. Dort hielt er inne. Unmittelbar vor ihm lag der Korridor, von dem aus die anderen Zimmer erreicht werden konnten. Der Matten-Willy drang in den Korridor ein. Die Tür rechts von ihm stand offen und ges-tattete einen Blick in die Robotküche. Sie schien nicht benutzt zu werden.

Aß Aretosa niemals zu Hause? fragte sich Purflinth.

Er wandte sich in die andere Richtung. Dort lag das Schlafzimmer. Die Tür war geschlos-sen.

Ob Aretosa sich dort aufhielt? Während Purflinth unentschlossen wartete,

vernahm er plötzlich einen dumpfen Laut. Es hörte sich an, als schlage jemand mit einem stumpfen Gegenstand gegen eine weiche Masse. Das Geräusch kam von unten, aus den Kellerräumen.

Purflinth setzte sich wieder in Bewegung. Die Tür zur Kellertreppe stand spaltbreit of-fen, durch den Spalt war ein Lichtschimmer zu sehen. Purflinth hörte jemand stöhnen, aber er war nicht in der Lage, zu beurteilen,

14

Page 15: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

ob das ein Fremder oder Aretosa selbst gewe-sen war. Auf jeden Fall war dieser Lärm be-unruhigend.

Wieder gab es ein paar dumpfe Schläge. Purflinth bildete jetzt einen breiten flachen

Fladen, und in dieser Form floß er die Keller-treppe hinab. Das Licht drang aus einem Raum im hinteren Teil des Kellers.

Alles deutete daraufhin, daß Aretosa dort mit jemand kämpfte.

Purflinth beeilte sich, vielleicht brauchte ein Mensch seine Hilfe. Er kroch durch den schmalen Gang auf den hinteren Raum zu.

*

Die Minuten verstrichen mit quälender

Langsamkeit, aber je näher der Zeitpunkt rückte, zu dem Purflinth zurückkommen soll-te, desto unruhiger wurde Sphinx und desto wilder wurden seine Vorstellungen, die er sich in seiner Phantasie von den Vorgängen in Aretosas Haus ausmalte.

Noch vor Ablauf der einen Stunde verließ der kleine Mann seinen Platz und näherte sich dem Gebäude, in dem Purflinth verschwun-den war. In keinem der Zimmer schien Licht zu brennen. Vielleicht war Aretosa zu Bett gegangen, und der Matten-Willy nutzte die Gelegenheit, um die gesamte Wohnung nach Whisky zu durchstöbern. Diese Wesen von der Hundertsonnenwelt waren oft unbere-chenbar und kamen auf die verrücktesten Ein-fälle.

Am Eingang von Aretosas Haus blieb Sphinx stehen.

Da hörte er ein platschendes Geräusch. Purflinth ließ sich von der Grundmauer der Umzäunung fallen und bildete hastig einen häßlichen Klumpen, der entfernt wie ein Kopf aussah. Seine Stimme klang quäkend.

»Schnell!« rief er. »Aretosa braucht Hilfe!« Sphinx spürte die Erregung des Matten-

Willys und handelte, ohne weitere Fragen zu stellen. Er griff nach dem Türöffner, aber das Schloß war verriegelt. Seine Hände um-schlossen den oberen Teil des Türrahmens. Er zog sich hoch und schwang sich in den Vor-garten. Purflinth kroch hinter ihm her.

Sphinx stürmte die Treppe zum Hausein-gang hinauf. Auch diese Tür war verschlos-

sen. Sphinx zog seinen kleinen Thermostrah-ler aus der Tasche, um das Schloß aufzu-schweißen, als im Innern des Hauses plötzlich Licht anging.

Die Tür wurde geöffnet. Verblüfft und sprachlos sah Sphinx Aretosa im Eingang stehen.

Er sagte sich, daß er einen ziemlich un-glücklichen Eindruck machen mußte. Areto-sas Augen funkelten, er wirkte ein bißchen außer Atem, aber seine Stimme klang be-herrscht.

»Der Prospektor! Kommen Sie herein, Sphinx, und bringen Sie Ihren seltsamen As-sistenten mit, sofern er sich inzwischen von seinem Schrecken erholt hat.«

»Ich dachte, Sie brauchen Hilfe«, stammel-te Sphinx, der sich nicht gerade geistreich vorkam. Er sah sich nach Purflinth um und entdeckte den Matten-Willy ein paar Schritte neben der Treppe, wo er versuchte, in aller Hast einen menschlichen Körper zu bilden. In seiner Aufregung gelang ihm das jedoch nur unvollständig.

Sphinx verwünschte Purflinth im stillen, aber nun war das Unheil passiert und ließ sich nicht rückgängig machen.

Aretosa trat zur Seite, um Sphinx hereinzu-lassen. Wie unter einem inneren Zwang kam der USO-Spezialist der Aufforderung nach. Der Korridor, den er betrat, war spartanisch eingerichtet. Sphinx sah weder Bilder noch einen Spiegel.

Purflinth folgte seinem terranischen Freund, er hatte sich zwei verschieden lange Beine geschaffen und taumelte mehr als er ging. Die Kleider schlotterten um seinen de-formierten Körper.

Sphinx schloß einen Moment die Augen und holte tief Atem.

»Es tut mir leid«, krächzte das Plasmawe-sen. »Offensichtlich habe ich die Situation falsch eingeschätzt und einen Fehler ge-macht.«

Aretosa warf die Tür zu. Er lächelte kalt. »Es ist überhaupt nichts passiert«, erklärte

er. »Ihr Begleiter hat mich bei meiner sportli-chen Betätigung beobachtet und dabei offen-bar die Nerven verloren.«

Sphinx, der überhaupt nichts mehr verstand, wünschte nur noch, daß er mög-

15

Page 16: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

lichst schnell einen Vorwand finden und sich zurückziehen konnte.

»Sportliche Betätigung!« echote Purflinth. »Carmel, du mußt dir diese stählerne Zelle im Keller ansehen. Er hat darin getobt wie ein Ungeheuer. Ich mußte annehmen, daß er sich umbringen wollte.«

Aretosa sah Sphinx durchdringend an. »Für wen arbeiten Sie? Für die SolAb?« Sphinx zeigte ihm seine Karte, denn er sah

keinen Sinn darin, sich weiter als Prospektor auszugeben.

»Es handelt sich um eine allgemeine Unter-suchung der Atlantis-Angelegenheit«, sagte er matt und versuchte, den Blicken des Hageren auszuweichen. »Die Regierung will heraus-finden, wer die Sache inszeniert hat.«

»Und da ist man auf mich verfallen?« »Sie sind nur einer von vielen Verdächti-

gen!« Aretosa breitete die Arme aus. »Sie können sich gern umsehen.« »Was ist das für eine Zelle, von der

Purflinth gesprochen hat?« »Ich werde Sie hinführen.« Aretosa ging

voraus und stieg die Kellertreppe hinab. Ob-wohl es keine Anzeichen für Gefahr gab und Aretosa sich friedlich verhielt, schnürte eine nie gekannte Furcht Sphinx die Kehle zu. Er hätte am liebsten die Flucht ergriffen und wä-re aus dem Haus gerannt. Aber irgend etwas anderes trieb ihn voran und veranlaßte ihn, dem geheimnisvollen Mann in den Keller zu folgen.

Aretosa wartete mit verschränkten Armen im Eingang eines Kellerraums.

»Das ist alles«, bemerkte er mit einem Kopfnicken.

Sphinx starrte in den Raum. Die Wände bestanden aus Metall, ebenso

der Boden und die Decke. Ein paar stählerne Säulen befanden sich in der Mitte des Rau-mes. Dazwischen lagen Steinbrocken, zerbro-chene Holzbalken und verbogene Eisenstan-gen.

Sphinx schluckte. Er erinnerte sich daran, was die blonde Frau aus Aretosas Nachbar-schaft ausgesagt hatte, und stellte sich diesen Mann vor, wie er in diesem Raum herumtob-te, Felsen zertrümmerte, Holz zerbrach und Eisen verbog. Sogar die stählernen Wände

zeigten Spuren dieser zerstörerischen Tätig-keit.

Keiner der Männer, die Sphinx kannte, wä-re in der Lage gewesen, die am Boden liegen-den Gegenstände so zuzurichten, wie das of-fenbar durch Aretosa geschehen war.

Der USO-Spezialist wich unwillkürlich ei-nen Schritt zurück.

»Haben ... haben Sie das gemacht?« brachte er hervor.

Die dunklen Augen blickten ihn an völlig teilnahmslos, wie es Sphinx erschien.

»Ich trainiere hier«, sagte Aretosa. »Das ist doch sicher nicht verboten.«

Purflinth schob sich durch die Tür. »Du hättest ihn sehen sollen, Carmel! Er

hat sich wie ein Wahnsinniger über diese Sa-chen hergemacht und sie zerstört.«

Sphinx nickte und bückte sich nach einer der Stangen. Er versuchte, sie zu verbiegen, aber sie gab nicht um einen Millimeter nach. Seine Furcht wuchs noch. Er ahnte, daß er auf irgend etwas Ungeheuerliches gestoßen war, aber er fürchtete sich gleichzeitig davor, die endgültige Wahrheit in Erfahrung zu bringen. Die Eisenstange fiel klirrend zu Boden.

»Wer sind Sie, Tervor Aretosa?« stieß er hervor.

4.

Vor ein paar Tagen hatten Keith Essex und

Jacco Carragitrio den Jachthafen von Lissa-bon an Bord der BENOR verlassen. Das hochseefeste Schiff war mit modernen Steuer- und Navigationsinstrumenten ausgerüstet, aber die Hochseefischerei, eine Leidenschaft der beiden Männer, wurde ohne technische Hilfsmittel (mit Ausnahme der Angeln) durchgeführt. Die Jagd nach Fischen mit e-lektronischen oder positronischen Spürgeräten und Schockwaffen war längst verpönt und verboten; auf der Erde gab es kaum noch Menschen, die nicht begriffen hatten, wie wichtig die Fischbestände waren, um das öko-logische Gleichgewicht auch in den Meeren zu bewahren.

Ihrem Wesen und ihrer Herkunft nach wa-ren Essex und Carragitrio zwei völlig unter-schiedliche Männer. Der dunkelhaarige und lebhafte Portugiese, der in Lissabon eine gro-

16

Page 17: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

ße Weinstube besaß, war das genaue Gegen-stück zu dem stillen Ingenieur aus dem euro-päischen Bundesland Großbritannien.

Wenn das gute Wetter anhielt, würde die BENOR in wenigen Stunden die ersten Azo-reninseln anlaufen.

Bei strahlendem Sonnenschein lag Carra-gitrio nur mit einer Hose bekleidet auf dem Vordeck und spielte auf seiner alten Mandoli-ne. Essex bereitete in der Kombüse das Essen zu. Die BENOR wurde vom Robotsteuer-mann gelenkt.

Nach einer Weile unterbrach Carragitrio sein Spiel, hob den Kopf und schnupperte.

Er begab sich zum Kabinenabgang. »Das riecht verführerisch«, erklärte er.

»Wenn der Kapitän nichts dagegen einzu-wenden hat, werde ich eine gute Flasche por-tugiesischen ...«

Seine Stimme erstarb. Er richtete sich bolzengerade auf. Ein seltsamer, alles umfassender Blitz

schien über das Meer zu huschen. Es war, als hätte jemand einen gigantischen Wischer be-tätigt, um eine den Horizont bedeckende Schmutzschicht für den Bruchteil einer Se-kunde zu entfernen und die dahinter liegende strahlende Helligkeit sichtbar werden zu las-sen.

Der wie erstarrt dastehende Carragitrio hat-te ein solches Phänomen niemals zuvor erlebt, obwohl er sich seit seiner frühesten Kindheit oft auf hoher See aufgehalten hatte. Auch im Jahre 2648 gab es abenteuerliche Geschichten von unheimlichen Vorfällen auf den Welt-meeren, aber Carragitrio hatte sie nie beson-ders ernst genommen. In ihrer Phantasie bil-deten sich Seeleute oft absonderliche Dinge ein.

Es muß in meinem Kopf gewesen sein! dachte der Portugiese.

Plötzlich bemerkte er, daß die BENOR den Kurs wechselte.

Steine Starre fiel von ihm ab. »He!« rief er in den Abgang hinein. »Hast

du den Robotsteuermann anders program-miert?«

Essex steckte den Kopf aus der Kombüse. Er hatte ein Messer in der einen und eine Knoblauchzehe in der anderen Hand.

»Was?« fragte er irritiert.

Carragitrio schüttelte den Kopf und begab sich in den Steuerraum.

Er warf einen Blick auf die Instrumente und bekam einen fürchterlichen Schrecken. Sie zeigten eine Position an, wo die BENOR sich nie und nimmer befinden konnte. Carragitrio begann zu zittern, denn sofort brachte er den gerade erlebten Zwischenfall mit dem Verhal-ten der Steueranlage in Zusammenhang.

Er warf sich auf einen Sitz und schaltete das Bordsprechgerät ein.

»Keith!« sagte er rauh. »Da ist etwas pas-siert! Die Instrumente spielen verrückt. Es ist besser, wenn du jetzt heraufkommst.«

»Hast du irgend etwas verstellt?« wollte der Ingenieur wissen.

Carragitrios Stimme überschlug sich fast: »Komm herauf, Keith!«

Wenige Augenblicke später tauchte Essex in der Steuerzentrale auf.

»Hast du den Kurs geändert?« fuhr er Car-ragitrio an. »Wir bewegen uns ja in südöstli-cher Richtung, und wenn ...« Sein Blick war auf die Anzeigen der Kontrollen gefallen, und er brach mitten im Satz ab. »Das ist ja nicht möglich!« stieß er hervor.

Carragitrio sah ihn an. »Was hältst du davon?« Essex überprüfte die Instrumente. »Der Robotsteuermann funktioniert ein-

wandfrei. Es gibt auch keinerlei Fehleranzei-ge. Das kann einfach nicht möglich sein.«

»Was tun wir jetzt?« erkundigte sich der Schwarzhaarige.

»Kein Problem!« bemerkte Essex. »Wir o-rientieren uns nach der Sonne. Ich werde so-fort den Kurs ändern.«

Er merkte, daß sein Freund ihn zögernd an-sah.

»Was gibt es noch?« »Oh, es ist sicher ganz unbedeutend, aber

bevor ich hierher kam, gab es einen gewalti-gen Blitz über dem Meer. Jedenfalls sah es so aus – oder so ähnlich.«

»Eine atmosphärische Entladung«, überleg-te Essex leise. »Das könnte die Erklärung sein. Vielleicht hat uns zufällig auch ein Sa-tellitenimpuls getroffen, obwohl das ein kaum erklärbarer Zufall wäre.«

Er ließ sich vor der Funkanlage nieder. »Auf jeden Fall werde ich einen Bericht

17

Page 18: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

durchgeben. Vielleicht sind noch andere Schiffe betroffen und es ist besser, wenn die Hafenstationen wissen, was geschehen ist.«

Der Brite machte sich am Funkgerät zu schaffen. Gleich darauf ließ er sich im Sitz zurücksinken.

»Irgend etwas nicht in Ordnung?« erkun-digte sich Carragitrio ahnungsvoll.

»Wir bekommen keine Verbindung!« Carragitrios Augen weiteten sich. »Aber das ist doch unmöglich! Das gibt es

doch nicht!« »Es ist aber so«, beharrte Essex. »Außer-

dem bekomme ich keinen einzigen Sender rein.«

In diesem Augenblick veränderten sich die Lichtverhältnisse im Steuerraum. Das durch die Fenster hereinkommende Sonnenlicht bekam einen fahlen, unwirklichen Schein.

Die beiden Männer sahen sich an, keiner sagte etwas.

Essex stand langsam auf und trat auf das Vorderdeck hinaus. Er blickte zum Himmel hinauf. Er war wolkenlos, trotzdem sah die Sonne seltsam verzerrt aus, als sollte sie jede Sekunde erlöschen. Das Meer war ruhig, es gab kaum nennenswerten Wellengang, und die BENOR schien sich mit bleierner Schwe-re durch das Wasser zu bewegen.

»Unheimlich«, flüsterte Carragitrio, der seinem Freund gefolgt war.

Der andere antwortete nicht, sondern fuhr fort, die Sonne zu beobachten.

Schließlich sagte er: »Wir können uns auch nicht an der Sonne orientieren.«

»Und warum nicht?« krächzte der Portugie-se. »Du hast doch gesagt, daß du den Kurs bestimmen könntest.«

»Die Sonne steht nicht da, wo sie stehen sollte.«

Auf Carragitrios Gesicht erschien ein un-gläubiges Lächeln, aber nur kurz, dann mach-te es dem Ausdruck unverhohlener Angst Platz. Der Schwarzhaarige taumelte zur Re-ling und starrte auf das Meer hinaus.

»Wir müssen hier weg!« schrie er. »Und wohin?« erkundigte sich Essex tro-

cken. »Aber das ... das ist doch Wahnsinn! Wie

kann so etwas geschehen?« »Wir müssen warten, bis es vorüber ist«,

wich Essex aus. Carragitrio umklammerte mit beiden Hän-

den so fest die obere Querstange der Reling, daß die Knöchel weiß hervortraten.

»Weißt du, woran ich denken muß?« mur-melte er.

»An den verbrannten Fisch unten in der Kombüse«, versuchte Essex zu scherzen.

»Nein!« Carragitrio schüttelte den Kopf. »Du weißt ja, was in letzter Zeit über Atlantis erzählt wird. Auch in meiner Weinstube wird darüber diskutiert. In Lissabon hat sich eine Interessengemeinschaft gegründet und be-schäftigt sich mit diesen Dingen. Wir befin-den uns in dem Gebiet, wo einst Atlantis un-tergegangen ist. Atlan hat das in dem Bericht der Regierung noch einmal erwähnt.«

»Hör auf zu spinnen!« sagte Essex ärger-lich. »Es wird für alles eine plausible Erklä-rung geben.«

Er begab sich auf die andere Seite des Decks und blickte aufs Meer hinaus. Sein Mund öffnete sich, aber er brachte keinen Ton hervor. Das Blut wich aus seinem Gesicht. Langsam hob er einen Arm und deutete auf die Wasseroberfläche.

Carragitrio, der die Bewegung sah, kam schwankend auf ihn zu.

»Mein Gott!« rief er aus, als er sah, was Es-sex entdeckt hatte.

Das Meer schräg vor der BENOR war eine weiße strahlende Fläche, als gehe die Sonne darin auf. Es war keine Wellenbewegung mehr zu sehen. Über dem Wasser bildete sich eine fluoreszierende Luftschicht.

Die BENOR glitt genau auf dieses Gebiet zu.

Essex fuhr herum und stürmte in den Steu-erraum. Er schaltete die automatische Anlage ab.

»Volle Kraft zurück!« schrie er. »Wir müs-sen hier weg.«

Nach einer Weile sanken seine Schultern schlaff herab, sein Gesicht bekam einen Aus-druck unnatürlicher Starre.

»Es reagiert nicht«, sagte er gefühllos. »Die BENOR läßt sich nicht mehr steuern. Wir treiben genau auf dieses leuchtende Gebiet zu.«

Da begann Carragitrio wie ein Wahnsinni-ger zu brüllen. Essex konnte ihn nicht verste-

18

Page 19: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

hen und trat wieder ins Freie.

Dort, wo die Bugspitze der BENOR hin-wies, war ein gewaltiger Strudel im Entstehen begriffen.

Carragitrio verstummte plötzlich. Es war völlig windstill. Der Himmel sah jetzt wie ein straff gespanntes weißes Leinentuch aus und die Sonne wie eine dunkelrote Kupferscheibe.

Unwirklich! dachte Essex wie betäubt. Al-les ist unwirklich!

Es war, als sollte die gesamte reale Umge-bung zurückgedrängt werden, zugunsten von etwas Bedrohlichem und Ungeheuerlichem.

Carragitrio stieß einen unartikulierten Schrei aus und sprang über Bord. Das ge-schah so schnell und unerwartet, daß Essex keine Zeit zum Eingreifen blieb. Der Portu-giese tauchte lautlos im Meer unter. Als er wieder auftauchte, nur für einen kurzen Au-genblick, hielt er die Augen geschlossen, und sein Gesicht wirkte entspannt. Dann ver-schwand er endgültig, ohne eine sichtbare Schwimmbewegung zu machen.

Essex spürte, daß sein Herz bis zum Hals hinauf schlug. Er bekam fast keine Luft mehr. Panikartige Furcht bemächtigte sich seiner.

Das Gurgeln des Schlundes war jetzt deut-lich zu vernehmen, es hörte sich an wie das Schmatzen eines riesigen Tieres.

Die BENOR wurde immer schneller, sie bewegte sich genau auf das Zentrum des Schlundes zu.

Essex wankte in den Steuerraum und nahm wieder vor der Funkanlage Platz. Er schaltete die Notrufanlage ein.

»Mayday!« rief er. »Mayday! Hier ist das Hochseesportboot BENOR.«

Er verstummte erst, als ein knirschendes Geräusch durch den Rumpf des Schiffes ging. Als er sich aufrichtete, sah er, daß die BE-NOR sich an der Innenwand eines ausgedehn-ten Wasserkreisels befand.

Dann brach das Schiff auseinander, und seine Trümmer wurden zusammen mit dem verbliebenen Passagier in die Tiefe gezogen.

Die BENOR war das erste von einem hal-ben Dutzend Schiffen, die in den nächsten Wochen auf ähnliche Weise verschwinden sollten.

5. »Wer ich bin?« Aretosa schien durch

Sphinx hindurchzublicken, in unbekannte Fernen. Sein düsteres Gesicht bekam jetzt einen fast träumerischen Ausdruck. »Ein Heimatloser – vielleicht.«

Sphinx fühlte, daß der hagere Mann Schwäche zeigte, und er hielt den Zeitpunkt für gekommen, weiter in ihn zu dringen und ihm die vollständige Wahrheit zu entlocken.

»Reden Sie!« forderte er Aretosa auf. »Es wird Ihnen alles leichter machen.«

Doch da war dieser kurze Augenblick, da eine Verständigung möglich schien, schon wieder vorüber. Aretosas Lippen wurden noch härter, als er sie so fest aufeinanderpreß-te, daß das Blut aus ihnen zurückwich.

Er drehte sich langsam um. Unwillkürlich blickte Sphinx auf die blank

polierte Stahltür, in der sich jetzt Aretosas Spiegelbild abzeichnete. Neues Entsetzen überkam ihn, als er sah, daß dort anstelle zweier Augen nur zwei dunkle Löcher zu er-kennen waren.

Aretosa bemerkte, was vorging, und wandte sich schnell ab.

Sphinx zitterte heftig. War er einer Halluzination zum Opfer ge-

fallen? »Ihre Augen!« stöhnte er auf. »Ihr Spiegel-

bild hat keine Augen!« »Lächerlich!« gab Aretosa zurück. »Zügeln

Sie Ihre Phantasie.« »Dann beweisen Sie es!« forderte der USO-

Spezialist. »Treten Sie vor einen Spiegel, da-mit ich Ihr Gesicht darin betrachten kann.«

»In diesem Haus«, sagte Aretosa, »gibt es keine Spiegel.«

»Sie sind überhaupt kein Mensch!« Sphinx würgte die Worte hervor. »Sie sind irgend etwas anderes, ein Monstrum.«

Aretosa schlug ihm ins Gesicht, ohne daß die Bewegung im Ansatz zu erkennen gewe-sen wäre. Der Hieb warf Sphinx zurück und schleuderte ihn gegen die stählerne Tür. Er spürte, daß seine Lippen aufplatzten. Sein Nasenbein war gebrochen. In diesem lässig ausgeführten Schlag hatte unvorstellbare Kraft gesteckt.

Aretosa sah ihn an.

19

Page 20: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

»Niemand nennt mich ein Monstrum«, sag-

te er beherrscht. Sphinx wischte sich mit dem Handrücken

über sein blutendes Gesicht. Er blieb gegen die Tür gelehnt. Dann sah er, daß der Matten-Willy auf Aretosa zuglitt, um ihn anzugreifen.

»Nicht, Purflinth!« stieß er hervor. »Laß ihn in Ruhe!«

Das Plasmawesen hielt inne. »Sie können sich oben waschen«, bot Are-

tosa dem USO-Spezialisten an. »Sie können froh sein, daß ich kurz vorher in diesem Raum gearbeitet habe, sonst hätte ich Sie wahr-scheinlich umgebracht.«

Sphinx zweifelte keinen Augenblick daran, daß diese Worte ernst gemeint waren.

»Lassen Sie mich in Ruhe«, fuhr Aretosa fort. »Sagen Sie Ihren Auftraggebern, daß sie mir nicht nachstellen sollen. Wenn es an der Zeit ist, werde ich mich mit Atlan in Verbin-dung setzen.«

Sphinx wagte nicht, weitere Fragen zu stel-len. Gefolgt von Purflinth und Aretosa ging er die Kellertreppe hinauf. Aretosa zeigte ihm das Badezimmer und gab ihm ein Tuch. Sphinx tränkte es mit Wasser und kühlte sein geschwollenes Gesicht.

»Ein Whisky würde ihm helfen«, bemerkte Purflinth, der offenbar vor nichts zurück-schreckte.

»Ich habe keinen Alkohol im Haus«, erwi-derte Aretosa. »Ich trinke nicht.«

Sphinx tupfte sich das Blut aus dem Ge-sicht. Er fühlte dumpfen Haß auf Aretosa, wußte aber, daß er ihm nichts anhaben konn-te. Der Thermostrahler in seiner Tasche fiel ihm ein, aber er hütete sich, ihn zu ziehen. Aretosa würde ihn niederschlagen, bevor er die Waffe in Anschlag gebracht hatte.

»Lassen Sie uns gehen?« erkundigte er sich, nachdem er sein Gesicht gesäubert hatte.

»Ja«, sagte Aretosa. Getrieben von dem Wunsch, dem anderen

Schaden zuzufügen, drohte Sphinx trotzig: »Ich werde diesen Zwischenfall melden! Man wird Sie verhaften.«

»Ja«, sagte Aretosa abermals. Dann, nach einer nachdenklichen Pause. »Ich gehe weg von hier.«

»Man wird Sie finden!« »Nur, wenn ich will«, erklärte Aretosa un-

beeindruckt. Sphinx wandte sich an seinen Begleiter. »Purflinth, du mußt deinen Körper in Ord-

nung bringen. Wir werden diese Wohnung jetzt verlassen.«

Als der Matten-Willy wieder wie ein richti-ger Mensch aussah, ging Sphinx mit ihm zur Wohnungstür.

»Ich gebe Ihnen einen guten Rat«, klang Aretosas Stimme noch einmal auf. »Lassen Sie sich in den Weltraum versetzen, meinet-wegen auch auf einen anderen Planeten.«

»Ich verzichte auf Ihre Ratschläge!« Sphinx' Stimme klang undeutlich. Es tat ihm weh, die Lippen zu bewegen.

»Sie werden daran denken!« prophezeite Aretosa, dann schob er Sphinx und dessen extraterrestrischen Begleiter hinaus und schlug die Tür hinter ihnen zu.

Sphinx holte tief Atem, er hatte ein Gefühl, als wäre er gerade von einem Alptraum erlöst worden. Dort drinnen im Haus hatte er sich wie auf einer fremden Welt gefühlt, nun kehr-te er in seine vertraute Umgebung zurück.

Beinahe mechanisch setzte er sich in Be-wegung, stieg die Treppe hinab und durch-querte den Vorgarten.

»Die Tür ist jetzt offen«, kam Aretosas Stimme aus dem Bildsprecher im Torpfosten.

Sphinx öffnete und trat auf die Straße. »Du gibst auf?« fragte Purflinth überrascht. »Ja!« »Aber du hast doch eine Waffe! Warum

gehst du nicht hinein und nimmst ihn fest?« »Es geht nicht«, sagte Sphinx bedrückt.

»Ich kann es nicht. Es würde mir nicht gelin-gen. Wahrscheinlich würde er uns beide um-bringen, wenn ich es versuchte.«

Purflinth trottete schweigend neben ihm her. Sphinx war so in Gedanken vertieft, daß er nicht, wie es seine Gewohnheit war, ab und zu auf das Aussehen des Matten-Willy achte-te.

Schließlich brach Purflinth das Schweigen. »Er ist geisteskrank, nicht wahr?« »Aretosa? Bestimmt nicht! Aber ich bin

fest davon überzeugt, daß er kein Mensch ist. Wahrscheinlich stammt er nicht von dieser Welt.«

Sie kamen an einer öffentlichen Visiphon-zelle vorbei. Sphinx ging hinein und hielt die

20

Page 21: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Tür offen, damit Purflinth ihm folgen konnte. Dann drückte er die Nummer der USO-Zentrale in Terrania.

*

Allan D. Mercant sah, daß die Anzeige über

der Rohrpostöffnung aufglühte, und erhob sich.

»Das Bild scheint fertig zu sein«, sagte er zu den beiden SolAb-Agenten, die sich in seinem Büro aufhielten. »Sie haben beide gute Arbeit geleistet. Wir wissen, was Cas-neur der Öffentlichkeit präsentieren wird.«

Er öffnete die Klappe und nahm eine große Fotografie heraus. Dann hielt er das dreidi-mensionale Bild hoch und zeigte es den bei-den Männern.

»Ist es das?« »Ja«, bestätigte einer seiner Mitarbeiter. Mercant begab sich zum Schreibtisch und

legte das Foto vor sich auf die Leuchtplatte, um es sorgfältig zu betrachten. Es zeigte das Bruchstück eines größeren metallischen Ge-genstands von dunkelgrauer Farbe mit schwarzen Bildsymbolen und fremdartigen Schriftzeichen.

Der abgebildete Gegenstand war etwa vier-zig auf zwanzig Zentimeter groß, die Dicke mochte fünf Zentimeter betragen. Auf der linken Seite war der Bruch unregelmäßig. Am oberen Rand war das Gebilde fast glatt, wenn man von einer zackigen Erhöhung ganz rechts einmal absah. Unter dieser Erhöhung führte ein gerippter Wulst bis kurz vor die untere Bruchstelle. Rechts neben dem Wulst befan-den sich ein paar Auswüchse mit gerade noch sichtbaren Schriftzeichen. Das Interessanteste jedoch waren zweifellos vier quadratische Bildsymbole inmitten der Hauptfläche. Sie zeigten von links nach rechts ein menschli-ches Gesicht mit einem Strahlenkranz, eine Art Landkarte, eine Sonne und sechs Blitze. Die primitiv wirkenden Bilder waren mit ei-ner aus Rechtecken bestehenden Linie ver-bunden.

Eine Hieroglyphenzelle verlief über den Bildern, zwei weitere darunter. Vom fünften Bild ganz links war nur der äußere Rand zu sehen, alles andere war dem Bruch zum Opfer gefallen.

Mercant hob den Kopf. »Das Ding, das wir fotografiert haben, be-

steht aus Guß und wiegt etwa fünf Pfund«, sagte einer der beiden SolAb-Agenten.

Mercant nickte und griff nach dem Labor-bericht, der zusammen mit dem Foto in der Rohrpost gelegen hatte.

»Das Gebilde ist natürlich eine Fälschung. Die untersuchten Materialproben haben erge-ben, daß es erst vor ein paar Tagen hergestellt worden ist«, sagte er. »Casneur wird natürlich behaupten, daß es sich um ein uraltes Artefakt handelt.«

»Ja«, bestätigte der Mann, der kurz zuvor gesprochen hatte. »Delk Massar hat es für Casneur gekauft. Bisher konnten wir nicht herausfinden, wer es ihm angedreht hat. Der Verdacht liegt nahe, daß Massar dieses Ding selbst hergestellt hat, um den Propheten um ein paar tausend Solar zu erleichtern.«

»Wurden Sie beobachtet, als Sie in Cas-neurs Wohnmobil eindrangen, um zu fotogra-fieren und die Materialprobe zu nehmen?«

»Nein«, der Agent lächelte. »Casneur hatte seine Anhänger gerade im Zelt versammelt, und Massar war unterwegs. Unter diesen Um-ständen hatten wir leichte Arbeit.«

»Gut«, nickte Mercant. »Bleiben Sie weiter in Casneurs Nähe und berichten Sie mir, wie er dieses Artefakt für seine Zwecke einsetzt.«

Die beiden Männer verließen das Büro. Mercant widmete sich wieder dem Foto.

Obwohl es ohne jeden Zweifel eine Fälschung zeigte, beschäftigte es ihn. Der Anblick löste seltsame Gefühle und Ahnungen in ihm aus.

Er fragte sich, ob seine latenten parapsy-chologischen Fähigkeiten dafür verantwort-lich sein mochten.

Ein phantastischer Gedanke breitete sich in ihm aus.

Was, so fragte er sich, wenn der Gegens-tand in Casneurs Besitz nur ein Duplikat war?

Womöglich existierte ein Original! Dieses konnte tatsächlich uralt und fremd-

artig sein. Mercant lehnte sich zurück und schloß die

Augen. Sollte er Perry Rhodan und Atlan be-nachrichtigen? Er wog das Für und Wider gegeneinander ab. Vielleicht machte er sich zum Narren, wenn er diesem Ding eine Be-deutung beimaß. Andererseits konnte er sich

21

Page 22: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

im allgemeinen auf seine Ahnungen verlas-sen.

Als er sich wieder aufrichtete, war er ent-schlossen, das Foto von Sachverständigen untersuchen zu lassen. Sollte auch nur der geringste Verdacht bestehen, daß es ein Ori-ginal gab, würde Mercant weitere Schritte in die Wege leiten.

Er dachte daran, daß Foto von NATHAN überprüfen zu lassen.

*

Atlan sah dem kleinen USO-Spezialisten

mit einer Mischung von Sympathie und Inte-resse entgegen. Er ging auf ihn zu und schüt-telte ihm die Hand.

»Sie sind also Carmel Sphinx!« stellte er fest. Er warf einen Blick in das Gesicht des Spezialisten. »Sie sehen noch ein bißchen ramponiert aus.«

Sphinx errötete. »Daran ist Aretosa schuld, Lordadmiral! Er

muß eine Hand aus Stahl haben.« »Wollen Sie andeuten, daß er ein Roboter

sein könnte?« »Er ist bestimmt kein Roboter, Sir!« erei-

ferte sich Sphinx. »Aber er ist auch kein Mensch, dessen bin ich sicher.«

Atlan hatte den USO-Spezialisten allein empfangen, denn er wollte nicht, daß Sphinx sich durch die Anwesenheit vieler USO-Offiziere belastet fühlte. Er wollte ein zwang-loses Gespräch mit Sphinx führen, um mög-lichst viel über diesen geheimnisvollen Areto-sa zu erfahren.

Er lud Sphinx ein, in einem Sessel Platz zu nehmen.

»Soll ich einen Kaffee kommen lassen?« »Einen Whisky!« sagte Sphinx spontan. Er

leckte sich die Lippen und fügte entschuldi-gend hinzu. »Diese Angewohnheit kommt vom ständigen Umgang mit diesem Matten-Willy.«

Atlan bestellte das Getränk und nahm ge-genüber Sphinx Platz.

»Wir hätten Aretosa gern für seinen Angriff auf einen USO-Spezialisten belangt«, räumte er ein. »Aber wir haben ihn nicht erwischt. Obwohl ein USO-Kommando zusammen mit SolAb-Agenten schon wenige Minuten nach

Ihrem Anruf bei Aretosas Haus eintraf, konn-ten wir ihn nicht mehr festnehmen. Er war spurlos verschwunden.«

Sphinx sah auf. »Sie glauben mir doch hoffentlich?« »Aber ja«, versicherte Atlan. »Wir haben

die Aussagen von Klement und Aretosas Nachbarn. Außerdem haben wir dieses Stahl-bad im Keller gefunden.«

»Stahlbad!« bekräftigte Sphinx zufrieden. »Das ist der richtige Ausdruck.«

»Wir haben Erkundigungen eingezogen«, berichtete Atlan. »Es gibt bei keiner offiziel-len Behörde Unterlagen über einen Tervor Aretosa, dieser Name ist also offensichtlich eine Fälschung.«

»Werden Sie ein Fahndungsblatt mit Bild herausgeben?«

Atlan schüttelte den Kopf. »Dazu sind die Vergehen dieses Mannes

nicht schwerwiegend genug. Sie wissen, daß die USO eine autarke Organisation ist, die sich in erster Linie um kriminelle Vereini-gungen außerhalb der Erde kümmert. Auf der Erde sind wir zwar geduldet, aber nicht be-liebt. Ich habe keine Lust, mich wegen dieser Angelegenheit mit Bürgerrechtskommissio-nen anzulegen. Wir finden Aretosa auch so. Außerdem hat er Ihnen zugesichert, daß er sich mit mir in Verbindung setzen würde.«

»Sobald er den richtigen Zeitpunkt für ge-kommen hält«, stimmte der kleine Mann zu.

Ein Sekretär kam herein und brachte ein Tablett mit einer Karaffe und zwei Gläsern. Atlan bedankte sich, schickte den Mann wie-der hinaus und goß selbst ein.

Sphinx sah sich um und bemerkte bewun-dernd: »Das ist ein wunderschönes Büro, Lordadmiral.«

»Ja«, sagte der Arkonide. »Arkonidische Möbel. Sie erwähnten in Ihrem Bericht die Sache mit den Augen, die im Spiegelbild nicht sichtbar waren.«

»Ich weiß, daß es verrückt klingt«, sagte Sphinx leise. »Aber ich habe mich nicht ge-täuscht.«

»Aretosa hat tiefliegende Augen, Carmel. Wahrscheinlich lagen diese Augen im Schat-ten, so daß sie im Spiegelbild nicht sichtbar wurden.«

Sphinx beugte sich im Sitz vor.

22

Page 23: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

»Daran habe ich bereits gedacht, aber das

war es nicht.« Atlan erhob sich und ging zum Schreib-

tisch. Er ergriff ein Bild und zeigte es seinem Besucher.

»Wir haben nach Ihren und Klements An-gaben ein Bild anfertigen lassen.«

Sphinx betrachtete das Bild lange. Schließ-lich nickte er zögernd.

»Das ist er! Aber auf diesem Bild ist ein menschliches Gesicht zu sehen. Aretosa ist kein Mensch. Auf diesem Bild fehlt diese Aura des Unheimlichen.«

Atlan hob sein Glas und trank dem USO-Spezialisten zu. Dieser Sphinx schien ein ver-nünftiger Mann zu sein. Atlan hatte die Akte des Spezialisten kommen lassen. In seiner Laufbahn hatte Sphinx noch nie einen gravie-renden Fehler gemacht. Seine Berichte waren stets sachlich und begründet gewesen. Sphinx war weder überspannt noch esoterisch veran-lagt. Er trank mäßig, rauchte nicht und nahm keine Drogen. Seine Urteilskraft war bei allen seinen Vorgesetzten unbestritten.

Sollte sie ihn diesmal im Stich gelassen ha-ben?

»Was halten Sie von Aretosas seltsamen Wetten?« erkundigte sich Atlan. »Sie werden es noch nicht wissen, aber der erste Teil sei-nes jüngsten Wettangebots hat sich erfüllt. Casneur, der Prophet der Ewigen Atlanter hat seinen Anhängern heute ein Artefakt präsen-tiert, auf das Aretosas Prophezeiung zutreffen könnte. Allerdings handelt es sich um einen neu angefertigten Gegenstand, und wir wissen noch nicht, ob es ein altes Original gibt.«

Er zeigte Sphinx die Fotokopie jener Auf-nahme, die sich noch in Mercants Besitz be-fand.

Sphinx betrachtete das Bild lange, dann deutete er auf das linke Quadrat in der Grund-fläche. Dort waren die Umrisse eines Kopfes mit einem Strahlenkranz eingraviert.

»Löcher anstelle von Augen«, sagte er ton-los.

Atlan runzelte die Stirn. »Jede Maske sieht so aus, mein Freund!

Das besagt überhaupt nichts.« Es war leicht festzustellen, daß Sphinx

noch immer unter dem Eindruck des Erlebten stand.

Atlan füllte die beiden Gläser neu. »Ich möchte, daß Sie mir noch einmal in al-

len Einzelheiten erzählen, was sich ereignet hat. Natürlich habe ich Ihr Protokoll gehört und mehrfach gelesen. Aber ich möchte, daß Sie mir noch einmal einen Bericht geben. Schildern Sie vor allem Ihre Eindrücke.«

Sphinx stellte das Glas so vorsichtig auf das Tablett zurück, als sei es besonders zerbrech-lich.

»Sie haben doch selbst gesagt, daß diese Geschichten über Atlantis absurd sind«, sagte er nervös. »Denken Sie jetzt etwa, daß Areto-sas letzte Prophezeiung sich erfüllen und At-lantis am dreißigsten August auftauchen wird?«

»Keineswegs! Ich habe den Untergang von Atlantis miterlebt. Es gibt nicht den gerings-ten Hinweis dafür, daß es wieder auftauchen könnte. Das ist völlig unmöglich.«

Er hatte nicht den Eindruck, daß er seinen Besucher mit dieser Behauptung besonders beruhigte.

Sphinx begann stockend zu berichten, aber allmählich schien er die Anwesenheit seines berühmten Gastgebers zu vergessen, und er sprach offen und ohne Hemmungen über sei-nen letzten Auftrag.

*

Carel Czibor von der meteorologischen Sta-

tion auf der Azoren-Insel Terceira war zwar kein pedantischer, aber dafür ein sehr gründ-lich arbeitender Mann. Er gehörte zu den Me-teorologen, die in einer weltweit gespannten Kette von Kontrollanlagen arbeiteten und jene Satelliten beobachteten, die für das Klima auf der Erde verantwortlich waren. Seit der Ein-führung der totalen Wetterkontrolle war dies eine verantwortungsvolle Aufgabe, denn ein noch so geringfügig erscheinender Fehler in diesem geschlossenen System konnte in letz-ter Konsequenz dazu führen, daß dort ein Tornado losbrach, wo die Menschen einen normalen Regentag erwarteten.

Zu Czibors Arbeiten gehörte unter anderem das Überprüfen jener Aufnahmen von Satelli-tenfotos, die ständig an die Station auf Tercei-ra gefunkt wurden.

Alle Aufnahmen wurden auf vorgefertigte

23

Page 24: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Rasterbilder gelegt, so daß eine Unregelmä-ßigkeit sofort auffallen mußte.

Als Czibor diesmal das Satellitenbild der Azorengruppe in den Lichtbildapparat schob, reagierte der Computer sofort und markierte die Stelle, wo etwas Ungewöhnliches zu se-hen war, mit einem Leuchtpfeil.

»Ich glaube, ich träume«, sagte Czibor. Er hatte unwillkürlich laut gesprochen und

seinen Mitarbeiter Olav Kondall aufmerksam gemacht.

»Was hast du denn?« erkundigte sich Kon-dall. »Hat dir Petrus mit dem Zeigefinger ge-droht?«

Czibor deutete mit seinem Iridiumschreiber auf die bedrohlich erscheinende Stelle.

»Da! Sieh dir das an! Wir haben uns also doch nicht getäuscht, als wir die Emission angemessen haben. Südlich von hier ist irgend etwas passiert, eine Explosion oder so.«

Kondall machte einen erfolglosen Versuch, sein kurzes Hemd so in den Hosenbund zu stopfen, daß es dort blieb. Dann kam er her-über, um sich das Bild anzusehen.

»Ein Bildfehler!« meinte er. »Es gibt nichts, was so aussehen könnte.«

Czibor schaute seinen korpulenten Mitar-beiter abschätzend an.

»Es ist kein Bildfehler! Außerdem wäre uns das von der Satellitenpositronik sofort ange-zeigt worden. Wofür hältst du das?«

Kondall wischte sich den Schweiß vom Ge-sicht, dann trat er nahe an die Tafel heran.

»Ein weißer Fleck im Meer, ein strahlender Fleck mit einem dunklen Punkt im Zentrum.«

»Das ist kein dunkler Punkt, sondern ein Strudel!«

»Ach, hör doch auf!« rief Kondall. Czibor griff zum Visiphon, dann fiel ihm

ein, daß jede Unregelmäßigkeit im normalen Wetterbild sofort vom Computer an die Kon-trollzentrale gemeldet wurde – und diese be-fand sich auf Luna. NATHAN, der biopo-sitronische Großrechner, war für die Integra-tion aller klimatischen Abläufe verantwort-lich. Vermutlich liefen dort bereits die Aus-wertungen, um den Grund für die Unregelmä-ßigkeit herauszufinden.

Czibor zog seine Hand zurück. »Wie hieß doch dieses als vermißt gemel-

dete Schiff?« wollte er wissen.

Kondall brummte etwas Unverständliches und kramte in den zuletzt eingetroffenen Funknachrichten. Er zog ein Blatt hervor.

»BENOR«, sagte er knapp. »Finde die ungefähren, zuletzt bekannt ge-

wordenen Positionsdaten heraus«, befahl Czi-bor. »Ich möchte ein Rasterbild davon haben und es über diese Aufnahme legen.«

»Hast du einen Film gesehen?« erkundigte sich Kondall und begann mit der Arbeit. Als Czibor nicht antwortete, fügte er hinzu: »Du denkst, daß die BENOR explodiert sein könn-te. Der weiße Fleck könnte die Explosions-stelle markieren.«

Kondall reichte ihm die Rasterbildschablo-ne, die der Computer gerade ausgespien hatte.

Czibor legte sie über die beiden anderen Aufnahmen. Er sah seinen Mitarbeiter trium-phierend an, dann pochte er mit seinem Stift auf die Stelle, wo der weiße Fleck sich ab-zeichnete.

»Die letzte Position der BENOR muß hier gewesen sein! Oder ganz in der Nähe.«

6.

(Drei Wochen später) »Solarmarschall Julian Tifflor«, quäkte die

Robotstimme. »Staatsmarschall Reginald Bull und der Regierende Lordadmiral der USO – Atlan.«

Perry Rhodan blickte nur kurz von seinem Schreibtisch auf. Mercant, Waringer und John Marshall, der Chef des Mutantenkorps, waren bereits im Konferenzzimmer eingetroffen.

»Sie sollen reinkommen!« sagte Rhodan unwillig. »Seit wann bedürfen sie einer Son-dereinladung.«

Die Tür wurde spaltbreit geöffnet, und Re-ginald Bull streckte seinen kantigen Kopf mit den kurzgeschorenen Haaren herein. Er grins-te breit.

»Eine reine Vorsichtsmaßnahme«, erklärte er. »Wir wußten, daß du eine Delegation die-ser Atlantis-Spinner zu Besuch hattest, und wollten sicher sein, daß sie bereits gegangen sind.«

Die Tür wurde vollständig geöffnet, und Bull trat, flankiert von Atlan und Tifflor, ins Zimmer.

»In diesem Fall kann ich diese Vorsicht

24

Page 25: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

noch verstehen«, meinte Rhodan. »Der Kris-tallprinz aber täte besser daran, sich um diese Dinge zu kümmern.«

Atlan sah seinen terranischen Freund ab-schätzend an.

»Ich weiß, daß der innenpolitische Einfluß dieser Sekten in den letzten Wochen stark gewachsen ist. Du wertest sie aber noch auf, indem du ihre Sprecher empfängst.«

»Sie werden durch die äußeren Umstände aufgewertet«, verteidigte sich Rhodan. »Fünf Boote sind im Atlantik spurlos verschwunden, und es gibt Hinweise auf geheimnisvolle E-nergieausbrüche im Bereich der Azoren. Cas-neur präsentiert der Öffentlichkeit ein Arte-fakt, in dem ein uralter Text eingraviert ist, und der Mann, der das alles prophezeite, Ter-vor Aretosa, ist selbst mit Hilfe des Mutan-tenkorps noch immer nicht gefunden worden. Atlantis beherrscht die Titelseiten der Zeitun-gen.«

Obwohl er leise gesprochen hatte, wirkte er erregt.

»Der, den das alles angeht, hält sich zu-rück«, fuhr er fort. »Ja, es bedurfte einiger Überredungskunst, ihn davon abzuhalten, Terra zu verlassen.«

»Mir geht dieser Rummel auf die Nerven«, gestand Atlan. »Jedermann hält mich für kompetent, Kommentare und Erklärungen zu diesem Thema abzugeben. Dabei weiß ich nicht mehr als andere. Ich kann nur immer wieder betonen, daß es keine Erneuerung von Atlantis geben wird.«

»Sind wir deshalb zusammengekommen?« warf Bull ein. »Soll hier jeder seelischen Bal-last loswerden?«

Rhodan lächelte ihm zu. »Du hast recht, Dicker! Kommen wir zum

Wesentlichen. Es geht um das Artefakt. Doch darüber soll Atlan berichten.«

Solarmarschall Mercant, der stets ein biß-chen zurückhaltend wirkende Chef der Sola-ren Abwehr, nickte bereitwillig und begab sich zu einem kleinen Tisch in der Nähe des Fensters, wo ein flacher Metallbrocken lag.

»Sie kennen alle Bilder von diesem Arte-fakt«, erinnerte er. »Inzwischen haben wir dieses Modell anfertigen lassen, das eine ziemlich genaue Reproduktion des Gebildes ist, mit dem Roger Casneur auf Seelenfang

geht.« Er ergriff das Gußstück und reichte es Wa-

ringer. Dann fuhr er fort: »Um völlig sicher zu

sein, daß die ganze Geschichte ein Windei ist, habe ich diese Hieroglyphen von Sachver-ständigen prüfen lassen. Zu meiner Überra-schung kamen sie zu dem Schluß, daß es sich um eine alte, uns bisher noch nicht bekannte Schrift handeln müsse.«

Seine Worte lösten Unruhe aus. Atlan trat an Rhodans Schreibtisch und

fragte protestierend: »Warum erfahren wir das erst jetzt?«

»Das ist meine Schuld«, gestand Mercant verlegen. »Ich wollte keinen unnötigen Wir-bel verursachen. Schließlich kann man eine solche Schrift auch erfinden, wenn man die nötigen Kenntnisse besitzt. Auf jeden Fall war ich alarmiert und gab die ganze Sache zu ei-ner positronischen Auswertung an NA-THAN.«

»NATHAN hat diese Schriftzeichen ent-schlüsselt?« erriet Tifflor aufgeregt.

»Zum Teil«, schränkte Mercant ein. »Wir haben eine sinngemäße Übersetzung, mit al-len dazu gehörigen Vorbehalten. Perry, wür-den Sie den Text verlesen?«

»Gewiß«, sagte Rhodan und ergriff eine vor ihm liegende Folie. »Ich zitiere: Im Verlauf von Jahrmillionen wurde dieser dritte Planet einer durchschnittlich großen gelben Sonne von mehreren globalen Katastrophen heimge-sucht. Jede Sintflut wurde durch das Auftau-chen oder den Untergang von Atlantis (NA-THAN gebraucht für Atlantis die Bezeich-nung Pthor) verursacht, und oft gingen dabei menschliche Hochkulturen unter. Auftauchen und Verschwinden von Pthor geschehen azyk-lisch und stehen in einem Zusammenhang mit der Entwicklung der jeweils auf der Erde vor-herrschenden Zivilisation. Wir können ...«

Er unterbrach sich, denn bei den Zuhörern machte sich starke Unruhe bemerkbar. Alle bis auf Atlan redeten durcheinander. Der Ar-konide hatte sich in einen Sessel niedergelas-sen und machte einen geistesabwesenden Eindruck. Rhodan argwöhnte, daß sein Freund überhaupt nicht zugehört hatte.

»Das ist doch alles ausgemachter Blöd-sinn!« verschaffte Bully sich schließlich Ge-

25

Page 26: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

hör. »Atlantis als Langzeitwaffe gegen menschliche Hochkulturen. Das hat sich je-mand ausgedacht, um die ganze Geschichte anzuheizen. Früher oder später wird Casneur uns diese Übersetzung präsentieren und sich als Retter der Welt bezeichnen.«

Tifflor ging zu Atlan und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Sie wissen doch am ehestens, daß dies Unsinn ist!«

Der Blick des Arkoniden blieb leer. »Zumindest für einen Teil stimmt diese Ge-

schichte«, sagte er langsam. »Als Atlantis vor zehntausend Jahren unterging, wurde eine Sintflut ausgelöst. Ich habe es selbst erlebt.«

»Das bestreitet ja auch niemand!« rief Wa-ringer aufgebracht. »Aber hier ist von einer ständigen Wiederkehr des Kontinents die Re-de.«

Rhodan sprang auf und beugte sich über den Schreibtisch.

»Das ist noch nicht alles! Vielleicht hören Sie sich den von NATHAN übermittelten Text zu Ende an.«

Sofort trat wieder Stille ein. Rhodan sah seine Freunde und Vertrauten

nacheinander an, dann sagte er betont: »Es ist nur noch ein Satz. Er lautet: Wir können da-von ausgehen, daß ein neues Auftauchen von Atlantis unmittelbar bevorsteht und damit der Untergang unserer Zivilisation.«

Die Männer sahen sich betroffen an. Bully lachte unsicher. »Diese Horrorgeschichte beweist lediglich,

daß sie von einem geschäftstüchtigen Men-schen erdacht wurde. Ich glaube, wir sollten Casneur festnehmen. Wenn diese Dinge be-kannt werden, kann es überall auf der Erde zu schweren Unruhen kommen.«

»Diese Botschaft besagt doch, daß Atlantis jedesmal mit seiner zerstörerischen Kraft ein-greift, wenn auf der Erde eine blühende Kul-tur entstanden ist«, gab John Marshall zu be-denken. »Immerhin gibt es in den Mythen der alten Völker viele Hinweise auf globale Ka-tastrophen.«

»Wäre es möglich, daß du damals irgend etwas übersehen hast, Alter?« wandte Rhodan sich an den Arkoniden. »Es handelte sich schließlich um einen ausgedehnten Kontinent. Wäre es nicht möglich, daß sich in einem ab-

gelegenen Gebiet Dinge ereigneten, die dir entgangen sind?«

»Möglich – aber sehr unwahrscheinlich!« lautete die Antwort.

»Wir müssen uns Gedanken darüber ma-chen, was nun zu tun ist«, sagte Perry Rho-dan. »In den letzten Tagen hat die Atlantis-Hysterie einen neuen Höhepunkt erreicht. Aretosas Prophezeiung zum Zeitpunkt des Wiederauftauchens von Atlantis ist der Öf-fentlichkeit bekannt geworden. Die Atlantis-Anhänger fiebern dem dreißigsten August entgegen.«

Allan D. Mercant räusperte sich. »Nach all den Ereignissen in jüngster Zeit

müssen wir tatsächlich davon ausgehen, daß das Solare Imperium bedroht wird«, sagte er unmißverständlich. »Natürlich glaubt nie-mand diesen Unsinn über Atlantis. Vielmehr habe ich den Verdacht, daß die allgemeine Hysterie von einer extraterrestrischen Macht geschürt wird. Fremde haben diesen raffinier-ten Plan entwickelt. Es gibt eine dunkle Macht im Hintergrund. Darauf müssen wir uns konzentrieren. Dieser Tervor Aretosa muß gefunden werden, denn er gehört zwei-fellos zu den Unbekannten, die den Anschlag geplant haben. Wahrscheinlich erfolgt auf dem Höhepunkt der Krise ein Angriff auf die Erde.«

An der nun folgenden Diskussion nahm At-lan nicht teil. Seine Gedanken waren weit in die Vergangenheit zurückgeeilt. Er versuchte, sich in allen Einzelheiten an das zu erinnern, was damals geschehen war.

Larsaf III, wie die Arkoniden die Erde da-mals genannt hatten, war gründlich untersucht worden. Atlan dachte daran zurück, wie er an Bord der TOSOMA, einem Schlachtschiff der Imperiumsklasse, Atlantis zum erstenmal ü-berflogen hatte. Die Insel war so groß gewe-sen, daß man sie eigentlich schon als Konti-nent hatte bezeichnen können. Sie war oval und zweitausend Kilometer lang gewesen, schmale Landbrücken hatten sie mit den Kon-tinenten im Westen und Osten verbunden. Damals waren Tarts, Atlans alter Freund und Berater, und Atlan nur auf die Angehörigen einer primitiven Zivilisation gestoßen. Ledig-lich ein Stamm im Süden hatte Streitäxte aus Bronze, Lederschilde und Pfeil und Bogen

26

Page 27: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

benutzt; seine Mitglieder hatten die Intelli-genzstufe A 5 besessen.

Atlan verzog bei dem Gedanken an diese Menschen unwillkürlich das Gesicht. Wie konnten solche Wesen eine Bedrohung dar-stellen, auch wenn man voraussetzte, daß das Unglaubliche zutraf und Atlantis wieder auf-tauchte?

Die Arkoniden hatten damals innerhalb von vier Jahren auf Atlantis eine Musterkolonie geschaffen und die braunhäutigen Eingebore-nen viele Dinge gelehrt. Den Wilden waren die Arkoniden wie Götter erschienen. Mythen waren später aus diesem Besuch hervorge-gangen, erinnerte sich Atlan. Vor allem einer seiner arkonidischen Freunde namens Inkar hatte sich als Namensgeber der Inkas erwie-sen.

Wenn es auf Atlantis ungewöhnliche Dinge gegeben haben sollte, dann waren sie gut ver-borgen gewesen.

Der Arkonide dachte an die Zeitüberlap-pungszonen, die dann das Unheil heraufbe-schworen hatten. Die gesamte Erde war da-mals in Unordnung geraten. Die Achsenstel-lung hatte sich verändert. Flutkatastrophen unvorstellbaren Ausmaßes hatten den Unter-gang von Atlantis begleitet.

Diese Zeitverschiebungen! überlegte Atlan angestrengt. Waren sie vielleicht schon vor der Ankunft der Arkoniden eingetreten, ohne zunächst schlimme Folgen zu haben? Hatte es auf Atlantis vielleicht unzugängliche Zeitni-schen gegeben, die Atlan und dessen Freun-den verborgen geblieben waren?

Mußte die ganze Geschichte unter einem völlig anderen Aspekt gesehen werden? Oder hatten vielleicht sogar die Druuf ihre Hände im Spiel?

Vielleicht hatte er sich zu früh in seine Un-terseekuppel zurückgezogen!

»Deine Gedanken sind nicht hier!« drang eine Stimme an sein Gehör.

Er zuckte zusammen und sah Rhodan vor sich stehen. Erstaunt stellte er fest, daß alle anderen bereits gegangen waren. Er hatte es überhaupt nicht bemerkt.

»Glaubst du, daß die Antwort in der Ver-gangenheit liegt?« wollte Rhodan wissen.

Atlan preßte die Hände gegen die Schläfen. Sein Extrasinn schwieg zu all diesen Proble-

men, wahrscheinlich wußte er selbst keinen Rat.

»Dein Atlantis und das Atlantis, von dem jetzt die Rede ist, können zwei völlig ver-schiedene Dinge sein«, mutmaßte Rhodan. »Es ist sinnlos, daß du dich immer wieder quälst. Du kannst dich schließlich nicht an etwas erinnern, was du nicht gesehen hast.«

Der Arkonide nickte bedächtig. »Ich dachte gerade an diese zeitlichen Ü-

berlappungsfronten. Sie müssen nicht sofort in so massiver Form aufgetreten sein, wie wir das im Verlauf der letzten Tage von Atlantis erlebt haben. Vielleicht spielten sich unmit-telbar neben uns, durch einen Dilatationsef-fekt unsichtbar gemacht, die verrücktesten Dinge ab.«

Mitfühlend legte Rhodan dem Arkoniden eine Hand auf die Schulter.

»In ein paar Tagen ist alles ausgestanden! Nach dem dreißigsten August werden Cas-neur und seinesgleichen vor ihren Anhängern fliehen müssen, damit man sie nicht als fal-sche Propheten verprügelt.«

Mit geballten Fäusten saß der Lordadmiral da. In seinem Gesicht arbeitete es.

»Und wenn es geschieht? Wenn Atlantis auftaucht?«

»Mein Gott!« seufzte Rhodan. »Du fängst doch hoffentlich nicht an, selbst an dieses Schauermärchen zu glauben?«

»Wieviel Feldprojektionssatelliten haben wir im Erdorbit?«

»Was?« Rhodan sah den anderen verständ-nislos an. »Ich verstehe diese Frage nicht.«

»Wieviel?« drängte Atlan verbissen. »Nun, etwa zwanzig. Die genaue Zahl ken-

ne ich nicht. Ich weiß nicht, was du mit dieser Frage ...« Der Ausdruck seines Gesichts ver-änderte sich. »Bei allen Planeten, das kann doch nicht dein Ernst sein?«

»Die Anzahl der Satellitenprojektoren muß innerhalb der nächsten Tage verdoppelt wer-den«, verlangte Atlan. »Ich glaube nicht, daß Atlantis auftauchen wird, aber irgend etwas Schlimmes wird sich im Atlantik ereignen, vielleicht ein Überfall oder eine Hyperener-gieexplosion. Das heißt, daß wir diesen ge-samten Bereich unter einen Energieschirm legen müssen.«

Rhodan stöhnte.

27

Page 28: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

»Wir machen uns lächerlich!« prophezeite

er. »Du mußt es tun!« Rhodan sah ein, daß er den Arkoniden nicht

umstimmen konnte. Er hätte es auf einen Streit ankommen lassen können, schließlich besaß er in diesem Fall die höchste Befehls-gewalt. Andererseits war der technische Auf-wand verhältnismäßig gering. Vielleicht half es dem Arkoniden über seine augenblickliche Verfassung hinweg, wenn Rhodan die ge-wünschten Anordnungen traf.

»Wenn es dich erleichtert«, meinte er, »will ich alles Notwendige veranlassen.«

»Es erleichtert mich nicht«, erwiderte Atlan bitter. »Aber ich habe nun das Gefühl, alles Menschenmögliche getan zu haben.«

7.

RAZAMON »Wer sich an die Vergangenheit nicht erin-

nern kann, ist dazu verdammt, sie zu wieder-holen.«

George Augustin Nicolas de Santayana 1863 - 1952 Ein Wesen ohne Heimat ist einsam. Ein Wesen ohne Erinnerung an seine Hei-

mat ist mehr tot als lebendig. Immer, wenn ihm diese oder ähnliche Ge-

danken durch den Kopf gingen, wußte Raza-mon, daß eine neue Krise bevorstand. Dann war er gezwungen, vorbeugende Maßnahmen zu treffen, denn er wollte weder entdeckt werden noch ein Verbrechen begehen.

Das Böse in ihm kam immer seltener zum Durchbruch, so daß er bereits zu hoffen ge-wagt hatte, seine Vergangenheit einmal end-gültig überwinden zu können.

In seinem Haus in Terrania, das er fluchtar-tig hatte verlassen müssen, waren die Bedin-gungen zur Beilegung einer Krise ideal gewe-sen. Razamon hatte sich dort einen mit Stahl verkleideten Raum eingerichtet und jedesmal, wenn ihn die tief in ihm schlummernden Mächte zu überwältigen drohten, war er in diesen Raum gegangen und hatte sich ausge-tobt.

Vielleicht, sinnierte Razamon, hätte er sich

diesem Carmel Sphinx ergeben sollen. Die Folgen waren damals allerdings noch

unüberschaubar gewesen. Razamon hielt sich vor der Öffentlichkeit

weitgehend verborgen, seit seiner Flucht aus Terrania lebte er in verschiedenen kleinen Hotels in den Vorstädten. Jedesmal, wenn er seinen Standort wechselte, änderte er auch seinen Namen.

Tervor Aretosa durfte er sich nicht mehr nennen, das wäre zu gefährlich gewesen.

Er war sich darüber im klaren, daß er seine augenblickliche Freiheit nur seinen finanziel-len Möglichkeiten zu verdanken hatte. Ohne das Geld, das ihm reichlich zur Verfügung stand, wäre er längst aufgegriffen worden. So gelang es ihm aber immer wieder, sich das Schweigen von ein paar Menschen zu erkau-fen.

Die Besitzer der ärmlichen Hotels hier in den Vorstädten waren froh über einen Gast, der freiwillig die dreifache Übernachtungsge-bühr auf den Tisch legte und auch sonst nicht kleinlich war. In diesen Hotels lebten Gele-genheitsarbeiter und alte Raumfahrer, Diebe und erfolglose Künstler. Viele von ihnen nahmen nicht einmal den von der Regierung gewährten Mindestzuschuß in Anspruch.

Solche Menschen hatte es immer gegeben, erinnerte sich Razamon. Ihr Verhalten war ihm vertraut, und er konnte gut mit ihnen aus-kommen. Sie ließen ihn in Ruhe und stellten keine Fragen.

Das Hotel, in dem Razamon zuletzt abge-stiegen war, trug den Namen Zool (kein Mensch wußte, was das bedeutete, auch der Besitzer nicht) und war ein doppelstöckiges aus Leichtmetallteilen zusammengesetztes Gebäude.

Außer Razamon gab es noch sieben andere ständige Gäste; eine Varieté-Gruppe mit zwei weiblichen und zwei männlichen Mitgliedern, die auf die Unterzeichnung eines Engage-ments auf einem Kolonialplaneten warteten; einen grauhaarigen Mann in einer verbliche-nen Uniform, der sich von den anderen mit »Oberst« anreden ließ; einen drogensüchtigen Kunstmaler, der dreidimensionale Bilder mit wahnsinnigen Effekten anfertigte, und einen schweigsamen Akonen, von dem niemand wußte, wie er hierher verschlagen worden

28

Page 29: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

war, und der den ganzen Tag im Aufenthalts-raum saß, um die alten Nachrichtenmagazine zu lesen.

Razamon hatte ein Doppelzimmer in der oberen Etage gemietet. Nur noch der Oberst wohnte hier oben, alle anderen lebten in den Zimmern im Erdgeschoß.

Unter anderen Umständen hätte Razamon vielleicht versucht, eine völlig neue Identität anzunehmen und sich einen neuen Lebensbe-reich aufzubauen.

Nun jedoch, unmittelbar vor dem entschei-denden Ereignis, sah er keinen Sinn mehr darin.

Die Katastrophe stand unmittelbar bevor, und wenn sie eintrat (was Razamon keinen Augenblick bezweifelte), würde sowieso nie-mand mehr Gelegenheit haben, über die Her-kunft anderer nachzudenken.

Razamon schaute auf die Uhr. Eine halbe Stunde vor Mitternacht! Er lauschte in sich hinein. Aus Erfahrung

wußte er, daß er den gefährlichen Drang in seinem Innern vielleicht noch ein bis zwei Stunden unterdrücken konnte, aber dann wür-de das Böse in ihm um so stärker hervorbre-chen.

Razamon rief sich die nähere Umgebung des Zool ins Gedächtnis zurück.

Gab es keinen Platz, an dem er ungestört sein konnte?

In solchen Augenblicken empfand Raza-mon seine Einsamkeit immer als besonders niederdrückend. Er sehnte sich danach, mit irgend jemand über seine Probleme zu reden, aber er wußte auch, daß das unmöglich war.

Wahrscheinlich hätte ihm niemand ge-glaubt – bis es zu spät gewesen wäre.

Früher, als er seinem dunklen Ich noch häu-figer unterlegen war, hatte Razamon Verbre-chen begangen, die er heute, in seinem nor-malen Zustand, als verabscheuungswürdig empfand.

Er spürte den Druck des Zeitklumpens an seinem Bein.

Pthor wurde bereits durch den Korridor der Dimensionen hindurch wirksam. Der Druck, den Pthor aus diesem Korridor heraus ausüb-te, war schon so stark, daß es im Atlantik zu seltsamen Effekten kam und ein paar Schiffe vernichtet worden waren.

Allerdings wollte auf der Erde niemand die Wahrheit erkennen.

In diesem Augenblick klopfte jemand ge-gen die Tür.

Instinktiv fuhr der hagere Mann herum. Er zog die Lippen hoch, so daß seine großen weißen Zähne sichtbar wurden. Ein Knurren entrang sich seinem Mund, und seine Hände spreizten sich wie zu Klauen. Seine Augen bekamen einen animalischen Ausdruck.

Das währte nur eine oder zwei Sekunden, dann gewann Razamon die Kontrolle über sich zurück. Er atmete tief ein und ging lang-sam zur Tür.

»Wer ist da?« Jemand räusperte sich. »Der Oberst!« Razamon strich sein Haar zurück. Er über-

legte, was den alten Mann veranlaßt haben konnte, um diese Zeit zu ihm zu kommen.

War es eine Falle? Er schüttelte unwillig den Kopf. Wenn die

SolAb oder die USO ihn fanden, würden sie sich kaum der Mithilfe eines Greises bedie-nen, um Razamon zu verhaften.

Razamon öffnete die Tür und sah den O-berst draußen im Korridor stehen, einen zier-lichen und zerbrechlich wirkenden Mann, der sich mit großer Kraftanstrengung aufrecht hielt und dessen Gesichtsausdruck stets ein bißchen verträumt aussah. An jenen Stellen seiner Uniform, wo der Oberst die Rangab-zeichen abgetrennt hatte, war sie noch nicht soweit verblichen, daß die ursprüngliche Far-be darunter gelitten hätte.

»Sind Sie Arzt?« erkundigte sich der O-berst.

Razamon sah ihn aufmerksam an. »Wie kommen Sie darauf, daß ich Arzt sein

könnte?« Ein Lächeln flog über das faltige Gesicht,

der Mann litt sichtbar darunter, daß er auf Hilfe angewiesen war.

»Ich bin krank«, sagte er verlegen. »Lassen Sie einen Medo-Robot kommen«,

empfahl ihm Razamon. Er hoffte, daß in die-ser Nacht mit dem alten Mann nichts passier-te, denn das zog in der Regel Untersuchungen nach sich, und diese wiederum hätten Raza-mon gezwungen, erneut die Unterkunft zu wechseln.

29

Page 30: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

»Das ist nicht möglich«, sagte der Oberst,

und dann, mit einer schier übermenschlichen Anstrengung, fügte er hinzu: »Ich bin nämlich ein Deserteur.«

Obwohl er kein Mensch war und auch nicht wie ein solcher empfand, rührte irgend etwas an dieser armseligen Gestalt Razamon so sehr, daß er dieser Regung nachgab und bei-seite trat, um den anderen zu sich ins Zimmer zu lassen.

Erst jetzt sah er, daß der Oberst schwankte. Er machte einen Schritt auf ihn zu, um ihn zu stützen, dann führte er ihn zu der Couch ne-ben dem Fenster. Unmittelbar davor sackte der Terraner in sich zusammen. Razamon fing den Sturz auf und bettete den Alten in die Kissen.

Der Atem des Kranken ging stoßweise, sein Gesicht war mit fahler Blässe überzogen, und kalter Schweiß bildete sich auf der Stirn.

»Ich muß einen Medo-Robot oder einen Arzt kommen lassen«, erklärte Razamon zö-gernd. »Am besten gleich den Noteinsatz.«

»Nein!« keuchte der Oberst. »Bitte nicht!« Razamon starrte auf ihn hinab und überleg-

te, was er nun tun sollte. Wenn er keine Hilfe holte, starb der alte

Mann womöglich. Andererseits hätte eine derartige Aktion dazu geführt, daß man Ra-zamon Fragen stellen würde.

Razamon spürte, daß sich in seinem Innern etwas zusammenzog, er gab einen bellenden Laut von sich.

»Sie können hier nicht bleiben!« stieß er hervor.

»Massieren Sie meine Arme«, flehte der Mann. »Bringen Sie mir Wasser und massie-ren Sie die Arme. Es wird dann schnell vorü-bergehen.«

»Verstehen Sie denn nicht?« Razamon ent-fernte sich von ihm. »Ich kann Ihnen nicht helfen.«

Er sah Verständnislosigkeit, ja Enttäu-schung im Gesicht des Kranken.

»Ich ... ich würde Sie umbringen!« stam-melte er.

Der Oberst begriff nicht, er lebte in dieser kleinen Welt, in die er sich zurückgezogen hatte und in der er sich halbwegs geborgen fühlte.

Wahrscheinlich war es zum erstenmal, daß

er jemanden um Hilfe bat. »Ich bin nicht der, für den Sie mich hal-

ten«, sagte Razamon, aber er sprach schon mehr zu sich selbst. Er ging in den Dusch-raum und füllte einen Becher mit Wasser. Als er damit zu dem Kranken ging, hatte dieser das Bewußtsein verloren. Razamon ergriff einen der mageren Arme und begann ihn sanft zu massieren.

Da veränderte sich die Umgebung vor sei-nen Augen, es war, als schiebe sich ein Filter davor und tauche alles in ungewisses Licht.

Razamon ließ die Arme los. Er gab einen unartikulierten Laut von sich.

Dann sank er vornüber und packte die Couch am Rahmen. Mühelos, als wäre sie aus Pa-pier, hob er sie hoch und kippte sie nach hin-ten. Der Oberst rollte mit den Kissen in die Ecke.

Razamon fuhr herum und griff nach dem Tisch. Er hob ihn hoch und schleuderte ihn mit voller Wucht in Richtung des Badezim-mers. Klirrend zerbrach ein Spiegel.

Razamon stürmte in den Korridor hinaus. Er kam wieder zu sich und stand breitbeinig

und zitternd da. Dieser Anfall war erst der Anfang. Razamon hörte unten jemand rufen. Ent-

weder der Hotelbesitzer oder einer der ande-ren Gäste war durch den Lärm aufgeschreckt worden. Razamon starrte in sein Zimmer. Erleichtert sah er, daß der alte Mann gerade hinter der Couch hervorkroch.

Ich muß weg hier! dachte Razamon. Er raste die Treppe hinab. Unten im kleinen

Empfangsraum stand eine der Artistinnen. Sie schaute ihn ängstlich, dann mit zunehmendem Entsetzen an.

»Dort oben!« schrie Razamon. »Dieser alte Mann, der Oberst. Kümmern Sie sich um ihn.«

Er riß die Tür auf und stürzte auf die dunkle Straße hinaus. Das Blinken der Lichter überall in seiner Nähe irritierte Razamon. Er blieb einen Augenblick stehen, um sich zu orientie-ren, dann rannte er in die Nacht hinein.

*

Als er zu sich kam, schien Sonnenlicht in

sein Gesicht. Er lag auf dem Rücken, um ihn

30

Page 31: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

herum befanden sich ausgerissene Büsche, niedergetrampelte Blumen und die Trümmer einer Marmorstatue, die er offenbar von ihrem Sockel gerissen hatte.

Ruckartig setzte er sich auf. Er befand sich inmitten eines Parks, wie es

sie rund um die Hauptstadt zahlreich gab. Es war noch früh am Morgen, nur diesem Um-stand verdankte er die Tatsache, daß man ihn noch nicht gefunden hatte.

Als er aufstand, sah er in einiger Entfer-nung einen zerstörten Brunnen und dahinter einige entwurzelte Bäume.

Er stöhnte. Wahrscheinlich hatte er eine Spur wie die

eines Bulldozers hinterlassen. Hoffentlich hatte er bei seiner nächtlichen Toberei nie-manden verletzt oder gar umgebracht. Der Umstand, daß er völlig allein hier im Park zu sich gekommen war, ließ ihn hoffen, daß es zu keinen Zusammenstößen mit Menschen gekommen war.

Er glättete seine Kleider und säuberte sie, so gut es ging, von Gras und Dreck.

Erst jetzt dachte er an Flucht. Rechts von ihm verlief eine Schneise, die zu einem künst-lich angelegten See führte. Hinter dem See verlief ein Damm. Auf der anderen Seite be-fand sich der von dichten Büschen begrenzte Brunnen.

Razamon hob den Kopf. Hoch über ihm glitten lautlos Dutzende von

Flugmaschinen vorüber. Sie bedeuteten keine Gefahr für ihn.

Als er sich durch die Schneise zurückzie-hen wollte, fühlte er sich plötzlich beobachtet. Er warf sich herum. Zwischen zwei Palmen stand ein Kind, ein vielleicht sieben- oder achtjähriger Junge. Razamon erschrak.

Der Junge fragte: »Arbeitest du hier?« Der vertrauliche Tonfall ließ Razamon er-

kennen, daß das Kind gerade erst aufgetaucht war. Das erleichterte ihn.

»Ja«, sagte er schrill. »Ich arbeite hier!« Er machte eine vage Geste. »Du siehst ja, was hier alles zu tun ist. Am besten, du ver-schwindest jetzt und läßt mich allein.«

Der Knabe dachte angestrengt nach. »Seltsam«, sagte er. »Warum sind keine

Roboter hier?« »Ich bin ein Spezialist«, erklärte Razamon.

»Für solche Sachen zieht man Spezialisten heran, verstehst du?«

Das Kind nickte zögernd. »Ich werde meine Sachen holen«, verkün-

dete Razamon und drang in die Schneise ein. Er drehte sich ab und zu um, aber der Junge folgte ihm nicht. Als er den See umrundet hatte, kletterte er den Damm hinauf. Schräg unter ihm lag eine kleine Siedlung. An den Schrifttafeln über den Flugschneisen erkannte er, daß es sich um Trantor handelte, eine klei-ne Vorstadt im Osten von Terrania. Das Zool lag mindestens zwanzig Meilen von hier ent-fernt.

Razamon erschauerte bei dem Gedanken daran, daß er diese Strecke unbewußt zurück-gelegt hatte.

Hier oben auf dem Damm konnte er nicht bleiben.

Ob er es riskieren konnte, ins Zool zurück-zukehren? Er hatte alles dort zurückgelassen, vor allem aber sein Geld.

Er rutschte den Damm auf der anderen Sei-te hinab und gelangte auf den Landeplatz ei-nes Einkaufszentrums, das so früh am Morgen noch geschlossen hatte.

Razamons Schritte hallten über den Platz, er ging durch eine Lücke zwischen den anein-ander geketteten Antigraveinkaufspaletten bis zu einem Schuhgeschäft. Auf der Straße zwi-schen den Kaufhäusern suchten ein paar Tau-ben nach Futter.

Tauben! dachte Razamon. Fast überall gab es diese Tiere. War auch ihr Ende am drei-ßigsten August gekommen?

Er blieb vor einem Schaufenster stehen und betrachtete sein Spiegelbild. Den Anblick der dunklen Höhlen in seinem Gesicht war er gewöhnt. Er stellte fest, daß er ziemlich abge-rissen aussah. In diesem Zustand würde er überall, wo er auftauchte, Mißtrauen erwe-cken.

An einer Wasserstelle tauchte er den Kopf unter den kalten Strahl und trank. Danach fühlte er sich besser. Sein Haar hing ihm jetzt klatschnaß in der Stirn.

Er drehte sich langsam um die eigene Ach-se.

Das alles würde verschwinden! dachte er. Gewaltige Flutwellen würden alles hinweg-spülen, oder Erdbeben würden das Land ver-

31

Page 32: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

wüsten. Vielleicht aber ging in diesem Gebiet auch alles glimpflich ab, so genau konnte man das nie vorhersagen.

Wer bei der eigentlichen Katastrophe nicht ums Leben kam, würde ein Opfer der Horden der Nacht und der Berserker werden.

Jene, die sofort starben, würden noch die Glücklichsten sein.

Und es war unabwendbar! Trotz der beeindruckenden Technik des So-

laren Imperiums bestand keine Möglichkeit, den Korridor zu vernichten und Pthor aufzu-halten, auch dann nicht, wenn sich die Menschheit der drohenden Gefahr wirklich bewußt geworden wäre.

Ich hätte sie warnen müssen! dachte Raza-mon verzweifelt.

Aber was hätte das schon genutzt? Er stellte sich vor, was wäre, wenn er zu ei-

ner Polizeistation ginge, vor einen Beamten träte und sagte: »Mein Name ist Razamon! Ich bin ein unsterblicher Atlanter!«

*

Die Sirenen des Krankengleiters verklan-

gen in der Ferne. Carmel Sphinx bedauerte, daß ausgerechnet

jener Bewohner des Zool, der die interessan-testen Aussagen über Tervor Aretosa hätte machen können, nicht dazu in der Lage war. Prien Gersell, den sie auch »Oberst« nannten, hatte einen schweren Schlaganfall erlitten.

Sphinx war vor einer halben Stunde in dem kleinen Hotel eingetroffen. Nachdem der Be-sitzer wegen der Zerstörung Anzeige erstattet und eine Beschreibung seines Gastes (Aretosa hatte sich diesmal Kurgo Feltran genannt) durchgegeben hatte, war man bei der routi-nemäßigen Auswertung in der zentralen Fahndungsstelle sofort auf Aretosas Akten gestoßen. USO und SolAb waren benachrich-tigt worden.

Purflinth, der zusammen mit Sphinx ange-kommen war, flegelte an der Theke vor dem Empfang herum. Er hing so lässig da, daß seine Körperbiegungen einem aufmerksamen Beobachter ungewöhnlich erscheinen mußten.

Sphinx ging zu ihm und versetzte ihm einen Ellenbogenstoß.

Der Hotelier kam aus der Robotküche.

»Dieser Kunstmaler kommt nicht zu sich«, sagte er bedauernd. »Wir könnten ihn zu einer Krankenstation bringen lassen, die bringen ihn wieder auf die Beine.«

Sphinx winkte ab. »Die Mitglieder der Artistengruppe sind

unterwegs, um Einkäufe zu machen.« Der Hotelier deutete auf den Eingang zum Auf-enthaltsraum. »Bleibt nur noch Khor, dieser Akone. Aber er hat sich nie um die anderen gekümmert.«

Sphinx sah, daß der Mann zitterte. Wahr-scheinlich fürchtete er um seine Lizenz, die er verlieren würde, wenn man ihm nachweisen konnte, daß er Kriminelle beherbergt hatte. Von Sphinx hatte er jedoch in dieser Hinsicht nichts zu befürchten. Dem USO-Spezialisten ging es nur darum, Aretosa zu fassen.

»Ich möchte mir jetzt Aretosas Zimmer an-sehen«, verlangte er. »Purflinth, du wartest hier unten und paßt auf, ob einer der anderen Gäste zurückkommt. Laß keinen von ihnen wieder weggehen.«

Der Matten-Willy rutschte an der Theke entlang.

»Gibt es hier eine Hotelbar?« fragte er in scharfem Ton.

Der Hotelier warf Sphinx einen verwirrten Blick zu.

»Eine ... äh ... Routinefrage!« sagte der kleine Spezialist und warf seinem Begleiter einen wütenden Blick zu.

Sie gingen zum Obergeschoß hinauf. Ja, dachte Sphinx seltsam berührt. Tervor

Aretosa war hier gewesen! Der Treppenauf-gang und der Korridor oben zwischen den Zimmern waren vom Fluidum dieses Ge-heimnisvollen geschwängert. Der Hotelier hätte ihn wahrscheinlich ausgelacht, wenn er diesen Gedanken laut ausgesprochen hätte.

Sphinx stieß die Tür auf und blickte in das einfach eingerichtete Zimmer.

Sein Begleiter deutete auf die Spuren der Zerstörung.

»Das hat er getan!« stieß er haßerfüllt her-vor. Er ging zur Wand und hob die kleine Couch hoch. »Da lag der Oberst!«

Sphinx nickte und begann sich umzusehen. Der Gedanke, daß Aretosa am vergangenen

Abend noch hier gewesen war, bereitete ihm Unbehagen. Er öffnete den Wandschrank. Ein

32

Page 33: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

paar Kleider hingen darin. Auf der oberen Ablage befand sich ein schäbig aussehender Koffer.

Sphinx zog ihn heraus und legte ihn auf den Boden. Mit zwei geschickten Griffen öffnete er das Schloß. Der Deckel sprang auf.

Der Koffer war mit Geldscheinen gefüllt. Sphinx hörte, daß der Hotelier einen Pfiff ausstieß.

Der USO-Spezialist begann mit beiden Händen in den Banknoten zu wühlen. Er spür-te etwas Hartes und griff zu. Dann zog er eine Gußplatte heraus.

»Das Artefakt!« sagte er triumphierend. »Das Original!«

*

Der Beamte in der Wachstube war so müde

und mißgelaunt, wie ein Mann so früh am Morgen überhaupt sein konnte. Er hatte einen Plastikbecher mit heißem Kaffee neben sich auf dem Tisch stehen und war damit beschäf-tigt, Karteiblätter abzulegen. Als Razamon eintrat, blickte er nicht einmal auf.

»Alle Formulare liegen drüben am Schreib-tisch«, sagte er.

»Mein Name ist Razamon«, sagte Raza-mon.

Irgend etwas am Klang dieser Stimme ve-ranlaßte den Wachhabenden aufzublicken. Er musterte Razamon abschätzend.

»Die Sozialstation befindet sich vier Blocks weiter«, sagte er schließlich. »Dort wird man sich Ihrer annehmen.«

»Sie verstehen nicht«, sagte Razamon. »Ich bin gekommen, um mich zu stellen. Mein Name ist Razamon. Ich bin ein Atlanter.«

Einen Augenblick sah es so aus, als wollte der Mann laut auflachen. Ein Blick in Raza-mons Gesicht ließ dieses Lachen jedoch im Ansatz ersticken.

»Hören Sie!« sagte er unwirsch. »Jeder dritte hält sich für einen Atlanter. Ich will damit nichts zu tun haben, ich glaube nicht an diese Geschichten. Sie können mich nicht bekehren. Verschwinden Sie!«

Mit einem Sprung war Razamon neben dem Mann, packte ihn an seiner Jacke und zog ihn mühelos hoch. Der Beamte stieß ent-setzt einen Schrei aus und strampelte heftig.

»Sie haben eine Fahndungsliste?« Razamon hielt erbarmungslos fest.

»Ja«, ächzte der Mann, der einen hochroten Kopf bekommen hatte. »Um Himmels willen, lassen Sie mich los.«

Razamon ließ ihn auf den Boden herab. »Sehen Sie nach, ob darin ein Tervor Are-

tosa eingetragen ist«, befahl er. »Ich bin die-ser Mann. Man sucht mich. Verhaften Sie mich.«

Der Beamte sah ihn unglücklich an. Er strich seine Jacke zurecht und schaltete die elektronische Kartei ein. Der Bildschirm fla-ckerte auf, der Name Tervor Aretosa erschien zusammen mit einigen anderen.

»Was werden Sie jetzt tun?« erkundigte sich Razamon grimmig.

Der Beamte schluckte. »Ich verhafte Sie!« sagte er tapfer. »Blei-

ben Sie stehen und rühren Sie sich nicht. Ich alarmiere die Zentrale.«

»Ich warte«, sagte Razamon. Er lächelte bedauernd. »Eigentlich schade, daß Ihnen der Erfolg nicht weiterhelfen wird. Bevor man Sie befördern kann, wird die Welt untergehen.«

»Sie sind ja verrückt«, murmelte der Beam-te. »Alle diese Spinner, die zu den Atlantis-Sekten gehören, sind verrückt.«

*

»Machen Sie sich auf eine Sensation ge-

faßt«, sagte Mercant anstelle einer Begrü-ßung. Selten zuvor hatte Atlan den unschein-baren Mann so ernst gesehen wie in diesem Augenblick. Der SolAb-Chef hatte Atlan in dessen Büro angerufen.

»Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Al-lan«, sagte Atlan. Dachte Mercant vielleicht, er könnte ihm keinen neuen Schock zumuten? Seit ein paar Tagen wurde der Arkonide von einem Gefühl grimmiger Entschlossenheit durchdrungen. Er würde die Rätsel um Atlan-tis lösen, um endlich seine Ruhe wiederzufin-den.

»Das Labor hat schnell gearbeitet«, fuhr Mercant fort. »Die Wissenschaftler haben das Artefakt, das Sphinx gefunden hat, unter-sucht. Es ist fünfzig Millionen Jahre alt.«

Atlans Gefühle waren wie ausgelöscht. Er saß da und rührte sich nicht. Sein einziger

33

Page 34: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Gedanke war: Fünfzig Millionen Jahre!

»Fragen Sie mich nicht, ob ich sicher bin«, klang Mercants Stimme abermals auf. »Die Wissenschaftler sind sicher. Sie täuschen sich nicht. Dieses Ding stammt nicht von der Er-de.«

»Das besagt noch gar nichts«, sagte Atlan schließlich. »Es kann Teil eines großangeleg-ten Schwindels sein.«

Er erhob sich. »Haben Sie Perry informiert?« »Er wußte es zuerst. Die Administration

wurde vom Labor aus unterrichtet.« Mercant strich über seinen schütteren Haarkranz. »Sie wissen, daß ich von Anfang an der Meinung war, daß eine extraterrestrische Macht hinter dieser Massenpsychose um Atlantis steckt. Daran kann jetzt nicht mehr gezweifelt wer-den.«

»Sie glauben also auch, daß am dreißigsten August irgend etwas passieren wird?«

»Ich habe Perry Rhodan empfohlen, Ver-bände der Solaren Flotte im Solsystem zu-sammenzuziehen und alle Wachstationen zu alarmieren«, erwiderte Mercant ausweichend. »Wir sollten auf alle Eventualitäten vorberei-tet sein.«

Mercant glaubte also, daß ein Angriff aus dem Weltraum erfolgen würde, überlegte At-lan. Für diesen nüchtern denkenden Mann war es einfach unvorstellbar, daß Atlantis sozusa-gen aus dem Nichts wieder auftauchen könn-te.

Als hätte er die Gedanken des Arkoniden erraten, fügte der SolAb-Chef hinzu: »Auf-grund der letzten Auswertung aller seismo-graphischen Messungen können wir aus-schließen, daß es im Atlantik innerhalb der nächsten Zeit zu vulkanischen Aktivitäten oder Erdbeben kommen wird. Das wären ja die Voraussetzungen für ein Wiederauftau-chen dieses rätselhaften Kontinents. Darüber hinaus habe ich einige Tiefseeforschungs-schiffe das gesamte in Frage kommende Ge-biet absuchen lassen. Sie fanden nichts, über-haupt nichts! Abgesehen von Ihrer Kuppel bei den Azoren, aber dort ist ebenfalls alles ru-hig.«

»Sie haben wohl an alles gedacht!« Atlan sprach ohne Sarkasmus.

»Ich bin für die Sicherheit der Menschheit

verantwortlich«, erklärte Mercant ohne jedes Pathos. »Dabei kann ich mir nicht erlauben, irgend etwas bei meinen Nachforschungen auszuklammern. Ich habe über meine Maß-nahmen jedoch nicht geredet, denn wenn sie bekannt geworden wären, hätte die beunru-higte Öffentlichkeit sofort daraus geschlossen, daß an der ganzen Geschichte doch etwas Wahres sein könnte.«

»Für Sie ist Atlantis damit erledigt?« »Ja, zumindest in der Form, wie es auf den

Straßen gepredigt wird. Ich denke, daß ein heimtückischer Anschlag geplant ist, den wir vielleicht erst durchschauen, wenn es fast zu spät sein wird.«

Atlan war mehr denn je davon überzeugt, daß er irgend etwas übersehen hatte. Der Kontinent Atlantis war vor zehntausend Jah-ren endgültig untergegangen, und keine Macht des Universums konnte ihn zurück-bringen. Was also sollte geschehen?

»Ich habe lange über alles nachgedacht«, sagte Mercant. »Vielleicht sind Sie damals so früh in Ihre Kuppel gegangen, daß Sie irgend etwas Entscheidendes versäumt haben.«

Atlan runzelte die Stirn. »Woran glauben Sie? An eine Invasion aus

dem Weltraum oder an die Atlantis-Legende?«

»Eines schließt doch das andere nicht aus«, meinte der Zellaktivatorträger. »Jene Macht aus dem Weltraum, die uns heute bedroht, kann bereits damals angegriffen haben.«

»Die Druuf?« Mercant winkte geringschätzig ab. »Die Druuf profitierten damals und im Jah-

re zweitausenddreiundvierzig von den Über-lappungsfronten zweier Raum-Zeit-Kontinua. Sie haben einfach losgeschlagen, wenn sich eine Gelegenheit dazu ergab. Was wir jetzt erleben, scheint von langer Hand vorbereitet worden zu sein.«

Natürlich hatte Mercant recht! dachte At-lan. Nun, da man das echte Artefakt gefunden hatte, gewann der darauf eingravierte und von NATHAN zumindest dem Symbolgehalt nach entschlüsselte Text eine neue Bedeutung. Mercant sprach mehr oder weniger von der Möglichkeit einer immer wiederkehrenden Bedrohung aus dem All – und diese Ansicht deckte sich mit den Prophezeiungen des Arte-

34

Page 35: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

fakts.

Unwillkürlich warf Atlan einen Blick auf den Datenanzeiger über der Tür.

28. August 2648 las er. »Wir haben noch zwei Tage Zeit«, sagte er

ironisch. »Ich wünschte, es wären zwanzig«, gestand

Mercant. »Wir kommen einfach nicht weiter. Auch die Überprüfung Casneurs und der an-deren Sektenführer hat keine Erfolge ge-bracht. Diese Sorte Menschen nutzt lediglich eine bestehende Situation aus, sie haben sie jedoch nicht verursacht.«

Atlan war beruhigt, daß Perry Rhodan sei-nem Wunsch gefolgt war und die Anzahl der Feldprojektoren im Erdorbit verdoppelt hatte. Diese lampenschirmförmigen Satelliten soll-ten im Verlauf des 29. August aktiviert wer-den. Alles, was dann im Gebiet des ehemali-gen Atlantis auftauchen sollte, würde unter einem undurchdringlichen Schutzschirm lie-gen. Rhodan hielt diese Vorsichtsmaßnahme für übertrieben.

»Atlan!« rief Mercant in diesem Augen-blick. Auch auf dem Bildschirm war zu sehen, daß der kleine Mann voller Erregung auf-sprang. »Es ist etwas Entscheidendes gesche-hen.«

»Ich höre«, sagte der Arkonide alarmiert. »Wir haben diesen Aretosa«, verkündete

Mercant.

* Seine fast völlige Amnesie, was die Gege-

benheiten und Vorgänge auf Pthor betraf, belasteten Razamon schwer. Er wußte, daß für diesen Zustand ebenso die Herren von Pthor verantwortlich waren wie für seine Verbannung auf die Erde. Als er damals zu-sammen mit den Horden der Nacht und den Berserkern auf diese Welt gekommen war, hatte sich in ihm ein nie gekanntes Gefühl geregt: Mitleid für jene Kreaturen, die die Katastrophe überlebt hatten und nachträglich umgebracht werden sollten.

In völliger Umkehrung seines Auftrags hat-te Razamon dafür gesorgt, daß zahlreiche Eingeborene dem Massaker entkommen wa-ren.

Den Mächtigen von Pthor war seine Hand-

lungsweise nicht verborgen geblieben. Sie hatten ihn zur Strafe auf die Erde verbannt und ihm einen Zeitklumpen an das Bein ge-hängt, so daß sein Alterungsprozeß gestoppt worden war.

Seit über zehntausend Jahren war Razamon nun schon dazu verurteilt, unter verschiede-nen Namen und in verschiedenen Rollen auf der Erde zu leben.

Zwar beherrschte er noch immer Pthora, die Sprache seiner Heimat aber er konnte sich kaum noch an Pthor erinnern.

Die Hoffnung, eines Tages dorthin zurück-kehren zu können und die verbrecherischen Herrscher zu stürzen, hatte Razamon auf-rechterhalten. Im Verlauf der Jahrtausende war er immer weiter vermenschlicht, nur noch gelegentlich brach jene schreckliche Kraft in ihm durch, die er einst zur Vernichtung intel-ligenten Lebens eingesetzt hatte. Doch Raza-mon hatte gelernt, mit diesen Gegebenheiten zu leben. Er wußte, wie er sich abreagieren konnte.

Alles, was Razamon als Erinnerung geblie-ben war, das Parraxynt mit seinen propheti-schen Andeutungen, befand sich jetzt in den Händen der terranischen Regierung. Um die Menschen vor der drohenden Gefahr zu war-nen, hatte Razamon Kopien des Parraxynts herstellen lassen und sie in Umlauf gebracht. Gegen seinen Willen waren diese Kopien dann in die Hände skrupelloser Geschäftema-cher geraten und hatten ihren Effekt verfehlt.

Ein ebenso großer Fehlschlag war Raza-mons Versuch gewesen, vorsichtig das Ge-rücht von einer Wiederkehr des versunkenen Kontinents Atlantis auszustreuen. Fanatiker und Spinner hatten sich dieser Idee bemäch-tigt und sie kolportiert.

Vorbeugende Gegenmaßnahmen waren ausgeblieben, so daß Razamon sich jetzt, zwei Tage vor der Stunde X, fragen mußte, ob es überhaupt noch eine Rettungsmöglichkeit für die terranische Zivilisation gab.

Razamon rechnete fest mit einer globalen Katastrophe.

Durch seinen Zeitklumpen spürte er immer stärker werdenden Druck Pthors aus dem Di-mensionskorridor.

Vielleicht hätte er sich früher stellen sollen, überlegte er. Aber am Beginn der Atlantis-

35

Page 36: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Hysterie hätte man ihm nicht geglaubt. Er wäre verlacht und weggeschickt worden. Erst im Endstadium der Entwicklung konnte er hoffen, gehört zu werden.

In mancher Beziehung, dachte Razamon, empfand er sich bereits als Mensch, als Be-wohner dieses Planeten.

Andererseits war er Pthorer geblieben. Diese Gedanken gingen ihm durch den

Kopf, als er in der kleinen Wachstube saß und geduldig darauf wartete, daß man ihn abholte. Er wunderte sich darüber, wie langsam sich alles abspielte, es dauerte offenbar eine ge-wisse Zeit, bis der Mechanismus der Bürokra-tie ins Rollen gekommen war.

Razamon zweifelte trotzdem nicht daran, daß man ihn mit den höchsten Stellen der Administratur in Verbindung bringen würde, vielleicht sogar mit Perry Rhodan und Atlan selbst. Die Lage hatte sich derart zugespitzt daß die Verhaftung Razamons den Verant-wortlichen auf der Erde wie eine Erlösung erscheinen mußte.

Die trockene Wärme in der kleinen Polizei-station hatte Razamon schläfrig gemacht, sei-ne Gedanken verloren sich. Er schloß die Au-gen, sein Kopf sank auf die Brust.

Der eingeschüchterte Beamte ließ ihn nicht aus den Augen, wahrscheinlich sehnte er den Zeitpunkt herbei, da er den seltsamen »Ge-fangenen« endlich loswerden sollte.

Endlich landete ein gepanzerter Gleiter der SolAb vor der Wachstation. Allan D. Mercant selbst in Begleitung zweier hoher Offiziere befand sich in der Maschine.

Der Lärm weckte Razamon aus dem Halb-schlaf.

Mercant trat ein und übersah die Szene mit einem Blick.

»Tervor Aretosa?« »Das war einmal!« Razamon lächelte.

»Mein Name ist Razamon.« »Der Lordadmiral erwartet Sie!« Mercant

machte eine einladende Geste in Richtung der Tür. »Haben Sie irgendwelche Wünsche? Sie können einen Anwalt verlangen, aber in An-betracht der Lage werden Sie darauf sicher verzichten.«

An die Möglichkeit, daß man ihm einen Prozeß machen könnte, hatte Razamon über-haupt noch nicht gedacht. Auch Mercant

schien dies nur als Hypothese in Betracht zu ziehen.

Razamon folgte den drei Männern von der SolAb hinaus. Ein paar Neugierige hatten sich draußen versammelt und beobachteten, wie Razamon und die Terraner in den Gleiter klet-terten.

Der Beamte war Mercant auf die Straße ge-folgt und versuchte nun wichtigtuerisch die Zuschauer zurückzudrängen.

»Woher haben Sie dieses uralte Artefakt?« erkundigte sich Mercant, nachdem er sich in den freien Sitz neben Razamon hatte sinken lassen.

»Von Pthor«, erwiderte Razamon bereitwil-lig. »Oder, wie Sie sagen würden, von Atlan-tis. Es heißt Parraxynt, und die Legende be-richtet, daß der, dem es eines Tages gelingt, alle Bruchstücke zusammenzusetzen, das Ge-heimnis von Pthor lösen wird.«

Mercant warf ihm einen Seitenblick zu. »Sie behaupten also allen Ernstes, von At-

lantis zu kommen?« »Ja«, sagte Razamon. Mercant schnaubte. »Ich halte Sie für das Mitglied einer Fünf-

ten Kolonne, die eine außerirdische Macht auf die Erde geschickt hat, um alle Vorbereitun-gen für einen Anschlag oder eine Invasion zu treffen!«

Razamons Lippen zuckten. »Im ursprünglichen Sinn haben Sie sogar

recht, Mercant. Ich nahm an einer Invasion der Erde teil – vor mehr als zehntausend Jah-ren.«

Der SolAb-Chef winkte ärgerlich ab. »Hören Sie doch damit auf! Es gibt einen

Augenzeugen der damaligen Ereignisse, das sollten Sie eigentlich wissen. Wie wollen Sie Ihre Lügen vor Lordadmiral Atlan aufrechter-halten?«

Als Razamon nicht antwortete, fuhr er fort: »Damals ist der Kontinent Atlantis unterge-gangen – unwiederbringlich!«

»Ihr Atlantis ist untergegangen, nicht zu-letzt aufgrund des ungeheuren Drucks, den Pthor aus dem Dimensionskorridor ausgeübt hat. Dort, wo sich der Kontinent Atlantis be-funden hatte, materialisierte Pthor und blieb einige Zeit an dieser Stelle. Auch diesmal wird Pthor im Atlantik auftauchen, wahr-

36

Page 37: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

scheinlich in jenem Gebiet, wo sich in ferner Vergangenheit einmal der östlichste Zipfel von Atlantis befand.«

»Ich glaube fast, Sie sind von dem, was Sie sagen, überzeugt!« sagte Mercant unsicher. »Trotzdem können Sie nicht so alt sein, wie Sie behaupten.«

Razamon befeuchtete die Lippen mit der Zungenspitze. Er war zutiefst erleichtert, daß das Versteckspiel endlich ein Ende gefunden hatte. Nun sah er den kommenden Ereignissen fast mit einer gewissen Gelassenheit entge-gen.

»Auch Atlan ist sehr alt«, hielt er Mercant entgegen. »Sie selbst tragen einen Zellaktiva-tor und sind relativ unsterblich. Wenn man Ihrem Leben kein gewaltsames Ende bereitet, können Sie in zehntausend Jahren noch im-mer existieren.«

»Sie haben aber keinen Zellaktivator!« »Dafür habe ich einen Zeitklumpen am

Bein.« »Erwarten Sie nicht, daß ich danach frage,

was das ist!« sagte Mercant brummig. »Atlan wird sich mit Ihnen befassen.«

Razamon blickte aus dem Seitenfenster. Unter ihm lag Terrania.

»Wir haben vieles gemeinsam, dieser Atlan und ich«, sagte er.

8.

Trotz der dringenden Ermahnungen seiner

Mitarbeiter hatte Atlan auf alle Vorsichts-maßnahmen verzichtet. Er trug weder eine Waffe, noch hatte er einen Individualschutz-schirm angelegt, wozu man ihm geraten hatte.

Außerdem war er entschlossen, allein mit Razamon zu sprechen. Auch Mercant, der die Ankunft des Gefangenentransports bereits über Funk angekündigt hatte, sollte zunächst außerhalb von Atlans Büro warten. Perry Rhodan, Bully und Tifflor waren zur Stunde unabkömmlich, sie verabschiedeten die Kommandanten einer Explorerflotte, die noch heute in den Halo der Milchstraße aufbrechen und neue Planeten erforschen sollte. Daran erkannte Atlan, wie wenig der Rummel um Atlantis dem normalen Ablauf der Dinge auf dieser Welt im Grunde genommen geschadet hatte. Eigentlich hatte sich überhaupt nichts

verändert. Vielleicht sah er alles aufgrund seiner Ver-

gangenheit in einem falschen Licht, dachte Atlan. Er dramatisierte unbewußt Vorgänge, über die andere lächelten.

Seine Zweifel erloschen in dem Augen-blick, da Razamon das Zimmer betrat.

Atlan hatte lange genug gelebt, um außer-gewöhnliche Menschen sofort zu erkennen.

Der Mann, der jetzt vor ihm stand, war nicht nur von seinem düsteren Aussehen her eine imponierende Erscheinung. Eine Aura des Geheimnisvollen und der schicksalhaften Bedeutung umgab ihn, er präsentierte sich dem Arkoniden als ein Stück lebendig geblie-bener rätselhafter Vergangenheit. Dieser Ein-druck war so intensiv, daß Atlan ihm sofort erlag.

Der Ankömmling wich Atlans Blicken nicht aus, er zeigte keine Anzeichen von Un-sicherheit oder gar Furcht.

Unwillkürlich fragte sich der Arkonide, was es bedeuten mochte, einen solchen Mann zum erbarmungslosen Gegner zu haben.

»Willkommen, Razamon!« sagte er. »Be-trachten Sie sich als mein Gast, nicht als mein Gefangener.«

Razamon verschränkte die Arme über der Brust und blieb breitbeinig stehen.

»Ich wurde niemals gefangengenommen«, versetzte er gelassen. »Ich habe mich gestellt, weil ich es für richtiger hielt.«

Atlan deutete auf einen Sessel. »Sie können sich setzen! Haben Sie ir-

gendwelche Wünsche? Ich lasse gern etwas kommen.«

»Nein«, sagte Razamon. Er durchquerte in seinem leicht humpelnden, aber kraftvoll wir-kenden Gang das Büro und nahm in dem an-gebotenen Sessel Platz.

»Ich werde Sie in mancherlei Beziehung enttäuschen müssen«, meinte er. »Die Ge-schichte, die ich zu erzählen habe, ist unvoll-ständig, und das Wichtigste davon kennen Sie bereits. Als man mich von Pthor verstieß, nahm man mir die Erinnerung an die dortigen Gegebenheiten. Vielleicht war das eine Vor-sichtsmaßnahme, vielleicht auch nur eine Schikane.«

»Sie bestehen also darauf, ein Atlanter zu sein?«

37

Page 38: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

»Ein Pthorer!« korrigierte Razamon. »Ob-

wohl natürlich von Ihrem Standpunkt aus die andere Bezeichnung genauso zutreffend ist.«

»Und Sie behaupten, daß Atlantis – Pthor – übermorgen auftauchen wird?«

»Allerdings! Sie haben nur noch verdammt wenig Zeit, um irgend etwas zu unterneh-men.«

Atlan schaltete die Aufzeichnungsgeräte ein. SolAb und USO mußten sofort über alle Einzelheiten informiert werden, damit even-tuell noch Gegenmaßnahmen getroffen wer-den konnten.

»Sagen Sie alles, was Sie wissen!« forderte er Razamon auf. »Wenn Sie wie Sie behaup-ten, auf unserer Seite stehen, müssen Sie uns helfen.«

»Ich versuche, mir selbst zu helfen«, erwi-derte Razamon. »Und ich habe nur den einen Wunsch, nach Pthor zurückzukehren und die dortigen Machthaber zu vernichten, damit sie kein Unheil mehr über blühende Zivilisatio-nen bringen können.«

*

Razamons Erinnerungsvermögen war so

stark beeinträchtigt, daß seine Geschichte unvollkommen wirkte. Bruchstücke davon waren Atlan bereits bekannt, obwohl er sie bisher als unglaubwürdig abgetan hatte.

Wenn Razamon die Wahrheit sprach, war Atlantis die Waffe einer unbekannten Macht, die unter allen Umständen zu verhindern suchte, daß sich auf bestimmten Planeten in verschiedenen Galaxien hochstehende Zivili-sationen entwickelten. Auch Razamon wußte nicht, wer diese Unbekannten waren und wo sie sich aufhielten. Auf jeden Fall gingen sie ihrer verbrecherischen Tätigkeit schon viele Millionen Jahre nach.

Razamon bestätigte, daß Atlantis in der Vergangenheit schon oft auf der Erde aufge-taucht war und blühende Kulturen vernichtet hatte. Er hielt es für möglich, daß auf diese Weise viele Legenden und Mythen entstanden waren.

Weil Razamon sich gegen dieses Vorgehen aufgelehnt und den Betroffenen zu helfen versucht hatte, war er von Pthor verbannt worden. Man hatte ihn in doppelter Hinsicht

bestraft, indem man ihm die Erinnerung an seine Heimat genommen und ihn mit einem Zeitklumpen belastet hatte.

Razamon hatte unter verschiedenen Namen bei vielen Völkern der Erde gelebt und ihren Aufstieg und ihren Untergang miterlebt. Dank seiner Erfahrung und seiner ungewöhnlichen Körperkräfte war es ihm bei gefährlichen Si-tuationen immer wieder gelungen, sich in Sicherheit zu bringen.

Alles, was er von Pthor gerettet hatte, war das geheimnisvolle Parraxynt, jenes metalli-sche Bruchstück, in das prophetische Bot-schaften eingraviert waren.

Razamon zweifelte keinen Augenblick dar-an, daß alle Prophezeiungen des Parraxynts eintreffen würden. Da er seine Muttersprache, Pthora noch immer perfekt beherrschte, konn-te er die Hieroglyphen in der Oberfläche des Artefakts einwandfrei übersetzen. Seine Ü-bersetzung deckte sich nahezu vollständig mit dem von NATHAN entschlüsselten Text.

Dieser Mann, erkannte Atlan betroffen, war zutiefst von dem überzeugt, was er berichtete.

Je länger Atlan zuhörte, desto wahrschein-licher erschien es auch ihm, daß die angekün-digte Katastrophe in dieser oder jener Form eintreten würde.

Er erzählte Razamon von seinen Gegen-maßnahmen. Der Pthorer war erleichtert, als er davon hörte, daß im Erdorbit zahlreiche Satellitenprojektoren aktiviert werden sollten, die jeden noch so großen Fremdkörper im Atlantik isolieren würden. Allerdings war Razamon nicht davon überzeugt, daß diese Maßnahmen ausreichten.

Atlan teilte diese Ansicht. Ohne sich darum zu kümmern, daß Perry

Rhodan außerhalb der Administration weilte, gab der Lordadmiral der USO Alarm für das Solarsystem.

*

Im gewissen Sinne erschienen die gemein-

samen Maßnahmen der USO, der SolAb und der Solaren Flotte absurd, denn es gab keinen sichtbaren Feind. Die Ortungssysteme der innerhalb des Solsystems stehenden Schiffe suchten den gesamten Weltraum ab, ohne die geringsten Hinweise für das Auftauchen einer

38

Page 39: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

fremden Invasionsflotte zu entdecken. Die Besatzungen der gepanzerten Weltraumforts lösten sich an den Impuls- und Transformka-nonen ab; sie hätten mit ihren Waffen die Er-de durch einen Wall aus lodernder Energie schützen können.

Die Azoreninseln wurden innerhalb weni-ger Stunden evakuiert ebenfalls die Tiefsee-städte in diesem Bereich. Alle Fischfarmen wurden geschlossen, für die Küsten bestanden besondere Sicherheitsvorschriften. Die Schif-fe mußten die Häfen aufsuchen, und kein Fluggleiter durfte das als Materialisations-punkt in Frage kommende Gebiet überqueren.

Die im Erdorbit stationierten Satellitenpro-jektoren wurden aktiviert und ein undurch-dringlicher kombinierter HÜ- und Paratron-schirm legte sich über eine große Fläche des Atlantiks.

Erdstreitkräfte und Bodenforts wurden in höchsten Alarmzustand versetzt.

Perry Rhodan sprach über Terra-Television zur Erdbevölkerung und bezeichnete die ein-geleiteten Maßnahmen als eine vorbeugende Reaktion auf gewisse Vorfälle. Nach wie vor liege kein Grund zur Beunruhigung vor.

Das änderte nichts an der Tatsache, daß damit die Möglichkeit eines Wiederauftau-chens von offizieller Seite in Betracht gezo-gen wurde. Jene Verantwortlichen, die eine Zunahme der Atlantis-Hysterie befürchtet hatten, täuschten sich jedoch.

Es schien, als sei das Atlantis-Thema mit einem Schlag aus dem Bereich des Okkulten gerückt und zu einem Bestandteil der realen Welt geworden. Praktisch über Nacht verlo-ren die Sekten, die ihren Mitgliedern Rettung verheißen hatten, ihre Anhänger. Die falschen Propheten wurden mit Schimpf und Schande davongejagt. Auch so populär gewordene Prediger wie Roger Casneur blieben von die-ser Entwicklung nicht verschont.

Die Menschheit hatte begriffen, daß sie von einer durchaus realen Gefahr bedroht wurde. In diesem Stadium zogen es die Terraner vor, sich auf die Maßnahmen Perry Rhodans und Atlans zu verlassen. Diese Männer hatten oft genug bewiesen, daß sie in der Lage waren, die Erde vor allen Angriffen zu bewahren.

Am Morgen des 30. August herrschte über-all gespannte Erwartung, doch es gab keine

Anzeichen einer bevorstehenden Panik. Ge-messen an den Ereignissen der vergangenen Wochen blieb es sogar bemerkenswert ruhig.

Die Welt schien den Atem anzuhalten ...

9. 30. August 2648 – Atlantis taucht auf. Atlan schob die Hypnohaube über den

Kopf zurück und richtete sich vom Lager in-mitten des Labors der USO auf. Er brauchte einen Augenblick, um die Benommenheit zu überwinden, dann wandte er sich lächelnd an Razamon und sagte in einwandfreiem Pthora: »Die Programmierung hat funktioniert, Ra-zamon. Ich danke dir für deine Instruktio-nen.«

Der Pthorer, der jetzt eine grünfarbene Kombination der Solaren Flotte trug, nickte ernst.

»Hoffentlich hast du meine Sprache nicht umsonst gelernt, Arkonide! Vielleicht wirst du niemals mit Wesen zusammentreffen, die von Atlantis kommen.«

»Dann kann ich mich immerhin mit dir in deiner Sprache unterhalten und den Text des Parraxynts lesen«, meinte Atlan lakonisch.

»Außerdem besteht die Möglichkeit, daß ich einmal nach Pthor gelangen könnte.«

Razamon sah ihn zweifelnd an. »Niemand wird je gegen den Willen der

Herren von Atlantis dorthin gelangen«, mein-te er. »Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, sind diese Verbrecher dazu in der Lage, Besucher aller Art zu erledigen, noch bevor sie einen Fuß auf Pthor gesetzt haben.«

Die im Labor versammelten Wissenschaft-ler sahen sich unschlüssig an. Schließlich sag-te der ebenfalls anwesende Geoffry Abel Wa-ringer ärgerlich: »Wenn ihr beide wieder In-terkosmo sprecht, können wir auch verstehen, was ihr sagt.«

Atlan entschuldigte sich und blickte auf die Uhr.

»Zwei Stunden nach Mitternacht! Schon ir-gendwelche Nachrichten von unseren Raum-stationen und Beobachtungsflugzeugen aus dem Atlantik?«

»Nein«, sagte Waringer verdrossen und seinem Tonfall war deutlich anzumerken, daß er auch nicht daran glaubte, daß im Verlauf

39

Page 40: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

des Tages die erwartete Meldung eintreffen würde. Zusammen mit seinen Kollegen hatte Waringer eine »Brainstorming-Session« ab-gehalten und war zu der Ansicht gelangt, daß nichts geschehen würde. Es gab keinerlei An-zeichen für ein Ereignis von globaler Bedeu-tung.

Unmittelbar bevor Atlan die Hypnoschu-lung in Pthora begonnen hatte, war Waringer noch drastischer geworden.

»Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Meteor auf das Crest-Denkmal im Park am Goshun-see fällt, ist wesentlich größer als die, daß Atlantis auftaucht«, hatte er verkündet.

Die Skepsis der Wissenschaftler war einer-seits beruhigend, andererseits ließ sie, falls sie sich nicht bestätigen sollte, einen schweren Schock bei diesem Personenkreis erwarten.

Atlan hoffte, daß, wenn es schon zu dem befürchteten Katastrophenfall kommen sollte, dies bald geschehen würde. Er war überzeugt davon, daß das Solsystem und die Erde ge-wappnet waren. Je schneller sie die Gefahr überstehen würde, desto besser für die Menschheit.

Wer waren die Herren von Pthor und in wessen Auftrag handelten sie?

Trotz seines nun zehntausend Jahre wäh-renden Lebens konnte Atlan sich keine Macht vorstellen, die seit über fünfzig Millionen Jahren Kulturen zerstörte. Im Verlauf eines so langen Zeitraums mußte jedes Volk unterge-hen, es sei denn, man berücksichtigte den Faktor Zeit in einer besonderen Weise.

Razamon hatte in dieser Hinsicht einige Andeutungen gemacht, ohne sich jedoch kon-kret auszudrücken. Die Erinnerung des Atlan-ters war einfach zu verschwommen, als daß er sich in dieser Hinsicht hätte festlegen können. Verschiedene Dimensionsbereiche mit ihren unterschiedlichen Zeitabläufen schienen je-doch bei den Operationen Pthors eine große Rolle zu spielen.

Razamon bestritt, daß Mächte, mit denen das Solare Imperium schon konfrontiert wor-den war, irgend etwas mit dem bevorstehen-den Angriff zu tun haben könnten. Wenn er tatsächlich seit zehntausend Jahren auf der Erde lebte, konnte man ihm das getrost glau-ben.

»Laßt uns jetzt in die Kommunikationszent-

rale gehen«, schlug Atlan vor. »Perry und die anderen warten dort bereits auf uns. Ich will die Entwicklung zumindest über die Bild-schirme beobachten.«

Die Funkzentrale der USO in Terrania war vorübergehend zum Hauptquartier des Sola-ren Imperiums geworden. Dort hatten sich alle Verantwortlichen versammelt. Nur Tifflor war nicht zugegen. Er befand sich im Welt-raum, an Bord des Flaggschiffs der Solaren Flotte, der INTERSOLAR.

Waringer und Razamon folgten dem Lord-admiral, die Wissenschaftler und Spezialisten blieben zurück.

Obwohl innerhalb des gesamten Gebäudes eine für diese späte Stunde ungewöhnliche Betriebsamkeit herrschte, war es in den Gän-gen und Räumen still.

Eine gespannte Erwartung beeinträchtigte das Denken und Fühlen der Männer und Frauen. Alle sehnten das Ende dieses 30. Au-gust herbei.

Dabei war es denkbar, daß das Unheil erst morgen oder an einem der nächsten Tage pas-sierte. Razamon hatte diese Möglichkeit er-wähnt.

Die Zentrale war in so helles Licht ge-taucht, daß es den Augen weh tat. Atlan sah, daß Rhodan und Bully zusammen mit ein paar Mutanten und Regierungsmitgliedern vor dem dreidimensionalen Bildschirm saßen. Das, was sich dort abzeichnete, war geradezu ent-täuschend: Der Atlantik mit einem verhält-nismäßig ruhigen Seegang. Hunderte von Ro-botkameras, die ununterbrochen das gesamte Gefahrengebiet abflogen, spielten diese Bilder ein.

Die ganze Situation war so normal, daß At-lan sich unwillkürlich fragte, ob sie nicht alle einem kolossalen Schwindel aufgesessen wa-ren.

*

Der gepanzerte Shift mit den USO-

Spezialisten Carmel Sphinx und Walther De-laney, sowie dem Sonderbeauftragten Purflinth an Bord, gehörte zu den Einheiten, die seit dem Abend des 29. August etwa hun-dert Meilen von der afrikanischen Küste ent-fernt über dem Atlantik außerhalb des Schutz-

40

Page 41: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

schirms patrouillierten.

Sphinx hatte eine Vision, die er einfach nicht los wurde.

Er überlegte, was geschehen würde, wenn das Gebilde, das man erwartete, mit dem Schutzschirm kollidierte.

Würden die Auswirkungen eines solchen Zusammenpralls nicht genauso apokalyptisch sein wie die einer Materialisation im Atlan-tik?

Sphinx tröstete sich damit, daß die Verant-wortlichen schon an diese Möglichkeit ge-dacht und entsprechende Sicherheitsvorkeh-rungen getroffen hatten. Trotzdem wäre ihm wohler gewesen, wenn man ihn zu den Raum-streitkräften abkommandiert hätte, dort wäre er in jedem Fall sicherer gewesen.

Aber was zählte schon die eigene Sicher-heit, wenn der Heimatplanet und seine gesam-te Bevölkerung bedroht waren?

Für eine Evakuierung der Menschheit war keine Zeit mehr geblieben, bestimmt aber hatte man diese Möglichkeit zunächst einmal in Betracht gezogen.

»Du bist an der Reihe«, unterbrach Delaney das Grübeln des kleinen Mannes und machte den Platz an den Kontrollen für ihn frei. »Ich habe alle Beobachtungen eingetragen.« Nicht ohne Sarkasmus fügte er hinzu: »Es handelt sich um einen Schwarm fliegender Fische und vier Möwen.«

Sphinx verzog das Gesicht. »Dir ist das wohl alles gleichgültig?« Sein jüngerer Kollege grinste. »Das nicht, aber ich glaube nicht an diese

ganze Geschichte.« Er nahm einen Becher aus der Ablage und ließ Kaffee aus dem Thermo-behälter einlaufen.

»Jetzt wäre eigentlich Zeit für einen Whis-ky«, ließ Purflinth verlauten. Der Matten-Willy lag quer ausgestreckt auf der hinteren Sitzbank, wobei er mehr einem großen Fisch als einem Menschen glich.

»Es ist sechs Uhr morgens!« rief Delaney und bespritzte das Plasmawesen mit Kaffee.

Purflinth bäumte sich auf. »Laß das!« sagte er wütend. »Du warst eben nicht von Anfang an dabei,

sonst würdest du anders darüber denken«, bemerkte Sphinx und beobachtete die Kon-trollinstrumente.

»Jetzt spielst du wieder auf deinen privaten Frankenstein an«, sagte Delaney und warf sich auf den Sitz. »Morgen werden wir beide darüber lachen.«

Sphinx verkniff sich eine Antwort. Er konnte seinem Begleiter nicht einmal einen Vorwurf machen. Delaney hatte Razamon nicht gesehen das war der Unterschied.

Ein Alarmsignal ertönte. »Paß auf!« rief Delaney. »Du kommst zu

nahe an den Schirm.« Sphinx änderte den Kurs. Wenn er den

Kopf zur Seite drehte, konnte er den weiter westlich fliegenden Shift im Licht der ausge-henden Sonne erkennen.

Ab und zu empfingen sie eine allgemeine Funknachricht aus der Zentrale. Aus keinem Teil des Operationsgebiets lagen beunruhi-gende Meldungen vor.

Der Shift überflog einen sieben Einheiten starken Verband von Patrouillenschiffen der Terra-Marine. Von diesen Schiffen aus wur-den die Projektoren am Meeresgrund kontrol-liert, die zur Stabilisierung und Vervoll-kommnung des Schutzschirms aktiviert wor-den waren.

Sphinx warf einen Blick auf die Karte. Sie hatten sich weiter den Azoren genähert und befanden sich auf der Höhe des 30. Breiten-grads. Damit waren sie bis auf ein paar Mei-len an den äußeren Rand des Energieschirms herangekommen.

Zwischen dem zwanzigsten und dem vier-zigsten Breitengrad hatte einst der Kontinent Atlantis gelegen. Der gewaltige Schutzschirm schloß dieses Gebiet ein.

»Ich lege mich aufs Ohr«, verkündete De-laney. »Du kannst mich wecken, wenn irgend etwas Aufregendes passieren sollte.«

Sphinx nickte. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß jemand jetzt schlafen konnte, aber Delaney schien sich nicht die geringsten Sorgen zu machen.

Wenige Augenblicke später bewiesen gleichmäßige Schnarchgeräusche, daß Dela-ney bereits eingeschlafen war.

Purflinth kam wie ein praller Wassersack auf den Vordersitz geglitten.

»Vielleicht hat Delaney recht«, quäkte er ungehalten. »Wir werden einen Tag nutzlos hier verbringen.«

41

Page 42: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Sphinx beachtete ihn nicht, denn die Nörge-

lei des Matten-Willy zielte lediglich darauf ab, einen Whisky zu bekommen.

Plötzlich fiel ein Schatten über das Meer. Sphinx richtete sich im Sitz auf und blickte

in Richtung der Sonne denn er glaubte, daß sich eine Wolke davor geschoben hätte. Ge-blendet schloß er die Augen. Unverdeckt stand die Sonne über dem Meer. Trotzdem war es dunkler geworden. Die Wasseroberflä-che sah wie ein erstarrtes graues Leinentuch aus.

Sphinx spürte, wie sich in seinem Innern al-les zusammenschnürte. Dieses unerklärliche Phänomen machte ihm Angst.

»Walther!« krächzte er. »Walther, wach auf!«

Delaney hob den Kopf. »Was ist?« murmelte er. »Taucht Atlantis

aus den Fluten?« »Rede keinen Unsinn! Sieh dir den Himmel

an!« »Die Sonne ist weg!« stellte Delaney fest,

dann warf er einen Blick durch die Kuppel ins Freie und stieß eine Verwünschung aus. »Es scheint Nebel aufzuziehen.«

»Mach dich nicht lächerlich!« fuhr Sphinx ihn an. »Es ist keine Spur von Nebel zu se-hen.«

In diesem Augenblick nahm die Funkakti-vität zu. Verschiedene Gleiter- und Schiffsbe-satzungen meldeten ihre Beobachtungen an die Zentrale in Terrania.

Delaney rutschte auf den Nebensitz. Er hat-te seine Gleichgültigkeit abgelegt. Mit blei-chem Gesicht beobachtete er die Kontrollen.

»Alles unverändert!« sagte er leise. »Mas-setaster und Impulsorter zeigen nichts an.«

»Gib eine Meldung durch!« befahl Sphinx. Der junge USO sah ihn mit einer Mischung

aus Verzweiflung und Ratlosigkeit an. »Was soll ich denn sagen? Daß es dunkler

geworden ist und trotzdem die Sonne scheint?«

»Gib unsere Position durch und berichte, was du siehst. Vielleicht ist es wichtig!« Sphinx starrte unverwandt auf die Wasser-oberfläche hinab, als erwarte er, daß jeden Moment etwas Entsetzliches geschehen könn-te.

Delaney begann zu funken.

»Ich glaube«, bemerkte Purflinth hoff-nungsvoll, »jetzt könnten wir alle einen kräf-tigen Schluck vertragen!«

Keiner der beiden Männer beachtete ihn. Die Sonne schien jetzt zu flackern und in

sich zusammenzuschrumpfen. Der Himmel erinnerte an eine überdimensionale über das Meer gestülpte Porzellanschüssel, so daß Sphinx unwillkürlich befürchtete, es könnten Risse darin erscheinen.

Dann brachen alle Funksignale ab. Sphinx fuhr herum. »Hast du abgeschaltet?« »Nein«, sagte Delaney erschrocken. »Die

Verbindung ist mit einem Schlag abgerissen.« Er machte sich an den Einstellungen zu

schaffen, aber die Anlage blieb stumm. »Wir sind von der Zentrale abgeschnitten.« »Nicht nur von der Zentrale«, erklärte

Sphinx grimmig, »sondern auch von allen anderen Patrouillenflugzeugen und -schiffen.«

»Unser Gerät hat einen Defekt«, sagte De-laney.

Sphinx lachte nur hart. Er beugte sich zur Seite. Unten auf dem

Wasser waren ein paar Schiffe zu sehen. Sie schienen im Wasser festgefroren zu sein. Eine Aura aus gelbem Licht umgab sie. Auch auf der Oberfläche des Shifts tanzten jetzt fun-kelnde Lichter, erkannte Sphinx. Die Instru-mente begannen auszuschlagen, aber die Wer-te, die sie anzeigten, lagen in Bereichen, die jede Messung sinnlos erscheinen ließen.

»Was geht da vor?« stöhnte Delaney. »Sind wir in den Schutzschirm geraten? Vielleicht haben sie ihn ausgedehnt, ohne uns vorher zu warnen.«

Sphinx wunderte sich, daß die Steuerung noch immer funktionierte. Der Shift blieb auf dem eingeschlagenen Kurs.

Die Meeresoberfläche begann jetzt in un-wirklichem Licht zu glühen, als hätte jemand einen Flammenteppich ausgebreitet. Der un-heimliche Effekt reichte bis zum Horizont.

Dann erklang ein heller durchdringender Laut, der Sphinx Schmerzen bereitete. Es hör-te sich an, als hätte jemand eine gigantische stählerne Saite angeschlagen, die nun endlos tönte.

Delaney rief: »Wir müssen hier weg!« Sphinx preßte die Lippen aufeinander und

42

Page 43: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

blieb auf Kurs.

Jenseits des Schutzschirms schien sich eine gewaltige dunkle Masse zu manifestieren. Sie schälte sich gleichsam aus dem Nichts, aber ihre Konturen waren nur verschwommen zu sehen.

Delaney verlor die Nerven und warf sich auf Sphinx, um ihn aus dem Pilotensitz zu zerren. Er hatte nicht mit Purflinth gerechnet, der sich von hinten auf ihn fallen ließ und umschlungen hielt.

»Gut gemacht«, sagte Sphinx. Delaney keuchte und wehrte sich verzwei-

felt, aber gegen die Umklammerung des Plasmawesens war er machtlos.

Sphinx schaltete den Robotpiloten ein, denn er fürchtete, daß er eine Panikreaktion begehen könnte.

Unter dem Schutzschirm, mitten im Atlan-tik, materialisierte eine große braune Masse. Sie war in leuchtenden Dunst gehüllt und wirbelte ungeheure Mengen von Wasser-dampf auf.

Nun geschieht es! dachte Sphinx und er-kannte schlagartig, daß er es bis zu diesem Zeitpunkt für unmöglich gehalten hatte. Er konzentrierte sich auf die Kontrollen vor ihm. Sein Blut rauschte im Kopf, er fürchtete, wahnsinnig zu werden.

Atlantis! schoß es ihm durch den Kopf. Da taucht es auf!

*

Später, als die Menschen, die den phantas-

tischen Vorgang als Augenzeugen erlebten, wieder einigermaßen klar und vernünftig den-ken konnten, wurden sie sich der Tatsache bewußt, daß die große Landmasse nicht aus den Tiefen des Atlantiks emporgestiegen, sondern einfach in der Luft und im Wasser materialisiert war. Die seltsame Insel erschien genau auf dem dreißigsten Längengrad und zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Breitengrad der nördlichen Erdhalbkugel.

Auf den Karten, die den untergegangenen Kontinent Atlantis darstellten, nahm dieses Gebilde nur den östlichsten Teil ein und be-deckte damit eine Fläche von ungefähr sie-benhundertdreißig mal fünfhundertsechzig Kilometern. In ihren Umrissen erinnerte die

Insel an ein verzerrtes Sechseck. Das Neue Atlantis, wie es vom Zeitpunkt

seines Erscheinens an genannt wurde, war weder aus dem Weltraum noch aus dem Meer gekommen. Die Art seines Auftauchens gab jenen Wissenschaftlern recht, die von Dimen-sionseinbrüchen gesprochen hatten.

Ein paar Menschen starben vor Angst und Aufregung, und einige fanatische Sektierer begingen Selbstmord. Das waren die einzigen Opfer, die das Erscheinen der Insel forderte. Da das Neue Atlantis unter dem Paratron-schirm materialisiert war, blieben die befürch-teten weltweiten Katastrophen aus. Es gab ein paar schwache Erdbeben, aber es kam nicht einmal zur Entwicklung einer Flutwelle.

Das Neue Atlantis lag von Anfang an unter einer Dunstglocke, so daß von seiner Oberflä-che nicht viel zu sehen war. Darüber hinaus schien es einen eigenen halbkugelförmigen Schutzschirm zu besitzen, der Ortungen un-möglich machte.

Die Besatzungen jener Schiffe und Flugma-schinen, die sich zu nahe am Ort des Gesche-hens aufgehalten hatten, verloren augenblick-lich ihr Gedächtnis und mußten von Robotern aus dem Gefahrenbereich geholt werden. Da-nach normalisierte sich ihr Zustand wieder.

Auch Sphinx, Delaney und Purflinth gehör-ten zu den davon Betroffenen.

*

Unmittelbar vor dem Auftauchen der Insel

versagten alle Funkanlagen an Bord der Schiffe und Flugmaschinen im Atlantik-Sektor. Die flugfähigen Robotkameras sende-ten keine Bilder mehr, so daß die in der USO-Zentrale versammelten Menschen auf die Be-obachtungen der Weltraumstationen und Sa-telliten angewiesen waren. Diese Aufnahmen waren beeindruckend genug, um etwas von dem zu übermitteln, was in diesen Minuten tatsächlich geschah.

Trotz aller Vorbereitungen löste das Ereig-nis bei der Mehrzahl der Beobachter einen gewaltigen Schock aus. Atlan sah Männer und Frauen mit bleichen Gesichtern und weit auf-gerissenen Augen an den Kontrollen sitzen. Einige von ihnen begannen heftig zu zittern und waren nicht in der Lage, die übernomme-

43

Page 44: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

ne Aufgabe durchzuführen.

Der Arkonide selbst spürte, daß ihn eine tief verwurzelte Angst zu überwältigen droh-te. Er hörte, daß jemand aufsprang und aus dem Raum rannte.

Unwillkürlich blickte er zu Razamon hin-über.

Der hagere Mann stand hochaufgerichtet da. Seine Augen glühten in verhaltenem Feu-er, und sein Gesicht wirkte wie eine steinerne Maske. Er schien mehr tot als lebendig zu sein. Atlan bezweifelte, daß sich in diesem Augenblick auch nur ein Gefühl in diesem Fremden regte. Niemand vermochte zu er-messen, was dieses Ereignis für Razamon bedeutete.

Atlan hörte Rhodan sprechen. Der Funk-kontakt zu den Weltraumstationen und den Raumschiffen bestand nach wie vor. Rhodan unterhielt sich mit Tifflor an Bord der IN-TERSOLAR, um ihn über die jüngsten Ereig-nisse zu unterrichten.

Atlan riß seine Blicke gewaltsam vom Bildschirm los und begab sich zu Razamon.

»Das ist es, nicht wahr?« fragte er be-herrscht. »Das ist Pthor?«

Er hatte die Sprache des Unsterblichen be-nutzt. Razamon reagierte nicht, aber sein Körper wurde plötzlich von konvulsivischen Zuckungen geschüttelt.

»Einen Arzt!« rief Atlan erschrocken. Einer der anwesenden Ärzte eilte herbei

und begann sich um Razamon zu kümmern. Atlan bezweifelte, daß der Mediziner viel ausrichten konnte.

»Es sieht aus wie eine Insel«, klang Bullys Stimme auf. »Sie ist etwas unterhalb der Azo-ren erschienen, aber es scheint nicht so, als sei sie aus den Fluten gestiegen oder vom Him-mel herabgefallen.«

»Nein!« bestätigte Mercant. »Sie war ganz einfach plötzlich da.«

Die Positroniken hatten den genauen Standort des Objekts längst ermittelt und ein dreidimensionales Umrißbild auf die Leucht-karte mit dem alten Kontinent Atlantis proji-ziert.

»Das scheint nur der östlichste Teil des e-hemaligen Atlantis zu sein«, bemerkte Bully. »Hoffentlich kommt nichts mehr nach, sonst werden unsere Schutzschirme der Belastung

kaum standhalten.« »Sie begehen einen Denkfehler«, versetzte

Waringer. »Das, was Sie auf dem Bildschirm sehen, ist kein Bruchstück des alten Atlantis. Es ist Pthor, von dem Razamon berichtete.«

»Für mich ist das alles eins«, erklärte Bully kategorisch und drückte damit aus, was alle mehr oder weniger intensiv empfanden.

Rhodan hatte das Gespräch mit Tifflor un-terbrochen.

»Wir haben offensichtlich einen gewaltigen Dimensionseinbruch erlebt«, stellte er fest. »Die Folgen sind noch nicht abzusehen. Au-ßerdem bin ich nicht sicher, ob wir alles, was sich dort auf der Insel befindet, mit Hilfe des Schutzschirms zurückhalten können.«

Atlan verstand, was sein alter Freund mein-te. Der Paratronschirm war nur in diesem Raum-Zeit-Kontinuum wirksam; es bestand die Gefahr, daß die Insel sich auflöste, um außerhalb des Schutzschirms erneut zu mate-rialisieren. Der Arkonide hoffte jedoch, daß ein derartiges Manöver unmöglich war.

Inzwischen war das Neue Atlantis Bestand-teil dieses Kontinuums geworden und unter-lag den hier geltenden Naturgesetzen. Das hieß, daß es vorläufig völlig abgeschirmt war.

»Eines dürfen wir niemals vergessen«, sag-te Rhodan finster. »Auf dieser Insel leben Mächte, die unsere Zivilisation vernichten wollen. Solange das Neue Atlantis sich auf dieser Welt befindet, sind wir alle vom Un-tergang bedroht, auch wenn es uns zunächst einmal gelungen ist, eine globale Katastrophe abzuwenden.«

Wenig später begannen die Robotkameras im Eintauchgebiet wieder zu arbeiten, aber den Bildern, die sie übermittelten, konnten keine Einzelheiten entnommen werden. Auch die Funkverbindung kam wieder zustande. Die ersten Berichte trafen ein, ausnahmslos von Menschen, die noch so unter dem Ein-druck des Geschehens standen, daß sie keine vernünftigen Meldungen zustande brachten.

Jene Schiffe und Flugmaschinen, die sich sehr nahe am Schutzschirm aufgehalten hat-ten, wurden zunächst als vermißt gemeldet, später stellte sich dann heraus, daß sie unver-sehrt waren. Ihre Besatzungen hatten lediglich das Gedächtnis verloren.

Als Rhodan davon hörte, nickte er grim-

44

Page 45: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

mig.

»Das ist bestimmt kein Zufall«, meinte er. »Operationen in unmittelbarer Nähe des Neu-en Atlantis werden damit praktisch unmöglich gemacht.«

Atlan glaubte dieser Bemerkung entnehmen zu können, daß Rhodan in Gedanken bereits mit der Möglichkeit spielte, ein Kommando-unternehmen nach Pthor zu schicken. Nach allem, was man gerade gehört hatte, war ein solcher Versuch jedoch zum Scheitern verur-teilt.

Der Arkonide fragte sich, ob das Neue At-lantis ein künstlich entstandenes Gebilde war oder eine Landmasse, die man aus einem Pla-neten herausgelöst hatte. Beides war denkbar, und die Frage ließ sich wahrscheinlich erst dann beantworten, wenn man Pthor betrat und sich dort umsah.

Es war eine Ironie des Schicksals, daß sie einen echten Atlanter auf ihrer Seite hatten, ohne daß dieser ihnen hätte helfen können. Razamon hatte fast alles vergessen, was mit Pthor zusammenhing.

Trotzdem wären sie ohne seine Aktivitäten jetzt wahrscheinlich bereits alle tot gewesen.

»Nachdem wir den ersten Anschlag erfolg-reich abgewehrt haben, wollen wir überlegen, wie wir die Invasoren zurückschlagen kön-nen«, sagte Perry Rhodan. »Wegen des Schutzschirms kommt eine Bombardierung der Insel nicht in Frage, ganz abgesehen da-von, welche Folgen das unter Umständen für die Erde haben könnte. Darüber hinaus wollen wir nicht vergessen, daß auf Pthor wahr-scheinlich viele intelligente Wesen leben, darunter bestimmt auch solche, die mit einem Angriff auf die Menschheit nichts zu tun ha-ben.«

»Bevor wir überhaupt etwas unternehmen, sollten wir zunächst einmal gründliche Unter-suchungen einleiten«, schlug Waringer vor. »Je mehr wir über Atlantis herausfinden, des-to einfacher werden alle Gegenmaßnahmen durchführbar sein.«

Atlan hörte nicht länger zu, denn wie er Waringer kannte, würde der Wissenschaftler jetzt sofort mit einer Reihe spekulativer Erör-terungen beginnen, um eine fruchtbare Dis-kussion in Gang zu bringen.

Der Arkonide verließ die Zentrale und be-

gab sich in den kleinen Behandlungsraum, wohin man Razamon inzwischen gebracht hatte. Ein Medo-Roboter und der Arzt küm-merten sich um den Pthorer.

Der Mediziner machte ein besorgtes Ge-sicht.

»Sein Zustand läßt Schlimmes befürchten, Lordadmiral! Wir sollten ihn in eine USO-Klinik bringen. Ich glaube, unsere ärztliche Kunst ist auf ihn nicht anwendbar.«

Atlan trat an das Lager und sah Razamon starr auf dem Rücken liegen. Die dunklen Augen waren weit geöffnet und starrten ins Leere.

»Haben Sie einen Spiegel?« fragte Atlan. Der Arzt sah ihn verwirrt an, nahm aber

den gewünschten Gegenstand aus seiner Bestecktasche.

Atlan hielt den Spiegel über Razamons Ge-sicht.

»Mein Gott!« rief der Arzt entsetzt. »Sein Spiegelbild hat keine Augen.«

»Ich wollte mich selbst davon überzeugen«, sagte Atlan. »Bisher habe ich es für unmög-lich gehalten. Haben Sie eine Erklärung da-für?«

»Nein ... nein!« stotterte der Mann. »Es gibt keine Erklärung. Das ist unmöglich.«

»Mhm!« machte Atlan. »Haben Sie eine Diagnose?«

»Katalepsie!« erklärte der Arzt. »Vermut-lich ausgelöst durch einen schweren Schock. Aber ich habe das in dieser Form noch nie erlebt und weiß auch nicht, was ich tun soll. Der Medo-Roboter versucht, den Kreislauf des Patienten einigermaßen zu stabilisieren.«

»Wissen Sie, was Berserker sind?« fragte Atlan spontan.

»Was?« Der Mediziner sah ihn verständnis-los an.

»Nach einer nordischen Sage sind das Männer, die sich in Bärengestalt verwandeln und Bärenkräfte entwickelten, wenn die Ber-serkerwut sie überkam. Ich dachte, dieser kleine Hinweis könnte vielleicht hilfreich sein.«

»Sie wollen doch nicht behaupten, daß das so ein Berserker ist?« fragte der Arzt entrüs-tet.

Atlan ließ die Frage unbeantwortet. Er schickte den Arzt hinaus und dieser schien

45

Page 46: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

froh zu sein, endlich aus der Nähe seines un-heimlichen Patienten entkommen zu sein. Der Medo-Robot verrichtete seine Aufgaben mit völliger Lautlosigkeit.

Atlan zog einen Stuhl heran und ließ sich am Bettrand nieder.

Er war sich darüber im klaren, daß dieser Fremde eine fest magische Anziehungskraft auf ihn ausübte. Wahrscheinlich rührte sie daher, daß Atlan erkannt hatte, daß Razamon und er im Grunde genommen Schicksalsge-nossen waren. Genau wie der Arkonide hatte Razamon zehntausend Jahre auf einer frem-den Welt gelebt, abgeschnitten von seiner Heimat.

Im Gegensatz zu Atlan besaß Razamon nicht einmal eine vollständige Erinnerung an seine Heimat.

Razamon hatte zugegeben, daß er eine ge-spaltene Persönlichkeit besaß. In der Regel gelang es ihm, sich wie ein Mensch zu verhal-ten, aber ab und zu überwältigte ihn sein bö-ses atlantisches Erbe, dann verwandelte er sich in einen mit übermäßigen Kräften aus-gestatteten gnadenlosen Kämpfer.

Eines Tages, davon war Razamon über-zeugt, würde er sich völlig unter Kontrolle bringen. Doch dieser Zeitpunkt war weit ent-fernt und nun, da das Neue Atlantis aufge-taucht war, bestand sogar die Gefahr, daß Razamon jede Menschlichkeit vergaß und in jeder Beziehung rückfällig wurde. Diese kör-perliche Starre war vielleicht bereits das erste Anzeichen für einen derartigen Prozeß.

Es war denkbar, daß Razamon in ein paar Stunden erwachte und sich wie ein wildes Tier gebärdete.

Atlan wandte sich an den Roboter. »Schlitze sein linkes Hosenbein auf!« be-

fahl er. »Mich interessiert, wie sein Fuß und sein Bein aussehen.«

Da der Roboter nicht in der Lage war, dar-über zu befinden, ob dies ein normaler oder ein ungewöhnlicher Auftrag war, kam er der Anordnung widerspruchslos nach.

Man hatte Razamon die Schuhe bereits ausgezogen, so daß Atlan nur noch den Strumpf vom Fuß streifen mußte. Inzwischen hatte der Roboter das Hosenbein aufgetrennt und das Bein bis zum Oberschenkel freige-legt.

»Kannst du etwas Ungewöhnliches erken-nen?« fragte Atlan den Medo-Robot.

»Keine Verwundungen oder Anomalien, Sir!«

»Ja«, sagte Atlan gedehnt. Mehr zu sich selbst fügte er hinzu: »Und doch behauptet er, einen Zeitklumpen an seinem linken Bein zu tragen.«

Das war eines der vielen ungelösten Rätsel, die mit Razamon und Pthor zusammenhingen, dachte der Arkonide.

Seine Gedanken wurden unterbrochen, als der Arzt den Kopf zur Tür hereinstreckte und sagte: »Entschuldigen Sie, aber ich bin für diesen Patienten verantwortlich.«

»Verschwinden Sie!« sagte Atlan schroff. Gleich darauf erlebte er ein neues Beispiel

für die von ihm oft gepriesene terranische Unerschrockenheit.

Der Mann kam herein. »Sie können mich nicht von meinen Pflich-

ten als Arzt entbinden, und ich nehme in die-ser Beziehung auch keine Befehle von Ihnen entgegen.«

Atlan mußte mitansehen, wie der Mediziner Razamon erneut untersuchte.

»Irgendwelche Veränderungen?« erkundig-te er sich.

»Nein«, sagte der Arzt. »Wie steht es mit der Überweisung in die USO-Spezialklinik? Dort können sich Galakto-Mediziner seiner annehmen. Diese Spezialisten verstehen etwas von einem fremdartigen Metabolismus.«

»Sie halten Razamon also nicht für einen Menschen?«

»Ich weiß nicht, wofür ich ihn halten soll«, lautete die ausweichende Antwort.

»Ich werde in den nächsten Minuten ent-scheiden, was geschehen soll«, versprach At-lan. »Warten Sie draußen auf mich. Ich rufe Sie, wenn es schlimmer werden sollte.«

Gleich darauf war er wieder mit Razamon allein – wenn man von dem unauffällig arbei-tenden Medo-Robot einmal absah.

Nein! überlegte Atlan und starrte auf das hagere und wachsbleiche Gesicht mit den schwarzen Augen. Razamon war kein Mensch! Es war kein Wesen von dieser Welt.

Aber woher kam er? Woher kam Atlantis? Wer hatte dieses gewaltige Instrument der

46

Page 47: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Vernichtung in Marsch gesetzt?

Fragen über Fragen, von denen sich nicht eine einzige befriedigend beantworten ließ.

Razamon durfte auf keinen Fall sterben, denn er war der Schlüssel zu allen Geheim-nissen.

In diesem Augenblick kam Farbe in das Gesicht des Gelähmten. Er schloß die Augen. Sein Körper begann zu beben. Wenig später öffnete er die Augen wieder. Diesmal wirkten sie lebendig, und sie nahmen die Umgebung wahr.

Razamon drehte den Kopf und blickte At-lan an.

Ein zaghaftes Lächeln spielte um die harten Lippen.

»Ich wußte, daß du da sein würdest«, sagte Razamon in Pthora.

Atlan war seltsam gerührt. Razamon streckte einen Arm aus und be-

rührte Atlans Hände. »Vertraust du mir?« »Ich weiß nicht«, gab Atlan unsicher zu-

rück. »Ich würde dir gern vertrauen, aber ich weiß nicht genügend über dich. Du kennst dich selbst nicht genau.«

»Würdest du mich begleiten?« »Begleiten? Wohin?« »Nach Atlantis«, sagte Razamon.

10. Wie Atlan nicht anders erwartet hatte, er-

hob Perry Rhodan Einwände. »Ihr würdet euer Ziel niemals erreichen«,

gab er zu bedenken. »Jeder, der sich in den vergangenen Stunden zu dicht an den Schutz-schirm gewagt hat, verlor das Gedächtnis und mußte von Robotern herausgeholt werden.«

»Razamon ist überzeugt davon, daß er nicht von diesem Effekt betroffen sein wird«, ent-gegnete der Lordadmiral. »Er hofft, daß auch ich dagegen immun bin. Sollte dies nicht der Fall sein, wird er sich um mich kümmern. Wenn wir aber beide eine Amnesie erleiden sollten, kann man uns mit Hilfe der Roboter zurückholen.«

»Nun gut«, sagte Rhodan unwillig. »Aber es gibt noch andere Probleme. Es ist riskant, eine Strukturlücke in unseren Schutzschirm zu brechen, denn wir müssen damit rechnen,

daß sie sofort von der Gegenseite entdeckt wird. Außerdem sind unsere Wissenschaftler nach den letzten Ortungsergebnissen ziemlich sicher, daß es einen zweiten, zu Atlantis gehö-renden Schutzschirm gibt, und darüber wissen wir überhaupt nichts.«

Zum erstenmal, seit er mit Atlan zu Rhodan gekommen war, ergriff Razamon das Wort.

»Ich glaube, daß ich mich an die Funktion dieses Schutzschirms erinnern kann«, sagte er. »Es ist der sogenannte Wölbmantel, eine unsichtbare Raum-Zeit-Barriere. Sie reicht zehn Kilometer in die Höhe und einhundert Meter über den Rand von Atlantis hinaus.«

»Also eine Defensivwaffe«, mutmaßte Rhodan.

Der hagere Pthorer schüttelte den Kopf. »Atlantis gleicht einem abgeschlossenen

Raumschiff«, sagte er langsam, als bereitete ihm die Erinnerung an diese Gegebenheiten Qualen. »Es behält immer seine eigenen Na-turgesetze, dafür sorgt dieser Wölbmantel. Er nivelliert alle äußeren Einflüsse im Sinn der Atlantis-Regeln, wie zum Beispiel den Tag-und-Nacht-Rhythmus.«

Rhodan dachte einen Augenblick nach. »Das würde in letzter Konsequenz bedeu-

ten, daß auf Pthor ein völlig anderer Zeitab-lauf herrscht.«

»Davon muß man ausgehen«, bestätigte Razamon.

»Können Sie etwas über den Unterschied aussagen?« wollte Waringer wissen.

»Ich erinnere mich nicht genau«, behaupte-te Razamon.

Rhodan machte eine entschiedene Geste. »All diese Dinge bestärken mich nur in der

Ansicht, daß wir viel zu wenig über unseren Gegner wissen, um uns leichtfertig in seinen Einflußbereich zu begeben. Ein solcher Ver-such käme einem Selbstmord gleich.«

Razamon richtete sich auf. »Ich werde in jedem Fall gehen«, erklärte

er stolz. »Sie müßten mich mit Gewalt daran hindern. Pthor ist meine Heimat, und sie wird von einer schrecklichen Macht beherrscht und mißbraucht. Ich habe vor, das zu ändern.«

Rhodan konnte ein geringschätziges Lä-cheln nicht unterdrücken.

»Sie als einzelner können überhaupt nichts ändern. Sie wären besser beraten, sich mit uns

47

Page 48: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

zu verbünden und darauf zu warten, bis wir genügend herausgefunden haben, um eine großangelegte Aktion riskieren zu können.«

»Ich werde gehen«, erklärte Razamon la-konisch.

Atlan warf Rhodan einen Blick zu, doch der Großadministrator reagierte nicht darauf. Einen Augenblick lang befürchtete der Arko-nide, Rhodan würde Razamon festnehmen lassen.

Doch Rhodan erklärte: »Es ist sicher ein Fehler, Sie gehen zu lassen, Razamon! Doch ich werde ihnen nichts in den Weg legen.«

»Ich begleite ihn«, hörte Atlan sich ausru-fen.

Bully, der offenbar argwöhnte, in Rhodan könnte sich ein Sinneswechsel vollziehen, protestierte lautstark.

»Wir dürfen sie nicht gehen lassen, Perry. Das ist doch verrückt.«

»Schau sie dir an!« empfahl ihm Rhodan. »Schau sie dir an und sage mir, ob du sie wirklich aufhalten willst. In Gedanken sind sie bereits an ihrem Ziel.«

»Du redest von ihnen, als seien sie eine ... eine besondere Art von Wesen«, sagte der Staatsmarschall mit einer gewissen Abscheu.

»Sie haben vieles gemeinsam«, stimmte Rhodan zu.

Razamon schien das alles nicht mehr zu be-rühren. Er wandte sich an den Arkoniden und fragte in Pthora: »Gehen wir jetzt, mein Freund?«

*

»Ich werde sofort die nötige Ausrüstung

bestellen und an Bord eines Shifts bringen lassen«, kündigte Atlan an, nachdem er zu-sammen mit Perry Rhodan und Razamon die Zentrale verlassen hatte.

Der Pthorer blieb stehen. »Wir brauchen keine Ausrüstung!« »Ist das dein Ernst?« erkundigte Atlan sich

fassungslos. »Du willst doch nicht ohne Schutzanzug und Waffen nach Atlantis gehen, ganz zu schweigen von Funkgerät und Flug-aggregaten?«

»Wir müssen gehen, wie wir sind. Es würde uns nicht gelingen, auch nur einen Teil unse-rer Ausrüstung nach Pthor zu schaffen«, be-

hauptete Razamon. Atlan wurde ärgerlich. »Es ist mir gleichgültig, was du sagst. Ich

werde den Shifts vollpacken lassen. Vor allen Dingen brauchen wir ein stabiles Kunststoff-boot.«

Razamon sah ihn mit seinen unergründli-chen Augen an, sagte aber nichts mehr.

Ein USO-Spezialist trat in den Korridor und überreichte Perry Rhodan das Parraxynt. Rhodan gab das metallische Bruchstück an Razamon weiter.

»Es gehört Ihnen«, verkündete er. »Ich dachte mir, daß Sie es vielleicht mitnehmen wollen.«

Atlan hatte den Eindruck, daß Razamon überwältigt war, trotzdem fand der Pthorer kein Wort des Dankes.

»Die Legende sagt, daß eines Tages jemand alle Bruchstücke finden und durch das Zu-sammensetzen dieser Teile das Geheimnis von Atlantis lösen wird«, sagte er nur.

»Sie denken, daß Sie dieser Mann sind!« erriet Perry Rhodan.

»Ich hoffe es!« Er wandte sich wieder an Atlan. »Es ist schade, daß wir keine Quorks haben, wenn wir nach Atlantis kommen. Das würde unsere Aufgabe wesentlich erleich-tern.«

»Quorks?« wiederholte der USO-Chef. »Was ist das?«

»Knochen mit komplizierten Schnitzerei-en«, erklärte Razamon. »Sie dienen auf Atlan-tis als Zahlungsmittel. Je komplizierter die Schnitzarbeit ist, desto größer wird der Wert eines Quorks eingeschätzt. Diese Knochen wurden aus dem Körper der Yuugh-Katze hergestellt, und es gibt dreißig Millionen Ex-emplare davon. Sollte es jemand gelingen, sie alle in seinen Besitz zu bringen, würde der Körper der Yuugh-Katze wiederentstehen und zum Leben erwachen. Auch das ist natürlich nur eine Legende.«

»Ihr Erinnerungsvermögen scheint plötzlich wieder zu funktionieren«, bemerkte Rhodan mißtrauisch.

»Durch das Auftauchen von Pthor wurden verschiedene Einzelheiten in meinem Ge-dächtnis geweckt«, bestätigte Razamon scheinbar arglos. »Aber das sind wirklich nur unbedeutende Dinge.«

48

Page 49: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Perry Rhodan begleitete die beiden Männer

bis in den Hangar unter dem Dach der USO-Zentrale. Dort waren Roboter und USO-Spezialisten bereits dabei, den von Atlan an-geforderten Shift mit Ausrüstungsgegenstän-den zu beladen.

»Wir müssen die genaue Position der Strukturlücke festlegen«, erklärte Atlan. »Au-ßerdem den exakten Zeitpunkt, wann sie ent-stehen wird.«

»Ich kümmere mich um alles«, versprach Rhodan. »Du erhältst die Koordinaten über Funk.«

Atlan spürte, daß Razamon von rastloser Ungeduld erfüllt war. Der geheimnisvolle Fremde schien den Start kaum noch abwarten zu können. Atlan kamen plötzlich Bedenken.

Worauf ließ er sich da überhaupt ein? Vielleicht wäre es klüger gewesen, Rho-

dans Rat zu befolgen und erst einmal die Un-tersuchungen abzuwarten. Großangelegte Ak-tionen verhießen eher Erfolg als dieses Zwei-Mann-Unternehmen.

Rhodan schien das Zögern seines Freundes zu registrieren.

»Noch ist Zeit, alles abzubrechen«, sagte er leise.

»Ich habe wirklich mit diesem Gedanken gespielt«, gab der Arkonide grimmig zu. »A-ber ich glaube, jetzt gibt es kein Zurück mehr für mich.«

Razamon kletterte in den. Shift, kam aber gleich darauf wieder heraus.

»Wir haben kaum noch Platz zum Sitzen«, sagte er. »Die Spezialisten der USO meinen es wirklich gut mit uns.«

Seinem Tonfall konnte man deutlich ent-nehmen, daß er diese Maßnahmen für über-flüssig hielt.

Atlan warf einen Blick auf die Uhr. Es war 14:23 Uhr Standardzeit, vor knapp acht Stun-den war das Neue Atlantis materialisiert. Die-se Zeit war wie im Flug vergangen.

Atlan fragte sich unwillkürlich, was inzwi-schen auf Pthor geschehen sein mochte. Wenn die Zeit dort tatsächlich anders ablief, mußte man damit rechnen, daß die Herren von At-lantis Schritte eingeleitet hatten, um den Ab-wehrmaßnahmen der Terraner zu begegnen.

Atlan wünschte, er hätte ein paar ruhige Minuten gehabt, um noch einmal gründlich

über alles nachzudenken. Vielleicht bot sich ihm auf dem Flug zum Atlantik dazu Gele-genheit.

Das Dach des Hangars öffnete sich. Razamon trug das Parraxynt in den Shift.

Diesmal kam er nicht wieder heraus. »Er hätte sich zumindest von dir verab-

schieden können«, bemerkte Atlan unwillig. »Wozu?« fragte Rhodan. »Ihn und mich

verbinden nichts! Außerdem hat er es ver-dammt eilig, seine Heimat zu erreichen. Ich frage mich, ob es die Wahrheit ist, die er uns über sich erzählt hat.«

»Fellmer Lloyd hat seine Gedanken durch-forscht«, erinnerte Atlan. »Er hat nichts ge-funden, was im Widerspruch zu den Ge-schichten stünde, die Razamon uns erzählt hat.«

Er sah, daß es in Rhodan arbeitete. Der Ter-raner hatte Bedenken, aber er äußerte sie nicht.

»Es wird Zeit«, sagte Atlan. »Die gesamte Ausrüstung befindet sich an Bord des Shifts. Ich werde jetzt zusammen mit Razamon auf-brechen.«

Er reichte Rhodan die Hand. »Leb wohl«, sagte er ruhig. »Und Dank für

alles.« »Das klingt dramatisch«, meinte Rhodan.

»Es hört sich nach einem endgültigen Ab-schied an.«

»Ich habe ein merkwürdiges Gefühl«, ge-stand Atlan. »Wie zu Beginn einer sehr lan-gen Reise.«

»Deine Reise dauert jetzt schon länger als zehntausend Jahre«, erinnerte Perry Rhodan.

Atlan nickte ihm zu und verschwand im In-nern des Shifts. Er tauchte gleich darauf hin-ter der transparenten Kuppel auf und ließ sich in den Pilotensitz sinken.

Der Antigravantrieb des gepanzerten All-zweckfahrzeugs sprang an. Rhodan sah, daß der Shift lautlos abhob und aufwärts zu glei-ten begann.

Atlan winkte dem Terraner noch einmal zu, dann geriet er außer Sichtweite.

Die USO-Spezialisten hatten den Hangar längst verlassen. Rhodan stand allein zwi-schen den Space-Jets und Fluggleitern. Ein Gefühl von Leere breitete sich in ihm aus.

Plötzlich hörte er Schritte und wandte sich

49

Page 50: Das neue Atlantis
Page 51: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

te Atlan. »Ich werde den Robotpilot für den Fall programmieren, daß uns das gleiche Schicksal widerfährt. Der Shift wird dann automatisch zurückfliegen, wenn wir die Pro-grammierung nicht löschen.«

Razamon erhob keine Einwände. Sie bekamen Funkkontakt mit den am wei-

testen vorgerückten Schiffen, und der kom-mandierende Offizier wünschte ihnen viel Glück bei ihrem Unternehmen.

Atlan bedankte sich und widmete seine Aufmerksamkeit dann wieder den Kontrollen.

Die beiden Männer schwiegen, sie wußten, daß ein entscheidender Augenblick bevor-stand. Razamon hatte das Parraxynt vor sich auf den Beinen liegen. Er hielt es mit beiden Händen umklammert, als könnte ihm dieses Gußstück Kraft und Zuversicht verleihen.

Dann erreichten sie die unsichtbare Grenze, hinter der jene Strahlung wirksam war, die jede Erinnerung auslöschte.

Atlan schloß die Augen. Obwohl er ver-suchte, gelassen zu bleiben, krampfte sich doch alles in ihm zusammen.

Da hörte er Razamon triumphierend aufla-chen.

»Wie ich prophezeit habe! Wir sind nicht davon betroffen!«

Atlan öffnete die Augen und atmete er-leichtert auf. Dabei standen die wirklich ge-fährlichen Aktionen des Unternehmens erst noch bevor.

Der Arkonide löschte die für den Eventual-fall eingespeiste Rettungskursprogrammie-rung. Dann drosselte er die Geschwindigkeit des Shifts.

»Bereitmachen zum Wassern!« rief er sei-nem Begleiter zu. »Wir gehen dicht vor dem Schutzschirm nieder, dann bringen wir unser Boot mit der Ausrüstung hinaus.«

Der Shift, so war es jedenfalls geplant, soll-te vor der Strukturlücke verankert werden. Atlan und Razamon konnten das Allzweck-fahrzeug nicht mit durch die enge Lücke auf die andere Seite nehmen, dazu stand ihnen nur das Boot zur Verfügung. Das bedeutete, daß sie einen Teil ihrer Ausrüstung an Bord des Flugpanzers zurücklassen mußten.

Genau zwölf Stunden nach dem Aufbau der ersten Strukturlücke sollte eine zweite an der-selben Stelle gebildet werden, damit die bei-

den Männer die Insel wieder verlassen konn-ten. Doch daran dachte Atlan im Augenblick nicht.

Dicht vor dem grün flimmernden Schutz-schirm sank der Shift auf das Wasser. Atlan schaltete das Funkfeuer ein, dann öffnete er die Luke und warf das Boot hinaus, das sich sofort entfaltete und auf den Wellen zu tanzen begann. Es wurde mit einem Tau am Shift festgehalten.

Atlan stellte fest, daß nur schwacher Wel-lengang herrschte. Die äußeren Bedingungen kamen ihrem Vorhaben also entgegen. Der Arkonide blickte auf die Uhr.

»Siebzehn Minuten!« stellte er fest. »Wir brauchen nichts zu überstürzen.«

Gemeinsam beluden die beiden Männer das Boot, dann kletterten sie ebenfalls hinein. Vergeblich versuchte Atlan, Einzelheiten von Pthor zu erkennen. Hinter der flimmernden Energiewand des Paratronschirms lag die dunkle Landmasse in einer nahezu undurch-dringlichen Dunstschicht.

Atlan fieberte dem Augenblick entgegen, da die Strukturlücke entstehen und ihnen die Möglichkeit zum Hinüberwechseln geben würde.

Jenseits des Schutzschirms befand sich niemand im Wasser. Die Bewohner von Pthor hatten die Insel nicht verlassen, obwohl Atlan damit gerechnet hatte. Die Anwesenheit von Fremden hätte für die beiden Männer das Vordringen nach Atlantis erschwert.

Der kleine Bootsmotor sprang an. Auf die Sekunde genau erreichte das Boot

die Stelle, an der die Strukturlücke entstand. Atlan hatte keinen Augenblick am Gelingen dieses Planes gezweifelt. Er wußte, daß er sich auf die Männer, die die Satellitenprojek-toren von Weltraumstationen aus kontrollier-ten, verlassen konnte.

Eine rotbogenförmige Öffnung bildete sich. Ihre dunkle Umrandung zuckte hin und her und änderte ständig die Form, ohne daß die Ausdehnung der Lücke davon bedeutend be-troffen wurde.

Das Boot schoß förmlich durch den ent-standenen Spalt und hinter ihm schlugen die Energien wieder zusammen.

»Geschafft!« schrie Atlan. In diesem Augenblick kenterte das kleine

51

Page 52: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Schiff. Vergeblich versuchte Atlan sich fest-zuklammern. Zusammen mit der Ausrüstung wurde er über Bord geschleudert und versank im Meer. Mit ein paar Schwimmstößen kam er wieder an die Wasseroberfläche.

Eine starke Strömung hatte das Boot erfaßt und trug es so schnell davon, daß Atlan sofort den Versuch aufgab, es noch einmal einzuho-len. Er sah Razamon in seiner unmittelbaren Nähe im Wasser schwimmen.

Der Arkonide stieß eine Verwünschung aus.

»Unsere Ausrüstung ist komplett unterge-gangen!«

Razamon zeigte ihm das Parraxynt, das er in einer Hand hielt.

»Ich wußte, daß es keinen Sinn haben wür-de, irgend etwas mitzunehmen«, erklärte der Pthorer lakonisch.

»Ich werde versuchen zu tauchen, um we-nigstens unsere Waffen zu retten«, kündigte Atlan an. Er mußte jedoch feststellen, daß dieses Vorhaben undurchführbar war. Die Strömung hatte ihn längst von der Unglücks-stelle weggetragen.

»Wir sollten versuchen, die Küste zu errei-chen«, schlug Razamon vor. »Das erscheint mir klüger zu sein als diese sinnlose Suche nach unserer Ausrüstung.«

Atlan sah ein, daß der Atlanter recht hatte. Sie schwammen mit kraftvollen Armbewe-

gungen nebeneinander her. Obwohl Razamon das Parraxynt in einer Hand hielt, blieb er ohne sichtbare Anstrengung an Atlans Seite.

Plötzlich stellte Atlan fest, daß seine Klei-der vom Körper abfielen. Sie schienen sich geradezu zu zersetzen. Er blickte zu Razamon hinüber und erkannte, daß bei seinem Beglei-ter ein ähnlicher Effekt auftrat.

»Unsere Kleider!« rief er bestürzt. »Sie lö-sen sich auf!«

Razamon lächelte, als hätte er mit einer solchen Entwicklung gerechnet.

»Wir werden nackt auf Pthor ankommen«, prophezeite er. »Immerhin bleibt uns das Par-raxynt erhalten.«

Atlan war über diese Entwicklung maßlos enttäuscht. Das Unternehmen hatte so erfolg-versprechend begonnen – und nun das!

In diesem Augenblick spürte Atlan einen heftigen Druck an seiner Brust. Er tastete mit

einer Hand nach dem Zellaktivator und spür-te, daß dieser unter die Haut schlüpfte. Ob-wohl dieser Vorgang unerklärlich und beun-ruhigend war, fühlte Atlan sich erleichtert, denn er hatte bereits befürchtet, daß der Akti-vator das gleiche Schicksal erleiden könnte wie seine Kleidung. Das hätte seinen baldigen Tod bedeutet. Solange das Gerät jedoch in einer Körperhöhlung unter der Brustknochen-platte saß, war er sicher.

Katastrophal jedoch war der Verlust der ge-samten Ausrüstung.

Ohne Waffen waren sie verloren. Sie muß-ten froh sein, wenn sie unentdeckt an Land gehen und sich irgendwo verkriechen konn-ten. Unter diesen Umständen war es sogar zweifelhaft, ob sie zum verabredeten Zeit-punkt wieder an jener Stelle sein konnten, wo die Strukturlücke ihnen die Möglichkeit zur Flucht bieten sollte.

Atlan begann seine Voreiligkeit zu verwün-schen. Er hätte sich niemals auf eine Teil-nahme an diesem Unternehmen einlassen sol-len. Ärger auf Razamon stieg in ihm auf, er fühlte sich von diesem Mann geradezu hinter-gangen.

Er unterdrückte dieses Gefühl, schließlich war er freiwillig hier, und Razamon hatte die gleichen Probleme wie er.

Sie schwammen auf die im Dunst liegende Küste zu.

Was verbarg sich hinter dieser Nebelwand? fragte sich Atlan.

Was erwartete ihn und seinen Begleiter? Die Strömung ließ nach, das Wasser bekam

eine hellere Farbe. Atlan wußte, daß sie sich ziemlich genau etwas oberhalb jener Stelle befanden, wo der dreißigste Längengrad sich mit dem dreißigsten Breitengrad der nördli-chen Erdhalbkugel schnitt. Soweit man von den Weltraumstationen überhaupt etwas hatte feststellen können, war die Küste in diesem Gebiet flach.

Atlan spürte, daß seine Kräfte überraschend schnell nachließen. Auch das war ungewöhn-lich. Eine Strömung spülte ihn jedoch auf das Land zu.

Er begann zu befürchten, daß er bewußtlos am Ziel ankommen würde.

Die Bewegungen Razamons begannen e-benfalls zu erlahmen.

52

Page 53: Das neue Atlantis

ATLAN 1 – König von Atlantis

Atlan sah Grund unter sich. Das letzte, was er wahrnahm, bevor er end-

gültig das Bewußtsein verlor, war Razamons düsteres Gesicht – das Gesicht eines Fremden.

EPILOG

Fast auf die Stunde genau zwei Tage, nach-

dem das Neue Atlantis materialisiert war, verschwand es wieder, ohne daß es zu nen-nenswerten oder gar dramatischen Zwischen-fällen gekommen wäre. Genauso schnell und plötzlich wie es aufgetaucht war, löste es sich auch wieder auf und nahm alle seine unge-klärten Geheimnisse mit sich.

Die Menschen auf der Erde sollten dieses Ereignis bald wieder vergessen, wie einen

schlechten Traum. Niemand wußte, wieviel Zeit in diesen bei-

den Tagen für die Bewohner und Herren des Neuen Atlantis vergangen waren und was sich auf diesem mysteriösen Gebilde alles ereignet hatte.

Die beiden einzigen Männer, die darüber hätten Auskunft geben können, Atlan und Razamon, waren weder zurückgekehrt, noch hatten sie eine Nachricht übermittelt.

Sie verschwanden zusammen mit dem Neuen Atlantis – und das war genauso, als wären sie gestorben.

Atlantis war Wirklichkeit und Mythos geblieben.

ENDE

Weiter geht es in Band 2 von König von Atlantis mit:

Berg der Magier von Clark Darlton

Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2005, eine Lizenzaus-gabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

53