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Das Nichtverbreitungsregime und die humanitäre Initiativepublic.beuth-hochschule.de/~eichhorn/vorlesungs-scripts/2016w_2015... · eingereicht, das von IALANA und INESAP ausgearbeitet

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Hiroshima Nagasaki Peace Study Course

Script zur Vorlesung am 2. Juni 2015

Das Nichtverbreitungsregime und die humanitäre Initiative

von

Sascha Hach und Julia Berghofer (ICAN)

Inhalt

Völkerrechtlicher Kontext S. 2

Der Nichtverbreitungsvertrag (NPT) S. 3

Deutschland und die nukleare Teilhabe S. 3-4

Wege zum Verbot S. 4-5

Die Überprüfungskonferenz 2015 zum Nichtverbreitungsvertrag S. 5-9

Organisation und Struktur der Konferenz S. 6

Hauptkonfliktlinien im Nichtverbreitungsregime S. 6-7

Das Scheitern der Konferenz S. 7-8

Die Humanitäre Initiative als Fortschritt S. 8

Zusammenfassung – daran „krankt“ der NPT derzeit S. 8-9

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Völkerrechtlicher Kontext

Der Atomwaffensperrvertrag bzw. Nichtverbreitungsvertrag1 wird durch eine Reihe internationaler

Vertragswerke unterstützt oder ergänzt, die bisher mehr oder weniger in Kraft getreten sind. Diese

Verträge sollen bestimmte Elemente des NPT stärken oder rechtliche Lücken ausfüllen.

Ein bilateraler Vertrag, der gerade in der angespannten Lage zwischen Russland und den USA infolge

der Ukrainekrise wieder verstärkt Aufmerksamkeit erhält, ist START2. Ursprünglich 1982 von der

Administration Reagan initiiert, wurde START I 1991 von Bush senior und Gorbatschow unterzeichnet.

Er war von 1994 bis 2009 in Kraft. Ziel war es, den Bestand an Trägersystemen für strategische

Atomwaffen auf 1600 mit maximal 6000 anrechenbaren Nuklearsprengköpfen zu reduzieren. Zu den

strategischen Atomwaffen gehören Interkontinentalraketen (ICBM) mit einer Reichweite von 5 500-15

000 km sowie U-Boot-gestützte ballistische Raketen (SLBM). Nicht geregelt waren Raketen mit

mittlerer Reichweite und Bomber.

START II sah einen Abbau der strategischen Sprengköpfe auf 3 000 bis 3 500 pro Seite vor, trat aber

niemals in Kraft, da die Russische Föderation 2002 von dem Abkommen zurücktrat. Verhandlungen

über START III wurden niemals abgeschlossen.

New-START sollte stattdessen ein Folgeabkommen zu START I darstellen. Obama kündete 2009 in

seiner Prager Rede die Verhandlungen über einen weiteren Vertrag zwischen Russland und den USA

an. Unterzeichnet wurde New Start im März 2010 von Obama und Medwedjew, die Ratifikation

erfolgte 2011. Das Regelwerk sieht eine weitere Reduktion auf je 1 550 strategische Atomwaffen bis

2020 vor und will die Trägersysteme auf 800 pro Partei begrenzen. Im Februar 2013 erklärte Obama,

er wolle START neu aushandeln – möglicherweise auch mit Blick auf taktische Kernwaffen, die bisher

nicht unter den Vertrag fallen. Die Verhandlungen stocken bisher.

Ein weiteres zentrales Regelwerk, dessen Umsetzung jedoch auch Anlass zu Unstimmigkeiten

zwischen den Staaten darstellt, ist der Umfassende Kernwaffenteststoppvertrag (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, CTBT). Er verbietet die Durchführung jeder Art von Kernwaffenexplosionen

– sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke. Die Beihilfe ist ebenfalls verboten. Die

Überwachung erfolgt durch die Organisation für das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) mit Sitz in Wien. Es handelt sich um ein Überwachungssystem, das alle

Kernwaffenexplosionen weltweit durch über 250 Messstationen registriert. Bisher haben 183 Staaten

den Vertrag unterzeichnet; 164 haben ihn ratifiziert3 (Stand März 2015). Annex 2 des Vertrags regelt,

dass 44 bestimmte Staaten ratifizieren müssen, damit der CTBT in Kraft tritt, und zwar diejenigen, die

per 1995 über Kernwaffentechnologie verfügten. Inzwischen haben 41 davon unterzeichnet und 36

ratifiziert. Es fehlen Ägypten, China, Indien, Iran, Israel, Nordkorea und Pakistan. Der US-Senat hatte

die Ratifikation bereits 1999 abgelehnt.

1Wir werden im Folgenden das Kürzel ‚NPT‘ für den englischen Begriff Non-Proliferation Treaty verwenden. Die

Überprüfungskonferenz wird dementsprechend mit ‚RevCon‘ (Review Conference) abgekürzt und die

Vorbereitungskonferenzen mit ‚PrepCom‘ (Preparatory Committee). Diese Abkürzungen werden im

internationalen Umfeld sowohl von der Zivilgesellschaft als auch von den Vereinten Nationen selbst verwendet.

2START steht für Strategic Arms Reduction Treaty.

3Den Status der Ratifikation kann man auf der Homepage der CTBTO verfolgen: http://www.ctbto.org/the-

treaty/status-of-signature-and-ratification/ (letzter Zugriff am 4. Juni 2015).

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Der Fissile Material Cut-off Treaty stellt eine Überlegung dar, einen weiteren Vertrag auszuhandeln,

der die weitere Produktion von spaltbarem Material für Nuklearwaffen verbietet. Bisher gibt es keine

konkreten Gespräche darüber und auch die expliziten Inhalte des FMCT sind noch vage. Derzeit

blockiert vor allem Pakistan den Beginn der Verhandlungen. Problem ist das Veto-Recht der Staaten

im verhandelnden Komitee.

Der Nichtverbreitungsvertrag (NPT)

In der Staatengemeinschaft wird der NPT als Eckpfeiler der Abrüstung angesehen; insbesondere,

wenn man das Scheitern der bereits genannten Regelwerke betrachtet. Er beinhaltet drei

thematische Felder: Nichtverbreitung, Abrüstung und zivile Nutzung von Kernenergie. Für die

mittlerweile 191 Vertragsparteien ergeben sich daraus drei zentrale Verpflichtungen. Erstens dürfen

sie keine Atomwaffen und keine Technologien und kein Wissen über die Produktion von Atomwaffen

weitergeben. Zweitens haben sich die Atommächte zur kompletten Abrüstung verpflichtet (Artikel

VI). Drittens soll unter den Staaten die friedliche (zivile) Nutzung von Kernenergie gefördert werden.

Mit 191 Mitgliedern4 handelt es sich beim NPT um eines der universellsten Regelwerke überhaupt.

Unter diesen Mitgliedern befinden sich fünf der neuen Atomwaffenstaaten: USA, Russland,

Großbritannien, Frankreich und China. Nordkorea hat den Vertrag 2003 verlassen; Indien, Israel und

Pakistan haben nie unterzeichnet5.

Hierin liegt gleichzeitig ein erstes Problem: Obwohl fünf Atommächte (die sogenannten P5)

Vertragsparteien sind, befinden sich vier außerhalb. Ein weiteres Problem ist, dass der NPT ein

völkerrechtlicher Vertrag ist, der diskriminierend wirkt. Einer kleinen Gruppe von Nationen wird

zugestanden, Atomwaffen zu besitzen, während sich alle anderen dazu verpflichtet haben, keine zu

erwerben. Da der NPT keine zeitlichen Regelungen vorsieht, ist auch nicht klar, wann der privilegierte

Status der P5 endet.

Im Grunde geht es beim NPT um einen doppelten Deal. Laut Artikel VI verpflichten sich die P5 im

Gegenzug zum Kernwaffenverzicht der anderen Staaten, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu

führen […] über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und

wirksamer Kontrolle“. Dies stellt die einzige verbindende Verpflichtung der Atommächte zur

Abrüstung in einem multilateralen Vertrag dar. Der andere Teil des Deals besteht darin, dass den

übrigen Staaten das „unveräußerliche Recht“ auf zivile Nutzung zusteht und alle sich verpflichten,

„den weitest möglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und

technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern.“

Der erste Teil des Deals wurde nie eingehalten. Deshalb gewann der zweite Teil umso mehr an

Bedeutung. Daher gibt es bei den im fünfjährigen Turnus stattfindenden RevCons regelmäßig starke

Spannungen (zuletzt war der Ausgang der Konferenz 2005 sehr unbefriedigend, aber auch dieses Jahr

wurde kein Konsens erzielt).

Die nukleare Teilhabe Deutschlands

4Als 191. Staat ist dieses Jahr Pakistan beigetreten. Israel war bei der RevCon 2015 das erste Mal als

Beobachterstaat dabei.

5Selbst wenn diese Staaten in der Öffentlichkeit mal mehr, mal weniger zugeben, dass sie Atomwaffen besitzen,

ist auszuschließen, dass sie keine haben. Informationsquellen sind vor allem mit Blick auf Israel

Nichtregierungsorganisationen, die sich der Praxis der Regierung, über das bestehende Arsenal nicht zu

sprechen, widersetzen.

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Auf deutscher Seite ist die Einbindung in das Nuklearprogramm der NATO ein Problem, das sich in

Hinsicht auf den NPT stellt. Deutschland selbst ist kein Atomwaffenstaat. Im Rahmen der nuklearen

Teilhabe der NATO sind derzeit jedoch amerikanische Nuklearwaffen in verschiedenen europäischen

Ländern stationiert. Etwa 20 davon lagern im rheinland-pfälzischen Büchel, die anderen befinden sich

in Belgien, Italien, den Niederlanden und in der Türkei.

Dies stellt einen Verstoß gegen eine zentrale Prämisse des NPT dar – dass nämlich Atomwaffen nicht

an Nicht-Atomwaffenstaaten weitergegeben werden dürfen. Da aber im NPT nicht klar geregelt ist, ob

die bloße Stationierung einer Weitergabe gleichkommt, und es hierzu auch kein entsprechendes

Urteil des Internationalen Gerichtshofs6 gibt, ist der Fall unklar.

Deutschland stellt also Bundeswehrpiloten des Jagdbombengeschwaders 33 der Luftwaffe sowie

Trägersysteme zum Atomwaffeneinsatz (Tornado-Kampfflugzeuge) bereit und führt regelmäßig

Einsatzübungen durch. Auf der politischen Ebene ist Deutschland Mitglied in der Nuclear Planning

Group der NATO. Dadurch wird Einflussnahme auf die Nuklearstrategie möglich, sowie auf die

Stationierung der Kernwaffen und deren Einsatzplanung.

Die USA verfolgen derzeit ein breit angelegtes Modernisierungsprogramm, das vor allem die in

Europa stationierten B61-Bomben betrifft7. Bei den in Büchel gelagerten Waffen handelt es sich um

taktische Atomwaffen. Bis 2005 gab es auf deutsche Boden noch 308 weitere Atomwaffen, unter

anderem in Ramstein. Westerwelle kündete zu seinen Zeiten als Außenminister den Abzug des

verbleibenden Arsenals an. Von diesen Plänen will die deutsche Politik derzeit nichts wissen.

Die Politik der Bundesregierung unterstützt die Idee einer Atomwaffenkonvention, die die

schrittweise Abrüstung unter strenger Kontrolle. Dabei würde es sich um einen Verbotsvertrag

handeln, der die Atommächte mit einbezieht.

Wege zum Verbot

Ein bereits im NPT angelegter Gedanke ist die Etablierung einer Atomwaffenkonvention. Ein solcher

Vertrag würde Atomwaffen umfassend verbieten (also deren Produktion, Einsatz, Handel, Lagerung),

nicht nur die Weiterverbreitung, wie es derzeit der Fall ist. Ein Beispiel, das analog oft verwendet

wird, ist das Verbot anderer Waffentypen. Die Biowaffenkonvention, die Chemiewaffenkonvention,

die Landminen- und Streubombenkonventionen werden heute als nicht mit dem humanitären

Völkerrecht vereinbar angesehen; ihre Auswirkungen im Einsatz werden als so verheerend eingestuft,

dass ein Verbot als angemessene Antwort fungiert.

Für Nuklearwaffen wurde bisher kein derartiger Vertrag ausgehandelt. Jedoch setzen sich seit 1995

Nichtregierungsorganisationen (z.B. IALANA und INESAP) dafür ein, dass es eine solche Konvention

auch für Atomwaffen gibt. 1997 hatte Costa Rica einen Vorschlag als offizielles UN-Dokument

eingereicht, das von IALANA und INESAP ausgearbeitet worden war. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon

sprach sich zudem 2008 öffentlich für eine Konvention aus.

6Wo kein Kläger, da kein Verstoß. Nur Staaten können vor dem IGH klagen und dieser wird nur aktiv, wenn

beide Seiten sich seiner Rechtsprechung unterwerfen.

7Das Modernisierungsprogramm der B61 (sog. B61 Mod. 12-Programm) wurde 2012 mit Kosten in Höhe von

sechs Milliarden US-Dollar angegeben. Ziel ist die schrittweise Steigerung der Einsatzmöglichkeiten durch

gezieltere Eingrenzung der Sprengkraft auf 50 Kilotonnen TNT.

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So fortschrittlich diese Idee auch war und ist – bisher sind keine konkreten Handlungen erfolgt, und

es ist nicht zu erwarten, dass sich in naher Zukunft etwas in den zuständigen UN-Gremien bewegt.

Daher ist die Idee von NGOs und internationalen Kampagnen wie der International Campaign to

Abolish Nuclear Wespons (ICAN), dass ein Verbot von Atomwaffen auch außerhalb der UN und

zunächst ohne die Atomwaffenstaaten erfolgen kann. Bei Nuklearwaffen handelt es sich um die

einzige noch erlaubte Massenvernichtungswaffe – dies stellt eine völkerrechtliche Lücke dar, die aus

der Sicht von ICAN durch einen Verbotsvertrag geschlossen werden kann. Indem die Atommächte

nicht Teil des Vertrags sind, wird zwar auf ein gewisses Maß an Universalität verzichtet – das schließt

aber nicht aus, dass eine Norm, die von einem Teil der Staatengemeinschaft vertreten wird, sich nicht

in Folge zu einem universellen Standard weiterentwickeln kann.

Deshalb fordert ICAN ein verbindliches völkerrechtliches Verbot von Atomwaffen, und tritt dafür ein,

dass dieser Prozess auf jeden Fall angestoßen wird – gleich, ob die Atommächte mitziehen oder nicht,

ob es einen Konsens der Staaten gibt oder nicht.

Immer mehr Staaten teilen diese Ansicht und stellen wie wir die humanitären Folgen von

Atomwaffen in den Vordergrund.

Im März 2013 wurde in Oslo eine Staatenkonferenz über die humanitären Auswirkungen von

Atomwaffen ausgerichtet, an der 128 Staaten teilnahmen. Mit dabei waren auch Indien und Pakistan.

Das heißt noch lange nicht, dass auch genauso viele Staaten einen Verbotsvertrag ohne die

Atommächte unterstützen würden, dazu ist der politische Druck, der von ihnen ausgeht, zu groß. Die

P5 haben außerdem die Konferenz boykottiert. Es zeigt jedoch eine wachsende Bereitschaft, diese

Fragen offen zu diskutieren und einen Prozess für ein Verbot anzustoßen.

Im Februar 2014 fand in Nayarit in Mexiko eine Folgekonferenz statt, an der sogar 146 Staaten

teilnahmen und die katastrophalen globalen Auswirkungen von Atomwaffendetonationen und die

mangelnden Krisenreaktionsmechanismen diskutierten. Die jüngste Konferenz in Wien mit 158

Teilnehmern (darunter erstmals auch USA und Großbritannien) brachte ein erstes konkretes

Dokument hervor, die sogenannte „Österreichische Selbstverpflichtung“8. Diese ruft die

Staatengemeinschaft dazu auf, sich öffentlich zu einem Verbotsvertrag zu bekennen. Mittlerweile

haben sich bereits 107 Nationen angeschlossen.

Die Überprüfungskonferenz 2015 zum Nichtverbreitungsvertrag

Vergangenen April/Mai fand im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York die

Überprüfungskonferenz (RevCon) zum NPT statt. 191 Staaten debattierten vier Wochen lang über den

Vertragstext sowie über weitere Schritte zur Umsetzung des Artikel VI, der innerhalb des NPT

naturgemäß einer der strittigsten Punkte ist.

ICAN hat die gesamte Konferenz mit einer Delegation aus insgesamt sieben Leuten abgedeckt, die

meist zeitversetzt anwesend waren. Unsere Aufgabe bestand in der Organisation einer eigenen

Rahmen-Veranstaltung, in regelmäßiger Berichterstattung9 und dem Kontakt zu anderen NGOs und

8Ursprünglich international als ‚Austrian Pledge‘ bekannt geworden, heißt es nun ‚Humanitarian Pledge‘, da sich

mittlerweile die Mehrheit der Staaten angeschlossen hat.

9In Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung, https://www.boell.de/de/konferenz-atomwaffensperrvertrag-

nonproliferation-2015 (letzter Zugriff am 3. Juni 2015)

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Diplomaten. Neben ICAN Deutschland waren auch andere ICAN-Delegationen, unter anderem aus

Norwegen, Australien und Österreich anwesend.

Im Folgenden soll auf den formalen Aufbau sowie auf die Struktur der Konferenz an sich eingegangen

werden. Danach analysieren wir die Hauptkonfliktlinien, die in diesem Jahr zu erkennen waren, und

ziehen hier auch den Vergleich zur Vorbereitungskonferenz (PrepCom) in 2014. Anschließend geht es

um das Scheitern der Konferenz – um die Tatsache also, dass die Staatengemeinschaft in den vier

Wochen nicht zu einem im Konsens beschlossenen Abschlussdokument gekommen ist. Es werden die

Gründe diskutiert sowie die Reaktionen einzelner Staaten auf den Ausgang der Konferenz. Daran

anschließend kommen wir auf das humanitäre Projekt als Fortschritt im und außerhalb des NPT zu

sprechen.

Organisation und Struktur der Konferenz

Die RevCon finden im 5-jährigen Turnus statt; dazwischen werden drei PrepComs abgehalten. Die

nächste PrepCom wird 2017 stattfinden. Vor dem Hintergrund, dass die Konferenz dieses Jahr

gescheitert ist, wäre es – würde man die humanitäre Bewegung nicht mit ins Kalkül beziehen – in den

nächsten zwei Jahren schwierig, überhaupt ein Forum zu finden, in dem über nukleare Abrüstung

verhandelt werden kann.

191 Staaten waren dieses Jahr vertreten. Der Beitritt Palästinas dieses Jahr kann dabei lediglich als

Bestreben gewertet werden, den eigenen Status als völkerrechtlich anerkannter Staat voranzutreiben.

Implikationen für den NPT ergeben sich eher aus dem Beobachterstatus Israels. Bislang hatte Israel

weder an den NPT-Konferenzen noch an den humanitären Konferenzen teilgenommen. Ein Grund für

die Annäherung an das NPT-Forum könnte sein, dass sich USA 2010 die Interessen Israels nicht mehr

vertreten haben. Der Beobachterstatus könnte in diesem Sinne einen Versuch darstellen, wieder ein

Maß an politischer Kontrolle zurückzugewinnen. Im Verlauf der Konferenz zeigte sich, dass dies auch

tatsächlich gelungen ist.

Neben den Staatendelegationen waren zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen akkreditiert.

Insbesondere aus Japan gab es viele Teilnehmer, auch aus dem universitären Umfeld, da die RevCOn

mit dem 70. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zusammenfiel.

In den ersten zwei Wochen fand die Plenardebatte statt, in der die Staaten in Statements ihre

Positionen klarstellen und eher formale Aussagen machen. Traditionell bekennt man ich

beispielsweise affirmativ zum NPT, moniert den „lack of progress“ in der Debatte oder drückt

Hoffnungen auf einen positiven Ausgang der Konferenz aus.

Ab der dritten Woche trafen sich die Delegierten in den Main Committees I-III (MC) und den

dazugehörigen Subsidiary Bodies. Die MC sind öffentlich zugänglich für die Vertreter der

Zivilgesellschaft, die Subsidiary Bodies stellen ein nicht zugängliches Gremium dar. Inhaltlich ging es in

MC I um Fragen der Abrüstung und Proliferation, in MC II um die Errichtung einer

massenvernichtungswaffenfreien Zone im Mittleren Osten und in MC III um die zivile Nutzung von

Kernenergie. Zu Konflikten und Spannungen kommt es naturgemäß vor allem in den MC I und II; MC

III stellt ein weniger belastetes Themenfeld dar.

Hauptkonfliktlinien im Nichtverbreitungsregime

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Bei der PrepCom 2014 fiel in der Plenardebatte vor allem auf, dass zwei Konfliktfelder einen zentralen

Raum eingenommen haben. Zum einen waren dies die Ukrainekrise und der Bruch des Budapester

Memorandums durch Russland, das die territoriale Integrität der Ukraine sicherstellt. Zum anderen

hatten die Marshall-Inseln im Vorfeld der Konferenz eine Klage beim IGH eingereicht, die sich gegen

alle neun Atomwaffenstaaten richtet. Die Marshall-Inseln sind von den USA zwischen den 40er und

50er Jahren für fast 70 Atomwaffentests missbraucht worden. Einzelne Teile der Inselgruppe, wie

beispielsweise das Bikini-Atoll sind noch heute unbewohnbar, aufgrund der hohen Strahlenbelastung.

Da von den Atomwaffenstaaten nur Indien den IGH anerkannt hat, ist nicht damit zu rechnen, dass

die USA auf die Klage reagieren werden. Zudem ist diese auch von einem nationalen Gericht

abgewiesen worden. Die Statements der Marshall-Inseln und die Diskussion um die Ratifikation des

CTBT stießen aber besonders bei den humanitär ausgerichteten Staaten und der Zivilgesellschaft auf

großes Interesse und Anteilnahme.

2015 ist die Klage des Inselstaats ziemlich in den Hintergrund gerückt. Auch der Bruch des Budapester

Memorandums, das immerhin die Grundlage für eine aggressivere NATO-Politik in Europa (auch unter

Einbezug zahlreicher osteuropäischer Staaten) darstellt, war ein Thema, das in der Plenardebatte nur

okkasionell erwähnt wurde. Stattdessen hat die Diskussion um eine massenvernichtungswaffenfreie

Zone im Mittleren Osten (die sogenannte MEWMDFZ) erheblich an Bedeutung gewonnen; sie ist

quasi zum Schlüsselthema der gesamten Konferenz avanciert. Nordkorea war sowohl dieses als auch

letztes Jahr ein Spannungsfeld, das nur am Rande behandelt wurde – da hier keine konkreten Schritte

in Aussicht stehen, solange Nordkorea auf dem diplomatischen Wege nicht zu erreichen ist.

Das Scheitern der Konferenz

Wie bereits angedeutet, kam die Konferenz zu keinem positiven Ausgang. Am Ende der vierwöchigen

Verhandlungsphase stand kein im Konsens beschlossenes Dokument, dass weitere konkrete

Abrüstungsschritte und die Stärkung von Transparenz und insbesondere von Artikel VI vorsieht. Hier

bietet sich ein kurzer Rückblick auf die RevCon 2010 an, die einen Prototyp für eine erfolgreiche NPT-

Debatte darstellt.

Die damalige Konferenz wurde von der Zivilgesellschaft als progressives Momentum gewertet.

Damals standen die Staaten nach einer ebenfalls gescheiterten Konferenz in 2005 unter „Schock“.

Daraus entwickelte sich eine Dynamik, den NPT voranzutreiben. Die Staatengemeinschaft einigte sich

auf einen Aktionsplan, bestehend aus 64 konkreten Schritten, die im Konsens beschlossen wurden.

Laut einer Analyse der NGO Reaching Critical Will wurde von diesen Schritten jedoch gerade einmal

eine Handvoll tatsächlich umgesetzt10. Am Ende eines vielversprechenden Prozesses stand daher die

Ernüchterung, dass kein wirklicher Fortschritt erzielt wurde.

Die Situation 2015 knüpfte an diese Entwicklung (oder besser: Nicht-Entwicklung) an, in dem Sinne,

dass bereits im Vorfeld starke Zweifel daran geäußert wurden, dass ein positives Ergebnis erreicht

werden könne. Bereits in der dritten Woche zeichnete sich ab, dass die Konferenz scheitern würde,

nachdem es zwischenzeitlich erst im MC I und dann im MC II zu eklatanten Unstimmigkeiten kam.

Vordergründig machten insbesondere die Staaten selbst Israels Einfluss auf die USA zum Anlass für

das Scheitern. Frustration herrschte am letzten Tag der RevCon nicht primär angesichts des

Scheiterns an sich, sondern angesichts der Tatsache, dass ein Nicht-NPT-Mitglied einen derartigen

10Vgl. NPT Action Plan Monitorin Report von Reaching Critical Will:

http://www.reachingcriticalwill.org/resources/publications-and-research/publications/5456-npt-action-plan-

monitoring-reports (letzter Zugriff am 3. Juni 2015).

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machtpolitischen Einfluss auf die Verhandlungen genommen hatte und die Verhandlungen über die

Situation im Mittleren Osten bis auf weiteres blockierte.

Ein anderer, noch heiklerer Grund für den negativen Ausgang der Konferenz ist aber vor allem in der

zunehmenden Polarisierung der Staatengemeinschaft zu sehen. Während sich die P5 und irhe

Unterstützerstaaten als „Realisten“ sehen, die einem pragmatischen Schritt-für-Schritt-Ansatz in der

Abrüstung folgen, stehen auf der anderen Seite die 159 Nationen, die sich bisher der humanitären

Initiative angeschlossen haben. Sie sprechen sich dafür aus, die „katastrophalen humanitären

Konsequenzen“ von Atomwaffen in den Fokus der Abrüstungsbemühungen zu stellen. Der Terminus

der „katastrophalen Konsequenzen“ ist 2010 einvernehmlich in das Abschlussdokument

aufgenommen worden. Die humanitäre Initiative wird von den restlichen Staaten meist als

emotionalisiert, unpragmatisch, irrational oder „romantische Idee“ abgetan.

In der abschließenden Sitzung äußerten sich die USA, vertreten durch die Staatssekretärin für

Abrüstung, Rose Gottemoeller, dass man das Scheitern der Konferenz „bedaure“ und beklagten, dass

„einige versucht [haben], auf zynische Weise den NPT zu manipulieren“ und verwiesen auf ihre „long-

standing principles“, die von einigen Staaten unterminiert würden. Südafrika, das als einziges Land

bisher sein Atomwaffenprogramm vollständig gestoppt hat, verglich den NPT mit einem Apartheid-

Regime, da eine Minderheit der Mehrheit ihre Regeln aufoktroyiere.

Die Humanitäre Initiative als Fortschritt

Trotz der Unstimmigkeiten, die die RevCon dominierten, ist ein deutlicher Fortschritt mit Blick auf die

humanitäre Bewegung als Ganzes zu erkennen – und insbesondere hinsichtlich der Humanitarian

Pledge. Bis zum Ausgang der RevCon hatte sie bereits 107 Unterzeichner.

Initiiert wurde die Humanitarian Pledge von der österreichischen Regierung. Auf der humanitären

Konferenz im Dezember 2014 wurde die Selbstverpflichtung präsentiert, die von allen Regierungen

unterzeichnet werden kann, die sich für ein komplettes Verbot von Atomwaffen – auch außerhalb des

NPT – aussprechen wollen. Anfänglich Mitglieder umfassend, ging die Zahl an Unterzeichnern

insbesondere während der RevCon noch einmal stark nach oben, was auch an dem Einfluss

zivilgesellschaftlicher Vertreter auf einzelne Staaten lag.

Von den P5 und ihren Unterstützern, also auch der deutschen Regierung als Teil der nuklearen

Teilhabe der NATO, wird der Humanitarian Pledge vorgeworfen, den NPT durch ein neues Regelwerk

ersetzen zu wollen und damit einen Ausritt der Atomwaffenstaaten zu riskieren. Wie sich aus dem

Vertragstext der Pledge ergibt, wird jedoch eine Ergänzung angestrebt, nicht ein Ersatz des NPT. Dort

heißt es: „Austria calls on all states parties to the NPT to renew their commitment to the urgent and

full implementation of existing obligations under Article VI, and to this end, to identify and pursue

effective measures to fill the legal gap for the prohibition and elimination of nuclear weapons and

Austria pledges to cooperate with all stakeholders to achieve this goal”. Hier zeigt sich ein deutlicher

Bezug zu den bereits existierenden Verpflichtungen, wie sie im NPT angelegt sind. Beabsichtigt ist

lediglich die tatsächliche Umsetzung dieser Verpflichtungen, die durch ein Verbot unterstützt würde.

Zusammenfassung – daran „krankt“ der NPT derzeit

Im Mittleren Osten ist kurz- und mittelfristig keine Einigung zu erwarten. Von den meisten Staaten

(auch den P5-Unterstützern) wird zudem immer wieder auf den „lack of progress“ innerhalb der NPT-

Verhandlungen verwiesen, und darauf, dass man enttäuscht darüber sei. Die P5 selbst stellen ihre

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Abrüstungsschritte als ausreichend dar – wobei vor allem Großbritannien und die USA die

zahlenmäßige Reduktion ihres Arsenals als Abrüstung darstellen, gleichzeitig aber Modernisierung

verfolgen – wodurch sich Auf- und Abrüstung gegenseitig aufheben.

Außerdem blockiert die Polarisierung der Staaten den gesamten Prozess. Die Minderheit will ihre

Position nicht anerkennen, bei den humanitär ausgerichteten Staaten kommt es zu Frustration und zu

dem Gefühl, als Staaten nicht ernstgenommen zu werden.

Daraus resultiert – bezogen auf das NPT-Forum – Fatalismus auf allen Seiten. Die Atommächte

wissen, dass sie ihre Position nicht ohne weiteres vertreten können, wenn sich 107 Staaten humanitär

verpflichtet haben und fast 160 die humanitäre Bewegung als solche unterstützen. Gleichzeitig sehen

die „humanitären Staaten“ den NPT nicht mehr als das Forum an, in dem progressive Schritte

eingeleitet werden können. 2005 war der Schock oder die Entrüstung darüber, dass man zu keinem

Konsens gekommen ist, wesentlich größer – was auch den Aktionsplan von 2010 ermöglichte. Dieses

Jahr schien man allgemein damit gerechnet zu haben, dass kein finales Dokument zustande kommen

würde. Sollte der NPT auch in Zukunft noch völkerrechtlich Relevant bleiben, dann scheinen eine

Ergänzung von außerhalb und das unmittelbare Verbot von Nuklearwaffen unumgänglich.

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