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Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts Herausgegeben von Ernst-Dieter Hehl, Ingrid Heike Ringel und Hubertus Seibert [an Thorbecke Verlag Stuttgart 2002 ~'\ n IA~· - \J'c!,~Ol

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Das Papsttum in der Weltdes 12. Jahrhunderts

Herausgegeben vonErnst-Dieter Hehl, Ingrid Heike Ringel

und Hubertus Seibert

[an Thorbecke Verlag Stuttgart2002

~'\n IA~· -\J'c!,~Ol

Page 2: Das Papsttum in derWelt des 12.Jahrhunderts · Kanzlei istdenn auch einesder Bildmotive, dieAurea Romanämlich, wiesieuns auf den Revers der Papstsiegel so häufig begegnet (Abb

INGO HERKLOTZ

Bildpropaganda und monumentaleSelbstdarstellung des Papsttums

Nur zögerlich, so scheint es die freilich lückenhafte Überlieferung zu suggerieren,griff das Papsttum der im vorliegenden Band behandelten Epoche auf eine ideolo-gisch geprägte Bildpropaganda und monumentale Mittel der Selbstdarstellungzurück. Kleine, indes weit verbreitete Bildträger, nämlich die den päpstlichen Privi-legien und liiterae beigefügten Bleibullen (Abb. 1-7), waren es, die als erste denSchritt zu programmatischenAussagen vollzogen'.

Daß die Epoche zwischen Viktor II. (1055-1057) und Paschalis II. (1099-1118),jene Zeitspanne also, die sich in weiten Teilen mit der des Reformpapsttums unddem Investiturstreit deckt, für die päpstliche Siegelgestaltung einen eigenständigenAbschnitt verkörpert, ist hinlänglich bekannt. Am Anfang dieser Epoche steht derÜbergang vom reinen Schriftsiegel, das für die päpstlichen Urkunden des früherenMittelalters allein charakteristisch gewesen war, zum Bildsiegel. Das Ende der um-schriebenen Phase zeichnet sich dagegen aus durch die Festlegung einer definitivenSiegelikonographie, welche für die Jahrhunderte der Folgezeit, ja bis zur Gegenwartfür die päpstliche Kanzlei maßgeblich blieb.

Für die Verwendung der Bildsiegel dürfte das Vorbild der kaiserlichen Urkun-den entscheidend gewirkt haben'. Den Weg von der kaiserlichen in die päpstlicheKanzlei ist denn auch eines der Bildmotive, die Aurea Roma nämlich, wie sie uns aufden Revers der Papstsiegel so häufig begegnet (Abb. 1-3,6), mitgegangen", EineStadtabbreviatur mit Roma-Legende taucht auf den Herrschersiegeln bereits unterKar! d. Cr. auf, gemeinsam mit der programmatischen Legende RENOVATIO IM-PERII ROMANI. Konrad IT.zeigt auf seinen Bullen dann seit 1033die Romvedutemit der Aufschrift AUREA ROMA und dem in der Folgezeit verbindlichen Vers

1 Eine vollständige Publikation des einschlägigen Materials bietet JULIUSVONPFLUGK-HART-TUNG,Specirnina selecta chartarum Pontificum Romanorum. Pars tertia (Sigilla), Stuttgart 1887.Dieser Tafelband erschien ohne Kommentar, wird aber ergänzt durch die Erörterungen der Sie-gel in: DERS.,Die Bullen der Päpste bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts, Gotha 1901, bes.S. 44-58. Unsere Abb. 1-7 beruhen auf den Pausen bei PFLuGK-HARTTUNG,Specimina, T.VII-IX.Die folgende inhaltliche Auswertung der Siegeldarstellungen faßt ältere Ergebnisse des Veri.zusammen; vgl.INGO HERKLOTZ,Zur Ikonographie der Papstsiegel im 11. und 12. Jahrhundert,in: Für irdischen Ruhm und himmlischen Lohn. Stifter und Auftraggeber in der mittelalterli-chen Kunst, hg. von liANs-RUDOLPMEIER, CARoLA JÄGGI,I'HILIPPE BÜTTNER,Berlin 1995,S. 116-130; dort auch weitere Sekundärliteratur.

2 Orro POSSE,Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige von 751 bis 1806, bes. Bd. 1, Dresden1909; PERCYERNSTScHRAMM, Die deutschen Kaiser und Könige inBildern ihrer Zeit 751-1190,hg. von FLORBNTINl!MÜTHERICH,München 1983, passim.

3 Zum folgenden bes. WILHELMERBEN,Rombilder auf kaiserlichen und päpstlichen Siegeln desMittelalters, Graz u. a. 1931, S. 23-45.

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ROMA CAPUT MUNDI REGITORBISFRENA ROTUNDI4.Wie unter Karl d. Gr. istdie Stadt damit als Zentrum der Weltherrschaft in der antiken Tradition begriffen.

Die Rezeption der kaiserlichen Ikonographie seitens der päpstlichen Kanzleidürfte indes nicht ohne eine ideologische Akzentverschiebung vonstatten gegangensein, für die Leo IX. (1049-1054) Verantwortung getragen zu haben scheint. SprichtLeo vom hl. Petrus als dem defensor aureae Romae, so setzt er dem antik-kaiserlichenRombild eine petrinisch-päpstliche Deutung entgegen', Nicht die imperiale, son-dern allein die vom Papsttum weiterzuführende Aposteltradition macht für Leoden Glanz der Stadt aus.

Unmittelbarer als im Bild der Aurea Roma kommt das petrinische Thema aufden Vorderseiten der Bullen zum Ausdruck. Viermal, bei Viktor IT., Nikolaus IT.,Alexander IT. und auch bei Gegenpapst Wibert (Clemens m.) begegnet uns dieSchlüsselübergabe an den Apostelfürsten (Abb. 1,3,4,6). Stephan IX. ließ dagegenPetri Weideauftrag darstellen (Abb. 2). Mit der Schlüsselübergabe nach Matthäus16,18-19 und dem auf [ohannes 21, 15-17 fußenden Pasce agnos meos sind die beidenklassischen Bibelstellen zur Begründung des päpstlichen Primats illustriert", Ebendiese beiden Herrenworte brachten die Vorrangstellung Petri innerhalb des Apo-stelkollegs am eindeutigsten zum Ausdruck und eröffneten die Möglichkeit, den rö-mischen Nachfolger und Erben des hl, Petrus zum uneingeschränkten Haupt derchristlichen Kirche zu deklarieren. Auch die päpstlichen Urkunden haben sich zu-mindest in ihren Primatarengen und den Pönformeln seit ältesten Zeiten hundert-fach auf die zwei Bibelstellen berufen",

Im Sinne einer Primatikonographie greifen die Bleibullen noch eine weitereEpisode aus dem Leben des Heiligen auf. Unter den Füßen des Apostelfürsten, wiedas Siegel Clemens' m. ihn vorführt (Abb. 6), wollte Pflugk-Harttung eine sturmbe-wegte Wellenlinie erkennen. Selbst wenn der visuelle Befund hier überfordert wor-

4 Zur Entstehung und Bedeutung dieses Verses vgl. neben ERBEN,Rombilder (wie Anm. 3),S.40-44, auch HERBERTBLOCH,Der Autor der »Graphia aureae urbis Romae«, in: Deutsches Ar-chiv zur Erforschung des Mittelalters 40,1984, S. 55-175, bes. S. 94-97.

5 Vgl. Leos Besitzbestätigung für die Kanoniker von St. Peter (21. März 1053), MIGNE, PL 143,Sp. 705 (JL 4292); dazu auch MICHELBMACCARRONE, La teologia deI primato romano deI secoloXI, jetzt in: DERS., Romana ecclesia - cathedra Petri, Rom 1991, Bd. I, S.541-670, hier S.579,Anm.l09.

6 Zur Ausdeutung der Matthäus-Verse vgl. man JOSEFLUDWIG, Die Primatworte Mt 16, 18-19, inder altkirchlichen Exegese, Münster 1952; l<ARLFIuBDFRÖHLICH,Formen der Auslegung vonMatthäus 16, 13-18, im lateinischen Mittelalter, Tübingen 1963. Weitere Uteratur bei JANNISSPI-TERIS,La Critica Bizantina deI Primato Romano nel secolo XII, Rom 1979, S.46, Anm. 81, undWILHELMIMKAMP,Das KirchenbiId Innocenz' ill. (1198-1216), Stuttgart 1983, S.274, Anm.9.Zur Interpretation von [oh 21, 15-17, siehe die Uteratur bei WALTERULLMANN,Die Machtstel-lung des Papsttums imMittelalter. Idee und Geschichte, Graz u, a. 1960, S. 599f., Anm.l; sowieRUDoLPFEsCH,Simon-Petrus. Geschichte und geschichtliche Bedeutung des ersten Jüngers [esuChristi, Stuttgart 1980, bes. S. 57f., 165, 168.

7 Zum Formular der Arengen: MARIAKOPCZVNSKI,Die Arengen der Papsturkunden nach ihrerBedeutung und Verwendung bis zu Cregor VII., (Diss.) Bottrop 1936; HEINRICHFICHTENAU,Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln, Graz/Köln 1957,S.91-121; I<ARL AUGUSTFINK,Arengen in späbnittelalterlichen Papsturkunden, in: MelangesEugene TIsserant, Bd.4, Cittä del Vaticano 1964, S.205-227; für die Pönformeln: FRITZBore,Über die Poenformeln in den Urkunden des früheren Mittelalters, in: Archiv für Urkundenfor-schung 6, 1918, S. 77-148; JOACHIMSTUDTMANN,Die Pönformel der mittelalterlichen Urkunden,in: Archiv für Urkundenforschung 12, 1932, S. 251-374.

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den ist, so bringt zumindest das Siegel Viktors ll. den von Pflugk-Harttung benann-ten Gedanken zumAusdruck: TU PRO ME NAVEM LIQUISTI, SUSCIPECLAVEM,lautet dort die Legende der Petrusseite (Abb. 1) und verknüpft die Schlüsselüberga-be mit dem Seewandel Petri nach Matthäus 14,22-23. Daß Petri Mut, als einzigerund erster über das Wasser zu gehen, eine der Voraussetzungen für seine Sonder-stellung unter den Aposteln bildete, war seit den patristischen Bibelkommentarenwiederholt hervorgehoben worden", Eine so prägnante Verbindung mit der höch-sten petrinischen Amtsgewalt, wie die Siegellegende sie ausspricht, stellen die älte-ren Quellen indessen nicht her. Für die ikonographische Vereinnahmung von Mat-thäus 14,22-23 im päpstlichen Sinne käme den Siegeln somit eine herausragendeBedeutung zu. Exegetische und ikonographische Kreativität des Reformpapsttumsscheinen hier tatsächlich greifbar zu werden.

Schon die ikonographischen Neuschöpfungen Gregors Vll. (Abb. 5) gehenüber das rein petrinische Thema hinaus. Erstmals begegnet uns bei ihm jenes Motiv,das seit Paschalis ll. (Abb. 7) zum fortan kanonischen Typus geraten sollte, denn dieApostel Petrus und Paulus erscheinen hier - anfangs als Büsten, dann als reineKopfbilder - gemeinsam und repräsentieren somit die doppelte Apostolizität despäpstlichen Stuhls. Während der frühen Ausbauphase des römischen Primats in derzweiten Hälfte des 4. Jahrhundert bis hin zu Leo d. Gr. hatte die Lehre von derGründung der römischen Kirche durch beideApostelfürsten eine wichtige Rolle ge-spielt, in der Primatsdiskussion des frühen Mittelalters besaß sie allenfalls ergän-zenden Wert9•Tatsächlich gestanden erst Leo IX.und mehr noch Gregor Vll. dem hi.Paulus wieder einen dem Petrus annähernd ebenbürtigen Rang zu.

Immer wieder verfaßte Gregor seine Beschlüsse ex parte beatorum apostolorumPetri et Pauli et nostra per eos apostolica auctoritate10• Die römische Kirche schien ihmauf Veranlassung Christi durch Petrus und Paulus über dem festen Fels gegründetund durch ihr eigenes Blut geweiht", Heilsversprechungen und Segenswünscheglaubte er stellvertretend für die zwei Heiligen in Aussicht stellen zu können, ererteilte die Absolution mit der ihm von den beiden übertragenen Autorität, be-schwor Petrus und Paulus als zukünftige Richter und drohte in ihrem Namen -auch in seinen Pönformeln - mit dem Anathem'L Die zweite Bannsentenz gegen

8 Hm.MTRuu KÖHREN-JANSEN,Giottos Navicella. Bildtradition, Deutung, Rezeptionsgeschichte,Worms 1993,5.107-114.

9 Für die auf Leo I. hinführende Tradition bes. CHARLBSPIETRI,Roma christiana. Recherches surl'Eglise de Rome, son organisation, sa politique, son ideologie de Miltiade a 5ixte ill (311-440),Paris/Rom 1976, Bd.2, S. 1537-1626; JANETM. HUSKINSON,Concordia Apostolorum. ChristianPropaganda at Rome in the Fourth and Fifth Centuries. A Study in Early Christian Iconographyand lconology, Oxford 1982;MrCHELB MACCARRONB,La concezione di Roma cittä di Pietro e Pa-010 da Damaso a Leone I, in: DBRS.,Romana ecclesia (wie Anm. 5), Bd. I, S. 175-206. Spätere Ver-weise auf die doppelte Apostolizität zitiert HANs MARTINKLINKBNBERC,Der römische Primatim 10. Jahrhundert, in: Zeitschrift der Savigny-5tiftung für Rechtsgeschichte. Kan. Abt. 41, 1955,5.1-57, hier S. 14f.,44.

10 Das Register Gregors VII., hg. von ERIOl CASPAR (MGH Epistolae selectae 2), Berlin 1920-23,5.22 (I, 13), 68 (I, 44), 155 (il, 23), 240 (II, 76), 375 (V, 15); LEo 5ANTIFALLER,Quellen und For-schungen zum Urkunden- und Kanzleiwesen Papst Gregors VII., Bd. I, Cittä del Vaticano 1957,5.19,144.

11 Register (wie Anm. 10), S. 93 (I, 64).12 Register (wie Anm. 10), S. 55 (1,34),57 (1,35),61 (1,38),71 (1,46),77 (I, 50), 106 (I, 74), 168 (il, 31),

199 (il,54) u.v.a.; 5ANTIFALLBR,Quellen (wie Anm.10), 5. 48.

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Heinrich rv. (1080)war dieser Amtsauffassung gemäß als ein Gebet an jene beidenApostelfürsten formuliert, die ihm das schwere Gewicht ihrer Kirche auferlegt hat-ten und deren Thron er einnahm'P, Ja, als Papst handelte Gregor geradezu vice be-atorum apostolorum Petri et Paulz14•

Wenn der unter Gregor eingeführten Siegelikonographie letztendlich ein durch-schlagender Erfolg beschieden war, so dürfte schon die in so vieler Hinsicht rich-tungsweisende Bedeutung dieses Papstes zu einer solchen Wrrkung beigetragenhaben. Überdies blieb die doppelte Apostolizität in den päpstlichen Kanzleiformula-ren fortan dauerhaft gegenwärtig. Unter Urban II. begegnen wir erstmals einer neu-en Primatarenga, die sich auf beide Apostel bezieht. Die in den päpstlichen Urkun-den verwandte Einleitungsformel Justis votis definiert den Papst als Wächter oderHerold (custos bzw. praeco), der durch göttlichen Willen auf die hoch emporragendeWarte der Apostelfürsten Petrus und Paulus gesetzt sei", Urban, welcher sich an-dernorts als Petri Paulique vicarius bezeichnete=, fand mit seiner Arenga weiten An-klang. Paschalis II., unter dem das Apostelsiegel seine endgültige Ausprägung er-hielt, sowie dessen unmittelbare Nachfolger griffen häufig auf die Justis-votis-Arengazurück'", Mit dem 12. Jahrhundert bildete sich für die litterae schließlich auch dieklassische, viele Generationen lang gültige Pönformel heraus. Sie lautet: Nulli ergoomnino hominum liceat hanc paginam nostrae confirmationis (oder ähnlich) infringere velei ausu temerario contraire. Si quis hoc attemptare praesumpserit, indignationis omnipoten-tis Dei et beatorum Petri et Pauli apostolorum eius se noverit incursurum'". Auch diese For-mellegte eine Beibehaltung der zweifachen Aposteldarstellung nahe.

Mit den Wandmalereien, die Calixtus II. 1122/23 bald nach Abschluß desWormser Konkordats in der Camera pro secretis consiliis des Lateranpalastes anbrin-gen ließ (Abb. 8-9), war ein für die päpstliche Selbstdarstellung in vielfacher Hin-sicht erstaunlicher Schritt getan". Von den kleinformatigen Siegelbildern ging

13 Register (wie Anm. 10), S. 483 (VII, 14a).14 Register (wie Anm. 10), S. 55 (I, 34), 336 (IV, 23), 593 (IX, 14). Eine außergewöhnliche Betonung

der Rolle des coapostolus Paulus ist auch für die 1087 abgeschlossene Kanonessarnmlung desKardinals Deusdedit, eines Anhängers Gregors Vll., beobachtet worden; vgl. UTA-RENATEBLUMENTHAL,Fälschungen bei Kanonisten der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts, in: Fäl-schungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica, Mün-chen 16.-19. September 1986 (MGH Schriften 33), Bd. 2, Hannover 1988, S. 241-262.

15 Vgl. etwa MIGNE, PL 151, Sp.295 (JL 5391), 317 (JL 5427),343 (JL 5463), 412 (JL 5559),414(JL5560), 428 (JL5582), 496 (JL5691),502 (JL5699),524 (JL5729); JULIUSVONPF!.UGK-HARTTUNG,Acta pontificum romanorum inedita, Tübingen 1881-86, Bd. 1, S. 56 OL5457),58 (JL5503); Bd. 2,S. 160 (JL5558), 163 (JL5686). Weitere Nachweise der Formel im Index initiorum des [affeschenRegestenwerkes (Bd. 2 S. 796) sowie auf Grundlage der neueren Papsturkundenforschung beiRUDOLFHIESTAND,Initien- und Empfängerverzeichnis zu Italia Pontifida I-X (MGH Hilfsrnit-teI6), München 1983, S. 33f. und DERs., Initienverzeichnis und chronologisches Verzeichnis zuden Archivberichten und Vorarbeiten der Regesta pontificum Romanorum (MGH Hilfsmittel7),München 1983, S. SOf.

16 MIGNE,PL 151, Sp. 307 (JL5412).17 Paschalis IT.:MIGNE,PL 163,Sp.48 (JL5843), 84 (JL5898), 88 OL5905), 125 (JL5968), 148 (JL6012)

u.v.a. Calixtus IT.: Bullaire du pape Calixte IT (1119-1124). Essai de restitution par ULYSSEROBERT,2Bde., Paris 1891, passim.

18 STUDTMANN,Pönformel (wie Anm. 7), S. 316; THOMASFRENZ,Papsturkunden des Mittelaltersund der Neuzeit, Stuttgart 1986, S. 20.

19 Zum folgenden ausführlicher INGOHERKLOTZ,Die Beratungsräume Calixtus' IT.im Lateranpa-last und ihre Fresken. Kunst und Propaganda am Ende des Investiturstreits, in: Zeitschrift für

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Calixtus zur monumentalen Freskomalerei über, die biblischen Primatsstellen gaber zugunsten zeitgenössischer Protagonisten auf, und er verließ den apostolischenArgumentationskreis, um sich höher greifend einer christologischen Propaganda-ebene zu bedienen. Mit Hilfe der Skizzen des vatikanischen Codex Barb.lat. 2738und der fragmentarisch überlieferten TItuli lassen sich die entscheidenden Bildmo-tive dieser Gemälde rekonstruieren-", Einem weitgehend gleichbleibenden Schemagemäß, das viermal den frontal thronenden, von geistlichen Würdenträgern umge-benen Papst über dem unter seinen Füßen niedergetretenen Gegenpapst veran-schaulichte, wurde hier der Triumph der rechtmäßigen Bischöfe Roms von Alexan-der 11.bis hin zu Calixtus selbst über die vom Kaiser eingesetzten Schismatiker inkaum zu überbietender Drastik vor Augen geführt. Mit der Übergabe der Kaiserur-kunde des Wormser Konkordats durch Heinrich V. an Calixtus - von den päpstli-chen Zugeständnissen in Worms war hingegen nichts zu lesen - nahm das chrono-logisch letzte Bild (Abb. 9: rechts) noch einmal unmittelbar auf den zurückliegendenInvestiturstreit Bezug. Beide Bildmotive, die triumphale calcatio und der Empfangeiner Urkunde, stellten für die Papstikonographie ein Novum dar. Wo lagen ihreUrsprünge?

Wie schon Christopher WaIter erkannte, war es allein die Majestas Christi, diedas Triumphmotiv der calixtinischen Darstellungen vorwegnahmt'. In Anlehnungan Psalm 90,13 (Super aspidem et basiliscum calcabis, conculcabis leonem et draconem) er-scheint der Gottessohn schon in der frühchristlichen Sarkophagplastik über demLöwen und der Schlange (Abb. 10), seit dem 9. Jahrhundert sogar über der vollenVierzahl von Untieren. In der karolingischen Buchmalerei erfährt das ThronbildChristi eine beachtenswerte Abwandlung, denn schon der Utrecht-Psalter, um 830in Reims entstanden, veranschaulicht die Gegner des Erlösers nicht nur in TIer-gestalt, sondern erstmals auch in anthropomorpher Form22• Zu einer folgenreichenBilderfindung führte der erste Vers aus Psalm 109.Die Worte Dixit Dominus Domino

Kunstgeschichte 52,1989, S. 145-214. Den calixtinischen Wandmalereien widmet sich auch dieneuere Gesamtschau zur päpstlichen Bildkunst des 12. Jahrhunderts von MARYSTROLL,Sym-bols as Power. The Papacy following the Investiture Contest, Leiden 1991, 5.16-35, die mit denMethoden ikonographischer Forschung allerdings nur wenig vertraut erscheint. Die Ergebnissevon HERKLOTZ,Beratungsräume, wurden weitestgehend übernommen durch STEPANBEu-LERTZ,Ansichten von handelnden Herrschern. Wendepunkte der salischen Geschichte in Bildund Text, in: HELMUTALTRlClITER(Hg.), Bilder erzählen Geschichte, Freiburg LBr. 1995,5.105-131, hier S. 123-129, der dem Bild von Calixtus ß. und Heinrich V. indes noch immer einanachronistisches Harmonisierungsbestreben unterstellt; und - uneingeschränkt - durch BEATE5cHn.LING, Guido von Vienne - Papst Calixt ß. (MGH Schriften 45), Hannover 1998, S. 588-594.

20 GERHARDB. LADNER,I mosaici e gli affreschi ecclestiastico-politici nell'antico palazzo latera-nense, in: Rivista di archeologia cristiana 12, 1935, S. 265-292; wieder in: DERS.,Images and Ide-as in the Middle Ages. Selected Studies inHistory and Art, Rom 1983, Bd. 1, S. 347-366, mit Ad-dendum, ibid. Bd. 2, S. 1026f. Vgl. auch DERS.,Die Papstbildnisse des Altertums und des Mittel-alters, Citta del Vaticano 1941-84, Bd. I, S. 195-201; Bd. 3, S. 40.

21 CHRISTOPHERWALTER,Papal Political Imagery in the Medieval Lateran Palace, in:Cahiers ar-cheologiques 20,1970, S. 155-176, und 21, 1971, 5.109-136; wieder in: DERS.,Prayer and Powerin Byzantine and Papal Imagery, Aldershot 1993, Aufsatz VD, bes. S. 109-119.

22 Vgl. zu den im folgenden genannten Miniaturen: Utrecht-Psalter. Vollständige Faksimile-Aus-gabe im Originalformat der Handschrift 32 aus dem Besitz der Bibliothek der Rijksuniversiteitte Utrecht, Graz 1984, fol. 4Ov, 53v, Mv, 88r, und dazu KOERTVANDERHORSTIJACOBUSH. A. EN-GELBREGT,Kommentar, Graz 1984, S. 76f., 81, 85, 94. Ferner Suzy DUPRENNE,Les illustrations dupsautier d'Utrecht. Sources et apport carolingien, Paris 1978, S. 118f.,mit T. 66, 15-18.

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meo: Sede a dextris meis donee ponam inimieos tuos seabillum pedum tuorum veranlaßtenden llluminator zu einer doppelten Throndarstellung von Gott Vater und Sohn; vordiesen dann zwei überwundene Feinde, die den Synthronoi als Fußschemel dienen(Abb.11).

Unter den zahlreichen Nachahmungen, die der Utrecht-Psalter während des11. und 12. Jahrhunderts im angelsächsischen Bereich fand, brachte die Miniaturzum 109. Psalm wohl die interessantesten Varianten hervor. Genannt sei nur dievieldiskutierte Miniatur aus dem Gebetbuch des Aelfwine von Winchester (London,British Museum), deren Entstehung zwischen 1023 und 1035 anzusetzen ist (Abb.12)23. Neben Vater und Sohn thront hier die Gottesmutter mit dem Jesusknaben undder Taube des hl. Geistes. Als seabillum, als Fußschemel, nackt und in Ketten gebun-den, erscheint die Gestalt des Satans, den der weit geöffnete Höllenschlund - eineAnspielung auf Apokalypse 20, 2-3 - zu verschlingen droht. In eben jenem Bereichder Höllenstrafen fristen auch der Verräter Judas und Arius, der Erzhäretiker, ihrunglückseliges Dasein. Seit ältesten Zeiten hatten die Kommentatoren der Offenba-rung gerade diese beiden Übeltäter zu den historischen Figuren des Antichrist ge-zählt24, so daß die Darstellung auch eine apokalyptische Vorstellung zur Anschau-ung bringt, deutet sie doch auf die Bestrafung der Ungläubigen am Ende der Zeitenhin. Hier zeigt der llluminator sich von der Psalmenexegese beeinflußt.

Schon bei Augustinus, dessen Psalterkommentar das mittelalterliche Verständ-nis maßgeblich prägte, hatte der 13. Vers des 90. Psalms eine ekklesiologische Aus-deutung erfahren, denn die unbesiegbare Ecclesia ist es für ihn, die über die vier TIe-re tnumphiert". Hinter den TIeren verbergen sich die heimtückischen Angriffswei-sen des Teufels. So steht der Löwe für das heidnische Wüten gegen den neuenGlauben, während der Drache auf die Häretiker hinweist. Mit dem Basiliskenschließlich kann nur der Teufel selbst gemeint sein. Die Kirche jedoch wird all ihreWidersacher zertreten. - Bis ins hohe Mittelalter hinein blieb Augustins Verweis aufdie vielgestaltigen dämonischen Kräfte, im besonderen auf den Angriff, wie er derGemeinschaft der Gläubigen durch Verfolgung und Häresie drohe, ebenso wie dieHoffnung auf den Triumph der Kirche und den Sieg Christi inder Ausdeutung des

23 Zur Datierung: ELZBIETATEMPLE,Anglo-Saxon Manuscripts 900-1066, London 1976, S. 94f., no.77. Zur Ikonographie bes. ERNSTH.KANrORoWlCZ,The Quinity of Wmchester, in: The Art Bul-letin 29,1947, S. 73-85; erneut in:DERS.,Selected Studies, Locust Valley 1965, S. 100-120; und J.ARCHIE KlOD, The Quinity of Wmchester Reconsidered, in: Studies in Iconography 7-8,1981-82, 5.21-33; zusammenfassend jetzt auch mGRID WESTERHOFF,Der moralisierte Judas.Mittelalterliche Legende, Typologie, Allegorie im Bild, in: Aachener Kunstblätter 61, 199~7,hier S.128-130.

24 HORSTDIETERRAUH,Das Bild des Antichrist im Mittelalter: Von Tyconius zum Deutschen Sym-bolismus, 2. verb. und erw. Aufl., Münster 1979, S. 74, 96, 149, 190, 194, 221, 257, 259.

25 Enarratio in psalmum XC, 9, Corpus Christianorum. Series Latina 39, 5.1275f. Zu den späterenKommentatoren, die unter dem Einfluß des Augustinus schrieben, zählen Cassiodor, Expositioin psalterium, MIGNE,PL 70, Sp.654; Remigius von Auxerre, Enarrationes in psalmos, MIGNE,PL 131, Sp.630; die Glossa ordinaria, MIGNE, PL 113, Sp.1000; Honorius Augustodunensis,Commentarium in psalmos, MIGNE, PL 194, Sp.560-562; und auch Petrus Lombardus, Com-mentarium in psalmos, MIGNEPL 191, Sp. 853. Zur Exegese des Psalms in der altchristlichen U-teratur auch ANTONIOQuACQUARELU,n leone e il drago nella simbolica dell'etä patristica, Bari1975,5.24-29,38-43, und passim. Ferner: JOSEPH5ZÖvERFFY,Et conculabis leonem et draconem.Embellishments of Medieval Latin Hymns: Beasts in Typology, Symbolism and Simile, in: Clas-sical Folia 17, 1963, 1-4, 5. 66-82, bes. S. 67f.

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Psalmverses das grundlegende Thema. Die schließliche Unterwerfung des Satanskonnte dabei durchaus imSinne der Apokalypse verstanden werden. Wie HonoriusAugustodunensis (+1137)schreibt: Christus itaque super aspidem et basiliscum ambula-vit, dum peccatum et mortem superavit: leonem et draconem conculcabit, dum Antichristumet diabolum in judicio in stagno ignis praecipiiabit",

Die eschatologische Deutung verbindet die Exegese von Psalm 90, 13 mit derAuslegung des 109.Psalms. Auch hier wirkte Augustin für die späteren Jahrhunder-te wegweisend'", Die zweifache Anspielung auf das gemeinsame Thronen von Va-ter und Sohn, die Prophezeiung vom Auslöschen der Könige und der Verweis aufdas Gericht über die Völker am Tage des Zorns machten eine eschatologische Deu-tung geradezu unumgänglich. Christus sitze zur Rechten des Vaters, so betont Ho-norius Augustodunensis, um mit diesem zu herrschen, doch Juden und Heidenglaubten nicht an seine Herrschaft, weil sie seinen Füßen noch nicht unterworfenseien: quod postea videbunt, cum omnia ei subjecta erunti", Am Tage des Gerichts wer-den sie zur Erkenntnis gelangen.

Die calixtinischen Fresken nahmen somit das Bild des endzeitliehen Christus-Iudex in Anspruch, um es auf die Päpste des Investiturstreits zu übertragen. Dochschließt sich die entscheidende Frage an dieser Stelle erst an: Welcher ideologischeAnspruch verbarg sich hinter einer solch hochgespannten ikonographischen Anlei-he, und wie war er zu rechtfertigen?

Tatsächlich hatten die Kampfschriften des Investiturstreits die Assoziation vonGegenpapst und Antichrist zu einem festen Topos ausgebildet. In den Traktaten desPetrus Damiani tauchen die Epitheta vice und apostolus Antichristi für eben jenen Ca-dalus auf, mit dessen Unterwerfung Calixtus zwei Generationen später seinen Fres-kenzyklus eröffnete". Devastator, Antichristus und haeresiarcha - unter diesen Na-men erscheint Wibert von Ravenna in den Briefen Gregors VI!., und noch Calixtusselbst vermeldete nach seiner Eroberung Sutris imApril1121 stolz, jenes Felsennestausgehoben zu haben, das der Kirchenfeind Burdinus dem Satan dort errichtet hat-te30• - Die zitierten Quellen ließen sich vermehren, doch bliebe der Tenor stets

26 MIGNE,PL 194, Sp. 561.27 Enarratio in psalmum CIX, Corpus Christianorum. Series Latina 40, 5.1601-20. Vgl. dazu aus

späterer Zeit Cassiodor, MIGNE, PL 70, Sp.792-799; Remigius von Auxerre, MIGNE, PL 131,Sp. 708-712; Glossa ordinaria, MIGNE,PL 113, Sp. 1030-31; Honorius Augustodunensis, MIGNE,PL 194, Sp. 693-698; Petrus Lombardus, MIGNE,PL 191, Sp.997-1002. Zur Exegese des Textesauch KANrOROWICZ,Quinity (wie Arun. 23), S. 111f. mit Arun. 45, der allerdings die Wirkungvon Hieronymus' Commentarioli in psalmos (vgl. Corpus Christianorum. Series Latina 72,S.232) überschätzt und daher den eschatologischen Akzent der Auslegung zugunsten einer -zweifellos vorhandenen - trinitarischen Komponente verkennt.

28 Commentarium in psalmos, MIGNE,PL 194, Sp. 694.29 Ep. 112: antichristi vice. Vgl. Die Briefe des Petrus Damiani, hg. von KURTREINDEL(MGH Die

Briefe der deutschen Kaiserzeit 4), Teil3, München 1989, S. 286 Z.15. Schärfer noch idem, ep. 99:Kadalous mim ille sanctae periurbaior aecclesiae, eversor apostolicae disciplinae, inimicus salutishumanae, ille inquam radix peccati, praeco diaboli, apostolus antichristi, sagitta nimirum producta depharetra saihanae, virga Assur, filius Belial,filius perdition is ... (ebd. S. 99 Z. 19-23).

30 Für Gregor VII. siehe Reg. VIII,5 (wie Arun. 10), S. 522. In der apokalyptischen Sphäre von Satanund Antichrist erscheinen bei Gregor neben dem Gegenpapst auch die vom Kaiser eingesetztenBischöfe und Heinrich N. selbst Register, passim (vgl. Index s.v. »antichristus«, »diabolus«,»sathan«): und dazu auch RAUB,Antichrist (wie Arun. 24), S. 172f., 184; KARLJOSEFBENz,Escha-tologie und Politik bei Gregor VII., in: Studi gregoriani 14, 1991, S.1-20; sowie BERNARDMe-

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gleich. Sie belegen, daß Bildpropaganda und Textpropaganda ein gemeinsames Zielverfolgten. Erhielten die illegitimen Päpste an den Wänden des Lateranpalasteseben jenen Platz zugewiesen, der in den Darstellungen des Psalters dem Satan undseinen irdischen Repräsentanten zukam, so trat damit neben die literarische »Ver-teufelung« der Gegenpäpste eine solche im künstlerischen Bereich.

In der Psalterexegese sind es die Kirche und mehr noch Christus, welche dieMächte des Bösen unter ihre Füße zwingen. Konsequenterweise wäre zu folgern,daß die Fresken der päpstlichen Residenz nicht nur eine Gleichsetzung von An-tichrist und Gegenpapst, sondern auch von Christus und rechtmäßigem Papst be-inhalteten. läßt sich eine solche Anspielung zur Zeit Calixtus' II. tatsächlich schonvorstellen? Auffallen muß es, wenn seit der Mitte des 11. Jahrhunderts die erstenzaghaften Versuche einer Neudefinition der päpstlichen Amtsbezeichnung nachzu-weisen sind. Petrus Damiani, dem der Gegenpapst Cadalus als vice des Antichristgalt, kennt ein analoges Epitheton auch für den Papst: ego claves tocius universalis aec-clesiae meae tuis manibus tradidi, et super te mihi vicarium posui, so die Primatsworte,welche er gleichsam aus dem Munde Christi an Viktor II. richter". Dem hier impli-zierten vicarius Christi entsprechen das vice Christi oder auch das vice Dei, wie derKardinal es in anderen Briefen gebraucht.

Bezeichnend mag es scheinen, wenn der zitierte Passus zugleich mit dem ange-deuteten vicarius-Christi- Titel die Übertragung der päpstlichen Schlüsselgewaltnach Matthäus 16, 18-19 zur Sprache bringt, denn nur die von Christus ausgehendeBinde- und Lösegewalt machte den Papst zum Stellvertreter des Gottessohnes. DieEssenz der Binde- und Lösegewalt bestand aber gerade darin, »daß der Papst alleindurch seine Entscheidungen verbindliche WIrkungen im Diesseits und Jenseits er-zeugen« kanrr". Daß den päpstlichen Entschlußfassungen eine solche eschatologi-sehe Wirksamkeit eigne, hat Calixtus selbst hundertfach betont. Die in seinen Bullengängige Pönformel droht bei Mißachtung neben Verlust von Stellung und Ehre auchdie Exkommunikation im irdischen Leben an, dazu aber die schlimmste erdenklicheStrafe beim Jüngsten Gericht. Wer die päpstlichen Verlautbarungen hingegen folg-sam beachte, solle schon im Diesseits die Früchte seines gottgefälligen Handelnsernten, um schließlich durch den strengen Weltenrichter mit dem Preis des ewigenFriedens entlohnt zu werden'", Das Mittel der päpstlichen Strafgewalt, das heißt das

GINN, Antichrist. Two Thousand Years of Human Fascination with Evil, San Francisco 1994,5.119-125. Für Calixtus n. siehe Bullaire (wie Anm. 17), Bd. 1,5.337 (JL 6902).

31 Ep. 46, hg. von REINDEL(wie Anm. 29), Teil2, 1988, S. 41 Z. 14£.Zur Entwicklung des Titels vica-rius Christi bietet MICHEU MACCARRONEdie gültige Abhandlung: Vicarius Christi. Storia del ti-tolo papale, Rom 1952. Ergänzend für das 11. Jahrhundert DERS., La teologia del primato roma-no del secolo XI, in: Le istituzioni ecclesiastiche della ..societas christiana« dei secoli XI-XII. Pa-pato, cardinalato ed episcopato. Atti della quinta Settimana intemazionale di studio (Mendola,26-31 Agosto 1971), Mailand 1974, S. 21-122, hier S. 74-78 zu Petrus Damiani. Zeremoniale Fol-gerungen, die eine solche Amtsauffassung seit dem 12 Jahrhundert mit sich brachte, untersuchtAGOSTINOPARAVICINIBAGLIANI,Il corpo del papa, Turin 1994, 5.82-144 (deutsche Überset-zung: Der Leib des Papstes. Eine Theologie der Hinfälligkeit, München 1997, S. 68ff.).

32 ULLMANN,Machtstellung (wie Anm. 6), S.XXVI, Anm. 4.33 So in seinem Privileg für die Abtei St. Paul zu Besancon vom 7. April1119 (JL 6685), Bullaire (wie

Anm. 17), Bd. 1, S. 5: ... Si qua igitur ecclesiastia: secularisoe persona hanc nostre constitutionis pa-ginam seiens contra eam iemere venire tentaverit, secunda tertiove monita, si non satisfactione congruaemendaoerit, potestatis honorisque sui dignitate careatque se divino judicio existere de perpetrata iniqui-

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Abb. 1: Siegel Viktors IT.

Abb. 2: Siegel Stephans IX.

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Abb. 3: Siegel Nikolaus' IT.

Abb. 4: Siegel Alexanders IT.

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Abb. 5: Siegel Gregors VII.

Abb. 6: Siegel Clemens' Ill. (Wibert von Ravenna)

Abb. 7: Siegel Paschalis' IT.

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Abb. 10: Ravenna, Braccioforte, sogenannter Pignata-Sarkophag: Christus, flankiert von Aposteln,thront über dem Löwen und der Schlange

Abb. 11:Utrecht, Bibliotheek der Rijksuniversiteit, Ms. 32, fol. 64v: Psalm 109

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Abb. 12: London, British Museum, Cotton Titus D. xxvn, fo1.75v: Psalm 109

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Abb. 15:Vatikanische Museen: Helena-Sarkophag

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Abb. 17: Vormals Rom, Portikus der Lateranbasilika: Konstantinische Schenkung (nach Barb.lat. 4423, fol. 14)

Abb. 18: Vormals Rom, Portikus der Lateranbasilika: Die römische Flotte unterwegs nach Judaea;Vespasian und Titus belagern Jerusalem (nach Ciampini)

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Instrument, die Binde- und Lösegewalt in der Praxis zu verwirklichen, ist damit be-reits angesprochen: Exkommunikation und Anathem waren es, kraft derer Papst,Bischof und Konzil die Verdammung durch den Weltemichter antizipieren konnten.Auf den Gegenstand unserer Malereien übertragen bedeutet dies: In der Exkommu-nikation der Schismatiker, wie die rechtmäßigen Päpste und ihre Konzilien sie wie-derholt vorgenommen hatten, lag bereits deren endgültige Aburteilung durch Chri-stus beschlossen. Auch die während des Investiturstreits in Rom gängige Bannsen-tenz faßt Wurzel und Wirkung des Anathems einprägsam zusammen: ... potestatenobis collata ligandi et solvendi in caelo et in terra, a praetiosi corporis et sanguinis dominiperceptione et a societate omnium christianorum separamus et a liminibus sanctae matrisaecclesiae in caelo et in terra excludimus et excommunicatum et anathematizatum essedecernimus et damnatum cum diabolo et angelis eius et omnibus reprobis in igne aeternoiudicamus ... 34. Erst im Lichte dieser Sentenz wird vollends verständlich, warumzwischen den calixtinischen Wandmalereien und der Miniatur des Aelfwine-Codex(Abb. 12) ein so enger ikonographischer Zusammenhang besteht: Dem Ausschlußder Gegenpäpste aus der irdischen Kirche wird deren Verdammnis in caelo, ihreÜberantwortung an den feurigen Pfuhl des Satans, unweigerlich folgen; obwohl siemit zeitlichem Abstand sich ereignen, bilden irdische und himmlische Strafe eineuntrennbare Einheit.

In den Bereich der Sakralikonographie führt uns auch die Vorgeschichte der la-teranensischen Darstellung Heinrichs V. (Abb. 9: rechts). Sie gehörte der Kategoriedes Stifterbildes zu. Daß der Stifter nicht bei der Übergabe eines Objekts, sondernbei der Präsentation einer Urkunde erscheint, ist aus den illuminierten Chartularenund Chroniken geläufig". Der vatikanische Codex Barb. lat. 2724 aus dem KlosterS.Vincenzo al Voltumo südlich Roms, der imwesentlichen während der zwanzigerJahre des 12. Jahrhunderts ausgefiihrt wurde, kann als anschauliches Beispiel fürdiese Handschriftengruppe gelten36• Die Gestalt des Herrschers, der die Privilegien

tate cognoscat et a sacratissimo corpore et sanguine Dei Redemptoris nostri [esu Christi alienafiat atquein extremo examine districte ultione subjaceat. Cunctis autem eidem ecclesiejura servantibus sit pax Do-mini nostri [esu Christi, quatenus et hic fructum bone actionis percipiant et apud districtum judicem pre-mia pacis eterne inveniant. Etwa 190 und damit mehr als die Hälfte der im Bullaire zusammenge-stellten Bullentexte weisen diese Pönfonnel auf. - Grundsätzliches zu Sinn und Inhalt von Straf-formeln in der mittelalterlichen Diplomatik bieten die Arbeiten von BoYE,Poenformeln (wieAnm. 7), und STUDTMANN,Pönfonnel (wie Anm. 7).

34 CYRILLEVOGEL/REINHARDELZE,Le pontifical romano-gennanique du dixieme siecle, Cittä delVaticano 1963-72, Bd. 1, S. 310. lIINIuCH SlUTS,Bann und Acht und ihre Grundlagen im Toten-glauben, Berlin 1959, S. 10, BS,zeichnet die mittelalterliche Überlieferung dieser Sentenz nach.

35 Die literarische Gattung behandeln HARTMUTHOFFMANN,Chronik und Urkunde in Montecas-sino, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 51, 1971,S. 94-206, bes. S. 94f.; und ]ÖRGKASTNER,Historiae fundationum monasteriorum. Frühformenmonastischer Institutionsgeschichtsschreibung im Mittelalter, München 1974, S. 65f. Eine Zu-sammenstellung der illuminierten Chroniken dieses Typs bietet LADNER,Papstbildnisse (wieAnm. 20), Bd. 1,S. 239; Bd. 3, S. 242-256, mit weiterer Bibliographie.

36 Vg!. die Textedition von VINCENZOFEDERICI(Fonti per la Storia d'Italia 58-60), Rom 1925-40.Zur Datierung des Manuskripts: FEDERICI,Fonti 58, S.XX-XXVI; ferner HARTMUTHOFFMANN,Das Chronicon Vulturnense und die Chronik von Montecassino, in: Deutsches Archiv für Erfor-schung des Mittelalters 22,1966, S. 179-196; LADNER,Papstbildnisse (wie Anm. 20), Bd. 3, S. 43;ALESSANDROPRATESI,TI Chronicon Vulturnense del monaco Giovanni, in: Una grande abbaziaaltomedievale nel Molise. San Vmcenzo al Volturno, a cura di FAUSTINOAVAGLlANO,Montecas-sino 1985, S. 221-231.

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des Klosters bestätigt oder diesem neue Besitzungen übereignet, tritt in den zahlrei-chen Miniaturen gemäß zweier unterschiedlicher Bildformeln auf. WIrd das Klosterdurch den jeweils regierenden Abt repräsentiert, so ist der weltliche Machthaberstehend vor dem gleichfalls stehenden Abt gezeigt (Abb. 13). Der Inhalt der Urkun-den findet sich in den Miniaturen freilich nur durch die ersten Worte der Super-skriptionsformel angedeutet. Als Vertreter der Abtei kann aber auch ihr Titelheili-ger, in unserem Falle der hi. Vinzenz, die Szene bestimmen. Die bildliehe Hierarchiemußte dann eine andere werden, denn nun erscheint der Heilige als Thronfigur, derHerrscher dagegen steht vor ihm oder schreitet auf den Thron zu, mit einer leichtenBeugung der Knie bisweilen eine Demutsgeste andeutend (Abb. 14). Die Auffas-sung des irdischen Regenten ist dabei weniger die eines großherzigen Gönners alsdie des Sterblichen, der um des jenseitigen Lohnes willen - pro redemptione animae,wie es in Hunderten von mittelalterlichen Stiftungsurkunden heißt - und somit alsein in eigener Sache Bittender vor den Heiligen tritt. Mit seiner Gabe will er einenhimmlischen Fürsprecher für sich gewinnen, der zu seinen Lebzeiten, nach dem To-de und beim Jüngsten Gericht für ihn eintreten soll.

Es kann nicht ohne kalkulierte WIrkung erfolgt sein, wenn der im Lateranpa-last tätige Maler gerade diese demutsvolle Kontrastierung von Stifter und Heiligemauf Heinrich und Calixtus übertrug. Fragen wir auch hier, welche ideologischenPrämissen die päpstliche Aneignung der spezifischen Bildtradition ermöglicht hat-ten. Schon die Wormser Kaiserurkunde besagt, daß Heinrichs Zugeständnisse proremedio animae rneae, zur Erlösung seiner Seele, erfolgten'", Der Anklang an die klas-sische Stiftungsformel war damit deutlich gegeben. Trat Calixtus, der zeitgenössi-sche Papst, ihm im Bilde als Empfänger der Stiftung entgegen, so muß dieser esauch gewesen sein, dem, einem Heiligen gleich, die Vermittlung der erhofften jen-seitigen Erlösung zugeschrieben werden konnte. Daß es mit dem 11.Jahrhundert zueiner päpstlichen Amtsauffassung kam, die danach trachtete, die päpstliche Stel-lung im Bereich einer - wie auch immer zu bestimmenden - Heiligkeit anzusiedeln,ist den Kennern der päpstlichen Theorie weithin bewußt. Sie tendieren dazu, hinterdieser sanctitas keine Heiligkeit im liturgischen Sinne, sondern etwas wie eine Erb-und Amtsheiligkeit zu verstehen, die dem römischen Bischof als Nachfolger deshi. Petrus zufiel und sich in erster Linie durch den Besitz der Binde- und Lösegewaltmanifestterte". Ob die Grenzen zwischen Amtsheiligkeit und persönlich-liturgi-scher Heiligkeitsvorstellung wirklich so genau zu ziehen waren, mag dahingestelltsein. Immerhin berichtet Paul von Bernried, daß Gregor VII. auf seinem Sterbebettden umstehenden Getreuen versprochen habe, im Himmel für sie bitten zu wol-

37 MGH Constitutiones 1, 5. 159f. Nr. 107, hier S. 159 Z. 28.38 WALTER ULLMANN, Romanus Pontifex indubitanter efficitur sanctus. Dictatus Papae 23 in Re-

trospect and Prospect, in: Studi gregoriani 6, 1959-61, 5.229-264; wieder in: DERS.,The Churchand the Law in the Earlier Middle Ages. Selected Essays, London 1975, Aufsatz XI; DOMINIKUSLINDNER, Die sogenannte Erbheiligkeit des Papstes in der Kanonistik des Mittelalters, in: Zeit-schrift der 5avigny-5tiftung für Rechtsgeschichte. Kan. Abt. 53, 1967, 5.15-26; HORSTFUHR-

MANN, Über die Heiligkeit des Papstes, in: Jahrbuch der Akademie der WISsenschaften in Göt-tingen 1980, 5.28-43 (auch in: DERS., Einladung ins Mittelalter, München 1987, 5.151-167);BERNHARD ScmMMELPFENNIG, Heilige Päpste - päpstliche Kanonisationspolitik, in: Politik undHeiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. von JÜRGEN PIrrERSOHN (Vorträge und Forschungen42), 5igmaringen 1994, 5. 73-100.

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len39• Mit einer solchen Zuversicht, was seine Aufnahme in die jenseitige Glückse-ligkeit betrifft, und - entscheidender noch - mit seinem Vertrauen in die eigene In-terzessionsfähigkeit dürfte Gregor aber die Grenzen liturgischen Heiligkeitsver-ständnisses überschritten haben, stellte doch gerade die Hoffnung der Sterblichenauf himmlische Fürsprecher ein Hauptmotiv mittelalterlicher Heiligenverehrungdar.

Der Gedanke an die jenseitige Verantwortung ist bei Gregor von zusätzlichemInteresse, da er die Überzeugung vertrat, vor dem göttlichen Richterstuhl auch fürdas Tun der Könige Rechenschaft ablegen zu müssen, weshalb er deren Gehorsameinfordern zu können glaubte'", Gregor kommt dem Thema unseres Gemäldesschließlich noch einen Schritt näher, wenn er seine eschatologische Wirksamkeit vonder Haltung des Kaisers im Investiturstreit abhängig macht. Hatte er Heinrich rv. inZeiten wechselseitiger Annäherung versichert, Gott um die Erhaltung der königli-chen Güter bitten zu wollen, so warnte er den Herrscher, als die Investiturfrageihrer Zuspitzung entgegenlief, mehrfach davor, welcher Gefahr er seine Seele aus-setze, wenn er sich dem Heiligen Stuhl gegenüber als unnachgiebig erweise; ja, derInvestiturverzicht schien ihm eine unumgängliche Voraussetzung für das Heil desMonarchen darzustellen".

Die gleiche Alternative von jenseitigem Lohn und jenseitiger Verderbnis begeg-net uns in den Schriften Calixtus' Il, an Heinrich V.Ein mahnender Brief, den Calix-tus schon wenige Tage nach seiner Wahl an den Kaiser richtete (19. Februar 1119),hält diesen an, den päpstlichen Forderungen Gehorsam zu leisten, um so mittels derweltlichen Herrschaft und seiner kaiserlichen Würde die Glorie des ewig währen-den Reiches zu erlangenv. Verweigere er aber Gott und der Kirche ihre Rechte, sowolle er, Calixtus, die untragbaren Zustände nicht länger dulden und Maßnahmender Abhilfe treffen, die Heinrich nur zum Nachteil gereichen konnten. Calixtus' Mit-

39 ... elevatis pius Pater in coelum oculls et eodem porrectis, ins tar ascension is, palmis: silluc«, inquit, >QS-

cendam et obnoxis precious Deo proposito vos commiitam« ed. JOHANNMAlTHIASWATIERICH,Vitaepontificum romanorum qui fuerunt ab exeunte saeculo IX usque ad finem saeculi XIII, Leipzig1862, Bd. 1, S.539. Der Glaube an eine heilswirksame Fürsprache der Gerechten reicht freilichbis auf die Anfänge des christlichen Glaubens zurück: NILS JOHANSSON,Parakletoi. Vorstellun-gen von Fürsprechern für die Menschen vor Gott in der alttestamentlichen Religion, im Spät-judentum und Urchristentum, Lund 1940.

40 Reg. VU, 25 (wie Anm. 10), S.506. Der Einsatz für das Seelenheil des Nächsten war in GregorsAugen eines jeden Christen Pflicht. All jene aber, die eine große Anzahl von subditi unter sichhatten, traf diese Pflicht in besonderem Maße: vgl. die Nachweise bei AUGUSTNrrsCJOO!, DieWIrksamkeit Gottes in der Welt Gregors VU. Eine Untersuchung über die religiösen Äußerun-gen und politischen Handlungen des Papstes, in: Studi gregoriani 5,1956, S. 115-219, bes. S.139,186,189,192.

41 So bes. Reg. Ill, 10 (wie Anm. 10), S. 265, und dazu CHRISTIANScHNEIDER,Prophetisches Sacer-dotium und heilsgeschichtliches Regnum im Dialog 1073-1077. Zur Geschichte Gregors VU.und Heinrichs IV., München 1972, S.l43. Vgl. auch Reg. IX, 3, S.576, den Eid des neu zuwählenden Königs, der die kirchlichen Rechte und Besitzungen respektieren soll, ... ut pericu-lum sacrilegii et perditionem anime mee non incurram.

42 Bullaire (wie Anm. 17), Bd. 2, S. Sf. (JL 6950); dort als 19. Februar 1122. Zur richtigen Datierung:]OHANNBSHALLER, Das Papsttum. Idee und WIrklichkeit, Bd. 2, verb. und erg. Ausg. Stuttgart1951, S. 623f. Zur politischen Bedeutung des Briefes auch HEINZ ZATSCHEK,Beiträge zur Beur-teilung Heinrichs v., I: Die Verhandlungen des Jahres 1119, in: Deutsches Archiv für Geschichtedes Mittelalters 7, 1944, S.48-78, bes. S.54f.; ScHILLING,Guido von Vienne (wie Anm.19),S.428E.

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tel, seinem Ansinnen Nachdruck zu verleihen, entsprachen denen seiner Vorgänger:Im Oktober 1119 hat er seinen Gegner auf dem Konzil von Reims erneut gebannt,und erst der Wormser Vertrag von 1122 bewirkte Heinrichs Lösung vom Anathem.Wenige Wochen nach der Einigung sandte Calixtus einen weiteren Brief an Heinrich(13. Dezember 1122). In ihm dankt er Gott, den so lange sich widersetzenden Mon-archen in den Schoß der Kirche zurückgerufen zu haben; darüber hinaus beteuerter, für Seele und Körper des Herrschers nichts als dessen Heil zu wünschen: tuamtam anime quam corporis sanitatem desideramus et volumus43•

Das Schreiben vom Dezember 1122 erhellt die Aussage des römischen Freskosin einmaliger Weise. Wie dieses so unterschlägt der Brief die päpstlichen Zuge-ständnisse von Worms voll und ganz, um das Abkommen im Sinne einer kaiserli-chen Bekehrung erscheinen zu lassen. Aus Sicht der päpstlichen Propaganda hatteHeinrich V.mit seinem Investiturprivileg offenbar ein doppeltes erreicht: Calixtuslöste ihn vom Bann; zudem zeigte der Papst sich geneigt, als Fürsprecher des Kai-sers vor Gott sich zu bemühen. Nur eine solch einseitige Auslegung der WormserVerständigung ermöglichte es, Kaiser und Papst gemäß der Bildformel von Seelen-heil suchendem Stifter und heiligem Interzessor zu veranschaulichen. Außerhalbder überkommenen Stifterikonographie bewegte sich lediglich der Gedanke an dieLösung vom Anathem, der imBilde des Calixtus' ebenfalls anklang, doch blieb derausgeschöpfte Ideenkreis stets der gleiche, denn ganz wie der Stiftungsakt bedeute-te auch der kirchliche Wiederaufnahmeritus einen unverzichtbaren Schritt zum Ein-tritt ins ewige Leben. Exaudiat ie dominus in die tribulationis, so lautet die Fürbitte, diedas römische Pontifikale bei der Lossprechung vorsah", Sowohl Stiftung wie auchLossprechung besaßen in erster Linie einen eschatologischen Impetus.

Petrusnachfolge, doppelte Apostolizität und Christusvikariat - das ikonographisch-ideologische Repertoire, dessen sich das Papsttum bediente, war damit noch nichterschöpft. Für den unvorbereiteten Rombesucher dürfte es vielmehr die päpstlicheimitatio imperii gewesen sein, die ihnvor allem beeindruckte. Wer am Ende des 12.Jahrhunderts die Lateranbasilika betrat, stieß dort auf die Grablegen von zehn derzwölf Päpste, die seit Paschalis n. (tlll8) bis hin zu Coelestin m. (t1198) in Rom ver-storben waren". Als päpstliche Grabkirche hatte sich die Basilika ein Privileg ange-

43 Bullaire (wie Anm.l7), Bd. 2,S. 76f. OL 6995). Vgl. ScHILLING,Guido von Vienne (wie Anm. 19),S.530. Die von Calixtus gebrauchte Wendung der Rückkehr in die Kirche erscheint ähnlich ineinem liturgischen Text des 13. Jahrhunderts. Bei der Lossprechung vom Kirchenbann sprichtder Bischof die Worte: Reduco te in gremium, sancte matris ecdesie .•• Vgl. MICHEL ANORIEU, Lepontifical romain au moyen-äge, ill: Le pontifical de Guillaume Durand, Cittä del Vaticano1940, S.611. Wahrscheinlich griff der Briefpassus somit auf eine ältere liturgische Löseformelzurück.

44 VOGEL/EUB, Pontifical (wie Anm. 34), S. 318. Ähnlich auch ibid., S. 320: ... ne renatos lavacro sa-luiari mors secunda possidea: ..•

45 JOSEPDEER,The Dynastic Porphyry Tombs of the Norman Period in Sicily, Cambridge Mass.1959, S.136-154; Ixco HERKLOTZ,»Sepulcra« e »Monumenta« del Medievo. Studi sull'arte se-polcrale in Italia, Rom 1985, S.85-14O. Weitestgehend im Gefolge dieser beiden Autorenschreibt MICHAELBORGOLTE,Petrusnachfolge und Kaiserimitation. Die. Grablegen der Päpste,ihre Genese und Traditionsbildung, Göttingen 1989, S.151-178. Neue Überlegungen zum Zu-sammenspiel von Todeserfahrung und päpstlicher Herrschaftsdarstellung hingegen bei PARA-VICINI BACLlANI,Corpo (wie Anm. 31), passim. Zur Lokalisierung der Gräber innerhalb der Ba-

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eignet, das in den vorangehenden Jahrhunderten von der Peterskirche beanspruchtworden war. Mit dem Wechsel des Ortes ging zugleich ein Wandel in der Ausgestal-tung der Grablegen einher. Dürfte es sich bei den frühmittelalterlichen Bestattungs-orten in St. Peter überwiegend um einfache Bodengräber gehandelt haben, die, häu-fig vor einem Altar ausgelegt, über dem Pavimentniveau allenfalls durch eine Grab-inschrift sichtbar in Erscheinung traten, so ging man seit dem 11. Jahrhundert zuaufwendigeren Formen der Bestattung über. Die wenigen erhaltenen Denkmälerzusammen mit den Nachrichten der Chronisten und den im 16.Jahrhundert verfaß-ten Beschreibungen der Lateranbasilika lassen keinen Zweifel, daß es überwiegendantike Sarkophage waren, in denen man die sterblichen Überreste der römischenBischöfe zu ihrer letzten Ruhe bettete. Porphyr und andere rötlichfarbene Gesteinescheinen dabei eine besondere Anziehung ausgeübt zu haben. Die hier greifbar wer-dende Tendenz kulminierte bekanntlich unter Innozenz n. (113~1143), der noch zuseinen Lebzeiten einen monumentalen Porphyrsarkophag aus der Engelsburg, demehemaligen Mausoleum des Kaisers Hadrian, für sich bereitstellen ließ, ein Werk,von dem man damals glaubte, es habe zuvor der Bestattung eben jenes Kaisers ge-dient. Anastasius IV.(1153-1154) ahmte seinen Vorgänger wenige Jahre später nach,indem er sich der porphyrnen, mit triumphalen Reliefs versehenen Grablege derKaiserin Helena bediente (Abb. 15),die er aus ihrem Mausoleum an der Via Casilinazum Lateran bringen ließ (jetzt Vatikanische Museen).

Inder Tat spielte der Porphyr als das kaiserliche Gestein bei der Ausgestaltungdes Lateranbereichs auch über die Grabstätten hinaus eine entscheidende Rolle. Aufeiner großen Porphyrscheibe in der Vorhalle an der Fassade seiner Residenz nahmder römische Bischof beim Aufbruch zum Stationsgottesdienst die Laudes entge-gen, eine zeremoniale Darbietung, die ihrVorbild in der Chalke des byzantinischenKaiserpalastes gehabt haben dürfte46• Als sedes porjiretici galten dann auch jene bei-den antiken Badestühle aus rosso-antico-Stein vor der Silvesterkapelle im Lateranpa-last". Spätestens mit dem Amtsantritt Paschalis' n. (1099)spielten sie bei der Amts-einführung des Papstes eine zentrale Rolle, denn auf ihnen nahm der Neugewählte

silika bes. SIBLEDEBLAAUW,Cultus et decor. Liturgia e architettura nella Roma tardoantica emedievale. Basilica Salvatoris, Sanctae Mariae, Sancti Petri, Cittä del Vaticano 1994, Bd. I,S.261f.

46 INGOHERKLOTZ,Der Campus lateranensis im Mittelalter, in: Römisches Jahrbuch für Kunstge-schichte 22, 1985, S. 1-43, bes. S.12f.

47 Für die Stühle und das zugehörige Inthronisationszeremoniell vgl. man unter anderem DEER,Porphyry Tombs (wie Anm.45), S.I42-146; BERNHARDScmMMELPFENNIG,Ein bisher unbe-kannter Text zur Wahl, Konsekration und Krönung des Papstes im 12. Jahrhundert, in: Archi-vum Historiae Pontificiae 6, 1968, S.43-70; DERS.,Ein Fragment zur Wahl, Konsekration undKrönung des Papstes im 12. Jahrhundert, in:Archivum Historiae Pontificiae 8, 1970, S. 323-331;DERS., Die Krönung des Papstes im Mittelalter dargestellt am Beispiel der Krönung Pius' 11.(3.9.1458), in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 54, 1974,5.192-270; NIKOLAUSGUSSON1!,Thron und Inthronisation des Papstes von den Anfängen biszum 12. Jahrhundert, Bonn 1978,5.251-289; FRANCESCOGANDOLFO,5imbolismo antiquario epotere papale, in: Studi romani 29,1981, S.9-28; MICHELBMACCARRON1!,Die Cathedra SanctiPetri im Hochmittelalter. Vom Symbol des päpstlichen Amtes zum Kultobjekt, in: RömischeQuartalschrift 75,1980,5.171-207, und 76,1981,5.137-172 (auch italienisch als: La »cathedrasancti Petri« nel medioevo: da simbolo a reliquia, in: Rivista di storia della chiesa in Italia 39,1985, S. 349-447), hier bes. 5.192-205; PARAVICINIBAGLIANI,Corpo (wie Anm. 31), S. 37-50 (dt.Ausgabe S. 56ff.).

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bei der letzten von drei Inthronisationen die Schlüssel des Lateranpalastes in Emp-fang. Voran gingen die Inthronisation auf der sog. sedes stercorata im Portikus derBasilika (Abb. 16) und eine weitere in der Apsis des Gotteshauses. Der Sinn diesesZeremoniells bestand in erster Linie darin, die päpstliche Übernahme der weltli-chen Gewalt zu veranschaulichen. Ganz in diesem Sinne behauptet eine Quelle desspäten 12. Jahrhunderts, der sog. Baseler Ordo, von den verschiedenen Marmor-stühlen: non fuerunt patriarchales, sed imperiaies":

Die Bedeutung, welche die Nachahmung kaiserlicher Vorbilder schon seit demfrühen Mittelalter für die Organisation der päpstlichen Hofhaltung, für das Zere-moniell, ja sogar für Insignien und Gewandung der Päpste besaß, ist vielfach unter-sucht worderr'", In einer ersten Phase stand dabei offenbar der byzantinische Kaiser-hof Pate. Mit der ottonischen Erneuerung des westlichen Kaisertums rückte dannaber der deutsche Hofstaat zunehmend ins Blickfeld. Von hierher bezog die päpst-liche Kanzlei das Formular ihrer Urkunden, und in der Umgebung des deutschenKaisers fanden sich verschiedene Ämter der päpstlichen Verwaltung vorgebildet.Mit dem Reformpapsttum erreichte die imitatio imperii schließlich ihren Höhepunkt.Zu Beginn des 12. Jahrhunderts galt der päpstliche Hof als curia Romana, ein Begriff,der nicht nur der curia regis, wie sie in Deutschland, Frankreich und Englandbestand, ein Äquivalent entgegensetzen wollte, sondern darüber hinaus durchausantike Reminiszenzen wachzurufen gedachte. In die Rolle der altrömischen Sena-toren rückte nun das Kardinalkollegium, folglich mußte die Stellung des Papstes indieser Rhetorik kaiserlichen Rang erhalten. Schon der Traktat des Johannes vonMantua aus den 1080er Jahren betitelt den römischen Bischof als imperator romanusund als Beherrscher des imperium Petn'SO.Bezeichnenderweise spricht auch dieDescriptio lateranensis ecclesiae, in ihrer ältesten Fassung eine Schrift des späten11. Jahrhunderts, vom Papst als imperialis episcopus", Das vorrangige Ziel derDescriptio besteht dann aber darin, im Primatsstreit mit St. Peter die Lateranbasilikaals die kaiserliche Kirche zum eigentlichen Sitz des kaisergleichen Bischofs zu er-klären. Seine gewichtigsten Argumente bezieht der Text aus der Geschichte der Ba-silika, wobei die Konstantinische Schenkung den Verfassern die grundlegendenMuster ihrer Beweisführung liefert. Die Fälschung hatte den Lateranpalast zu ei-nem vormals kaiserlichen Palast, die zugehörige Kirche - mit größerem historischenRecht - zur kaiserlichen Stiftung erklärt. In der Schenkung erscheint Konstantin als

48 ScHIMMBLPFBNNIG,Unbekannter Text (wie Anm. 47), S. 62, no. 26.49 Hierzu bes, KAItLJORDAN,Die Entstehung der römischen Kurie, in: Zeitschrift der Savigny-Stif-

tung für Rechtsgeschichte. Kan. Abt. 28, 1939, S. 97-152; ferner PBRCYERNSTScHRAMM,Sacer-dotium und Regnum im Austausch ihrer Vorrechte: »imitatio imperii« und »imitatio sacerdo-tii«, Eine geschichtliche Skizze zur Beleuchtung des ..Dictatus papae« Gregors VII., in: DERS.,Kaiser, Könige und Päpste. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters, Stuttgart1968-1971, Bd.4,I, S.57-102, sowie DBRS.,Die Imitatio Imperii in der Zeit des Refonnpapst-turns, ibid., S. 180-186. Für die Wll'kung kaiserlicher Vorbilder auf die Organisation des päpstli-chen Hofstaats. inbegriffen die Kanzlei, bes. RBlNHARoELZB,Das »Sacrum Palatium Lateranen-se« im 10. und 11. Jahrhundert, in: DBRS.,Päpste, Kaiser, Könige und die mittelalterliche Herr-schaftssymbolik, London 1982, Aufsatz I. Weitere Literatur bei HBRKLOTZ,Campus (wieAnm. 46), Anm. 2-3, und passim.

50 ScHRAMM,Kaiser (wie Anm. 49), Bd. 4,1, S. 183.51 Codice topografico della cittä di Roma, a cura di ROBBltTOVALENTINIe GWSBPPBZUCCHBTIl

(Fonti per la Storia d'ltalia 81, BB,90 und 91), Rom 1940-1953, Bd. 3, S. 345.

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derjenige Monarch, der sich in den Osten zurückgezogen hatte, um Papst Silvesterund seinen Nachfolgern die Herrschaft über den westlichen Teil des Reiches undfolglich auch seine kaiserlichen Insignien zu überlassen, ad imitationem imperii nostri,wie es heißt52•

Für die monumentale Ausgestaltung des Lateranbereichs im Verlauf des12. Jahrhunderts wie auch für dessen zentrale Stellung im päpstlichen Zeremonielldürfte das Constitutum Constantini von kaum zu überschätzender Wrrkung gewe-sen sein. Es verwundert somit nur wenig, wenn die älteste uns bekannte bildlieheDarstellung der fiktiven Schenkung ebenfalls an der Lateranbasilika auftauchte. Miteiner Reihe kleinformatiger Mosaiken war nämlich der imposante Fassadenporti-kus des späten 12. Jahrhunderts geschmückt, welcher 1731 der heutigen Fassadeweichen mußteSJ• Farbkopien und Stiche des 17. Jahrhunderts haben eine Auswahldieser gemäß der Cosmatenkunst durch runde Steinscheiben voneinander abge-setzten Darstellungen überliefert. Szenen aus der Silvester-Vita, die Drachenbin-dung, Konstantins Taufe und eben auch die Schenkung des Herrschers (Abb. 17)gehörten dazu. Letztere vergegenwärtigte den auf einer Kathedra thronenden Silve-ster in rötlichem Mantel und mit weißer TIara. Aus der Hand des Kaisers, der, dieChlamys um die Schultern, doch sonst ohne alle Hoheitszeichen vor den Bischof ge-treten war, nahm er ein entrolltes Dokument in Empfang. Die Handlung spielte sichvor einem Kirchengebäude ab, vermutlich der lateranensischen Basilika. Der einsti-ge Titulus sagte dazu: Rex in scriptura Sylvestro dat sua jura. Die Bildformel entsprachganz jener, die uns aus der Gegenüberstellung Calixtus' n.mit Heinrich V. geläufigist. Auch Silvester erschien als Heiliger, thronend und mit Nimbus. Vor ihm, ste-hend und mit leicht gebeugten Knien - somit seiner Ehrerbietung Ausdruck verlei-hend - dann der Kaiser wiederum in der Rolle des Stifters. Vom Betrachter des12. Jahrhunderts konnte auch diese Schenkungsszene wohl nur als Unterordnungder weltlichen Gewalt gegenüber der geistlichen verstanden werden.

Konstantin war nicht der einzige antike Herrscher, den die Mosaiken in Erinne-rung riefen. Einer Tafel aus Ciampinis Vetera monimenta zufolge begann der Zyklusmit zwei Bildern des Jüdischen Krieges unter Vespasian und Titus (Abb. 18), unddamit berühren wir den fünften und letzten Argumentationskreis, der hier vorzu-stellen isP'. Zeigte die erste Darstellung nur das Bild der römischen Flotte, so riefdas anschließende Mosaik die schreckensreiche Belagerung Jerusalerns in Erinne-rung: Regia nobilitas hie obsedit Israelitas, wie der zugehörige Titulus erläuterte. DieKunstwissenschaft hat mehrfach darauf hingewiesen, daß die Bilder des JüdischenKriegs mit den Reliquien in Zusammenhang standen, die man damals in der La-teranbasilika zu bewahren vorgab. Schon die älteste Redaktion der Descriptio laiera-nensis ecclesiae zählt eine Reihe alttestamentlicher Besitztümer auf, die der Lateranangeblich aus dem Tempel zu Jerusalem erhalten hatte: die Bundeslade, die Geset-zestafeln, den siebenarmigen Leuchter, den wundersamen Stab des Aaron, den Stab

52 Ed. HORSTFUHRMANN(MGH Fontes iuris 10), Hannover 1968, hier S. 97.53 Zum folgenden lNoo HERI<LOTZ,Der mittelalterliche Fassadenportikus der Lateranbasilika und

seine Mosaiken. Kunst und Propaganda am Ende des 12. Jahrhunderts, in: Römisches Jahrbuchder Bibliotheca Hertziana 25, 1989, S. 25-95, hier 5.61-65,80-83, zum Bild der KonstantinischenSchenkung.

54 GIOVANNIGIUSTINOCIAMPINI,De sacris aedificüs a Constantino Magno constructis. Synopsishistorica, Rom 1693, 5.10-13, mit Tab. n,

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des Moses und anderes'". Diese Tempelschätze hatte Titus im Triumph nach Romgebracht und zunächst im Templum Pads aufbewahrt, bevor Konstantin, so die le-gendäre Überlieferung, sie dann an die neugegründete Erlöserkirche verschenkte.Daß die Darstellungen des Portikus im Zusammenhang mit den Tempelreliquienstanden, ist kaum zu bezweifeln, doch eröffnet die vermeintliche Geschichte derTempelschätze einen sehr viel weiteren Horizont. Sie führt uns auf das Verhältniszwischen Papsttum und Altem Bund, zwischen der christlichen Kirche und ihrenalttestamentarischen Wurzeln.

Einzelner Bezugspersonen des Alten Testaments bediente sich die päpstlicheRhetorik bereits zu einem frühen Zeitpunkt, wobei der Gestalt des Moses besondereAufmerksamkeit zuteil wurde. Um die Rechtskompetenzen des apostolischenStuhls zu legitimieren, verweist schon Innozenz I. (401-417) auf Exodus 18, 22, woes heißt, Moses solle Richter über das Volk einsetzen, alle schweren Fälle dagegenseiner eigenen Entscheidungsgewalt vorbehalten=, Seit der Entstehung des Kardi-nalkollegiums im 11. Jahrhundert wurde das Moses-Bild wiederholt bemüht, umdas Verhältnis des römischen Bischofs gegenüber den beratenden Kardinälen zu de-finieren, das man im Kreis des Moses und der 70 Ältesten vorgebildet sah57• Inno-zenz III. bediente sich derselben Gleichsetzung in seiner berühmten Bulle Per vene-rabilem (1202), die nach ihrer Aufnahme in das Corpus iuris canonici noch von denpäpstlichen Theoretikern des 15. Jahrhundert mehrfach herangezogen wurde", DasThema des Papstes als neuer Moses bestimmte unter Sixtus IV.schließlich die male-rische Ausstattung der Sixtinischen Kapelle".

Weihe und Krönung des westlichen Kaisers berechtigten zu einer anderen Par-allele: Hier trat der Papst in der Rolle des Samuel auf, der Kaiser hingegen als neuerDavid'", Mit der imitatio imperii des Reformpapsttums erschienen die Bezeichnun-gen David und Salomon dann auch in der päpstlichen Panegyrik, und Innozenz ID.galt seinen Zeitgenossen, wenngleich bisweilen unter satirischem Vorzeichen, alsnovus Salomon und selbst als Solomon tercius",

55 Codice topografico (wie Anm. 51), Bd. 3, S. 337.56 ERlCBCASPAR,Geschichte des Papsttums von den Anfängen bis zur Höhe der Weltherrschaft,

Bd. 1, Tübingen 1930, 5.306-307. Die Parallelsetzung des Papstes mit Moses mag durch eine äl-tere Tradition erleichtert worden sein, die einen typologischen Zusammenhang zwischen Mo-ses und Petrus erkannte; dazu ANrONIO RlMOLDI,L'apostolo San Pietro fondamento della Chie-sa, principe degli apostoli ed ostiario celeste nella Chiesa primitiva dalle origini al Concilio diCalcedonia, Rom 1958, S. 317-320.

57 Hierzu bes. GIUSEPPEALBERIGO,Cardinalato e collegialitä, Studi sull' ecdesiologia tra l' XI e ilXN secolo, Florenz 1969, S. 31,W.,72-84, 138f.

58 IMKAMP,Kirchenbild (wie Anm. 6), S. 286f. mit Anm. 102.59 Noch immer grundlegend: LEOPOLDD. EITLINGER,The Sistine Chapel before Michelangelo. Re-

ligious Imagery and Papal Primacy, Oxford 1965; danach bes. CAROLF. LEWINE,The SistineChapel Walls and the Roman Liturgy, University Park 1993, mit weiterer Literatur.

60 ULLMANN,Machtstellung (wie Anm. 6), S. 223-225,319. Eine solche alttestamentarische Herr-schaftsauffassung wurde den Kronanwärtern freilich nicht erst durch das Papsttum nahege-bracht. Gerade die Karolinger sahen sich selbst in der Tradition des salomonischen und davidi-sehen Königtums. Vgl. WALTERMOHR, Die karolingische Reichsidee, Münster 1962, S.22-24;oder auch HUGOSTEGER,David Rex et Propheta. König David als vorbildliche Verkörperungdes Herrschers und Dichters im Mittelalter, nach Bilddarstellungen des achten bis zwölftenJahrhunderts, Nümberg 1961, bes. S.I25-13l.

61 Quellen bei HERKLOTZ,»Sepulcra« (wie Anm. 45), S.121 mit Anm.180, S. 138 mit Anm.176-179;für Innozenz ill. vgl. man KARLHAMPE, Eine Schilderung des Sommeraufenthalts der römi-

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Zumindest seit dem 10. Jahrhundert bezog das Papsttum auch die lateranensi-sehe Basilika in den Kreis der alttestamentlichen Anknüpfungen ein. Sergius Ill.(904-911) setzte in der Kirche eine Inschrift, die das Gotteshaus mit dem Berge Sinaivergleicht, auf dem Sinai nämlich nahm das mosaische Gesetz seinen Ursprung,während das Recht der christlichen Kirche, so die unausgesprochene Folgerung, imLateran entsteht=, Die Verse ergänzen somit den gängigen Papst-Moses-Vergleich,lassen aber bereits einen umfassenden Nachfolgeanspruch erkennen. Von einemsolchen Anspruch zeugen auch jene liturgischen Texte, die den Hauptaltar der La-teranbasilika mit dem Allerheiligsten des Tempels und den Papst folgerichtig mitdem Hohepriester in Verbindung bringen-', Gegen Ende des 11. Jahrhunderts tau-chen dann erstmals die Spolien des Salomonischen Tempels in der Überlieferungauf.

Es dürfte sich kaum um einen Zufall handeln, wenn dies zu einem Zeitpunktgeschieht, als das Thema Jerusalem noch unter einem zweiten Gesichtspunkt in dieDiskussion gerät. Einer der originellsten anti-päpstlich orientierten Autoren des In-vestiturstreits, der um 1100 schreibende Normannische Anonymus, verneint mitNachdruck einen möglichen Vorrang des Petrus unter den Aposteln und folglichauch jedweden Primat des Papstes unter den übrigen Bischöfen. Sofern überhaupteine Ortskirche nach der Vorherrschaft über die anderen trachten könne, so der Au-tor, dann sei dies Jerusalem, die wirkliche Mutter, denn in Jerusalem habe Gott zuseinen Propheten gesprochen und dort habe Christus das Priesteramt nach der Ord-nung des Melchisedek auf sich genommen und den Aposteln ihren MissionsauftragerteiltM. Die Polemik des Anonymus knüpft an ein Primatsbestreben an, wie man eszur Frühzeit des Christentums in Jerusalem selbst geäußert hatte65• Während des 12.Jahrhunderts lebten seine Überlegungen weiter, und vor allem die byzantinischenKritiker des römischen Primats argumentierten auf analoger Ebene=. Von päpstli-cher Seite ist Innozenz Ill. den Forderungen des Ostens am entschiedensten entge-gengetreten. In einem Schreiben an den Patriarchen von Konstantinopel [ohannesKamateros (12. November 1199) führt er aus, daß die Vorrangstellung der römi-

sehen Kurie unter Innozenz Ill. in Subiaco, 1202, in: Historische Vierteljahrschrift 8, 1905,S. 509-535, bes. S. 530, SW.; sowie die anonym publizierte Arbeit Novus regnat Salomon in die-bus malls. Une satire contre Innocent Ill, in: Festschrift Bernhard Bisehoff zu seinem 65. Ge-burtstag, hg. von JOHANNEAUTHENllIETHund FRANZBRUNHÖLZL,Stuttgart 1971, S. 372-390.

62 Vgl. zur Textüberlieferung und zur Datierung der Inschrift HERKLOTZ,Fassadenportikus (wieAnm. 53), S. 74f.

63 SIBLBDEBLAAUW,The Solitary Celebration of the Supreme Pontiff. The Lateran Basilica as theNew Temple in the Medieval liturgy of Maundy Thursday, in: Omnes circumadstantes. Contri-butions towards a history of the role of the people in the liturgy presented to Herman Wegman... , ed. by CHAIU.ESCASPERSand MARc ScHNEIDERS,Kampen 1990, S. 120-143.

64 KAIu. PELLENS(Hg.), Die Texte des Normannischen Anonymus, Wiesbaden 1966, S.4lf., unddazu bes. ULLMANN,Machtstellung (wie Anm. 6), S. 574f.

65 NICOLASUDOMERSZKY,Theologia orientalis, Rom 1953, S. 95-97, und bes. B.A. SENGER,MaterEcclesia. Die Vorstellungen über die Kirche als Mutter von der Antike bis in die Karolingerzeit,(unpubl. Dissertation) Sonn 1955, S.254-257; MICHELEMACCARRONE,Gerusalemme e Roma. npellegrinaggio di Paolo VI in Terra Santa alla luce dei rapporti tra ilpapato e l'oriente, in: Divi-nitas. Pontificiae Academiae Theologicae Romanae Commentarii 9, 1965, S. 3-17, bes. SA-8;FERDINANDR GAHBAUER,Die Pentarchietheorie. Ein Modell der Kirchenleitung von den An-fängen bis zur Gegenwart, Frankfurt a.M. 1993, S. 46f., 69-71.

66 SPITERIS,Critica (wie Anm. 6), passim; GAHBAUER,Pentarchietheorie (wie Anm. 65), S. 184-209.

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sehen Kirche auf ihrer Würde beruhe, nicht auf ihrem Alter. Die Kirche Roms sei dieMutter der Gläubigen, wohingegen Jerusalem allenfalls als eine Mutter des Glau-bens zu bezeichnen sei, ebenso wie ja auch die Synagoge als Mutter der Ecclesia gel-ten müsse, da diese aus jener hervorgegangen sei67• - Innozenz' subtile Unterschei-dungen überzeugten den Patriarchen nicht. Beachtung verdient in unserem Zusam-menhang jedoch die Annäherung, die der Papst zwischen dem christlichenJerusalem und dem Jerusalem des Alten Testaments vornimmt. Beide hatten sie inseinen Augen ihre Stellung an die römische Kirche abgetreten.

Kehren wir schließlich zu unseren Mosaiken zurück, so bleibt zu betonen, daßdiese, falls die graphische Überlieferung eine vollständige Rekonstruktion gestattet,nicht unmittelbar auf die Reliquien Bezug nahmen, sondern das militärische Ge-schehen des Jüdischen Krieges vor Augen führten. Tatsächlich hatte die ZerstörungJerusalems durch Titus schon seit frühesten Zeiten eine eigenwillige Deutung erfah-ren. Daß der grauenvolle Untergang der Stadt als Strafe für die Ermordung des Hei-lands zu werten war, galt in christlichen Kreisen schon bald nach dem Ereignisselbst als gewiß68.Doch trat daneben bereits in der patristischen Literatur eine ande-re Sicht, die hinter der Vernichtung von Stadt und Tempel gleichsam eine religions-geschichtliche Notwendigkeit erkannte. Wenn die Juden seit der Zerstörung wederTempel noch Priester besäßen und ihre religiösen Bräuche nicht mehr ausführenkönnten, so schreibt Johannes Chrysostomos, dann deshalb, weil es nun ein anderesOpfer gäbe, das des Neuen Testaments, das Opfer Christi'", Die Chronik des Orosi-us bindet eine verwandte Auffassung der Nachfolge an die Person des Titus undmuß deshalb für das Verständnis unserer Mosaiken besondere Aufmerksamkeit be-anspruchen. Bevor der Feldherr den Befehl gab, die Stadt und insbesondere denTempel zu zerstören, so Orosius, habe er für einen Moment gezögert und über dasweitere Schicksal des Judentums nachgedacht. Erst die Überlegung, daß die christli-che Kirche im Begriff sei, sich über die Welt zu verbreiten, hätte ihn davon über-

67 Reg. n, 20. Vgl, Die Register Innocenz' m., 2. Pontifikatsjahr, 1199/1200. Texte, hearb. von Ora-MARHAGENEOER,WERNERMALECZEI<,ALFRED5TRNAD,Rom/Wien 1979, 5.387f., und dazuauch IMKAMP (wie Anm. 6), 5.293-298, bes. 5.195. 5PITERIs, Critica (wie Anm. 6), 5.279f., be-schreibt die Reaktion des Patriarchen; ebenso GAHBAUER,Pentarchietheorie (wie Anm.65),5.199-208.

68 LLOYDGASTON,No 5tone on Another: 5tudies in the 5ignificance of the Fall of Jerusalem in theSynoptic Gospels, Leiden 1970, passim; EMMANUELETESTA,I riflessi letterari della distruzionedi Gerusalemme (1-11 secolo d. C.), in: La distruzione di Gerusalemme del 70 nei suoi riflessi sto-rieo-Ietterari. Atti del V Convegno biblico francescano. Roma, 22-27 settembre 1969,Assisi 1979,5. 15-32; aus 5icht der jüdischen Quellen auch MlREILLEHADAS-LEBEL,Jerusalem contre Rome,Paris 1990,5.109-193. Für mittelalterliche Zeugnisse dieser Auffassung: ARTVROGRAF,Romanella memoria e nelle immaginazioni del medio evo, Turin 1915, 5.285-369; BERNHARDBLU-MENKRANZ,Les auteurs chretiens latins du moyen age sur les juifs et le judaism, Paris 1963,5.37,60,197,203, etc.; JEREMYCOHEN,The Jews as Killers of Christ in the Latin Tradition, fromAugustin to the Friars, in: Traditio 39,1983,5.1-27, bes. 5. 10. Die wirklichen Motive für den rö-mischen Angriff auf die Stadt untersucht zuletzt ADALBERTOGIOVANNINI,Die Zerstörung [eru-salems durch TItus: Eine Strafe Gottes oder eine historische Notwendigkeit?, Contra quis feratarma deos? Vier Augsburger Vorträge zur Religionsgeschichte der römischen Kaiserzeit. Zum60. Geburtstag von GüntherGottlieb, hg. von PEOROBARCEL6,München 1996, 5.11-34.

69 Oratio 5, 4-12, MIGNE,PG 48, Sp. 889-904. Vgl. zu dieser und zu verwandten Stellen bei Chryso-stornos auch GERHARTB. UONER, Aspects of Patristic Anti-Judaism, in: Viator 2, 1971,5.355-363; wieder in: DERS.,Images and Ideas (wie Anm. 20), Bd. 2, 5. 867~76, hier S. 870-873.

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zeugt, den Tempel als nunmehr überflüssiges Relikt vergangener Zeiten zu betrach-ten?", Noch in der Chronistik des 12.Jahrhunderts, bei Romualdus Salernitanus undbei Otto von Freising, finden sich die Ausführungen des Orosius zumindest sinn-gemäß wiederholt?'. Verstand die mittelalterliche Historiographie die Zerstörungdes alten Tempels somit als einen Wendepunkt, der den Übergang vom Judentumzum christlichen Glauben bezeichnete, dann hatte jene Kirche, die als mater et caputcunctarum ecclesiarum galt, gewiß den größten Anspruch darauf, als eigentlicheNachfolgerin des bedeutendsten Heiligtums der Juden zu gelten. Dies dürfte diezugrundeliegende Vorstellung gewesen sein, die erst später zur »Entdeckung« derlateranensischen Reliquien führte.

Daß die unterschiedlichen, ideologisch bedingten Themenkreise, auf welchesich die Bildpropaganda des Papsttums während des 12.Jahrhunderts und sehr viellänger noch stützte, nicht unkoordiniert nebeneinander verliefen, daß Christologi-sches, Petrinisch-Apostolisches sowie alttestamentliche und kaiserliche Anknüp-fungsversuche vielmehr zu einer glorreichen Geschichte der Ecclesia Romana zu-sammenfinden konnten, wurde nirgends so deutlich wie auf den Mosaiken desPortikus. Den Zeugen des 16.und 17.Jahrhunderts zufolge nahmen weitere Darstel-lungen auf das Wirken Christi und der Apostelfürsten Bezug, wieder andere warender Papstgeschichte aus jüngster Vergangenheit gewidmet", Was immer hier imeinzelnen gezeigt sein mochte, das verbindende historische Konzept besagte offen-bar, daß die Kirche Christi, von Petrus und Paulus in Rom begründet, als der vonGott bestimmte Nachfolger des Alten Bundes unter päpstlicher Führung stand. Seitder Zeit Konstantins verfügte diese römische Kirche über kaiserliche Rechte, und siehatte ihre Tradition von den Anfängen bis zum gegenwärtigen Tag bewahrt".

Abbildungsnachweise

Biblioteea Apostoliea Vaticana, Citta del Vaticano: Abb. 8, 9,13,14,17British Museum, London: Abb. 12Deutsches Archäologisches Institut, Rom: Abb. 10, 15Herklotz, Marburg: Abb. 16Julius von Pflugk-Harttung, Specimina selecta chartarum Pontificum Romanorum, Teil 3 (Sigilla),

Stuttgart 1887:Abb. 1-7Utrecht-Psalter. Vollständige Faksimile-Ausgabe imOriginalformat der Handschrift 32 aus dem Be-

sitz der Bibliotheek der Rijksuniversiteit te Utrecht, Graz 1984: Abb. 11

70 Pauli Orosii historiarum adversum paganos libri Vll, Vll, 9.4-6, ree. CAROLUSZANCENMEISTER(Corpus Scriptorum Ecclesiastieorum Latinorum 5), Wien 1882, S. 460.

71 Romualdus Salemitanus, Chronicon, hg. von CARLOALBERTOGARUFI (Rerum ItalicarumScriptores. Nuova edizione VII, I), Cittä di Castello 1935, S. 53; Otto von Freising, Chronica, llI,18, hg. von ADOLFHOFMEISTER(MGH SS rer. germ. [45]), Hannover 1912, S. 157.

72 HERKLOTZ,Fassadenportikus (wie Anm. 53), S. 48-52, 83-88.73 Für eine ausführliche Diskussion der im Vorangehenden berührten Probleme nebst der ein-

schlägigen Bibliographie vgl. man jetzt auch Ixco HERKLOTZ,Gli eredi di Costantino. Il papato,il Laterano e la propaganda visiva nel Xll secolo, Rom 2000.