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Wilfried Schroder Das Polarlicht im Wandel der Zeiten Polarlichter in Antike und Mittelalter Das Polarlicht gehort zu jenen Himmelser- scheinungen, die dem Menschen bereits vor Jahrtausenden bekannt waren. Antike Auto- ren wie Aristoteles, Plinius, Seneca beschrei- ben es als rotlichen flammenden Himmel, ge- offneten Himmel, Lanzen, Flachen, die sich bewegen und Locher im Himmel usw. Beim Tode des Kaisers Theodosius (395 n. Chr.) sollen am Himmel feurigc Schwerter und Lanzen aufgetreten sein. Auch 778 bzw. 806 n. Chr. wird davon berichtet, daR sehr groRe Heere im Himmel erschienen seien. Da das Polarlicht in mittleren Breiten verhaltnisma- Rig selten zu sehen und durch seine rote Far- be besonders auffallend ist, kann es nicht ver- wundern, daB es die Menschen immer wieder in Angst und Schrecken versetzte. Das Polar- licht, das im fur den fruheren Menschen unbeweglich vorgestellten Himmelszelt er- schien, konnte demnach nur Zeichen, Ge- sicht, Bote 0.a. sein, also in irgendeiner Hin- sicht Hinweis auf kommendes Ungeschick. Es iiberrascht nicht, daR noch im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit das Polarlicht als ,,erschroecklich Wunderzeichen", ,,grausa- mes Gesicht" usw. bezeichnet wurde (Abbil- dung I bis 4). Beispielsweise erwahnt auch Melanchton in seiner Schrift Initiu doctrinue physicue, daR die Polarlichter Gemalde von kunftigen Dingen seien. Damit wurden Uberlegungen uber zugrunde liegende physi- kalische Ablaufe erst gar nicht angestellt (Ab- bildung 5). Erst das Jahr 1716 brachte den Umschwung: das Polarlicht vom 17. Marz war uberall in Deutschland beobachtet worden und derart beeindruckend, so daR beispielsweise der an der Universitat Halle lehrende Professor Christian Wolff sich genotigt sah, fur die auf- geregte Bevolkerung eine offentliche Vorle- sung zu halten und sie damit zugleich zu be- ruhigen. Sowohl Wolff als auch Wagner, die beide Schriften zu diesem Phanomen verof- fentlichten, bemerkten dann auch, daR es sich urn ein sonderbares Spiel der Natur han- dele. Entsprechend dem damaligen Verstand- nis wurde angenommen, daR die Erschei- nung aus den Ausdiinstungen, die aus dem Erdboden emporstiegen, sich entzundet ha- be. Irgendwelche weitergehenden, insbeson- dere metaphysischen Bedeutungen wollten weder Wolff noch Wagner der Erscheinung beimessen. Mit diesem Ereignis von 1716 geht insgesamt ein Erkenntniswechsel im Verstandnis der Polarlichter vor sich, wie auch die Schriften von J. J. Mairan, I. I;. Weidler (Abbildung 6), E. J. Wiedeburg u.a. zeigen. Das Polarlicht wurde in den Folge- jahren immer weniger als ein unerklarliches Wunderzeichen verstanden, als vielmehr als ein der physikalischen Erkenntnis zugangli- ches Naturobjekt eingereiht. Um es jedoch umfassend zu verstehen, insbesondere aber auch in das solarterrestrische Erscheinungs- bild einzureihen, bedurfte es weiterer Unter- suchungen. Neuzeitliche Ansatze irn Verstandnis des Polarlichtes Wie konnte es kommen, daB selbst bis in das 18. Jahrhundert hinein keine physikalisch plausible Theorie der Polarlichter, jener an den Himmel projizierten Angstschemata der Menschen (Carl Gustav Jung hat dies so sehr schon erlautert), erreicht wurde? Einrnal war der Aufbau der Erdatmosphare weitestgehend unbekannt. Selbst im 19. Jahr- hundert auflerte der bekannte italienische Astronom Schiaparelli, daR die Erdatmo- sphare nur wenige Kilometer hoch reiche. Die tatsachliche Ausdehnung der Atmospha- re konnte erstmals gemessen werden, als im AnschluR an den Krakatau-Ausbruch in der Sunda-StraRe im Jahre 1883 die Leuchtenden Nachtwolken entdeckt wurden. Mit Hilfe ei- nes ausgedehnten photographischen Uber- wachungsprogramms ab 1887 konnte der Berliner Astronom Otto Jesse die Hohe die- ser Nachtwolken zu 82 Kilometer bestim- men. Mithin konnte auch vermutet werden, daR in diesen Hohenbereichen jene physiko- chemischen Prozesse ablaufen, welche die verschiedenen Leuchterscheinungen verursa- chen. Ein zweiter wesentlicher Fortschritt war in der Polarlichtforschung durch die Herausga- be umfangreicher Kataloge gelungen. Diese Kenntniserweiterung ist mit den Schweizer Gelehrten Rudolf Wolf (Abbildung 8) und Herman Fritz (Abbildung 7) sowie dem deutschen Gymnasiallehrer und Privatge- lehrten Wilhelm Boller verbunden. Bereits Rudolf Wolf hatte etwa 6000 Polarlichtdaten gesammelt, die er Hermann Fritz uberlieR. Dieser konnte nach umfassenden Literatur- studien im Jahre 1873 mit Hilfe der Oster- reichischen Akademie der Wissenschaften zu Wien ein ,,Verzeichnis beobachteter Polar- lichter" herausgeben, worin etwa 10000 Polarlichter aufgenommcn waren. Nachdem Rudolf Wolf durch die Formulie- Physrk in unserer Zert / 13. Jahrg. 1982 1 Nr. I d Verlag Chemie GmbH, 0-6940 Weinheim, 1982 003/-9252/X2/0509-0155 8 02.50/0 155

Das Polarlicht im Wander der Zeiten

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Wilfried Schroder Das Polarlicht im Wandel der Zeiten

Polarlichter in Antike und Mittelalter

Das Polarlicht gehort zu jenen Himmelser- scheinungen, die dem Menschen bereits vor Jahrtausenden bekannt waren. Antike Auto- ren wie Aristoteles, Plinius, Seneca beschrei- ben es als rotlichen flammenden Himmel, ge- offneten Himmel, Lanzen, Flachen, die sich bewegen und Locher im Himmel usw. Beim Tode des Kaisers Theodosius (395 n. Chr.) sollen am Himmel feurigc Schwerter und Lanzen aufgetreten sein. Auch 778 bzw. 806 n. Chr. wird davon berichtet, daR sehr groRe Heere im Himmel erschienen seien. Da das Polarlicht in mittleren Breiten verhaltnisma- Rig selten zu sehen und durch seine rote Far- be besonders auffallend ist, kann es nicht ver- wundern, daB es die Menschen immer wieder in Angst und Schrecken versetzte. Das Polar- licht, das im fur den fruheren Menschen unbeweglich vorgestellten Himmelszelt er- schien, konnte demnach nur Zeichen, Ge- sicht, Bote 0.a. sein, also in irgendeiner Hin- sicht Hinweis auf kommendes Ungeschick. Es iiberrascht nicht, daR noch im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit das Polarlicht als ,,erschroecklich Wunderzeichen", ,,grausa- mes Gesicht" usw. bezeichnet wurde (Abbil- dung I bis 4). Beispielsweise erwahnt auch Melanchton in seiner Schrift Initiu doctrinue physicue, daR die Polarlichter Gemalde von kunftigen Dingen seien. Damit wurden Uberlegungen uber zugrunde liegende physi- kalische Ablaufe erst gar nicht angestellt (Ab- bildung 5).

Erst das Jahr 1716 brachte den Umschwung: das Polarlicht vom 17. Marz war uberall in Deutschland beobachtet worden und derart beeindruckend, so daR beispielsweise der an der Universitat Halle lehrende Professor Christian Wolff sich genotigt sah, fur die auf- geregte Bevolkerung eine offentliche Vorle- sung zu halten und sie damit zugleich zu be- ruhigen. Sowohl Wolff als auch Wagner, die beide Schriften zu diesem Phanomen verof- fentlichten, bemerkten dann auch, daR es sich urn ein sonderbares Spiel der Natur han- dele. Entsprechend dem damaligen Verstand- nis wurde angenommen, daR die Erschei- nung aus den Ausdiinstungen, die aus dem Erdboden emporstiegen, sich entzundet ha- be. Irgendwelche weitergehenden, insbeson- dere metaphysischen Bedeutungen wollten weder Wolff noch Wagner der Erscheinung beimessen. Mit diesem Ereignis von 1716 geht insgesamt ein Erkenntniswechsel im Verstandnis der Polarlichter vor sich, wie auch die Schriften von J . J . Mairan, I. I;.

Weidler (Abbildung 6), E. J . Wiedeburg u.a. zeigen. Das Polarlicht wurde in den Folge- jahren immer weniger als ein unerklarliches Wunderzeichen verstanden, als vielmehr als ein der physikalischen Erkenntnis zugangli- ches Naturobjekt eingereiht. Um es jedoch umfassend zu verstehen, insbesondere aber auch in das solarterrestrische Erscheinungs- bild einzureihen, bedurfte es weiterer Unter- suchungen.

Neuzeitliche Ansatze irn Verstandnis des Polarlic htes

Wie konnte es kommen, daB selbst bis in das 18. Jahrhundert hinein keine physikalisch plausible Theorie der Polarlichter, jener an den Himmel projizierten Angstschemata der Menschen (Carl Gustav Jung hat dies so sehr schon erlautert), erreicht wurde?

Einrnal war der Aufbau der Erdatmosphare weitestgehend unbekannt. Selbst im 19. Jahr- hundert auflerte der bekannte italienische Astronom Schiaparelli, daR die Erdatmo- sphare nur wenige Kilometer hoch reiche. Die tatsachliche Ausdehnung der Atmospha- re konnte erstmals gemessen werden, als im AnschluR an den Krakatau-Ausbruch in der Sunda-StraRe im Jahre 1883 die Leuchtenden Nachtwolken entdeckt wurden. Mit Hilfe ei- nes ausgedehnten photographischen Uber- wachungsprogramms ab 1887 konnte der Berliner Astronom Otto Jesse die Hohe die- ser Nachtwolken zu 82 Kilometer bestim- men. Mithin konnte auch vermutet werden, daR in diesen Hohenbereichen jene physiko- chemischen Prozesse ablaufen, welche die verschiedenen Leuchterscheinungen verursa- chen.

Ein zweiter wesentlicher Fortschritt war in der Polarlichtforschung durch die Herausga- be umfangreicher Kataloge gelungen. Diese Kenntniserweiterung ist mit den Schweizer Gelehrten Rudolf Wolf (Abbildung 8) und Herman Fritz (Abbildung 7) sowie dem deutschen Gymnasiallehrer und Privatge- lehrten Wilhelm Boller verbunden. Bereits Rudolf Wolf hatte etwa 6000 Polarlichtdaten gesammelt, die er Hermann Fritz uberlieR. Dieser konnte nach umfassenden Literatur- studien im Jahre 1873 mit Hilfe der Oster- reichischen Akademie der Wissenschaften zu Wien ein ,,Verzeichnis beobachteter Polar- lichter" herausgeben, worin etwa 10000 Polarlichter aufgenommcn waren.

Nachdem Rudolf Wolf durch die Formulie-

Physrk in unserer Zert / 13. Jahrg. 1982 1 Nr. I d Verlag Chemie GmbH, 0-6940 Weinheim, 1982 003/-9252/X2/0509-0155 8 02.50/0

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Abb. 1. Polarlichtdarstellung vom 28. De- zcmber 1560. (Ein grausamb vnd er- schrocklich wunderzeychen so a m 28. tag Decembris im LX. Jar zu EckelBheym ein Meyl wegs von Forchheym geschehen ist.)

Abb. 2. Polarlichtdarstellung, beobachtet in Nurnberg, am 28. Dezember 1560. (Ein wunderbarlich Gesicht so a m xxviij. De- cembris im LX. Jar inn der Stat t Nurnberg vnd ausserhalb ist gesehen worden.)

Abb. 3. Polarlichtdarstellung, beobachtet im Jahre 1564. (Ein erschroecklich Gesicht so auff den XIX Februari dises 1564. Jars zu Leypzig von vilen namhafften Personen ist am hellen Himmel gesehen worden.)

Abb. 4. Polarlichtdarstellung, beobachtet 1561. (Dis erschrecklich wunderzeichen ist am Himmel an vielen orten des deutschen Landes gesehen worden.. .)

Abb. 5. Titelblatt der Zeitschrift ,Acta Eruditorum', in der viele Polarlichtbeob- achtungen zu finden sind.

Abb. 6. Johann Friedrich Weidler (1692- 1755). der eine Darstellung des Polarlichtes veriiffentlichte.

rung der Sonnenflecken-Relativzahl (R), die sich aus R = k (10 g + f) ergibt, worin g die Sonnenfleckengruppe, f die Fleckenzahl und k einen Reduktionsfaktor bedeuten, der vorn Beobachter und dern benutzten Fernrohr ab- hangt, ein Fortschritt in der Beschreibung der Sonnenaktivitat gelungen war, setzte Fritz seine Polarlichtdaten dazu in Bezie- hung. Er verglich die Haufigkeiten der Polar- lichter mit der Solaraktivitat und fand, daR eine enge, quantitative Beziehung zwischen der Polarlichthaufigkeit und der Anzahl der Sonnenflecken bestand. Jahre rnit vielen Polarlichtern waren solche rnaxirnaler Son- nentatigkeit und vice versa. Darnit war ein Nachweis in den Beziehungen zwischen Son- nenaktivitat und den Vorgangen der Erdat- rnosphare gelungen.

Herrnann Fritz lieferte der Polarlichtfor- schung weitere wichtige Erkenntnisse, indem er den Begriff der Isochasrnen (Xaapq, unge- wijhnliche oder furchtbare Erscheinungen) einfuhrte. Das sind Ortskurven aller Punkte der Erdoberflache, fur welche das Auftreten eines Polarlichtes gleich haufig zu erwarten ist.

1874 legte Fritz eine Karte zur geographi- schen Verbreitung des Polarlichtes vor; sie wurde durch ein Verzeichnis der auf der Sud- hernisphare beobachteten Erscheinungen von Wilhelrn Boller irn Jahre 1898 erganzt. Ein weiterer Fortschritt wurde durch Verwen- dung der bei den Nachtwolken erprobten Hohenrnessungsrnethoden erzielt: zwar wa- ren bereits irn 17. und 18. Jahrhundert Mut- rnaRungen zur Hohe der Polarlichter geau- Rert worden, aber erst durch Verwendung der Photographie und der Verfeinerung der MeBrnethode gelang es u.a. Otto Jesse solche Werte zu erhalten, die der Wirklichkeit schon recht nahe karnen. Diese verschiede- nen Teilschritte irn ErkenntnisprozeR waren erforderlich, urn der erwahnten physikali- schen Erklarung des Polarlichtes naherzu- kornmen.

Mitte des 19. Jahrhunderts war also bekannt (Abbildung 9), daR zwischen dern Auftreten der Polarlichter (und der darnit einhergehen- den rnagnetischen Variationen) und der Son- nenaktivitat eine enge Beziehung bestand, daR sic in den hoheren Kegionen der Erdat- rnosphare vorkornrnen und in bestirnrnten Zonen der Erde besonders haufig auftreten. Die physikalische Analyse des Polarlichtes sollte weitere Aufschlusse bringen: Die erste urnfassendc Studie zurn Polarlichtspektrurn

legte Anstrom vor, worin er bemerkte, daR das Spektrurn nicht einfach ist, son- dern durch Obereinanderlagerungen zweier Spektren zustande komrnt. Er fand, dafl irn Gelbgrun des sekundaren Spektrums sich eine h i e befand, die auch im Spektrurn des Zo- diakallichtes auftrat. Sie war rnit den Linien irdischer Stoffe scheinbar nicht in Einklang zu bringen. Mit der 1:estlegung der Polar- lichtlinie (557,7 nrn) war ein wichtiges Resul- tat, das auch andere Forscher bestatigten, gewonnen.

Die weiteren Messungen zeigten, daR das Spektrurn des Polarlichtes von einer kleine- ren Zahl von starkeren linien und Banden beherrscht wird. Die gelbgrune Farbung des Polarlichtes wird durch die 557,7 nrn-Linie verursacht. Auffallend sind ferner die zwei roten Linien (630,O und 636,3 nrn).

1% ist historisch bernerkenswert, daR Alfred Wegener zur Erklarung der Linie bei 557,7 nni, die besonders in den hochsten Polarlich- tern auftritt, ein besonderes Gas, das Geoco- roniurn (nach Geocorona = den obersten Schichten der Erdatrnosphare) postulierte. Wegeners Auffassung wurde aber durch die Studien der norwegischen Physiker L. Vegard und L. Harang widerlegt.

Mit den nunmehr sich schnell verfeinernden Methoden wurden rasch weitere Einblicke in die Natur des Polarlichtes erlangt, woruber schon Walter Borst [ 11 ausfuhrlich berichte- te.

Wir wollen uns nochmals jenen Ereignissen zuwenden, die die Polarlichtforschung vor- antrieben: Es wurden irn Jahre 1885 die Leuchtenden Nachtwolken entdeckt. Dabei hatte sich der Astronorn Otto Jesse eine be- sondere Methode ausgedacht. Er fiihrte ab 1887 ein photographisches Prograrnm rnit lichtstarken Karneras (1 :3,0; 1 :3,5) an ver- schiedenen, jedoch durch Telefon miteinan- der verbundenen Stationen Nacht fur Nacht durch. Die hierbei erhaltenen Photographien wurden vermessen, wodurch die Hohe der Leuchtenden Nachtwolken sowie ihre inter- nen Veranderungen sehr genau erfaRt werden konnten. Eben solche Karneras verwandten auch die deutschen Wissenschaftler Bachin und Brendel. Sie lieferten damit 1892 weitere wichtige Polarlichtaufnahrnen.

lnzwischen hatten zwei norwegische Wissen- schaftler, K. Birkeland und C. Storrner (Ab- bildung 10) ebenfalls rnit einern Forschungs-

Physrk in unserer Zeit / 13. Jahrg. 1982 / Nr. 5 157

Abb. 7. Hermann Fritz (1830-1893). Pio- nicr der Polarlichtforschung.

programrn begonnen. Birkeland hatte sich in seinen Untersuchungen rnit den erdrnagneti- schen Storungen befaflt und Modellversuche zu r Erklarung des Polarlichtes durchgefuhrt.

Vor allern wollte er die Bahnen der elektrisch geladenen Teilchen, die von der Sonne ernit- tiert werden, durch Modellversuche genauer analysiercn.

Birkeland stellte bei seinen Versuchen eine

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Abb. 8 . Kudolf Wolf (18lh-1893), Pionier der Sonnenforschung.

Abb. 9. Sophus Tromholt (1851-1896), vcr- falite cinen Katalog tlcr in Norwcgen beob- achtctcn Polarlichter.

Abb. 10. Carl Stiirmcr (1873-1957). nor- wegischer Physiker, der ein umfnssendes Beobachtungsprograinni durchfuhrtc und Heitrfge zum inatheniatisch-physikali- schcii-Verstfndnis des Polarlichtes vorleg- te.

Abb. 1 1 . Emil Johann Wiechert (1861- 1928). crstcr Professor fiir Gcophysik in der Welt, hcfalitc sich jahrelang niit dcr Erfor- schung dcs Polarlichtes.

kleine rnagnetisierte Kugel, die sogenannte Terrella, in einen griifleren luftleeren Raurn und beobachtete die Einschlagstellen von Elektronenbundeln, die gegen die Terrella geschossen wurden. Birkeland kann zu zwei entscheidenden Erkenntnissen:

erstens, dafl die Niederschlage der elektrisch geladenen Partikeln auf der Nachtseite der Erde als einzelne Flecke oder Bundel auftre- ten, sowie

zweitens, daR die Niederschlage bei be- stirnrnten Feldstarken eine ringforrnige Zone auf der Terrella bildeten.

Die Versuche von Birkeland sind spater u.a. von dern deutschen Physiker E. Briiche wie- derholt worden. lndern Birkeland seine Mo- dellversuche zur Entstehung des Polarlichtes und der erdmagnetischen Storungen vorge- stellt hatte, bemuhte sich Carl Storrner dar- urn, die Bahn der von der Sonne emittierten

Physik in wnserer Zert / 13. Juhrg. 1982 I Nr. I

elektrisch geladenen Partikel irn Erdfeld zu berechnen. Da eine allgerneine Integration der Bewegungsgleichungen nicht rnoglich war, rnuCte Storrner durch nurnerische Inte- grationen die diversen Gruppen von Bahnen berechnen.

Mit Hilfe der rnathematischen Theorie von Storrner IieRen sich zwei Effekte erklaren: die Existenz der Polarlichtzone sowie das Auf- treten der Polarlichter auf der Nachtseite der Erde und besonders charakteristische Polar- lichtforrnen.

Mit diesen Beitragen von Birkeland und Stor- rner, wobei noch die Studien von L. Vegard und L. Harang genannt werden mussen, war die Polarlichtforschung zu einern gewissen AbschluR gelangt.

Forschungsprogramme

Betrachtet man die Geschichte der Geophy- sik, also jener Wissenschaft [2], die sich be- sonders der Polarlichtforschung widrnet, so sind verschiedene Forschungsprograrnrne zu erwahnen. Bereits fruhzeitig lassen sich weltweite Unternehrnungen aufzeigen, von denen das Vorhaben des Gottinger Magneti- schen Vereins, das u.a. rnit den Narnen G . F. Gauss, A. v. Hurnboldt sowie W. Weber verbunden ist, besonders herausragt. Dabei wurden an vier bis aechs vorher verabredeten Kalendertagen jeden Jahres an 44 uber die Erde verteilten Stationen die erdrnagneti- schen Instrurnente alle funf Minuten nach Gottinger Zeit abgelesen. Diese wahrend der Jahre 1836-1841 erhaltenen Daten wurden in den Resultaten aus den Beobachtungen des magnetischen Vereins veroffentlicht.

Interessant ist, dai3 beispielsweise Alexander von Hurnboldt das Polarlicht sowie das da- mit einhergehende ,rnagnetische Ungewit- ter" als eine irdische Erscheinung, die denje- nigen in der Atrnosphare ahnelt, ansah.

Bernerkknswert ist auch, daR ein anderes Forschungsprogramrn von einer Sternwarte veranstaltet wurde. Der Berliner Astronorn und Direktor dieses Instituts Wilhelrn Foer- ster hatte bereits 1879 auf den Zusarnrnen- hang zwischen den Sonneneruptionen und den erdrnagnetischen Variationen aufmerk- sarn gernacht. Ab 1870 wurde auf seine Ver- anlassung hin an der von ihrn geleiteten Berli- ner Sternwarte der Nachthirnrnel regelmaflig nach Polarlichtern abgesucht, wobei auch eine spektroskopische Untersuchung des

Nachthirnrnels auf das Vorhandensein der ty- pischen Polarlichtlinien durchgefuhrt wurde.

Eine Fortsetzung des Foersterschen Pro- grarnms wurde durch den ersten Lehrstuhlin- haber fur Geophysik in der Welt, dern Got- tinger Ernil Johann Wiechert (Abbildung 1 I), bewirkt. Wiechert, rnit dessen Wirken die Herausbildung der Geophysik zur eigenstan- digen naturwissenschaftlichen Disziplin ver- bunden ist [2], hatte mehrfach die Bedeutung der Polarlichtforschung hervorgehoben. In einern Brief an den darnaligen Ministerialdi- rektor irn PreuRischen Kultusrninisteriurn Friedrich Althoff schrieb er: ,Zu den beson- ders wichtigen Gebieten der Geophysik ge- hort auch die Erscheinung des Polarlichtes. In Gottingen habe ich rnich nun jahrelang be- rnuht, ein Anzeichen fur das Polarlicht zu finden ..." (3. 11. 1901). Wiechert hat seine diesbezuglichen Studien fortgesetzt und - auch das ist fur die Physik interessant - ent- scheidend bei der Formulierung eines luft- elektrischen Programrns rnitgewirkt.

Hervorgehoben werden mu8 auch noch, daR die Erforschung des Polarlichtes wahrend des ersten internationalen Polarjahres (1 882- 1883) ein wichtiger Prograrnrnpunkt war.

Dieses Unternehrnen wurde in den Jahren 1932-1933 wiederholt und bildet ein Vorlau- fer zum spateren ,Internationalen Geophysi- kalischen Jahr" (1957-1958), in welchern wiederum der Erforschung des Polarlichtes ein breiter Raurn gewidrnet wurde.

Die Wissenschaftsgeschichte des Polarlichtes war nicht frei von Irrungen und Fehlent- wicklungen; sie 1aRt erkennen, wie langsarn sich der Wandel vorn ,,erschrocklichen Wun- derteichen" zurn physikalisch erklarbaren Naturobjekt vollzog [3, 41.

Literatur

[ 1) W. Borst, Geheirnnisvolles Polarlicht. Physik in unserer Zeit 9, 2 (1978).

[2] W. Schroder, Disziplingeschichte als wis- senschaftliche Selbstreflexion der histori- schen Wissenschaftsforschung. Eine Darstel- lung unter Heranziehung von Fallstudien der Wissenschaftsgeschichte der Geophysik, Verlag P. Lang, Frankfurt/M./Bern 1982.

[3] W. Schroder, Das Phanornen des Polar- lichtes, in Vorber. 1982.

[4] B. Weber, Wunderzeichen und Winkel- drucker, Urs-Graf-Verlag, Dietikon-Zurich 1972.

Den Bibliotheken in Berlin, Gottingen, Os- lo, Uppsala und Zurich bin ich fur Bildnach- weise und Auskunfte dankbar.

Dr. Wilfried Schroder befaRt sich rnit der Er- forschung des Polarlichtes in rnittleren Brei- ten, der Physik der Hochatmosphare sowie der Leuchtenden Nachtwolken und der Wis- senschaftsgeschichte und Wissenschaftstheo- rie der Geowissenschaften sowie ihrer Bezie- hungen zur Physik, Astronornie und Geo- graphie. Er ist Mitglied der Historischen Kornrnission der Internationalen Assoziati- on fur Geornagnetisrnus und Aeronornie (IAGA).

Anschrift:

Dr. W. Schroder, HechelstraBe 8, 2820 Bre- men-Roennebeck.

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