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Als 1791 das Gewandhaus am Neumarkt ab- gerissen und für die Brandwände eine archi- tektonische Lösung erforderlich wurde, kam im Ergebnis die unter August dem Starken begonnenen barocke Umgestaltung des Plat- zes zum Abschluss. Kurz nach 1800 ent- stand eine Fassadenfront mit zwei fast bau- gleichen als Eckpavillons wirkenden Häu- sern und einem dazwischen liegenden etwas niedrigeren Verbindungsbau, alles in spätba- rocker Klarheit und mit sparsamem Bauor- nament. Gottfried Semper entwarf schließ- lich 1843 für den Hofjuwelier Elimeyer im Erdgeschoss des rechten Eckbaus eine sehr kunstvolle Schaufenstergestaltung, die in der Folge auch auf den Verbindungsbau ausge- dehnt wurde. Mit Ausnahme des linken Eckbaus, dessen Grundstück sich im Besitz von Günter Blobel befindet und das separat bebaut wird, soll diese Platzfront nun in leicht abgewandelter Form wiederentstehen (Abb. 1). Das Bauprojekt der USD Immobi- lien GmbH umfasst außerdem das bedeuten- de Regimentshaus am Jüdenhof, das Ding- lingerhaus und das Chiapponische Haus an der Frauenstraße. Jetzt haben die Bauarbei- ten zu einem der letzten Quartiere am Neu- markt begonnen. Die Baugrube wurde in- zwischen ausgehoben und die Keller des Re- gimentshauses gesichert. Doch der Weg des Investors hin zu diesem für die Neumarkt-Rekonstruktion so wich- tigen westlichen Platzabschluss war alles an- dere als einfach. Kuriose Messfehler seitens des Stadtplanungsamtes drohten gleich mehrere Rekonstruktionen zu Fall zu brin- gen. Zufall oder Absicht? So erstaunte das Büro Alexander Poetzsch Architekten vor ei- nigen Monaten mit einem zeitgenössischen Entwurf an der Kreuzung Frauenstraße/Ga- leriestraße anstelle des als Leitbau vorgese- henen Chiapponischen Hauses. Der vorge- schlagene Baukörper präsentierte sich in zeitgenössisch unterkühlten Formen, grau, mit überbreiten Fensterachsen. Die Grund- 10 NEUMARKT-KURIER 2/2016 Das Quartier VI – von kuriosen Messfehlern und guten Kompromissen John Hinnerk Pahl Abb. 1: So möchte die USD Immobilien GmbH die Platzfront zum Neumarkt aufbauen.

Das Quartier VI –von kuriosen Messfehlern und guten … · 2020. 5. 2. · nament. Gottfried Semper entwarf schließ - lich 1843 für den Hofjuwelier Elimeyer im Erdgeschoss des

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  • Als 1791 das Gewandhaus am Neumarkt ab-gerissen und für die Brandwände eine archi-tektonische Lösung erforderlich wurde, kamim Ergebnis die unter August dem Starkenbegonnenen barocke Umgestaltung des Plat-zes zum Abschluss. Kurz nach 1800 ent-stand eine Fassadenfront mit zwei fast bau-gleichen als Eckpavillons wirkenden Häu-sern und einem dazwischen liegenden etwasniedrigeren Verbindungsbau, alles in spätba-rocker Klarheit und mit sparsamem Bauor-nament. Gottfried Semper entwarf schließ-lich 1843 für den Hofjuwelier Elimeyer imErdgeschoss des rechten Eckbaus eine sehrkunstvolle Schaufenstergestaltung, die in der

    Folge auch auf den Verbindungsbau ausge-dehnt wurde. Mit Ausnahme des linkenEckbaus, dessen Grundstück sich im Besitzvon Günter Blobel befindet und das separatbebaut wird, soll diese Platzfront nun inleicht abgewandelter Form wiederentstehen(Abb. 1). Das Bauprojekt der USD Immobi-lien GmbH umfasst außerdem das bedeuten-de Regimentshaus am Jüdenhof, das Ding-lingerhaus und das Chiapponische Haus ander Frauenstraße. Jetzt haben die Bauarbei-ten zu einem der letzten Quartiere am Neu-markt begonnen. Die Baugrube wurde in-zwischen ausgehoben und die Keller des Re-gimentshauses gesichert.

    Doch der Weg des Investors hin zu diesemfür die Neumarkt-Rekonstruktion so wich-tigen westlichen Platzabschluss war alles an-dere als einfach. Kuriose Messfehler seitensdes Stadtplanungsamtes drohten gleichmehrere Rekonstruktionen zu Fall zu brin-gen. Zufall oder Absicht? So erstaunte dasBüro Alexander Poetzsch Architekten vor ei-nigen Monaten mit einem zeitgenössischenEntwurf an der Kreuzung Frauenstraße/Ga-leriestraße anstelle des als Leitbau vorgese-henen Chiapponischen Hauses. Der vorge-schlagene Baukörper präsentierte sich inzeitgenössisch unterkühlten Formen, grau,mit überbreiten Fensterachsen. Die Grund-

    10 NEUMARKT-KURIER 2/2016

    Das Quartier VI – von kuriosen Messfehlernund guten Kompromissen

    John Hinnerk Pahl

    Abb. 1: So möchte die USD Immobilien GmbH die Platzfront zum Neumarkt aufbauen.

  • stücksfläche wurde überraschenderweise imWesten um ca. 1,50 Meter verkleinert. AufNachfrage der GHND gab die Stadtverwal-tung an, die Schleppkurven des Anliefe-rungsverkehrs für den Kulturpalast machtendie Anpassung der Grundstücksfläche not-wendig. Tatsächlich hatte der Stadtrat bereits2007 einstimmig einen Beschluss gefasst,der den notwendigen Straßenraum für eineGewährleistung des Anlieferungsverkehrsfestlegt (Abb. 2). Obwohl in der zur Abstim-mung gestellten Vorlage V1670 davon keineRede ist, war das Chiapponische Haus imstädtebaulich-gestalterischen Konzept da-raufhin um etwa eine Fensterachse gekürztworden. Wussten die Stadträte um die Fol-gen ihres Beschlusses? In einem städtischenVerkaufsprospekt für das Quartier VI von2011 war das Bauwerk zunächst noch aufge-führt. Auch ein 2012 beschlossener, jetzt je-doch nicht mehr rechtskräftiger, Bebauungs-plan sah den historischen Bau noch als Fas-sadenrekonstruktion vor.

    Der zwischenzeitlich geplante Wegfall derRekonstruktion des Chiapponischen Hauseslässt eine bewusste Aktion der DresdnerBauverwaltung vermuten, denn diese vertratin der Vergangenheit wiederholt die Positi-on, angrenzend an den Kulturpalast seienRekonstruktionen zu vermeiden. Abwei-chend von der gemeinhin geltenden Dok-trin, dass „spannungsvolle Brüche“ wün-schenswert wären, hieß es nun, das baulicheUmfeld habe sich der Architektur des Kul-turpalasts anzupassen. Der Verdacht einesabsichtsvollen Handelns erhärtete sich,nachdem die GHND die vom Stadtplanungs-amt angefertigten Pläne im Anhang der Vor-lage V1670 einer genaueren Untersuchungunterzogen hat. Dass die Vorschläge not-wendiger Maßnahmen zur Gewährleistungdes Anlieferungsverkehrs für den Kulturpa-last zu Konflikten mit dem geltenden städte-

    baulich-gestalterischen Konzept führen wür-den, indem die Baufläche des Chiapponi-schen Hauses beschnitten wurde, dürfte denStadträten vor der Abstimmung nicht be-wusst gewesen sein, denn die Pläne erweisensich als verblüffend irreführend, ja manipu-lativ. Ein Übersichtsplan (Abb. 3) zeigt denverwinkelten Verlauf der Brandwand desChiapponischen Hauses, des Regimentshau-ses und der Südwand des Hauses Galerie-straße 24 (rote Markierung durch den Au-tor). Der Vergleich mit dem städtebaulich-gestalterischen Konzept von 2001, ebenfallsals Anlage in der Vorlage enthalten, zeigt denaugenscheinlich gleichen Verlauf (Abb. 4).Auch im enthaltenen „Lageplan Rosmarin-gasse“ ist der Verlauf als dünne Linie zu er-kennen (siehe Abb. 2). Erst die genaueÜberlagerung des „Lageplans Rosmaringas-

    se“ mit dem städtebaulich-gestalterischenKonzept von 2001 zeigt, dass sie nicht de-ckungsgleich sind und dass die Verlaufslinieirrtümlicherweise ca. 1,50 Meter zu weit öst-lich verläuft (Abb. 5). Wer hat sich hier ver-messen? Teile des Chiapponischen Hausesliegen nun – für den Betrachter der zur Vor-lage gehörigen Pläne völlig unerwartet –westlich der projektierten Fläche. Im Jahr2011 wurde das städtebaulich-gestalterischeKonzept schließlich geändert und das Chi-apponische Haus um 1,50 Meter reduziert(Abb. 6).

    Es ist dem Investor hoch anzurechnen, dasser dennoch an einem Wiederaufbau des Chi-apponischen Hauses festhält (Abb. 7). Nachderzeitigen Planungen ist vorgesehen, dasBauwerk um eine Achse zu reduzieren und

    DAS QUARTIER VI – VON KURIOSEN MESSFEHLERN UND GUTEN KOMPROMISSEN 11

    Abb. 2: Schleppkurven des Kulturpalast-Anlieferungsverkehrs im „Lageplan Rosmaringasse“ der VorlageV1670. (© Stadtplanungsamt Dresden)

    Abb. 3: Ein vom Stadtplanungsamt angefertigter Plan (Detail), Bestandteilder Vorlage V1670 (S. 8), zeigt den verwinkelten Verlauf der Brandwanddes Chiapponischen Hauses, des Regimentshauses und der Südwand desHauses Galeriestraße 24 (rote Markierung durch den Verfasser). (© Stadt-planungsamt Dresden)

    Abb. 4: Das städtebaulich-gestalterische Konzept von 2001, ebenfalls als Anlagein der Vorlage V1670 enthalten, zeigt den augenscheinlich gleichen Verlauf. (©Stadtplanungsamt Dresden)

  • die Fassade entlang der Rosmaringasse – ge-genüber vom Kulturpalast – zeitgenössischzu gestalten. Ohnehin wirkte das Chiappo-nische Haus ursprünglich nicht als Eckbau,denn die Frauenstraße erstreckte sich bis aufeine Fläche, die heute vom Kulturpalast ein-genommen wird. Doch damit nicht genugder Messfehler seitens des Stadtplanungsam-

    tes.

    Auch die Grundstücksgrenzen der Frontzum Neumarkt weisen kuriose Abweichun-gen gegenüber dem Vorkriegszustand auf. Sowurde der rechte Eckbau, der ursprünglichca. 2 Meter schmaler als der linke war, nunin der Breite an letzteren angepasst. Solltedamit die Rekonstruktion der historischenPlatzfront verhindert werden? Auch hier

    muss dem Investor gedankt werden, dass ersich von seinem Wunsch, den Vorkriegszu-stand wiederherzustellen, nicht hat abbrin-gen lassen. So wurde die Fassade entspre-chend in der Breite gestreckt. Für die Wie-derherstellung der Historischen Ladenfrontbirgt die Veränderung der Proportionen er-hebliche Herausforderungen, denn die von

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    Abb. 5: Erst die genaue Überlagerung des „Lageplans Rosmaringasse“ mitdem Konzept von 2001 zeigt, dass die Verlaufslinien nicht deckungsgleichsind. Teile des Chiapponischen Hauses liegen nun völlig unerwartet westlichder projektierten Fläche.

    Abb. 6: Im Jahr 2011 wurde das städtebaulich-gestalterische Konzept geän-dert und das Chiapponische Haus um 1,50 Meter reduziert.

    Abb. 7: USD Immobilien möchte das Chiapponische Haus um eine Fensterachse reduziert rekonstruieren. Hier der ursprüngliche Rekonstruktionsvorschlag derGHND. (© GHND/arte4D)

  • Gottfried Semper entworfenen feingliedrigornamentierten Schaufensterrahmungenmüssen mit großem Aufwand ebenfalls denveränderten Breiten angepasst werden. Ins-gesamt muss tatsächlich eher von einer Pa-raphrase als von einer Rekonstruktion derPlatzfront gesprochen werden, denn auchdie Geschosshöhen weichen deutlich vomVorkriegszustand ab. Der rechte Eckbau be-kommt anstelle des ursprünglich rudimen-tären Mezzaningeschosses ein Vollgeschoss,der Verbindungsbau wird um ein Stockwerkergänzt bei gleichzeitiger Reduktion der Ge-schosshöhen. Doch diese Abweichungenmüssen angesichts der willkürlichen Verän-derungen der Grundstücksbreiten seitensdes Stadtplanungsamtes als guter Kompro-miss gewertet werden.

    Den wohl bedeutendsten Bau im Quartier VIstellt das Regimentshaus dar. Im ersten Jahr-zehnt des 18. Jahrhunderts errichtet, dientees dem Stadtgouverneur schon bald alsAmtssitz. Dafür ergänzte vermutlich Zwin-gerbaumeister Matthäus Daniel Pöppelmanndie beiden hochbarocken Prunkportale.Nachdem der Sitz des Gouverneurs 1719 indas Kurländer Palais verlegt worden war,nahm der Bau große Teile der königlich-kur-fürstlichen Kunstsammlungen und eine Bi-bliothek auf. Schon zehn Jahre später gingdas Regimentshaus in den Besitz des Grafenvon Friesen über, der den Fassadenschmuckder Fenster von Pöppelmann neugestaltenließ.

    Bald schon wird das Bauwerk wieder in sei-ner historischen Gestalt den Jüdenhof prä-gen (Abb. 8). Die Keller werden in die Re-konstruktion einbezogen. Auch das Trep-penhaus soll in alter Schönheit wiederentste-hen (Abb. 9). Unbedingt notwendig ist eineRekonstruktion der Haushalle, um den An-forderungen an einen so bedeutenden Leit-bau gerecht zu werden. Sicher wird der In-vestor auch diesen notwendigen Aufwandnicht scheuen. Der rechte Nachbarbau, dereigentlich als Fassadenrekonstruktion ent-stehen sollte, ist aufgrund der Verbreiterungder Rosmaringasse leider zugunsten einerzeitgenössischen Fassade gewichen.

    In historischer Geschlossenheit werden sichdie Fassaden zur Frauenstraße präsentieren(Abb. 10). Von besonderer kunst- und kul-turhistorischer Bedeutung war das Dinglin-gerhaus. Es wurde 1726 für den HofjuwelierJohann Melchior Dinglinger erbaut. Nichtnur die Fassade mit dem Erker, der vermut-lich noch vom Vorgängerbau stammt, son-dern auch der kleine Arkadenhof mit seinembedeutenden Brunnen sollen rekonstruiertwerden. Zur Rechten des Bauwerks wird dieFassade des im frühen 18. Jahrhundert er-richteten Bürgerhauses Frauenstraße 9 mitseinem zeittypischen Erker wiederaufgebautwerden. In Richtung Kulturpalast schließt

    sich die eher schlichte historische Fassadedes Klepperbeinschen Hauses an, eines Bausdes Architekten Samuel Locke von 1761.Schließlich folgt das Chiapponische Haus,vermutlich ebenfalls ein Werk Lockes ausder Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg.Künftig wird der zentrale zweigeschossige

    Erker nicht mehr die Mitte der Fassade bil-den. Der geplante Wegfall der ersten Fens-terachse bringt eine Asymmetrie mit sich,die künftig Fragen nach ihrer Ursache pro-vozieren – und von einem geschichtsbe-wussten Investor zeugen wird, der sich zuguten Kompromissen bereit zeigte.

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    Abb. 8: Das Regimentshaus am Jüdenhof wird in alter Schönheit wiederaufgebaut. (© GHND/arte4D)

    Abb. 9: Visualisierung des Treppenhauses im Regimentshaus. (© GHND/arte4D)

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    Abb. 10: Farbstudie derFassaden zur Frauenstraße:Chiapponisches Haus, Klep-perbeinsches Haus, Dinglin-gerhaus und Frauenstraße 9(v. l.). (© StadtplanungsamtDresden/Claudia Freuden-berg)