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810 Berichte Bautechnik 86 (2009), Heft 12 hier die Idee des seilgetragenen (mit zunächst nur 160 Seilen) Trogs – al- lerdings in einem Stahlbetongerüst! – von einem Konsortium mit der Gute- hoffnungshütte an der Spitze aufge- griffen worden. Dieser wie auch fol- genden Anordnungen lag offenbar die Philosophie zugrunde, durch mög- lichst kleinteilige Gestaltung der si- cherheitsrelevanten Komponenten die Situation im Versagensfall jederzeit beherrschbar zu halten Eine Über- arbeitung des Entwurfs mit nunmehr 216 Seilen fand indes auch keine An- nahme, weil die Sicherheit des An- triebs nicht befriedigte. Durchsetzen konnte sich dann erstaunlicherweise keines der Firmenkonzepte, sondern ein Entwurf des Wasserstraßenamtes in Eberswalde. Bekanntlich hat das Sicherheitsbedürfnis dort schlussend- lich die Anzahl der Tragseile auf 256 ansteigen lassen [3], [4]. Nicht weniger aufwendig als die vorherige Variantenauslese waren die Bauvorbereitungen und schließlich die Ausführung selbst. Obwohl auch innovative Baumaßnahmen, wie die Beucheltsche Schrägabsenkung von Senkkästen, und neuentwickelte Drucksensoren zur Anwendung ka- Im Jahre 2009 konnte das 75-jährige Jubiläum des legendären Schiffshebe- werks in Niederfinow gefeiert werden. Die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes gab zu diesem Anlass eine informative Broschüre heraus [1]. Bundesweit im Focus stand die Anlage, als sie im Jahr 2007 als „His- torisches Wahrzeichen der Ingenieur- baukunst in Deutschland“ von der Bundesingenieurkammer bewertet wurde [22]. Vorbemerkungen und Lösungssuche Mit einem Gesetz vom 1. April 1905 ist der Bau des späteren Hohenzollern- kanals mit einer Schleusentreppe am Abstieg zum Oderbruch beschlossen worden. Eingedenk der seinerzeit stür- misch entwickelten Schifffahrt hatte man sich vorausschauend die Option eines Bypasses, eines sogenannten 2. Abstiegs, offengehalten. Schon lange vor der Fertigstellung des Kanals 1914 haben Gedankenspiele begonnen, an- statt einer weiteren konventionellen Schleusenanlage ein seinerzeit noch ungewöhnliches Hebewerk zu instal- lieren, womit quasi die prinzipielle Un- zulänglichkeit der bisherigen Schleu- sen eingestanden worden war [1]. Für die Bauform eines solchen zukünftigen Hebewerks sind in der Folgezeit wohl jegliche denkbaren, auch exotischen Varianten durchge- spielt worden. Darunter auch solche, für die es zu jener Zeit noch kein aus- geführtes Beispiel gab. Sie alle aufzu- zählen soll der Sekundärliteratur über- lassen bleiben. Bei einem Wettbewerb im Jahre 1912 z. B. hatte die Firma MAN einen Vorschlag für ein recht opulentes Gegengewichtshebewerk mit Wippe und Tauchtrog präsentiert [2]. Ein weiterer Entwurf aus diesem Jahr markiert eine Zäsur in dem Such- prozess insofern, als künftig nur noch die Fahrstuhlbauweise mit Seilen und Gegengewichtsausgleich betrachtet wurde. Mit schon wesentlichen Teilen des später ausgeführten Entwurfs war Das Schiffshebewerk in Niederfinow, 75 Jahre in Betrieb Michael Braun Bild 1. Detailschnittskizze des Sicher- heitsmechanismus aus der Loebell- schen Patentschrift: Drehriegel (2) in Mutterbackensäule (16), 1923 [Sammlung Braun] Bild 2. Titelblatt des zur Ausführung bestimmten Konstruktions-Entwurfs von Loebell, 1927 [Sammlung Braun]

Das Schiffshebewerk in Niederfinow, 75 Jahre in Betrieb

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Bautechnik 86 (2009), Heft 12

hier die Idee des seilgetragenen (mitzunächst nur 160 Seilen) Trogs – al-lerdings in einem Stahlbetongerüst! –von einem Konsortium mit der Gute-hoffnungshütte an der Spitze aufge-griffen worden. Dieser wie auch fol-genden Anordnungen lag offenbar diePhilosophie zugrunde, durch mög-lichst kleinteilige Gestaltung der si-cherheitsrelevanten Komponenten dieSituation im Versagensfall jederzeitbeherrschbar zu halten Eine Über -arbeitung des Entwurfs mit nunmehr216 Seilen fand indes auch keine An-nahme, weil die Sicherheit des An-triebs nicht befriedigte. Durchsetzenkonnte sich dann erstaunlicherweisekeines der Firmenkonzepte, sondernein Entwurf des Wasserstraßenamtesin Eberswalde. Bekanntlich hat dasSicherheitsbedürfnis dort schlussend-lich die Anzahl der Tragseile auf 256ansteigen lassen [3], [4].

Nicht weniger aufwendig als dievorherige Variantenauslese waren dieBauvorbereitungen und schließlichdie Ausführung selbst. Obwohl auchinnovative Baumaßnahmen, wie dieBeucheltsche Schrägabsenkung vonSenkkästen, und neuentwickelteDrucksensoren zur Anwendung ka-

Im Jahre 2009 konnte das 75-jährigeJubiläum des legendären Schiffshebe -werks in Niederfinow gefeiert werden.Die Wasser- und Schiffahrtsverwaltungdes Bundes gab zu diesem Anlass eineinformative Broschüre heraus [1].

Bundesweit im Focus stand dieAnlage, als sie im Jahr 2007 als „His -torisches Wahrzeichen der Ingenieur -baukunst in Deutschland“ von derBundesingenieurkammer bewertetwurde [22].

Vorbemerkungen und Lösungssuche

Mit einem Gesetz vom 1. April 1905ist der Bau des späteren Hohenzollern-kanals mit einer Schleusentreppe amAbstieg zum Oderbruch beschlossenworden. Eingedenk der seinerzeit stür -misch entwickelten Schifffahrt hatte

man sich vorausschauend die Optioneines Bypasses, eines sogenannten2. Abstiegs, offengehalten. Schon langevor der Fertigstellung des Kanals 1914haben Gedankenspiele begonnen, an-statt einer weiteren konventionellenSchleusenanlage ein seinerzeit nochungewöhnliches Hebewerk zu instal-lieren, womit quasi die prinzipielle Un-zulänglichkeit der bisherigen Schleu-sen eingestanden worden war [1].

Für die Bauform eines solchenzukünftigen Hebewerks sind in derFolgezeit wohl jegliche denkbaren,auch exotischen Varianten durchge-spielt worden. Darunter auch solche,für die es zu jener Zeit noch kein aus-geführtes Beispiel gab. Sie alle aufzu-zählen soll der Sekundärliteratur über-lassen bleiben. Bei einem Wettbewerbim Jahre 1912 z. B. hatte die FirmaMAN einen Vorschlag für ein rechtopulentes Gegengewichtshebewerkmit Wippe und Tauchtrog präsentiert[2]. Ein weiterer Entwurf aus diesemJahr markiert eine Zäsur in dem Such-prozess insofern, als künftig nur nochdie Fahrstuhlbauweise mit Seilen undGegengewichtsausgleich betrachtetwurde. Mit schon wesentlichen Teilendes später ausgeführten Entwurfs war

Das Schiffshebewerk in Niederfinow, 75 Jahre in BetriebMichael Braun

Bild 1. Detailschnittskizze des Sicher-heitsmechanismus aus der Loebell-schen Patentschrift: Drehriegel (2) inMutterbackensäule (16), 1923 [Sammlung Braun]

Bild 2. Titelblatt des zur Ausführung bestimmten Konstruktions-Entwurfs vonLoebell, 1927 [Sammlung Braun]

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men, war es selbstverständlich, dassdie einzelnen Arbeitsvorgänge grund-solide ausgeführt wurden, technischallerdings – trotz des enorm proble-matischen Baugrunds – von eherdurchschnittlichem Anspruch waren.Bestechend blieben allemal die bis-lang nicht gekannten Abmessungeneines solchen, vollständig genieteten!(ca. 3 Millionen Niete) Bauwerks, diees zum damals größten der Welt mach-ten [5]. Insofern ist es überhaupt nichtübertrieben, um es mit den Worteneines Fachmanns auszudrücken: „daßder Bau (…) mit einer Sorgfalt vorbe-reitet worden (ist), die beispielgebendwar“ [6].

Am Bau beteiligt waren mindes -tens dreizehn bedeutende Bau-, Stahl-bau- und Elektro-Firmen sowie un-zählige Subunternehmungen. Das Fir-menverzeichnis liest sich wie ein „whois who“ der diesbezüglichen Großin-dustrie Deutschlands aus den 1920-erund 30-er Jahren [7].

Technische Details

Der Antrieb des die Schiffe aufneh-menden Trogs innerhalb des Gerüstswird durch vier relativ kleine Zahn-radritzel vollzogen, die an dazu pas-send angeordneten Zahnstockleiternauf- und abgleiten. Die lastaufneh-menden Teile des Gerüsts sind übri-gens mit Seitenstreben besonders ab-gefangen. Der Antrieb selbst ist an derOberseite des Trogs paarweise ange-bracht. Je zwei Antriebe versorgen sodie vier Ritzel. Der unbedingte Gleich-lauf aller vier ist über ein geschlosse-nes Wellenviereck, d. i. eine kraft-

schlüssige mechanische! Kopplung, inebenso einfacher wie genialer Weiseauch bei Ausfall eines Antriebs sicher-gestellt. Gleichstrommotore in soge-nannter Leonhardt-Schaltung sorgenfür sanften An- und Auslauf, womitkeine überflüssigen und schädlichenBeschleunigungen auftreten. Da in-folge perfekten Massenausgleichs nurgeringe Kräfte zu überwinden sind,verfügen die Motore über eine imVergleich zu der bewegten Masse vonknapp 4500 t geradezu banale Leis -tung von nur je 75 PS.

Die angemessene Sicherheit ge-gen die Folgen einer wie auch immerverursachten Trogschiefe hat mannach dem System des Ingenieurs undspäteren Oberregierungsbaurats Al-fred Loebell aus Berlin-Lichterfelderealisieren können. Dieses eleganteVerfahren basiert darauf, dass dem eigentlichen Ritzelantrieb synchronein Schneckentrieb (hier Drehriegelgenannt) nachläuft. Im lastfreien Be-trieb hat jeder Drehriegel ein Spiel von30 mm zu der sie umgebenden Mut-terbackensäule. Wird die Ideallage desTrogs durch unerwünschte Umständegestört, so greift bei einer vorher zubestimmenden Kippschwelle des Trogs,hier bei ca. 30 t Unwucht, der Trogfest in den Schneckentrieb und dieihn umgebenden Mutterbacken undsperrt so den Antrieb sicher. Ausge -löst wird der Sperrimpuls durch eineinfolge der Ungleichgewichtigkeit desTrogs bewirkte Auslenkung eines odermehrerer der vier federnd nachgiebiggelagerten Ritzel aus ihrer Normlage.

Schnecke und Mutterbacken sindderart dimensioniert, dass eine unbe-

Bild 4. Hebewerksgerüst im Bau. ZurMontage ist ein spezieller Kran aufge-baut, ca. 1932 [Gollnow]

Bild 5. Sogenannter Mess-Drehriegelaus den Demag-Werken. Von der ober-halb angebrachten Beschaubühne auskonnte ein Bediensteter den einwand-freien Lauf in der Mutterbackensäulekontrollieren, ca. 1932 [Sammlung Masella]

Bild 6. Getriebewelle mit Antriebsritzelvor dem Einbau, ca. 1932 [Sammlung Masella]

Bild 3. Teile in der Werkstatt der Stettiner Gollnow-Werke, zum Einbau in dasHebewerksgerüst bestimmt, ca. 1932 [Gollnow]

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dingte Sicherheit des Festhaltens ge-währleistet bleibt. Da der beschrie-bene Fall die absolute Ausnahme ist,entsteht zwischen den KomponentenDrehriegel und Mutterbackensäulenahezu kein Verschleiß.

Im Jahr 1924 soll das Reichsver-kehrsministerium das Patent für dasHebewerk angekauft haben. Es dürftedas hervorstechende technische Merk-mal und innovative Herz der Anlagegeblieben sein. In den ersten 20 Be-triebsjahren soll die Sicherheitsein-richtung nur ein Mal gegriffen haben.Realisiert wurde es durch die DemagAG [8] bis [11]. Als mit dem Entwurfaus Eberswalde1925 die endgültigeBauform im Grunde feststand, wardarin die Loebell-Sicherung nicht nurbereits fester Bestandteil, sondern imJanuar 1927 zum Namensgeber desgesamten Hebewerk-Entwurfs gewor-den, d. h., sein Sicherungsansatz warzum ultimativen Charakteristikum derAnlage avanciert. Dementsprechend

nahmen die Komponenten des An-triebs und der Sicherung im Entwurfden auch größten Raum ein. Einschönes Kompliment dürfte sein, dassdas gut 30 Jahre später in Betrieb ge-nommene Hebewerk Lüneburg eben-solche Drehriegel zur Trogsicherungbesitzt [11].

Dieser Entwurf ist nach der Mo-dell-Präsentation auf der Verkehrs-ausstellung in München dann derAkademie des Bauwesens zur Begut-achtung zugeleitet worden. Das er-hofft positive Votum der Institutionist übrigens lediglich getrübt wordendurch marginale Forderungen be -züglich zu verbessernder ästhetischerAußenwirkung [12].

Die elektrische Ausrüstung desWerkes erfolgte durch die FirmenSiemens und AEG, wobei erstere eininnovatives Verfahren zur automati-schen photooptischen Wasserstand -angleichung in Anwendung brachte[13].

Betriebseröffnung und Bilanz

Zur Betriebseröffnung hat es eineReihe von Veröffentlichungen gege-ben. Die wohl bekannteste und meist-zitierte Großformatschrift aus demBerliner Verlag Wilhelm Ernst & Sohnrekapitulierte vornehmlich die langeReihe der über die Jahre steten Be-richte aus der hauseigenen Zeitschrift„Die Bautechnik“ und ließ keine dervielen Facetten eines solchen Vorha-bens unberücksichtigt. Hier war mitden 16 wichtigsten detaillierten Fach-aufsätzen der mühsame Weg zumspäteren Erfolg nachgezeichnet.

Ein sicher unvollständiges Ver-zeichnis des Schrifttums umfasst al-lein für die reine Bauzeit von 1927 bis1934 56 Veröffentlichungen zum Ge-genstand, darunter allein 25 teils sehrumfangreiche aus den Fachorganen„Die Bautechnik“ und „Der Stahlbau“[14]. Das Wasserstraßenamt in Ebers-walde als Bauherr und Betreiber hattein Eberhard Fischer einen kompeten-ten Berichterstatter des Geschehens.Gewissermaßen vorfristig, nämlichschon zu der Hauptausschusssitzungdes Wasserstraßenbeirats am 14. März1933 in Eberswalde, hat er seine ersteAuflage editiert. Etwa zwei Jahre spä-ter konnte man in der 2. Auflage alsBilanz stolz verkünden, dass das He-bewerk „bei 16stündiger Betriebszeitbisher bis zu 124 Fahrzeuge an einemTage (förderte), am 20. August 1934(d. h. 5 Monate nach Inbetriebsetzung)das 20000. Fahrzeug das Hebewerk(durchfuhr)“.

Leider war zwischenzeitlich dasinteressante Teilmodell des Bauwerksan der Eisenbahnstrecke Eberswalde–Freienwalde wie auch die Besichti-gungsstraße beseitigt worden [4]. Zehnam Bau beteiligte Unternehmen derStahlbau- und Elektroindustrie steuer-ten ein 40-seitiges, reich bebildertesWerk bei [15].

Die Nazis, gerade einmal ein Jahran der Macht und obgleich mit Pla-nung und Bau des Hebewerks eherweniger befasst, haben sich den Baudennoch sofort angeeignet. Schon dieFeierlichkeit zu dessen Inbetrieb-nahme war so gestaltet, wie später allederartigen Begebenheiten: Massen-auflauf von mindestens 10000 Betei-

Bild 7. Dieses Ritzel, Einbaujahr 1934ist erst vor kurzer Zeit ausgetauschtund als Demonstrationsstück an derAnlage aufgestellt worden, August 2009[Foto Braun]

Bild 8. Tag der Betriebseröffnung, 21. März 1934, am Redner-pult Ministerpräsident Göring [Sammlung Kluge]

Bild 9. Das Schiffshebewerk, von der Unterseite aus aufge-nommen, mit über dimensionalem Hoheitszeichen ca. 1935[Postkarte, Sammlung Masella]

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ligten, Uniformen sowie Hakenkreuz-fahnen und üblicher Nazi-Zierrat zu-hauf. Die beteiligten Firmen durftenAbordnungen schicken. „Den Höhe-punkt dieser Feier bildete die ersteSchleusung (…) MinisterpräsidentGöring (…) fuhr als erster durch dieSchleuse“, wie ein Krupp-Angestellterergriffen notierte. Von den Größen derPartei- und Staatsführung erschienenwaren außerdem Verkehrsminister vonEltz-Rübenach und Rudolf Heß. Ins-besondere Göring in schwarzer Uni-form ließ sich dieses Heimspiel in sei-ner „Lieblingsumgebung“ nicht entge-hen. Der Führer war nicht anwesend.Er sprach am gleichen Tag, genau einJahr nach dem „Tag von Potsdam“, beider ihm wohl wesentlich wichtiger er-scheinenden Aufnahme von Arbeitenan einer Autobahnbaustelle bei Un-terhaching zu der Gefolgschaft.

v. Eltz-Rübenach ließ in seinerFestrede auf dem Appellplatz an derOstseite des Bauwerks die Stationender außerordentlich langen Vorberei-tungs- und auch der Bauzeit Revuepassieren, erwähnte auch die führendeKöpfe und ausführenden Baufirmendes Unternehmens. Er hat an den beiden Bauarbeiten verstorbenen Mitar-beiter Kunberger erinnert und schluss-endlich versichert, dass „fast aus -schließlich deutsche Bau- und Werk-stoffe zur Verwendung gekommen(sind)“. Ein Problem soll es nur bei derrechtzeitigen Ausstattung des Werksselbst mit dem Hoheitszeichen gege-ben haben. Noch am Eröffnungstag„durchfuhr der erste Lastkahn mitRuhrkohle das Schiffshebewerk“,

konnten die Demag-Nachrichten ver-melden [16] bis [19].

Jahre der Bewährung

Das Kriegsgeschehen hat glücklicher-weise einen Bogen um das Bauwerkgemacht. Nach Erlebnisberichten solleine Sprengung der Anlage durch dieWehrmacht wohl so spät veranlasstworden sein, dass sie sich durch denrussischen Vormarsch erübrigte. Diedeutschen Militärs haben sich auchwohl sehr verantwortungsvoll verhal-ten. Die geringfügigen Schäden durchKampfhandlungen konnten noch imApril 1945 behoben werden. Ein Gra-nateinschlag allerdings ist bis heutesichtbar [20].

In einer Rückschau im Jahr 1954konnte mit Befriedigung die prinzipi-elle Funktionalität des Bauwerks kon-statiert werden. Geringfügige Ärger-nisse wie die zunächst fehlende elek-trische Heizung an den Toren wirktendabei eher banal.

Entgegen aller Besorgnis erwie-sen sich besondere Führungen für dieAusgleichsketten des seinerzeit welt-größten Hebewerks als entbehrlich.Dagegen war die Installation einesNotstromkraftwerks wegen der un -sicheren Energieversorgung dort stetshochwillkommen gewesen [11]. Biszum Jahre 2009 sollte sich die Zahlder Ausfalltage auf lediglich 47 sum-mieren, nicht gerechnet Kriegseinwir -kungen und die Hochwasserfolgen desJahres 1947 [21].

Im Jahre 1979 ist das Bauwerk indie Liste der „Technischen Denkmale“

der DDR aufgenommen worden – mitdem bedeutungsschweren Ehrentitel„Freundschaft“ geschmückt. Die Eh-rung der Anlage als „HistorischesWahrzeichen der Ingenieurbaukunstin Deutschland“ durch die Bundes -ingenieurkammer 2007 bestätigt ihreWertschätzung [22], [23].

Die 75. Wiederkehr der Inbe-triebnahme wurde am 23. März 2009festlich begangen, verknüpft mit derGrundsteinlegung für ein nahebei zuerrichtendes zweites Hebwerk amStandort durch die Firma Bilfinger &Berger. Von Zwillingen zu reden wäreindes weniger gerechtfertigt, denngleich sind beide nur in der Hubhöheund in der Loebell-Sicherung.

Die vergangenen Jahrzehnte ha-ben die Ansprüche nicht zuletzt andie zu bewältigenden Schiffslängendeutlich ansteigen lassen. Das Hebe-gerüst des Neubaus soll zudem inStahlbeton entstehen, so wie es fürden alten Bau einmal vorgesehen war.

Beschworen wurde bei dem Fest-akt die Hoffnung auf deutlich positiveSynergien für die Oderhäfen und denArbeitsmarkt der Region schlechthin[24]. Knapp ein Sechstel der Baukos -ten von 285 Mio. Euro wird die EUbeisteuern. Seit August 2009 ist derFörderbescheid verbindlich, verbun-den mit einer Betriebszusage für denAltbau bis 2025 [25].

Das Modell, ein Nachwort

Nachweislich hat es mindestens dreiModelle des Hebewerks gegeben. Dasälteste war vermutlich vornehmlich

Bild 10. Ansicht vom sogenannten Oberhafen aus, 25. März1934 [Sammlung Knoll]

Bild 11. Zwei Schiffe warten auf die Schleusung RichtungOberhafen, 25. März 1934 [Sammlung Knoll]

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zur Präsentation 1925 auf der Ver-kehrsausstellung in München gedacht.Sein Maßstab (er dürfte bei 1 : 50 ge-legen haben) und sein Verbleib sindnicht bekannt. Obwohl schon mit derLoebell-Sicherung ausgestattet, wiesdas Modell, dem Planungsstand ent-sprechend, noch viele Abweichungenvom Endzustand auf. Entstanden istes in den modellbauenden Werkstät-ten der Eberswalder Ardelt-Werke, ge-nau wie ein Versuchsmodell 1 : 5, andem praktische Experimente durch-führbar waren. Letzteres war an derEisenbahnstrecke nach Freienwaldeplatziert und ist zwischen 1934 und1935 beseitigt worden [4], [26].

Das dritte Modell im Maßstab1 : 50 ist von einer Kölner Modellbau-firma nach dem Original gefertigt wor-den und hat Anfang Juni 1934 einenPlatz im Berliner Verkehrs- und Bau-museum gefunden [27]. Seit 1948 giltes als verschollen.

Zwei überaus tatkräftige Ange-stellte des Deutschen TechnikmuseumsBerlin haben sich ab 1994 der Auf-gabe gestellt, ebendieses Modell ori-ginalgetreu wiedererstehen zu lassen.Einer von beiden hat damit vermut-lich noch auf Jahre zu tun, von den150000 geplanten Mini-Nieten sinderst zwei Drittel verarbeitet. Der Ar-beitsfortschritt ist in der Presse gutdokumentiert und für Besucher desMuseums tagsüber dort auch miterleb-bar [28].

Literatur und Quellen

[1] Wasser- und Schiffahrtsverwaltungdes Bundes: 75 Jahre SchiffshebewerkNiederfinow 1934–2009. Eberswalde,2009.

[2] Carstanjan (Gustavsburg): Schiffs -hebewerk für den GroßschifffahrtswegBerlin–Stettin bei Niederfinow. In: Zeit-schrift für Binnenschifffahrt 19 (1912),Nr. 10, S. 245–52.

[3] Kammerer, O.: Gutachten der Be-triebssicherheit des Schiffshebewerkesbei Niederfinow für den Groß-Schiff-fahrtsweg Berlin–Stettin nach dem Ent-wurf von 1912. Berlin, 1912, S. 3ff.

[4] Fischer, E.: Das SchiffshebewerkNiederfinow. Eberswalde, 1932, S. 44f,s. auch: Neuauflage vom gleichen Ver-fasser mit Ergänzungen von Karl Wig-gers. Eberswalde, 1935

[5] Detig: Die Zwischenpfeiler der Kanal-brücke des Schiffshebewerks Nieder -finow. In: Die Bautechnik 12 (1934),Nr. 40, S. 522–35, insbes. S. 523.

[6] Uhlemann, H.-J.: Berlin und die Mär-kischen Wasserstraßen. Berlin 1987,S. 66.

[7] Peilert, F.-W.: Maschinelle Einrichtun-gen für den Wasserbau. In: KruppscheMonatshefte 11 (1930), Nr. 6, S. 165–72,insbes. S. 172, s. auch: Ehmcke, F. H.:100 Jahre Gollnow & Sohn. Stettin,1933, S. 38, 41.

[8] Burkowitz: Mechanik des HebwerksNiederfinow. In: Die Bautechnik 12(1934), Nr. 32, S. 411ff.

[9] Loebell, (A.): Antrieb für Schiffhebe-werke. In: Die Bautechnik 5 (1927),Nr. 8, S. 99–100, s. auch: Loebell, A.:Selbstsperrender Antrieb für Schiffs -hebewerke und schwere Aufzüge großerHubhöhe. Reichspatentschrift 380 377vom 29. August 1923.

[10] Lorenz-Meyer: Das Schiffshebewerkbei Niederfinow. In: Der Bauingenieur(1930), Nr. 14, S. 242–246.

[11] Dehnert, H.: Schleusen und Hebe-werke. Berlin, 1954, S. 305, Schinkel, E.:Schiffshebewerke in Deutschland. Dort-mund, 1991, S. 78–79.

[12] Loebell, (A.): Die Wasserstraßenab-teilung des Reichsverkehrsministeriumsauf der Deutschen Verkehrsausstellungin München 1925. In: Die Bautechnik 3(1925), Nr. 30, S. 409–10, LandesarchivBerlin, Repositur A 080, Nr. 18897.

[13] Tengström, H.: Schiffshebewerk Nie-derfinow. In: AEG-Mitteilungen (1934),Nr. 10, S. 315–22, Gst.: SchiffshebewerkNiederfinow. In Siemens-Zeitschrift 12(1932), Nr. 10. S. 378, Klietz, P., Gast,H.: Der elektrische Antrieb des Schiffs-hebewerk Niederfinow. In: Siemens-Zeitschrift 14 (1934), Nr. 8, S. 261–268.

[14] anon.: Das Schiffsheberwerk Nieder-finow. Berlin, 1935.

[15] anon.: Schiffshebewerk Niederfinow.Zur Einweihung am 21. März 1934.

[16] Schreiber, F.: Von der Einweihungdes Schiffshebewerks Niederfinow. In:Krupp-Zeitschrift 25 (1934), Nr. 15,S. 235.

[17] Die Rede des Herrn Reichsverkehrs-ministers Freiherr v. Eltz-Rübenach beider Eröffnung des Schiffshebe werksNiederfinow am 21. März 1934 (alsEinleitung in [14]).

[18] Gottwaldt, A.: Die Reichsbahn unddie Autobahn. Berlin, 1995, S. 42, 44, s.auch: anon.: Die Reichsautobahn in derFrühjahrsschlacht gegen die Arbeits -losigkeit. In: Die Reichsbahn 10 (1934),Nr. 13, S. 336f.

[19] Schinkel, E.: Das alte Schiffshebe-werk Niederfinow – Geschichten auseiner wechselvollen Vorgeschichte.Siehe [1] S. 6–25, insbes. S. 6, 21–3,anon.: Zur Einweihung des Schiffsheb-werkes Niederfinow. In: Demag-Nach-richten 8 (1934), Nr. B1, S. 4458.

[20] Rudolph, S.: Der Schiffsaufzug imKriege. Berlin, 1999, Dükomy, W.: DasSchiffshebewerk im Zweiten Weltkrieg.Siehe [1] S. 42f.

[21] Märkische Oderzeitung vom 4. Au-gust 2009.

[22] Heymann, H.-J.: Ein historischesZeichen der Ingenieurbaukunst. Siehe[1] S. 4–5.

[23] Berliner Zeitung vom 5. Dezember2007, Märkische Oderzeitung vom6. Dezember 2007.

[24] ck: 285-Millionen-Neubau desSchiffshebewerkes Niederfinow. In: Bin-nenschiffahrt 64 (2009), Nr. 4, S. 12f.

[25] Berliner Morgenpost und MärkischeOderzeitung vom 12. August 2009.

[26] Reichsverkehrsministerium, Verwal-tung der Märkischen Wasserstraßen:Schiffshebewerk Niederfinow. o.J., o.O.,Triebler, I., Winkelmann, A.: Ein Plannimmt Gestalt an, Modelle des Schiffs -hebewerks. Siehe in [1], S. 30–33.

[27] Verkehrs- und Baumuseum Berlin,Amtlicher Führer durch die Sammlun-gen. Berlin 1941, S. 148–149.

[28] Frankfurter Allgemeine Zeitung vom5. Februar 2005, Berliner Zeitung vom16. Oktober 2006 und 20. Februar 2008,Märkische Oderzeitung vom 2./3. De-zember und Neues Deutschland vom5. Dezember 2006.

Autor dieses Beitrages:Dr. Michael Braun, Fuchsbau 21, 15366 Hönow