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Das Seuchenschiff

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Nr. 268

Das Seuchenschiff

Einsatz auf einem Hinterwäldler-Planeten - und

Begegnung mit dem Spion des Imperators

von Kurt Mahr

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Fein­de ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, be­reits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindliche Rückschläge entmuti­gen ihn nicht und hindern ihn und seine rund 12.000 Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III., den Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen.

Atlans geheime Zentrale, von der aus alle Aktionen gegen Orbanaschol ihren An­fang nehmen, ist der Planet Kraumon.

Auch auf diesem Planeten abseits aller Sternenrouten ist inzwischen längst be­kannt, daß Orbanaschol bei den letzten Wahlen eine eklatante Blamage erlitten hat. Es gärt auf Arkon – und offenbar kann sich der Usurpator nur noch mit Gewalt am Ruder halten.

Anbetrachts dieser Lage rechnet Atlan eine große Chance für sich aus, sollte er es schaffen, nach Arkon zu gelangen. Ein Weg voller Risiken und Gefahren bietet sich an: die KAYMUURTES, die berühmten Kampfspiele!

Der Kristallprinz entschließt sich, diesen Weg zu begehen – natürlich nicht, ohne Vorbereitungen ganz besonderer Art zu treffen.

Zu diesen Vorbereitungen gehört DAS SEUCHENSCHIFF …

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3 Das Seuchenschiff

Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Fartuloon - Der Kristallprinz und sein Lehrmeister kapern ein Seuchenschiff.Corpkor - Der Tiermeister verständigt sich mit Bakterien.Rec - Kommandant der SLUCTOOK.Kamarthon Yoren - Agent des Kaiserlichen Nachrichtendiensts.Ashkoor Taheel und Morlhethan - Siedler von Samoc-Tabel.

1.

Die Sache mit den Flechten kam ihm, so könnte man es ausdrücken, ungelegen. Sie engte ihn in seiner Bewegungsfreiheit ein. An der Durchführung seines Auftrags hin­derte sie ihn dagegen – wenigstens vorläufig noch – nicht. Seinem Auftrag konnte er nur nachgehen, wenn die SLUCTOOK irgend-wo landete. Da die SLUCTOOK aber seit dem Auftauchen der Flechten nirgendwohin gerufen worden war, konnte er nicht be­haupten, daß er etwas versäumt hätte. Solan­ge das Schiff durch die weiten Räume des Dashkon-Sektors patroullierte, war es gleichgültig, ob er den Kranken spielen mußte oder nicht.

Die Frage war, ob die andern sterben wür­den, bevor die SLUCTOOK die nächste Landung ausführte. In diesem Fall konnte er einfach behaupten, er sei aufgrund seiner kräftigen Konstitution der einzige Überle­bende. Man würde Arkon benachrichtigen, die SLUCTOOK desinfizieren und mit einer neuen Mannschaft versehen. Er würde zu dieser neuen Mannschaft gehören und seine Aufgabe weiterverfolgen können.

Anders war es, wenn die Besatzung bei der nächsten Landung noch lebte. Dann mußte er, um nicht aufzufallen, ebenfalls den Kranken spielen. Es war nicht abzuse­hen, was dann aus seinem Auftrag werden würde.

Es hatte vor einigen Monaten, kurz nach dem letzten Seucheneinsatz, damit begon­nen, daß Rec mit zweien seiner Spezialisten ein paar Experimente durchführen wollte. Man war sich darüber im klaren gewesen, daß die Versuche ein Risiko bedeuteten. Das Virus, das bei der letzten Seuche zum ersten

Mal identifiziert worden war, war heim­tückisch und besaß die Fähigkeit, sich jeder denkbaren Änderung der Umweltbedingun­gen mühelos anzupassen.

Rec hatte, wie er meinte, ausreichende Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Der Ablauf der Versuche wurde minuziös kontrolliert. Das Labor war hermetisch abgeriegelt. Wenn es wirklich zu einer Katastrophe kam, dann waren nur Rec und seine beiden Mitar­beiter davon betroffen.

Aber irgendwo mußte ihnen schließlich doch ein Fehler unterlaufen sein. Das Virus ließ sich nicht einsperren. Es drang durch die hermetische Abriegelung und breitete sich im Schiff aus. Durch Recs Versuche war es inzwischen vielfach mutiert und hatte nach Erscheinung und Wirkungsweise kaum mehr Ähnlichkeit mit dem Seuchenvirus, aus dem es hervorgegangen war. Aus Recs Labor kam der erste Alarm. Die beiden Spe­zialisten hatten sich infiziert. Rec selbst blieb vorerst verschont. Der Alarm kam zu spät. Auch außerhalb des Labors zeigten sich die ersten Symptome einer unbekannten Krankheit: Müdigkeit, leichtes Fieber, nied­riger Blutdruck und Hautausschläge.

Irgendwie hatte er von Anfang an gewußt, daß er selbst nicht davon betroffen sein wür­de. Er hatte großes Zutrauen zu sich selbst. Aber er wußte, daß er Verdacht erregen wür­de, wenn er als einziger von der Krankheit verschont blieb. Denn auch Rec zeigte bald die ersten Symptome, wenn auch mit gerin­gerer Intensität als die übrigen.

Also spielte er krank. Durch Injektionen erhöhte er die Körpertemperatur und erzeug­te Hautausschläge. Schwieriger wurde es, als sich die Flechten auf den Körpern der Kranken zu bilden begannen. In unbeobach­teten Stunden experimentierte er heimlich

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mit den halbkristallinen Flechten und lernte ihre Eigenarten kennen. Darunter waren Dinge, die seine Aufmerksamkeit in beson­derem Maße erregten. So waren die Flechten zum Beispiel in der Lage, Informationen zu speichern und zu verwerten. Wenn man ein Stück Flechte in winzige Stücke zertrüm­merte und es den Trümmerstücken überließ, sich wieder zu einem Ganzen zusammenzu­fügen, dann hatte das Ganze dieselbe Form wie das Flechtenstück vor der Zertrümme­rung.

Solche Erkenntnisse nützten ihm jedoch im Augenblick nichts. Er suchte – und fand – eine Methode, die Flechten auch auf der Oberfläche seines Körpers wachsen zu las­sen.

Als die Kranken schließlich den letzten Rest an Willenskraft verloren und sich im Hauptgang des Mitteldecks niederlegten – zum Sterben oder zum Schlafen, das wußte niemand –, da war auch er unter ihnen. Reg­los wie die andern lag er da und duldete es, daß die Flechten von den Körpern empor­sprossen, sich miteinander vereinigten und ein Geranke bildeten, das die Menschen zu­deckte.

Er war vorläufig zur Untätigkeit ver­dammt.

Er – Kamarthon Yoren, Geheimnisträger Zweiter Klasse im Kaiserlichen Nachrich­tendienst.

2.

Über dem Rand von Fartuloons Trichter­haus flammte die Röte des Sonnenunter­gangs, wie ihn nur die Welt Kraumon kennt. Auf der anderen Seite war der walddunkle Kamm des Bergzuges zu sehen, der unser idyllisches Tal nach Osten hin begrenzte. Aus der Tiefe des Hauses duftete es wie von exotischen Blumen. Vögel, die Corpkor da­zu bewogen hatte, in Fartuloons Haus zu ni­sten, vollführten ein melodisches Gezwit­scher. Die Luft war lind. Ich ruhte in einem bequemen Sessel. Neben mir stand ein nied­riger Tisch mit einem Becher erfrischenden

Kurt Mahr

Getränks. Ich hätte allen Grund gehabt, mich entspannt und locker zu fühlen.

Aber in mir war alles verkrampft. Fartuloon saß – oder vielmehr lag – mir

gegenüber auf der anderen Seite des Tisches und starrte in den flammenden Himmel hin­auf.

Ich dachte an Gonozal, meinen Vater, dem die Ärzte nicht helfen konnten. Ich dachte an die KAYMUURTES und an Dubnayor, und es kam mir so vor, als hätte ich in jüngster Vergangenheit nicht viele meiner Pläne verwirklichen können. Gab es wirklich noch eine Aussicht für mich, gegen den fast allmächtigen Orbanaschol zu beste­hen?

»Wir müssen anfangen, vorsichtiger zu werden«, sagte Fartuloon.

Meinen fragenden Blick bemerkte er nicht. Er starrte weiter in den Himmel hinauf und fuhr von selbst fort:

»Wir haben unwahrscheinlich viel Glück gehabt in den letzten Monaten und Jahren. Ein dutzendmal waren wir so gut wie verra­ten und verkauft, aber im letzten Augenblick wendete sich die Sache doch wieder zu un­seren Gunsten. Das hat uns überheblich ge­macht!«

»Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst«, reagierte ich ein wenig mürrisch.

Fartuloon stemmte sich auf dem Ellbogen in die Höhe und sah mich über den Tisch hinweg aus klaren Augen an.

»Denkst du wirklich, Orbanaschol sitzt nur in seinem Palast und wartet, bis wir uns wieder irgendwo zeigen?« fragte er.

»Natürlich nicht. Er hat Leute, die die hal­be Galaxis nach uns durchkämmen.«

»Gewiß hat er die!« bestätigte Fartuloon mit Nachdruck. »Mir sind Gerüchte zu Oh­ren gekommen, wonach es eine neue Art von Geheimdienst gibt, eine Elitetruppe so­zusagen, die dem Imperator unmittelbar un­terstellt ist. Sie besteht aus nur wenigen Spitzenkönnern und nennt sich Kaiserlicher Nachrichtendienst. In die Belange der kon­ventionellen Geheimdienste greift sie nicht ein. Sie operiert nicht auf Arkon oder den

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großen Siedlerwelten. Ihre einzige Aufgabe ist es, den Aufenthaltsort des Kristallprinzen ausfindig zu machen.«

»Woher hast du diese Information?« woll­te ich wissen.

»Gerüchteweise aufgefangen«, winkte er ab.

Ich wußte, daß ich nicht mehr von ihm er­fahren würde.

»Wir müssen vor allen Dingen vorsichtig sein, wen wir hier auf Kraumon aufneh­men«, spann er schließlich den Faden wei­ter. »Denk an Mekron Dermitron und seine Leute. Gewiß: Wir haben nicht den gering­sten Anlaß, ihnen zu mißtrauen. Sie stehen auf deiner Seite. In ihren Bewußtseinen ist kein Gedanke an Verrat. Aber würden Orba­naschols Spezialisten nicht gerade eine sol­che Möglichkeit suchen, Kraumon zu infil­trieren?«

Er hatte recht. Derselbe Gedanke war mir mehr als einmal gekommen. Mekron Der­mitron, der mit der MEDON unterwegs war, um Vorräte zu beschaffen, war über jeden Verdacht erhaben – ebenso wie seine Leute, von denen im Augenblick zwei auf Krau­mon weilten.

Aber in Zukunft würden wir nicht mehr jeden in unseren Kreis aufnehmen können, nur weil er behauptete, für Atlan und gegen Orbanaschol zu sein. Die Gefahr der Infiltra­tion war zu groß.

Es raschelte in dem blütenübersäten Ge­büsch, das auf dem Rand der Terrasse wu­cherte. Eine gedrungene Gestalt, die sich an den Asten und Ranken emporgehangelt hat­te, tauchte auf. Ich erkannte Corpkors nar­benzerfurchtes Gesicht.

Wütend sprang Fartuloon auf. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, du

sollst die Gänge und Rampen benützen, wenn du heraufkommst!« fauchte er. »Dein Affengehabe ruiniert mir noch den ganzen Pflanzenwuchs!«

Corpkor teilte das Gebüsch mit den Hän­den und kam auf uns zu. Kein Muskel regte sich in seinem Gesicht. Fartuloon schien er überhaupt nicht wahrzunehmen. Sein Blick

war auf mich gerichtet. »Ich habe eine, Bitte, Atlan«, sagte er. »Trag sie ruhig vor«, murrte Fartuloon.

»Ich hab sowieso was anderes zu tun.« Miß­mutig schritt er davon.

*

Unaufgefordert ließ sich Corpkor auf sei­nem Sessel nieder. Corpkor, der Kopfjäger, war eine finstere Gestalt. Er war nicht der Typ von Mensch, zu dem man leicht Ver­trauen faßte. Gedrungen und stämmig ge­baut, von Narben verunziert, war er wort­karg bis zur Stummheit, lachte nie und be­trachtete die Welt aus dunklen Augen, die unter buschigen, düsteren Augenbrauen ver­borgen lagen.

»Ich habe Neues gelernt«, eröffnete er die Unterhaltung. »Ich beginne zu begreifen, wie man sich mit den primitivsten aller Le­bewesen verständigt.«

»Den Amöben?« fragte ich. »Noch primitiver: den Bakterien.« Er erwartete von mir, daß ich beeindruckt

war. Ich brauchte mir den Anschein nicht zu geben: Ich war es. Corpkor besaß eine para­psychische Begabung, die ihm die Fähigkeit verlieh, sich mit Tieren zu verständigen. Da­bei beschränkte sich diese Gabe keineswegs auf höherentwickelte Tiere. Corpkor lenkte Insektenschwärme und sprach mit den Mol­lusken der See. Er pflegte diese Begabung. Irgendwo in der Weite des Weltalls gab es einen Planeten, den Corpkor als sein Eigen­tum betrachtete und auf dem er Tiere aus al­len Zonen der Galaxis versammelt hatte.

»Das ist eine große Leistung, Corpkor«, versicherte ich ihm. »Es muß schwierig sein, mit solchen primitiven Organismen Kontakt aufzunehmen.«

»Es ist schwierig«, pflichtete er mir bei. »Sie haben kein Bewußtsein. Irgendwo in ihrer Struktur gibt es eine Molekülgruppe, die komplexere Funktionen ausübt als die anderen Gruppen. Sie ist der Steuerteil des Bakteriums. Von ihr geht eine schwache Strahlung aus, die ich wahrnehmen kann,

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wenn ich mich ganz darauf konzentriere. Mit Hilfe dieser Strahlung kann ich auf das Bakterium einwirken.«

»Du wirst berühmt werden, Corpkor«, sagte ich. »Man wird überall deinen Namen nennen, wo es Menschen gibt.«

Er machte eine ablehnende Geste. »Ich will nicht Ruhm, ich will Wissen.« Mit einem Ruck hob er den kantigen

Schädel und blitzte mich unter buschigen Brauen hervor an.

»Aber die Sache ist gefährlich, Atlan. Ich kann nicht hier auf Kraumon experimentie­ren!«

Ich verstand. Während er mit den Bakteri­en kommunizierte, konnte es zu Mutationen kommen. Corpkor würde die Organismen, mit denen er experimentierte, jederzeit unter Kontrolle haben. Aber was geschah mit de­nen, die aus seinem Versuchsraum entwisch­ten? Das Ergebnis von Mutationen war un­vorhersehbar. Es konnte eine Bakterienart entstehen, die im Handumdrehen ganz Krau­mon überflutete und gegen die wir keine Im­munität besaßen.

»Du willst fort?« fragte ich. »Ich will dich nicht verlassen, Kristall­

prinz«, verbesserte er sich. »Ich möchte, daß du mir ein Raumschiff gibst, auf dem ich ungestört experimentieren kann – weit von dem nächsten Planeten entfernt. Denn Bak­terien können auch die Kälte des Weltraums überstehen und lange Strecken durch das Nichts treiben, ohne zu sterben. Der Ort, an dem ich das Schiff postieren will, muß we­nigstens zehn Lichtjahre von der nächsten Sonne entfernt sein. Aber ich bin deines Ru­fes jederzeit gewärtig. Wenn du befiehlst, werde ich kommen. Das Raumschiff muß ein schnelles Beiboot besitzen.«

Ich dachte darüber nach. Sein Wunsch kam mir deshalb wenig gelegen, weil ich ihn kaum abschlagen konnte. Ich war Corpkor zur Dankbarkeit verpflichtet. Auf der ande­ren Seite schwächte der Verlust auch nur ei­nes Raumschiffs unsere kleine Streitmacht, die wir auf Kraumon angesammelt hatten.

In diesem Augenblick meldete sich mein

Kurt Mahr

Extrasinn, mein anderes Ich, das die Fähig­keit besaß, rascher, logischer und exakter zu denken als ich, der ich mich als mein »erstes Ich« bezeichnete.

»Du übersiehst etwas«, raunte es mir zu. »Hier bietet sich dir die Gelegenheit, nach der du suchst!«

Ich begriff. Corpkor mußte bemerkt ha­ben, daß ich zu einer Entscheidung gelangt war. Er sah mich aufmerksam an.

*

Wir kamen miteinander ins reine. Corpkor war auf meine Bedingungen eingegangen: zuvor noch eine Leistung für mich, dann konnte er sein Experimentierschiff haben.

Es hing alles mit den KAYMUURTES zusammen. Ich hatte den Entschluß gefaßt, nach Arkon zurückzukehren und Orbana­schol offen zu bekämpfen. Die erste Voraus­setzung dafür war, daß ich dem Imperator die Möglichkeit nahm, mich nach den Buch­staben des Gesetzes zu verfolgen. In diesem Augenblick war ich ein auf höchsten Befehl Geächteter. Jeder, der mich erkannte, konnte mich niederschießen und hatte, anstatt einer Bestrafung, eine Belohnung von Seiten des Kaisers zu erwarten.

Was ich brauchte, war eine Amnestie. Und die Publizität, die die Tatsache meiner Amnestierung sternenweit bekanntmachte.

Die KAYMUURTES waren dafür die ideale Gelegenheit. Die Spiele fanden alle drei Jahre statt, und zwar im Dubnayor-Sy­stem. Es gab drei Spielkategorien: die erste stand der allgemeinen Teilnahme offen, die zweite war Mitgliedern des Adels und der Offizierskaste vorbehalten. In diesen beiden Kategorien gab es Ehre, Geld, Autorität und Ruhm zu gewinnen. Von ganz anderer Art war die dritte Kategorie. In ihr durften sich nur Geächtete und Mittellose bewerben – mit dem Ziel, eine Amnestie zu erlangen. In der dritten Kategorie gab es nur einen Sie­ger. Die andern Teilnehmer blieben gewöhn­lich auf der Strecke, denn die Wettbewerbe wurden mit tödlichem Ernst ausgetragen.

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Zur Teilnahme an den KAYMUURTES mußte man sich anmelden. Überall im arko­nidischen Einflußbereich gab es Meldestel­len. Das Gesetz schrieb vor, daß es auch dem schlimmsten Verbrecher nicht verboten werden konnte, sich zur Teilnahme an der dritten Kategorie der Spiele anzumelden. Nur ich selbst war eine Ausnahme. Ich war zwar rechtsgültig verurteilt, aber außerdem lastete der kaiserliche Bann auf mir. Man konnte mich selbst im Innern der Meldestel­le noch töten, ohne damit ein Gesetz zu übertreten.

Unser Einsatz auf dem Planeten Whark hatte dazu gedient, dieses Problem zu umge­hen. Er verlief anders, als wir es geplant hat­ten. Aber es war uns schließlich gelungen, die Anmeldung eines Mannes namens Dar­beck für die Spiele der dritten Kategorie in die Anmeldungsdatei einzubringen. Das heißt: Wir glaubten, daß uns das gelungen war. Es war unerläßlich, daß wir uns auf Dubnayor, wohin die Dateien sämtlicher Meldestellen nach Ablauf der Anmeldefrist gebracht werden würden, vergewisserten, daß unser Vorstoß erfolgreich gewesen war.

Darbeck, das war ich. Seit dem Einsatz auf Whark ging es für mich darum, einen Weg zu finden, auf dem ich nach Dubnayor gelangen konnte, ohne daß Orbanaschols Häscher mich fingen. Der Imperator wußte nichts von der Identität der Männer Darbeck und Atlan; aber er würde vermuten, daß ich in irgendeiner Weise nach Dubnayor zu ge­langen versuchte. Es hatte auch keinen Zweck, wenn ich mich allein nach Dubnayor einschmuggelte. Ich mußte mir den Rücken freihalten, um wenigstens den Beginn der Kämpfe noch zu erleben. Dazu brauchte ich Hilfe. Ich brauchte eine kampferprobte Mannschaft, die mich nach Dubnayor be­gleitete.

Wie aber landete man ein ganzes Kom­mando in einem System, das von den kaiser­lichen Geheim-, Polizei- und Nachrichten­diensten von einem so engmaschigen Netz umgeben worden war, daß es selbst einem einzelnen fast unmöglich war hindurchzu­

schlüpfen? Die Antwort auf diese Frage hatte mir

Corpkor beschert.

*

Eine von Fartuloons beeindruckendsten Fähigkeiten war die des Zuhörens. Er ver­mittelt dem Sprechenden den Eindruck, er sauge jedes seiner Worte in sich auf und analysiere es mit Sorgfalt.

So auch jetzt, als ich ihm meinen Plan vortrug. Es war noch kein fertiger Plan. An vielen Stellen mußten noch Einzelheiten nachgetragen werden. Aber die Grundzüge lagen fest.

»Die Idee ist bestechend«, sagte der Alte schließlich, nachdem ich geendet und er eine Zeitlang nachgedacht hatte. »Da ich es bin, der dir die ersten Kenntnisse in Strategie und Taktik vermittelt hat, bin ich stolz. Auf mich, wohlgemerkt! Auf meine Leistung als Lehrer.«

Er sah mich an und grinste verschmitzt. Er war in guter Laune. Das konnte nur hei­ßen, daß er meinen Plan wirklich für gut hielt.

»Allerdings muß man eine Reihe von Langzeitwirkungen bedenken, die dein Vor­haben auslösen kann«, sagte er. »Du beab­sichtigst, ein Seuchenschiff zu kapern, in­dem du es zur Landung auf einer angeblich verseuchten Welt verlockst. Woher be­schaffst du die Seuche?«

»Da gibt es ein Problem«, mußte ich be­kennen. »Wir haben nicht viel Zeit. Das Seuchenschiff muß bald in unserer Hand sein – früher jedenfalls, als Corpkor einen Bakterienstamm heranzüchten kann, den wir zur Erzeugung einer heimtückisch wirken­den, in Wirklichkeit aber harmlosen Seuche brauchen. Wir können nur mit Symptomen operieren, nicht mit einer Seuche selbst.«

»Ich nehme an, du willst einen Planeten überfallen und sämtliche Bewohner dazu zwingen, sich die Symptome selbst zuzule­gen, wie?« erkundigte er sich spöttisch.

Ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen.

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»Es gibt Siedlerwelten, deren Bevölke­rung nur aus höchstens einhundert Leuten besteht. Mit einer entsprechenden Mann­schaft wäre es nicht allzu schwierig, eine solche Siedlergemeinschaft unter Kontrolle zu bringen.«

»So, daß sie die Krankheit wenigstens ein paar Stunden lang glaubhaft vortäuscht?«

»Die Siedler brauchen nichts vorzutäu­schen. Sie werden für die Dauer des Einsat­zes gefangengehalten. Wir übernehmen die Rolle der Siedler und zeigen unsere Krank­heitssymptome vor.«

»Hm!« brummte Fartuloon. Nach einer Weile fügte er hinzu: »Ich weiß genau den Planeten, nach dem du suchst! Samoc-Tabel. Eine Sumpfwelt mit knapp einhundert Sied­lern.«

»Wird sich die Seuchenkontrolle um eine solche unbedeutende Welt überhaupt küm­mern?« zweifelte ich.

»Gerade um die kleinen, jungen Siedler­welten kümmert sich die Seuchenflotte mit besonderem Eifer!« rief der Alte erregt. »Denn auf den neubesiedelten Welten ist die Gefahr, einer völlig unbekannten Bakterien­art zu begegnen, am größten.«

»Also ist es Samoc-Tabel«, entschied ich. »Was machst du mit den Siedlern, nach­

dem du das Seuchenschiff gekapert hast? Wie hinderst du sie daran, den Vorfall in die Welt hinauszuposaunen?«

Der Gedanke bereitete mir Kummer. »Wir werden nicht umhin können, ihr Be­

wußtsein zu verändern«, antwortete ich mit Unbehagen.

»Den Göttern sei Dank!« atmete Fartu­loon auf. »Ich dachte schon, du wolltest dich damit zufriedengeben, daß sie Orbanaschol abschwören und einen Eid auf dich leisten.«

Das war genau das, was ich am liebsten getan hätte. Aber in einer Lage wie der mei­nen waren der Naivität Grenzen gesetzt. Si­cherheit ging über alles. Die Veränderung eines menschlichen Bewußtseins dergestalt, daß es sich an wirklich geschehene Dinge nicht mehr erinnerte, dafür aber eine Erinne­rung an fiktive Ereignisse mit sich trug, war

Kurt Mahr

ein Akt der Unmenschlichkeit. Aber er trug dem Opfer weder körperlichen, noch seeli­schen Schaden ein. Da ich glaubte, nicht für mich selbst, sondern für Arkon zu kämpfen, würde ich einen Weg finden müssen, wie ich bezüglich der Siedler von Samoc-Tabel mit meinem Gewissen ins reine kam.

»In der Zwischenzeit, nehme ich an, züch­tet Corpkor den Bakterienstamm, den er für den Einsatz in Dubnayor braucht«, führte der Alte die Diskussion weiter.

»Er züchtet ihn nicht, er läßt ihn wach­sen«, klärte ich ihn auf. »Corpkors Anwe­senheit ist nur während der ersten Stunde der Aufzuchtphase erforderlich. Das ist gut, denn ich brauche Corpkor auf Samoc-Ta­bel.«

Fartuloon machte die Geste der Zustim­mung.

»Ich hätte dich darauf hingewiesen, wenn du nicht selbst daraufgekommen wärest«, sagte er. »Die Abregnung der Bakterien im Dubnayor-System geschieht automatisch, vermute ich.«

»Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Ei­ne davon ist, eine Kapsel mit dem Bakteri­enstamm an der Hülle eines Fahrzeugs anzu­bringen, das nach Dubnayor fliegt. Die Kap­sel trägt einen Zündmechanismus, der erst ein paar Stunden nach dem Start aktiviert wird und sich selbst auslöst, sobald das Fahrzeug in eine planetarische Atmosphäre eindringt.«

»Gut. In Dubnayor wütet die Seuche. Sie wirkt gefährlich, ist aber in Wirklichkeit harmlos. Man schlägt Alarm. Das nächste Seuchenschiff nimmt Kurs auf Dubnayor …«

»Wir werden uns bemühen müssen, wirk­lich das nächste Schiff zu sein«, unterbrach ich ihn. »Es darf nicht geschehen, daß ein anderes Fahrzeug der Seuchenkontrolle nä­her an Dubnayor steht als wir!«

Er winkte ab. »Dafür ist bereits gesorgt. Samoc-Tabel

gehört zum selben Raumsektor wie Dubnayor. Beide liegen im Dashkon-Sektor. Das Schiff, das auf Samoc-Tabel zuhält,

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wird dasselbe sein, das für Seuchenalarme von Dubnayor zuständig ist. Dafür gibt es eine andere Schwierigkeit. Der Zeitpunkt des Bakterieneinsatzes in Dubnayor muß so gewählt werden, daß die KAYMUURTES davon nicht betroffen werden. Der Imperator wird die Spiele absagen, wenn die Seuche bis dahin nicht eindeutig unter Kontrolle ge­bracht ist.«

»Daran wird es nicht fehlen. Corpkors Seuche verschwindet nach einer oder andert­halb Wochen von selbst.«

Fartuloon stand auf. Inzwischen war es Nacht geworden. Kraumons Sterne leuchte­ten durch den offenen Trichter des großen Hauses herein.

»Es ist ein guter Plan«, sagte der Alte.

*

Unsere Datensammlung wußte mehr über Samoc-Tabel. Einer von zwei Planeten der Sonne Bemakhtor im Dashkon-Sektor des Großen Imperiums, eine warme, wasserrei­che Welt mit geringer Schwerkraft und großem agrarpolitischem Potential. Die Um­weltbedingungen waren wenig attraktiv: Dauerregen, Überschwemmungen, meist sumpfiger Boden, gefährliche Vegetation. Der Reichtum, den Samoc-Tabel seinen Siedlern versprach, mußte in harter Arbeit dem Boden abgerungen werden. Es gab we­nige, die sich durch solche Aussichten ver­locken ließen.

Nach letzten Erhebungen betrug die Zahl der Siedler auf Samoc-Tabel 96, davon 43 Männer, 31 Frauen und 22 Kinder unter zwölf Jahren. Die Kolonie war unselbständi­ger Bestandteil des Großen Imperiums, hatte sich jedoch eine Verfassung gegeben, die die Bildung eines aus fünf Mitgliedern be­stehenden Siedlerrats vorsah. Einer der fünf fungierte als Vorsitzender. Der Name des zuletzt bekannt gewordenen Vorsitzenden war Ashkor Taheel.

Auf Samoc-Tabel wurde an zwei großen Entwässerungsprojekten gearbeitet. Die not­wendige Maschinerie hatte das Imperium

den Siedlern zur Verfügung gestellt. Beide Projekte lagen in unmittelbarer Nähe der Siedlung Samokha, der einzigen »Stadt« der Siedlerwelt.

Samoc-Tabel wurde alle fünf Monate ein­mal von einem Versorgungsschiff angeflo­gen. Die letzte Landung des Schiffes hatte vor knapp anderthalb Monaten stattgefun­den. Wir hatten also Zeit.

Ich stellte meine Mannschaft zusammen. Sie bestand aus rund siebzig Leuten, Män­nern und Frauen etwa in demselben Verhält­nis wie auf Samoc-Tabel. Nur Kinder konn­ten wir keine mitnehmen. Wir würden der Besatzung des Seuchenschiffs eine Ge­schichte darüber auftischen müssen, wohin wir die Kinder gebracht hatten. Die Mann­schaft wurde in drei Züge zu je zwanzig Mann unterteilt. Einen davon führte Ra, der Barbar, den zweiten Kreya, professionelle Räuberin und Einbrecherin, die anläßlich des Einsatzes auf Whark zu uns gestoßen war. Der dritte Zug stand unter dem Kom­mando eines der Männer, die zu Mekron Dermitron gehörten. Er hieß Matys Rantom und war ein über zwei Meter großer, grim­mig dreinschauender Bursche. Nach Der­mitrons Angaben war er der geborene Kämpfer. Ich benützte diese Gelegenheit, um ihn ein wenig auf die Probe zu stellen.

Zu den Männern, die keinem der Züge zu­geteilt waren, gehörten Corpkor, der Einzel­gänger, Fartuloon und Eiskralle, der Chret­kor. Corpkor war dafür verantwortlich, daß unsere Seuchensymptome der ersten Unter­suchung durch die Leute der Seuchenpa­trouille standhielten. Fartuloon, der Bauch­aufschneider, sollte den Siedlern von Sa­moc-Tabel eine Pseudoerinnerung aufpfrop­fen, bevor wir ihre Sumpfwelt verließen.

Corpkor hatte inzwischen mit der Auf­zucht des Bakterienstammes begonnen, den wir in Dubnayor abzuregnen gedachten. Der Wachstumsprozeß verlief zufriedenstellend. Die Brutkammer wurde hermetisch abgerie­gelt.

Vier Tage nach dem entscheidenden Ge­spräch brachen wir auf.

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Unser Schiff war die ISCHTAR. Als Kraumon hinter uns zurückblieb, wur­

de mir klar, daß ich im Begriff stand, den er­sten wirklich entscheidenden Schritt im Kampf gegen den Mörder Orbanaschol zu tun.

Ich war auf dem Weg nach Arkon!

3.

Ashkor Taheel sah zu, wie seine Leute die letzten Fugen des Dammes abdichteten. Vom grauen Himmel rauschte eintönig der Regen. Auf dem matschigen Boden stand das Wasser in Pfützen. Die Wolken trieben niedrig und schnell. Es war düster, und ei­ner, der diese Welt nicht kannte, hätte un­möglich angeben können, in welcher Rich­tung in diesem Augenblick die Sonne stand.

Ashkor Taheel trug schweres Fettzeug, das das Wasser abstieß. Unter der breiten Krempe des Hutes trieb ihm der Wind manchmal den Regen ins Gesicht. Aber das machte ihm nichts aus. Von Zeit zu Zeit wischte er die Nässe mit dem Handrücken beiseite.

Eine kleine, gekrümmte Gestalt wuchs aus dem Halbdunkel und kam auf Ashkor zu. Das war Morihethan, der Philosoph. Er hatte bei den Arbeiten am Damm mitgehol­fen. Niemand wußte, warum Morihethan nach Samoc-Tabel gekommen war. Er be­gehrte keine Reichtümer und hatte von sei­nem Recht, im Oberland ein Stück Boden für sich abzustecken, noch keinen Gebrauch gemacht. Den größten Teil der Zeit ver­brachte er in seiner Hütte in Samokha. Aber wenn Hilfe gebraucht wurde, war er ge­wöhnlich einer der ersten, der sich meldete. Morihethan sprach weise und in Gleichnis­sen. Trotz seiner Eigenart hatten die Leute große Achtung vor ihm. Es war nicht be­kannt, wie alt er war. Manche schätzten ihn auf wenigstens einhundert Jahre.

»Der Regen endet nie«, sagte er mit seiner hellen, klaren Stimme zu Ashkor. »Und so schien auch die Arbeit am Damm kein Ende zu kennen. Aber die Jungens haben es ge-

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schafft. Du kannst das Signal geben, Ash­kor.«

Ashkor Taheel schmunzelte. Sie hatten das Wasser im Oberland aufgestaut und im Unterland eine Talsenke mit einem hohen Damm rings umgeben. Dann hatten sie einen Kanal gegraben, der vom Oberland zur Senke führte. Auf ein Signal hin würde das aufgestaute Wasser im Oberland freige­setzt und floß durch den Kanal in die Senke. Die Wucht des Wassers würde den schmalen Kanal in ein Flußbett verwandeln. Am Be­ginn des Kanals würde, wenn die Experten alles richtig berechnet hatten, eine Quelle entstehen, die für dauernde und zuverlässige Entwässerung des Oberlandes sorgte. Eines Tages würde man den Damm rings um die Senke vergessen können, nämlich dann, wenn sich das Wasser einen weiteren Weg nach Süden gebahnt hatte, zum Meer hinab. Dann vielleicht würde diese ganze Gegend so trocken werden, daß man beginnen konn­te, die Felder zu bebauen.

Morihethan hatte maßgeblichen Anteil am Erfolg dieses Unternehmens. Es hätte einer der Jüngeren vom Damm herkommen und Ashkor die Nachricht überbringen können. Aber nein: Niemand außer Morihethan hatte der Träger dieser Botschaft sein können. Und niemand anders durfte es sein, der den Leuten im Oberland das Signal gab.

Ashkor wies auf das kleine Zelt im Hin­tergrund.

»Dort steht das Funkgerät«, sagte er zu dem Alten. »Es schickt sich, daß du das Si­gnal gibst.«

»Die Sonne labt den kalten Boden, ob­wohl er es nicht verdient hat«, antwortete Morihethan feierlich. »Ich bin wie der Bo­den. Ich habe nichts verdient, und dennoch läßt du mir Ehre zukommen.«

Ashkor Taheel lachte. »Geh nur und gib das Signal!« forderte er

den Philosophen auf. »Du hast es mehr als verdient.«

Morihethan kniete vor dem Zelt nieder, schlug die Klappe zurück und kroch hinein. Er blieb länger verschwunden, als Ashkor

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erwartet hatte. Als er wieder zum Vorschein kam, zeigte sein Gesicht einen besorgten Ausdruck.

»Sie melden sich nicht«, sagte er bestürzt. »Hast du auch die richtigen Tasten ge­

drückt?« fragte Ashkor mit freundlichem Spott.

»Aber gewiß doch!« verteidigte sich Mo­rihethan. »Ich kenne mich mit dem Gerät aus!«

»Wir wollen einmal nachsehen«, schlug Ashkor vor.

Er kroch ins Zelt. Aber auch ihm gelang es nicht, die Arbeitsgruppe im Oberland zu erreichen. Das Funkgerät war eindeutig in­takt. Konnte es sein, daß der Empfänger im Oberland ausgefallen war?

Ashkor rief die Siedlung an. Es war Vor­schrift, daß in Samokha zu jeder Zeit eine Wache am Sende- und Empfangsgerät saß. Als sich auch in Samokha niemand meldete, wurde Ashkor ernsthaft besorgt. Er verließ das Zelt und rief seine Leute zusammen.

»Irgend etwas ist geschehen«, setzte er ih­nen auseinander. »Das Oberland meldet sich nicht, und auch aus Samokha bekomme ich keine Antwort.«

»Wir müssen nachsehen gehen!« rief Mo­rihethan. »Ihr kümmert euch um die Stadt, ich fahre zum Oberland hinauf.«

Ashkor konnte ihm nicht widersprechen. Der Alte hatte, als er auf Samoc-Tabel lan­dete, sein eigenes Fahrzeug mitgebracht, ein kleines, wendiges Gleitboot. Er war der ein­zige in Samokha, der ein privates Fahrzeug besaß. Die Boote, die Ashkor Taheel und seine Leute und die anderen Arbeitsgruppen benutzten, waren Gemeinschaftseigentum.

Mit großer Behendigkeit kletterte der Phi­losoph in den kleinen Gleiter. Der Motor summte auf. Man sah Morihethan winken, dann war er im Halbdunkel verschwunden.

»Er hat recht, wir müssen uns um Samok­ha kümmern«, sagte Ashkor Taheel zu sei­nen Leuten. »Zwei von euch kommen mit mir …«

Er unterbrach sich mitten im Satz. Aus der grauen, rasch dahintreibenden Wolken­

fülle war ein düsterer Umriß aufgetaucht, ein großes, scheibenförmiges Gebilde, das sich mit rasender Geschwindigkeit dem Damm näherte. Instinktiv spürte Ashkor die Gefahr, die von dem fremden Fahrzeug aus­ging.

»Deckung …!« schrie er. Da lag plötzlich ein schrilles Pfeifen in

der Luft. Ein Schlag von ungeheurer Wucht traf Ashkor Taheel gegen den Schädel. Er verlor augenblicklich das Bewußtsein.

*

Die ISCHTAR ging auf eine Synchron­bahn. Tausende von Meilen unter uns lag der Antipodenpunkt von Samokha. Die Mas­se des Planeten verbarg unser Raumschiff vor den einfachen Meß- und Erfassungsge­räten der Siedler.

Zehn Mann eines jeden Zuges gingen in die Beiboote. Wir mußten gleichzeitig an drei Punkten angreifen: bei den beiden Ent­wässerungsprojekten und in der Siedlung. Es wurden nur Lähmstrahler eingesetzt. Keiner von den Siedlern durfte zu Schaden kom­men.

Fartuloon und ich flogen mit dem Boot, das Ra befehligte. Das Kommando an Bord der ISCHTAR übernahm Corpkor. Sobald ich ihm das Zeichen gab, würde er das Schiff landen. Ras Ziel war die Siedlung Sa­mokha. Die beiden Entwässerungsprojekte übernahmen Kreya und Matys Rantom. Aus Mangel an anderen Vorgaben hatten wir die Projekte anhand ihres Höhenunterschieds bezüglich des Meeresniveaus identifiziert: Es gab ein »oberes« und ein »unteres« Pro­jekt. Kreya griff beim unteren an, Matys war für das obere zuständig.

Die drei Boote schossen senkrecht in die Tiefe. Erst in den dichteren Schichten der Atmosphäre gingen sie zum Gleitflug über. Der ganze Planet war in eine golden schim­mernde, lückenlose Wolkendecke ein­gehüllt. Wir umrundeten Samoc-Tabel fast zur Hälfte, bevor die Boote in die dichte Wolkenschicht eindrangen. Hundert Meilen

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von Samokha entfernt trennten sich die Fahrzeuge voneinander. Jedes strebte sei­nem Ziel zu. Die trübe, regnerische Land­schaft huschte unter uns dahin. Wir sahen die Reflexe der Siedlung auf dem Orter­schirm. Laut Plan blieben uns noch knapp vier Minuten bis zum Angriff. Der Pilot drosselte die Fahrt. Die Bewohner von Sa­mokha durften uns nicht zu früh bemerken. Die Siedlung besaß einen kleinen Hypersen­der. Wenn die Siedler die Gefahr bemerkten und ihn in Betrieb setzten, war unsere Missi­on fehlgeschlagen.

Da meldete sich Kreya über Funk. Ich hatte Funkstille angeordnet. Nur im Fall ei­ner Notlage durften die Funkgeräte vor dem Zeitpunkt des Angriffs in Betrieb genom­men werden.

»Ich kann den Zielpunkt nicht finden«, meldete Kreya lakonisch.

Ich überließ Fartuloon das Mikrophon. Er hatte seine eigene Art, mit Frauen umzuge­hen.

»Wir haben dir den Posten des Zugführers gegeben, mein Täubchen, weil wir von dei­ner Intelligenz überzeugt sind«, flötete er. »Möchtest du uns jetzt enttäuschen? Sieh dich ein wenig um, vielleicht findest du den Zielpunkt dann!«

Kreya antwortete zunächst nicht. »Wie sieht es bei dir aus, Matys?« fragte der Alte.

»Angriffsbereit«, lautete die knappe Ant­wort.

Fartuloon warf einen Blick auf das Chro­nometer. Der verabredete Zeitpunkt lag noch vierzehn Sekunden entfernt. Wir standen schräg über Samokha, im Wolkendunst ver­borgen.

»Ich glaube, ich hab was«, meldete sich Kreya.

»Gut für dich, mein Täubchen«, antworte­te Fartuloon. »Sieh zu, daß es das Richtige ist. Wir greifen nämlich jetzt an!«

Das Boot trudelte aus den Regenwolken hervor. Wenn uns in Samokha überhaupt je­mand sah, dann nur für Bruchteile von Se­kunden. Die beiden starr eingebauten Lähm­geschütze traten in Tätigkeit. Wir hörten das

Kurt Mahr

schrille Pfeifen durch die Außenmikropho­ne. Binnen Sekunden erlosch – für eine Wei­le – alles Leben in der kleinen Stadt Samok­ha.

*

Auch Morihethan gewahrte den finsteren Schatten des fremden Fahrzeugs, das aus den Wolken hervorbrach und Kurs auf den Damm nahm. Der Philosoph erschrak zu­nächst. Dann aber kam ihm der Gedanke, daß der Fremde etwas mit der Schweigsam­keit im Oberland und in Samokha zu tun ha­ben könnte.

Er wandte sein Boot und versuchte, dem Umriß des Fahrzeugs zu folgen. Der Fremde war jedoch zu schnell. Morihethan beschloß, vorsichtig zu sein, und landete das Boot im Schutz einer flachen Hügelkuppe. Über die Kuppe hinweg waren es höchstens vierhun­dert Schritte bis zum Damm hinab.

Er stieg aus und kletterte um die Kuppe herum. Als sich das Blickfeld öffnete, sah er Ashkor Taheel und seine Leute reglos am Boden liegen. Unweit davon, unmittelbar vor dem Damm, war das scheibenförmige Schiff gelandet. Leute stiegen aus. Morihe­than gewahrte eine junge, schlanke Frau, die eine silbrig schimmernde Montur trug. Sie schien es zu sein, die die Befehle erteilte. Die Leute aus dem Flugschiff bildeten einen Kreis um Ashkor Taheel und seine Männer.

Tiefe Trauer überkam Morihethan. Er glaubte nicht anders, als daß die Siedler ge­tötet worden seien. Mit schweren Schritten ging er den Südhang des Hügels hinab. Er hatte schon fast den Kreis der Fremden er­reicht, da gewahrten sie ihn erst. Die ihm zu­nächst Stehenden wirbelten herum. Da er­kannte er, daß sie Arkoniden waren.

Einer richtete eine Waffe auf ihn. Da aber gellte von der anderen Seite des Kreises her der Befehl der jungen Frau:

»Nicht schießen! Laßt ihn in Ruhe!« Morihethan wartete. Die Frau kam auf ihn

zu. Sie war um mehr als einen Kopf größer als der Philosoph und von eigenartiger

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13 Das Seuchenschiff

Schönheit. Die großen Augen standen weit auseinander. Die enge, silberne Kombinati­on betonte ihre Formen. Den Regen, der un­ablässig auf das Land herniederdrosch, schi­en sie nicht wahrzunehmen. Sie trug das Haar kurzgeschnitten.

»Wer bist du?« fragte sie den Alten nicht eben freundlich.

»Niemand kennt den Lauf des Sturmes«, antwortete Morihethan bitter. »Der Rächer kommt, wenn die Rache reif ist.«

Die junge Frau sah sich um. »Versteht ihn jemand?« fragte sie. »Das Verständnis kommt mit der Er­

kenntnis der Schuld«, belehrte sie Morihe­than.

Von neuem wandte sich die Frau ihm zu. »Hör mich an, alter Mann!« forderte sie

ihn auf. »Ich bin Kreya, und ich verstehe kein Wort von dem, was du sagst.«

»Seht aber«, sprach Morihethan, »welche unter den Göttinnen die schönste ist! Ist es nicht Maisshu, die Göttin des Übels?«

»Der Mann macht mich nervös«, be­schwerte sich Kreya.

»Gib ihm eine Dosis und leg ihn zu den andern!«, empfahl ihr einer ihrer Leute.

Aber Morihethan, so weise er auch daher­reden konnte, hatte eine gesunde Portion Selbsterhaltungstrieb und keinerlei Verlan­gen, »zu den anderen gelegt zu werden.«

»Du täuschst dich, meine Tochter«, sagte er daher voller Ernst und wich dabei einige Schritte weit zurück, »wenn du glaubst, daß diese schreckliche Tat nicht auf der Stelle ihre Strafe finden wird. Die Rächer sind schon unterwegs!«

Kreya stutzte. Sie war intelligent, aber oh­ne Erfahrung. Der Alte schien etwas Wichti­ges zu wissen.

»Welche schreckliche Tat? Welcher Rä­cher?« wollte sie wissen.

Morihethan wies auf die reglosen Körper. »Das ist die Tat.« Dann streckte er den Arm aus und zeigte

mit unbestimmter Geste in den wolkenver­hangenen Himmel hinauf.

»Und dort kommt der Rächer!«

Aus den Wolken schoß der Umriß eines scheibenförmigen Fahrzeugs. Kreya duckte sich unwillkürlich. Sie mußte zurück zum Boot, schoß es ihr durch den Sinn. Aber dann warf sie einen zweiten Blick auf das heraneilende Fahrzeug. Ein ärgerlicher Zug erschien auf ihrem Gesicht. Sie zog den kurzläufigen Lähmstrahler hervor, bevor sie sich dem Alten wieder zuwandte.

»Das ist einer von den unseren«, sagte sie verächtlich, »und du bist ein nutzloser Schwätzer.«

Bevor Morihethan sich dagegen wehren konnte, senkte sie den Finger auf den Auslö­ser. Für den Bruchteil einer Sekunde stand ein schrilles Pfeifen in der regenschwange­ren Luft.

Dann ging der Philosoph lautlos zu Bo­den.

*

Wir landeten nicht in Samokha. Wir glit­ten über die Siedlung hinweg. Von Matys Rantom kam die Vollzugsmeldung. Kreya dagegen meldete sich nicht. Fartuloon brach die Funkstille und rief sie an. Wir bekamen keine Antwort.

Ich befahl Ra, Kreyas Zielpunkt anzusteu­ern. Wir konnten uns jetzt keine Unsicher­heit leisten. Wenn Kreya versagt hatte, muß­ten wir selbst das untere Projekt angreifen und die Leute ausschalten.

Aus der Wolkendecke hervorbrechend, überblickten wir die Szene. Kreyas Boot war gelandet. Die Mannschaft war ausge­schwärmt und bildete einen Kreis um eine Gruppe regloser Körper. Ich erkannte Kreya in dem Augenblick, in dem sie ihren Lähm­strahler auf eine kleine, gebeugte Gestalt ab­feuerte, die alsbald zu Boden ging.

Wir landeten. Kreyas Bericht war ein we­nig konfus. Sie hatte den Zielpunkt zu guter Letzt doch noch gefunden. Kurz nach der Landung war der verschrobene Alte aufge­taucht und hatte Kreya mit gleichnishaften, düsteren Reden nicht unerheblich in Verwir­rung gebracht. Sie wiederholte einige Dinge,

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die er gesagt hatte. Mir war klar, daß der Mann glaubte, seine Leute seien umgebracht worden. Ein entsprechender Hinweis zur rechten Zeit hätte ihn wahrscheinlich friedli­cher gestimmt. Ich nahm mir vor, ein Auge auf ihn zu haben, wenn er wieder zu sich kam. Wer Kreya in Verwirrung brachte, der mußte intelligent sein.

Unsere Aktion war erfolgreich abge­schlossen. Soweit wir wußten, gab es auf Samoc-Tabel in diesem Augenblick keinen einzigen Siedler, der bei Bewußtsein war. Ich gab Corpkor an Bord der ISCHTAR das verabredete Signal. Das Schiff landete in ge­birgiger Gegend etwa zweihundert Kilome­ter nördlich von Samokha. Es gab dort Schluchten von ausreichender Tiefe. Sämtli­che Triebwerke wurden abgeschaltet, der Energieverbrauch an Bord auf ein Minimum reduziert.

Wir luden die Bewußtlosen auf und brachten sie in das Schiff. Dann kehrten wir mit den Gleitern, die den Siedlern gehörten, nach Samokha zurück. Diesmal befand sich auch Corpkor bei uns. Er behandelte uns der Reihe nach mit einer Tinktur, die innerhalb kürzester Zeit nässende, häßlich anzusehen-de Schwären auf der Haut erzeugte.

Wir ließen das Zeug ein paar Stunden lang wirken. Dann aktivierten wir den Hy­persender und gaben das Seuchen-Notsignal.

4.

Die Leute starben langsamer, als er ange­nommen hatte. Sie bewegten sich von Zeit zu Zeit, wenn auch kaum merklich, und ga­ben leise, stöhnende Laute von sich. In den letzten fünf Tagen hatte er keine Änderung, vor allen Dingen keine Verschlechterung ih­res Verhaltens erkennen können. Es sah so aus, als werde dieser Zustand von unbe­grenzter Dauer sein.

Nur Rec war noch immer auf den Beinen. Auch er hatte manchmal Anfälle. Dann kam er in den Hauptgang und näherte sich der von Flechten überwucherten Gruppe derer, die auf dem Boden lagen. Er machte den

Kurt Mahr

Eindruck, als treibe ihn eine innere Kraft da­zu, sich den Reglosen anzuschließen. Im letzten Augenblick aber brachte er es immer wieder fertig, der Kraft Widerstand zu lei­sten. Mit schwerfälligem Schritt kehrte er dann in den Kommandostand zurück.

Kamarthon Yoren studierte Recs Ge­wohnheiten genau. Er tauchte nicht oft im Gang auf, höchstens einmal alle zehn Stun­den. Diese Zeit beschloß Kamarthon zu nut­zen. Die Flechten faszinierten ihn gewisser­maßen. Es drängte ihn, weiter mit ihnen zu experimentieren. Sie besaßen nicht nur die Fähigkeit, Informationen zu speichern, son­dern waren offensichtlich auch in der Lage, die Körper der Menschen mit Nahrung zu versorgen. Andernfalls hätten die Männer und Frauen, die auf dem Decksgang lagen, schon längst Hungers sterben müssen.

Kamarthon erkannte, daß sich die Lage am ehesten dadurch normalisieren ließ, daß er die Flechten dazu bewog, sich von den Menschen zurückzuziehen. Die Menschen, dessen war er sicher, würden sich unter der Obhut von Medorobotern bald wieder erho­len. Damit war der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt, und Kamarthon Yoren konnte seinem Auftrag wieder ungehindert nachgehen.

So ergab sich als Ironie des Schicksals, die Kamarthon freilich nicht erkannte, daß er, der ursprünglich seine Bewegungsfreiheit durch einen raschen Tod der von den Flech­ten Befallenen wiederzugewinnen gehofft hatte, nun um eben desselben Zweckes wil­len den Kranken helfen mußte, wieder auf die Beine zu kommen.

Er befreite sich vorsichtig aus dem Gewirr der Flechten. Auf ihn hatten sie es nicht ab­gesehen. Ihn entließen sie ohne Widerstand aus dem merkwürdigen Verbund von menschlichen Körpern und wuchernden Krankheitszellen. Er betrachtete das Gebilde von außen und kam zu dem Schluß, daß nie­mand erkennen könne, ob sich unter dem Gespinst der Flechten ein Körper mehr oder weniger befand. Am allerwenigsten Rec in seinem verstörten Zustand.

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15 Das Seuchenschiff

Kamarthon richtete sich mit einigen Flechtenstücken in einem Labor ein, das weit vom Kommandostand entfernt war. Mit Eifer machte er sich an die Arbeit. Er analy­sierte, beobachtete, rechnete und experimen­tierte. Eine gänzlich neue Welt bisher unbe­kannter Lebewesen erschloß sich seiner Wißbegierde. Kamarthon war gewöhnt, me­thodisch zu arbeiten. Für die Menschen, die hilflos draußen auf dem Gang lagen, erwies sich das als ein Nachteil. Kamarthon drang nämlich nicht nur soweit in die Geheimnisse der Flechten vor, wie es nötig war, um sein eigentliches Ziel, nämlich die Beseitigung der Flechten, weiterzuverfolgen. Nachdem er einmal mit der Enträtselung der Geheim­nisse begonnen hatte, erwies es sich im Ge­genteil vielmehr als völlig unmöglich, den einmal eingeschlagenen Pfad wieder zu ver­lassen. Kamarthon forschte weiter, bis die Flechten für ihn kein Geheimnis mehr ent­hielten.

Dann erst kehrte er zu seinem ursprüngli­chen Vorhaben zurück.

Da war es allerdings schon zu spät. Die schrillen Klänge des Seuchenalarms

tönten durch die Decke der SLUCTOOK. Kamarthon Yoren spürte, wie das Seuchen­schiff den Kurs änderte und auf Fahrt ging.

Er verließ das Labor und kehrte zum Mit­teldeck zurück. Er kroch unter den Flechten­teppich und lag reglos neben den anderen.

5.

Die Augenblicke, in denen Rec Herr sei­ner Sinne war, wurden immer seltener und kürzer. In der Zeit dazwischen befand er sich in einem unruhigen Dämmerzustand. Es war, als kämpften zwei Kräfte in seinem Be­wußtsein. Die eine, schloß er, war das eige­ne Ich. Die zweite ging offensichtlich von den Bakterien aus, die den Flechtenwuchs verursachten. Auch Rec war von den Flech­ten befallen, allerdings nicht annähernd so stark wie die restliche Besatzung, die drau­ßen auf dem Hauptgang lag und mit den wu­chernden Flechten zu einem ekelerregenden

Konglomerat zusammengewachsen war. Einen nicht unerheblichen Teil der Zeit,

in der er klar denken konnte, verbrachte Rec damit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum ausgerechnet er soviel Widerstands­kraft gegenüber den Flechten besaß.

Er betrachtete die Situation an Bord der SLUCTOOK als ein Resultat seines eigenen Versagens. Er hätte niemals auf den Gedan­ken kommen dürfen, mit unbekannten Seu­chenbakterien zu experimentieren. Das Re­glement untersagte solche Experimente aus­drücklich. Der Bakterienstamm, auf den die Besatzung der SLUCTOOK bei ihrem jüng­sten Einsatz gestoßen war, besaß jedoch der­art faszinierende Eigenschaften, daß jeder­mann, der sich mit Bakteriologie befaßte, volles Verständnis für Recs Entscheidung haben würde, auch wenn sie gegen die Vor­schriften verstieß.

Rec hatte versucht, einen Ausweg zu fin­den. Aber die meisten erschienen ihm un­gangbar. Er hätte um Hilfe rufen können. Man hätte die SLUCTOOK eingebracht und wäre dem Übel zu Leibe gegangen. Wer aber hätte garantiert, daß es den heimtücki­schen Bakterien nicht gelang, das Schiff zu verlassen und sich über die Oberfläche des Planeten auszubreiten, auf dem die SLUC­TOOK abgesetzt worden war? Noch eine grausamere Version schwebte Rec vor Au­gen: Die Flechtenbakterien waren im höch­sten Grad widerstandsfähig – wer konnte mit Bestimmtheit sagen, daß sie sich nicht durch den Weltraum bewegen und der Reihe nach sämtliche Planeten des Großen Imperiums infizieren würden?

Dieser Weg schied also aus. Rec hatte noch verschiedene andere Möglichkeiten in Erwägung gezogen und sie schließlich alle verworfen – bis auf eine.

Er war schuld an dieser Katastrophe. Er würde dafür sühnen und gleichzeitig Sorge tragen, daß die heimtückischen Bakterien niemand gefährlich werden konnten. Sie mochten in der Lage sein, die Leere und Kälte des Weltalls lebend zu überstehen. Aber die Gluthitze einer Sonne würde auch

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ihnen den Tod bringen. So war Rec in seinen wachen Minuten da­

mit beschäftigt, die SLUCTOOK auf einen Kurs zu bringen, der sie in die nächste Son­ne führen mußte. Unter normalen Umstän­den wäre dies kein schwieriges Unterfangen gewesen. Die nächste Sonne stand knapp neun Lichtjahre entfernt. Man brauchte nur die Koordinaten im Autopiloten zu spei­chern und die Sicherung zu entfernen, die den Autopiloten daran hinderte, das Schiff in eine Zone höchster Gefahr zu manövrie­ren.

Aber was im Normalzustand ein Kinder­spiel war, wurde jetzt zur unerträglichen Last. Jedesmal, wenn er bei Sinnen war, kam Rec um einen winzigen Schritt weiter. Dann aber begann der Kampf in seinem Be­wußtsein von neuem. Manchmal überkam ihn ein fast unwiderstehlicher Drang, hin­auszueilen und sich den Menschen anzu­schließen, die unter dem Gewirr der Flech­ten ruhten. Bisher hatte er den Drang noch jedesmal von sich abschütteln können. Denn er wußte, daß alles verloren war, wenn er erst einmal unter den Flechten lag. Aber wie lange würde er diese Kraft noch besitzen?

So vergingen die Tage. Mit dem Willen der Verzweiflung kämpfte Rec gegen die fremde Kraft, die sein Bewußtsein unterjo­chen wollte. Schritt um Schritt kämpfte er sich an sein Ziel heran und erkannte doch mit jedem wachen Augenblick deutlicher, daß er es nie erreichen würde.

Dann kam die Stunde, in der alle seine Hoffnungen mit einem Schlag zuschanden wurden.

Die SLUCTOOK empfing das Kodesignal des Seuchenalarms.

Der Steuerungsmechanismus des Schiffes war so programmiert, daß er auf dieses Si­gnal automatisch, auch ohne Zutun des Pilo­ten, reagierte.

Die SLUCTOOK ging auf Kurs und be­schleunigte. Rec bekam diese Entwicklung in einem seiner wenigen wachen Augen­blicke mit. Verzweiflung überkam ihn, als ihm klar wurde, daß das Schiff nicht eher

Kurt Mahr

anhalten würde, als bis es auf dem Planeten gelandet war, von dem der Notruf kam.

Das war für lange Zeit sein letzter klarer Gedanke. Als die SLUCTOOK in die erste Transition ging, stand Rec schon wieder im Banne des Kampfes, der in seinem Bewußt­sein tobte.

*

Innerhalb weniger Minuten bekamen wir die Bestätigung unseres Hilferufs. Ein Seu­chenschiff namens SLUCTOOK meldete sich und gab zu verstehen, daß es sich be­reits im Anflug auf Samoc-Tabel befinde. Die Nachricht war automatisch formuliert und abgestrahlt worden. Sie stammte von ei­nem der Bordrechner der SLUCTOOK.

Es wunderte uns ein wenig, daß wir nicht nach den Symptomen unserer Krankheit ge­fragt wurden. Es hätte die erste Aufgabe der Verantwortlichen an Bord des Seuchen­schiffs sein müssen, sich noch vor der Lan­dung soviel Informationen wie möglich über die Art der Seuche zu beschaffen.

Auf der anderen Seite war denkbar, daß die Besatzung solcher Schiffe nach Prakti­ken verfuhr, die dem gesunden Menschen­verstand nicht ohne weiteres zugänglich wa­ren. Auf jeden Fall vergaßen wir unsere Ver­wunderung bald wieder. Die Überraschung, die wir später erlebten, stellte ohnehin alles in den Schatten, was wir uns in den wenigen Stunden bis zur Ankunft der SLUCTOOK hätten ausmalen können.

Die Siedler an Bord der ISCHTAR waren inzwischen wieder bei Bewußtsein. Matys Rantom, der an Bord das Kommando hatte, berichtete mir, daß es da einen kleinen alten Mann gebe, der mit sehr bewegter Sprache Beschwerde über die Behandlung der Leute von Samoc-Tabel geführt habe. Ich verlang­te den Alten zu sprechen. Matys holte ihn herbei. Ein verrunzeltes Gesicht mit großen, weisen Augen erschien auf dem Bildschirm. Ja, das war der Mann, der Kreya so arg in Verwirrung gebracht hatte!

»Der Fuchs lockt sein Opfer mit der

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17 Das Seuchenschiff

Treue seines Blickes«, sagte er mit heller Stimme zu mir. »Du siehst wahrlich nicht aus wie ein Räuber und Mörder und bist doch einer!«

»Wie heißt du?« fragte ich. »Man nennt mich Morihethan, den Philo­

sophen.« »Das Gleichnis trügt, Morihethan«, hielt

ich ihm entgegen. »Ich bin weder ein Räu­ber, noch ein Mörder. Ich kämpfe einen wichtigen Kampf. Samoc-Tabel spielt darin eine Rolle. Euch aber wird kein Leid ge­schehen.«

Ich sah, wie er auf meinen Arm starrte, der sich gerade noch innerhalb des Bildfelds befand.

»Uns ist schon genug Leid geschehen«, klagte er, »wenn ihr die Sporen dieser Krankheit in der Atmosphäre unserer Welt verbreitet.«

Er hatte die Schwären gesehen. »Diese Krankheit ist nicht ansteckend«,

beruhigte ich ihn. »Sie ist Teil meines Pla­nes.«

»Gegen wen kämpfst du?« wollte er wis­sen.

»Für Arkon, gegen den Mörder Orbana­schol!«

Da ging eine seltsame Wandlung mit sei­nem Gesicht vor. Er rückte näher an das Aufnahmegerät heran, musterte mich auf­merksam und begann schließlich zu lächeln.

»Also haben meine Augen mich doch nicht getäuscht!« rief er fröhlich. »Ich er­kannte dich sofort. Wer dein Bild so oft ge­sehen hat wie ich, der vergißt dich nicht. Nur die Art, wie du dich bei uns einführtest, hat mich unsicher gemacht. Du bist der Kri­stallprinz Atlan!«

Ich fühlte mich alles andere als behaglich. Die Freude des Alten war echt. Aber sie würde ihm nicht lange gegönnt sein. Bevor wir Samoc-Tabel verließen, mußten wir sie ihm nehmen.

In der Zwischenzeit allerdings schadete es nichts, wenn ich mich zu meiner Identität bekannte.

»Ich bin Atlan«, antwortete ich.

»Dann ist alles gut!« brach es aus ihm hervor. »Ich verstehe zwar nicht, was du hier auf Samoc-Tabel willst, aber ich weiß, du wirst dein Wort halten. Du hast gesagt, uns wird kein Leid geschehen. Also brau­chen wir uns nicht zu fürchten!«

Ich war mehr als froh, daß man mich rief. Die Begeisterung des Alten war schwer zu ertragen. Es war Fartuloon, der mir etwas mitzuteilen hatte. Ich stand einfach auf und ließ Morihethan, den Philosophen mit seiner Freude allein.

»Ich möchte, daß du dir das ansiehst«, er­klärte der Bauchaufschneider ernst. »Die SLUCTOOK hat soeben die letzte Transiti­on beendet und steht elf Lichtminuten von Samoc-Tabel entfernt. Das Schiff befindet sich im direkten Anflug. Wir haben bis jetzt keine Nachrichten oder Anfragen erhalten.«

Wir befanden uns in der kleinen Kontroll­station, die für die Siedler von Samoc-Tabel die einzige Möglichkeit darstellte, den um­gebenden Raum zu überwachen und einflie­gende Raumschiffe ins Ziel zu dirigieren. Es gab ein einziges Ortergerät mit einer Anten­ne, die ständig rotierte. Auf dem Bildschirm kreiste eine Art Lichtzeiger um den Mittel­punkt. An einer Stelle entstand jedesmal, wenn der Zeiger darüberwischte, ein kräftig leuchtender Punkt. Erst wenn man eine Zeit­lang hingesehen hatte, merkte man, daß der Punkt sich dem Zentrum der Bildfläche nä­herte.

Der Hypersender war aktiviert. Ich griff nachdem Mikrophon.

»Samoc-Tabel an unbekanntes Fahrzeug. Identifiziert euch!«

Es gab keine Antwort. Das fremde Schiff – von dem wir nur annehmen konnten, daß es die SLUCTOOK war – näherte sich schweigend und zielstrebig. Es verschwand schließlich hinter dem Horizont, tauchte je­doch knapp eine halbe Stunde später von der anderen Seite her wieder auf. Es machte fast keine Vorwärtsfahrt mehr, verlor aber stän­dig an Höhe. Kein Zweifel: die SLUC­TOOK, wenn sie es wirklich war, schickte sich an, auf dem kleinen Raumhafen von Sa­

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mokha zu landen! Da wußten wir, daß es nicht mit rechten

Dingen zuging. Soviel Kenntnis von den Praktiken des Seuchenkommandos besaßen wir schon, daß wir sagen konnten, ein Seu­chenschiff dürfte niemals ohne vorhergehen­de Untersuchung auf einem verseuchten Pla­neten landen. Spätestens auf der Umlauf­bahn hatte der Kommandant des Fahrzeugs Informationen über Art und Umfang der Epidemie anzufordern, notfalls sogar Proben erkrankten Gewebes, die mit Hilfe kleiner Lastsonden zu ihm emporgeschickt wurden.

Die SLUCTOOK plante offenbar nichts dergleichen. Sie kam auf dem kürzesten We­ge. In wenigen Minuten würde sie landen.

Ich rief die ISCHTAR an und gab Alarm. Ich wußte nicht, was da auf uns zukam.

*

Noch einmal kam Rec zu sich. Er spürte die Nachwehen des Transitionsschocks und begriff, daß die SLUCTOOK bereits ein großes Stück ihres verhängnisvollen Weges zurückgelegt hatte. Ihm blieb wenig Zeit zu handeln. Der Druck auf sein Bewußtsein wurde immer stärker.

Es graute ihm vor den Bildern, die er sich selbst ausmalte. Das Schiff, auf der Siedler­welt landend – ahnungslose Siedler hilfesu­chend an Bord drängend – die heimtücki­schen Bakterien sich einen Weg in die Um­welt bahnend – ein ganzer Planet Opfer der alles umspannenden Flechten!

Rec hatte keine andere Wahl. Er versiegelte das Schiff. Sämtliche Schleusenausgänge wurden

hermetisch verriegelt. Eine Sonderprogram­mierung des Zentralrechners trat in Kraft, die es verbot, die Verriegelung jemals wie­der aufzuheben.

Vielleicht war so, dachte Rec mit schwin­dender Kraft, während die fremde Macht auf sein gequältes Bewußtsein einhämmerte, das Schlimmste zu vermeiden.

*

Kurt Mahr

Das Schiff, eine Kugelzelle von zweihun­dert Metern Durchmesser mit dickem Trieb­werkswulst, senkte sich aus den regenträch­tigen Wolken und setzte am Rand des klei­nen Landefelds auf. In riesigen arkonidi­schen Lettern leuchtete die Aufschrift SLUCTOOK durch das Halbdunkel des ver­regneten Tages.

Es konnte ein anderer den Namen des Seuchenschiffs verwendet haben, um uns zu täuschen. Aber was hätte er damit bezwecken sollen? Wer würde sich um einer armseligen Welt willen solche Mühe ma­chen? Wir konnten getrost davon ausgehen, daß es sich bei dem soeben gelandeten Fahr­zeug in der Tat um die SLUCTOOK handel­te.

Aus gewissen Manövern des Schiffes un­mittelbar vor der Landung hatten wir ge­schlossen, daß die SLUCTOOK ausschließ­lich unter der Kontrolle des Autopiloten stand. Kein menschliches Gehirn, kein von Menschen ausgelöster Schaltvorgang war an diesem Landemanöver beteiligt. Was war aus der Besatzung geworden? Wir bombar­dierten das Schiff mit Funksprüchen, beka­men aber keine Antwort.

Wir warteten eine halbe Stunde bis nach der Landung. Als sich bis dahin an Bord der SLUCTOOK noch immer nichts gerührt hat­te, wies ich Matys Rantom an, die Alarmstu­fe der ISCHTAR um ein Niveau zu verrin­gern. Es war auch weiterhin nötig, gewapp­net zu sein; aber die Gefahr erschien weni­ger dringend als bisher.

Dann rückten wir gegen die SLUCTOOK vor. Sie stand auf mächtigen Säulenbeinen. Der bodenseitige Pol der gewaltigen Kugel befand sich mehr als zwanzig Meter über der Ebene des Landefelds. Mit einem Platt­formgleiter, der zur Ausstattung der Sied­lung Samokha gehörte, schickten wir acht Leute hinauf, sie sollten die untere Mann­schleuse öffnen. Wir beobachteten sie bei der Arbeit. Es war offensichtlich, daß sie keinerlei Erfolg hatten. Nach fast einer Stun­de kamen sie herunter. Die Verriegelung ließ sich nicht lösen, berichteten sie.

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19 Das Seuchenschiff

Fartuloon und ich übernahmen den Glei­ter. Der Bauchaufschneider hatte anschei­nend Bestimmtes im Sinn, denn er war mit einem ganzen Sack ausgewählter Werkzeu­ge bewaffnet, darunter eine Menge verschie­dener Meßgeräte. Ich steuerte den Gleiter. Vorsichtig manövrierte ich ihn an die graue Wandung des riesigen Schiffes heran. Als Fartuloon mit dem Schädel fast gegen den Stahl stieß, ging ich auf Halt.

Obwohl ich den Alten schon oft bei ähnli­chen Gelegenheiten beobachtet hatte, konnte ich auch diesmal nicht umhin, zu staunen, mit welcher Geschicklichkeit er zu Werke ging. Er war Arzt, dies aber war die Arbeit eines Technikers. Es muß wohl so sein, daß, wer mit den komplizierten Mechanismen des menschlichen Körpers umgehen kann, auch für die Handhabung komplexer techni­scher Geräte prädestiniert ist. Fartuloon machte sich zunächst an dem Außenöff­nungsmechanismus zu schaffen. Er hielt sich damit jedoch nicht lange auf. Wahrschein­lich glaubte er den Worten der Leute, die vor uns am Werk gewesen waren, daß der Zugang auf diese Weise nicht zu erlangen sei.

Danach beschäftigte er sich mit der Wan­dung des Schiffes selbst. Nach geschicktem Hantieren mit einem schraubenzieherähnli­chen Werkzeug gelang es ihm, eine kleine, rechteckige Deckplatte aus der Wand zu lö­sen. Darunter kam ein mit elektronischen Platinen bestückter Hohlraum zur Verfü­gung. Die Platinen trugen eingeätzte, mit aufgedampftem Metall gefüllte Muster, die der Herstellung bestimmter Kontakte und Schaltungen dienten. Fartuloon förderte von irgendwoher ein mit grauem Kunststoff ver­kleidetes Kästchen zutage, probierte an ihm herum und öffnete es schließlich.

Dann griff er zu den Meßinstrumenten. Das Innere des Kästchens bestand aus einem Befehlsspeicher. Fartuloon erforschte den Inhalt der einzelnen Register. Dann schloß er das Kästchen und baute es wieder in den Hohlraum ein. Zum Schluß brachte er die rechteckige Deckplatte an Ort und Stelle.

Erst dann hielt er es für nötig, mich über die Ergebnisse seiner Analyse zu informieren.

»Es muß noch jemand an Bord sein«, war seine erste Feststellung.

Uns allen war inzwischen mehrmals der Verdacht gekommen, wir könnten es mit ei­nem Geisterschiff zu tun haben, das, von seiner Mannschaft verlassen, nur noch den Befehlen des Autopiloten gehorchte. Fartu­loons Eröffnung war insofern aufschluß­reich. Nur wußte ich nicht, wie er zu diesem Schluß gekommen war.

*

»Jemand hat die Allzeitverriegelung akti­viert«, erklärte Fartuloon. »Das kann nur aus dem Innern des Schiffes geschehen und muß von einem Menschen vorgenommen wer­den.«

Ich verstand. Raumschiffe, besonders wenn sie in unbekannte Bereiche der Gala­xis vorstießen, setzten sich der Gefahr aus, fremden Lebensformen zu begegnen, die er­stens gefährlich und zweitens schwer kon­trollierbar sein mochten. In erster Linie war dabei an Mikrolebewesen zu denken. Aber es waren auch Fälle bekannt, in denen hoch­differenzierte, quasi-intelligente Lebensfor­men die Besatzung eines Raumschiffs befal­len und auf diesem Weg versucht hatten, ih­ren Herrschaftsbereich über andere Welten auszudehnen, die ihnen von Natur aus nicht zugänglich waren. Jeder Raumschiffskom­mandant mußte mit dieser Möglichkeit rech­nen. Man gab ihm verschiedene Mittel zur Hand, mit denen er der Gefahr begegnen konnte. Eines dieser Mittel war die Allzeit­verriegelung sämtlicher Schiffsausgänge. Selbst dann, wenn das Fahrzeug unter die Kontrolle fremder Wesen geriet, war auf diese Weise dafür gesorgt, daß die Gefahr isoliert blieb.

Natürlich bestand immer die Möglichkeit, sich gewaltsam einen Weg durch die Wan­dung des Raumschiffs zu bahnen. Aber mit der Allzeitverriegelung gingen einige zu­sätzliche Sicherheitsvorkehrungen einher,

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die einen derartigen Versuch höchst gefähr­lich machten.

»Was, glaubst du, ist geschehen?« fragte ich den Alten.

»Das kannst du dir ebenso gut ausmalen wie ich. Die SLUCTOOK ist ein Seuchen­schiff. Vermutlich hat sie auf einem ihrer letzten Einsätze ein Bakterium mit an Bord genommen, das der Kommandant für ausrei­chend gefährlich hielt, um die Allzeitverrie­gelung auszulösen.«

»Warum hat er nicht um Hilfe gerufen?« Der Alte war ziemlich mürrisch. Daß

durch das merkwürdige Verhalten der SLUCTOOK unser Plan eine Verzögerung erlitt, ging ihm noch mehr gegen den Strich als mir.

»Was weiß ich«, brummte er. »Vielleicht blieb ihm keine Zeit mehr. Ich sagte: Es muß noch jemand an Bord sein. Ob tot oder lebendig, darüber kann ich nichts aussagen.«

Ich senkte den Gleiter zu Boden. Durch den Regen stapften wir hinüber zu der Kon­trollstation. Corpkor wartete auf uns.

»Ich habe eine Vermutung«, erklärte er. Er wartete, bis ich ihm durch einen Blick

zu verstehen gab, daß ich daran interessiert war, über seine Vermutung zu hören.

»Es ist ein Seuchenschiff«, sagte Corpkor. »Sie haben unversehens eine Seuche an Bord genommen. Wodurch entsteht eine Seuche? Durch Bakterien. Wer hat die Macht über alle Lebewesen, selbst die pri­mitivsten? Ich! Ich sage euch: Schickt mich an Bord, und der Spuk hat ein Ende.«

Fartuloon sah mich an. »Der Mann ist gut«, bemerkte er sarka­

stisch. »Wir hätten die SLUCTOOK gar nicht zu untersuchen brauchen. Er weiß oh­nehin alles.«

Corpkor warf dem Alten einen finsteren Blick zu. Spott vertrug er nicht gut.

»Deine Vermutung ist richtig, Corpkor«, versuchte ich, ihn zu beruhigen. »Soweit wir das beurteilen können, meine ich. Sämtliche Ausgänge der SLUCTOOK stehen unter Allzeitverriegelung. Wir könnten nur mit Gewalt eindringen. Du weißt, wie gefährlich

Kurt Mahr

das ist.« Er spreizte die Hände zu einer sprechen-

den Geste. »Was ist die Alternative? Aufgeben? Bis

in alle Ewigkeit warten?« »Warten, Corpkor«, antwortete ich.

»Nicht bis in alle Ewigkeit, aber wenigstens einen Tag. Es besteht die Möglichkeit, daß an Bord der SLUCTOOK der eine oder an­dere noch bei Bewußtsein ist – wenigstens zeitweise. Wir stellen einen Funkposten auf, der rings um die Uhr Dienst tut. Wenn an Bord noch jemand lebt, dann wird er auf einen unserer Anrufe reagieren.«

»Und wenn nicht?« »Dann müssen wir nachdenken, Corpkor.

Entweder dringen wir gewaltsam ein, oder wir geben auf.«

Er gab sich damit zufrieden.

*

Ich versuchte, ein paar Stunden zu schla­fen. Der Versuch mißlang. Laute Stimmen, die aus dem Nebenraum drangen, weckten mich, als ich kaum richtig eingeschlafen war. Ein wenig benommen torkelte ich in die Höhe.

»… Verbindung …!« hörte ich jemand schreien.

Ich öffnete die Tür. Im Hauptraum der Kontrollstation war es angenehm dunkel. Nur ein großer Bildschirm verbreitete Hel­ligkeit, die mir in den Augen schmerzte. Ich blieb stehen, als ich den Fremden auf der Bildfläche sah. Aus unnatürlich großen Au­gen starrte er in das Aufnahmegerät. Sein Anblick jagte mir Schauer über den Rücken. Das Gesicht des Mannes war von wuchern-den Flechten entstellt. Flechten breiteten sich auch über die Hände und den Unterarm aus.

»Rec!« stieß der Fremde mit schwerer Stimme hervor. »Kommandant … SLUC­TOOK. Wir haben eine … entsetzliche Seu­che … an Bord. Versucht nicht … euch Zu­tritt zu … verschaffen. Gefahr … fürchterli­che Gefahr. Wenn ihr könnt … vernichtet

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das Schiff! Ich sage euch …« Er krümmte sich zusammen. Ein Anfall

schüttelte ihn. Er gab würgende Laute von sich. Erst nach einer Weile war er wieder fä­hig, einigermaßen zusammenhängend zu sprechen.

»Ich … zeige euch …!« stieß er hervor. Das Bild wechselte. Wir blickten in einen

breiten Korridor. Auf dem Boden lag etwas. Es dauerte eine Weile, bis wir Einzelheiten erkennen konnten. Dann aber wurde uns die ganze Abscheulichkeit des Bildes offenbar. Was wir zuerst für eine etwas wirr gewach­sene Hecke von der halben Höhe des Korri­dors gehalten hatten, war in Wirklichkeit ein Gewirr von Flechten, wuchernden, kranken Zellen von derselben Art, wie wir sie bereits an Rec wahrgenommen hatten.

Die Flechten wuchsen aus einem Unter­grund von menschlichen Körpern. Durch das Rankenwerk der Zellstränge hindurch waren die Opfer der Seuche nur in Umrissen zu er­kennen. Aber hier und dort schaute ein Fuß, eine Hand, der Zipfel einer Montur unter dem wuchernden Überwuchs hervor.

Schaudernd wollte ich mich abwenden. Da wechselte das Bild abermals, und Rec wurde wieder sichtbar.

»Das … ist es!«, stammelte er. »Nehmt … euch … in acht!«

Das Bild erlosch. Mir wurde nur langsam bewußt, wie viele Personen sich im Kon­trollraum befanden. Fartuloon stand neben mir. Corpkor hatte sich weit vornüberge­beugt, um der Bildfläche so nahe wie mög­lich zu sein. Kreya stand seitwärts und war kreidebleich. Ein paar von ihren Leuten sa­ßen an den Kontrollen und rührten sich nicht.

Ich erinnerte mich nicht, jemals etwas ähnlich Entsetzliches gesehen zu haben wie die Seuchenbilder von der SLUCTOOK. Ich wandte mich zu Fartuloon hin und wollte ei­ne dementsprechende Bemerkung machen. Aber der Alte kam mir zuvor.

»Es gibt Schlimmeres«, sagte er kurz. Corpkor erwachte wie aus einer Trance.

Langsam wandte er sich zu uns um.

»Jetzt wißt ihr, daß nur noch ich helfen kann!«

Seine Stimme klang düster. Ich wollte ihm widersprechen; aber Fartuloon war ein zweites Mal schneller als ich.

»Du hast recht, Corpkor. Bereite dich vor! Ein paar Leute in Schutzanzügen müssen dich begleiten. Mit den Sicherungen der All­zeit-Schaltung ist nicht zu spaßen!«

Erst später verstand ich, warum der Alte so reagierte. Ich hatte nur die gräßlichen Bil­der gesehen. Ich beurteilte die Lage an Bord der SLUCTOOK nach der Häßlichkeit des­sen, was ich wahrgenommen hatte. Fartu­loon dagegen war Arzt. Er war an Abscheu­lichkeit gewöhnt. Vor allen Dingen konnte er beurteilen, ob das, was häßlich war, wirk­lich auch Gefahr bedeutete.

In diesem Fall hatte er die Frage verneint. Es erschien ihm, daß unser Vorhaben wegen der Flechtenseuche an Bord der SLUC­TOOK nicht aufgegeben zu werden brauch­te. Das aber verstand ich erst später. Im Au­genblick war ich ziemlich fassungslos und machte dem Alten Vorwürfe, daß er aus falsch verstandenem Ehrgeiz Corpkor in ei­ne tödliche Gefahr schickte.

6.

Kamarthon Yoren hatte bald erkannt, daß seine Vorsichtsmaßnahme überflüssig gewe­sen war. Dadurch, daß sich die SLUCTOOK in Bewegung setzte, hatte sich nichts geän­dert. Er brauchte seine Arbeiten nicht zu un­terbrechen. Im Gegenteil: Er mußte fortfah­ren, sich zu betätigen. Von jetzt an aller­dings mit einem anderen Ziel. Er mußte in Erfahrung bringen, wohin die SLUCTOOK unterwegs war.

Also kroch er wieder aus der von Flechten umsponnenen Masse der Leiber hervor und machte sich von neuem an die Arbeit. Er verstand sich auf das Funktionieren elektro­nischen Geräts. Vor allen Dingen wußte er, an welcher Stelle er nachzuforschen hatte, wenn er wissen wollte, welche Kursdaten der Autopilot enthielt. Er ermittelte ohne

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große Mühe, daß die SLUCTOOK nach Sa­moc-Tabel unterwegs war, einer unbedeu­tenden Siedlerwelt mit einer Bevölkerung von knapp einhundert Menschen.

Bei seinen Forschungen machte Kamar­thon eine wichtige Entdeckung. Rec, der Kommandant, hatte eine Schaltung vorge­nommen, die sämtliche Ausgänge der SLUCTOOK für alle Zeiten verriegelte. Der Beweggrund war klar. Rec fürchtete, daß sich die Flechtenseuche über die Welt der Siedler ausbreiten würde. Wahrscheinlich war Rec nicht mehr in der Lage, die SLUC­TOOK an einer Landung auf Samoc-Tabel zu hindern. Also hatte er zu diesem Mittel gegriffen.

Kamarthon Yoren kehrte in sein Labor zurück und fuhr fort, mit der Flechtensub­stanz zu experimentieren. Er hatte einen Plan entwickelt. Da die Zellen, aus denen die Flechte bestand, in der Lage waren, In­formationen zu speichern, mußte es möglich sein, sie zu lehren oder abzurichten. Es ging darum, ihnen Informationen zu vermitteln, die Verhaltensmuster darstellten. Die Ver­haltensmuster mußten wiederum auf die physischen Fähigkeiten der Flechten abge­stimmt sein. Wenn man die Einschränkun­gen, die sich aus der Gestalt und der be­schränkten Fortbewegungsfähigkeit der Flechten ergaben, nicht außer acht ließ, dann mußte es möglich sein, die wuchernden Zellgebilde so abzurichten, daß sie Aufträge ausführten.

Für Kamarthon Yoren war dies eine wich­tige Erkenntnis. Es fiel ihm leicht, sich aus­zumalen, daß der Kaiserliche Nachrichten­dienst an einer solchen Entwicklung außer­ordentlich interessiert sei. Also arbeitete er mit Nachdruck und großer Zielstrebigkeit.

Die SLUCTOOK führte, wie er wohl be­merkte, eine Reihe von Transitionen durch. Sie störten ihn nicht sonderlich; kaum, daß sie seine Arbeiten unterbrachen. Er machte rasche Fortschritte. Aber dann gab es eine Unterbrechung. Bei einer seiner regelmäßi­gen Befragungen des Autopiloten erfuhr Ka­marthon, daß die SLUCTOOK im Begriff

Kurt Mahr

war, auf Samoc-Tabel zu landen. Er konnte nicht vorhersehen, welche Folgen diese Lan­dung haben würde. Vielleicht traten die durch ihre Krankheit verängstigten Siedler zum Sturm auf die SLUCTOOK an. Für ihn war es jedenfalls angebracht, mit allen Eventualitäten zu rechnen. Er kehrte in sein Versteck zurück und gab sich Mühe, nicht anders auszusehen als einer der übrigen, von Flechten umrankten Körper.

Im Versteck verbrachte er mehrere Stun­den, ohne daß sich im Schiff oder außerhalb etwas rührte. Rec war, das spürte Kamarthon deutlich, kurze Zeit lang aktiv. Er betätigte das Funkgerät. In einer seiner wachen Minu­ten hatte er sich wahrscheinlich mit den Siedlern in Verbindung gesetzt und sie vor der Gefahr an Bord der SLUCTOOK ge­warnt. Infolgedessen fühlte sich Kamarthon, als es draußen weiterhin ruhig blieb, berech­tigt, zu glauben, daß die Siedler das Schiff vorerst in Ruhe lassen würden. Er machte sich also wieder an die Arbeit.

Es war wichtig, zu erfahren, wie es drau­ßen aussah. Kamarthon schlich sich in einen Raum, der mit einem Außenbordsichtgerät ausgerüstet war, und nahm das Gerät in Be­trieb. Er blickte hinaus in die düstere, ver­regnete Landschaft von Samoc-Tabel. Sein Sehvermögen war ausgezeichnet. Er erkann­te die Siedlung, deren Häuser sich zumeist flach gegen den Boden duckten. Er sah Fahrzeuge am Rand der Siedlung und beob­achtete in schweres Fettzeug gekleidete Menschen, die sich in der Nähe der Fahrzeu­ge zu schaffen machten.

Eines der Fahrzeuge, mit einer offenen Plattform ausgerüstet und mit mehreren Leuten bemannt, hob vom Boden ab und kam auf die SLUCTOOK zu. Kamarthon er­kannte, daß die Mehrzahl der Leute schwere Raummonturen trugen. Er schloß daraus, daß sie trotz Recs Warnung ins Innere des Schiffes einzudringen beabsichtigten.

Dann aber, als das Fahrzeug unmittelbar unter dem Aufnahmegerät vorbeiglitt, mach­te er eine wahrhaft sensationelle Ent­deckung. Der Mann am Steuer des Gleiters

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war einer derjenigen, die keine Raumklei­dung trugen. Er sah gerade in dem Augen­blick auf, als er der Kamera am nächsten war.

Kamarthon, der als Geheimnisträger Zweiter Klasse in alle Belange des Kaiserli­chen Nachrichtendienstes bestens einge­weiht war, erkannte ihn sofort.

Es war Atlan, der Abtrünnige. Sohn des ehemaligen Imperators Gonozal VII. auf dessen Kopf Orbanaschol eine nicht uner­hebliche Belohnung ausgesetzt hatte.

In diesem Augenblick wurden alle Pläne, die Kamarthon Yoren bislang gehabt hatte, zu nichts. Von dieser Sekunde an gab es für ihn nur noch eine einzige Aufgabe!

*

Bevor die Nacht endgültig hereinbrach, machten wir uns auf den Weg. Acht Mann begleiteten Corpkor. Sie alle, auch der ehe­malige Kopfjäger, trugen Raumschutzklei­dung. Ohne daß man es von der SLUC­TOOK aus hätte bemerken können, war von der ISCHTAR Seuchenbekämpfungsgerät herbeigebracht worden. Wir luden es auf den Gleiter. Es handelte sich um ein kräfti­ges Pumpaggregat mit angeschlossenem Tank und vier Zerstäubern. Der Tank ent­hielt eine Substanz, die aus organischen De­rivaten bestand und auf jede Art bekannter Bakterien und Bazillen absolut tödlich wirk­te. Sie war freilich auch für Menschen im höchsten Maße giftig.

Ich übernahm das Steuer des Transpor­ters. Ich bugsierte ihn in die Nähe der Mann­schleuse, die wir vor ein paar Stunden zu öffnen versucht hatten. Zwei von Corpkors Begleitern waren mit schweren Strahlern be­waffnet. Aus einer Entfernung von etwa fünfzehn Metern eröffneten sie das Feuer auf die Wandung des Schiffes unmittelbar neben dem Schleusenluk. Der schwere Stahl begann zu glühen und zu fließen. Zischend glitten große Tropfen weißglühenden Schmelzflusses in das nasse Halbdunkel. Ich verriegelte die Steuerung des Fahrzeugs und

kletterte bis zum hintersten Ende der Platt­form. Dort verkroch ich mich hinter dem Pumpenaggregat, um der teuflischen Hitze zu entgehen, die von der Wandung der SLUCTOOK zurückstrahlte. Ich befand mich in guter Gesellschaft: Fartuloon hatte schon vor mir die Deckung aufgesucht.

Allmählich entstand in der Hülle des Schiffes ein Loch. Die Gluthitze, die sich entlang der leuchtenden Ränder entfaltete, würde selbst das hartnäckigste Bakterium nicht überstehen. Die Gefahr, daß aus dem Schiff dringende Bakterien die Umwelt ver­seuchten, wurde erst dann wieder akut, wenn sich die Ränder des Loches bis auf Tempe­raturen unter dreitausend Grad abgekühlt hatten.

Die Öffnung hatte einen Durchmesser von knapp drei Metern. Corpkor war der erste, der das Flugaggregat seiner Montur in Be­trieb setzte und hinauf in den finsteren Schleusenraum glitt. Ihm folgten seine Be­schützer. Drei von ihnen schleppten das Pumpenaggregat mit dem Gifttank.

Ich wartete noch ein paar Minuten. Dann hastete ich über die Plattform nach vorne und brachte den Gleiter aus dem höllisch heißen Bereich in unmittelbarer Nähe der Bordwand. Aus einer Entfernung von fünf­zig Metern beobachteten Fartuloon und ich, wie aus dem Loch, dessen Ränder mittler­weile nur noch rötlichgelb glühten, zischen­de Dämpfe drangen. Die Pumpe war in Tä­tigkeit getreten. Sollten im Schleusenraum doch noch ein paar Bakterien am Leben ge­blieben sein, so bedeuteten sie von jetzt an keine Gefahr mehr.

Ich stand mit Corpkor in Funkverbindung. Aus dem kleinen Lautsprecher des Geräts, das ich am Armband trug, erklang seine Stimme:

»Innenschott planmäßig geöffnet! Vorläu­fig gibt es keine Schwierigkeiten. Wir haben die Schleusenkammer völlig eingenebelt. Sobald wir alle an Bord sind, wird das In­nenschott zugeschweißt.«

Ich fühlte mich nicht wohl. Corpkor brach alle Brücken hinter sich ab. Wenn es ihm

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nicht gelang, der Bakterien Herr zu werden, dann würde er die SLUCTOOK starten und sie in die nächste Sonne steuern. Das hatte er selbst angeboten. Man wußte nicht, ob er seiner Sache so sicher oder ob ihm das eige­ne Leben – und das seiner Begleiter – so we­nig wert war. Ich wollte, ich hätte soviel Zu­trauen zu dem Kopfjäger gehabt wie die Männer, die mit ihm gingen. Sie waren über den gesamten Umfang des Vorhabens infor­miert und hatten dennoch keine Sekunde lang gezögert, sich Corpkor anzuschließen.

»Innenschott verschweißt!« meldete Cor­pkor.

Der Dampf, der aus dem glühenden Loch stäubte, verlor an Dichte. Schließlich hörte er ganz auf.

»Drei Männer bleiben an Ort und Stelle zurück«, drang Corpkors Stimme aus dem Empfänger. »Mit den übrigen dringe ich zum Mitteldeck vor. Bis jetzt noch keine Spur, daß jemand uns das gewaltsame Ein­dringen übelgenommen hat.«

»Viel Glück, Corpkor!« sagte ich. »Halte die Verbindung aufrecht und – vergiß nicht, wieviel von deinem Erfolg abhängt.«

»Ich denke daran«, antwortete er knapp. Ich wendete den Gleiter und hielt auf den

Südrand von Samokha zu. Uzinador, der Bordarzt der ISCHTAR, hatte dort eine Quarantänestation eingerichtet, in der wir auf überlebende Bakterien untersucht wer­den sollten.

*

Die Vorgehensweise, die sich als erste an­bot, war zu verwerfen.

Kamarthon Yoren hätte den Hypersender der SLUCTOOK in Betrieb nehmen und ei­ne verschlüsselte Botschaft in Richtung Ar­kon auf den Weg bringen können. Damit je­doch würde er – voraussichtlich – alles ver­derben. Atlan lebte nicht als Siedler auf Sa­moc-Tabel. Er war mit einem Raumschiff hierhergekommen. Das Schiff lag irgendwo verborgen. Dieses Schiff hatte die SLUC­TOOK unter Beobachtung. Ohne Zweifel

Kurt Mahr

waren in diesem Augenblick Hunderte von Sensoren aller Art auf das Seuchenfahrzeug gerichtet. Atlans Leute würden sofort be­merken, wenn der Hypersender der SLUC­TOOK in Tätigkeit trat.

Zweitens wußte Atlan – seitdem er mit Rec gesprochen hatte – über die Verhältnis­se an Bord der SLUCTOOK Bescheid. Er wußte, daß es hier niemand mehr gab, der den Hypersender aktivieren konnte. Außer Rec vielleicht. Aber warum hätte Rec eine Nachricht über Hyperfunk absenden sollen, wo er doch die ganze Zeit über geschwiegen hatte? Wenn Rec bei Sinnen war, würde er sich über Normalfunk mit den Leuten auf Samoc-Tabel unterhalten, nicht mit irgend jemand, der Dutzende von Lichtjahren ent­fernt war.

Atlan würde also sofort wissen, daß etwas nicht in Ordnung war. Vielleicht gelang es ihm sogar, den Hyperspruch zu entschlüs­seln. Kamarthon Yoren wußte nicht, welche Pläne der Kristallprinz auf Samoc-Tabel verfolgte. Aber er war sicher, daß Atlan sie sofort preisgeben würde, nur um sich und seine Leute in Sicherheit zu bringen. Damit aber wäre alles verloren. Man hatte sein Versteck bislang nicht finden können und würde es auch jetzt nicht aufspüren.

Inzwischen hatte Kamarthon Yoren be­merkt, daß die mit Raumanzügen bekleide­ten Fremden, die er aus der Sicht verloren hatte, als sie das Blickfeld der Außenbord­kamera verließen, an Bord der SLUCTOOK eingedrungen waren. Er hatte ein sehr siche­res Gespür für solche Dinge.

Es war Zeit, daß er sich in sein Versteck zurückbegab. Atlans Leute durften auf kei­nen Fall erfahren, daß an Bord dieses Schif­fes jemand existierte, der gegen die Flech­ten-Seuche immun war. Jeder Hinweis dar­auf, daß Kamarthon Yoren, der in der Mu­sterrolle der SLUCTOOK allerdings unter einem anderen Namen geführt wurde, sich von den übrigen Mitgliedern der Besatzung unterschied, mußte vermieden werden.

Auf dem Weg zum Mitteldeck entwickel­te Kamarthon einen neuen Plan. Er war kühn

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– obwohl ihm das nicht zu Bewußtsein kam – und hatte gerade deswegen viel Aussicht auf Erfolg. Irgendwo auf dieser Welt hatte Atlan sein eigenes Raumschiff versteckt. Wenn der Hypersender dieses Schiffes in Tätigkeit trat, würde niemand Alarm schla­gen.

Kamarthon wußte nicht, wie er an Bord von Atlans Fahrzeug gelangen würde. Aber gleichzeitig dachte er, daß es seines persön­lichen Einsatzes womöglich gar nicht mehr bedurfte. Eine der informationstragenden Flechten konnte diese Aufgabe übernehmen. Er mußte sie zuvor nur in entsprechender Weise behandeln.

*

Der Angriff erfolgte, als Corpkor kaum mehr damit rechnete.

Er schwang sich aus dem Antigravschacht auf eines der unteren Decks hinaus, um sich umzusehen. Da entdeckte er zwei Roboter, die an einer Gangkreuzung auf ihn lauerten. Sie hatten die Waffen im Anschlag; aber der arkonidische Raumanzug schien sie zu irri­tieren. Sie brauchten Bruchteile von Sekun­den, um in ihren Verhaltensroutinen zu fra­gen, wie sie auf das Auftauchen eines Arko­niden zu reagieren hätten.

Corpkor handelte blitzschnell. Mit einem weiten Satz verschwand er wieder im Schacht. Er bekam eine der Haltestangen zu fassen und riß sich mit einem kräftigen Ruck in die Höhe.

Fast im selben Augenblick fauchten zwei Strahlerschüsse durch die Schachtöffnung herein und erzeugten auf der gegenüberlie­genden Wand einen häßlichen Brandfleck. Corpkor hörte die lauten Schritte der Robo­ter, die die Verfolgung aufnahmen. Aber sei­ne Begleiter, die sich unter ihm befanden, hörten sie auch. Als die beiden Maschinen­wesen in der Schachtöffnung erschienen, schlug ihnen konzentriertes Feuer entgegen.

Es war ein ungleicher Kampf. Die beiden Roboter hatten keine Chance. Sie explodier­ten binnen weniger Sekunden.

Corpkor setzte den Vormarsch fort. Weni­ge Minuten später stand er auf dem Haupt­deck. Die Stille an Bord der SLUCTOOK war gespenstisch. Er ging ein paar Schritte und gelangte auf den breiten Hauptgang, der zum Kommandostand führte. Da sah er, diesmal aus nächster Nähe, das entsetzliche Bild, das ihm bereits auf dem Fernsehemp­fänger vorgespielt worden war.

Ein Raumschiff wie dieses mußte eine Besatzung von wenigstens einhundertund­fünfzig Mann haben. Sie lagen alle hier, ein ganzer Teppich von Menschen in Haltungen, als schliefen sie. Über den Menschenteppich aber hatte sich das Gewirr der Flechten ge­breitet. Es wuchs aus den Menschenkörpern und wirkte wie ein Drahtverhau.

Für Corpkor hatte der Anblick nichts Wi­derwärtiges, wenn auch seine Begleiter sich abwandten, um das Grün um ihre Nasenspit­zen zu verbergen. Corpkor lebte in der Ein­heit aller Lebewesen. Er verstand die Eigen­art jedes Geschöpfs – und seit kurzem auch die der allerprimitivsten Wesen: der Bakteri­en.

Er standstill und lauschte. Vage, fast nicht wahrnehmbar empfand er die Strahlung, die von den Flechten – und damit von den Krankheitserregern – ausging. Er konnte nicht erkennen, was sie aussagte. Die Nähe seiner Begleiter störte ihn. Und die schwere Montur, die er trug.

»Geht ein Deck höher und wartet auf mich!« befahl er den Männern.

Sie gehorchten ohne Widerworte. Corp­kor wartete ab, bis sie allesamt verschwun­den waren. Dann begann er, die Raummon­tur abzulegen.

Die Bedeutung dieses Schrittes war ihm völlig klar. Wenn er überleben wollte, mußte es ihm gelingen, Kontakt mit den Flechten­bakterien aufzunehmen und sie dazu zu ver­anlassen, daß sie sich seinem Willen beug­ten. Er war keineswegs sicher, daß er die nö­tige Fähigkeit besaß. Aber er wollte das Ri­siko eingehen, um Atlans Pläne zu fördern – und sich selbst zu einem Experimentier­schiff zu verhelfen.

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Jetzt, da die Männer sich entfernt hatten und der Raumanzug ihn nicht mehr vor der Strahlung der Bakterien abschirmte, emp­fing er deutlich die Signale, die von den Flechten ausgingen.

Er war verblüfft. Die Begriffsfolge, die sich ständig wie­

derholte, war einfach und zugleich eindring­lich.

Einsamkeit … Sehnen … Gemeinsamkeit … Einsamkeit … Sehnen …

Er verstand. Die Bakterien waren Symbionten. Sie wa­

ren virulent geworden, als ihrem Stamm die Möglichkeit des Zusammenlebens mit ande­ren Geschöpfen zu lange verweigert worden war.

Erleichterung war seine erste Reaktion. Er würde den Bakterien beibringen, daß

sie von nun an nicht mehr allein zu sein brauchten.

*

Rec spürte die Unruhe. Er war nicht Herr seiner selbst. In einem

Zustand zwischen Trance und Bewußtlosig­keit lag er am Boden. Vor kurzem hatte ihn die Sehnsucht nach den Menschen gepackt, die draußen im Gang lagen. Er hatte dem Sehnen mit letzter Kraft widerstanden. Jetzt war er erschöpft.

Er erfaßte das Unbehagen nicht bewußt. Es war ein Gefühl in der Tiefe, ausgelöst nicht durch die eigenen Sensorenmechanis­men, sondern durch die Bakterien, die in sei­nem Körper lebten.

Rec fühlte, daß etwas geschah, wogegen er sich wehren mußte. Als der Wunsch, sich zu wehren, in seinem Gehirn Gestalt an­nahm, lockerten die Bakterien die Kontrolle. Rec öffnete die Augen und sah sich um. Schwerfällig stemmte er sich in die Höhe. Er konnte einigermaßen klar denken. Draußen im Gang war etwas nicht in Ordnung. Der Feind war am Werk!

Welcher Feind? Die Frage war ohne Bedeutung. Er mußte

Kurt Mahr

den Feind beseitigen. Denn der Feind störte die Harmonie an Bord der SLUCTOOK. (Soweit bei Sinnen war Rec nun doch nicht, daß er den Begriff der »Harmonie« als einen solchen hätte erkennen können, den die Bak­terien ihm eingaben, um damit einen Zu­stand zu bezeichnen, den Rec bei wachen Sinnen als im Gegenteil völlig unerfreulich empfunden hätte.) Der Feind mußte ernstge­nommen werden. Er würde sich nicht leicht überrumpeln lassen.

Es war eine rechte Mühe, die Waffen wie­derzufinden, die Rec in einem seiner wachen Augenblicke weggeschlossen hatte, weil er fürchtete, die Verzweiflung werde ihn zum Selbstmord treiben. Er bewaffnete sich mit zwei Strahlern. Dann verließ er den Kom­mandoraum durch ein rückwärtiges Schott.

Er mußte einen Umweg machen, um dem Feind in den Rücken zu kommen.

*

Unter dem verfilzten Flechtenteppich her­vor beobachtete Kamarthon Yoren den Fremden mit großer Aufmerksamkeit.

Erst als er den Raumanzug ablegte, er­kannte Kamarthon, daß er kein Arkonide war, wiewohl sein Äußeres typisch mensch­lich war. Er sah, wie der Fremde sich in einen Winkel kauerte und den Flechtentep­pich mit den darunterliegenden Menschen anstarrte. Er schien tief in Gedanken versun­ken.

Wenig später schloß er vollends die Au­gen.

Kamarthon hatte keine Möglichkeit zu wissen, was der Fremde tat. Aber er konnte kombinieren. Seine Kenntnis menschlicher Verhaltensmuster sagte ihm, daß der Mann gekommen war, um das Problem der Flech­tenkrankheit zu lösen. Er hatte zuerst die Si­tuation analysiert und war jetzt angestrengt und konzentriert am Nachdenken.

Kamarthon wußte nicht, ob das Bemühen des Fremden ernst zu nehmen war. Er trug keinerlei Instrumente bei sich. Und je länger er da hockte und mit geschlossenen Augen

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meditierte, desto mehr entstand bei Kamar­thon der Eindruck, daß es sich vielleicht um einen der Wunderheiler handelte, wie sie zu Tausenden in der Galaxis umherreisten. Sie verdienten ihr Geld damit, daß sie sich für den Einsatz ihrer wundersamen Fähigkeit zur Heilung von Krankheiten aller Art von den Leuten bezahlen ließen. Die meisten waren geschickt genug, mit ihrer Behand­lung wenigstens Anfangserfolge zu erzielen. Wenn sie aber dann kassiert hatten und ab­gereist waren, kehrte bei den angeblich Ge­heilten die Krankheit bald wieder zurück.

Kamarthon war seiner Sache nicht sicher. Er wollte den Fremden noch eine Zeitlang beobachten und sich dadurch Gewißheit ver­schaffen. Dann aber geschah etwas, was Ka­marthon davon überzeugte, daß der Fremde tödlich ernst genommen werden müsse.

Weit hinten im Gang tauchte Rec auf. Er war bewaffnet, was er sonst nie gewesen war, und näherte sich dem Fremden so be­hutsam und vorsichtig, daß seine Absicht so­fort klar wurde: Er wollte den kauernden Mann überfallen und unschädlich machen.

Recs Existenz kannte zwei Zustände. Ent­weder er war Herr seines eigenen Willens. In diesem Zustand hätte er kaum etwas an­deres tun können, als den Fremden als Hel­fer und Retter, zumindest jedoch als Freund in der Not mit offenen Armen zu empfan­gen. Oder er befand sich in Trance, unter dem Einfluß der Viren. Da Rec sich feind­lich verhielt, schloß Kamarthon, daß er sich im Trancezustand befand und von den Viren ermuntert worden war, den Fremden zu be­seitigen. Also erschien der kauernde Mann den Viren als gefährlich. Das aber konnte nur bedeuten, daß er begonnen hatte, einen Einfluß auf sie auszuüben. Einen Einfluß, dem sie sich nicht anders entziehen konnten als dadurch, daß sie Rec bewegten, den Fremden aus dem Weg zu schaffen.

Kamarthon Yoren analysierte die Lage und kam zu dem Schluß, daß sie gefährlich zu werden begann.

*

Für Corpkor kam der Übergang völlig überraschend.

Mit einem großen Aufwand an Konzen­tration hatte er sich auf die Strahlung der Bakterien eingestellt. Er ließ sich Zeit. Je perfekter die Einstellung war, desto deutli­cher konnte er sein Anliegen formulieren. Es justierte sein Bewußtsein anhand der Signa-le, die er von den Bakterien empfing.

Dann begann er selbst zu senden. Er for­mulierte Bilder in seinem Gehirn – Bilder, die Unangenehmes, Unerfreuliches darstell­ten. In die Reihenfolge dieser Bilder mischte er in regelmäßigem Abstand den Anblick der flechtenbedeckten Menschen, wie er ihn in seinem Gedächtnis gespeichert hatte. Auf diese Weise brachte er den Viren nahe, daß es sich bei dem Zustand, der gegenwärtig an Bord der SLUCTOOK herrschte, um einen nicht wünschenswerten handelte.

Nach einer Weile unterbrach er seine Sen­dung, um auf die Reaktion der Bakterien zu lauschen. Ihre Signale waren undeutlicher geworden. Die Reihenfolge der Impulse wechselte. Die Viren schienen verwirrt. Das mochte daher rühren, daß sie selbst ihren Zustand für äußerst angenehm hielten und Corpkors Darstellung daher nicht verstan­den. Es mochte aber auch sein, daß sie auf jeden Versuch, von außen her Verbindung mit ihnen aufzunehmen, mit Verwirrung rea­gierten.

Es stand jedoch fest, daß Corpkors Men­talstrahlung bis zu den Viren durchgedrun­gen war.

Er fuhr also fort. Er formulierte Bilder, die Angenehmes darstellten. Er wußte ge­nau, daß die Bakterien nicht etwa auf diese Bilder reagierten, sondern auf den Impuls des Freundlichen, Wünschenswerten, den Corpkors Gehirn automatisch mit den Bil­dern zusammen generierte. In die Folge der angenehmen Bilder hinein mischte er seine Vorstellungen, wie der angenehme, der wünschenswerte Zustand erreicht werden könne: Tanks mit Nährstofflösung, nur als Übergangsperiode gedacht, dann Tiere oder Pflanzen, mit denen die Viren eine Symbio­

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se eingehen konnten. Auf die Darstellung des Schönen, Wün­

schenswerten verwendete er wesentlich mehr Zeit als auf die Beschreibung der Nachteile des jetzigen Zustands. Und als er die Sendung schließlich unterbrach, um wie­der zu lauschen, erkannte er sofort, daß er auf dem Weg zum Erfolg war. Die Signale der Viren waren wieder deutlicher gewor­den. Die Reihenfolge der Impulse war auch jetzt noch verwirrt. Aber es waren neue Be­griffe hinzugekommen: Freude … Wün­schen … Sich – führen – lassen …

Corpkor empfand Erleichterung. Er gönn­te sich ein paar Minuten Ruhe, bevor er von neuem zu senden begann und seine Vor­schläge konkretisierte. Mitten hinein in diese Ruhepause kam der Umschlag.

Die Impulse der Viren erloschen. Es war plötzlich still. Eine gewisse Zeit verging, dann lebten die Impulse wieder auf. Sie be­gannen schwach, gewannen jedoch überra­schend schnell an Intensität. Es lag etwas Ungestümes in ihnen. Vor allen Dingen wa­ren es Impulse ganz anderer Art: Feindschaft … Gefahr … Unterdrückung …

Es gab keinen Zweifel, daß Corpkor da­mit gemeint war. Er fragte sich, was diesen unerwarteten Wechsel ausgelöst haben mochte. Er wußte nur wenig darüber, wie die Bakterien untereinander kommunizier­ten. War der gesamte Bakterienstamm eine Kommunikationseinheit – als Vorstufe einer Gemeinschaftsintelligenz – oder gab es in­nerhalb des Stammes Unterteilungen? Fast schien es, als sei das letztere der Fall. Corp­kors Vorschläge waren von den Abteilun­gen, die seine Mentalstrahlung unmittelbar erreichte, freundlich aufgenommen worden. Diese Abteilungen hatten die empfangenen Impulse an andere Virengruppen weiterge­leitet. Dabei mußte es eine Gruppe oder Ab­teilung geben, die von Corpkors Ideen über­haupt nichts wissen wollte.

Anscheinend handelte es sich dabei um die dominierende Gruppe. Ihre Reaktion hat­te sich binnen kurzer Zeit auf den gesamten Stamm übertragen. Was ihm jetzt entgegen-

Kurt Mahr

schlug, war geballte Feindseligkeit. Damit wurde die Lage für ihn gefährlich.

Es gab keinen Zweifel, daß auch sein Körper bereits einige Millionen Flechtenviren auf­gesammelt hatte. Wenn er die Bakterien nicht unter Kontrolle brachte, würde er das Schicksal derer teilen, die vor ihm auf dem Boden lagen.

Er öffnete die Augen und stand auf. Da gewahrte er den Mann, der sich aus

dem Hintergrund des Korridors herange­schlichen hatte.

*

Er trug einen Strahler schußbereit in der Hand und einen zweiten im Gürtel. In seinen Augen loderte ein fanatisches Feuer. Dieser Mann war entweder wahnsinnig, oder sein Geist stand unter der Kontrolle einer frem­den Macht.

Blitzartig erkannte Corpkor die Zusam­menhänge. Dieser Mann war Rec, der einzi­ge, der sich an Bord der SLUCTOOK bisher noch auf den Beinen hatte halten können. Auch er war von Viren befallen, aber die Vi­ren hatten ihm einen geringen Teil seiner Selbständigkeit belassen. Wahrscheinlich brauchten sie wenigstens einen Symbionten, der noch tätig werden konnte. Kein Zweifel, daß die Virengruppe, die Rec beherrschte, innerhalb des Stammes die tonangebende Rolle spiele. Die Bakterien in Rec also wa­ren es gewesen, die Corpkors Vorschläge zurückgewiesen und den ganzen Stamm zu einer Haltung der Feindseligkeit angesta­chelt hatten.

»Du bist Rec.?« fragte der Kopfjäger, um sich zu vergewissern.

»Ich bin Rec«, antwortete der hochge­wachsene Mann mit dumpfer Stimme, »und du bist der Feind, der beseitigt werden muß.«

»Du irrst dich!« Corpkor sprach mit lau­ter, klarer Stimme – in der Hoffnung, daß seine Begleiter auf dem oberen Deck ihn hörten. »Ich bin nicht dein Feind, und nicht der Feind der Wesen, die in dir wohnen. Ich

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komme, um euch zu helfen!« Er sah, daß seine Worte vergebens waren.

Rec verstand ihn nicht. Die Viren hielten sein Bewußtsein blockiert. Er war eine Ma­schine, die man dazu programmiert hatte zu töten. Es war keine Zeit mehr, auf die Leute vom oberen Deck zu warten. Die Hilfe, die Corpkor brauchte, konnte nur von ihm selbst kommen.

Er gab sich den Anschein eines Mannes, der Rec unter allen Umständen in eine Un­terhaltung verwickeln wollte.

»Du antwortest nicht. Also gibst du mir recht?«

»Du bist der Feind!« wiederholte Rec mit monotoner Stimme.

»Ich kann euch helfen«, stieß Corpkor ha­stig hervor. »Ich weiß, daß die Viren sich nach Symbionten sehnen. Für sie ist es gleichgültig, ob die Symbionten Menschen, Tiere oder Pflanzen sind. Diese Welt ist vol­ler Tiere und Pflanzen. Einige davon sind als Symbionten wesentlich besser geeignet als Menschen …«

Er sprudelte die Worte nur so hervor. Rec wurde durch den Tonschwall zeitweilig ab­gelenkt. In dem Teil seines Bewußtseins, das er selbst kontrollierte, entstand das Bild ei­nes Mannes, der sich verzweifelt am Tod vorbeizureden versuchte. Rec wußte, daß der Mann ihm nicht entkommen konnte. Das und der Strom sprudelnder Worte lullten sei­ne Wachsamkeit ein.

Währenddessen sprach Corpkor weiter: »Samoc-Tabel ist ideal geeignet für den

Aufenthalt der Viren. Eine warme, feuchte Welt, auf der alles im Überfluß gedeiht, was die Viren brauchen. Wir haben Ärzte, die dafür sorgen können, daß es den Viren wohl ergeht, während wir die Tiere sammeln, mit denen sie zusammenleben können. Du glaubst gar nicht …«

An dieser Stelle handelte der Kopfjäger. Die rechte Hand stach weit zur Seite.

Recs Blick folgte ihr. Die Mündung des Bla­sters schwippte nach oben. Corpkor warf sich nach links. Er prallte gegen die Wand des Korridors und wurde in Recs Richtung

zurückgeschleudert. Der Strahler fauchte. Aber der Punkt, an dem sich eben noch Cor­pkors rechte Hand befunden hatte, war leer. Der Kopfjäger krümmte sich und traf Rec mit der Wucht einer Kanonenkugel gegen den Leib. Rec schrie auf und stürzte hinten­über. Der Strahler wurde ihm aus der Hand geprellt. Corpkor packte den Kommandan­ten bei der Kehle und würgte ihn, bis das Bewußtsein aus ihm gewichen war.

Dann kehrte er zu der Nische zurück, in der er gekauert hatte, als er zu den Bakterien sprach. Wichtiger als alles andere war es jetzt, zu erfahren, wie die Viren darauf rea­gierten, daß er Rec ausgeschaltet hatte. Er schloß die Augen und konzentrierte sich. Als die Impulse der Bakterien in sein Be­wußtsein drangen, spürte er ihre hilflose Verwirrung. Die Virengruppe, die in Recs Körper lebte, hatte nur deswegen die führen­de Rolle übernehmen können, weil sie das Bewußtsein des Kommandanten beherrschte und für ihre Dienste einsetzte. Recs Bewußt­sein aber war ausgeschaltet. Die herrschende Gruppe war, im Augenblick, stumm.

Corpkor erkannte die Möglichkeit, die sich ihm bot. Von neuem strahlte er die Se­rie angenehmer Impulse aus und verflocht mit ihnen Gedanken, wie den Viren zu ange­nehmeren Lebensbedingungen zu verhelfen sei. Seine Mentalimpulse waren von geball­ter Überzeugungskraft. Als er nach mehr als einer Stunde, halb erschöpft, die Strahlung unterbrach, um auf die Reaktion der Viren zu lauschen, empfing er Impulse der Zustim­mung, der Freude, der frohen Erwartung.

Er hatte gewonnen! Wenn es ihm gelang, Recs Bewußtsein eine Zeitlang ausgeschaltet zu halten, würde die Gefahr der Flechtenvi­ren bald gebannt sein.

Er zog die Raummontur zu sich heran und aktivierte den kleinen Sender, der am linken Handgelenk des Anzugs befestigt war.

»Wir machen Fortschritte«, sagte er. »Folgendes muß in aller Eile bereitgestellt werden …«

7.

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30

Corpkors Nachricht beendete für uns eine mehrstündige Periode der Ungewißheit. Bald nachdem der Kopfjäger im Innern der SLUCTOOK verschwunden war, hatten wir die Verbindung mit ihm verloren. Entweder wollte er uns nicht antworten, oder er hatte den Schutzanzug abgelegt. Die Leute, die wir ihm als Begleiter mitgegeben hatten, konnten uns nicht helfen. Corpkor hatte sie fortgeschickt. Er war sehr bestimmt gewe­sen, sagten sie. Sie getrauten sich nicht, sei­nem Befehl zuwiderzuhandeln.

Als Corpkor sich schließlich meldete, er­stattete er nicht etwa Bericht, sondern be­gnügte sich mit der Feststellung, daß er Fort­schritte mache, und gab im übrigen eine Li­ste von Bestellungen auf, die sich gewa­schen hatte. Der wichtigste Punkt war die Bereitstellung eines umfangreichen Volu­mens an Nährflüssigkeit. Die Flüssigkeit sollte in drei Tanks an Bord der SLUC­TOOK gebracht werden. Wir schlossen dar­aus, daß es Corpkor gelungen war, die Bak­terien zu »überreden«, daß sie sich von der Besatzung des Seuchenschiffs zurückzogen.

Angesichts der Lage an Bord der SLUC­TOOK war es für uns nicht mehr nötig, wei­terhin Versteck zu spielen. Ich gab der ISCHTAR Befehl, ihr Versteck zu verlassen und in der Nähe von Samokha zu landen. Auf diese Weise hatten wir alles, was wir brauchten, näher zur Hand.

Die Nährflüssigkeit wurde nach Corpkors Spezifikationen zubereitet und zur SLUC­TOOK gebracht. Corpkor gab uns zu verste­hen, daß die Viren etwa fünf Stunden brau­chen würden, um die Körper zu verlassen und in die Tanks einzuziehen. Bei dieser Ge­legenheit ließ er zum ersten Mal verlauten, daß er die Aufbewahrung der Viren in der Flüssigkeit nur für eine Übergangslösung hielt. Er wollte, so sagte er, Tiere finden, mit denen die Bakterien eine Symbiose eingehen konnten. Das habe er ihnen versprochen.

Als Fartuloon das Wort »versprochen« hörte, bekam er einen Tobsuchtsanfall.

Wir warteten den Ablauf der fünf Stunden mehr oder weniger geduldig ab. Nach knapp

Kurt Mahr

sechs Stunden meldete sich Corpkor wieder. »Die Flechten beginnen zu zerfallen. Die

Evakuierung der Bakterien ist abgeschlos­sen.«

Wir machten uns an die Arbeit. Die Be­satzung der SLUCTOOK mußte in die Kran­kenstation der ISCHTAR gebracht werden. Corpkors Schilderung wies darauf hin, daß die Leute ein paar Tage brauchen würden, um sich von den Folgen des Flechtenbefalls zu erholen. Gegenwärtig waren sie, obwohl die Flechtenseuche aufgehört hatte zu wir­ken, allesamt bewußtlos.

Außerdem hatten wir uns um Rec zu kümmern. Er war der einzige, der uns Schwierigkeiten machen konnte. Es war Corpkor nicht gelungen, Kontakt mit Recs Symbionten aufzunehmen. Sie verhielten sich feindselig. Solange Rec nicht bei Be­wußtsein war, konnten sie wenig ausrichten. Aber wie oft konnten wir Recs Ohnmacht verlängern, ohne ihm bleibenden Schaden zuzufügen? Schließlich galt es, die drei Tanks mit der bakterienbesetzten Nährflüs­sigkeit zu bergen. Sie sollten in einen ent­sprechend präparierten Lagerraum an Bord der ISCHTAR gebracht werden. Fartuloon, der weder Corpkors Künsten noch der Fried­fertigkeit der Viren traute, hatte Vorsorge getroffen, daß kein einziges Bakterium die­sen Raum verlassen konnte. Die drei Tanks würden unter eine energetische Feldglocke zu stehen kommen, die sie hermetisch von der Umwelt abriegelte.

Auf meine Anweisung hin übernahm Kre­ya die Verantwortung für den Abtransport der bewußtlosen SLUCTOOK-Besatzung. Ich ging mit ihr an Bord des Seuchenschiffs.

*

Der Anblick der Kranken war jetzt wo­möglich noch gräßlicher, als ich ihn auf dem Bildschirm gesehen hatte. Die Substanz der Flechten zerfiel rieselnd und knisternd. Eine Staubschicht bildete sich auf den reglosen Körpern.

Corpkor und seine Begleiter hatten sich

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bereits entfernt. Sie hatten Rec mit sich ge­nommen. Ich beobachtete Kreya. Sie nahm das grausige Bild mit mehr Gelassenheit in sich auf, als ich erwartet hatte. Immerhin war sie ein wenig bleich, als sie schließlich aufsah und mich anblickte.

»Schlimmeres habe ich bis jetzt noch nicht gesehen«, bekannte sie.

»Es geht mir nicht anders«, antwortete ich. »Man muß sich Corpkors Idee zu eigen machen, daß jede Darstellungsform der Na­tur, so ungewöhnlich sie auch sein mag, ihre Berechtigung hat.«

Kreya schluckte. »Ich werde daran denken. Ob es mir et­

was nützt, weiß ich nicht.« Die Transportroboter, die Kreya zur Über­

führung der Kranken angefordert hatte, rum­pelten heran. Ich sah mich in der Zwischen­zeit um. Der Kommandostand der SLUC­TOOK interessierte mich. Ich fand Unterla­gen, die besagten, daß das Seuchenschiff zu­letzt auf Singhon eingesetzt war. Singhon war ebenfalls eine Siedlerwelt, jedoch älter und von größerer Bedeutung als Samoc-Ta­bel. Aus den Aufzeichnungen ging nicht hervor, ob die Flechtenviren von Singhon stammten.

Nach einer Weile kehrte ich zum Haupt­gang zurück. Kreya hatte inzwischen Ver­stärkung durch ein paar Leute ihres Zuges erhalten.

»Insgesamt einhundertunddreiundsieb­zig«, sagte sie zu mir. »Das füllt unsere Krankenstation bis an den hintersten Rand.«

Ich nickte ihr zu. Die letzten beiden Mit­glieder der SLUCTOOK-Besatzung wurden soeben abtransportiert. Unten im Schiff wa­ren unsere Reparaturroboter damit beschäf­tigt, die Mannschleuse wieder instand zu setzen und das Leck abzudichten, das Corp­kor in die Schiffshülle hatte schießen lassen. In Kürze würde das Desinfizierungsteam einziehen. Ein paar Stunden später war das Seuchenschiff vollständig wiederhergestellt.

Trotz aller Schwierigkeiten konnten wir mit unserem Erfolg zufrieden sein. Wir hat­ten ein Raumschiff erbeutet, mit dem wir ei­

ne Mannschaft in Dubnayor absetzen konn­ten, ohne daß jemand Verdacht schöpfen würde.

Ich bestieg den Gleiter und kehrte an Bord der ISCHTAR zurück. Der Regen hat­te aufgehört. Bisweilen riß die Wolkendecke einen Fingerbreit auf und ließ einen der vie­len Sterne des Dashkon-Sektors zu uns hera­blugen. Ich fühlte, wie die Aufregung, die mich während der vergangenen Stunden festgehalten hatte, allmählich nachließ. Die Gefahr war vorüber. Wir konnten aufatmen.

Im Kommandostand der ISCHTAR war Fartuloon am Werk. Der Alte war unermüd­lich. Es mußte mehr als vierzig Stunden her sein, seit er zum letzten Mal ein Auge zuge­tan hatte. Er errechnete den Kurs unserer beiden Schiffe für den Rückflug nach Krau­mon. Selbstverständlich durfte die SLUC­TOOK niemals in Begleitung eines anderen Fahrzeugs gesehen werden. Seuchenschiffe bewegten sich grundsätzlich alleine.

»Es ist alles vorbereitet«, knurrte der Bauchaufschneider mich an, als er mich ge­wahrte. »Die Suppe für die Siedler ist bereits gekocht. Sie werden sich daran erinnern, daß sie alle plötzlich verdächtige Ausschläge hatten, daß sie die Seuchenkontrolle anriefen und von der SLUCTOOK innerhalb kürze­ster Zeit umfassende Hilfe erhielten.«

Ich wußte, daß sein Empfinden der Be­wußtseinspfropfung gegenüber weniger bur­schikos war als seine Rede. Auch er – oder vielmehr besonders er, da er Arzt war – haß­te, was wir zu tun hatten. Er empfand wie ich, daß wir den Siedlern mit der Erinnerung an die wahren Vorgänge der letzten Tage ein Stück ihres Lebens nahmen.

Es gab nicht viel, was wir zu unserer Ent­schuldigung vorbringen konnten. Nur dieses eine: Es blieb uns kein anderer Weg.

Während aber Fartuloon und ich im ver­lassenen Kommandostand der ISCHTAR in Gedanken schon das Unternehmen Samoc-Tabel abschlossen und uns auf den nächsten Schritt vorbereiteten, geschahen im Innern des großen Schiffes Dinge, die uns zunächst unbekannt blieben.

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32

*

Auf dem Weg zu ihrem Quartier begegne­te Kreya dem buckligen Alten, vor dem sie seit ihrer ersten Begegnung am Damm im Unterland noch immer eine Art mißtraui­schen Respekt hatte. Morihethan wich zur Seite aus, um ihr Platz zu machen, blieb ste­hen und neigte den weißhaarigen Kopf.

»Fürwahr, die Nächte sind selten, in deren Mitte die Sonne aufgeht«, sagte er. »Du bist wie die Sonne, meine Tochter. Wußtest du das?«

Kreya war auf der Hut. »Ich verstehe deine Sprache nicht, alter

Mann«, antwortete sie. »Du redest so ge­schraubt daher, daß ich meine, du wolltest mir etwas vormachen.«

Morihethan hatte längst erkannt, wes Gei­stes Kind die junge Frau war: intelligent und aufgeweckt, aber ohne nennenswertes Wis­sen. Ihre halb zurückhaltende, halb mißtraui­sche Antwort verstimmte ihn nicht.

»Ah!« sagte er. »Du kennst nicht die Sprache der Gleichnisse, die die Philoso­phen gebrauchen. Ich will einfacher mit dir sprechen. Weißt du, wie die Frauen von Sa­moc-Tabel aussehen?«

»Nein«, antwortete Kreya verblüfft. »Dann will ich sie dir beschreiben. Sie ha­

ben Muskeln – so!« Er machte bezeichnende Gesten rings um den rechten Oberarm. »Sie haben Beine – so!« Er beugte sich vornüber und deutete Beine an, die den Umfang einer mittleren Säule hatten. »Von ihren Augen­brauen trieft der Regen. Das Haar haben sie geschoren, weil sie der Nässe überdrüssig sind. Die Brüste und überhaupt den ganzen Körper haben sie mit Fettzeug umhüllt, und das nasse Brot, das wir essen, hat ihre Zähne gelblich und braun gemacht.«

Er sprach mit solchem Eifer, daß Kreya unwillkürlich zu lachen anfing.

»Ist es so schlimm?« fragte sie. »Glaube mir, meine Tochter, es ist

schlimm«, antwortete der Philosoph im Brustton der Überzeugung.

Kurt Mahr

Er verneigte sich nochmals, dann schickte er sich an weiterzugehen.

»Ich will dich nicht weiter belästigen. Der Segen der Götter sei auf deinem Weg. Aber hüte dich vor dem Eber, der durch die Nacht schleicht, um die Unschuld in Gefahr zu bringen!«

Kreya runzelte die Stirn. »Was heißt das jetzt schon wieder?« »Wem anders als dir sollte der Fremde

auf der Spur sein?« »Welcher Fremde?« Morihethan machte die Geste des Nicht­

wissens. »Kennt der Regen den Stein, auf den er

fällt? Soll ich jedermann an Bord dieses Rie­senschiffs kennen? Er war groß und statt­lich, und auf der Haut trug er häßliche Din­ge.«

Er schlurfte davon. Kreya sah ihm eine Zeitlang nach. Dann aber ging sie weiter. Der Alte hatte sie schon einmal in arge Ver­wirrung gestürzt. Der beste Weg, sich davor zu hüten, war, seine Worte nicht allzu ernst zu nehmen.

*

Als draußen der Morgen zu dämmern be­gann, kam Corpkor in den Kommandoraum.

»Wir haben Rec mit seinen Viren unter Kontrolle«, erklärte er. »Die Bakterien sind mit unseren Bedingungen einverstanden. Sie gehen in den Behälter mit Nährflüssigkeit.«

Die Müdigkeit ließ mir kaum mehr Platz für Erleichterung. Dennoch begriff ich, daß Corpkor einen weiteren, wesentlichen Erfolg errungen hatte.

»Du hast viel für uns getan«, sagte ich zu ihm.

Er hörte mich kaum. »Was geschieht mit den Leuten?« fragte

er. »Einhundertunddreiundsiebzig Mann. Bekommen sie auch eine Pseudo-Erin­nerung?«

»Das wäre zuviel verlangt«, antwortete Fartuloon an meiner Stelle. »Von allen Din­gen deswegen, weil wir ihnen nicht nur ein

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33 Das Seuchenschiff

paar Tage, sondern gleich ein ganzes Leben falscher Erinnerung einpflanzen müßten.«

»Was also dann?« verlangte Corpkor un­geduldig zu wissen.

»Wir müssen sie mit nach Kraumon neh­men. Wir werden sie scharf beobachten und den, der der Behandlung bedarf, behandeln.«

Ich hörte dem Gespräch mehr oder weni­ger teilnahmslos zu. Irgendwo in meinem Bewußtsein pochte etwas.

»Das erfordert Aufwand«, gab Corpkor dem Alten zu bedenken.

»Ich weiß es. Hast du eine bessere Idee?« »Wir könnten sie einfach hierlassen«,

schlug Corpkor vor. »Wir geben ihnen die­selbe Behandlung wie den Siedlern. Bevor sie zum Nachdenken kommen und Verdacht schöpfen, sind die KAYMUURTES längst vorüber.«

Fartuloon nickte grimmig. Er wollte zei­gen, daß er nichts anderes erwartet hatte.

»Dich möchte ich gerne als den Pläne­schmieder meines ärgsten Feindes beschäfti­gen«, knurrte er. »Dann wäre ich des leich­ten Spiels wenigstens sicher!«

Das Pochen in meinem Bewußtsein wurde mit einemmal klar und deutlich.

»Sagtest du einhundertdreiundsiebzig?« fragte ich den Kopfjäger.

Die Zurechtweisung durch Fartuloon hatte seinen Zorn erregt.

»Ja, das sagte ich«, antwortete er mür­risch.

»Ohne Rec, nicht wahr?« »Nein, mit Rec! Die gesamte Besatzung

der SLUCTOOK macht einhundertunddrei-undsiebzig Mann aus.«

Fartuloon war aufmerksam geworden. Er spürte es, wenn etwas nicht stimmte.

»Warum?« fragte er mich. »Weißt du eine andere Zahl?«

»Kreya sagte, die Roboter hätten einhun­dertdreiundsiebzig Kranke aus der SLUC­TOOK transportiert. Da war aber Rec schon längst an Bord der ISCHTAR.«

»Sie kann sich verzählt haben.« »Möglich. Aber ich hätte es gerne genau

gewußt.«

Fartuloon wählte Kreyas Rufkode. Kreya hatte geschlafen. Sie wollte sich über die Störung beschweren. Aber vor Fartuloon hatte sie eine Menge Respekt.

»Ich weiß, es gibt einen guten Grund da­für, daß du mich aus dem Schlaf weckst«, sagte sie halbwegs versöhnlich.

»Du hast einhundertdreiundsiebzig Mann aus der SLUCTOOK bringen lassen?« fragte der Alte.

»Ja.« »Es gibt da eine Unklarheit bezüglich der

genauen Zahl«, sagte Fartuloon. Kreya war jetzt hellwach. »Ich komme«, kündigte sie an.

*

Kreya selbst hatte die Zählung nicht vor­genommen.

»Valepp und Ungash aus meiner Gruppe haben gezählt«, erklärte sie. Fartuloon machte keinen Hehl daraus, daß er äußerst unzufrieden war. Kreya war entgegen ihrer sonstigen Art zurückhaltend und fast verle­gen. Der Befehl über den Zug war das erste reguläre Kommando, das man ihr gegeben hatte. Es bedrückte sie, daß sie gleich bei den ersten Einsätzen Fehler begangen hatte.

Wir sprachen mit Valepp und Ungash. »Ich habe bis fünfundneunzig gezählt und

dann an Valepp übergeben, weil ich einen Transport zur ISCHTAR begleitete«, erklär­te Ungash.

»Das waren vierundneunzig!« behauptete Valepp.

»Fünfundneunzig!« »Kann es sein, daß einer von euch beiden

Mathematikexperten den Kommandanten Rec in Gedanken dazugezählt hat?« fragte Fartuloon sarkastisch.

»Das muß es sein«, rief Valepp voller Ei­fer. »Denn Ungash hat mir nur vierundneun­zig angegeben. Wenn er jetzt meint …«

Fartuloon winkte ab. »Schlaft weiter!« trug er den beiden auf. Kreya wirkte äußerst bedrückt. »Es tut mir leid, daß ich nicht besser auf­

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gepaßt habe«, sagte sie und starrte dabei auf den Boden. »Vielleicht kann ich meinen Fehler wiedergutmachen.«

Zwei Dinge waren es, auf die Fartuloon in erster Linie reagierte: Bescheidenheit und die Schönheit einer jungen Frau. Trafen obendrein noch beide zusammen, dann wur­de er weich wie Butter in der Sonne.

Er berührte Kreya an der Schulter und sagte:

»Mach dir keine Sorgen, Mädchen. Es wird schon alles seine Ordnung haben.«

Soviel Sanftheit in seiner Stimme hörte man selten. Kreya antwortete mit einem matten, schüchternen Lächeln. Dann wandte sie sich ab und schritt zum Ausgang.

»Der Eber«, hörte ich sie murmeln. Es schien mir eine merkwürdige Äuße­

rung zu sein. Aber ich schenkte ihr keine weitere Beachtung.

»Wir lassen die Leute in der Krankenstati­on nochmals zählen«, schlug Fartuloon vor, »und dann gehen wir die Mannschaftsliste der SLUCTOOK durch. Auf diese Weise gewinnen wir Klarheit.«

Er gab die entsprechenden Anweisungen. Die Überprüfung besonders der Mann­schaftsliste würde ein paar Stunden dauern, die ich zu nutzen gedachte, um einen Teil meiner Müdigkeit loszuwerden. Als ich mit­ten am Vormittag wieder im Kommando­stand erschien, war Fartuloon noch immer an der Arbeit. Er wirkte grimmig.

»Die SLUCTOOK hat keine Mann­schaftsliste«, knurrte er, als er mich sah.

»Hast du daran gedacht, Rec zu fragen?« »Weder Rec noch einer seiner Leute ist

vernehmungsfähig.« »Dann müssen wir warten, bis sie soweit

sind«, antwortete ich. Vier Stunden Schlaf hatten mir gutgetan.

Die Sache mit der Zählung erschien mir nur noch halb so wichtig. Irgendwie mußten Va­lepp und Ungash sich falsch miteinander ab­gestimmt haben. Denn wie hätte sich einer der bewußtlosen Kranken von den andern entfernen sollen? Sie waren so schwach, daß sie durch Injektionen ernährt werden muß-

Kurt Mahr

ten. Es gab, Rec eingerechnet, einhundert­dreiundsiebzig Besatzungsmitglieder der SLUCTOOK, die jetzt in der Krankenstation der ISCHTAR lagen. Mehr hatte es nie ge­geben.

Ich riet dem Alten, sich ein paar Stunden zur Ruhe zu legen. Nach kurzem Drängen nahm er meinen Vorschlag an.

*

Wir hatten den Siedlern an Bord der ISCHTAR Quartiere zugewiesen und ihnen zugestanden, daß sie sich frei bewegen konnten, solange sie den kritischen Räumen fernblieben. Die Siedler wußten bislang im­mer noch nicht, welche Absicht wir auf Sa­moc-Tabel verfolgten. Ich hatte sie, jedes­mal wenn Ashkor Taheel mir eine Abord­nung mit eben dieser Frage sandte, auf spä­ter vertröstet.

Noch in der Zeit der Morgendämmerung, als ich schlief, hatte Kreya die Quartiere der Siedler aufgesucht. Einige von ihnen hielten sich in einem Gemeinschaftsraum auf. Die Leute sahen auf, als Kreya eintrat. Sie wußte inzwischen, daß der Alte mit dem hohen Wuchs und den breiten Schultern Ashkor Taheel war, der Anführer der Siedler. Sie hatte ihn zum ersten Mal beim Damm im Unterland gesehen, wo ihr Zug angriff.

Taheel kam ihr ein paar Schritte entgegen. Seine großen Augen blickten ernst.

»Du hast dich verlaufen«, sagte er. »Ich suche den kleinen alten Mann«, wi­

dersprach Kreya. »Den Philosophen? Er findet keine Rast

und keine Ruhe und wandert im Schiff um­her. Niemand weiß, wo er ist.«

Kreya wollte sich abwenden. Aber Ash­kor Taheel faßte sie am Arm und hielt sie zurück.

»Warum suchst du ihn?« wollte er wissen. »Ich will ihn etwas fragen.« »Das ist gut. Wir wollen dich auch etwas

fragen. Wir sind freie Siedler. Warum wer­den wir hier festgehalten?«

Kreya entwand sich seinem Griff.

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35 Das Seuchenschiff

»Diese Frage mußt du an Atlan richten.« »Du verstehst mich falsch, Mädchen«,

sagte Taheel. »Wir sind Siedler. Unsere Loyalität gilt Arkon, nicht diesem oder je­nem Imperator. Viele von uns haben die Heimat verlassen, weil wir die Nähe des Ty­rannen Orbanaschol nicht länger ertragen wollten. Unsere Herzen sind Atlan, dem Kri­stallprinzen, dem Sohn des großen Gonozal, weit geöffnet. Deswegen wollen wir wissen: Warum werden wir hier als Gefangene ge­halten?«

Kreya sah ihn an. »Zum Wohle Arkons«, antwortete sie

ernst. Es wäre ihr schwergefallen, Ashkor Ta-

heels nächste Frage zu beantworten. Glück­licherweise wurde sie dieser Notwendigkeit enthoben. Morihetans gekrümmte Gestalt er­schien unter dem offenen Eingang.

»Der Wind kommt und geht, wie es ihm gefällt«, sagte er. »So komme und gehe auch ich … Ashkor, was hast du mit dem Mäd­chen vor?«

»Sie sucht nach dir«, antwortete Ashkor Taheel.

»Nach mir oder dem Eber?« feixte der Al­te.

»Nach dir zuerst und dann nach dem Eber«, antwortete Kreya ernst. Das Grinsen verschwand von Morihethans Gesicht.

»Ich sehe, du meinst es ernst, meine Tochter«, murmelte er.

8.

An Morihethans Seite verließ Kreya den Gemeinschaftsraum.

»Was war das für ein Mann?« wollte sie wissen. »Gehörte er zu uns oder zur Besat­zung der SLUCTOOK?«

Morihethan musterte sie verwundert. »Wie soll ich das wissen, meine Tochter?

Worin unterscheiden sich die beiden?« »Du sagtest, er trug häßliche Dinge auf

der Haut. Solche?« Sie streifte den rechten Ärmel ihrer Mon­

tur zurück und zeigte dem Alten den Aus­

schlag, den Corpkors Tinktur erzeugt hatte. Morihethan machte die Geste der Vernei­

nung. »Nein, nicht solche. Er trug sie im Ge­

sicht. Sie sahen aus, als wüchsen sie aus ihm heraus.«

»Flechten?« »Ja, so könnte man sie nennen.« Kreya zwang sich zur Ruhe. Sie brauchte

Morihethans Hilfe. Aber wenn sie zu unge­stüm vorging, dann würde der Philosoph Fragen stellen, die sie ihm nicht beantworten durfte.

»Der Mann muß gefunden werden«, sagte sie bestimmt. »Er trägt eine ansteckende Krankheit mit sich. Er braucht ganz drin­gend ärztliche Behandlung. Wo hast du ihn gesehen?«

»Ein paar Decks tiefer«, antwortete Mori­hethan. »Ich kann dir den Ort nicht nennen, weil ich mich in euren Raumschiffen nicht auskenne. Aber ich kann ihn dir zeigen.«

»Zeig ihn mir!« bat Kreya. Unterwegs fragte sie: »Warum nennst du ihn den Eber?« »Weil er war wie der Eber: kräftig,

schnell und nur auf ein Ziel aus!« »Sah er dich?« »Ich glaube nicht.« Morihethan dachte ei­

ne Zeitlang nach. Dann fügte er hinzu: »Ich meine, ich hätte es gemerkt, wenn ich ihm aufgefallen wäre.«

»Wie meinst du das?« »Irgendwie machte er auf mich den Ein­

druck eines Mannes, dem es nicht recht ist, wenn man ihn beobachtet. Wie einer, der auf unrechten Pfaden wandelt, verstehst du mich?«

Kreya machte nur die Geste der Zustim­mung. Aber damit war der Philosoph nicht zufrieden.

»Deswegen suchst du ihn doch – oder?« fragte er.

»Ich? Ihn suchen?« machte Kreya ver­wundert. »Wie kommst du darauf?«

Morihethan gab ein meckerndes Lachen von sich.

»Wie kommt der Hahn darauf, daß es

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Morgen ist? Er öffnet die Augen und sieht die Röte der Sonne am Horizont. So einfach, meine Tochter! Außerdem hast du es vorhin selbst zugegeben.«

Kreya erkannte, daß der Alte sie überrum­pelt hatte. Er war ein gefährlicher Mensch. Indem er sich ein wenig verschroben und lä­cherlich gab, lähmte er die Wachsamkeit seines Gegenübers. Wer sich mit Morihe­than in Diskussionen einließ, der mußte ständig auf der Hut sein.

»Ja, ich suche ihn«, bekannte Kreya. »Er ist einer der Kranken von der SLUCTOOK. Wir wissen nicht, wie es ihm gelungen ist, aus dem Krankenquartier zu entkommen. Auf jeden Fall ist er ein Bakterienträger und bedarf unbedingt der Behandlung.«

Damit gab sich Morihethan – wenigstens vorerst – zufrieden. Sie glitten nebeneinan­der durch einen Antigravschacht. Der Philo­soph bewegte sich mit einer Geschicklich­keit, als hätte er den größten Teil seines Le­bens an Bord von Raumschiffen verbracht.

Auf einem der unteren Decks schwang er sich aus dem Schacht. Er deutete in den Gang hinein, der radial vom Mittelschacht zur Peripherie des Schiffes führte.

»Dort vorne habe ich ihn gesehen«, sagte er.

Kreya erkannte, daß sie sich auf einem der Aggregatedecks befanden.

*

Corpkor hatte den Kommandostand nur für kurze Zeit verlassen. Als er zurückkehr­te, war er in eine flugfähige Montur geklei­det und mit zuverlässigen Waffen ausgerü­stet.

»Ich gehe auf die Suche nach Tieren, mit denen die Bakterien zusammenleben kön­nen«, erklärte er.

»Bleib auf Funkkontakt!« riet ich ihm. »Es kann sein, daß wir überstürzt starten müssen.«

»Ich werde mich alle Stunde einmal mel­den«, versprach er. »Das sollte genügen.«

Er wollte gehen; aber ich hielt ihn zurück.

Kurt Mahr

»Was du tust, wird manchem von uns un­verständlich erscheinen, Corpkor«, sagte ich so, daß er den Ernst nicht gut überhören konnte.

»Wie meinst du das?« »Die meisten Leute an Bord der ISCHT­

AR halten die Flechtenviren für gefährlich. Für so gefährlich, daß wir die Siedler auf Samoc-Tabel vor ihnen bewahren sollten.«

»Die Siedler werden nichts mit ihnen zu tun haben«, hielt mir der Kopfjäger grimmig entgegen. »Die Viren bekommen ihre Tiere, und damit ist die Gefahr gebannt.«

»Sagst du! Hast du die Szene auf der SLUCTOOK gesehen?«

»Du fragst Überflüssiges.« »Wir wissen, daß die Leute über eine Wo­

che lang unter dem Flechtenteppich gelegen haben. Sie müßten Hungers gestorben sein. Warum sind sie es nicht?«

»Weil die Viren sie mit den nötigen Nähr­stoffen versorgten.«

»Aus der Luft?« Er machte eine wegwerfende Geste. »Warum nicht aus der Luft?« »Weil die Luft nicht die Nährstoffe ent­

hält, die der Mensch zum Überleben braucht.«

Da begriff er, daß ich etwas Wichtiges zu sagen hatte.

»Wie also sonst?« fragte er wißbegierig. »Wir wissen es noch nicht. Die Ärzte sind

noch an der Arbeit. Aber es gibt eine Erklä­rung, die auf der Hand liegt, nicht wahr?«

»Welche?« »Die Menschen ernährten sich von der ei­

genen Substanz. Die Viren veränderten ihren Metabolismus derart, daß sie sich allmählich selbst auffraßen!«

»Das ist undenkbar!«, protestierte Corp­kor. »Die Viren sehnten sich nach der Nähe der Menschen. Warum sollten sie veranlas­sen, daß sie sich selbst zerstören?«

»Du begehst einen weiteren Fehler«, hielt ich ihm vor. »Vergiß nicht, daß du über Vi­ren sprichst. Viren besitzen keine Intelli­genz, nicht einmal eine Spur davon. Wie könnten sie die Folgen ihres Tuns erken­

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nen?« Er schwieg eine Zeitlang. Er dachte nach.

Dann sagte er: »Als Gemeinschaft haben sie eine gewis­

se Intelligenz. Ich werde ihnen klarmachen, daß sie die Wesen, mit denen sie zusammen­leben, nicht zur Untätigkeit verdammen dür­fen. Die Symbionten müssen in der Lage sein, aus eigener Kraft auf Nahrungssuche auszugehen. Damit wird verhindert, daß sie sich selbst auszehren.«

»Du magst es versuchen«, antwortete ich. »Du könntest vielleicht sogar mich überzeu­gen, daß es dir gelungen ist. Ob du es ande­ren einreden kannst, bleibt dahingestellt. Die meisten betrachten, wie ich schon sagte, die Bakterien als gefährlich und sind dafür, daß sie vernichtet werden.«

Er blickte finster zu Boden. »Es soll mir niemand von denen, die du

die meisten nennst, in die Quere kommen«, knurrte er. »Ich habe ein Versprechen gege­ben, und Versprechen halte ich.«

»Corpkor!« rief ich. Der kantige Schädel ruckte in die Höhe.

Unter buschigen Augenbrauen hervor starrte mich der Kopfjäger verwundert an.

»Weißt du, was du sagst?« fuhr ich ihn an. »Du hast einem Stamm von Bakterien ein Versprechen gegeben!«

Da wandte er sich mit einem fast bösarti­gen Laut ab und verließ den Kommando­stand. Ich ließ ihn gehen. Corpkor war ein Mensch eigener Art. Wenn man ihm Zeit zum Nachdenken ließ, würde er beizeiten wieder von selbst zu Sinnen kommen.

*

Kamarthon Yoren hatte seine Wahl ge­troffen.

Zwei Möglichkeiten standen ihm offen. Er konnte sich unter den Kranken aufhalten, wie er es bisher getan hatte, die Dinge, die zu tun waren, in aller Eile ausführen und je­weils danach wieder ins Krankenquartier zu­rückkehren. Oder er konnte sich von den Kranken absondern, in den Tiefen des

großen Raumschiffs verschwinden und sei­ner Aufgabe in Ruhe nachgehen.

Er hatte sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Bestärkt bei diesem Entschluß hatte ihn der Dilettantismus, mit dem die beiden Männer, die für den Abtransport der Kranken verantwortlich waren, beim Zählen vorgingen. Falls der Verdacht, daß einer der Kranken verschwunden sei, überhaupt je­mals auftauchte, würde es – aus menschli­cher Sicht – so gut wie unmöglich sein, dies anhand der Zahlen zu beweisen.

Die Flechten, die er am Leib trug, zerfie­len nicht wie die der anderen. Sie waren im Aussehen gleich, aber in der Struktur Er­zeugnisse seiner umfassenden Untersuchun­gen. Es waren kristalline Gebilde, die die Fähigkeit besaßen, Aufträge entgegenzuneh­men und sie auszuführen.

Es drängte Kamarthon Yoren, die Flech­ten einzusetzen. Die Aufgabe, die er ihnen einprogrammiert hatte, war kompliziert. Zu ihrer Bewältigung würden sie einige Zeit brauchen. Es gab ein gewisses, nicht ver­nachlässigbares Risiko, daß die Herren des großen Raumschiffs erkennen würden, daß da irgendwo etwas nicht in Ordnung war. Kamarthon würde sich also in Sicherheit bringen, während die Flechten am Werk wa­ren.

Er entfernte sich von dem Krankentrans­port, als sich ihm die erste günstige Gele­genheit bot. Das Durcheinander an Bord des großen Raumschiffs, das sie die ISCHTAR nannten, war so groß, daß niemand bemerk­te, wie er sich davonschlich. Er wandte sich unmittelbar in Richtung der unteren Decks – nicht nur, weil sich dort befand, was er such­te, sondern auch, weil auf arkonidischen Raumschiffen die unteren Decks üblicher­weise den Lager- und Aggregateräumen vor­behalten und daher menschenleer waren.

Nichtsdestoweniger wurde er gesehen. Der kleine, verkrümmte alte Mann entging ihm nicht, obwohl er so tat, als hätte er ihn nicht bemerkt. In Sekundenbruchteilen fer­tigte er eine Charakteranalyse des Alten an und kam zu dem Schluß, daß dieser die Sa­

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che nicht auf sich beruhen lassen würde. Die Neugierde würde ihn zur Rückkehr veran­lassen. Dann war es Zeit, dafür zu sorgen, daß er keine Schwierigkeiten machen konn­te.

Auf diese Rückkehr jedoch mußte er war­ten. Vorher durfte er nichts unternehmen. Er brauchte also Geduld. Aber das war kein Problem. Die Fähigkeit des Abwartens war seine zweite Natur.

*

Uzinador suchte mich im Kommando­stand der ISCHTAR auf.

Der Bordarzt des Schiffes war ein kleiner, stämmiger Mann mit mürrischem Gesicht und großer Fachkenntnis. Seine Mürrisch­keit war auf dieser Expedition wahrschein­lich zum Teil dem Umstand zuzuschreiben, daß sich Fartuloon an Bord befand und Uzi­nador meinte, hinter dem großen Bauchauf­schneider nur die zweite Rolle zu spielen.

Er suchte sich einen Sessel und setzte sich, ohne daß ich ihn dazu aufgefordert hat­te. Das war seine Art. Von Autorität hielt er nur solange etwas, als er selbst ihr Träger war.

»Das ist ein ganz ungewöhnliches Zeug«, eröffnete er die Unterhaltung.

Auch das war typisch für ihn. Er setzte bei seinen Zuhörern voraus, daß sie automa­tisch wüßten, womit er sich in Gedanken be­schäftigt hatte.

»Was, Uzinador?« fragte ich. »Die Flechten, die aus den Körpern der

Kranken wuchsen. Sie zerfielen zu Staub. Den Staub habe ich untersucht. Und er hat merkwürdige Eigenschaften.«

»Zum Beispiel welche?« »Er kann Informationen speichern. Ich ha­

be den Staub über ein Stück synthetischen Gewebes verteilt. Dann besorgte ich mir ei­ne geringe Menge von Nährflüssigkeit, in der Corpkor die Bakterien aufbewahrt. Diese Flüssigkeit goß ich über den Staub auf dem Gewebe. Alsbald bildeten sich von neuem Flechten. Ich machte Aufnahmen davon und

Kurt Mahr

studierte die Form der Flechten. Dann tötete ich die Bakterien ab. Die Flechten zerfielen von neuem zu Staub. Ich wiederholte das Experiment. Staub auf synthetisches Gewe­be, Tropfen der Nährflüssigkeit auf den Staub. Es bildeten sich wiederum Flechten.«

Er hielt inne und sah mich an. Ich wußte, daß die Enthüllung unmittelbar bevorstand.

»Und …?« fragte ich. »Die Flechten nahmen dieselbe Form an

wie zuvor. Die Information über ihr Ausse­hen ist in den Staubmolekülen gespeichert und kommt zur Geltung, sobald die Flechten wieder zum Leben erweckt werden!«

Die Begeisterung des Wissenschaftlers sprach aus ihm. Mir kam das Ganze zwar bemerkenswert vor, aber die Sensation, über die sich Uzinador ereiferte, konnte ich nicht eindeutig erkennen. War es nicht sogar üb­lich, daß sich organische Strukturen ihrer äußeren Form erinnerten? Ich fragte danach.

»Nicht in diesem Sinne«, antwortete Uzi­nador. »Nimm einen Zweig und verbrenne ihn. Kann sich die Asche daran erinnern, wie der Zweig ausgesehen hat? Er kann es nicht. Aber der Staub, zu dem die Flechten verfallen, besitzt diese Erinnerung.«

»Etwas ganz und gar Ungewöhnliches al­so«, sagte ich, um zu zeigen, daß auch ich beeindruckt war.

»Ungewöhnlich – und gefährlich«, ant­wortete Uzinador.

»Wieso gefährlich?« »Man könnte diese Flechten programmie­

ren. Anstelle der Erinnerung an ihre Form könnte man ihnen andere Informationen ein­geben. Man könnte sie dazu herrichten, be­stimmte Dinge zu tun. Und so wie die Welt heutzutage beschaffen ist, voller Neid und Intrige, wird sich gewiß jemand finden, der das tut.«

Uzinadors Bemerkungen über die Ver­derbtheit der Welt durften in keiner Unter­haltung fehlen. Aber er hatte recht. Die von Corpkors Viren erzeugten Flechten stellten in der Tat eine potentielle Gefahr dar. Die Chancen, daß Corpkor mit seinen bakterien­freundlichen Ansichten durchdringen würde,

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wurden immer geringer. Der Gedanke an Corpkor brachte mich

auf eine andere Idee. »Uzinador – wie haben die Kranken die

Zeit ohne Nahrung überlebt? Warum sind sie nicht verhungert?«

»Weil die Viren an ihrer Körpersubstanz zehrten und sie in Nährstoffe verwandelten«, antwortete der Arzt impulsiv.

»Die Kranken fraßen sich also selbst auf?«

»Ja. Die Viren wirkten als Katalysator.« Meine Theorie war also bestätigt. Die Vi­

ren, von denen der Kopfjäger sprach, als wä­ren es seine persönlichen Freunde, waren heimtückische Mörder. Ich ahnte mit Sorge, daß es mich Mühe kosten würde, Corpkor davon zu überzeugen.

*

»Warte, Mädchen«, sagte Morihethan. »Er könnte dort hineingegangen sein!«

Er wies in einen schmalen Stollen, der zu einem Leitungsschacht führte.

»Was hätte er dort gewollt?« fragte Kreya verwundert.

»Wir werden es gleich sehen«, antwortete der Alte und zwängte sich in den Stollen hinein.

Der Stollen war unbeleuchtet. Kreya ver­lor den Philosophen bald aus den Augen. Sie hörte noch eine Zeitlang, wie seine Kleidung an der Wand entlangschabte, dann wurde es ruhig. Kreya kauerte sich auf den Boden und wartete. Ihre Gedanken waren auf Kraumon. Sie freute sich auf die Rückkehr. Sie hatte ein unstetes, meist gehetztes Leben geführt. Ihr ganzes Dasein hatte bisher aus Aufleh­nung gegen die herrschenden Zustände be­standen. Auf Kraumon war sie unter Revo­lutionären, unter Gleichgesinnten, wenn man so wollte. Sie fühlte sich dort wohl.

Als sie aus ihren Gedanken auffuhr und auf die Uhr blickte, waren fast fünfzehn Mi­nuten vergangen, seit Morihethan sich ent­fernt hatte. Sie wußte, daß der Stollen nicht länger als zwölf, vielleicht dreizehn Meter

war. Der Leitungsschacht führte senkrecht am Stollenende vorbei. Kreya glaubte nicht, daß der Philosoph sich in den Schacht hin­eingewagt hatte. Wo blieb er also?

Sie rief seinen Namen. Es gab keine Ant­wort. Besorgt zwängte sie sich in den Stol­len hinein. Es wurde dunkel, aber ein wenig Licht fiel noch immer vom Gang aus herein. Sie gewahrte undeutlich einen Umriß am Boden. Sie beugte sich nieder und ertastete die Form einer menschlichen Gestalt. Sie legte sich nieder und schob sich näher heran.

Da sah sie, daß das matte Blinken, das sie bemerkt hatte, Morihethans Augen waren, die sie blicklos anstarrten.

Mit einem entsetzten Schrei fuhr sie in die Höhe. Nur einen Atemzug lang empfand sie das Grauen, dann gewann der Zorn die Oberhand. Sie kletterte über den reglosen Körper des Alten hinweg und erreichte nach wenigen Schritten den Schacht. Er war nur zur Hälfte mit Kabelbündeln erfüllt. Einer, der geschickt genug war, konnte hier leicht auf und ab turnen. Diesen Weg mußte der Unbekannte genommen haben.

Kreya kehrte zu Morihethan zurück. Sie untersuchte seinen Puls und stellte zu ihrer unsäglichen Erleichterung fest, daß der Alte noch lebte. Er hatte eine schwere Stirnwun­de. Der Fremde hatte ihn töten wollen. Viel­leicht war es die Enge des Stollens, die sei­nem Schlag soviel Wucht genommen hatte, daß Morihethan eben noch mit dem Leben davongekommen war.

Die junge Frau bewegte sich mit erstaun­licher Geschwindigkeit. Sie kehrte zum Hauptgang zurück und rief von der ersten Sprechstation die Krankenabteilung an. Sie gab eine kurze Beschreibung ihres Standorts und befahl, daß sich sofort jemand um Mori­hethan kümmere. Wenige Minuten später war eine Gruppe von drei Sanitätern zur Stelle. Kreya übergab den Philosophen in ih­re Obhut. Dann machte sie sich auf den Weg zum Kommandostand.

*

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Vor dem Abflug hatten wir mit Kraumon verabredet, daß wir ein Signal geben wür­den, sobald das Seuchenschiff in unserer Hand war. Ich hielt das Unternehmen SLUCTOOK für so gut wie abgeschlossen. Es konnte nicht schaden, wenn ich das Si­gnal jetzt gab.

Ich setzte mich an die Konsole des Kom­munikationsoffiziers. Die Schaltungen, die benötigt wurden, um den Hypersender in Betrieb zu nehmen, waren mir geläufig. Ich drückte eine Taste nach der anderen und sah die Prüflampen in der gewohnten Reihenfol­ge aufleuchten.

Aber dann kam die Überraschung. Nach dem Druck der letzten Taste hätte ein grünes Signal aufflammen sollen. Statt dessen be­kam ich ein grellrotes Blinken, und eine Leuchtschrift auf dem Bildschirm besagte, daß das Sendeaggregat gesperrt sei.

Nun war ich eben doch kein voll ausgebil­deter Kommunikationsoffizier und meiner Sache daher nicht absolut sicher. Also be­gann ich von neuem. Die Prüflampen leuch­teten wieder auf, und als ich die letzte, ent­scheidende Schaltung vornahm, erschien das rote Blinken.

Ich überlegte. Außer von dieser Konsole aus konnte der Hypersender nur von meinem und Fartuloons Arbeitsraum in Betrieb ge­nommen werden. Meinen Arbeitsraum hatte ich, als ich ihn verließ, derart gesichert, daß ihn niemand ohne meine Erlaubnis betreten konnte. Erlaubnis aber hatte ich niemand ge­geben. Blieb nur noch Fartuloon. Den alten Bauchaufschneider wähnte ich gegenwärtig in seinem Bett. Aber es mochte sein, daß er seine Ansicht geändert hatte.

Ich rief Fartuloon an. Nach etwa einem Dutzend Rufzeichen leuchtete der Empfän­ger auf, und das mürrische Gesicht des Alten erschien auf der Bildfläche.

»Ich pflege der Ruhe!« knurrte er mich an.

»Das ist gut«, antwortete ich. »Damit steht jedenfalls fest, daß nicht du es bist, der den Sender mit Beschlag belegt.«

Das machte ihn wach.

Kurt Mahr

»Den Hypersender?« »Ja.« Er hatte eine andere Art zu denken als ich.

Manchmal war er mir unheimlich. Er stellte keine Fragen, bedurfte keiner Informationen – und dennoch kam es mir oft so vor, als sei er allen anderen, auch mir, im Denken im­mer zehn Schritte voraus.

»Blockieren!« rief er. »Sofort blockieren! Das ganze Aggregat!«

Die Heftigkeit der Aufforderung über­raschte mich. Er sah mir an, daß ich eine Gegenfrage stellen wollte.

»Frag nicht!« fuhr er mich an. »Blockiere den Sender! Ich komme sofort!«

Damit war die Verbindung unterbrochen. Ich tat, wie er mir geheißen hatte. Von der Konsole des Kommunikationsoffiziers aus konnte die Energiezufuhr zum Hypersender lahmgelegt und das Sendeaggregat damit unbrauchbar gemacht werden. Ich hätte ger­ne gewußt, welche Gedanken dem Alten durch den Kopf gegangen waren. Aber ich mußte mich gedulden, bis er im Kommando­stand erschien.

Das Schott fuhr auf. Erstaunt wandte ich mich um. Aber es war nicht Fartuloon. Kre­ya kam durch die Öffnung gestürmt, und sie war zornig.

»Jemand hat einen Anschlag auf Morihe­than verübt!« stieß sie hervor.

Ich erinnerte mich. Morihethan – das war der schrullige Alte, der gelobt hatte, daß die gefangenen Siedler stillhalten würden, da sie wußten, daß ich Gonozals Sohn war. Mir war unklar, was Kreya mit Morihethan zu tun hatte. Sie klärte mich auf. Die dilettanti­sche Zählung der Kranken an Bord der SLUCTOOK hatte ihr keine Ruhe gelassen. Morihethan glaubte, auf einem der unteren Decks einen Mann mit Flechtenbewuchs im Gesicht gesehen zu haben. Es konnte sich, wenn er recht hatte, nur um ein Mitglied der Besatzung des Seuchenschiffs gehandelt ha­ben. Mit dem Philosophen zusammen war Kreya der Spur nachgegangen. Als sie mir beschrieb, wo Morihethan niedergeschlagen worden war, lief es mir eiskalt über den

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Rücken. Der Kabelschacht diente in erster Linie

der Versorgung des Hypersenders! Die Szene entwickelte sich wie ein Thea­

terstück. Gerade in diesem Augenblick er­schien Fartuloon. Mit knappen Worten wie­derholte ich Kreyas Bericht. Ich sah, wie sein Blick, während er zuhörte, über die Kommunikationskonsole wanderte. Er be­merkte, daß das Sendeaggregat abgeschaltet war.

»Wenn du nicht zufällig den Sender hät­test benutzen wollen«, sagte er, als ich geen­det hatte, »säßen wir jetzt in einer Falle, oh­ne es zu wissen.«

Er wandte sich an Kreya. »Führ uns!« befahl er.

*

Fartuloon zwängte sich in den Schacht hinein. Die Kabelstränge wurden durch schwere Ringe geführt, die in der Schacht­wand verankert waren. An den Halterungen der Ringe konnte man, wenn man außerdem die Kabel noch ein wenig zu Hilfe nahm, recht bequem im Schacht umherklettern.

Das Sendeaggregat lag ein Deck höher. Der Alte kletterte nach oben. Ich folgte ihm. Hinter mir her kam Kreya. Fartuloon hielt plötzlich an und untersuchte ein Stück Ka­belstrang. Im Lichtkegel seiner Lampe er­blickte er einen Riß in der schweren Kunst­stoffverkleidung.

»Weißt du, was das bedeutet?« fragte er grimmig.

»Daß sich jemand an dem Strang entlang in die Höhe gehangelt hat.«

»Jemand? Ich meine, es müßten wenig­stens zehn Leute gewesen sein, die sich alle zur gleichen Zeit an dieser Stelle festgehal­ten haben. Ein Mensch von normalem Ge­wicht kann diese Verkleidung nicht zerrei­ßen.«

Für den Augenblick blieb mir unklar, was er meinte. Er selbst aber hielt weitere Erklä­rungen für überflüssig und fuhr fort zu klet­tern. Als er die Lampe abschaltete, sah ich

Licht, das von oben in den Schacht fiel. Durch ein Loch im Boden stemmte ich mich in den hellerleuchteten Geräteraum des Sen­ders.

Fartuloon hielt einen Strahler schußbereit in der Hand. Es wurde uns aber bald klar, daß sich hier außer uns niemand befand. Der Unbekannte war uns noch immer um ein paar Längen voraus. Auf den ersten Blick ließ sich nicht erkennen, was der Fremde hier gewollt hatte. Die Geräte waren unbe­schädigt. Die Kabel, die aus dem Loch im Boden quollen, verteilten und verästelten sich und mündeten jedes in einem der Ag­gregate. Ich folgte ihrem Verlauf und über­zeugte mich, daß sie nirgendwo unterbro­chen worden waren. Am Zentralaggregat brannte ein rotes Kontrollicht. Es zeigte an, daß die Energiezufuhr abgeschnitten war.

Fartuloon machte sich an der Verkleidung des Zentralgeräts zu schaffen. Er löste sie mit wenigen Griffen und schleuderte sie bei­seite. Vorsichtig spähte er ins Innere des Ag­gregats. Er ging langsam um den Geräte­block herum. Plötzlich stieß er ein wütendes Knurren aus.

Ich trat neben ihn. Wortlos wies er auf ein ganz eigenartiges Gebilde, das sich auf der Oberfläche eines Modulatorkastens ausge­breitet hatte. Es wirkte – ein anderer Ver­gleich fiel mir im Augenblick nicht ein – wie zu Kristall erstarrter Schleim. Ich wollte mich vornüberbeugen, um es aus unmittel­barer Nähe zu betrachten. Aber Fartuloon hielt mich zurück.

»Das Zeug ist gefährlich!« sagte er. Da erst begriff ich. Die Unterhaltung mit

Uzinador fiel mir ein. Der kristallene Schleim dort, das waren Flechten! Informa­tionsträchtige Gebilde, für eine besondere Verwendung programmiert. Ich bemerkte, daß mehrere Strähnen der Flechten durch Ritzen des Gehäuses ins Innere des Modula­tors vorgedrungen waren. Ohne Zweifel hat­ten sie die Aufgabe, das Gerät zur Erzeu­gung eines Signals zu veranlassen.

Fartuloons ungewöhnliche Besorgnis wurde mir nun endlich klar – obwohl ich

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noch immer nicht wußte, wie er die Dinge so rasch hatte durchschauen können. Das Si­gnal, das die Flechten erzeugen sollten, konnte nur den Zweck haben, unsere Anwe­senheit auf Samoc-Tabel zu verraten. Einer von den Besatzungsmitgliedern der SLUC­TOOK war entweder ein Agent Orbana­schols, oder er hatte es um der hohen Beloh­nung willen unternommen, die Behörden des Imperiums zu informieren.

Ich hörte Fartuloon sprechen. Er hatte das kleine Sprechgerät am Handgelenk in Be­trieb genommen.

»… ein Gefäß kräftiger Desinfektionslö­sung«, sagte er.

Kaum eine Minute später waren die Spe­zialisten zur Stelle. Unter dem Nebel giftiger Flüssigkeit, den sie aus ihren Geräten ver­sprühten, lösten sich die glitzernden Flech­ten auf.

9.

Fartuloon ordnete eine Durchsuchung der ISCHTAR an. Zum Teil ließ sich das vom Kommandostand aus machen. Eine große Zahl von Räumen war mit Sichtverbindun­gen ausgestattet. Aber besonders unter den Lager- und Gerätehallen der unteren Decks gab es einige, die man nur an Ort und Stelle untersuchen konnte.

Wir kehrten zu Fartuloons Arbeitsraum zurück. Der Alte hatte Uzinador herbeigeru­fen.

»Es gibt da einige Merkwürdigkeiten, die du wahrscheinlich am besten erklären kannst«, sagte er zu seinem Berufskollegen.

Uzinador fühlte sich geschmeichelt, das sah man ihm an.

»Gibt es eine Möglichkeit«, fragte Fartu­loon, »daß einer der Kranken von der SLUCTOOK jetzt schon wieder hergestellt ist und sich frei und aus eigener Kraft bewe­gen kann?«

Uzinadors Antwort war sehr bestimmt. »Das ist ausgeschlossen. Die Kranken,

selbst der Kommandant, sind völlig von Kräften. Einige von ihnen schweben sogar

Kurt Mahr

in Lebensgefahr. Die Motorik ihres Nerven­systems ist infolge der Krankheit überdies ganz und gar aus den Fugen geraten. Ich möchte annehmen, daß die Kranken, selbst wenn sie plötzlich wieder zu Kräften kämen, sich nicht bewegen könnten, weil sie einfach die nötige Koordination nicht aufbringen.«

Fartuloon nickte, als habe er keine andere Auskunft erwartet.

»Was hältst du also«, erkundigte er sich, »von einem Bericht, demzufolge ein Mit­glied der SLUCTOOK-Besatzung irgendwo an Bord der ISCHTAR umherschleicht und den Hypersender anzuzapfen versucht?«

Uzinador machte die Geste der Ableh­nung.

»Gar nichts halte ich davon«, erklärte er mit Nachdruck. »Das ist ganz einfach un­möglich!«

Plötzlich kam mir ein entsetzlicher Ver­dacht. Wessen Wort hatten wir eigentlich dafür, daß die Dinge sich so, wie wir mein­ten, abgespielt hatten? Doch nur Kreyas. Wer aber war Kreya? Eine junge Frau, die erst vor kurzem zu uns gestoßen war. Fartu­loons Warnungen kamen mir wieder in den Sinn: Es war gefährlich, jedermann bei uns aufzunehmen, wenn er nur laut genug »Tod dem Tyrannen« schrie. Wir wußten so gut wie nichts von Kreya. War sie es, die den al-ten Morihethan niedergeschlagen hatte, als er sie dabei überraschte, wie sie den Hyper­sender manipulierte? Sie hatte den Abtrans­port der Kranken von der SLUCTOOK ge­leitet. Hatte sie sich dabei in den Besitz ei­ner Flechte gebracht? Kannte sie womöglich die gefährlichen Eigenschaften der Flechten schon von früher her?

Mir war unbehaglich zumute. Morihethan würde uns, wenn er wieder zu sich kam, über die wahren Zusammenhänge aufklären. Aber würde er jemals wieder aus der Be­wußtlosigkeit erwachen? Befand er sich wo­möglich jetzt, in diesem Augenblick, in Ge­fahr?

Da hörte ich Fartuloon sagen: »Und doch ist es möglich!« Verwirrt schrak ich aus meinen Gedanken

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auf. Was wollte der Alte? Was hielt er für möglich? Er bemerkte meine Überraschung und wandte sich an mich.

»Siehst du nicht, worum es geht?« fragte er lächelnd. »Kein Mensch, sagt Uzinador, kann sich den Folgen der Krankheit entzie­hen. Also …«

In diesem Augenblick trat einer unserer jungen Offiziere ein.

»Wir haben nichts gefunden, Fartuloon«, meldete er. »An Bord der ISCHTAR befin­det sich niemand, der nicht hier sein sollte.«

»Etwas Ähnliches hatte ich erwartet«, er­widerte der Alte. »Umstellt die SLUC­TOOK! Ich bin sicher, daß wir ihn dort fin­den werden.«

Der junge Mann entfernte sich mit kurz­em Gruß. Ich hatte die Szene nur mit halber Aufmerksamkeit verfolgt. Meine Gedanken waren mit anderem beschäftigt.

»Also …?« wandte sich Fartuloon von neuem mir zu.

»Also kann es sich nicht um einen Men­schen handeln«, vollendete ich hilflos den angefangenen Satz.

»Das ist richtig! Erinnerst du dich an die aufgerissene Stelle in der Verkleidung des Kabelstrangs?«

Ich erinnerte mich – und da wußte ich plötzlich, worauf der Alte hinauswollte!

»Schwer!« stieß ich hervor, was mir gera­de in den Sinn kam. »Kein Mensch … und schwer! Nach außen hin verkleidet, im In­nern aus Metall gebaut!«

Ich sah auf, Fartuloon grinste. »Du warst schon mal schneller!« spottete

er.

*

Seine Berechnung erwies sich als richtig. Der neugierige alte Mann kam zurück, und Kamarthon Yoren behandelte ihn so, wie er mußte. Als er den Schacht hinaufkletterte, war er sicher, daß der Alte nicht mehr lebte.

Im Aggregateraum des Senders brachte er die Flechte an, die er bisher der Einfachheit halber an der Seite des Halses getragen hat­

te, so daß sie bis zur Wange hinaufragte. Die Flechte spürte die Veränderung ihrer Umge­bung und reagierte sofort. Kamarthon hatte sie so programmiert, daß sie wußte, wie sie sich zu verhalten hatte. Sie breitete sich über den Modulator aus und drang mit mehreren dünnen Strähnen in das Innere des Kastens ein.

Kamarthon schaltete das Zentralaggregat ein und wartete auf das Aufleuchten der er­sten Kontrollampen. Nach seiner Berech­nung konnte jetzt nichts mehr schiefgehen. Der Sender brauchte etwa acht bis zehn Mi­nuten, um warmzulaufen. Dann ging das er­ste Testsignal an den Modulator. Die Flechte würde das Signal umwandeln. Wenn es den Modulator verließ und zur Antenne hinauf­eilte, würde es die Information tragen, daß Kamarthon Yoren, Geheimnisträger Zweiter Klasse im Kaiserlichen Nachrichtendienst, auf der Siedlerwelt Samoc-Tabel eine wich­tige Entdeckung gemacht hatte, die den un­verzüglichen Einsatz einer Spezialtruppe von wenigstens zweihundert Mann Stärke erforderte.

Kamarthon verließ den Senderaum. Unge­sehen erreichte er die Fußschleuse der ISCHTAR. Er stieg hinaus und glitt in der sanften Hülle des Antigravfeldes hinab auf den regenweichen Boden. In der Deckung eines Gebüschs näherte er sich der ersten Häuserzeile von Samokha. Im Eilschritt durchquerte er die leere Stadt, schlug auf der anderen Seite einen weiten Bogen und kam von Westen her auf die SLUCTOOK zu. Wenige Minuten später befand er sich an Bord. Das Seuchenschiff war leer. Er roch das Desinfektionsmittel, mit dem die Leute von der ISCHTAR das gesamte Fahrzeug behandelt hatten.

Er fuhr zum Kommandostand hinauf. Er war nicht sicher, ob er das Signal, das der Sender der ISCHTAR inzwischen längst ab­gestrahlt hatte, hätte wahrnehmen müssen oder nicht. Das kam auf die Entfernung, die Ausrichtung der Antenne, die Stärke der Bündelung und mehrere andere Faktoren an. Fest stand lediglich, daß er das Signal nicht

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bemerkt hatte. Dadurch entstand ein Unsi­cherheitsfaktor in seinen Berechnungen. Normalerweise hätte er es als sicher ange­nommen, daß das angeforderte Kommando in spätestens fünf Stunden auf Samoc-Tabel landen würde. So aber konnte er höchstens versuchen, eine Wahrscheinlichkeit für das Eintreffen des Sonderkommandos zu errech­nen. Für eine präzise Berechnung fehlten ihm jedoch die notwendigen Informationen.

Im Kommandostand setzte er sich in den Sessel des Piloten. Er machte Bestandsauf­nahme und versuchte zu erkennen, ob er ir­gendwo einen Fehler begangen hatte. Er er­kannte jedoch nichts dergleichen. Er schalte­te das Rundsichtgerät ein und blickte hinaus in den trüben, verregneten Tag. Zur Linken, im Osten, wuchtete die riesige Silhouette der ISCHTAR in die Höhe. Plötzlich tauchten aus wehenden Regenfahnen Gleiter auf. Sie trugen Männer und Frauen der ISCHTAR-Besatzung. Die Fahrzeuge bildeten einen Ring um die SLUCTOOK.

Da kam Kamarthon Yoren zum ersten Mal der Gedanke, daß man ihm womöglich auf die Schliche gekommen sei.

Er beobachtete weiter. Etwa zwanzig Mi­nuten später kamen erneut Fahrzeuge von der ISCHTAR. Es mußte jetzt fast die ge­samte Besatzung rings um die SLUCTOOK versammelt sein. Kamarthon erkannte Atlan und seinen Begleiter, den Bauchaufschnei­der Fartuloon.

Man bereitete sich vor, an Bord des Seu­chenschiffs zu gehen. Kamarthon Yoren be­dachte seine Lage und kam zu dem Schluß, daß sein Vorhaben fehlgeschlagen sei. Die Manipulation des Hypersenders war aus ir­gendeinem Grund entdeckt worden. Man hatte Verdacht geschöpft. Er konnte also nicht mehr mit der Landung des Sonderkom­mandos rechnen.

Er mußte dem Befehl des Imperators auf andere Weise gehorsam sein. Er würde wahrscheinlich Atlans Kopf nicht nach Ar­kon bringen können. Die Leute, die sich zur Durchsuchung der SLUCTOOK anschick­ten, kannten kein Erbarmen. Aber er konnte

Kurt Mahr

dafür sorgen, daß die Gefahr, die der Kri­stallprinz für den Imperator bedeutete, end­lich gebannt wurde.

Als er aufstand, um sich zu bewaffnen, kam ihm in den Sinn, daß er der Gewißheit seines Todes mit sehr viel mehr Gelassen­heit entgegensah, als es ein anderer Mensch in seiner Lage getan haben würde.

*

»Er wartet auf etwas«, erklärte Fartuloon. »Er hat einen Alarmruf abgesandt – meint er wenigstens. Vermutlich hat er irgend jemand herbeigerufen. Also muß er sich im Kom­mandostand aufhalten. Nur von dort aus hat er genügend Überblick.«

Er war seiner Sache so sicher, daß er nur das Hauptdeck und die beiden Nachbardecks der SLUCTOOK besetzen ließ. Unsere klei­ne Streitmacht hätte auch kaum zu mehr ausgereicht.

Ra und Matys Rantom begleiteten uns, als wir auf den Eingang des Kommandostands zuschritten. Niemand bedurfte einer War­nung: Roboter kannten keine Angst und tö­teten ohne Bedenken. Fartuloon nickte mir zu, als er mit dem Barbaren zusammen in einen Seitengang abzweigte. Er wollte den Kommandostand durch einen Nebeneingang betreten. Wir mußten den Roboter in die Zange nehmen, wenn wir Verluste vermei­den wollten.

Vor dem Haupteingang blieb ich stehen und wartete, bis ich glaubte, daß Ra und Far­tuloon ihren Standort nun ebenfalls erreicht haben müßten. Ein Schritt vorwärts – und das Schott öffnete sich selbsttätig. Auf den ersten Blick sah ich die hochgewachsene Gestalt, die in der Mitte des Rundraumes stand. Der Fremde war bewaffnet, ebenso wie ich. Die Mündungen unserer Strahler waren aufeinander gerichtet.

Das Verhalten des Roboters verwirrte mich ebenso wie sein Aussehen. Man merk­te ihm nicht an, daß er in Wirklichkeit eine Maschine war. Es schoß mir sogar der Ge­danke durch den Sinn, daß Fartuloon sich

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getäuscht haben könne. Wer in der Welt würde sich solche Mühe geben, einen Robo­ter so herzurichten, daß er so aussah wie ein Mensch?

»Orbanaschol«, antwortete mein Extrage­hirn, und damit waren alle Zweifel beseitigt.

In diesem Augenblick begann der Roboter zu sprechen.

»Du bist Atlan, der Kristallprinz?« fragte er.

»Ich bin Atlan«, antwortete ich. »Und du bist ein Roboter, den Orbanaschol, der Mör­der, auf meine Spur gesetzt hat!«

Ich kann nicht sagen, daß der Ausdruck seines Gesichts sich veränderte. Aber ir­gendwie spürte ich, daß meine Worte eine unvorhersehbare Reaktion auslösten. Der Robot beugte sich ein wenig nach vorne. Sein Blick wurde durchdringender. Er mu­sterte mich genau.

»Ich bin kein Roboter!« schleuderte er mir entgegen. »Ich bin ein Mensch wie du. Ein besserer Mensch als du, denn ich sündi­ge nicht wider die Gesetze des Imperators.«

Ich befand mich in einer eigenartigen La­ge. Zuerst wollten von neuem Zweifel in mir aufsteigen. Dann aber wurde mir klar, daß der Fremde die Worte zwar laut, aber ohne jede Emotion gesprochen hatte. Und zuletzt stand ich, fast überwältigt, vor der Erkennt­nis, daß ich hier einen Roboter vor mir hatte, der von seiner Identität nichts wußte. Er hielt sich für einen Menschen! Man hatte ihn programmiert und auf die Menschheit losge­lassen, ohne ihm zu sagen, daß er nicht wie andere war!

In diesem Augenblick sah ich Fartuloon und Ra im Hintergrund des Kommando­stands auftauchen.

»Ich bin Kamarthon Yoren!« schrie der Roboter mich an. »Geheimnisträger Zweiter Klasse im Kaiserlichen Nachrichtendienst. Ich habe darauf geschworen, die Interessen des Imperators zu vertreten, wo immer ich mich befinde. Man hat mich nicht auf deine Spur gesetzt. Ich habe sie zufällig gefunden. Darum mußt du sterben. Ich wollte dich nach Arkon bringen, aber das ist jetzt nicht

mehr möglich.« Ich kannte die Gefahr meiner Lage. Der

Roboter war unberechenbar. Jeden Augen­blick mochte er auf mich feuern. Ich würde wahrscheinlich nicht schnell genug sein, dem Energiestrahl der Waffe auszuweichen. Und trotzdem wollte ich seine Reaktion auf meine nächste Frage noch sehen.

»Du bist Kamarthon Yoren«, rief ich ihm zu. »Ein Mensch, wie du sagst. Wie kommt es dann, daß du als einziger von der Besat­zung der SLUCTOOK den Flechtenviren widerstehen konntest?«

Er hatte eine Antwort parat, ich sah es ihm an. Er öffnete den Mund, um zu mir zu sprechen. Da fauchte Fartuloons Waffe auf. Der gleißende Energiestrahl traf den Robo­ter in den Rücken. Es war ein Volltreffer. Das Wesen, das sich Kamarthon Yoren nannte, verschwand im Blitz und dem kra­chenden Donner einer Explosion. Ich warf mich instinktiv zur Seite. Als der Lärm erstarb, kam ich halb benommen wieder auf die Beine. Tausende von kleinen Trümmer­stücken, zum Teil noch glühend oder rau­chend, waren über den Boden des Komman­dostands verstreut. Ich brauchte sie mir nicht anzusehen. Es gab keinen Zweifel mehr.

Menschen explodieren nicht, wenn man auf sie schießt.

10.

Ich schlief eine ganze Nacht lang fest und ohne Träume. In dieser Nacht geschahen Dinge, die auf den ersten Blick nicht beson­ders wichtig anmuteten und es dennoch wa­ren.

Zum Beispiel kam Morihethan wieder zu sich und berichtete von der Suche nach dem geheimnisvollen Fremden, an dem Kreya in­teressiert war. Ich würde seine Aussagen beizeiten zu Ohren bekommen und mich bei Kreya – offen oder insgeheim – für den häß­lichen Verdacht entschuldigen, den ich ein paar Sekunden lang empfunden hatte.

Außerdem veranlaßte Fartuloon, daß die Nährflüssigkeit mit den Bakterien aus den

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bisherigen drei Behältern in einen gegossen wurde. Auch davon würde ich am Morgen erfahren, ohne mir jedoch ein Bild davon machen zu können, was der Alte damit bezweckte.

Kurz nach Sonnenaufgang – der Tag war weniger verhangen als die beiden vorherge­henden, und wenn man die Wolkendecke genau betrachtete, konnte man eine hellere Stelle ausmachen, hinter der die Sonne ste­hen mußte – erschien ich wieder im Kom­mandostand. Es herrschte Dienstbetrieb. Fartuloon erteilte Befehle. Als er mich sah, kam er auf mich zu.

»Es wird Zeit, daß wir aufbrechen«, sagte er.

»Ich habe alles vorbereitet.« Ich wußte nicht sofort, was er meinte.

»Die Siedler«, erklärte er. »Sie müssen behandelt werden.«

Ich verstand. Ich erfuhr, daß Uzinador auf Fartuloons Befehl eine Behelfskrankenstati­on eingerichtet hatte. Die Siedler sollten dort einer nach dem andern ihre Injektionen er­halten. Man hatte ihnen klargemacht, daß dies notwendig sei, weil sie sonst von den Viren der SLUCTOOK noch nachträglich infiziert werden könnten. Wie es schien, hat­ten sie diese Erklärung ohne Mißtrauen ak­zeptiert.

Bis auf einen. Ich stand abseits, ein wenig hilflos im An­

gesicht der Aktivität, die Fartuloons Befehle entfaltet hatten, als aus dem Gewühl eine kleine, verwachsene Gestalt auftauchte. Ich erkannte den Philosophen kaum wieder. Sein Gesicht war eingefallen, die Augen sa­ßen tief in den Höhlen. Die Stirn bedeckte ein Verband.

Er kam auf mich zu. »Die Adler streichen vom Horst«, sagte

er. »Die Dummen meinen, es seien Tau­ben.«

»Adler oder Tauben«, erwiderte ich. »Was ist der Unterschied? In ein paar Stun­den werdet ihr wieder allein sein und nicht mehr an uns denken.«

Das rutschte mir einfach so heraus. Mori-

Kurt Mahr

hethan sah mich aufmerksam an. »Nicht mehr an euch denken? Wie könnte

das sein? Unser Leben lang werden wir an euch denken. Es sei denn …«

Er stockte mitten im Satz und musterte mich eindringlich.

»Es sei denn«, fuhr er schließlich fort, »ihr wolltet uns daran hindern, daß wir uns erinnern.«

Ich antwortete nicht. »Wollt ihr das?« fragte er. Ich sah in seine Augen, in denen die

Furcht glomm, und brachte die Lüge einfach nicht über die Lippen.

»Wir wollen es nicht, Morihethan – wir müssen!«

Da senkte er den Blick. Mit hängenden Schultern stand er vor mir. Seine Stimme zitterte, als er sagte:

»Das ist ein schlechtes Omen für den neu-en Imperator, wenn er seinen Untertanen mißtraut, noch bevor er die Herrschaft ange­treten hat …«

*

Solcherart geschah es, daß ich mich mit Fartuloon in einen handfesten Streit ver­wickelte.

»Du willst die Nachfolge deines Vaters antreten!« fauchte er mich an. »Aber in dei­nem Bewußtsein ist die Weichherzigkeit des Hasen anstatt der mächtigen Härte des Lö­wen! Gib du deinen Gefühlen nach, wenn du willst! Ich kann nicht gegen deine Befehle an. Aber gib gleichzeitig auch die Hoffnung auf den Thron des Imperators auf! Wir wer­den noch nicht die Hälfte des Weges nach Kraumon zurückgelegt haben, dann weiß das gesamte Imperium bereits, daß wir hier auf Samoc-Tabel die SLUCTOOK erbeutet haben!«

Ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen. Ich hatte mir die Sache genau überlegt. Mo­rihethans Worte hatten mir die Augen geöff­net. Ich kämpfte für Arkon. Das Wohl des Reiches war mein einziges Ziel. Was aber würde geschehen, wenn mein Kampf erfolg­

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reich war, wenn Orbanaschol fiel? Soweit hatte ich noch selten gedacht. Ich würde Im­perator werden, der rechtmäßige Nachfolger meines Vaters, Gonozals VII. Alle, mit de­nen ich heute zu tun hatte, würden meine Untertanen sein. Viele, denen ich begegnete, schenkten mir schon heute ihre Loyalität, obwohl auf Arkon noch der Usurpator re­gierte. Ashkor Taheel hatte mir, im Namen aller Siedler von Samoc-Tabel Gefolgschaft gelobt.

Was für ein Herrscher wäre ich, wenn ich auf diesen Treuebeweis mit Mißtrauen rea­gierte?

Ich konnte es nicht – und selbst wenn ich mich darüber mit Fartuloon entzweien müß­te!

»Ich verstehe deinen Eifer«, sagte ich ernst, »und ich weiß ihn zu schätzen, ob­wohl du mitunter Worte gebrauchst, die dir dem Kristallprinzen gegenüber schlecht an­stehen. Ich bin tief in deiner Schuld, aber ich habe das Recht, für mich selbst zu denken. Ashkor Taheel hat mir zugesichert, daß die Sendestation von Samokha für drei Monate blockiert wird. Ich habe sein persönliches Versprechen und nicht den geringsten Grund, an seiner Aufrichtigkeit zu zwei­feln.«

Ich sah den Alten an und zwang seinen Blick in den meinen.

»Es liegt mir nichts an einem Zerwürfnis mit dir, Fartuloon. Du bist mir so gut wie ein Vater. Manchmal meine ich, du seiest der einzige Freund, den ich habe. Aber diesmal kann ich meinen Entschluß nicht ändern. Die Siedler von Samoc-Tabel behalten ihre Erinnerung!«

Bitterkeit spiegelte sich auf seinem Ge­sicht.

»Die Göttin der Nächstenliebe ist er­freut«, stieß er hervor. »Aber der Gott der Vernunft verhüllt vor Trauer sein Ange­sicht!«

Mit diesen Worten wandte er sich ab und stürmte hinaus.

*

Damit war der Kummer noch nicht über­standen. Die Siedler kehrten in ihre Häuser zurück und nahmen die Arbeit an den Ent­wässerungsprojekten wieder auf. Ihre Reak­tion bestätigte mir, daß ich richtig gehandelt hatte. Sie dankten mir meinen Entschluß mit einer Treue, an der es – wie die Zukunft be­wies – niemals auch nur den geringsten Zweifel gab.

Dann aber kehrte Corpkor zurück, und in seinem Gefolge eine Horde fuchsähnlicher Tiere. Der Kopfjäger hatte unsere unfreund­liche Diskussion kurz vor seinem Abschied anscheinend längst vergessen. Er ließ die Füchse am Rand der Siedlung zurück, kam an Bord und stürmte freudestrahlend in den Kommandostand.

»Ich habe gefunden, wonach ich suchte!« verkündete er. »Die Tiere eignen sich vor­züglich als Symbionten und sind damit ein­verstanden, die Viren der SLUCTOOK zu übernehmen.«

Die Besatzung der Zentrale bestand in diesem Augenblick nur aus drei Mann: Ra, Fartuloon und mir. Corpkor spürte sofort, daß die Reaktion auf seine Ankündigung al­les andere als begeistert war. Er blickte von einem zum anderen. Seine Miene verdüster­te sich.

»Ihr haltet nichts von meiner Idee!« knurrte er. »Ihr wollt mich umstimmen – aber das wird euch nicht gelingen! Ich habe mein Versprechen gegeben …«

»Nur Narren geben Tieren Versprechen!« fiel ihm Ra, der Barbar, mit harter Stimme ins Wort.

Dann wandte er sich ab und fuhr mit sei­ner bisherigen Tätigkeit fort, als sei Corpkor gar nicht vorhanden.

Corpkors Blick blieb schließlich auf mir haften.

»Bist auch du gegen mich?« fragte er bit­ter.

»Nicht gegen dich, Corpkor. Nur gegen deinen Plan, der die Siedler dieser Welt in tödliche Gefahr bringt.«

»Das ist kein Unterschied!« stieß er her­vor. »Bist du gegen meinen Plan, bist du ge­

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gen mich.« »Eines Tages wirst du es anders sehen,

Corpkor«, redete ich ihm zu. Er antwortete nicht. Eine Zeitlang starrte

er vor sich hin. Dann hob er mit einem Ruck den Schädel.

»Was habt ihr also vor?« fragte er mit dröhnender Stimme.

Fartuloon sah mich an. Wir hatten seit dem Streit nur die notwendigen Worte ge­wechselt. Ich wußte, daß der Alte für diesen Fall Vorbereitungen getroffen hatte. Aber ich wußte nicht, welcher Art sie waren. Den Blick jedoch verstand ich nur zu gut, und er erfüllte mich mit innerer Wärme. Fartuloon erbat meine Erlaubnis, nach seinem Plan vorzugehen.

Ich nickte ihm zu. Der Alte trat zur Konsole des Piloten und

gab ein Signal. Kaum eine Minute später öffnete sich das Schott. Die Gestalt des Chretkors überraschte einen jedesmal von neuem, wenn man sie zu Gesicht bekam. Eiskralle war an Wuchs ein Zwerg, gerade viereinhalb Fuß hoch. Seine Haut war ganz und gar, die übrige Körpersubstanz zum Teil durchsichtig. Der Chretkor war humanoid trotz all seiner Fremdartigkeit. Man sah das Blut durch seine Adern rinnen, man sah die Bewegungen der Muskeln, man sah das Knochengerüst des schmächtigen Körpers.

Hinter sich her zog Eiskralle ein flaches Gestell auf Kufen. Auf dem Gestell erhob sich der Behälter mit der Nährflüssigkeit, in der die SLUCTOOK-Viren lebten. Corpkor beobachtete den eigenartigen Aufzug mit Mißtrauen. Er wußte nicht, daß Fartuloon die ursprünglich drei Behälter zu einem hat­te zusammenschütten lassen. Aber in diesem Augenblick, glaube ich, begann er es zu ah­nen.

Eiskralle blieb vor ihm stehen. Er sah eine Weile zu dem ehemaligen Kopfjäger auf. Dann ließ er den Griff los, an dem er das Gestell hinter sich hergezogen hatte, wandte sich um und nahm den Behälter auf. Er brauchte seine ganze Kraft dazu. Das Gefäß wog mehr als halb soviel wie er selbst.

Kurt Mahr

Da endlich begriff Corpkor. »Nein …!« schrie er auf. »Es muß sein!« gellte Fartuloons Ant­

wort. Ich sah, wie der Gesichtsausdruck des

Chretkors sich veränderte. In diesem Augen­blick aktivierte er bewußt die fürchterliche Kraft, die ihm innewohnte. Von einer Se­kunde zur anderen bildete sich auf der Ober­fläche des Kunststoffbehälters eine weiße, rauchende Schicht. Eis! Der Chretkor hatte dem Gefäß und seinem Inhalt sämtliche in­newohnende Wärme entzogen.

Als sei ihm die Last zu schwer, verzog er das Gesicht und breitete die Arme aus. Der Behälter stürzte zu Boden. Es gab einen dröhnenden Krach, in den sich splitternde, berstende Geräusche mischten. Das Gefäß zersprang in Millionen von winzig kleinen Bruchstücken, Behälterwand, Nährflüssig­keit und Viren – ein Regen winziger, fast bis auf den absoluten Nullpunkt abgekühlter Eiskristalle.

Aus schreckgeweiteten Augen starrte Cor­pkor auf die Überreste seines Projekts. Dann schritt er davon, mitten durch den knirschen­de Teppich von kleinen Eisstücken. Ohne sich ein einziges Mal umzusehen, verließ er den Raum.

*

Wenige Stunden später waren wir auf dem Rückweg nach Kraumon – begleitet von den besten Wünschen der Siedler von Samoc-Tabel. Sie kannten meine Pläne nicht, aber sie wünschten mir Erfolg. Was sie sagten, kam von Herzen. Abermals er­kannte ich, daß meine Entscheidung richtig gewesen war.

Matys Rantom befehligte die SLUC­TOOK, ich selber hatte das Kommando über die ISCHTAR übernommen. Zwei Stunden nach dem Aufbruch von Samoc-Tabel hätten wir zur ersten Transition ansetzen sollen. Aber die SLUCTOOK meldete eine Unre­gelmäßigkeit der Kontrollmechanismen. Drei weitere Stunden vergingen, bis der

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Schaden behoben war. Die Transition verlief planmäßig. Die

Transitionsdistanz war gering. Ich hatte mich in den Sessel des Piloten geschnallt und war nur ein paar Sekunden ohne Be­wußtsein. Vor uns lag nun eine Strecke von etwa vier Stunden freien Flugs. Ich löste die Schnallen, schaltete auf den Autopiloten um und ging in mein Quartier, um mich ein we­nig auszuruhen.

Die Mannschaft der SLUCTOOK befand sich noch immer in den Krankenräumen. Nur Rec war inzwischen wieder bei Bewußt­sein und soweit bei Kräften, daß man ihm mitteilen konnte, sein Schiff sei gekapert worden. Er hatte wissen wollen, wer der Ka­perer war. Als man ihm meinen Namen nannte, hatte er gegrinst. Ich nahm das als gutes Omen. Irgendwie würden wir die Männer und Frauen der SLUCTOOK in die Gesellschaft auf Kraumon eingliedern müs­sen. Wenn sie unseren Zielen gegenüber aufgeschlossen waren – um so besser.

Ich hatte einen kleinen Imbiß zu mir ge­nommen, als der Summer einen Besucher meldete. Ich betätigte den Öffner. Durch die nicht allzu breite Öffnung des Eingangs­schotts schob sich Fartuloons breitschultrige Gestalt. Der Alte lächelte auf eine Art, wie ich ihn noch nicht oft hatte lächeln sehen. Er wirkte weniger selbstbewußt als sonst. Fast kam er mir hilflos vor.

»Ich freue mich, dich zu sehen«, begrüßte ich ihn.

»Das beglückt mich«, antwortete er ganz unzeremoniell. »Ich bin nämlich gekommen, um ein wenig Abbitte zu leisten.«

»Abbitte? Wofür?« »Für meine heftige Reaktion auf deine

Weichheit den Siedlern von Samoc-Tabel gegenüber.«

Ich war überrascht. Im Lauf der Jahre hat­ten Fartuloon und ich etliche Streite hinter uns gebracht. Aber keinen einzigen, der mit einer Abbitte des Alten endete.

»Du hast dich eines Besseren besonnen?« wollte ich wissen.

»Besonnen?« lachte er. »Nein. Besinnen nützt einem in unserer Lage nichts. Man braucht Gewißheit.«

»Die hast du dir verschafft?« »Nicht vollkommene Gewißheit. Nur so­

viel es ging. Aber das reicht mir.« »Du möchtest ein Ratespiel mit mir ma­

chen, also gib mir ein paar Hinweise.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, kein Ratespiel. Unsere Transition

wurde um drei Stunden verzögert, erinnerst du dich?«

»Ohne Mühe«, antwortete ich. »Mein Ge­dächtnis umspannt mehr als zwei Stunden.«

»Ich muß gestehen, daß du getäuscht wur­dest. Die SLUCTOOK hatte keine Schwie­rigkeiten. Ich war mit Matys Rantom über­eingekommen, daß er die Verzögerung her­beiführen würde. Ich wollte horchen, ob sich auf Samoc-Tabel etwas tat. Die Siedler ken­nen unseren Flugplan. Sie wissen, wann un­sere erste Transition stattfinden sollte. In den Sekunden der Transition hätten sie einen Hyperfunkspruch absenden können, ohne daß wir etwas davon merkten. Wenn sie wirklich die Absicht gehabt hätten, uns zu verraten, hätten sie die erste Möglichkeit genützt, um Arkon zu informieren.«

»Das haben sie nicht getan?« fragte ich. »Das haben sie nicht getan!« bestätigte er. »Also nimmst du an, daß meine Entschei­

dung richtig war?« »Ich bin gezwungen, es anzunehmen.

Deswegen komme ich her. Um Abbitte zu leisten.«

Mir fiel eine Last von den Schultern. Der Zwist hatte mich mehr bedrückt, als ich mir eingestehen wollte. Ohne Fartuloons Zunei­gung war ich nur ein halber Mensch. Jetzt, da ich mit ihm wieder im reinen war, zwei­felte ich nicht mehr daran, daß auch die Freundschaft mit Chorpkor wiederherge­stellt werden könne.

»Wie besser könnte man unter Freunden Abbitte leisten als über einen guten Becher Wein?« fragte ich den Alten.

Er strahlte. Ich legte ihm den Arm um die Schulter und führte ihn in mein kleines Wohngemach.

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