Das Spiel Auf Der Barocktrompete

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  • 5/14/2018 Das Spiel Auf Der Barocktrompete

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    as piel au f der BaroekDurch historische und physikalische Untersuchungen gelang es,diesem fast vergessenen Instrument das Geheimnis seines Klangs und seinerSpielweise zu entreillen. Damit H i B t es sich wieder wie in den Zeiten eines Bach, Handel

    oder Purcell zum festlichen Erklingen bringen.Von Don Smithers, Klaus Wogram und John Bowsher

    1mRahmen der gegenwartigen Re-naissance baroeker Musik wird be-sonders grollerWert auf historisehgetreue Auffiihrungen gelegt. In Euro-pa und Nordamerika widmen sieh vie-le Instrumentalensembles deshalb derAufgabe , Musik des 17. und 18. Jahr-hunderts mit den authentisehen barok-ken Spielteehniken auf alten Originalin-strumenten oder modernen Kopien da-von erklingen zu lassen. Ein solchesUnterfangen ist aber aIles andere alseinfaeh. Ein altes Musikwerk in seinemursprunglichen KIangbild wiederherzu-stellen erfordert durehaus ahnlich auf-wendige wissensehaftliehe und histori-sche Forsehungsarbeiten wie die Re-stauration von alten Gemalden oder Ge-bauden,Inzwisehen wurden nach erhaltenenOriginalen fast alle barocken Instru-mente erfolgreieh rekonstruiert. Beieinigen war und ist es jedoeh besondersschwierig , gleichzeitig eine historischgetreue Wiedergabe und einen uns Heu-tige befriedigenden KIang zu erreiehen.Die meisten Schwierigkeiten in dieserHinsicht gab es bei der Barock-Trompe-teo Das hat zwei Hauptgrunde, die engmiteinander zusammenhangen.Ein alter Instrumententyp laBt siehleichter wieder einfiihren, wenn durehdie Jahrhunderte hindureh eine gewisseKontinuitat in Konstruktion und Her-stellungsweise bestanden hat und dieSpielteehniken nieht ganzlich in Ver-gessenheit geraten sind. Wurde ein In-strument dagegen Iangere Zeit niehtmehr gebaut und ist entsprechend dieKenntnis seiner Spielweise weitgehendverlorengegangen, kostet es Zeit undMuhe, es zu reaktivieren. Bei der Ba-rock-Trompete ist die Situation in die-

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    sem Punkt besonders ungunstig. DasInstrument wird heute nieht mehr inderselben Weise wie im 17. und 18.Jahrhundert hergestellt, und bei denSpieltechniken macht man eigentlichunzulassige Kompromisse.

    Beschrankungenvon Naturtrornpeten

    Moderne Trompeten sind mit Venti-len versehen. Beim barocken Instru-ment gab es dagegen keine mechanischbewegten Teile (aueh keine Klappenoder Grifflocher), mit deren Hilfe manvollstandige (chromatisehe) Tonleiternvom tiefsten bis zum hochsten Registerhatte spielen konnen, Ahnlich dem rno-dernen Signalhorn besteht die Barock-Trompete nur aus einer langen, gefalte-ten oder gewundenen Metallrohre (Bil-der 1 und 2). Und wie beim Signalhornist die Lange der Luftsaule unverander-lieh. Somit lassen sich theoretisch nursolehe Tone erzeugen, bei denen einViertel der Wellenlange mit der Langeder Luftsaule ubereinstimmt oder einungeradzahliger Bruehteil davon ist.Diese Tone heiBen die Harmonisehenoder Partial tone; meistens spricht manaber von Naturtonen, Dementspre-chend werden die klappen- und ventil-losen baroeken Instrumente aueh bis-weilen Naturtrompeten genannt.Beschrankt auf die Naturtone oderHarmonischen, wie er war, benotigteder Barock-Trompeter ein Instrumentgeeigneter Lange und Bauart und muBtezudem besondere SpieIteehniken ent-wickeln, damit er eine gentigend groJ3eZahl von Naturtonen anblasen und dar-aus eine musikaliseh brauchbare Tonlei-

    ter bilden konnte. Sein Instrument wardaher etwa acht FuB (240 Zentimeter)lang (ein kiirzeres Instrument besafie zuwenig Naturtone). Der tiefste Ton oderGrundton einer aeht FuB langen Rohreist das C (zwei Oktaven unter dem"mittleren " c des Klaviers, das aueheingestriehenes coder c' genannt wird).Vom Grundton, also dem ersten Natur-ton, ausgehend laBt sich nun eine be-stimmte Polge hoherer Tone - die har-monisehe Naturtonreihe - hervorbrin-gen (Bild 4).Verandert man die Lange des Rohres,dann andert sieh die Hohe des Grund-tons und mit ihm die der anderen Natur-tone aus der Partialtonreihe. Die Posau-ne ist das Beispiel eines Blechblasin-strumentes mit veranderlichern Grund-ton. Mit einem "Zug" (bewegliehenBugel) laBt sieh die Lange ihrer Luft-saule verandern. Ein Posaunist kann da-her Tone aus versehiedenen Naturton-reihen erzeugen und in die Lucken einereinzelnen solchen Reihe einfugen, Da-mit vermag er diese zur vollstandigenTonleiter zu erganzen, Die Ventile anmodernen Hornern und Trompeten er-fullen praktiseh denselben Zweck.

    Das Problemder "schiefen" und fehlenden ToneEin weiteres Problem bei der Barock-Trompete ist, daB die Intonation einigerTone aus der 'harrnonischen Reihe niehtden Anforderungen der abendlandi-sehen Musiktradition entspricht. Dieserschwert dem Barock-Trompeter seineAufgabe noch mehr und ist das Haupt-hindernis fur das neuerIiehe Erlernen

    der vergessenen Kunst, auf der Barock-S p ek tr um d er wtssenscbaft. Juni 1986

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    Bild 1: Der Barock-Trornpeter Johann Gottfried Reiche ist hier mit einerspiralig gewundenen Tromba da caccia zu sehen. Ais Senior der Leipzi-ger Stadtpfeiffer spielte er von 1723bls zu seinem Tod imJahr 1734aileersten Trompetenpartien in den Werken Johann Sebastian Bachs zu des-sen Leipziger Zeit. In seiner linken Hand halt er ein Notenblatt mit einer

    kurzen, aber schwierigen .Trompetenfanfare. Einer der Autoren (DonSmithers) hat sie auf einer Nachblldung des Instruments aufgenommen.Sie erklingt nun als Eriiffnungsmelodie zu einem Nachrichtenprogrammder amerikanlschen Rundfunkgesellschaft CBS. Das Bild wurde vonElias Gottlob Haussmann gemalt und hangt im allen Leipzlger Rathaus,

    Spcktrum de r wissenschaft, Juni 1986 127

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    Trompete zu spielen. Die Naturtonezwischen dem 6. und 16. Partialton, de-ren Ordnungszahl eine Prirnzahl ist(Prirnzahlen lassen sich ohne Rest nurdurch sich selbst und durch 1 teilen),fallen aus jedem gangigen Intonations-system der abendlandischen Musik her-aus. Der siebte Naturton und ebensoseine Oktave sind zu tief, der elfte istweder ein f" noch ein fis", und auch der13. liegt zwischen a" und gis".Aullerdem kommen Tone wie d', f",a', h', cis" oder es", die haufig inTrompetenstimmen aus dem 17. und18. Jahrhundert verlangt werden, uber-haupt nicht in einer Partialtonreihe mitdem Grundton C vor. Offensichtlich er-wartete man von einem geschicktenBarock-Trornpeter, daB er diese Toneauf seinem in der Tonhohe unverander-lichen Instrument, auf dem unter nor-malen Umstanden nur die Reihe derharmonischen Naturtone moglich ist,trotzdem spielen konnte. Lange Zeitglaubten viele Leute , es handele sichbei diesen Tonen urn Fehler in den No-ten, oder die Stucke seien in Wahrheitfur ein Instrument mit veranderlicherTonhohe - etwa eine Zugtrompete -gedacht gewesen. Erst der Nachweisbei Auffiihrungen oder auf Plattenauf-nahmen, daf die "unmoglichen" Toneauf originalen Barock-Trompeten sau-ber und mit genugender Lautstarke ge-spielt werden konnen, brachte dieZweifler zum Verstummen. NeuereUntersuchungen historischer Instru-mente bestatigen, daB die barockenKomponisten von ihren Trompeternnicht zuviel verlangten.

    Von dem im 18. Jahrhundert leben-den deutschen Musiker Johann ErnstAltenburg darf man annehmen, daB ereiner der letzten war, derdie Problemedes barocken Trompetenspiels noch auserster Hand kannte. Er schrieb, daB einTrompeter sowohl praktische als auchtheoretische Unterweisung brauche,"theils wegen der ... mangelnden undunreinen Tone, theils aber auch, weiluns dies Instrument zu musikalischenGeheimnissen mehrere Anleitung alsandere gekiinstelte Instrumente giebt. " .Neuere wissenschaftliche Untersu-chungen - die ersten dieser Art uber-haupt - hatten zum Ziel, einige dieserGeheimnisse zu Iiiften. Durch physika-lische Messungen sollte geklart wer-den, worauf die technischen Schwierig-keiten beim Spielen der Barock-Trorn-pete beruhen und wie sie sich uberwin-den lassen. Dahinter stand die Hoff-nung, das in seiner Stimmung festgeleg-te Instrument wieder so spielen zu ler-nen, wie es Henry Purcell, Johann Se-bastian Bach, Georg Friedrich Handelund andere Barock-Komponisten in vie-len ihrer Werke wahl beabsichtigt hat-ten. Diese Untersuchungen haben ein-mal mehr gezeigt, wie untrennbarTheorie und Praxis miteinander ver-kniipft sind.

    Der Einflu6von Mund- und RachenraumFriihere Untersuchungen beschrank-ten sich weitgehend auf die akustischenEigenschaften des Instrumentes selbst.

    Dabei blieb auBer acht, daB Instrument,Mundstiick und Spieler eine Einheit bil-den. Will man den Geheimnissen desbarocken Trompetenspiels auf die Spurkommen, darf man die dynamischenWechselbeziehungen zwischen den dreiTeilen nicht vernachlassigen. Inzwi-schen namlich weill man, wie stark einSpieler den Ton seines Instrumentes be-einflussen kann. Anatomische Gege-benheiten wie Lippen, Zahne, Zunge,Mundhohle und Rachenraum sind beijedem Spieler verschieden und wirkensich ebenso unmittelbar auf den Klangaus wie die physikalischen Eigenschaf-ten des Instrumentes selbst.Der Bereich hinter den schwingenden

    Lippen, und was darin geschieht, ist da-her nicht weniger wichtig als der davor;denn die Vorgange in beiden beeinflus-sen sich naturlich gegenseitig. Wie einTrompetenton klingt, hangt also nichtal1ein davon ab, was im Bereichder schwingenden Luftsaule zwischenSchallbecher des Instrumentes und denLippen des Spielers passiert. AuBer imMundstuck und Instrument erregen dievibrierenden Lippen auch Schwingun-gen im Mund- und Rachenraum desSpielers. Die Wechselwirkung zwi-schen diesem inneren und dem auBerenResonanzraum ist denn auch Gegen-stand vieler derzeitiger Studien. Nachersten vorlaufigen Ergebnissen ist klar,daf es sich urn einen wichtigen, wennauch noch immer weitgehend ungeklar-ten Faktor handelt, was die Erzeugungund Modifikation bestimmter Tone an-geht; das gilt besonders in den mittlerenund oberen Registern.

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    Bild 2: Wie aile Barock-Trompeten sind auchdie belden hier gezelgten Typen Naturtrornpe-ten, die weder iiber Ventile noch tiber Klappenoder Locher verfugen, Das zweifach gefalteteExemplar oben steht in hoher D-Stimmung undgehort zu einem Satz von drei zuelnander pas-senden Instrumenten, den Johann LeonhardEhe im Jahre 1746 in Niirnberg gebaut hat.Bel dem zweiten Instrument handelt es sich urneine spiralig gewundene Tromba da caccia intiefer D-Stimmung. Sie wurde von JohannWilhelm Haas 1688 gleiehfalls in Niirnberg an-gefertlgt. Die Trompeten aus der Werkstattvon Haas, in del' auch Horner und Posaunengefertigt wurden, galten als die besten ihrerZeit. Auch die Tromba da caccia auf ReichesPortrait konnte aus diesel" Werkstatt stammen.

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    zeitveranderlicher Widerstanddurch die lippen6ffnungReihenimpedanzfur Rachenraum undStimmapparat

    von der LungeerzeugterkonstanterLuftdruckImpedanz imMund durch dieLippenbewegung

    Eingangs-Impedanz desInstrumentes

    Impedanz lrnMundstOck durch dieLippenbewegung

    Wechseldruck irn MundBild 3: Dieses elektrische Ersatzschaltbild veranschaulicht die kompli-zierten Wechselbeziehungen zwischen Spieler, Mundsttick und Blech-blasinstrument. Die Lunge des Spielers erzeugt einen konstanten Luft-druck, Er wirkt auf Rachenraum und Stimmapparat, die hier als seriellgeschaltete Impedanz dargestellt sind. Ihren Wert kann der Spieler ge-zielt andern, indem er zum Beispiel die Zunge verschiebt oder den Un-terkiefer in eine andere Stellung bringt. Die Lippen schwingen perio-disch in den Kessel des Mundstucks hlneln und heraus und lassen so denDruck der stromenden Luft schwanken, Diesen Effekt verkorpern zwei

    Jeder geschickte Spieler eines Blech-blasinstrumentes kann mit raschen Be-wegungen der Zunge, der Halsmusku-latur oder von beiden ohne irgendeinemechanische Hilfsvorrichtung (Ventileoder Klappen) Triller spielen. Auchohne theoretische Kenntnisse weiB einPraktiker also, wie er die Resonanzenim Mund- und Rachenraum abwandelnmuB, urn die Hohe des von seinem In-strument abgegebenen Tons schwankenzu lassen. Die haufig benutzte Bezeich-nung "Lippentriller" ist daher imGrun-de falsch: Schwankungen der Resonan-zen hinter den schwingenden Lippen(im Mund- und Rachenraum) reichenaus, urn die Dynamik der Luftsaule da-vor (innerhalb von Mundstuck und In-strument) zu verandern.Zwar kann man ahnliche Effekte

    auch dadurch erzeugen, daB man denOszillator selbst bewegt, also dasMundstuck periodisch starker oderschwacher an die Lippen preBt oder denUnterkiefer bewegt. Doch laBt sich da-mit die Tonhohe nicht so gut steuernwie tiber die Veranderung der Reso-nanzraume in Mund und Rachen.

    Die Rolle del' LippenIm Gegensatz zu allen anderen Ty-

    pen von Musikinstrumenten besitzenBlechblasinstrumente keinen eigenenSchwingungserreger . oder Oszillator.Die Tone entstehen hier ausschlieBlichdurch die Schwingungen der Lippen desSpielers (Bild 5). Diese aber ubertragensich auf die Luft innerhalb des gesarn-

    Spekt rum der Wissenschaf t. Juni 1986

    parallel geschaltete Impedanzen fiir die Lippenbewegungen. Die Lippen-iiffnung charakterislert in diesem Schaltbild ein zeitlich nicht konstanterWiderstand, der bei geschlossenen Lippen gegen unendllch geht undumgekehrt sehr klein wird, wenn slch die Llppen beim Spielen tleferTiine weit offnen, All diese unterschledllchen GroBen bestimrnen zusam-men Form und AusrnaB der charaktertstischen wellenartlgen Luft-druckschwankungen, die man schliefllich imMundstuck flndet. Sie sindbier als Druck im Mundsttick, der sich fiber der Eingangsimpedanz desInstrumentes aufbaut, sowie als Druck im Mund des Spielers gezeigt.

    ten "Systems" (Spieler und Instru-ment). Die Spieler von Blechblasinstru-.menten konnen deshalb Klangfarbe undTonhohe besonders stark verandern.Wie Spieler, Mundsttick und Instru-ment zusammenwirken, laBt sich an-hand eines einfachen Modells in einemelektrischen Ersatzschaltbild darstellen(Bild 3). Nach der Theorie miissen, da-mit die Lippen eines Trompeters vibrie-ren, die Wellenwiderstande (die Quo-tienten aus Schalldruck und Schall-schnelle), im elektrischen Analogon dieImpedanzen, vor und hinter den Lippengleich groB sein, aber entgegengesetztePhasen haben.Mit dem Instrument an den Lippensind diese Bedingungen relativ einfachzu erfiillen: Der Spieler kann dieSchwingungen durch kleine Variationendes Wellenwiderstands hinter den Lip-pen (im Rachenraum) sehr prazise kon-trollieren. Hat er aber nur das Mund-stuck angesetzt oder erzeugt er dieTone allein mit den Lippen, darf auchder Wellenwiderstand hinter den Lip-pen nur mehr gerade so groB sein wieder des Mundstucks allein oder der desfreien Schallfeldes. Der Spieler muBseinen Wellenwiderstand jetzt also starkreduzieren, damit uberhaupt eineSchwingung einsetzt. Eine grobe Ab-schatzung der Grojlenordnungen unter-streicht, wie wichtig jene Wellenwider-stande sind, auf die der Spieler Einflufhat, und wie wenig der Wellenwider-stand des Instrumentes selbst ins Ge-wicht fallt,Fur das Spiel auf modernen wie auf

    barocken Blechblasinstrumenten gilt

    gleichermaBen, daB wir am wenigstentiber die Dynamik der Lippen des Spie-lers wissen. Das ist urn so bedauerli-cher und nicht ohne eine gewisse Iro-nie, als gerade die Lippen den entschei-denden Beitrag zur Tonerzeugung aufjedem Blechblasinstrument leisten. Fureine Aufklarung gilt es, den nichtlinea-ren Zusammenhang zwischen der Stro-mung von Luft durch eine Offnung unddem Luftdruckgefalle an dieser Off-nung zu erforschen.Der Spalt zwischen den Lippen eines

    Trompeters stellt eine solehe Offnungdar (Bild 5). Sie wird bei hohen Tonenirnmer enger. Dabei nimmt ihr Luftwi-derstand uberproportional zu, wahrenddie schwingende Lippenrnasse kleinerwird. Zugleich verringert sich dieOberflache der eigentlichen Schwin-gungsquelle sowie die Schwingungsam-plitude.Eine Folge dieser Zusammenhange

    ist, daB die GroBe des Mundstiicks denKlang der damit gespielten Tone beein-fluBt. Dies bestatigen die Erfahrungenmit originalgetreuem Spiel auf Barock-Trompeten. Mit einem grofsen Mund-stuck mit flachem Rand lassen sich auchdie hohen Tone (vom 12. Partialton anaufwarts) im sogenannten Clarin-Regi-ster spielen. Dabei mussen andere Teileder Lippen schwingen als bei den tiefenTonen des BaS-Registers. Interessan-terweise liegt das Clarin-Register derBarock-Trompete mindestens eine Ok-tave tiber den hochsten Tonen, die heu-te gewohnlich von einem Posaunistenverlangt werden, obwohl die modernePosaune eine fast gleich lange Luftsaule

    (Seiten 13 0 his l33: Anzeige un d Beihefter) 129

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    Harmonische (Naturtone)2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16@~ b-~ . . ___6._~ -fI-~): b.~.-#- - -I' .,-e-

    Tonbe-zeichnung C c c' c" c'"

    Bild 4: Die Folge harmonise her Partialtone tiber dem Ton C (zwei Okta-ven unter dem eingestrichenen oder mittleren c des Klaviers) entsprichtden Naturtdnen, die auf einer acht FuB (rund 240 Zentimeter) langenBarock-Trompete spielbar sind. Einige del' Tone, die haufig in del"

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    hat wie die Barock -Trompete und auchmit einem ahnlich groBen MundstuckgebJasen wird.Die Spieltechnik, die ein Barock-

    Trompeter im hohen Register anwand-te, hat kaum Ahnlichkeit mit der einesheutigen Trompeters. Da moderneMundstucke viel kleiner sind als die im17. und 18. 1ahrhundert gebrauchli-chen, lassen sich hohe Tone oftmals nurdadurch erreichen, daBman die Lippenfest zusammendrtickt oder gar -quetschtund die Luft mit Gewalt hinauspreBt.Dadurch werden die Lippen stark bean-sprucht und ermiiden schnell. Bisweilenkann sogar das Lippengewebe Schadennehmen: Im schlimmsten Fall platzt dieLippenhaut, und die Luft sucht sich ei-nen neuen Kanal durch das Unterhaut-gewebe.

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    barocken Trompetenliteratur vorkommen, sind nicht in diesel' Foigeenthalten (farbig). Dennoch mullte ein Barock-Trompeter sie auf seinemin der Grundstimmung unveranderlichen Instrument offenbar spielenkonnen, Neuere Untersuchungen haben gezeigt, wie das moglich ist,

    b c d

    t = 0Bild 5: Die Bedeutung der Lippen beim Spielencines Blechblasinstrumentes ist in diesernUberstchtsdiagremm schema tisch dargestellt,P ist der Luftdruck in den Lungen, Pm derDruck im Mund des Spielers, K r die Muskel-kraft der Lippen, Km die Kraft del' komprl-mierten Luft imMund auf die Lippen, fr dieSchwingfrequenz del' Lippen und t die Zeit.Die Lippen bilden ein schwingungsfahlges Sy-stem, bestehend aus einer Masse m und einernelastischen Federelement (a). Sie verhaltensich wie zwei Klappen, die von den federarti-gen elastischen Lippenkraften stets moglichstgeschlossen gehalten werden (b). Bel ansteigen-dern Luftdruck irn Mund offuen sich die Lip-pen, sobald Km griiBer wird als K , (e). Dannentweicht etwas Luft und erzeugt einen Druck-

    Analogie zum SingenDa die Lippen sowohl der eigentliche

    Tonerzeuger bei Blechblasinstrumentensind als auch aus lebendem Gewebe be-stehen, gibt es viele Parallelen zwi-schen dem Spiel auf Barock-Trornpetenund dem Singen. Die Lippen des Trom-peters haben weitgehend die Funktionder Stimmbander beim Sanger. DieTechnik des Clarin-Blasens ahnelt da-her in mancherlei Hinsicht der einesKoloratursoprans. In zahlreichenSchriften tiber das Spiel auf Blechblas-instrumenten wird denn auch eine Ge-sangsausbildung als Voraussetzung furdas Erlernen des Instrumentes verlangt.Ein Autor des 18. Jahrhunderts ernp-fiehlt Clarin-Spielern iiberdies, beimSpiel ans Singen zu denken und so weit

    stoll, Wegen des resultlerenden Druckabfallsim Mund konnen sich die Lippen nun wiederschlieflen (d). Bald ist del' Druck jedoch erneutso weit gestiegen, daH sich die Lippen abermalsiiffnen. Dleses Wechselspiel setzt sich fort, sodaB slch die Flache des Spalts zwischen denLippen sinusformig mit del' Zeit andert (e).Sind Masse und Spannung der Lippen sowiedel' Luftdruck konstant, so hangt die Wieder-holzeit dieses periodischen Vorgangs nul' nochvom Volumen del"Mundhohle ab; sie wird klei-ner (und die Schwingfrequenz entsprechendgriiHer), wenn der Spieler zum Beispiel durchLageanderung seiner Zunge das Volumenverrlngert. Hohe Tone spielt man also am be-sten mit nach vorn hochgewolbter und tiefemit nach hinten niedergedruckter Zunge,

    wie moglich zu versuchen, eine schoneStimme nachzuahmen.Wie Hornisten, Posaunisten undTrompeter wohl wissen, besteht eineenge Beziehung zwischen dem Singenbestimmter Vokale und dem Spie1en inverschiedenen Tonhohen. So entsprichtder (gesungene) Vokal "a" dem Spiel intiefer, der Vokal "i" dagegen dem inhoher Lage. Die Barock-Trompetescheint besonders empfindlich auf fei-ne Anderungen der Resonanzen desMund- und Rachenraumes zu reagieren- sei es wegen der mit rund acht FuBbeachtlichen Lange des Blasrohres oderauf Grund einer Kombination mehrererakustischer Faktoren, bei denen auchdas Mundstiick eine Rolle spielt.Tiefe Tone erfordem einen weit ge-

    offneten Luftweg: Die Zunge ist flach

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    naeh unten gedruckt wie beim Vokal;,a", und die Lippen sind so locker undflattem uber einen so groBen Bereichwie nur irgend moglich. Bei hohen To-nen muf die Zunge dagegen wie beim"i" gegen den Gaumen hochgebogensein, so daf sie moglichst wenig Luftdurchlafst und den Raehenraum fast vol-lig abschlieBt. Auch die Lippen mussenstark gespannt sein.Messungen mit einem Stethoskop ha-

    ben den Einfluf der Resonanzen imKorperinnern auf die Tonhohe bestatigt.Tiefe Tone waren am lautesten in derGegend des Kehlkopfs und der oberenBronehien, wogegen sehr hohe Fre-quenzen die groflte Intensitat im oberenRaehenraum und unter dem Kinn er-reiehten. Der aueh an Baeken und Wan-genknochen registrierte Schall durftevon Luftschwingungen in der Mundhoh-le herruhren sowie auf der Schalleitung(Korperschall) von den Lippen tiber dieZahne zum Oberkiefer beruhen.Lageanderungen der Zunge wirkensieh auch auf das "Timbre" oder die

    Klangfarbe von Trompetentonen aus.Dieser Effekt zeigt sieh in den entspre-chenden Klangspektren (Bild 7). LaBtman die Lippen zum Beispiel ohneTrompete und Mundstuck mit der Ton-hohe e" vibrieren und nimmt das Schall-signal imAbstand von einem Meter vordem Blaser auf, erhalt man den schein-bar gleichen Effekt wie beim Spielen ei-ner Maultrommel. Ist die Zunge nam-lich hochgebogen wie beim Vokal "i"(und damit das resonante Mundvolu-men klein), entstehen mehr Obertone ;liegt sie tief unten wie beim Vokal "a"(so daf das resonante Volumen desMundes groB ist), bleibt der Anteil anObertonen geringer. Wie der Anstiegdes Schallpegels urn 20 Dezibel beiFrequenzen tiber 6 Kilohertz (6000Schwingungen pro Sekunde) zeigt, er-zeugt ein kleines resonantes Mundvolu-men zudem mehr Rauschanteile.Wird also die Zunge hochgebogen,steigt die Resonanzfrequenz der Mund-hohle an. Damit geht eine grofiere Tur-bulenz des Luftstroms und eine ge-ringere Auslenkung der schwingendenLippen einher.Ganz ahnliche Klangspektren ergeben

    sich, wenn ein Spieler unter den glei-chen Bedingungen auf einer Naturtrom-pete blast (Bild 7 rechts). Bei groBemMundvolumen (tiefliegender Zunge)hat die Trompete einen vollen, strahlen-den Klang, der reich an Obertonen undfast frei von Rauschen ist. Die Lippenschwingen stark und werden weit aus-gelenkt. Bei kleinem Mundvolumen(hochgewolbter Zunge) entsteht eingroberer Klang, der nasal und fast auf-dringlich wirkt. Obwohl dadurch dieKlangfarbe leidet, mull das Mundvolu-

    Sp ek tr um d e r W i ss e ns c ha f t. Juni 1986

    o 5 10 205Zeit in Millisekunden

    mid 6: Der zeltabhanglge Schalldruck imMundstiick elner Posaune wurde fur die Tone(von oben nach unten) B, b, f" und b' mit einem

    Meftmikrophon aufgezeichnet, Die Nullinie desDruckmallstabs entspricht etwa dem in del"Umgebung herrschenden Atmospharendruck.

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    60 a50

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    Bild 8: Die Klangspektren von vier verschiedenen - teils alten, tells neu-en - Blechblasinstrurnenten wurden hier beim Anblasen iiber zwei Ok-taven gemittelt. Bei den Instrumenten handelte es sich urn eine zweifachgefaltete Barock-Trompete in C (a), eine spiralig gewundene barockeTromba da caccia (Clarin-Trompete) in D (b), eine rnoderne Piccolo-Trompete in B (c) und einen Zinken (ein "Horn" mit Kesselrnundstuck

    ~ \ _~II.2 4 6 8 10 12 14 16Frequenz in KilohertzDie Bedeutung

    handwerklicher FertigungstechntkenNicht zuletzt tragen naturlich die Ei-

    genschaften des Instrumentes selbstzum barocken Trompetenklang bei.Seltsamerweise sind die alten Original-instrumente trotz der durch die hand-werkliche Fertigung bedingten Unre-gelmabigkeiten tonreiner und leichterzu spie1en als moderne Nachbauten mitder hohen Prazision, die ihnen heutigemaschinelle Fertigungsmethoden ver-leihen. Neue akustische Messungen ha-ben gezeigt, daB die Stimmung (dasheiBt die genauen Werte der Resonanz-frequenzen) fast ausschlielslich von derForm des Rohres bestimmt ist. Wie guteine Tronipete dagegen anspricht, dasheiBt wie stark und scharf die Resonan-zen sind, daruber entscheidet praktischallein der sogenannte Q-Faktor. Er be-zeichnet die "Gtite" eines Resonatorsund hangt seinerseits davon ab, wieglatt und gleichmaliig die Rohrinnen-wand ist (wobei auch das Material einegewisse Rolle spielt),Die alten Barock-Instrumente wie

    auch ihre modernen Kopien bestehenim wesentlichen aus (gefalteten oderspiralig gewickelten) zylindrischen Me-

    Spektrum de r Wissenschaft, Juni 1986

    6 18 2012 14 160Frequenz in Kilohertz

    und Griffliichern) in A (d). Das Klangspektrum der Piecolo-Trompete,die oft bei heutigenAufftihrungen von Barock-Werken verwendet wird,weist deutllch weniger Obertone auf als das .der originalen Barock-Trompeten, Auf einer Plccolo-Trompete gespielt, die nur ein Viertel derHinge des vom Komponisten vorgesehenen Instrumentes hat, kann Ba-rockrnusik daher nie so brillant klingen, wie sie eigentlich gedacht war.

    tallrohren, die sich nul' am Ende tibereine kurze Strecke konisch erweitern.Die maschinellen Fertigungsmethodenbei modernen Nachbauten ergeben nuneine durchgehend gleichmaflige undglatte Innenflache. Der Resonator hatdaher einen hohen Q-Faktor, und seineResonanzen sind entsprechend scharfund stark ausgepragt, Da die Eigenre-sonanzen jedoch nicht immer mit dengewunschten Tonen iibereinstimmen,erschwert die hohe Gute das Spiel aufsolchen modernen Kopien. Sie gestattetnamlich nur geringere Korrekturen derTonhohe, als das bei alten Originalenmoglich ist. Jene Naturtone, die beson-ders weit aus den gangigen Tonleiternherausfallen, sind also sehr schwerrichtig zu intonieren.Zwar wurden Blechblasinstrumenteim 17. und 18. Jahrhundert wie heuteauch aus Messingblechen gefertigt,doch sind handgeschmiedete Blecheeben viel ungleichmalliger als maschi-nell gewalzte. Wenn der Instrumenten-bauer fruher die Bleche von Hand bear-beitete und sie tiber Stahldornen zuRohren formte, bekamen die Innenfla-chen dadurch viele weitere kleine, aberin ihrer Wirkung bedeutungsvolle Un-regelmafsigkeiten. Hinzu kamen Un-

    vollkommenheiten wie leichte Schwan-kungen im Rohrdurchmesser, nichtganz glatte Verbindungen und unsyrn-metrische Querschnitte an den Biege-stellen. All das senkte den Q-Faktorund machte die Resonanzkurve entspre-chend flacher.Infolgedessen kann ein Musiker, derauf einer alten Barock-Trompete spielt,deren "schrage " Naturtone "zurecht-biegen". Bei vielen dieser Instrumentegelingt das so gut, daBsie sich ohne sto-rende Beeintrachtigung von Klangfarbeoder Lautstarke sauber intonieren las-sen. Urn dasselbe bei neuen Instrumen-ten zu erreichen, greifen fast alle heuti-gen Hersteller von Barock-Trompetendagegen zu dem Notbehelf, sie mitGrifflochern zur Intonationshilfe aus-zustatten. Damit verfalschen sie jedochnicht nur historische Grundsatze, son-dern betrugen sich selbst, indem sie beibestimmten akustischen Parameternund den Spieltechniken halbherzigeKompromisse schlieflen. Wer die ver-gessene barocke Trompeterkunst histo-risch getreu wiederbeleben will, muBkonsequent historische Prinzipien aufalle drei Teile des Gesamtsystems an-wenden: den Spieler, das Mundstuckund das Instrument.

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