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Volker Georg Das Verhältnis der Niederdeutschen Bewegung zur flämischen und niederländischen Sprache und Kultur im Quickborn 1 Einleitung Die Geschichtsschreibung nach dem Ende des Zweiten Weltkrie- ges hat die Expansionsabsichten des Hitlerstaates detailliert nachgewiesen. Der ökonomische Anfangserfolg des Regimes war ohne die zwingende Ausrichtung auf einen größeren militärischen Konflikt nicht denkbar, was allerdings den meisten Zeitgenossen - und selbst vielen späteren Betrachtern - verborgen geblieben sein dürfte. Ein Teil dieser langfristigen Strategie war die Unterwer- fung der Nachbarstaaten, bei denen die relativ wehrlosen Länder Belgien und Niederlande zu den ersten gehörten, die im Visier der Nationalsozialisten waren, nicht zuletzt wegen ihrer kolo- nialen Besitzungen. Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg war es nicht nur die militärische Dimension, die bei der Entscheidung zur Besatzung eine Rolle spielte, sondern in selbem Maße das Ziel, die betroffenen Staaten einem „großgermanischen Reich“ anzugliedern. Als Vehikel für diesen Plan wurde auch die deutsche Sprache instrumentalisiert, die nach einer beabsichtig- ten Annexion der Länder dort obligatorisch werden sollte (vgl. Sauer, in: Januschek, S. 280). Es stellt sich nun die Frage, wie Körperschaften in der deutschen Gesellschaft jener Zeit, die eigentlich eine unpolitische Struktur besaßen, sich zu diesen Absichten stellten. Die Vereinigungen der Niederdeutschen Bewegung, von denen eine im Mittelpunkt dieses Aufsatzes steht, gaben sich zumindest bis zur Machtüber- tragung an die Nationalsozialisten als überparteilich. Mehr oder weniger freiwillig wurden sie im Dritten Reich in unterschied- lichem Maße Teil des gleichgeschalteten Vereinswesens. Die Ska- la dieser Entwicklung reicht in den Bewegungszeitschriften von vereinzelten Publikationen bis hin zur Veränderung zum Propa-

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Volker Georg

Das Verhältnis der Niederdeutschen Bewegungzur flämischen und niederländischen Spracheund Kultur im Quickborn

1 Einleitung

Die Geschichtsschreibung nach dem Ende des Zweiten Weltkrie-ges hat die Expansionsabsichten des Hitlerstaates detailliertnachgewiesen. Der ökonomische Anfangserfolg des Regimes warohne die zwingende Ausrichtung auf einen größeren militärischenKonflikt nicht denkbar, was allerdings den meisten Zeitgenossen -und selbst vielen späteren Betrachtern - verborgen geblieben seindürfte. Ein Teil dieser langfristigen Strategie war die Unterwer-fung der Nachbarstaaten, bei denen die relativ wehrlosen LänderBelgien und Niederlande zu den ersten gehörten, die im Visierder Nationalsozialisten waren, nicht zuletzt wegen ihrer kolo-nialen Besitzungen. Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg war esnicht nur die militärische Dimension, die bei der Entscheidungzur Besatzung eine Rolle spielte, sondern in selbem Maße dasZiel, die betroffenen Staaten einem „großgermanischen Reich“anzugliedern. Als Vehikel für diesen Plan wurde auch diedeutsche Sprache instrumentalisiert, die nach einer beabsichtig-ten Annexion der Länder dort obligatorisch werden sollte (vgl.Sauer, in: Januschek, S. 280).

Es stellt sich nun die Frage, wie Körperschaften in der deutschenGesellschaft jener Zeit, die eigentlich eine unpolitische Strukturbesaßen, sich zu diesen Absichten stellten. Die Vereinigungen derNiederdeutschen Bewegung, von denen eine im Mittelpunktdieses Aufsatzes steht, gaben sich zumindest bis zur Machtüber-tragung an die Nationalsozialisten als überparteilich. Mehr oderweniger freiwillig wurden sie im Dritten Reich in unterschied-lichem Maße Teil des gleichgeschalteten Vereinswesens. Die Ska-la dieser Entwicklung reicht in den Bewegungszeitschriften vonvereinzelten Publikationen bis hin zur Veränderung zum Propa-

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gandaorgan. Dieser Aufsatz wird untersuchen, wie sich dieVereinigung Quickborn zu bestimmten Sprachen, die dieselbenWurzeln wie die von der Niederdeutschen Bewegung gepflegtehatten, verhielt. Dass auch die Kultur Flanderns und der Nieder-lande dabei betrachtet werden muss, ist evident. Die Vereini-gungen der Niederdeutschen Bewegung widmeten sich schließlichder Sprachpflege und somit der Alltagskultur, und umgekehrtmachten sie einen Teil dieser Kultur aus. Die Entscheidung füreine Untersuchung des Quickborn fiel leicht, weil er bis heute diegrößte und repräsentativste Organisation der Bewegung darstellt.Dies äußerte sich nicht nur in den Mitgliederzahlen, sondernauch durch Querverweise in den Publikationen derNiederdeutsch-Interessierten.

Die seit Beginn der siebziger Jahre intensiv betriebene Forschungzum Thema „Niederdeutsch und Nationalsozialismus“ lässt sichanhand eines Aufsatzes von Thomas Strauch (in: Dohnke et al., S.520-543) rezipieren. Was nun die Forschung zum speziellen Ge-genstand dieser Arbeit angeht, gibt es eher wenig zu vermelden.Die wichtigste Arbeit ist ein Aufsatz von Claus Schuppenhaueraus dem Jahr 1990, in dem er - z.T. auf persönlichen Erin-nerungen basierend - die Geschichte der Niederdeutschen Stu-dienwochen der Universität Hamburg und deren ideologischenHintergrund aufzeigt. Während die Studienwochen als solche fürdie NS-Zeit beschrieben werden, endet die Beschreibung ihresHintergrundes, der im Zeichen „deutsch-flämisch-nieder-ländischer Verbrüderung“ steht, mit dem Jahr der Machtüber-tragung an die Nationalsozialisten. Von großer Bedeutung ist derAufsatz Schuppenhauers für diese Arbeit dennoch u.a. deshalb,weil dort der Forschungsstand zum Thema zusammengefasstwird (Schuppenhauer 1990, S. 543 f., Anm. 5). Wenn dies in einerFußnote möglich ist, wird bereits einiges über den Grad des bis-herigen wissenschaftlichen Interesses am Gegenstand ausgesagt.Genannt werden von Schuppenhauer u.a. die Arbeiten von LudoSimons, der sich auf das 19. Jahrhundert beschränkt und nur denliterarischen Aspekt der niederdeutsch-niederländisch-flämischenBeziehungen behandelt (Simons 1969), und die Winfried Dolder-ers, dessen Bericht lediglich als „Beitrag zur Vorgeschichte derKollaboration“ gedacht war (Dolderer 1987/1988). Claus Schup-penhauer hatte bereits im Jahr 1986 in einem Ausstellungskata-log über die „niederdeutsche Idee“ im Zusammenhang mit derVlaamse Beweging auch für die NS-Zeit geschrieben, wobei sichdieser Bereich jedoch dem Hauptthema des Aufsatzes un-

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terordnen musste. Derselbe Band bietet in einem Bericht vonDetlev Schöttker eine Teilinterpretation des für das Dritte Reichin dieser Hinsicht grundlegenden Werkes „Deutsch-Nieder-ländische Symphonie“. Auch bei Schöttker kommt das Thema nurals Teil eines anderen Gegenstandes zur Sprache. EineAufsatzsammlung des Quickborn aus dem Jahr 1994 (Dohnke etal.) enthält nur marginale Informationen zum Thema dieserArbeit. Allein die Beiträge von Jan Wirrer und Utz Maas bietenDetails, wobei in Wirrers Aufsatz die Diskussion im Dritten Reichum das Niederdeutsche als Sprache im Vordergrund steht,während Maas vornehmlich die sprachwissenschaftlicheBeschäftigung mit dem Niederdeutschen innerhalb undaußerhalb der Bewegung darstellt. Die niederdeutsche Philologieist auch das Thema eines Aufsatzes aus dem Jahr 1991, in demsich das germanische Seminar der Universität Hamburg mitseiner Vergangenheit in dieser Hinsicht befasst. Es liegt in derNatur der Sache, dass sich eine solche Darstellung vor allem aufdie damals beteiligten Personen konzentrieren muss. Eine neuereUntersuchung zum deutschen Flandernbild seit 1830 legteWinfried Dolderer 1995 vor. Etwa ein Zehntel seines Aufsatzeswidmet sich der niederdeutsch-flämischen Annäherung währendder Zeit des Dritten Reiches, wobei eher politische und allgemein-kulturelle Aspekte Berücksichtigung finden. Allen hier angeführ-ten Arbeiten zum Thema „Die Niederdeutsche Bewegung und dieNiederlande bzw. Flandern“ ist gemein, dass sie sich nicht aus-schließlich mit dem Gegenstand befassen, sondern ihn stets nuram Rande erwähnen, sei es der Vollständigkeit halber oder alsErklärungsrahmen für andere Sachverhalte.

Eine Definition der Niederdeutschen Bewegung aus ihrer histo-rischen Entwicklung bis zum Ende der Weimarer Republik wirdim Anschluss an diese Einleitung gegeben. Zur Sprache kommendabei auch die Beziehungen zu Flandern und den Niederlanden,bevor ein weiteres Kapitel diesen Aspekt in bezug auf denQuickborn untersucht. Im Anschluss findet sich dann daseigentliche Kernstück des vorliegenden Aufsatzes, das aus derAnalyse der ausgewählten Quellentexte besteht. Zunächst werdendie „Mitteilungen aus dem Quickborn“ als reines Mitgliederblattder größten Vereinigung der Niederdeutschen Bewegunguntersucht. Dabei wird jeder einzelne Artikel, der Informationenzum Thema liefert, betrachtet. Weitgehend ausgenommen werdendabei die Rubriken, die Ereignisse aus der Welt des Theaterswiedergeben, und die Zeitungs- und Zeitschriftenschau, da beide

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Abteilungen wenig ergiebig für den Gegenstand dieses Aufsatzessind. Bei einer ausführlichen Betrachtung der Texte wendet derVerfasser die quellenanalytische Methode an: Sie erscheint beieiner erstmaligen Erschließung des Materials am geeignetsten.Das in den letzten Jahren in der politischen Sprachwissenschaftverstärkt zum Zuge gekommene Verfahren der kritischen Dis-kursanalyse ist in diesem Zusammenhang weniger angebracht.Dieser Umstand liegt zum einen in der Vielzahl der in den Textenanzutreffenden Diskurse begründet, zum anderen in derMaterialfülle selbst, die bei einer solchen Methode eineBeschränkung auf wenige, womöglich willkürlich ausgewählteArtikel bedingen würde. Auch die kulturhistorische Analysescheidet als Methode aus. Neben Schwierigkeiten mit derForderung, das sozialgeschichtliche Spannungsfeld und diesprachlichen Verhältnisse im Faschismus vollständig zu erfassen,würde eine notwendige Erweiterung des Textkorpus den Rahmendieser Untersuchung sprengen.

Im Anschluss an die Quelleninterpretation werden die Ergebnissezusammengefasst und ausgewertet. Ein Versuch der Übertragungder vorliegenden Erkenntnisse auf den gesamten Bereich derNiederdeutschen Bewegung wird dabei zu finden sein.Abgerundet wird diese Arbeit dann durch einen Ausblick, in demder Frage nachgegangen wird, wie der Quickborn mit diesem Teilseiner jüngeren Geschichte umgegangen ist.

2 Zur Entwicklung der Niederdeutschen Bewegung undihrer Position zu Flandern und den Niederlanden

Die Niederdeutsche Bewegung, deren Geschichte bis heute nurunzureichend untersucht ist (vgl. Dohnke et al., S. 330, Anm. 11),konstituierte sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts nach demAuftreten der Mundartdichter Klaus Groth und Fritz Reuter.Triebfeder für das Engagement der überwiegend national-konservativ eingestellten Aktivisten war ihre Rekrutierung ausdem Bildungsbürgertum, das sich vor allem gegen Ende des Jahr-hunderts einem starken sozialen Druck und Prestigeverlust aus-gesetzt sah. Die Beschäftigung mit der ländlichen Heimat undihrer Sprache bot in diesem Zusammenhang eine Alternative zurSelbstbestätigung. „Niederdeutsch“ wurde dabei nicht nur alsSprache, sondern auch als Qualität empfunden, was im ex-tremsten Fall von Julius Langbehn als Theorie einer rassischenHöherwertigkeit formuliert wurde.

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Am Anfang dieses Jahrhunderts gewann die Bewegung an Kon-tur. Kennzeichen dafür sind das Aufkommen spezieller Periodika(z.B. die „Mitteilungen aus dem Quickborn“ ab 1907) und dieEinrichtung eines ersten Niederdeutsch-Lehrstuhls in Hamburg1910. Nach einem Hoch in der Zeit vor und während des ErstenWeltkrieges, in der das völkisch-nationale Denken zumAllgemeingut wurde, wurde die Niederdeutsche Bewegung alseine Form der Bewältigung traumatischer Erfahrungen nachKriegsende weiter gefestigt. Während sie ihren Vereinigungeneinen unpolitischen Anstrich gaben, identifizierten sich die Nie-derdeutsch-Aktivisten nicht mit der neuen deutschen Staatsform.Am Ende der Wiemarer Republik war die NiederdeutscheBewegung innerhalb des deutschen Kulturlebens nichtsdestotrotzvon untergeordneter Bedeutung. Ihre Anhänger führten dies aufdie allgemeine Orientierung am Großstadtleben oder auf Mängelim organisatorischen oder personellen Bereich zurück.

Nach der Machtübertragung an die Nazis glaubte man offenbar inder Niederdeutschen Bewegung an einen schnellen Weg aus derKrise. Im Anschluss an ihre Gleichschaltung wurden die Ver-einigungen der Bewegung zunächst auch noch als gleichwertigePartner in der Kulturpolitik behandelt. Nach der Konsolidierungdes Regimes in den Jahren 1937/38 wurde jedoch schnell deutlich,dass derartige regionale Interessengruppen dem Zentralismus desHitlerstaates im Wege standen.

Die Beziehungen der Niederdeutschen Bewegung zu den nieder-ländischsprachigen Nachbarn konzentrierten sich im 19. Jahr-hundert vor allem auf Flandern. Es gab zunächst Bestrebungenum literarischen Austausch zwischen den beiden Sprachgemein-schaften, an die sich eine beiderseitige Sehnsucht nach einem„Groß-Niederdeutschland“ auf kultureller Basis anschloss. InDeutschland führte dies im Rahmen großdeutschen Denkens zeit-weise zu einer Negierung der nördlichen Westgrenzen. Nichtzuletzt deshalb war den frühen niederdeutsch-flämisch-nieder-ländischen Kontakten kein großer Erfolg beschieden. Das ändertesich erst, als man in Flandern und Deutschland nach 1910Frankreich als gemeinsamen Gegner ausmachte. Im Ersten Welt-krieg schließlich stand für die Niederdeutsch-Aktivisten wie-derum Flandern im Mittelpunkt des Interesses, da Belgien imGegensatz zu den neutralen Niederlanden durch die deutsche Be-setzung in die Kriegshandlungen einbezogen wurde. Einige Ak-tivisten der Vlaamse Beweging kollaborierten mit der deutschen

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Zivilverwaltung, wodurch sie sich eine schnellere Durchsetzungihrer Forderungen erhofften. Der größere Teil der flämischenBevölkerung lehnte jedoch die Zusammenarbeit mit den Deut-schen ab, was in den Organen der Niederdeutschen Bewegungverschwiegen wurde.

Während der Zeit der Weimarer Republik ebbte das allgemeineInteresse an Flandern schnell ab - nicht jedoch in der Nieder-deutschen Bewegung. Während man zunächst nur mit den nachDeutschland geflohenen Aktivisten der Vlaamse Beweging zusam-menarbeitete, gab es bald von seiten der niederdeutschenPhilologie Bemühungen um eine einheitliche Schriftsprache nachniederländischem Vorbild. Waren diese Formen der Kooperation -nunmehr auch mit den nördlichen Niederlanden - zunächst rechterfolgreich, so stagnierten die Beziehungen in der Mitte derzwanziger Jahre. Die Gründe für diese Entwicklung dürften inder Wirtschaftskrise in Deutschland und in den Flügelkämpfeninnerhalb der Niederdeutschen Bewegung gelegen haben. Parallelzur Regeneration der Bewegung gegen Ende des Jahrzehntswurde auch die groß-niederdeutsche Idee wieder verstärktpropagiert. Niederdeutsch-flämische Veranstaltungen häuftensich im letzten Drittel der zwanziger Jahre. Für die Anhänger derBewegung umfasste der Begriff „niederdeutsch“ zu dieser Zeitnicht nur sprachliche und kulturelle Gegebenheiten in Nord-deutschland, sondern bezog sich auf einen geographischen Raum,der sich von Flandern über die Niederlande bis nachSkandinavien erstreckte.

3 Der Quickborn und sein Standpunkt zur Flandern-und Niederlande-Problematik bis 1933

Der 1904 gegründete Hamburger Verein Quickborn, dessen Mit-gliederlisten auf eine starke Repräsentanz des Bildungsbür-gertums schließen lassen, gibt seit 1907 eine eigene, vierteljähr-lich erscheinende Zeitschrift, die „Mitteilungen aus dem Quick-born“ (fortan auch „QB“ abgekürzt), heraus. Dieses Periodikumumfasst in einem Umfang von etwa dreißig Seiten zunächst einenAufsatzteil, dem sich eine Rubrik „Rundschau“ mit Ereignissenaus der niederdeutschen Sphäre anschließt. Weiterhin finden sichdie Abteilungen „Theater“, „Bücherbesprechungen“ sowie einePresseschau. Abgerundet werden die Exemplare durch vereins-interne Mitteilungen. Am Aufbau der Hefte hat sich bis heute imwesentlichen nichts geändert.

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Für den Zeitraum von der Gründung des Quickborn bis zum Ers-ten Weltkrieg lässt sich aus den „Mitteilungen“ bezüglich derbehandelten Problematik nichts herauslesen, was in irgendeinerForm untypisch für eine Vereinigung der NiederdeutschenBewegung gewesen wäre. Der quantitative Aspekt - sieben Bei-träge in sieben Jahren - lässt nur aufgrund der Regelmäßigkeitdes Erscheinens auf ein gewisses Interesse am Thema schließen.Dabei wird durchweg deutlich, dass sich die Verfasser schon seitlängerem mit der niederländischen Sprache und ihrem Umfeldbeschäftigen.

Während der Zeit des Ersten Weltkriegs lässt sich für die „Mit-teilungen aus dem Quickborn“ feststellen, dass dort der Kurs dergesamten Niederdeutschen Bewegung nachvollzogen werdenkann. Man richtete sich nach den Erfordernissen der Politik unddem Verlauf des Militäreinsatzes. Die Schwerpunkte der Bericht-erstattung lagen bei den Themen „Vlaamse Beweging“ und„Sprachvergleich“. Beide mussten neben anderen Aspekten dafürherhalten, Gemeinsamkeiten zwischen flämisch-niederländischenund (nieder-)deutschen Belangen herzustellen. Der Enthu-siasmus, mit dem in Deutschland die Bemühungen der Flamenum ihre Interessen verfolgt wurde, lässt sich auch aus den„Mitteilungen“ deutlich herauslesen.

Das Interesse an den Niederlanden und vor allen Dingen an Flan-dern hatte nach dem Krieg zwar auch im Quickborn an Bedeu-tung verloren, war aber nicht völlig aus dem Blickfeld gerückt.Als repräsentativ kann die Berichterstattung in den „Mittei-lungen“ in den ersten drei Nachkriegsjahren allerdings nichtangesehen werden. Zu wenig wurde auf die lebhafte Zusammen-arbeit mit den flämischen Aktivisten eingegangen, und auch einethemenbezogene Sonderausgabe lässt sich nicht ausmachen. Dieentsprechenden Artikel beziehen sich durchweg auf die Ge-schichte der niederdeutsch-niederländisch-flämischenKooperation, worin auch Rechtfertigungen für das verstärkteEngagement während des Krieges eingeschlossen sind. Die kriti-schen Stimmen, die im Quickborn zu Wort kamen, sind zwar fürdie Niederdeutsche Bewegung in dieser Frage durchaus nicht ty-pisch, daraus aber eine grundlegende Kursänderung der Vereini-gung abzuleiten, wäre überzogen.

Die für die folgenden Jahre festgestellte Stagnation des Interessesan den Niederlanden und Flandern in der Niederdeutschen Bewe-gung ist dagegen auch anhand der „Mitteilungen aus dem

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Quickborn“ nachvollziehbar. Ganze Jahrgänge der Vereinszeit-schrift enthalten keine entsprechenden Beiträge, und die vorge-fundenen enthalten wenig Neues.

Am Ende der zwanziger Jahre laufen die Entwicklungen inner-halb der Gesamtbewegung und dem Quickborn ebenfalls bis zueinem gewissen Grade parallel. Berichte über Veranstaltungen,die die groß-niederdeutsche Idee fördern sollten, finden sichebenso wie deren Vorankündigungen. Auch die Konzentration auf„stammeskundliche“ Zusammenhänge, die mit der Fortsetzungder Gedanken aus dem Ersten Weltkrieg einherging, lässt sichnachvollziehen. Im Unterschied zu anderen Teilen der Bewegungfehlt in den „Mitteilungen“ jedoch weitgehend die offene politischeAgitation; es kommen sogar Stimmen zu Wort, die die unpoli-tischen Absichten der Vereinigung betonen, was allerdings auchals zielgerichtete Aktion zur Verschleierung der wahrenInteressen gedeutet werden kann. Von einem Boom derniederdeutsch-niederländisch-flämischen Annäherung, wie er fürdie Gesamtbewegung festgestellt wurde, ist in den „Mitteilungen“ebenfalls wenig zu spüren, wie die immer noch geringe Zahlentsprechender Beiträge belegt.

Auch zu Beginn der dreißiger Jahre findet man im Quickborn-Vereinsorgan wenig Neues zum Thema. Im 24. Jahrgang der Mit-teilungen wird in einem etwa dreiseitigen Aufsatz über den„flämischen Sprachenkampf“ doziert (QB 24/2, S. 39 ff.); der 25.Jahrgang (1931/32) bietet lediglich drei kurze „Rundschau“-Meldungen, in denen es um niederländisch-niederdeutsche Zu-sammenarbeit auf literarischer Ebene geht. Für diese Phase lässtsich wiederum feststellen, dass die „Mitteilungen“ im hier unter-suchten Bereich nicht von der Linie der Gesamtbewegung ab-wichen.

4 Das Verhältnis der Vereinigung Quickborn zu denniederländischsprachigen Nachbarn 1933-1945

Die „Mitteilungen aus dem Quickborn“, die im folgenden imHinblick auf Belgien und die Niederlande untersucht werdensollen, hatten sich zu Beginn der dreißiger Jahre nicht wesent-lich, aber doch in einigen Einzelheiten seit Beginn ihres Er-scheinens verändert. Es war mittlerweile eine Rubrik mit der Be-zeichnung „Sprachecke“ hinzugekommen, die sich vorwiegend aufpopulärwissenschaftlicher Ebene mit der Linguistik des Platt-

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deutschen befasste. Die Abteilung „Theater“ wurde durchBerichte aus dem Bereich „Rundfunk“ ergänzt. Der Umfang dervierteljährlich erscheinenden Hefte hatte sich mit jeweils circadreißig Seiten nicht geändert.

4.1 Mitteilungen 26 (1932/1933)

Im 26. Jahrgang der „Mitteilungen aus dem Quickborn“ setzteman die Tradition fort, aufgrund nur vage angedeuteter Gemein-samkeiten zwischen „Niederdeutschland“ und den niederländisch-sprachigen Nachbarn Berichte zu diesem Thema abzudrucken.Ohne jede Begründung erscheint gleich im ersten Heft eine kurzeNotiz über einen Verband der Flamen in Frankreich, der demzu-folge zwei Zeitschriften herausgibt („Le [!] Torrewachter“ und „LeLion de Flandre“; QB 26/1, S. 21). Einem sachlich gehaltenenBericht über ein „niederdeutsch-niederländisches Stu-dententreffen“ in Hamburg im dritten Heft (QB 26/3, S. 85) folgtim vierten eine zweisprachige Notiz über einen Afrikaans-Lehrstuhl an der Universität von Amsterdam, deren Wichtigkeitfür die niederdeutsche Szene auch mit Hintergrundinformationenim Dunkeln bleibt.

Die „Buchbesprechungen“ derselben Ausgabe präsentieren einehalbseitige Rezension des Werkes „Vlaamsche Weelde“ (=„Flämische Pracht“; QB 26/4, S. 122), in der den „reichsdeutschenLesern“ das „Prachtwerk“ empfohlen wird, das vor allem mit Hilfevon Bildern „langatmige Literaturgeschichten“ der flämischenDichtung ersetzen soll. Der in dem Bericht zweifach verwendeteBegriff „reichsdeutsch“ lässt Raum für Spekulationen darüber,welche anderen Gruppen von Deutschen sich für das Werk inte-ressieren sollten. Die Wendung kann zum einen als Beleg der NS-Ansprüche auf die Region Eupen-Malmedy gedeutet werden, zumanderen aber auch viel allgemeiner als Hinweis auf die Betrach-tung der Flamen als „Volksdeutsche“. In beiden Fällen läge hierein Anzeichen auf die im Herbst 1933 bereits vollzogene Einglie-derung des Quickborn in das nationalsozialistische Kulturlebenvor, in dem derlei expansionistische Bekundungen zum guten Tongehörten. Verfasst wurde die vorliegende Rezension von einemAutor namens Ulrich Zierow, der hier erstmals in den „Mit-teilungen“ publiziert. Dieser Name ist deshalb wichtig, weil seineArtikel zum hier untersuchten Gegenstand im Quickborn-Periodikum und anderswo später breiten Raum einnehmen soll-ten. Leider ist über Zierow wenig in Erfahrung zu bringen.

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Bekannt ist immerhin, dass er ein Sohn des niederdeutsch schrei-benden Literaten Wilhelm Zierow (1870-1945) aus Güstrow war.1Die Vielzahl seiner Veröffentlichungen sowie die Tatsache, dassUlrich Zierow einen Doktortitel führte, lässt auf eine Tätigkeit alsfreier Journalist schließen.2 Während des Dritten Reiches machteer sich einen Namen als Flandern-Kenner, u.a. aufgrund seinerzahlreichen Übersetzungen flämischer Literatur in das Hoch- undPlattdeutsche und umgekehrt. Auch galt er als John-Brinckman-Experte. Er trat 1935 als Mitglied Nr. 1794 in den Verein für nie-derdeutsche Sprachforschung ein, wie das „Korrespondenzblatt“des Vereins meldet.3 Dieser Verein führt ihn nicht mehr in derMitgliederliste des Jahrgangs 19514, obwohl sein Name zuvornicht in der Rubrik „Vereinsaustritte“ zu finden war. Dass UlrichZierow nach 1945 noch am Leben war, steht fest.5 Festzuhaltenbleibt außerdem, dass ihm die hier untersuchten Körperschaftender Niederdeutschen Bewegung - und vermutlich auch alle ande-ren - nach dem Zweiten Weltkrieg keinen Raum für Publika-tionen mehr überließen. Der Grund dafür kann nicht allein in sei-ner Gesinnung gelegen haben, denn bei einer konsequenten Tren-nung von entsprechenden Autoren hätte die Bewegung kaum indieser Form überleben können. Naheliegend ist vielmehr dieEinsetzung Zierows und seiner Artikel durch höhere Instanzen;genauere Informationen folgen später. Sein erster Aufsatz in den„Mitteilungen“ sollte der letzte zum hier behandelten Thema imJahrgang 1932/33 sein.

1 Vgl. den Aufsatz „Neujahrsgruß aus Vlandern“ von Jozef Simons, in: QB 32/3,

S. 72.2 Im QB 34/ 2, S. 79, wird Zierow als „ständiger Mitarbeiter des Quickborn“ ge-

führt.3 Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, Jg. 1935,

Heft XLVIII.4, S. 51.4 Korrespondenzblatt 1951, Heft 58/1, S. 1-8.5 Diese Information stammt von dem Antwerpener Literaturwissenschaftler

Ludo Simons, einem Sohn des flämischen Aktivisten Jozef Simons. Erstererwurde nach eigenem Bekunden von Zierow Anfang der sechziger Jahre inTurnhout besucht. Ludo Simons schließt aus der Tatsache, dass Zierowaufgrund der niedrigeren Portokosten seine Briefe in Ost-Berlin aufgab, dassdieser finanziell nicht gut gestellt war, kann aber auch keine Angaben über sei-nen Beruf machen.

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4.2 Mitteilungen 27 (1933/1934)

Besagter Ulrich Zierow eröffnete auch die Niederlande/Flandern-Berichterstattung des 27. Jahrgangs. Dies legt die Abkürzung „U.Z.“ nahe, mit der der viertelseitige „Rundschau“-Artikel„Niederdeutsch in Flandern“ (QB 27/2, S. 51) unterzeichnet ist.Dort geht es hauptsächlich um Übersetzungen niederdeutscherLiteratur in das „Vlämische“ und entsprechende Theaterauffüh-rungen. Mit vollem Namen ist Zierow unter seinem Artikel „EinDenkmal für René de Clercq“ an selbigem Platz erwähnt, worin erum Spenden für ein solches Denkmal bittet. Hier sollen Verbin-dungen zwischen der niederdeutschen Szene und der VlaamseBeweging gepflegt bzw. neu geschaffen werden. Wie schon zuZeiten des Ersten Weltkriegs wird Flandern zu „Nieder-deutschland“ gerechnet. Auch die traditionelle Tendenz, kleinsteZeichen von Zusammenarbeit als Erfolg zu melden, findet hierihre Fortsetzung; an derselben Stelle wird angemerkt, dassAugust Hinrichs’ „Swienskomödi“ in das Flämische übersetztwerde.

Im Sommer 1934 schreibt die ansonsten unbekannte Erna Mohrin der „Sprachecke“ ein Traktat über die Bedeutung des nieder-ländischen Wortes „verdieping“ (QB 27/3, S. 90), das durch seinelexikalische Homonymie ihrer Meinung nach für „hübschenBlödsinn“ sorgt. Warum sie sich in ihrem achtzeiligen Beitragüberhaupt mit dieser Frage auseinandersetzt, bleibt offen.

Die „Rundschau“ derselben Ausgabe macht deutlich, dass UlrichZierow im Begriff war, sich mit seinen Artikeln in den „Mit-teilungen“ zu etablieren. Zunächst schreibt er hier ein curriculumvitae über den flämischen Germanisten und Brinckman-Übersetzer Lodewijk Scharpé anlässlich dessen 65. Geburtstages(QB 27/3, S. 91). Nachdem er diesen ob seiner „pan-dietsch-groothartigen“ Übersetzungen gerühmt hat, folgt eine Abhand-lung über „Die völkische Bewegung in Flandern und Holland“(S. 91 f.). Hier fasst er lobend die Entwicklung der faschistischenOrganisationen in den Niederlanden und Belgien zusammen,indem er Musserts Nationaal-Socialistische Beweging (NSB) unddie flämischen Dietschen Nationaal-Solidaristen (Dinaso) er-wähnt. Zierow übertreibt zweifelsohne, wenn er behauptet, dass„sich auch die niederländische Jugend in steigendem Maße vomLiberalismus abzukehren“ beginnt. Leichte Kritik an dennationalsozialistischen Bewegungen der Nachbarländer wird laut,

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wenn Zierow „großniederländische Kreise“ mit ihrem Hinweis aufdie Gefahr zitiert,

daß die vlämischen Nationalsolidaristen mehr zu ihren bel-gischen Gesinnungsgenossen als zu ihren andersdenkendenVolksgenossen halten könnten und darüber der nationaleFreiheitskampf gegen die welschen Unterdrücker vergessenwürde. (QB 27/3, S. 92)

Es ist bemerkenswert, dass Ulrich Zierow an dieser Stelle dieflämische Sache höher bewertet als den Nationalsozialismus.Vielleicht wollte er gegenüber seinen flämischen Lesern nicht denVerdacht erwecken, er vertrete eine auf Annexion Belgiens undder Niederlande hinauslaufende Politik. Darauf deutet auch seinHinweis, dass NSB-Anhänger von ihren Gegnern zu Unrecht „alseine Art verkappte Hitlerleute hingestellt“ würden; gleichzeitigbetont Zierow die Ablehnung der flämischen Nationalistengegenüber allem Widernatürlichen und Fremden, „sei es Welschoder Deutsch“.

4.3 Mitteilungen 28 (1934/1935)

Auch im dritten „Mitteilungen“-Jahrgang in der Zeit des „Tau-sendjährigen Reiches“ begegnen dem Leser Artikel von Zierow. Inder „Rundschau“ des zweiten Heftes berichtet er auf einer Drittel-seite über „Vlämische Zeitschriften“ (QB 28/2, S. 52). Dabei ist dieZusammenstellung der dort erwähnten fünf Periodika wenigervon Belang, denn sie ist augenscheinlich völlig willkürlich undhöchstens mit der großniederländischen Bewegung in Verbindungzu bringen. Interessant ist vielmehr, was Zierow über die neueredeutsche Literatur zu sagen hat:

Hoffentlich weiß man in Flandern, daß die R. Neumann,Weismantel, Döblin, Mann, Regler, Toller, Zweig, Feucht-wanger und Genossen mit Deutschland nichts weiter alsden Namen gemeinsam haben.

Zierow benutzt hier die niederdeutsche Vereinszeitschrift, umoffen antisemitische Parolen zu verbreiten. Das Leugnen derErfolge dieser deutschen und österreichischen Schriftsteller, diezum Teil der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten, liestsich zugleich wie eine Warnung an die Adresse der flämischenPrintmedien.

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In derselben Rubrik finden sich weiterhin zwei Rezensionen flä-mischer Prosawerke, die ebenfalls Zierow als Urheber nennen.Der erste besprochene Roman stammt von Lode Baekelmans undträgt den Titel „Het Rad van Avontuur“. Hier verweist Zierow aufdie seiner Auffassung nach vorzügliche Darstellung „unsererFeldgrauen“ im Ersten Weltkrieg. Zierow fasst dabei einige vonBaekelmans geschilderte Kontakte zwischen belgischer Zivilbe-völkerung und deutschen Besatzungssoldaten zusammen, die erals wirklichkeitsgetreu hinstellt. Die Sammlung „Ons wroom envroolijk Kempenland“ von Jozef Simons findet deshalb Beachtung,weil sie nach Auffassung von Zierow Parallelen zwischen flämi-schem und niederdeutschem „Volksgut“ deutlich macht.

Ein anderer Name in der Flandern/Niederlande-Berichterstat-tung kommt in der „Rundschau“ des dritten Heftes vor (QB 28/3,S. 84). Hier wird ein gewisser Barthold Blunck mit einem Berichtaus der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ zitiert. Dieser war ver-mutlich ein Bruder des Niederdeutsch-Funktionärs und erstenPräsidenten der Reichsschrifttumskammer, Hans FriedrichBlunck, der in dem abgedruckten Artikel auch erwähnt wird. Esgeht darin um eine niederländisch-niederdeutsche Tagung aufdem Hof Thansen in der Lüneburger Heide, der mit Finanzmit-teln des Hamburger Großkaufmanns und Mäzens Alfred C.Toepfer u.a. für Aktivitäten der Niederdeutschen Bewegung her-gerichtet wurde. Befürworter der groß-niederdeutschen Idee, dieselbstverständlich nie so genannt wurde, aus der Philologiebeiderseits der Grenzen kamen dem Vernehmen nach auf dieserTagung zu Wort. Auf deutscher Seite sprach laut Barthold BlunckConrad Borchling, für die Niederländer ein „Dr. Steinmetz ausAmsterdam“, der im gleichen Maße, wie die Flamen antifran-zösische Propaganda verbreiteten, Kritik an England übte. Dabeiforderte er den deutschen Staat auf, „seine Werbung nicht alleinEngland und seine Liebe nicht allein den flämischen Brüdern,sondern auch den Niederländern“ zu erweisen. Dass Blunck undder ihn zitierende „Mitteilungen“-Redakteur gerade diesen Teilder Rede weitergeben, liegt an ihrem Bestreben, die Einseitigkeitder groß-niederdeutschen Bemühungen nicht sichtbar werden zulassen.

In der letzten „Mitteilungen“-Ausgabe dieses Jahrgangs kommtein weiteres Mal Ulrich Zierow zu Wort. Hier hat er in der„Rundschau“ bereits eine Seite zur Verfügung, die er mit Infor-mationen zum Thema „Niederdeutsch in Flandern“ füllt (QB 28/4,

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S. 115 f.). Dieser Bericht hat nicht nur die gleiche Überschrift,sondern auch die gleiche Struktur wie jener, der bereits imFrühjahr 1934 (QB 27/2, S. 51) erschienen war. Zunächst ver-meldet Zierow diesmal den Tod von Lodewijk Scharpé und einenAufenthalt des flämischen Dichters und Aktivisten Stijn Streuvelsin Hamburg. Anschließend geht er auf aktuelle Übersetzungenniederdeutscher Literatur in das Flämische ein, wobei - wie schonim Frühjahr 1934 - besonders sein Vater Wilhelm ZierowBerücksichtigung findet. In einem Hinweis auf eine niederländi-sche Zeitschrift heißt es: „Die Tagesereignisse zeigen nur zudeutlich, wie nötig hohen und höchsten holländischen Kreiseneine Stärkung ihres germanischen Rückgrates ist.“ (QB 28/4, S.116). Leider verschweigt Zierow, welche „Tagesereignisse“ ermeint. Auch die „hohen und höchsten Kreise“ bleiben namentlichunbekannt. Wenn Zierow diese Kombination eines adjektivischenPositivs mit dem dazugehörigen Superlativ benutzt, zeigt dies imübrigen, in welchem Maße er sich den NS-Sprachgebrauch bereitszu eigen gemacht hatte (vgl. Volmert, in: Ehlich, S. 151 f.).

4.4 Mitteilungen 29 (1935/1936)

Bereits im ersten Heft dieses Jahrgangs fügt Zierow erstmals sei-nem Namen den Wohnort, Güstrow, zu. Abermals heißt sein Arti-kel „Niederdeutsch in Flandern“ (QB 29/1, S. 24 f.), und wiedernimmt er etwa eine Seite in der „Rundschau“ in Anspruch. Dieerste Hälfte des Aufsatzes zählt Erwähnungen der niederdeut-schen Sphäre in der flämischen Presse auf. In der zweiten Hälftewird aus einem Bericht der Turnhouter Wochenschrift „NieuwVlaanderen“ zitiert, der sich mit der Übersetzung flämischer Lite-ratur in das Hoch- und Niederdeutsche und vice versa befasst.Besonders lobend wird dabei der Schreiber der „flämischen Chro-nik“ in der „führenden niederdeutschen Zeitschrift ‘Mitteilungenaus dem Quickborn’„, der gleichzeitig in dem durch „gute Unter-richtung“ bestechenden „Niederdeutsche[n] Beobachter“ schreibt,ein gewisser Ulrich Zierow, genannt. Die Tätigkeit für den„Niederdeutschen Beobachter“ gibt die letzte Gewissheit überZierows nationalsozialistische Gesinnung. Über das Blatt heißt esin dem Artikel, es sei „das amtliche Organ der Partei und desReichsstatthalters für Mecklenburg und Lübeck“. Zierow deutetmit dieser Veröffentlichung an, dass er nicht nur auf seinjounalistisches Schaffen, sondern auch auf seine politische Ein-stellung stolz ist.

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Das zweite Heft des 29. Jahrgangs des Quickborn-Periodikumsweist nur eine kurze Notiz zum Thema auf. Der anonym verfasste„Rundschau“-Artikel „Der Verein Veldeke“ (QB 29/2, S. 57)beschäftigt sich mit zwei vergleichbaren Mundartvereinenbeiderseits der belgisch-deutschen Grenze bei Aachen und derenZusammenarbeit. Der Stil lässt sich als objektiv bezeichnen.Ebenfalls objektiv verfasst ist der einzige Bericht im dritten Heft,der ebenso in der „Rundschau“ zu finden ist; sein Inhalt ist jedochungleich brisanter:

Der Rembrandtpreis für 1935/36 wurde von der hansischenUniversität in Hamburg zu gleichen Teilen den drei west-flämischen Dichtern René de Clercq, Stijn Streuvels undCyriel Verschaeve verliehen. - Ein Hamburger Übersee-kaufmann, der ungenannt bleiben möchte, hat diesen 10000M.-Preis gestiftet. (QB 29/3, S. 87)

Um wen es sich bei diesem unbekannten Mäzen handelt, ist un-schwer zu erraten: Es dürfte Alfred C. Toepfer, der Stifter desHeidehofes Thansen, gewesen sein. Hier setzt er überdeutlichseine von expansionistischen Gedanken geprägten Bemühungenfort, indem er die drei belgischen Kollaborateure aus dem ErstenWeltkrieg großzügig bedenkt. Genauere Hintergründe der Preis-verleihung nennt der unbekannte Verfasser hier noch nicht; siewerden in einer späteren Ausgabe der „Mitteilungen“ nach-gereicht.

Im letzten Heft dieses Jahrgangs erscheint im Aufsatzteil eine„Buchanzeige von A.[lexander] Strempel“ mit dem Titel „Dieflämische Bewegung“ (QB 29/4, S. 110-113). Hier stellt sich dieFrage, wie sich der sozialdemokratisch gesinnte Schriftleiter der„Mitteilungen“ zu diesem traditionell konservativ-nationalistischbehafteten Themenkomplex stellen würde. Am Anfang seinerRezension fasst er die „Mitteilungen“-Berichterstattung zur„flämischen Frage“ seit Beginn ihres Erscheinens ebenso kurz wiewertfrei zusammen, bevor er zur Besprechung des Buches „Dieflämische Bewegung“ von Kurt Bährens übergeht. Dieses Werk,das 1935 im Verlag „Volk und Reich“ erschienen war, trägt denUntertitel: „Europäisches Problem oder innerbelgische Frage?“Folgt man dem Kanon der bisherigen Berichterstattung, müsstedie Antwort ganz eindeutig „europäisches Problem“ heißen.Strempel stellt jedoch schon am Beginn seines Traktats heraus,dass das Werk von den niederländischen Zeitschriften „De

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Dietsche Gedachte“ und „Algemeen Handelsblatt [!]“ abgelehntwurde, und zwar mit dem Hinweis auf den NS-Verlag und denAutor, der dort als „persrefendaris voor Belgie van het propa-gandaministire [!] van Dr. Goebbels“6 bezeichnet wird. AlexanderStrempel lässt dabei offen, ob diese Behauptung stimmt; dies istebenso vielsagend wie sein Schweigen über seine persönlicheHaltung zur Ablehnung des Buches durch die Belgier. Er fügthinzu, „dass das Buch auch von Deutschen entschieden abgelehntworden sei“, wie man ihm „brieflich mitgeteilt“ habe. BesagteDeutsche hätten „sich seit Jahren um die flämische Freundschaft“bemüht, ergänzt Strempel. Auch hier bezieht er noch nicht ein-deutig Position, hält aber die Kritik dieser Deutschen angesichtsfolgender Äußerungen von Bährens für nachvollziehbar:

„Im Zwiegespräch über Außenpolitik begegnet einem immerwieder die mehr als einfältige Feststellung, die dasKönigreich Belgien in einen deutschfreundlichen flämi-schen und einen deutschfeindlichen wallonischen Volksteilaufspalten zu müssen glaubt (...). Es schwingen aus derKriegszeit Vorstellungen in die Gegenwart herüber, die zueinem Urteil über Flandern verleiten, das von der Wirklich-keit ebenso weit entfernt ist, wie die Jahre des Weltkriegeshinter uns liegen. Die Erinnerung pflegt in solchen Fällenein schlechter Berater zu sein, da sie nur das zurückhält,was damals ‘gefiel’.“ (S. 111)

An dieser Stelle markiert Strempel am deutlichsten seine Posi-tion, indem er wertet:

Wir dürfen sicher sein, daß der Verfasser seine guten Grün-de hat, diese Dinge so eindeutig klar einmal zu sagen; denn„mehr als einfältige Feststellung“ und „schlechter Berater“lassen an Deutlichkeit ja nichts zu wünschen übrig.

Strempel kritisiert hier in verschlüsselter Form, wie es seiner da-maligen Situation zukam, die im Quickborn wieder auflebendeBegeisterung für Flandern und die Niederlande. Er geht dabeisehr geschickt vor, wenn er sich ausgerechnet einen national-sozialistischen Autor als Kritikerkollegen aussucht. Dass er nichtaus denselben Motiven wie Bährens Kritik übt, verschweigt

6 Ebenda, S. 110 (= Pressereferent für Belgien des Propagandaministeriums von

Dr. Goebbels).

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Strempel. Auch versucht er sich ausdrücklich von dem Verdacht,„rein politische Dinge“ besprechen zu wollen, abzusetzen. Der vor-liegende Aufsatz lässt Rückschlüsse auf interne Machtkämpfe inder „Mitteilungen“-Redaktion zu, bei denen es wahrscheinlich umArt und Umfang der Flandern/Niederlande-Berichterstattungging. Die NS-Vertreter konnten diesen Konflikt für sichentscheiden, so dass Alexander Strempel 1937 in seiner Funktionals Schriftleiter für „untragbar“ erklärt wurde. Der zwei Drittelumfassende Hauptteil der Rezension fasst übrigens die einzelnenKapitel des Buches zusammen, wobei offenkundig großer Wertauf Sachlichkeit gelegt wurde.

Der „Rundschau“-Teil dieser „Mitteilungen“-Ausgabe informiertzunächst über einen Nachruf des „Dietsche Gedachte“ auf den imSommer 1936 verstorbenen Hans Böttcher. Dieser Text, der imüblichen Stil eines Nachrufs gehalten ist, wird auf niederländischabgedruckt, „um die Wirkung“ des „auch so leicht verständlichenWortlaut[es]“ nicht zu vermindern. Hier wird ein trauriger Anlass- der frühe Tod des ehemaligen Quickborn-Vorsitzenden - zumAnlass genommen, um die niederländische Sprache in derZeitschrift eines niederdeutschen Vereins salonfähig zu machen.Zugleich delektiert sich der nicht namentlich genannte Autor ander „Wirkung“ des Textes; er hatte dabei wohl vor allem eineErwähnung des Quickborn im Auge.

„Über die Verteilung des Rembrandtpreises“ ist ein Artikel in der-selben „Rundschau“ betitelt, in dem ein Bericht zum selben The-ma aus dem vorangegangenen Heft nochmals aufgegriffen wird.Detailliert beschreibt ein unbekannter Verfasser die kritischeReaktion der großniederländisch orientierten Zeitschrift „DeDietsche Gedachte“ auf die Preisverleihung. Letztere wehrt sichgegen die Vermengung der Begriffe „Niederländisch“ und „Nie-derdeutsch“ und bemängelt die Auswahl der Preisträger. Ein indiesem Zusammenhang zitierter Brief der „Niederländisch-deut-schen Werkgemeenschap“ Den Haag an die Universität Hamburgmacht deutlich, mit welchen Worten die Preisverleihung ungefährvonstatten gegangen sein muss. In dem Brief werden achtKritikpunkte aufgeführt. Die Betonung der unterschiedlichenBedeutung der Worte „niederdeutsch“ und „niederländisch“ seitder zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist dabei ebensonachvollziehbar wie das Bestehen auf Selbständigkeit des nieder-ländischen Volkes. Weiterhin verweist man auf die Kränkung desniederländischen Nationalgefühls, falls die Grenzen zwischen

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niederländischer und niederdeutscher Sphäre verwischt würden.Auch verwahrt sich die „Werkgemeenschap“ gegen den Gebrauchdes Wortes „Reichsniederlande“. Da es sich bei den Verfassern desBriefes um Anhänger der großniederländischen Idee handelt, darfauch der Hinweis auf eine möglichst gemeinschaftliche Behand-lung des flämischen und niederländischen Volkes nicht fehlen.Befolge man diese Empfehlung nicht, stelle man diejenigen, dieum die niederländisch-deutschen Beziehungen bemüht seien, alsProvinzialisten hin. Der Verfasser des „Rundschau“-Artikels hältdie Kritik für überzogen und stellt fest:

Danach scheint es, als ob man in der kulturellenFreundschaft jetzt zugleich etwas Politisches sähe. Manprotestiert. Wir möchten annehmen, daß bei der ent-schieden freundlichen Haltung, die gerade von Hamburgaus (...) eingenommen worden ist, die Angelegenheit bald zueiner freundschaftlichen Erledigung kommt (...). (QB 29/4,S. 123 f.)

Dem unbekannten Schreiber dieser Zeilen gelingt die Entkräf-tung der niederländischen Vorwürfe nicht. Wie anders, wennnicht politisch, sollten die Niederländer denn beispielsweise denGebrauch des Wortes „Reichsniederlande“ sehen? Er versucht,seine Beweisführung zu retten, indem er die „Werkgemeenschap“lächerlich macht („Man protestiert“) oder eine zu erwartende Ver-söhnung der Konfliktparteien in Aussicht stellt.

4.5 Mitteilungen 30 (1936/1937)

Im Frühjahr 1937 erschien die erste Ausgabe der „Mitteilungen“des 30. Jahrgangs. Hier findet man zunächst eine sehr knappeNachricht in der „Rundschau“, in der über die Verleihung des bel-gischen Staatspreises für niederländische Literatur berichtet wird(QB 30/1, S. 18). Die nächste Notiz zum Thema dieser Arbeit lässtsich erst für die vierte Ausgabe dieses Jahrgangs nachweisen undist ebenso kurz wie die erste. Übereinstimmend ist auch dieRubrik des Erscheinens und die fehlende Verfasserangabe. Dabeigeht es um eine 350-Jahr-Feier für den in Köln geborenen nieder-ländischen Dichter Joost van den Vondel, die die Deutsch-nie-derländische Gesellschaft veranstaltete (QB 30/4, S. 108). Diedritte und schon letzte Meldung zum Thema findet sich an der-selben Stelle und hat eine „großfriesische Tagung“ zum Inhalt.Dieser Begriff ist jedoch weniger ideologiebehaftet als auf den

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ersten Blick vermutet, da bei der Konferenz wohl eher sprach-wissenschaftliche Aspekte im Vordergrund standen, wie die indem Artikel angedeutete geplante „Herausgabe eines ost-friesischen Wörterbuches“ vermuten lässt.

Aus dieser recht dürftigen Berichterstattung des 30. Jahrgangslassen sich Rückschlüsse auf den bereits angedeuteten Macht-kampf in der „Mitteilungen“-Redaktion ziehen, der dort offenbarstattgefunden hat. Sollte diese These mit der Realität über-einstimmen, so hat vermutlich Alexander Strempel ein letztesMal als Schriftleiter die Oberhand behalten und sich mit seinerDistanz zu diesem Thema durchgesetzt. Interessant ist in diesemZusammenhang auch, dass der bis dato sehr häufig in Erschei-nung getretene Ulrich Zierow in diesem Jahrgang überhaupt kei-nen Artikel publizierte.

4.6 Mitteilungen 31 (1937/1938)

Der 31. Jahrgang der „Mitteilungen“ zeigt deutlich die Hand-schrift des neuen Schriftleiters Otto Specht, der für die Machtha-ber annehmbarer war. Bereits in der ersten Ausgabe der Zeit-schrift befassen sich mehrere Seiten der Rubrik „Bücherbespre-chung“ mit belgischen oder niederländischen Publikationen.Nachdem sich ein unbekannter Autor in sieben Zeilen über denniederländischen Roman „De Kraaien“ ausgelassen hat (QB 31/1,S. 20), kommt nach einer längeren Zeitspanne Ulrich Zierow wie-der zu Wort. Seine Rezension des Werkes „Geschiedenis van deVlaamsche en Grootnederlandsche Beweging I“ enthält auf einerViertelseite eine Reihung von Lobeshymnen, was sicherlich alleinschon durch die Auswahl des Buches zu erwarten war. Imweiteren Verlauf informiert ein unbekannter Verfasser über dieneue Zeitschrift „De Vlag“, die deutsche und flämische Beiträgeenthielt, was den Autor an eine „Vertiefung der deutsch-nieder-ländischen Beziehungen“ denken lässt. Nachdem anonym überdas Werk „Het Duitsche Proza sedert den Oorlog“ kurz referiertwurde, findet sich eine weitere Abhandlung von Ulrich Zierowvor. Diesmal geht es um das Werk „De Duitsche Roman van hetDerde Rijk“ (S. 26 f.). Auch hier genügt Zierow eine Viertelseite,um u.a. abermals seine antisemitische Einstellung publik zumachen:

Erfreulich ist, daß er [der Autor Jan van Gorp, V.G.] die indeutscher Sprache schreibenden Juden meist als solche

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bezeichnet, wenn wir auch lieber gesehen hätten, diesewären von den deutschen Dichtern getrennt, etwa in einemAnhang, behandelt worden.

Anscheinend fiel Zierow noch rechtzeitig ein, in welchem Mediumer seine Rezension veröffentlichte; nur so ist die sich an-schließende kurze Bemerkung: „Leider wird das Plattdeutscherecht stiefmütterlich behandelt“ zu verstehen. Ein belangloser 9-Zeiler über „Volkskleederdrachten in Vlaanderen“ schließt die Be-sprechung von Büchern aus dem niederländischen Sprachgebietab.

Im folgenden Heft hat sich diese Art von Beschäftigung mit aus-ländischer Literatur bereits vollständig etabliert. Dies zeigt sichan einer neu eingerichteten Unterabteilung der „Bücher-besprechung“ mit dem Titel „Dietsche Bücherschau“. Im Unterti-tel erfährt man, wer dafür verantwortlich war: „Leitung: UlrichZierow, Güstrow.“ (QB 31/2, S. 55). Obwohl dem Leser suggeriertwerden sollte, dass es sich nur um einen Teil der traditionellenRezensionsabteilung in den „Mitteilungen“ handelte - das lässtsich aus der kleineren Kopfzeile der „Dietsche Bücherschau“schließen -, wird die Bedeutung dieser Zierow-Domäne schon ausihrem Umfang deutlich. Bereits in dieser ersten Ausgabe nimmtsie mehr als die Hälfte der dreiseitigen „Bücherbesprechung“ ein.Schon zu Beginn behandelt Zierow hier ein Werk, das als zentraleArgumentationshilfe für die Vertreter groß-niederdeutscher Vor-stellungen gedacht war, nämlich die „Deutsch-NiederländischeSymphonie“ von Robert Paul Oszwald. In dieser Aufsatzsamm-lung wurde die deutsche und niederländische Geschichte undGegenwart auf Gemeinsamkeiten abgesucht, die selbstverständ-lich auch in großer Zahl gefunden wurden. Der Mitautor undHerausgeber des Werkes, der Historiker Oszwald, galt als einerder bestinformierten Gelehrten bezüglich der Situation in Flan-dern (Dolderer 1987, S. 220). Seine ersten Studien zu diesemThema waren bereits vor dem Ersten Weltkrieg erschienen; imKrieg selbst war er in der Besatzungsverwaltung tätig gewesen.Oszwald hatte seitdem nie aufgehört, sich um ein Fortkommender deutsch-flämischen Beziehungen zu bemühen. So nimmt esnicht Wunder, dass Zierow das Werk in den höchsten Tönen lobt:

Auch der Leser, der Herausgeber und Mitarbeiter desvorliegenden Werkes als die besten Sachkenner dieses füruns Niederdeutsche so wichtigen Gebietes zu schätzen

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weiß, wird über die Vielseitigkeit und Tiefe dervorbildlichen Gemeinschaftsarbeit erstaunt sein. (QB 31/2,S. 55 f.)

Der heutige Leser dürfte die Sammlung übrigens kaum als vor-bildlich empfinden, da willkürlich Beispiele für Gemeinsamkeitenaus zahlreichen kulturellen, sprachlichen und politischenBereichen aneinandergereiht wurden, wobei der Zweck sehr au-genfällig ist und auch vom Herausgeber im Nachwort angedeutetwird: „Wir stehen nicht am Ende einer zwei Jahrtausende altenSymphonie. Im Gegenteil.“ (Oszwald, S. 236). Der schwülstigeund pathetische Stil, in dem die Beiträge geschrieben sind, isteinem Sachlichkeit gewohnten Leser kaum zumutbar.

Fortgesetzt wird die „Dietsche Bücherschau“ mit vier anonymverfassten Rezensionen, und zwar zunächst über „LiterarischesSchaffen und Volkstum in Flandern (1890-1930)“. Die „über-schätzte Bedeutung“ des deutschen Expressionismus zuunguns-ten von Autoren aus der Vlaamse Beweging wird dabei kritisiert.Empfohlen wird das Buch dennoch, wenn auch nur, um ver-gleichend die „Deutsch-Niederländische Symphonie“ als moder-nere, „völkisch gebundene Wissenschaft“ darzustellen. „De GoedeHoop. Berichte aus dem deutschen und dietschen Kulturraum“ istdie nächste Rezension betitelt, wobei der „dietsche Kulturraum“nunmehr auch Südafrika umfasst. Zwei weitere Notizen aus demBereich des „flämischen Schrifttums“ runden die neue Rubrik ab.

Im folgenden Heft bietet auch die „Rundschau“ wieder Materialzum Thema. Nachdem Zierow im Namen „Niederdeutschlands“dem flämischen Aktivisten (und Weltkrieg-I-Kollaborateur) Au-gust Borms zum 60. Geburtstag gratuliert hat (QB 31/3, S. 79),finden sich zwei weitere Berichte, die eine „Niederdeutsche Aus-stellung in Flandern“ behandeln (S. 83). Auch in dieser Ausgabeist eine „Dietsche Bücherschau“ vorhanden. Sie beginnt mit einerRezension über „Eer Vlaanderen vergaat“ von Jozef Simons in derdeutschen Übersetzung „Flandern stirbt nicht“ von Ulrich Zierow.Conrad Borchling zeichnet zunächst den Inhalt dieses Romansnach, um dann auf die Geschichte seines Erscheinens und denseiner Auffassung nach hohen Realitätsgehalt einzugehen. DieBesprechung erfüllt zwei Funktionen: Zum einen darf Borchlingseine Bemühungen um niederdeutsch-flämische Zusammenarbeitfortsetzen, zum anderen wird für Zierows Übersetzung geworben,was ihm vermutlich finanzielle Vorteile in Aussicht stellte. Im

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weiteren Verlauf werden von Zierow drei Werke des flämischenAktivisten Ferdinand Vercnocke und eine Gedichtsammlung desbelgischen Nationalsozialisten Wies Moens empfohlen, bevor ermit einem Hinweis auf eine in das Deutsche übersetzte Novellevon Stijn Streuvels diese Rubrik abschließt. Wenn diese Ausgabemit der Bemerkung „Zeitungs- und Zeitschriftenschau im näch-sten Heft!“ abgeschlossen wird, so zeigt dies die Dominanz der„Dietsche Bücherschau“, die diesen traditionellen Teil der„Mitteilungen“ wohl schon von seinem üblichen Platz verdrängthatte.

Das vierte Heft des vorliegenden Jahrgangs, das im Frühherbst1938 erschien, informiert durch Ulrich Zierow und Otto Specht inder Abteilung „Rundschau“ über die Geburtstage der flämischenSchriftsteller Jozef van Mierlo und Jozef Simons (QB 31/4, S. 109f.), wobei durch die Verwendung der Kurzform „Jef“ für denVornamen des letztgenannten bei den Lesern offenbar Vertraut-heit und Sympathie geweckt werden sollen. Diese These unter-stützt auch die Tatsache, dass innerhalb des Artikels über Simonseines der in den „Mitteilungen“ seltenen Fotos abgedruckt ist, dasmit der Unterschrift des Literaten versehen ist. Wiederum ist esZierow, der über die Wahl Franz Frommes zum Vorsitzenden desBerliner „Bundes der Vlamenfreunde“ berichtet. Dass die bei derWahl anwesenden Belgier und Fromme selbst nach ZierowsWortlaut „herzliche Worte für die Verbundenheit von Nie-derländern und Deutschen“ fanden, zeigt, in welchem Maße dieVertretung der großniederländischen Idee in niederdeutschenKreisen bereits obligatorisch war. In einem wieteren Artikelerinnert Zierow mit einem Abdruck eines Artikels der Zeitschrift„Niedersachsen“ von 1918 an eine deutsche „Flamenfeier“ injenem Jahr. Nachdem ein erwartbarer Bericht über den Erfolgder im vorangegangenen Heft angekündigten „NiederdeutschenAusstellung in Flandern“ seinen Platz findet, informiert ein unbe-kannter Autor, der mit „W.S.“ unterzeichnet, über das neunte„Plattdeutsche Studentenlager“ auf dem Hof Thansen in derLüneburger Heide (S. 117). Die Notiz ist für diese Studie nur des-halb interessant, weil die Niederlande und Flandern hier nicht er-wähnt werden, was ansonsten im Zusammenhang mit dem MäzenToepfer im allgemeinen und dem Heidehof Thansen im besonde-ren unvermeidlich schien. Die hier angeführten Aufsätze stehenübrigens in der „Rundschau“ nicht en bloc, sondern wechseln sichmit Berichten, die die niederdeutsche Sphäre im eigentlichenSinne betreffen, ab. Auf diese Weise wird der Leser davon abge-

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halten, die Flandern/Niederlande-Berichterstattung eventuellgeschlossen zu übergehen.

Sämtliche neun Buchvorstellungen der „Dietsche Bücherschau“tragen diesmal die Unterschrift Zierows. Sechs Rezensionen bzw.Auflistungen beziehen sich auf Werke von oder über René deClercq, so dass sich ein gewisser Verdacht des Personenkultesergibt. Prinzipielle Neuigkeiten sind dort jedoch genauso wenigzu finden wie in den übrigen drei Besprechungen, bei denen dieüblichen Verbrüderungsbemühungen ebenso ihren Platz findenwie die Rückbesinnung auf den „gemeinsamen Kampf“ im ErstenWeltkrieg.

4.7 Mitteilungen 32 (1938/1939)

Der 32. Jahrgang der „Mitteilungen“ beginnt mit einer Besonder-heit, denn das erste und zweite Heft sind hier in einer Doppel-ausgabe zusammengefasst. In der „Rundschau“ berichtet wieder-um „W.S.“, hier über den „Jungbuchhandel im Dienste desniederdeutschen flämischen Schrifttums“ (QB 32/1/2, S. 29).Schon die Überschrift macht deutlich, dass hier die altherge-brachte Gewohnheit wiederaufgenommen wird, einen nieder-ländischsprachigen Raum dem niederdeutschen Kulturgebietzuzuschlagen. Der Verfasser war sich allem Anschein nach nichtsicher, welche Reaktionen sein Bericht hervorrufen würde, dennandernfalls hätte er mit vollem Namen unterschrieben. Völligohne Verfasserangabe, dafür jedoch mit einer Aussage über diepolitische Dimension des dort beschriebenen Ereignisses stehteinige Seiten später ein Bericht über „Die friesische Bewegung inHolland“:

Der Gedanke eines Großfrieslands (Magna Frisia) hatnichts mit staatspolitischen Zusammenschlußbestrebungenzu tun, vielmehr dient er nur der Förderung rein kul-tureller Ziele. (S. 37)

Dass die in dem Bericht als neu gegründet erwähnte Fryske Aka-demy in Leeuwarden diese Auffassung vertrat (und bis heutevertritt), steht außer Frage. Wenn sich der Autor hier schon vor-ab rechtfertigt, deutet das nicht nur auf seine eigene Unsicher-heit, sondern auch auf eine Diskussion um andere expansionisti-sche Gedanken hin.

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Die „Dietsche Bücherschau“ umfasst in der vorliegenden Doppel-ausgabe nicht weniger als vier Seiten (S. 51-54), obwohl das Heftden üblichen Umfang nicht überschreitet. Sämtliche zwölf Re-zensionen tragen die Unterschrift Ulrich Zierows. Hinzu kommensechs kurze Buchempfehlungen ohne weiteren Text. Die Unter-rubrik der „Bücherbesprechung“ bietet das gewohnte Bild. Eswerden vor allem Werke von Autoren, die der Vlaamse Bewegingoder den Nationalsozialisten nahestehen, lobend zusam-mengefasst. Mitunter findet sich auch die eine oder andereMahnung an den deutschen Leser, diese Werke stärker zubeachten.

Das dritte Heft des 32. Jahrgangs deutet bereits durch sein Titel-blatt an, was auf inhaltlicher Ebene zu erwarten ist. Das tradi-tionelle Titelfoto zeigt hier den flämischen Dichter Stijn Streu-vels. Der Aufsatzteil beginnt mit einem zweiseitigen Traktat vonUlrich Zierow mit der Überschrift „Flandern und wir“ (QB 31/3, S.66 f.) Dort fasst er zunächst die Flandern/ Niederlande-Berichter-stattung in den „Mitteilungen“ zusammen, indem er die Titel undVerfasser der wichtigsten Beiträge aufzählt. Als „eine der schön-sten Früchte dieser Arbeit“ bezeichnet Zierow das Schreiben derUtrechtschen Studenten von 1915 an den Quickborn, das erwörtlich zitiert und die Verfasser mit ihren beruflichen Titelnaufzählt. Gegen Ende des Aufsatzes finden auch die Gegner derniederdeutsch-flämischen Zusammenarbeit Erwähnung. Wennman Zierow glauben will, fanden und finden sich diese nur aufflämischer Seite. Sein politisches Credo, das man ohneHintergrundwissen in diesem Zusammenhang auch auf dieVereinigung Quickborn übertragen müsste, formuliert Zierow imletzten Satz:

Daß wir Niederdeutschen heute nicht weniger treue Gliederdes Reiches sind als unsere Väter, ja, daß wir noch bewuß-ter als jene Kämpfer Großdeutschlands sind, das mögen in-ternationale Quertreiber beargwöhnen, unsere Freunde imgermanischen Flandern aber werden es verstehen undachten.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt sind derartig aggressive Formu-lierungen in den „Mitteilungen“ salonfähig geworden. Durch dieSelbstverständlichkeit, mit der Zierow im Namen der flämischen„Freunde“ spricht, wird dem Leser deren Zustimmung in diesenFragen suggeriert.

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Der Belgier Pieter Wyndaele referiert in einem sich anschließen-den Aufsatz über „Die Alldietsche Bewegung in Vlandern“ (S. 68-71). Auf vier Seiten fasst er die Geschichte dieser Organisationzusammen. Ein zweiseitiger „Neujahrsgruß aus Vlandern“ vonJozef Simons setzt das Thema „Flandern“ im Aufsatzteil fort (S.71-73). Dort werden einige Aspekte niederdeutsch-flämischerZusammenarbeit seit Klaus Groth aneinandergereiht, wobei imaktuellen Teil auch Ulrich Zierow mit seiner Übersetzung von„Eer Vlaanderen vergaat“ Berücksichtigung findet. Wenn Simonsden französischen Spruch „Bon chien chasse de race“ („Ein guterRasse-Jagdhund“) auf Zierow anwendet, lässt dies vermuten, dasses mit der Ablehnung alles Französischen unter den Flamen nichtallzu weit her sein konnte. Bei aller Gemeinsamkeit bleibt inSimons’ Text immer präsent, dass niederdeutsch und flämischzwei verschiedene Bereiche sind. Manifest wird diese Einstellungdurch eine weitere fremdsprachliche Sentenz:

Niederdeutschland ist für uns die kempische Heide, die sichfortsetzt an den Küsten Norddeutschlands, über dieLüneburger Heide Hermann Löns’, bis nach Husum (...)und bis nach Lübeck, der Hauptstadt - in illo tempore - derHansa. (...) Da ist so viel, das Vlandern mit Nieder-deutschland verbindet. (S. 72)

Jozef Simons fügt den lateinischen Ausspruch offenbar auch des-halb ein, weil er klarstellen möchte, dass es so etwas wie ein„Groß-Niederdeutschland“ nicht gibt und Flandern seine eigeneHauptstadt hat.

„Betrachtungen zu dem Thema Deutschland, Flandern und Hol-land in ihren geistigen Beziehungen seit dem westfälischenFrieden“ ist ein Aufsatz des Antwerpener Bibliothekars AntoonJacob betitelt (S. 74-86). Die überaus umfangreiche Themen-stellung spiegelt sich in der Länge des Berichtes wider: Er um-fasst zwölfeinhalb Seiten. Es würde zu weit führen, an dieserStelle den Beitrag zusammenfassen zu wollen, zumal er sich inseiner Quintessenz nicht von vergleichbaren Artikeln in den „Mit-teilungen“ unterscheidet. Interessant ist nur eine Randinformati-on, die Jacob bei der lobenden Erwähnung des „HansischenRembrandtpreises“ weitergibt. Er nennt ihren Stifter einen„Frontkämpfer, der im Felde die ureigene flämische Kraftempfunden hat und seitdem in ihrem Banne lebt“ (S. 86), was alsweiterer Hinweis auf Alfred C. Toepfer gedeutet werden kann.

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Der Borchling-Mitarbeiter Hans Teske setzt sich im folgenden mitdem Thema „Der niederdeutsche Literaturkreis in Brügge imMittelalter“ auseinander (S. 86-89). Ebenso wie im vorangegan-genen Aufsatz wird hier die Einheit „Niederdeutschlands“ mitFlandern anhand historischer Gegebenheiten beschworen.Ebenfalls auf geschichtlicher Ebene bewegt sich Ulrich Zierowmit seinem Aufsatz „John Brinckman und Hendrik Conscience“(S. 89-91), in dem er seine beiden Spezialgebiete miteinanderverknüpfen kann. Bis auf grundlegende Gedanken über Geistes-und andere Verwandtschaft lässt sich hier nichts finden, das daswissenschaftliche Interesse am flämischen Nachbarvolkübersteigen würde. „Reiseeindrücke von einer Flandernfahrt1938“ (S. 91-97) ist der anschließende Bericht betitelt, der vondem gebürtigen US-Amerikaner William Foerste geschriebenwurde. Der Autor war zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlicherMitarbeiter in der niederdeutschen Abteilung des GermanischenSeminars der Universität Hamburg. Er berichtet über diese Reise,deren Hauptanliegen offensichtlich an der Erinnerung anSchlachten des Ersten Weltkrieges lag, zum Teil in Form von Dia-logen zwischen belgischen Einwohnern und Reiseteilnehmern.Auf diese Weise wird dem Leser die Geschichte der VlaamseBeweging vermittelt. Auffällig ist die häufige Erwähnung derKriegskämpfe an der Yser, die stets als „schwer“, mit „unge-heuren Opfern“ etc. bezeichnet werden. Der Autor verschweigtindes, dass die Kämpfe in einer Hinsicht richtungsweisend waren,die die gesamte Kriegsführung der Zukunft beeinflussen sollte,denn die deutsche Wehrmacht setzte an dieser Stelle 1915erstmals Giftgas ein. Ressentiments gegen die Deutschen nenntFoerste zwar, aber verharmlost sie zugleich, um die Aufgeschlos-senheit für den östlichen Nachbarn um so deutlicher aufzuzeigen.

Auf den folgenden Seiten sind mehrere Gedichte von flämischenAutoren oder über Flandern abgedruckt, was in dieser Menge fürdie „Mitteilungen“ durchaus ungewöhnlich ist (S. 97-106). DenAnfang macht Ulrich Zierow mit einer Übersetzung eines Jozef-Simons-Gedichtes in das Niederdeutsche. Weiterhin finden sichvier Gedichte einschlägiger flämischer Aktivisten, die jeweils aufder linken Seite im niederländischen Original, auf der rechtenSeite in der niederdeutschen Übersetzung von Albert Mählabgedruckt sind. Nach dem gleichen Muster folgt ein ausnahms-weise unpolitisches Gedicht von André Demedts in einer Überset-zung von Ilse-Marie Bostelmann. Der Niederdeutsch-Aktivist undüberzeugte Nationalsozialist Albert Mähl kommt im weiteren

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Verlauf abermals zu Wort, und zwar mit zwei eigenen Gedichten,die ebenfalls in beiden Sprachen veröffentlicht sind.

Auch die „Rundschau“ dieses Heftes bietet Inhalte, die für dieseArbeit von Interesse sind, wobei der am Anfang der Rubrik zufindende Geburtstagsgruß von Ulrich Zierow an Lode Baekelmansbereits zum gewohnten Bild gehört (S. 107). In dieser Nummerder „Mitteilungen“ sind auch Nachrichten vorzufinden, die dieniederdeutsche Sphäre im eigentlichen Sinn betreffen. Neuigkei-ten aus der Vlaamse Beweging und deren Kooperation mit derNiederdeutschen Bewegung, für die vornehmlich Zierow verant-wortlich zeichnet, füllen mehr als anderthalb Seiten am Ende der„Rundschau“. Dass die Kooperation auch auf dem Gebiet derVerfolgung Andersdenkender weit gediehen war, zeigt ein vonZierow zitierter Artikel aus der katholischen Zeitschrift „NieuwVlaanderen“ über „Emigrantengeschreibsel“ (S. 112). Dort lässtsich ein nicht genannter Autor in beleidigender Art und Weiseüber „das in Holland erschienene Machwerk eines ‘deutschen’Emigranten“ aus.

Die „Dietsche Bücherschau“ dieses Exemplars der „Mitteilungen“hat ebenfalls einen außergewöhnlich großen Umfang (4½ Seiten),was aufgrund der bisherigen Struktur des Heftes nicht anders zuerwarten war. Zu Beginn werden sechs Werke des führendenVlaamse Beweging-Funktionärs Cyriel Verschaeve genannt, vondenen zwei näher beleuchtet werden. Der gewohnte Beifallkommt im ersten Fall von Ulrich Zierow, während die zweiteRezension von seinem Vater Wilhelm Zierow verfasst wurde, derbisher in diesem Zusammenhang noch nicht in Erscheinunggetreten war (S. 121 f.). Letzterer stellt - im Gegensatz zu seinemSohn - den künstlerischen Aspekt in den Vordergrund seinesAufsatzes und klammert die politische Ebene aus. Darausableiten zu wollen, dass Wilhelm Zierow nicht im selben Maße indas politische Zeitgeschehen involviert war, wäre überzogen,denn er war von 1937 bis 1938 Mitglied der Reichsschrifttums-kammer (Brun, S. 77 f.). Sieben weitere Rezensionen und vierHinweise vervollständigen die „Dietsche Bücherschau“. NebenUlrich Zierow und seinem Vater tritt auch Conrad Borchling alsRezensent auf, indem er eine Übersetzung niederdeutscher Er-zählungen in das Flämische bespricht (S. 124). Er nutzt dieGelegenheit, um auf die „Stammverwandtschaft“ der Nieder-länder hinzuweisen, seine Aussagen müssen aber im Vergleich zudenen Ulrich Zierows als gemäßigt bezeichnet werden.

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Neu ist in der Unterabteilung der „Bücherbesprechung“ eine wei-tere Spezifikation mit dem Titel „Aus dietschen Zeitschriften“ (S.124-126). Mit einer noch kleineren Kopfzeile versehen, wird hierdem Leser auf anderthalb Seiten das präsentiert, was er in den„Mitteilungen“ bereits aus der Rubrik „Aus Zeitschriften und Ta-geszeitungen“ kennt, allerdings mit dem thematischenSchwerpunkt „Niederlande/Flandern“. In dieser ersten Ausgabestellt Ulrich Zierow eine Reihe deutschfreundlich gesinnterPeriodika aus den beiden Nachbarländern vor. Welche Auswahl-kriterien dabei zugrunde liegen, lässt er offen. Auch Sonderheftezum Thema von Zeitschriften der Niederdeutschen Bewegungwerden mit einbezogen.

Diese dritte Ausgabe des 32. „Mitteilungen“-Jahrgangs lässt sichuneingeschränkt als Flandern-Sonderheft bezeichnen, wird aberan keinem Ort von den Herausgebern oder Autoren so genannt.Obwohl die vorliegende Ausgabe den üblichen Umfang der„Mitteilungen aus dem Quickborn“ um mehr als das Doppelteübertrifft, wird sie nicht, wie das erste Heft dieses Jahrgangs, alsDoppelausgabe geführt. Das ist um so verwunderlicher, als es im32. Jahrgang nicht das übliche vierte Exemplar gab.

4.8 Mitteilungen 33 (1939/1940)

Ein Geburtstagsgruß an Cyriel Verschaeve und eine Meldungüber Andries de Vos machen im 33. Jahrgang der „Mitteilungen“den Anfang (QB 33/1, S. 27). Sie sind zwar anonym verfasst,tragen aber nach Stil und Inhalt die Handschrift Ulrich Zierows.Nachdem die Aufführung eines niederdeutschen Stückes inAntwerpen kurz erwähnt wurde, referiert Conrad Borchling imweiteren Verlauf eine Seite lang über „25 Jahre Flandern-Arbeitdes ‘Quickborn’“. Die Hälfte seines Aufsatzes besteht in einer ArtEinleitung, die die niederdeutsch-niederländischen Beziehungenseit dem 19. Jahrhundert zusammenfasst. Erst danach wird deut-lich, warum Borchling den Beginn der „Flandern-Arbeit“ der Ver-einigung erst für 1914 ansetzt. Er versteht darunter nicht dieentsprechende Berichterstattung - diese hatte schon in denJahren 1909/1910 begonnen -, sondern den Exportniederdeutscher Kulturleistungen; in diesem Fall war es dieVersorgung deutscher Soldaten mit niederdeutscher Literatur.Die folgenden zwei Seiten der „Rundschau“ bieten das gewohnteBild, da Artikel veröffentlicht werden, die in irgendeiner Formmit dem niederländischen Sprachgebiet in Verbindung zu bringen

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sind. In diesem Fall sind sie sämtlich ohne Verfasserangabeabgedruckt. An dieser Stelle sollen nur zwei der Berichtebeleuchtet werden, die das Verhältnis des Quickborn zu denniederländischsprachigen Nachbarländern explizit zum Ausdruckbringen sollten. Zum ersten handelt es sich um folgende Notiz:„‘Het Begrip ‘Nederduitsch’ heeft geen politieke Beteekenis [!]’stellt ‘Volk en Staat’ (23.3.39) mit Recht in Abwehr marxistischerWahlhetzereien fest.“ (S. 38). Angesichts des ebenso starken wiediffus begründeten Interesses, das gerade die „Mitteilungen“ alsVereinszeitschrift aus der Niederdeutschen Bewegung den Nach-barländern entgegenbrachten, liest sich dieses Zitat wie derVersuch, Kritiker in den eigenen Reihen wie in den betroffenenStaaten in Sicherheit zu wiegen. In eine ähnliche Richtung gehtder eine Seite umfassende Bericht „Deutschfeindliche Hetze suchtdie niederdeutsch-flämischen Beziehungen zu stören.“ (S. 38 f.).Dort wird die großniederländische Monatsschrift „De DietscheGedachte“ mit ihrer Kritik an dem Buch „Geschichte des Alldeut-schen Verbandes“ zitiert und widerlegt. Die Intention des Auf-satzes wird im letzten Absatz formuliert:

Uns liegt weniger daran, irgendwelche gewerbsmäßigdeutschfeindlichen holländischen Käseblätter Lügen zustrafen; wir geben jedoch die Hoffnung nicht auf, daß ehr-liche volksbewußte Kreise in Flandern, Holland und an-derswo aus dem Fehlgriff der Amsterdamer Zeitschrift ler-nen und, wenn sie schon dem neuen Deutschland und demaltherkömmlichen kulturellen Austausch zwischen Flamenund Niederdeutschen mißtrauen zu müssen glauben, denjüdisch-ultramontanen Lügennachrichten über uns inZukunft mindestens mit derselben Vorsicht begegnen.

Das Wortspiel „holländische Käseblätter“ bezeichnet hier jene nie-derländischen Zeitungen, die den Artikel aus „De DietscheGedachte“ ungeprüft übernommen hatten. Auch hier wird dieAusschließlichkeit der „kulturellen Beziehungen“ untermauert.Wie angedeutet, ist dieser Bericht anonym veröffentlicht. Derpolemische Stil und die politische Linientreue weisen allerdingsauch hier auf die Urheberschaft Ulrich Zierows hin. Bemerkens-wert ist an dieser Abhandlung die erstmalige Nennungderjenigen, die bisher nur als „nicht-deutsch“ umschrieben wur-den, nämlich der Juden. Der Autor hatte bei derartigen rassi-stischen Formulierungen keinerlei Widerspruch mehr zufürchten, da die Nürnberger Gesetze bereits seit geraumer Zeit in

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Kraft waren und die Nazi-Barbarei spätestens seit der Reichspo-gromnacht im November 1938 breiten Raum gegriffen hatte. DieVerwendung zweier gekoppelter qualifizierender Adjektiv-Attribute („jüdisch-ultramontan“) ist übrigens kennzeichnend fürden NS-Sprachgebrauch; besonders Hitler selbst verwendetedieses rhetorische Mittel (Volmert, in: Ehlich, S. 143), in diesemFall sogar wörtlich. Auch hier könnte ein Hinweis auf denVerfasser liegen, denn Zierows Aufsätze enthalten dieseWendungen in großer Anzahl.

Über mehr als vier Seiten erstreckt sich in dieser Ausgabe die„Dietsche Bücherschau“. Abermals stammen alle namentlich un-terzeichneten Rezensionen von Ulrich Zierow; eine Ausnahmebildet ein vierzehnzeiliger Beitrag seines Vaters, in dem dieserwiederum der kunstkritischen Beurteilung den Vorzug gibt.Ulrich Zierow zeigt in seiner ersten Buchbesprechung zu HansZecks „Die flämische Frage“ eine Sensibilität für belgische Be-lange, die in seinen bisherigen Aufsätzen selten feststellbar war:

Alle diese Einwendungen sind jedoch unwesentlich gegen-über der erfreulichen Tatsache, daß Zecks Büchlein (...) dieFrage am rechten Ende anpackt, nämlich vom deutschenund flämischen Standpunkt aus, ohne dabei den für einenAusländer erforderlichen Takt dem belgischen Staat ge-genüber außer acht zu lassen. (S. 51)

Für einen Autor, der selbst die Existenzberechtigung Belgienswiederholt in Frage gestellt hatte, u.a. indem er die großnieder-ländische Idee propagierte, ist eine derartige Äußerung bemer-kenswert.

In der Rezensions-Spezialabteilung finden in dieser Ausgabe auchzwei niederländische Werke Platz, der Schwerpunkt liegt jedochnach wie vor bei Flandern. Besonders intensiv widmet sich UlrichZierow einem Werk Robert Paul Oszwalds mit dem Titel „DerStreit um den belgischen Franktireurkrieg“ (S. 53). Darin geht esum das Verhältnis zwischen deutschen Besatzern und belgischerZivilbevölkerung am Beginn des Ersten Weltkrieges. Der Hinter-grund zu diesem 1931 erschienenen Buch war die Diskussion bisweit nach Kriegsende um den angeblich bewaffneten undorganisierten Widerstand der belgischen Bevölkerung beim Ein-marsch der deutschen Truppen. Tatsächlich hat es einen solchenWiderstand nicht gegeben; da die deutschen Militärs jedoch einensolchen erwarteten, kam es zu „Vergeltungsmaßnahmen“, in

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deren Verlauf über 6000 Belgier getötet wurden (Petri et al., S.181). Oszwald und sein Rezensent verschweigen diese Faktennicht nur, sie versuchen überdies, das deutsche Vorgehen zurechtfertigen, indem sie flämische Kollaborateure mit ver-harmlosenden und beschönigenden Textpassagen zitieren. Fest-zuhalten bleibt an diesem Punkt noch, dass die in der vorherigenAusgabe eingeführte Abteilung „Aus dietschen Zeitschriften“ hiernicht wiederzufinden ist und in der Rubrik „Aus den Vereinen“auf einen Flandern-Abend der „Vereinigung NiederdeutschesHamburg“ hingewiesen wird.

Die zweite Nummer der „Mitteilungen“ dieses Jahrgangs über-rascht durch die geringe Zahl von fünf „Rundschau“-Notizen zumThema. Drei dieser anonym verfassten Nachrichten sind eher be-langlos, wobei auch die vierte nur deshalb auffällt, weil dort demflämischen Funktionär Baekelmans anlässlich seines beruflichenFortkommens „Van Harte Heil!“ („Von Herzen Heil!“) gewünschtwird. Eine Abweichung stellt in diesem Zusammenhang einAufsatz von Ulrich Zierow dar, in dem er sich mit denAuseinandersetzungen in Südafrika im Rahmen des Ersten Welt-kriegs befasst (QB 33/2, S. 87 f.). Zierow heroisiert bei dieser Gele-genheit einen südafrikanischen Soldaten, der den englischenBefehlshabern den Gehorsam verweigerte und deshalbhingerichtet wurde. Dieser voller Pathos geschriebene Berichtenthält Vorausblicke auf den Zweiten Weltkrieg, der offenbar beiRedaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht entfesselt war:

Jopie Fouries Leib sank von Kugeln durchbohrt zu Boden,sein Geist aber lebt im Volke der Buren und wird Englandund seinem Gefolgsmann Smuts vielleicht schon baldbegegnen.

Die „Dietsche Bücherschau“ fehlt auch in diesem Exemplar nicht.Sie fällt ebenfalls durch ihre außergewöhnliche Kürze auf. Diedrei dort abgedruckten Rezensionen - eine anonym, zwei vonUlrich Zierow verfasst - finden auf einer Dreiviertelseite Platz.Sie verlassen den inhaltlichen Rahmen mit der Besprechungeines flämischen Kriegsberichtes und zweier Schüleragenden ausgroßniederländischem Milieu nicht. Eine mögliche Erklärung derzurückgehenden Berichterstattung mit dem Hinweis auf denGesamtumfang dieser Ausgabe greift nicht, denn er unterscheidetsich nicht von dem bis dahin Üblichen.

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Die abnehmende Tendenz bei der Flandern/Niederlande-Bericht-erstattung in der „Rundschau“ setzt sich auch im dritten Heft des33. Jahrgangs fort, wo nur noch zwei entsprechende Notizennachzuweisen sind (QB 33/3, S. 112 u. 114). Sie beschäftigen sichin gewohnter Weise mit persönlichen Belangen zweier VlaamseBeweging-Funktionäre. Die „Dietsche Bücherschau“ ist hierhingegen wieder einmal stärker ausgebreitet. Sie umfasst mehrals drei Seiten, wobei auf anderthalb Seiten die Abteilung „Ausdietschen Zeitschriften“ wieder aufgenommen wird. Von densechs Rezensionen zeichnet der Leiter der „Bücherschau“ für fünfverantwortlich, wobei Nachlässigkeit im Spiel gewesen sein mag,wenn bei der sechsten die Namensangabe fehlt. Gleich zu Beginnempfiehlt Zierow dem Leser eine Karte „Unsere[r] Westgrenze“(S. 121), anhand derer man „die Ereignisse im Westen auf-merksam“ verfolgen könne. Zierow rügt die Karte indes ob derdort teilweise verwendeten französischen Namen für belgischeOrte. Weitere Hinweise auf den Krieg finden sich in diesem Teilder „Bücherschau“ nicht. Anders sieht es bei der Beschäftigungmit den „dietschen“ Periodika aus. Dort wird, nachdem einigeflämische Zeitschriften wegen ihres „ausgesprochen völkischenKurses“ (S. 122) gelobt wurden, auf die politische Krisenlage imHinblick auf die Zeitungsberichterstattung eingegangen:

(...) Wir geben jedoch gern zu, daß die besonders in denjüngsten Heften [des „Dietsche Gedachte“, V.G.] vertreteneLosung „Neutraal, ook geestelijk!“ auch uns die für dieniederländische Presse allein mögliche zu sein scheint.Neutralität hat die flämische und holländische Presse fastausnahmslos auf ihre Fahne geschrieben. (S. 123)

Aus heutiger Sicht wäre eine weitere Erklärung dieser These, diewohl nur im zeitlichen Kontext verständlich ist, wünschenswertgewesen. Dass auch der belgische und niederländische Staat zudiesem Zeitpunkt die Neutralität zur Maxime ihrer Außenpolitikgemacht hatten, muss für den damaligen Leser als bekanntvorausgesetzt werden. Der Rest dieses Zierow-Artikels befasstsich mit Empfehlungen niederländischer und flämischer Zeit-schriften sowie einer Auflistung der Flandern- und Niederlande-Sonderhefte deutscher Zeitschriften aus der letzten Zeit. Zu er-wähnen bleibt noch, dass auch der 33. „Mitteilungen“-Jahrgangnur aus drei Ausgaben bestand.

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4.9 Mitteilungen 34 (1940/1941)

Mit dem insgesamt dritten Artikel im Aufsatzteil zu seinemSpezialgebiet wartet Ulrich Zierow im ersten Heft des 34.Jahrgangs auf. „Von niederländischer und deutscher Art“ sindseine anderthalbseitigen „Alltägliche[n] Reisebetrachtungen“betitelt (QB 34/1, S. 17 f.). Bei der Betrachtung des Textes mussvor allem berücksichtigt werden, dass für dieses Exemplar der„Mitteilungen“ der Spätsommer 1940 als Erscheinungsdatumangegeben ist. Man muss folglich den Redaktionsschluss zeitlichnach dem deutschen Überfall auf Belgien und die Niederlande imMai jenes Jahres ansetzen. Das erste Drittel des Zierow-Berichtesbietet allerdings nichts, was damit in Verbindung stünde, sondernliefert eine Darstellung der niederländischen Errungenschaften,die vom Autor als vorbildlich bewertet werden. Im zweiten Drittelführt Zierow den Spannungsbogen weiter, indem er das hohewirtschaftliche und kulturelle Niveau der Niederlande als in derVergangenheit erarbeitet, aber in der Gegenwart überholterläutert. Diese These belegt er mit Aussagen zu gesellschaft-lichen Krisenerscheinungen, für die er mangelndes „Rassegefühl“,geringe Anteilnahme am „flämischen Kampf“ und fehlende„Kameradschaft der Arbeit“ hält. Zierow meint, die von ihm be-obachteten Phänomene mit dem Begriff „Sattheit“ umreißen zukönnen. Dass seine „Reisebetrachtungen“ gar nicht so „alltäglich“sind, wie der Untertitel dem Leser suggerieren möchte, zeigt dieErwähnung der deutschen Zivilverwaltung, die angeblich dieArbeitslosigkeit bekämpft habe, bereits im zweiten Drittel. Dasletzte Drittel geht vollends zu den politischen Ereignissen desFrühjahrs 1940 über. Die einleitenden Fragen „Wie steht es jetztin Holland? Was wird aus den Niederlanden werden?“beantwortet Zierow u.a. folgendermaßen:

Auch die Niederländer werden sich an eine neue Einstel-lung Deutschland gegenüber gewöhnen müssen. In Flan-dern, wo das germanische Gemeinschaftsgefühl niemalsganz ausgestorben ist, wird es leichter sein. Aber auch inHolland sind bereits Anzeichen dafür erkennbar, daß diefür beide Teile segensreiche Neueinstellung möglich ist.

Belegt werden diese „Anzeichen“ von Zierow mit einem Zitat auseinem niederländischen Agrarblatt sowie der dreisten Behaup-tung, die „rassisch durchweg vorzüglichen niederländischenSoldaten“ sehe man „an allen Straßen (...) im kamerad-

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schaftlichen Geplauder mit dem Gegner von gestern“. Ausheutiger Warte fällt es leicht, diese Unterstellungen als Propa-gandalügen zu entlarven. Aber auch dem zeitgenössischen Lesermusste klar sein, dass sich Ablehnung, die sich schon seit Beginndes Dritten Reiches in den Niederlanden zeigte und auch in den„Mitteilungen“ wiedergegeben wurde, nicht binnen so kurzer Zeitin Kooperation umwandeln lassen würde. Am Ende des Aufsatzesfindet sich ein Ausblick, der nochmals den deutschen Überfall zurechtfertigen versucht:

Pulverrauch zerweht und Wunden vernarben. Bei gegen-seitigem guten Willen können die geschichtlichen Ereig-nisse des Frühjahres 1940 zu neuem, besseren Verständniszwischen den beiden germanischen Völkern und zu einerheilsamen Verjüngung des niederländischen Stammes füh-ren.

An dieser Stelle wird offenbar, dass die Angst der Belgier undNiederländer vor den lange Zeit geleugneten expansionistischenIdeen der Niederdeutschen gerechtfertigt war. Zierow wagt nunauch, den von Oszwald am Ende seiner „Deutsch-Nie-derländischen Symphonie“ indirekt erhobenen Gebietsanspruchoffen zu zitieren, was er einige Jahre zuvor in seiner Rezensiondieser Aufsatzsammlung noch nicht riskiert hatte.

Ein „Rundschau“-Artikel über eine „Yserbetfahrt der Flamen“ bil-det den Auftakt für die weitere Berichterstattung zum Thema (S.25 f.). Im weiteren Verlauf wird der Bereich „Südafrika“, derschon im vorangegangenen Jahrgang behandelt wurde, mit einerKarikatur wiederaufgegriffen. Diese Form des Kommentars warfür die „Mitteilungen“ bis dahin nicht üblich. Ein anonymer Autorerklärt das „Spottbild“ in einem sechszeiligen Text, was auf seineUnschlüssigkeit bezüglich dessen Aussagekraft hindeutet.

Das Interesse an Büchern, die mit belgischen oder niederlän-dischen Angelegenheiten in Verbindung stehen, sprengt in dieserAusgabe den Rahmen der „Dietsche Bücherschau“. Otto Spechtsetzt sich in der Rubrik „Bücherbesprechung“ mit dem Werk „DieVolkstumslage im Rhein-, Maas- und Schelde-Delta“ von R.P.Oszwald auseinander. Autor, Titel und Gegenstand dieses Bucheslassen an eine Fortsetzung der „Deutsch-Niederländische[n] Sym-phonie“ denken, was die Aussagen von Specht bestätigen.Darüber hinaus publiziert auch hier Ulrich Zierow eine dreisei-tige „Dietsche Bücherschau“, bei denen die Unterabteilung „Aus

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dietschen Zeitschriften“ fehlt. Bis auf jeweils eine Rezension vonHans Teske und Otto Specht stammen alle Besprechungen vonZierow. Anzumerken ist, dass drei der zwölf Artikel einen Bezugzu Südafrika haben. Ansonsten findet sich, im Gegensatz zurletzten Ausgabe dieser Rubrik, kein Hinweis auf Kriegsge-schehnisse.

Für diese Arbeit sind im zweiten Heft des 34. Jahrgangs zunächstdie „Rundschau“-Meldungen interessant. Dort wird die Verlei-hung des Rembrandtpreises für 1940 an Rafael („Raf“) Verhulst,den „treuen Waffenbruder von Dr. August Borms“, gemeldet (QB34/2, S. 79). Mit der Überschrift „Ein Französling NachfolgerConsciences“ ist im Grunde schon der Inhalt des nächsten Be-richts wiedergegeben. Ulrich Zierow beklagt sich darin über dieBesetzung einer Brüsseler Konservatorenstelle mit einemWallonen; damit übt er indirekt auch Kritik an der deutschenVerwaltung Belgiens, die - so der Unterton - eine solche Wahlhätte verhindern müssen. Zierow selbst wird Thema einer sichanschließenden Notiz. Diese anonyme Nachricht meldet seinesoeben verliehene Ehrenmitgliedschaft in der „Vereeniging vanKempische Schrijvers“, der Gesellschaft „‘t Cauwoerdeke“ unddem „Vlaamsch Nationaal Verbond“. Zierow, der hier als „unserständiger Mitarbeiter“ geführt wird, ist, so wird kolportiert, der„erste Nichtflame“, dem diese Ehre zuteil wird. Betrachtet mandie Vereinigungen genauer, stellt man fest, dass Zierows Gesin-nung zumindest der des VNV sehr ähnlich war. Vorstellbar ist,dass Zierow selbst diesen Artikel verfasste, aber aus Gründen derZurückhaltung die in der „Rundschau“ nicht unübliche Form derAnonymität wählte. Eine „Dietsche Bücherschau“ gibt es in dieserAusgabe zum ersten Mal seit fast drei Jahren nicht. Der Hinter-grund dafür könnte eventuell in militärischen VerpflichtungenZierows liegen; denkbar wäre eine Tätigkeit in der belgischenZivilverwaltung nach dem Vorbild R.P. Oszwalds, für die er alsFlandern-Experte prädestiniert gewesen wäre.

Die ohne die „Dietsche Bücherschau“ auffallend dürftige Bericht-erstattung setzt sich im dritten Heft, das auch für diesen Jahr-gang das letzte sein sollte, fort. Hier vermeldet ein unbekannterAutor zunächst kurz den Tod des Rembrandt-Preisträgers RafaelVerhulst wenige Tage nach der Verleihung (QB 34/3, S. 113), undeinige Seiten später findet sich eine Notiz zur Neubesetzung derTheaterleitung in Gent mit einem flämischen Schauspieler.

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4.10 Mitteilungen 35 (1941/1942)

Zwei Jahre nach Kriegsbeginn, als der Überfall auf die Sowjet-union erfolgte, wurde auch die deutsche Zivilbevölkerungverstärkt in das Kriegsgeschehen eingebunden. So ist es zuerklären, dass die erste „Mitteilungen“-Ausgabe des 35. Jahr-gangs erst im Winter 1941, also ein Dreivierteljahr nach der letz-ten des vorangegangenen Jahrgangs erschien. Hier präsentiertsich dem Leser im Aufsatzteil ein Zierow-Bericht, der dort auf-grund seines geringen Umfanges von einer Dreiviertelseite ei-gentlich nicht angebracht war (QB 35/1, S. 8). Zierow erinnert inseinem Traktat an den zehnten Todestag des flämischen DichtersPol de Mont, den er mit einer Aussage zitiert, die den Belgier alsausgesprochenen Anhänger Großdeutschlands ausweist:

„Gedenket doch in jeder Zeit,Flaminge, daß ihr Deutsche seid!“

Im letzten Absatz funktioniert Ulrich Zierow seinen Bericht zumreinen Propagandamedium um:

Am zehnten Sterbetag Pol de Monts steht das germanischeFlandern bereits ein Jahr lang unter dem Schutz derdeutschen Waffen, am 29. Juni 1941 marschierten flä-mische Freiwillige in der grauen Uniform der Waffen-SS[als Runen gedruckt] Schulter an Schulter mit ihren sieg-reichen deutschen Kameraden gegen das rote Rußland.Würdiger konnte der zehnte Todestag des großgerma-nischen Vorkämpfers Pol de Mont nicht gefeiert werden.

Zierow vermengt an dieser Stelle einmal mehr Gegebenheiten ausdem literarischen Bereich mit der politischen Sachlage. Obwohldie Einwohner Flanderns überwiegend die Gegenwart deutscherWaffen nicht als Schutz, sondern als Bedrohung empfundenhaben, trifft Zierows Aussage bezüglich der flämischenFreiwilligen zu.

Die „Rundschau“ der vorliegenden Ausgabe meldet zunächst zwei70. Geburtstage, und zwar den des niederländischen Dichters JanFabricius und den des flämischen Aktivisten Stijn Streuvels (S. 16f.). Letzterer wurde - so berichtet der ungenannte Autor - ausdiesem Anlass von der Universität Münster zum Ehrendoktorernannt, wozu ihn „Reichsminister Dr. Goebbels“ in Form eines„in herzlichen Worten gehaltenen Telegramms“ beglückwünschte.

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Goebbels konnte auf diese Weise seine Funktion als Propa-gandaminister erfüllen, ohne als solcher auftreten zu müssen,denn sein Zuständigkeitsbereich umfasste auch die Kunst. Aufder anderen Seite zeigt die Annahme des Titels und derGlückwünsche durch Streuvels dessen Bereitschaft zur Kolla-boration. Die weiteren drei „Rundschau“-Berichte zum Unter-suchungsgegenstand verlassen den üblichen Rahmen nicht. Nach-dem über eine Lesung von August Hinrichs in Den Haag infor-miert wurde, schildern zwei anoyme Autoren in aller Kürze ein„Deutsch-flämisches Dichtertreffen“ und eine „Arbeitstagung“ mitgleichen Beteiligten.

Karl Schulte-Kemminghausen publiziert im zweiten Heft, daswieder den gewohnten Erscheinungsturnus einhielt, einenAufsatz anlässlich des 70. Geburtstages von Conrad Borchling(QB 35/2, S. 34 f.). Bei dessen Würdigung verweist er auf dieengen Beziehungen Borchlings zu Flandern und den Niederlan-den. Seine Laudatio schließt mit den Worten:

Der Name Borchlings hat in den wissenschaftlichen Fach-kreisen der germanischen Länder einen guten Klang. Erwird in Deutschland wie im Ausland für alle Zeiten unver-gessen bleiben, solange es eine volkstumsbewußte Wissen-schaft gibt.

Mit dieser Einschränkung seiner Prognose sollte Schulte-Kem-minghausen nicht recht behalten. Allerdings dürfte der NS-ge-sinnte Philologe (vgl. Wirrer, in: Dohnke et al., S. 233) zu diesemZeitpunkt nicht mit dem baldigen Ende der „volkstumsbewusstenWissenschaft“ gerechnet haben.

In der „Rundschau“-Meldung „Prof. Dr. Frans Daels 60 Jahre alt“(S. 55) findet sich eine Aussage, die seit Kriegsbeginn öfter inähnlicher Form getroffen wurde, nämlich der militärische Dienst-grad und Einsatzort des Betreffenden. Oft stellt sich dabei dieFrage, ob der eigentliche Inhalt der Nachricht, der durch dieÜberschrift zusammengefasst wird, nicht nur das Vehikel fürKriegsverherrlichung und Propaganda ist. Nur der Vollständig-keit halber soll hier ein Theaterbericht von Bernhard Meyer-Marwitz aufgeführt werden, der ein „Gastspiel flämischerBühnenkünstler in Hamburg“ thematisiert und durch seinenaußergewöhnlichen Umfang von einer Seite auffällt.

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Das zuletzt besprochene Heft weist eine Besonderheit auf. Es istseit dem Wechsel des Schriftleiters im Jahr 1937 die erste Aus-gabe, in der der Name Ulrich Zierow gänzlich fehlt. Diese Tatsa-che untermauert die These, dass ein eventueller KriegseinsatzZierows dessen weitere Publikationen im Quickborn-Vereinsblattverhinderten. Auch das dritte Heft bietet ein Novum, denn dortwerden die niederländischsprachigen Nachbarländer überhauptnicht thematisiert. Der 35. „Mitteilungen“-Jahrgang ist imübrigen der insgesamt vierte, in dem das seit ihrem erstmaligenErscheinen übliche vierte Heft fehlt.

4.11 Mitteilungen 36 (1943/1944)

Ein Dreivierteljahr verging, bis die nächste Ausgabe der „Mit-teilungen aus dem Quickborn“ im Frühjahr 1943 vorlag. Ausdiesem Grund wurde die übliche Einteilung der Jahrgänge über-wunden und direkt mit dem Jahr 1943 gezählt. In der „Rund-schau“ meldet ein ungenannter Autor in drei kurzen Sätzen denTod von Staf de Clercq, der eine flämische nationalistische Parteiangeführt hatte (QB 36/1, S. 13). Einige Seiten später wird übereinen „Wettbewerb für Dialektstücke in den Niederlanden“ (S. 24)informiert, den das „Ministerium für Volksaufklärung undKünste“ ausgeschrieben habe. Was der niederländische Ablegerder Goebbels-Institution damit bezwecken wollte, darüber kannnur spekuliert werden, aber eine Funktion des Wettbewerbs alskompensierende Unterhaltungsform ist naheliegend.

Die „Buchbesprechungen“ enthalten zwei Rezensionen zum The-ma. Die erste stammt von Hans Heitmann und befasst sich mitdem Werk „De Nederduitsche Literatuur“ des Hamburger Hoch-schullehrers Hans Teske. Dort soll nach den Worten Heitmanns„den stamm- und sprachverwandten Völkern Flanderns und derNiederlande“ das „Erbe Klaus Groths“ vor Augen geführt werden.Der zweite Artikel wird von Herbert Schönfeldt verantwortet.Eine Dreiviertelseite lang referiert er über einen Roman vonArthur Broekaert, dessen Titelfigur ein Bader im mittelalterli-chen Kortrijk ist.

Das letzte Heft der „Mitteilungen“ in der Zeit des Dritten Reicheserschien im Winter 1944 als Doppelausgabe. Seit der letzten Ver-öffentlichung waren also anderthalb Jahre vergangen. In diesemZeitraum hatte sich die militärische Lage dramatisch zuun-gunsten des Deutschen Reiches verändert. Der Wendepunkt wird

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in der Historiographie dabei mit der Rückeroberung Stalingradsdurch sowjetische Truppen im Januar/Februar 1943 gesehen.Aber auch in Deutschland selbst hatte der seit 1942 geführteBombenkrieg zu dieser Zeit ungeahnte Ausmaße erreicht. Ham-burg, der Verlagsort der „Mitteilungen“, erlebte im Sommer 1943eine zehntägige Angriffswelle, in deren Verlauf es über 40000Tote und enorme Zerstörungen gab. Da auch die Versorgung mitdem Notwendigsten schwierig oder unmöglich wurde, ist das Er-scheinen des vorliegenden „Mitteilungen“-Heftes als sehr erstaun-lich zu bezeichnen.

Obwohl Belgien bereits Anfang September 1944 befreit wurde,reißt die Berichterstattung zum Thema Flandern/Niederlandeauch hier nicht ab. Die „Theater“-Rubrik informiert in einem Satzüber die „Deutsch-vlämische[n] Tage“ (QB 36/2/3, S. 65) in Gel-senkirchen im Januar 1944, während die „Buchbesprechungen“zwei ausführlichere Artikel enthalten. Dort rezensiert RudolfSchmidt ein „Bildwerk“ von Alfred Ehrhardt mit dem Titel „Ewi-ges Flandern“, das offensichtlich die übliche deutsch-flämischeVerbrüderung - hier in Form von kommentierten Fotos - pflegte.Der Schriftleiter Otto Specht, der schon früher mit Artikeln zumThema in Erscheinung getreten war, weist im folgendenempfehlend auf die Neuauflage des Oszwald-Werkes „Deutsch-Niederländische Symphonie“ hin. Diese Rezension stellt denAbschluss der Flandern/Niederlande-Berichterstattung in den„Mitteilungen“ der NS-Zeit dar.

5 Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse

Obwohl sich durch die Gleichschaltungsmaßnahmen eine ganzeReihe von Veränderungen für die Vereinigung Quickborn ergebenhat, gibt es in der Art und Weise der Flandern/Niederlande-Be-richterstattung nach der Machtübernahme der Nazis zunächstkeine nennenswerten Unterschiede. Eine quantitative Steigerungder hier beleuchteten Berichte ergibt sich erst im Jahrgang1933/1934, in dem der Siegeszug von Ulrich Zierow seinen Anfangnimmt, mit dem eine schleichende Politisierung der Beschäfti-gung mit dem Thema einherging. Die Kategorien, die er dabeiverwendete, verließen den bis dahin üblichen Rahmen, der vor al-lem die Verwandtschaft der Sprachen und der „Stämme“ betonthatte. Nunmehr tauchten Begriffe wie „Volkstum“, „völkische Be-wegung“, „Volksgenossen“ und im Zusammenhang mit Belgien„welsche Unterdrücker“ auf. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt

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deuten sich drei Hauptmerkmale der Strategie an, die Zierowwährend seiner gesamten Karriere in den „Mitteilungen“ weiterverfolgen sollte: Erstens die propagandistisch motivierteÜberbewertung der Bedeutung der „völkischen Bewegung“ inFlandern und den Niederlanden; zweitens die anfängliche Be-hauptung, es gehe in diesem Zusammenhang nicht um politische,sondern nur um kulturelle Sachfragen, die später schrittweisezurückgenommen wurde; drittens die Einbettung politischerAussagen in harmlos anmutende Texte, z.B. Geburtstagsgrüßeoder Rezensionen.

Parallel zu den Erfahrungen während des Ersten Weltkriegesund der Zeit danach bezieht sich die untersuchte Berichterstat-tung in den ersten Jahren des Dritten Reiches fast ausschließlichauf Flandern. Dies hat seine Ursache nicht nur darin, dass dieniederdeutsch-flämischen Beziehungen traditionell intensiverwaren als die mit den Niederlanden, sondern auch in den grö-ßeren Identifikationsmöglichkeiten, die die Vlaamse Bewegingder Niederdeutschen Bewegung gab. Man hielt offenbar seitensder „Niederdeutschen“ die Ziele beider Organisationen fürvergleichbar, was eigentlich schon durch die verschiedenenRahmenbedingungen (Hochsprache vs. Dialekt, politische Di-mension vs. reiner „Sprachkampf“) als abwegig hätte erkanntwerden müssen.

Neben der Radikalisierung im Bereich der angestrebten Einglie-derung der niederländischen Sprachen zunächst in den nieder-deutschen, später dann in den deutschen Raum fällt weiterhinauf, in welchem Maße in den Berichten nationalsozialistischeInhalte vermittelt wurden, die mit niederländisch-flämischen oderauch nur mit niederdeutschen Belangen wenig gemein hatten.Insbesondere muss dabei der Bereich der antijüdischen Propa-ganda (vor allem durch U. Zierow) erwähnt werden. Aber auchHaltungen zur Außenpolitik wurden kundgetan, indem die engli-sche oder französische Politik - oft durch konstruierte Rahmenin-formationen - kritisiert wurde.

Außer Erna Mohr, Barthold Blunck und einigen anonymen Ver-fassern blieb Ulrich Zierow bis zum Herbst 1936 der einzige, dersich in besonderem Maße für Flandern und die Niederlande in-teressierte. Sein zweites Fachgebiet, die mecklenburgische Hei-matliteratur, über deren Übersetzungen er womöglich zum nie-derländischsprachigen Raum gefunden hatte, kommt ebenfalls ineinigen seiner Beiträge zum Zuge, es erreicht jedoch nicht an-

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nähernd den Umfang der für diese Arbeit wichtigen Artikel. Dannerst wagt es der Schriftleiter Alexander Strempel, leichte, weilverschlüsselte Kritik an der weiter zunehmenden Flandern/Nie-derlande-Berichterstattung zu üben. Der folgende Jahrgang1936/1937 enthielt dementsprechend nur drei sehr kurze undweitgehend belanglose Berichte, wobei Ulrich Zierow nicht mehrin Erscheinung trat.

Ganz anders verhielt es sich im ersten Jahrgang nach der Ablö-sung Strempels. Die Leser mussten den Eindruck gewinnen, alswollten Zierow und seine Mitstreiter Versäumtes nachholen.Kennzeichnend für diese Entwicklung ist die Einführung der„Dietsche Bücherschau“ im Frühjahr 1938. Nicht nur der neueSchriftleiter, sondern auch der tagespolitische Rahmen, der eineendgültige Etablierung des Systems mit sich gebracht hatte, be-dingten weitaus bessere Voraussetzungen für die Flandern/Nie-derlande-Berichterstattung. Von diesem Zeitpunkt an waren injedem Exemplar der „Mitteilungen“ solche Artikel zu finden, undzwar in großer Regelmäßigkeit auch im Aufsatzteil und denanderen Rubriken der Zeitschrift. Im Großen und Ganzen bliebendie Inhalte gleich, nur der Tonfall nahm an Schärfe zu. Nach wievor ging es hauptsächlich um die Vlaamse Beweging und ihreAktivisten, die zum größten Teil Kollaborateure aus dem ErstenWeltkrieg waren. Den Großteil von ihnen muss man sogar alsnationalsozialistisch gesinnt oder als der „völkischen Idee“zugeneigt bezeichnen. Es sind immer wieder dieselben Namen,die in dem Zusammenhang genannt werden. Durch die Veröf-fentlichung von belletristischen oder sachbezogenen Texten dieserflämischen Autoren wurde den „Mitteilungen“-Lesern ein hohesMaß an Kooperation und Zustimmung von flämischer Seitesuggeriert, was mitunter durch entsprechende Behauptungen vondeutscher Seite untermauert wurde.

Ihren eindeutigen Höhepunkt fand die hier untersuchte Bericht-erstattung im Frühjahr 1939 mit der Veröffentlichung einesExemplars, das hauptsächlich Flandern und in geringerem Maßeauch den Niederlanden gewidmet war. Derartige Sonderhefte, diesich weitgehend auf ein Thema beschränkten, waren für die„Mitteilungen“ bis dahin völlig unüblich. Selbst in den zwanzigerJahren, als andere Bewegungszeitschriften in Zeiten regelrechterFlandern/Niederlande-Begeisterung z.T. mehrfach zuSonderheften umfunktioniert wurden, blieb diese Entwicklung imQuickborn aus. Das wiederum zeigt, wie groß der Einfluss der an

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Flandern und den Niederlanden Interessierten im Quickborn imJahr 1939 bereits geworden war. Zugleich markiert diese Ausgabeden Beginn der offenen Unterstützung von expansionistischenPlänen, für die - sozusagen in vorauseilendem Gehorsam - diverseBegründungen zurechtgelegt wurden. Parallel dazu wurde jedochweiterhin vereinzelt die politische Dimension des Interesses amniederländischsprachigen Raum geleugnet. Neben Ulrich Zierowhatte sich zu diesem Zeitpunkt kein Stamm von Autorenherausgebildet, die eine vergleichbare Geisteshaltung vertraten.7Ein solcher Sachverhalt ließe sich auch kaum nachweisen, da diemeisten Artikel in der „Rundschau“-Rubrik, die der Bericht-erstattung zum Thema den größten Raum gab, ohne Angabe desVerfassers publiziert wurden. Diese Tatsache gilt für die gesamteAbteilung „Rundschau“, ist also folglich kein Beleg für eineeventuell denkbare Feigheit der Autoren.

Der Überfall deutscher Truppen auf Belgien und die Niederlandeim Mai 1940 ließ eine intensive Berichterstattung allein zudiesem Ereignis erwarten. Wer mit solchem gerechnet hatte, sahsich jedoch getäuscht. Nur ein Aufsatz von Zierow, der zudem imentsprechenden Heft nicht einmal an erster Stelle stand, beschäf-tigte sich teilweise mit der neuen Situation. Hier liegt die Vermu-tung nahe, dass man im Quickborn nicht wusste, wie man dieSachlage beurteilen sollte, ohne die niederländischen und flämi-schen „Stammesverwandten“ zu brüskieren. Letztere sahen sichimmerhin mit einem Einmarsch konfrontiert, der durch seineVehemenz den belgischen Staat nach achtzehn und dieNiederlande bereits nach fünf Tagen zur Kapitulation zwang.Besonders Zierow selbst muss sich durch seine immer wieder vonbeiden Seiten betonte Freundschaft mit einigen flämischen Ak-tivisten in arger Bedrängnis befunden haben, die sich jedochrasch als unbegründet erwies, da sich dieser Personenkreis einzweites Mal auf die Seite der deutschen Besatzer schlug. Leiderist über Zierows Werdegang so gut wie nichts bekannt; die Frage,weshalb die Quantität seiner Artikel in den „Mitteilungen“ vonnun an abnahm, bietet einen breiten Interpretationsspielraum.Der letzte Bericht Zierows erschien im Winter 1941. Dementspre-chend verringerte sich die Anzahl, aber nicht die Art der Flan-dern/Niederlande-Berichte in den „Mitteilungen aus dem

7 Während der Zeit des Dritten Reiches sind neben Zierow auf deutscher Seite

nur Otto Specht, Franz Fromme und Hans Teske mit mehreren Artikeln zumThema vertreten.

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Quickborn“. Wie man gesehen hat, ist es dort zu einer weiterenRechtfertigung des deutschen Einmarsches bis zum Ende desDritten Reiches nicht mehr gekommen.

Die Ergebnisse der Untersuchung der „Mitteilungen aus demQuickborn“ können nicht isoliert betrachtet werden. Es muss injedem Fall festgehalten werden, dass Art und Umfang der Artikelmit Bezug auf Flandern und die Niederlande innerhalb derZeitschriften der Niederdeutschen Bewegung ein Mittelmaßrepräsentieren. In den „Mitteilungen“ ist zwar eine ganze Reihevon entsprechenden Aufsätzen, Nachrichten und Rezensionen zufinden, es muss jedoch wegen der geringen Zahl verantwortlicherAutoren der Effekt einer aufgezwungenen Hinwendung zumThema zumindest in Erwägung gezogen werden. Ganz offen-sichtlich stand die Art und Weise, wie sich das Blatt in diesemPunkt verhielt, in Wechselbeziehung zu seiner generellen Einbin-dung in das politische Zeitgeschehen. Untermauert wird dieseThese durch die Tatsache, dass die Anzahl offener politischerAussagen mit der Zahl verdeckter Bekundungen - letztere warenin der Niederlande/Flandern-Berichterstattung häufiger zufinden - in den „Mitteilungen“ miteinander konform ging.

Bei allem Interesse aus der Niederdeutschen Bewegung findensich während der Zeit des Dritten Reiches - wie schon zuvor -höchst selten Begründungen für die Anteilnahme, die langsamanstieg. Der Eindruck, dass man etwas zu verbergen hatte,drängt sich auf; dies schien die „Niederdeutschen“ indes nicht zustören, obwohl sie mit Kritik aus dem Ausland, besonders denbetroffenen Staaten, rechnen mussten.

Die Kriegspolitik der Nationalsozialisten wurde von der Nieder-deutschen Bewegung in unterschiedlichem Maße unterstützt.Warnende Stimmen finden sich im untersuchten Periodikumnicht; sie hätten allerdings zu diesem Zeitpunkt auch kein Forummehr zur Verfügung gehabt. Eine Kritik am militärischenVorgehen gegen die Sprach- und „Stammes“-Verwandten wärenur durch Verweigerung möglich gewesen. Die „Mitteilungen“verhielten sich eindeutig nicht nach diesem Muster. Die Unter-stützung der deutschen Besatzungspolitik stellte eventuell einenVersuch dar, sich für das Regime unentbehrlich zu machen, denndie Erinnerung an die existentielle Bedrohung der Bewegungdurch die Separatismusvorwürfe aus der Anfangsphase desDritten Reiches war noch präsent. In diesem Zusammenhanglohnt die Überlegung, wie die Machthaber in einem zentra-

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listischen „Großdeutschland“ wohl mit derartigen Gruppierungenumgegangen wären. Vermutlich wäre die Strategie, die Körper-schaften zunächst in größere Organisationen einzubinden, um siedann umzufunktionieren, fortgesetzt worden.

6 Ausblick

Der erste Nachkriegsjahrgang der „Mitteilungen aus dem Quick-born“ erschien im Jahr 1948. Dort findet sich noch kein Hinweis,der eine Erwähnung an dieser Stelle rechtfertigen würde. Erst imanschließenden Jahrgang Nr. 40 (1949) nutzt der ehemaligeSchriftleiter Alexander Strempel das Forum, um unter der Über-schrift „40 Jahre ‘Mitteilungen aus dem Quickborn’„ auf nahezuzwei Seiten über den Quickborn während des Dritten Reiches unddie Situation nach dessen Zusammenbruch zu referieren (QB40/6, S. 41 ff.). In diesem stark durch persönliche Erinnerungengefärbten Aufsatz kommt auch das Verhältnis zu Flandern undden Niederlanden in dieser Zeit zur Sprache, und zwar zunächstim Rahmen der Rechtschreibungsdiskussion:

Der Präsident der Reichsschrifttumskammer [H.F. Blunck,V.G.] hatte es verstanden, durch einen ungeheuerlichenPlan entscheidende Stellen für seine holländische Recht-schreibung, wie er sie selbst nannte, (...) zu gewinnen; ineiner persönlichen Aussprache mit dem Verfasser als einemGegner der „amtlichen Rechtschreibung“ erklärte er, manwolle mit dieser Rechtschreibung die Holländer freundlichstimmen, um einmal Holland und seine großen Kolonienmit Deutschland vereinigen zu können. In der Tat: ein be-trächtlicher Preis für die Knebelung der plattdeutschenRechtschreibung! (S. 42)

Diese Aussagen Strempels, deren Realitätsgehalt kaum ernsthaftin Zweifel gezogen werden kann, erlauben interessante Einblickein die Strategie der Machthaber. Bemerkenswert ist allerdings,dass Strempel das Opfer dieses Vorgehens vornehmlich in derplattdeutschen Rechtschreibung sah. Das Zitat lässt Rückschlüsseauf Machtverteilung und Einflussnahme rund um die nieder-deutsche Sphäre zu. Blunck, dessen Wort im Quickbornunanfechtbar war, hatte durch seine Position in der Reichsschrift-tumskammer Einblicke in die langfristige außenpolitischePlanung des Dritten Reiches erhalten, die schon zu einem sehrfrühen Zeitpunkt die Strategie und somit auch die Funktionen

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der gleichgeschalteten niederdeutschen Körperschaften vorgab.Strempel nennt zwar nicht den Zeitpunkt seines Gesprächs mitBlunck, da er selbst aber nur bis 1937 Schriftleiter war undBlunck nur bis 1935 Schrifttumskammer-Präsident, ergibt sichein erstaunlich frühes Datum für die Unterredung. Ob Blunckallein diesen „ungeheuerlichen“ Plan verfasste, kann angezweifeltwerden, aber ob es die Machthaber angesichts derartigerPlanungen für nötig hielten, „die Holländer freundlich zustimmen“, muss angezweifelt werden.

Auch über die rätselhaften Umstände seiner Ablösung gibt Strem-pel Auskunft:

Da griff Prof. Dr. Hans Teske ein (der als ordentlicherProfessor Nachfolger der gelehrten und dem Quickborn be-freundeten Frau Professor Agathe Lasch war). Er lud dieVorstandsmitglieder zu einer Besprechung und erklärte,der Verfasser, langjähriger Schriftleiter der „Mitteilungen“,sei untragbar und müsse sich eines Disziplinarverfahrensdurch seine vorgesetzte Behörde gewärtigen. Als Grund gaber die Besprechung eines angeblich verbotenen Buches an;man kann sie nachlesen im 29. Jahrgang, S. 110 ff. [„Dieflämische Bewegung“, V.G.]. Die dort am Schluß ange-kündigte Fortsetzung ist unterdrückt worden. (Späterwurde übrigens festgestellt, daß dieses Buch über dievlämische [!] Frage niemals verboten war, vielmehr sogar inBrüssel unter der Kontrolle des Amtes Rosenberg, demauch Dr. Teske angehörte, in deutschen Buchhandlungenfür Wehrmachtangehörige zum Verkauf auslag.) Prof.Teske behauptete damals, im Auftrag von Senator v. All-wörden zu sprechen, während von uns, leider viel zu spät,vermutet worden ist, daß er auf diese Weise nur versuchte,den Vorstand zu überrumpeln. Das gelang ihm. DerVerfasser verzichtete sofort auf sein Amt als Schriftleiter,und Felix Schmidt, unser Vorsitzender, erklärte sich gleich-falls angegriffen und legte sein Amt nieder (...). (S. 42)

Die Vermutungen, die bei der Analyse des Strempel-Artikels undder nachfolgenden Entwicklung nahelagen, werden durch dieseVersion des Betroffenen bestätigt. Strempel prangert zurecht dasniederträchtige, weil auf Lügen gestützte Vorgehen Teskes an;ihm scheint jedoch 1949 immer noch nicht klar gewesen zu sein,dass die Machthaber ohne weiteres auch einen anderen nichtigen

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Anlass gefunden hätten, um ihn seines Amtes zu entheben.Teske, der zu diesem Zeitpunkt als vermisst galt, wird nicht nurdurch das Aufdecken seines arglistigen Handelns diskreditiert,sondern auch durch den Hinweis auf seine Nachfolge in der Posi-tion von Agathe Lasch. Eingeweihte konnten diese Bemerkungentschlüsseln, denn sie wussten, dass die verdiente PhilologinLasch ihren Posten nur aufgrund ihrer jüdischen Herkunft räu-men musste. Sie wurde 1942 deportiert und vermutlich inTheresienstadt ermordet.

Über seine Auffassung zur Flandern/Niederlande-Berichterstat-tung, die sich schon aus seiner damaligen Rezension herauslesenließ, verliert Strempel ebenfalls einige Worte:

Prof. Teske ist bald nach diesen Vorkommnissen in den „ge-reinigten“ Vorstand des Quickborn eingetreten. In der Fol-gezeit haben die „Mitteilungen“ einen erheblichen Teil ihresan sich schon beschränkten Raumes für vlämische und hol-ländische Belange zur Verfügung gestellt. (S. 42)

Diese Aussage Strempels untermauert die These, dass die ent-sprechende thematische Beschäftigung im Quickborn von außen,d.h. hier durch Teske als Repräsentanten der Staatsmacht, er-zwungen wurde. Ob allerdings ein solcher monokausalerErklärungsansatz tragfähig ist, bedarf einer genauerenUntersuchung. Der Bericht aus dem Jahr 1949 sollte - bis auf einesinngemäße Wiederholung in QB 50/1/2, S. 1-6 - bis heute in den„Mitteilungen“ der einzige bleiben, in dem das verstärkte Inte-resse an Flandern und den Niederlanden während der Zeit desDritten Reiches überhaupt erwähnt wurde.

In den folgenden Jahrgängen wurden in den „Mitteilungen“ nursehr vereinzelt Berichte aus diesem Themenkreis abgedruckt. Diewenigen Berichte zum Thema in den fünfziger Jahren stelltendurchweg das Phänomen der Ähnlichkeit zwischen ostnie-derländischen Dialekten und der niederdeutschen Mundart inden Mittelpunkt ihres Interesses.

Im Jahr 1961 wird in der „Rundschau“ des ersten Heftes in allerKürze ein neu gestifteter Preis angesprochen, „der als Auszeich-nung überragender kultureller Leistungen im gesamten flämi-schen, niederländischen und niederdeutschen Sprachgebietverliehen“ werden sollte (QB 51/1, S. 16). Hinter diesem „Joost-van-den-Vondel-Preis“ der Hamburger Stiftung F.V.S. stand der

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Hamburger Mäzen Alfred C. Toepfer. Dieser war noch aus derZeit des Dritten Reiches durch seine groß-niederdeutschen Bemü-hungen in Erinnerung, die sich u.a. im Ausbau des HeidehofesThansen für die „Niederdeutschen Studienwochen“ Borchlingsund in der Stiftung des umstrittenen „Rembrandt-Preises“äußerten.

Nach einigen Berichten über den „Vondel-Preis“ in den sechzigerJahren, in denen in zunehmendem Maße die europäischeDimension der Zusammenarbeit herausgestrichen wurde, findetsich 1969 erstmals die Rubrik „Über die Grenzen“ als Unter-abteilung der „Rundschau“ (QB 59/1, S. 44 f.). Die Kolumneexistierte bis einschließlich 1972 und beinhaltete Berichte überniederdeutsche Kontakte zu Mundartgruppierungen in ganz Eu-ropa. Flandern und die Niederlande standen dabei zwar im Vor-dergrund, was aber aufgrund der nicht zu leugnenden Sprachver-wandtschaft naheliegend war.

Die Artikel, die für das Thema dieser Arbeit von Interesse seinkönnten, bezogen sich von 1972 bis heute auf sprach- und litera-turwissenschaftliche Sachfragen sowie den Austausch innerhalbder europäischen Integration. Es lässt sich dabei z.T. sogar eintiefgreifender Wandel in der Definition der eigenen Haltung zuden beiden nordwestlichen Nachbarstaaten nachweisen.

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass das ThemaFlandern/ Niederlande nach dem Zweiten Weltkrieg im Quick-born auf wenig Interesse stieß. Es finden sich insgesamt gesehennur sehr vereinzelte Berichte, von denen die meisten inhaltlichkaum angreifbar sind. Hier stellt sich die Frage, warum ein sol-cher quantitativer und größtenteils auch qualitativer Bruch inder Berichterstattung vonstatten gegangen ist. Es liegt nahe, dasses in dieser Körperschaft der Niederdeutschen Bewegung einUnrechtsbewusstsein bezüglich der intensiven und ideologisch ge-prägten Beschäftigung mit den niederländischsprachigenNachbarstaaten gegeben hat. Zudem erschien es mit demFortschreiten der europäischen Integration offensichtlich immerweniger opportun, Merkmale der eigenen Region auf andereKulturräume Europas übertragen zu wollen.