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WORT LITERARISCHE BEILAGE ZUR MONATSSCHRIFT «DU» 8. JAHRGANG NR. 2 FEBRUAR 1967 IN DIESER BEILAGE: PIERRE IMHASLY: Ezra Pound 147 MANFRED GSTEIGER: Lyrische Zeitgenossenschaft 149 WALTER ERMEL: Lautgedichte 151 BRIGITTE WEIDMANN: Henri Michaux 153 HENRI MICHAUX: Drei Prosastücke 154 DAVID ROKEAH: In der Stadt 154 HENRI MICHAUX: Vier Zeichnungen DICHTUNG IN VIELEN ZUNGEN Ezra Pound Here error is all in the not done All in the diffidence that faltered (Canto lxxxi) Les moeurs passent et la douleur reste (Canto lxxx) C'est le contraire d'un poète», er¬ klärte mir einer, der ein grosser ist und ein wunderbarer - Saint John Perse. Es war das erstemal an diesem Nach¬ mittag, dass ihn seine prosodische Elo¬ quenz verliess, er sozusagen vom Ka¬ theder in den Ring stieg, zum Angriff überging: «Pound ist das Gegenteil von einem Dichter. Er ist alles, was Sie wol¬ len, Anreger, Anstifter, Ärgerstifter, hochkultivierter Ästhet, Übersetzer, kompliziertes Hirn, Querschläger, Or¬ ganisator und Kritiker - doch was soll man, bitte, von einem Mann halten, für den Valéry ein grosser Dichter aber un¬ intelligent, Claudel übergescheit und unpoetisch, endlich Cocteau die Apo¬ theose der Dichtkunst ist. Bei einem authentischen Dichter finden Sie überall die Einfachheit des Mythos, während bei Pound alles ein Mythos um nichts ist.» Dies nur der Anfang seiner Pauke gegen einen Mann, der lebt und doch schon tot ist. Dies von einem Mann und VON PIERRE IMHASLY auf einer Ebene, die jede Mesquinerie und gunstfordernde Rivalität aus- schliesst, hat Gewicht. Doch anderntags Saint John Perse, der mich beschwichtigend am Arm nimmt und sich entschuldigt «d'avoir parlé trop franchement d'un homme que vous devez aimer » Es gab Zeiten, die Pound auf dem elektrischen Stuhl, es gab Leute genug, die ihn gelyncht haben wollten. Und Robert Graves zum Beispiel, Inhaber des Lehrstuhles für Poetry an der Uni¬ versität Oxford, schreibt noch 1964 in dem gleichen Brief, in dem er nicht ahnt, dass französische reflexive Verben mit être konjugiert werden, kaltblütig an einen Pariser Verlag, er gehe nicht ein, warum er seine Meinung ändern solle, da er sich sein Lebtag bei seinen Lesern unbeliebt gemacht hätte mit der Behaup¬ tung, alles, was Pound je geschrieben, wäre nichts wert - was ja inzwischen von dem Dichter selbst bestätigt worden sei. Für die Anhänger des Propheten: Graves war bei denen, die Pound damals - 1945 - gehängt sehen wollten. Was Pound zum Monomanen machte mit der fixen Idee, Amerika am Eintritt in den Krieg zu hindern; was ihn Briefe an Roosevelt schreiben und Konfuzius für Stalin übersetzen liess; was den Pazifisten Pound mit dem Tyrannen Mussolini liierte; was ihn in die Ama¬ teur-Nationalökonomie und utopische Spekulation trieb, Zinsen, Banken und Korruption hassen lehrte; was diesen seinen Hass auf ein ganzes System aus¬ dehnte; was ihn in die doppelt verstärk¬ ten Gorillakäfige des Straflagers zu Pisa warf; was schliesslich vor dem Gesetz als Hochverrat herauskommen sollte, vor dessen Lohn - dem elektrischen Stuhl - ihn vier psychiatrische Gutach¬ ten auf «paranoid» und «unzurech¬ nungsfähig» bewahrten; was ihn in das «elisabethanische Zeitalter» - die zwölf Jahre im St. Elisabeth's Hospital for the Criminally Insane - stürzte: alle die Irrungen und Wirrungen seines tragi¬ komischen und exemplarischen Lebens entstammten der stets in die Tat umge¬ setzten Überzeugung Pounds, die Pflich¬ ten eines Mannes gegen die Gemein¬ schaft wüchsen in jedem Falle in dem Mass, wie sein Wissen zunehme. Sein Vergehen war, ein zu spezifisches Gewissen ausgebildet und nichts gegen dieses Gewissen unternommen zu haben in einer Zeit, wo Sinn und Aberwitz, Vernunft und Tollheit, Sklaverei und Freiheit bestimmt wurden durch die Richtung des politischen Risikos. Auch hielt er dafür, die freie Meinungsäusse¬ rung müsse bei Leuten, die zu einer eigenen Meinung fähig seien, nicht nur gegeben, sondern gefordert sein. Was ihm heute davon bleibt, ist das Bewusst¬ sein, mit Worten nicht mehr auf den Grund seines Denkens zu kommen; die Barriere zwischen dem Wollen, dem Ausführen und dem Erklären; die Lethargie, die sich nur noch den Zweifel am Denken erlaubt und im übrigen weiss, dass alles so schwierig ist und so unnütz. Pound, der Vater der modernen Poesie, von dem Hemingway schreiben konnte: «Ein Dichter, der in diesem Jahrhundert oder in den zehn Jahren vorher geboren wurde und von sich be¬ haupten kann, dass er von dem Werk Ezra Pounds nicht beeinflusst worden ist, verdient eher unser Mitleid als un¬ sern Tadel», muss heute in Schutz ge¬ nommen werden vor sich selber und dem verzweifelten Hohn, mit dem er sein eigenes Werk bedenkt, denn die Bank¬ rotterklärungen des Mannes, den kein geringerer als T.S.Eliot zum miglior fabbro erkor, kommen zu vielen ent¬ gegen, die von seiner Schwierigkeit ver¬ ärgert und abgeschreckt werden mögen. Pound/Lear hat sein Teil getragen. Er ist verstummt. So scheint es. Es gibt keine Verbindung mehr. Er sitzt in einem unsichtbaren Käfig. Er deckt die Schecks, die er ausgegeben hat, während die Adepten seinen Ruhm holen. Auf seinem Weg liegt Wahnsinn wie bei Lear: «Nur das bleibt, was hier wühlt.» Doch muss man sich fragen, was denn diese äussere Höllenfahrt überhaupt noch zu tun hat mit der innern. Und wird nicht in Canto XCI, seinem Testa¬ ment, Lear im Tempel des Janus zu Grabe gebracht? Wird da nicht aus Lear ein Gloster, der das Augenlicht verlieren musste, um ein Sehender zu werden? Und Janus, der Morgengott, der Gott, der die Tore aufstösst? Gibt es nur die genormten Türspalten und Ritzen, durch die sich der Kleinmut verständigt, weil «die meisten Menschen zu schwach 147

Das Wort - Zeitgenössische Lyrik | Gedichte der Gegenwart | … · 2017. 3. 10. · des Gorillakäfigs, der Todeszellen, des Drillfeldes und der Wachttürme erfuhr er Erleichterung

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  • WORTLITERARISCHE BEILAGE ZUR MONATSSCHRIFT «DU» 8. JAHRGANG NR. 2 FEBRUAR 1967

    IN DIESER BEILAGE:

    PIERRE IMHASLY:Ezra Pound 147

    MANFRED GSTEIGER:Lyrische Zeitgenossenschaft 149

    WALTER ERMEL:Lautgedichte 151

    BRIGITTE WEIDMANN:Henri Michaux 153

    HENRI MICHAUX:Drei Prosastücke 154

    DAVID ROKEAH:In der Stadt 154

    HENRI MICHAUX:Vier Zeichnungen

    DICHTUNG IN VIELEN ZUNGENEzra Pound

    Here error is all in the not doneAll in the diffidence that faltered

    (Canto lxxxi)

    Les mœurs passent et la douleur reste(Canto lxxx)

    C'est le contraire d'un poète», er¬klärte mir einer, der ein grosser istund ein wunderbarer - Saint John Perse.Es war das erstemal an diesem Nach¬mittag, dass ihn seine prosodische Elo¬quenz verliess, er sozusagen vom Ka¬theder in den Ring stieg, zum Angriffüberging: «Pound ist das Gegenteil voneinem Dichter. Er ist alles, was Sie wol¬len, Anreger, Anstifter, Ärgerstifter,hochkultivierter Ästhet, Übersetzer,kompliziertes Hirn, Querschläger, Or¬ganisator und Kritiker - doch was sollman, bitte, von einem Mann halten, fürden Valéry ein grosser Dichter aber un¬intelligent, Claudel übergescheit undunpoetisch, endlich Cocteau die Apo¬theose der Dichtkunst ist. Bei einemauthentischen Dichter finden Sie überalldie Einfachheit des Mythos, währendbei Pound alles ein Mythos um nichtsist.» Dies nur der Anfang seiner Paukegegen einen Mann, der lebt und dochschon tot ist. Dies von einem Mann und

    VON PIERRE IMHASLY

    auf einer Ebene, die jede Mesquinerieund gunstfordernde Rivalität aus-schliesst, hat Gewicht.

    Doch anderntags Saint John Perse,der mich beschwichtigend am Armnimmt und sich entschuldigt «d'avoirparlé trop franchement d'un homme quevous devez aimer »

    Es gab Zeiten, die Pound auf demelektrischen Stuhl, es gab Leute genug,die ihn gelyncht haben wollten. UndRobert Graves zum Beispiel, Inhaberdes Lehrstuhles für Poetry an der Uni¬versität Oxford, schreibt noch 1964 indem gleichen Brief, in dem er nicht ahnt,dass französische reflexive Verben mitêtre konjugiert werden, kaltblütig aneinen Pariser Verlag, er gehe nicht ein,warum er seine Meinung ändern solle,da er sich sein Lebtag bei seinen Lesernunbeliebt gemacht hätte mit der Behaup¬tung, alles, was Pound je geschrieben,wäre nichts wert - was ja inzwischen vondem Dichter selbst bestätigt worden sei.

    Für die Anhänger des Propheten:Graves war bei denen, die Pound damals

    - 1945 - gehängt sehen wollten.Was Pound zum Monomanen machte

    mit der fixen Idee, Amerika am Eintrittin den Krieg zu hindern; was ihn Briefean Roosevelt schreiben und Konfuziusfür Stalin übersetzen liess; was den

    Pazifisten Pound mit dem TyrannenMussolini liierte; was ihn in die Ama¬teur-Nationalökonomie und utopischeSpekulation trieb, Zinsen, Banken undKorruption hassen lehrte; was diesenseinen Hass auf ein ganzes System aus¬dehnte; was ihn in die doppelt verstärk¬ten Gorillakäfige des Straflagers zu Pisawarf; was schliesslich vor dem Gesetzals Hochverrat herauskommen sollte,vor dessen Lohn - dem elektrischenStuhl - ihn vier psychiatrische Gutach¬ten auf «paranoid» und «unzurech¬nungsfähig» bewahrten; was ihn in das«elisabethanische Zeitalter» - die zwölfJahre im St. Elisabeth's Hospital for theCriminally Insane - stürzte: alle dieIrrungen und Wirrungen seines tragi¬komischen und exemplarischen Lebensentstammten der stets in die Tat umge¬setzten Überzeugung Pounds, die Pflich¬ten eines Mannes gegen die Gemein¬schaft wüchsen in jedem Falle in demMass, wie sein Wissen zunehme.

    Sein Vergehen war, ein zu spezifischesGewissen ausgebildet und nichts gegendieses Gewissen unternommen zu habenin einer Zeit, wo Sinn und Aberwitz,Vernunft und Tollheit, Sklaverei undFreiheit bestimmt wurden durch dieRichtung des politischen Risikos. Auchhielt er dafür, die freie Meinungsäusse¬rung müsse bei Leuten, die zu einereigenen Meinung fähig seien, nicht nurgegeben, sondern gefordert sein. Wasihm heute davon bleibt, ist das Bewusst¬sein, mit Worten nicht mehr auf denGrund seines Denkens zu kommen; dieBarriere zwischen dem Wollen, demAusführen und dem Erklären; dieLethargie, die sich nur noch den Zweifel

    am Denken erlaubt und im übrigenweiss, dass alles so schwierig ist und sounnütz.

    Pound, der Vater der modernenPoesie, von dem Hemingway schreibenkonnte: «Ein Dichter, der in diesemJahrhundert oder in den zehn Jahrenvorher geboren wurde und von sich be¬

    haupten kann, dass er von dem WerkEzra Pounds nicht beeinflusst wordenist, verdient eher unser Mitleid als un¬sern Tadel», muss heute in Schutz ge¬nommen werden vor sich selber und demverzweifelten Hohn, mit dem er seineigenes Werk bedenkt, denn die Bank¬rotterklärungen des Mannes, den keingeringerer als T.S.Eliot zum migliorfabbro erkor, kommen zu vielen ent¬

    gegen, die von seiner Schwierigkeit ver¬ärgert und abgeschreckt werden mögen.

    Pound/Lear hat sein Teil getragen. Erist verstummt. So scheint es. Es gibtkeine Verbindung mehr. Er sitzt ineinem unsichtbaren Käfig. Er deckt dieSchecks, die er ausgegeben hat, währenddie Adepten seinen Ruhm holen. Aufseinem Weg liegt Wahnsinn wie beiLear: «Nur das bleibt, was hier wühlt.»Doch muss man sich fragen, was denndiese äussere Höllenfahrt überhauptnoch zu tun hat mit der innern. Undwird nicht in Canto XCI, seinem Testa¬ment, Lear im Tempel des Janus zuGrabe gebracht? Wird da nicht aus Learein Gloster, der das Augenlicht verlierenmusste, um ein Sehender zu werden?Und Janus, der Morgengott, der Gott,der die Tore aufstösst? Gibt es nur diegenormten Türspalten und Ritzen,durch die sich der Kleinmut verständigt,weil «die meisten Menschen zu schwach

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  • sind, mit einer Ungewissheit zu leben?»Hat Janus nicht zwei Gesichter, sieht ernicht vor und zurück?

    Er sieht zurück auf Pound/Odysseus,den listenreichen Anführer, der mit sei¬nen Gefährten die grossen Periploier-fahren musste (nicht nur in seinenCantos). Auf den gnostischen Pneu¬matiker, dem die Kosmogonie abhan¬den gekommen war, der inmitten derHeiligen und Häretiker seines Riesen¬epos die Mythen erfuhr von Afrika bisIndien; er, der ewige Verwandler, gingdurch sie hindurch, in ihren Archetypen,er schlüpfte in ihre Masken (Personae)und legte sie wieder ab. Sie haben alleden gleichen Stellenwert, denn das ein¬zige Mittel, die Wahrheit zu erfassen,

    und das einzige Mass dieses Erfassensist unsere eigene Erfahrung, der keineDogmen beikommen. Bei Pound han¬delt es sich um die Erfahrung, « dass dasDrama durchaus subjektiv ist».

    Le paradis n'est pas artificiel,l'enfer non plus. (Canto lxxxi)

    Eine Art bon sens, der immer wieder guteGründe findet, den Geist nicht vomKörper zu trennen, machte die erlitte¬nen Pisaner Cantos zum Paradiso seinerCommedia. In der gottverlassenen Weltdes Gorillakäfigs, der Todeszellen, desDrillfeldes und der Wachttürme erfuhrer Erleichterung von Pein, erfuhr erHumanitas.

    Methenamin erleichtert den Urindie grösste Nächstenliebe

    findet sich bei denen, die Dienstvorschriften nichteinhalten. (Canto lxxiv)

    In einer Welt der «Verbrecher ohnegeistige Anliegen», unter Sklaven Skla¬ventum lernend, suchen ihn, den Mann,«für den die Sonne niederging», Clioauf und Terpsichore, die Töchter derErinnerung, der Regen und der Windgehören zu dem Wandel, eine Ei¬

    dechse steht ihm bei: A lizard upheld me.Nachdem ihm nichts mehr genommenwerden kann, ist er frei für alles, was sichin ihm einfindet. Taischan, der heiligeBerg Chinas, ersteht in Pisa, zu Gordoneder Fuji, die Ahnen stehen auf, Ekba-tana, die Stadt mit den sieben Mauern.

    Eine Eidechse gab mir Beistanddie wilden Vögel assen kein Weissbrotvom Taischan bis zum Abendrot

    Vom Carrara-Stein zum Turmund an diesem Tag tat sich die Luft auf

    für die Kuanon aller Wonnen,Linus, Cletus, Clemens

    deren Gebete,der grosse Skarabäus vorm Altar gebücktdas grüne Licht gleisst in der Flügeldeckepflügten im heiligen Feld und spulten früh die Seidenpuppen ab

    in Strängen

    im Licht des Lichtes ist virtù m«sunt lumina- sprach Eriugena Scottuswie von Schun auf dem Taischan

    und in der Halle der Ahnenwie vom Anbeginn der Wunder

    der Paraklet zugegen in Yao, das Präzisein Schun, dem Barmherzigenin Yu, dem Wegweiser der Wasser. (Canto lxxiv)

    Was unzerstörbar ist im Geiste, über¬dauert; die Kraft des Herzens erbautsich die Städte im Kopf, deren Architektund deren Stifter Pound wird. Ekbatana,die Stadt des Deiokes «mitTerrassen vonder Farbe der Sterne », verwandelt sich inWagadu. Wagadu aber ist der geläutertemenschliche Geist. Viermal ist in derafrikanischen Legende diese Stadt inGlanz erstanden und viermal dem Men¬schenauge wieder entschwunden: ein¬mal aus Eitelkeit, einmal aus Falschheit,einmal aus Habsucht und Begier, einmalaus Uneinigkeit und Zwist. Viermalwechselte Wagadu den Namen, hiessDierra, dann Agada, Ganna, dann Siila.Viermal drehte sie ihr Antlitz, einmal

    nach Norden, einmal nach Westen, ein¬mal nach Süden, einmal nach Osten; siehatte vier Tore nach den vier Richtun¬gen. Wagadu ist nicht aus Holz, Stein,noch Erde erbaut, sondern aus der Kraftdes menschlichen Herzens. Müde underschöpft von der Unbezwinglichkeitdes Menschenherzens wird sie unsicht¬bar. Der erste Schlaf kommt ihr von derEitelkeit, der zweite von der Falschheit,der dritte von der Begier und der viertevom Zwist. Sollte Wagadu ein fünftesMal gefunden werden, wird die Stadt immenschlichen Geist so stark sein, dasser sie nicht mehr vernichten kann, jederMann trüge dann Wagadu in seinemHirn und jede Frau in ihrem Bauch.

    Viermal ward die Stadt aufgebaut, Huuu FasaGassir, Huuu Fasa dell'Italia tradita

    und nun im Geist unzerstörbar, Gassir, Huuu Fasa,Mit den vier Riesen an den vier Eckenund vier Toren mittelwalls Huuu Fasaeine Terrasse von der Farbe der SterneMass wie das Morgengewölk, la luna

    dünn wie Demeters HaarHuuu Fasa, und in einem Tanz: Erneuerung. (Canto lxxiv)

    Usura, das radikal Böse - gleich Helenaeine Männerzerstörerin, Städtezerstöre-rin, Zerstörerin der Ordnung -, die das«Bild aus den Mustern schwinden» liess(Canto XLV), unterliegt den Eikones,den Urbildern, den heiligen Bildern, diein Pound sich reinkarnieren, so dass dasParadiso zu einem Seelenzustand wird,der gerade aus der Erfahrung der Hölledialektisch ersteht. Es kann nichts fernsein, wo das Gedächtnis lebendig ist(dove sta memoria) : How is it far if youthink of it?

    Formato locho - «die geformte Spurim Geist» des Cavalcanti gewährleistetKontinuität, gründet Hoffnung auf Auf¬erstehung im Werk. Forma ist die latente«Lichtgestalt der Dinge» in der An¬schauung des Scotus Eriugena, mit demsich Pound ein Leben lang auseinander¬

    setzte: Omnia quae sunt lumina sunt(Alles was Sein hat, hat es vom Licht).Sie ist das weibliche Thema der Cantos,im XCI wird sie als Reina bezeichnet.Pound selbst erläutert: «Die forma, derunsterbliche concetto, die Idee, diedynamische Form, die wie das Rosen¬muster ist, das der Magnet in die totenEisensplitter treibt, nicht durch mate¬rielle Berührung mit ihm selbst, sondernvon ihm getrennt. Abgeschnitten vondem Magneten durch eine Wand ausGlas, springen Feilstaub und Späne aufund fügen sich zur Ordnung, so erhebtsich die forma, die Idee vom Tod»(Kulchur, London 1952).

    Sie ist ein «Bestandteil in der Be¬schaffenheit des Geistes», ein agens,wirksam, «wirkende Reinheit» des He¬lios, des Lichtes.

    sahst du die Rose in Stahlspänen je(oder in Schwanendaunen?)

    so leicht ist der Ansporn, so ausgerichtet die schwarzenBlütenblätter aus Stahl

    wir, die den Lethe überquerten. (Canto lxxiv)

    Wenn Pound den Lethe überquert hat,so ergibt sich hier der grosse Zusammen¬hang mit seinen letzten Canto-Fragmen-ten. Die Preisfrage, ob Pounds Ver¬stummen als Eingeständnis des Schei¬terns zu verstehen sei, wird müssig, wennman sie nicht auf biographischem Ge-biet,zu stellen versucht, sondern auf demHintergrund seines Werks.

    «Amo ergo sum, und zwar genau indem Masse» steht in den Pisaner Can¬tos - und die Gleichung Cavalcantis, inder nur der Liebende auch ein Wissendersein kann, fällt für Pound zusammen mitdem Prinzip der forma. Vielleicht ist ergescheitert, vielleicht war der Vorwurfzu gross, vielleicht wollte er alles um¬armen, und es bleibt ihm nichts in Hän¬den, aber er hat Anspruch auf Lukas7,47: Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihrevielen Sünden vergeben, weil sie viel ge¬liebt hat. Dantes «amor che move il solee l'altre stelle» darf als Unterbau ange¬sehen werden für Pounds Wahrhaftig¬keit des Wortes. «Kein Ungeübter kannsich Bildnisse formen » (Canto XXXVI) -kein Ungeübter in der Liebe. Kein Un¬geübter in Spinozas Möglichkeiten zurVollkommenheit in den Dingen, die inder Liebe verstanden werden. Kein Un¬geübter im biblischen Erkennen, dasVerstehen im Fleische bedeutet. Derterzo cielo Dantes, der Himmel derLiebenden, denen um der Liebe willenvergeben wird, erscheint denn auch in

    Canto CXVI, dem vorläufig und viel¬leicht endgültig letzten, « ganz Paradiso ».

    Die forma, in Canto LXXX zweimalals «Bein luz» definiert, als Knochen,aus dem sich nach hebräischer Über¬

    lieferung der Mensch in seinem Körperbei der Auferstehung wieder bildet, stelltsich nur dem ein, der von seiner Eitelkeitablässt, um zu lieben. «Pull dawn thyvanity, I say pull dawn», und - dies isteines der ergreifenden BekenntnissePounds -: «To have done instead of notdoing this is not vanity», denn:

    What thou lovest well remains,the rest is dross.

    (Canto lxxxi)

    Forma, die Lichtgestalt, wir finden siewieder in den letzten Cantos, wo(Canto XCI) von dem «Licht fortan» dieRede ist, von dem «grossen Kristall¬gitter», von dem «kristallenen Wogen»,von «Licht compenetrans der Geister»und Licht als kristallenem Fluss, woGottheiten weben in dem Kristall, das«goldene Sonnenboot treibt an dieSterne», wo Tammuz angerufen wirdund die «Sonnenseide klar» sein soll.

    In diesem seinem Testament willPound neben Aurelie begraben sein « genSonnenaufgang zu Stonehenge», wo sichüberbäumt «Licht über Licht» und «dasströmende Licht wältigt die Sterne aufdem kristallenen Fluss».

    148

  • In Canto CXV erscheint noch einmal« der goldene Faden im dunkeln Muster »,der in seinem letzten Canto, CXVI, be¬zeugt werden muss.

    Wir sehen hier in seinen späten CantosPound aufder Höhe seiner dichterischenAmbition und spüren eine schmerzlicheIntensität wie nur irgend in grossenStellen der Pisaner Gesänge. Und wennPound von den vielen Irrtümern und derkleinen Richtigkeit spricht, muss dieseEinschränkung in Relation gebrachtwerden zu dem Gigantischen des Vor¬satzes, das Epos unseres Jahrhundertszu schreiben, das allem gerecht würde,was der moderne Mensch zu assoziieren

    vermag. Es ist eine titanische Aufgabe,die Pound sich gestellt hat, wozu er sichvierzig Jahre einräumte, wovon er sichsechzig Jahre nicht abbringen liess, unddie nun endet mit dem «kleinen Lichtwie ein Binsendocht, das in den Licht¬glanz zurückführt».

    Splendour - das letzte von Poundveröffentlichte Wort muss assoziiertwerden mit dem «What Splendour! It allcoheres» des sterbenden Herakles inPounds «Frauen von Trachis». Der

    Autor bezeichnet diesen Satz als Schlüs¬selstelle, um deretwillen das Stück exi¬stiere. Herakles, der alte Licht-Heros,mit dem sich Pound identifiziert, ist derletzte aus seiner langen und berühmtenReihe der Personae. Der Halbgottmusste Übermenschliches leisten für dieMenschen... und starb an einem Irr¬tum - im brennenden Nessushemd, einervermeintlichen Liebesgabe seiner FrauDeianeira.

    Seine Unbotmässigkeit wurde ihmzum Schicksal, was sollte er, «ein Rauf¬bold, gegen die Liebe ausrichten mit sei¬nen Fäusten» - doch fügt sich ihm beiPound in seiner grossen Klage-Arie allesein, im Glanz.

    Die lieblose Neugierde, die vorlauteBesserwisserei, die hämische Schaden¬freude und die rachsüchtige Intoleranz,die sich an Ezra Pounds Verstummenweiden, seien getrost auf diesen letztengrossen Poundschen Canto verwiesen.Er ist das Gegenglück. Noch einmaltranszendieren sich aus dem unheilenGedächtnis der Zeit die Dinge zurforma; noch einmal hat Pound dasAbsolute im Griff:

    Lyrische Xeitgenossenschaft

    Das grosse kristallene Hohlrund habe ich geholt,wer kann es heben

    Findst du Einlass in die grosse Lichteichel?

    Er weiss, Schönheit ist schwer, und fragtsich, wie diese vor seine Schwärzekommt,

    Doch die Schönheit liegt nicht im Wahnsinn,Ob mich auch Wrack und Irrtum umgibt.Ich bin kein Halbgott,

    es will sich mir nicht einfügen.

    Ehe man Pounds Irrtümer, für die erweiss Gott bezahlt hat, ehe man gar«Wahnsinn» mit seinem Verstummenzusammenbringt und legitimiert, mussman sich zwei Dinge vor Augen halten.Dieses Verstummen ist nicht nur alsGigantomanie eines Mannes zu definie¬ren, der im Umgang mit Halbgöttern fürden Laufder Welt verantwortlich wurde.

    Herakles und Lear sind nur die eineSeite. Daneben aber steht dieses Ver¬stummen für einen Grad der Engagiert¬heit, wie er von unsern engagierten Dich¬tern kaum je erreicht wurde.

    Pound weiss nicht, wer sein Palim¬psest ausschreiben wird, wenn es seine«Stichworte nicht tun». Und wir wagenkaum, weiter zu hoffen, denn :

    If the hoar frost grip thy tentThou wilt give thanks when night is spent.

    Kommt Rauhreif nieder auf dein ZeltBist du heilfroh, wenn der Tag sich hellt. (Canto lxxxiv)

    m^ 1-4t

    iHenri Michaux

    Zu zwei Anthologien -mit einem Blick auf Vorgänger

    Wenn wir in Buchhandlungen vonRegal zu Regal gehen oder inKatalogen und literarischen Rezen¬sionsblättern lesen, so kann uns auffal¬len, welch breiten Raum im heutigen«schöngeistigen» Bücherwesen die An¬

    thologien aller Art einnehmen. DieselbeBeobachtung ist aber bereits in Hinsichtauf das 19. Jahrhundert zu machen. Fürfrühere Epochen der europäischen Lite¬ratur mag sie in geringerem Mass gelten,aber auch die Barockzeit kennt Antho¬logien wie die «Neukirchsche Samm¬lung» - mit ihrem vollen Titel «Herrnvon Hoffmannswaldau und andrerDeutschen auserlesener und bissher un¬gedruckter Gedichte» -, nicht wenigerdie Renaissance, aus der wir etwa den1511 erschienenen spanischen «Cancio-nero general», die «Allgemeine Lieder¬sammlung», besitzen. Gehen wir aberbis in die Antike zurück, so stossen wirabermals auf eine Fülle von Sammel¬werken: auf die aus dem 6. Jahrhundertstammende «Anthologia latina», auf dienach der Heidelberger Handschrift«Anthologia Palatina» genannte Samm¬lung griechischer Epigramme, schliess¬lich auf das berühmte Urbild der ganzenGattung, die um 60 v. Chr. zusammen¬gestellte Anthologie des Meleagros, dieihrerseits in die «Anthologia Palatina»eingegangen ist.

    Anthologien - das griechische Wortsagt es - sind «Blütenlesen», Sammlun¬gen literarischer Stücke, die den An¬spruch erheben, als beispielhaft zu gel¬ten. Das Bedürfnis, aus der Menge desGeschriebenen und Publizierten auszu¬wählen und zusammenzufassen, sichüber das Verschiedenartige einen Über¬blick zu verschaffen und zugleich daseinzelne Werk, vor allem das Gedichtund das kurze Prosastück, aus seinerIsolation herauszuführen und vor demHintergrund anderer Werke zu neuerWirkung zu bringen, ist so legitim wiealt. Besonders stark wird es in Epochenintensiver literarischer Produktion, diemehr reflektierenden als ursprünglichnaiven Charakter haben. So fällt dieerste grosse Periode der europäischenAnthologie in die Spätantike. Auch un¬sere Gegenwart ist eine hellenistischeZeit. Kein Wunder also, dass sie sofleissig anthologisiert. Von «Blüten¬lesen» spricht sie allerdings nicht mehr.Ein Titel wie der, den August WilhelmSchlegel 1804 einer Sammlung seinerÜbersetzungen gab: «Blumensträusseitaliänischer, spanischer und portugiesi¬scher Poesie», hat für uns einen je nachTemperament bezaubernd oder bloss

    VON MANFRED GSTEIGER

    lächerlich altmodischen Klang, undwenn die berühmte Anthologie vonRudolf Borchardt aus dem Jahre 1926«Ewiger Vorrat deutscher Poesie» heisst,so glauben wir einen allzu pathetischenAnspruch herauszuhören. Näher ist unsda Hofmannsthal, der seine Auswahldeutscher Prosastücke von 1750 bis 1850einfach «Deutsches Lesebuch» nannte.

    Wie sehr sich die Haltung bedeutenderMänner der Literatur in der Generationzwischen Borchardt und heute gewan¬delt hat, zeigt sich aber vielleicht nir¬gends deutlicher als im Titel, den WalterHöllerer 1956 seinem «Lyrikbuch derJahrhundertmitte» gab: «Transit». DasVorübergehende gegen das Dauernde,der Durchgang gegen den «ewigen Vor¬rat», Dynamik gegen Statik! Höllerer istkein vereinzeltes Beispiel. Im selben Jahr1956 nannte der wesentlich konserva¬tivere Curt Hohoff eine Anthologiedeutscher Gedichte der ersten Jahrhun¬derthälfte «Flügel der Zeit». Der Aus¬druck stammt aus einem ZweizeilerHofmannsthals : «Wir sind dein Flügel, oZeit, doch wir nicht die tragende Klaue /Oder verlangst du so viel: Flügel undKlaue zugleich » Trägt der Dichter seineZeit? Die Frage Hofmannsthals lässtsich auch umkehren: Ist es nicht dieKlaue der Zeit, die den Dichter um¬klammert? Wir sind heute eher geneigt,den Schriftsteller in seiner historischen,sozialen, ästhetischen und politischenBedingtheit zu sehen, als das in idealisti¬scheren Epochen der Fall war, und auchunsere Scheu vor dem hochtönenden«Dichter» gehört hierhin. Im selbenMass, wie uns der klassische Kanon derPoesie verlorengegangen ist, haben wiruns daran gewöhnt, die Literatur unse¬rer Zeit weniger als einen Beitrag zum«ewigen Vorrat» und mehr als einenAusdruck des «Transit» aller Kunst zubetrachten.

    Es wäre nun allerdings falsch, darauszu schliessen, in zeitgenössischen An¬thologien werde jeder Anspruch aufRepräsentation aufgegeben. Bei allerechten und nicht selten auch falschenBescheidenheit, die solche Bücher meistkennzeichnet - die Untertreibung ist beiuns ja längst ein «locus communis» ge¬worden -, treten sie heute nicht wenigerals früher mit einer bestimmten Präten¬tion auf. Wenn es nicht mehr das «Blei¬bende Gut» ist, das sie versammelnwollen (auch dies der Titel einer älterenAnthologie), so doch das ästhetisch Ge¬lungene, das verbindliche Sprachgebil¬de, das Beispielhafte, auch das Neueund in die Zukunft Weisende. Es hat

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    Das Wort : eine literarische Beilage