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Beitr~go zur Klinik der Tuberkulose, Bd. 113, S. 415--421 (1955). Aus dem Hygienisch-Bakteriologischen Institut (Direktor: Obermedizinalrat Dr. reed. habil. W. HSRR~ANN) und dem Pathotogischen Institut (Direktor: Prof. Dr. med. W. MiiLL~R) der Stiidtischen Krankenanstalten Essen a. d. Ruhr. Dauerheilung der experimentellen Meerschweinehentuberkulose durch Isonieotins~iurehydrazid% Von FRIEDRICI[ WILIIELM GIERItAKE. (Eingegangen am 31. Mdrz 1955.) I. Problemstellung. Die heute yon zahlreichen Untersuehern best~tigte Tatsache, dab Tuberkel- bakterien mit einer Resistenz gegen Isonicotins~urehydrazid sich als virulenz- geschw~cht gegeniiber dem Meerschweinchen erweisen [MEIsSI~ER (1), (2); MIDDLEBROCK und COHI~; PEIZV.~ und Mitarbeiter; GIEaHAKE (1), (2) U.a.], lieB in unserem Arbeitskreis den Gedanken aufkommen (ttERRMA~Z~ (1)], im Tierversuch am Meerschweinchen durch konsequent fortgesetzte, ]angdauernde Behandlung mit Isonicotinsiiurehydrazid zu erproben, ob sich die Viru]enz- sphwachung yon Bakterien mit einer Resistenz gegen Isonicotinsaurehydrazid bis zur vSlligen Avirulenz betreiben l~l~t. Es interessierte uns weiterhin die Frage, ob diese Aviru!enz zu einer vSlligen Ausheilung ftihren wiirde ohne die MSgliehkeit eines Rezidivs. Die oben und im folgenden benutzten Worte ,,Resistenz" und ,,Virulenz- schw~chung" kSnnen zu Miflverst~ndnissen fiihren, wenn sie wSrtlich genommen werden, denn ein Bacterium, d~s gegen ein Medikament resistent ist, miii~te vSllig unbeeinflu6t bleiben yon der Einwirkung des Medikamentes. Die Resistenz eines Bacteriums wird aber gewShnlieh mit rein bakteriologischer Methodik gemessen an seiner F/ihigkeit, auf kfinstlichen N~ihrbSden, die einen Zusatz des Antibioti- cums oder Tuberkulostaticums enthalten, zu wachsen. Bei den meisten Bakterien und aueh den Tuberkelbakterien finder yon dem Augenbliek an, wo die F/ihigkeit eines Antibioticums aufhSrt, das Wachstum der betreffenden Bakterien auf kfinstlichen N/ihrbSden zu hemmen, nach unserem heutigen ~Vissen keine weitere Einwirkung bzw. Nachwirkung des Antibioticums auf die Bakterien mehr start. Oarum darf die mangelnde I-Iemmung des Wachs- turns auf kfinstlichen N~hrbSden als Resistenz, wemn auch als bakteriologische in vitro-Erscheinung, bezeichnet werden und kann als Riehtlinie fiir die thera- peutische Praxis benutzt werden. Die Ausdeutung der Vorg~nge bei der Einwirkung des Isonicotinsi~urehydrazids auf das Tuberkelbaeterium mul~ abet in einem erweiterten Rahmen gesehen werden. _4ls das Isonieotins~urehydrazid zur therapeutischen Anwendung kam, war die Erscheinung der Resistenz gegen Antibiotiea seit langem bekannt. Nactt einer gewissen Dauer der Anwendung des Isonieotinsiiurehydrazids stellte sich * Den Farbenfabriken Bayer, Leverkusen, danken wit fiir Unterstiitzung dieser Arbeit. Beitr. Kiln. Tub. Bd. 113. 29

Dauerheilung der experimentellen Meerschweinchentuberkulose durch Isonicotinsäurehydrazid

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Beitr~go zur Klinik der Tuberkulose, Bd. 113, S. 415--421 (1955).

Aus dem Hygienisch-Bakteriologischen Institut (Direktor: Obermedizinalrat Dr. reed. habil. W. HSRR~ANN)

und dem Pathotogischen Institut (Direktor: Prof. Dr. med. W. MiiLL~R) der Stiidtischen Krankenanstalten Essen a. d. Ruhr.

Dauerheilung der experimentellen Meerschweinehentuberkulose durch Isonieotins~iurehydrazid %

Von FRIEDRICI[ WILIIELM GIERItAKE.

(Eingegangen am 31. Mdrz 1955.)

I. Problemstellung.

Die heute yon zahlreichen Untersuehern best~tigte Tatsache, dab Tuberkel- bakterien mit einer Resistenz gegen Isonicotins~urehydrazid sich als virulenz- geschw~cht gegeniiber dem Meerschweinchen erweisen [MEIsSI~ER (1), (2); MIDDLEBROCK und COHI~; PEIZV.~ und Mitarbeiter; GIEaHAKE (1), (2) U.a.], lieB in unserem Arbeitskreis den Gedanken aufkommen (ttERRMA~Z~ (1)], im Tierversuch am Meerschweinchen durch konsequent fortgesetzte, ]angdauernde Behandlung mit Isonicotinsiiurehydrazid zu erproben, ob sich die Viru]enz- sphwachung yon Bakterien mit einer Resistenz gegen Isonicotinsaurehydrazid bis zur vSlligen Avirulenz betreiben l~l~t. Es interessierte uns weiterhin die Frage, ob diese Aviru!enz zu einer vSlligen Ausheilung ftihren wiirde ohne die MSgliehkeit eines Rezidivs.

Die oben und im folgenden benutzten Worte , ,Resistenz" und ,,Virulenz- schw~chung" kSnnen zu Miflverst~ndnissen fiihren, wenn sie wSrtlich genommen werden, denn ein Bacterium, d~s gegen ein Medikament resistent ist, miii~te vSllig unbeeinflu6t bleiben yon der Einwirkung des Medikamentes. Die Resistenz eines Bacteriums wird aber gewShnlieh mit rein bakteriologischer Methodik gemessen an seiner F/ihigkeit, auf kfinstlichen N~ihrbSden, die einen Zusatz des Antibioti- cums oder Tuberkulostat icums enthalten, zu wachsen.

Bei den meisten Bakterien und aueh den Tuberkelbakterien finder yon dem Augenbliek an, wo die F/ihigkeit eines Antibioticums aufhSrt, das Wachstum der betreffenden Bakterien auf kfinstlichen N/ihrbSden zu hemmen, nach unserem heutigen ~Vissen keine weitere Einwirkung bzw. Nachwirkung des Antibioticums auf die Bakterien mehr start. Oarum darf die mangelnde I-Iemmung des Wachs- turns auf kfinstlichen N~hrbSden als Resistenz, wemn auch als bakteriologische in vitro-Erscheinung, bezeichnet werden und kann als Riehtlinie fiir die thera- peutische Praxis benutzt werden.

Die Ausdeutung der Vorg~nge bei der Einwirkung des Isonicotinsi~urehydrazids auf das Tuberkelbaeterium mul~ abet in einem erweiterten Rahmen gesehen werden. _4ls das Isonieotins~urehydrazid zur therapeutischen Anwendung kam, war die Erscheinung der Resistenz gegen Antibiotiea seit langem bekannt. Nactt einer gewissen Dauer der Anwendung des Isonieotinsiiurehydrazids stellte sich

* Den Farbenfabriken Bayer, Leverkusen, danken wit fiir Unterstiitzung dieser Arbeit. Beitr. Kiln. Tub. Bd. 113. 29

4 1 6 F ~ , D ~ c . ~VILBELM GIERHAKE :

heraus , dab d ie Tube rke lbak t e r i en d ie :F/ihigkeit gewinnen konn ten , auf k / ins t - l ichen N~hrbSden mi t e inem Isonicot ins~urehydraz idzusa~z zu wachsen. Diese B e o b a e h t u n g wurde ebenfal ls als Res is tenz bezeichnet . I n Wi rk l i chke i t geht abe r die E i n w i r k u n g des Isonicot ins i~urehydrazids auf das T u b e r k e l b a c t e r i u m weiter; auch wenn das W a c h s t u m auf Ni~hrbSden mi t Zusa tz von I son ico t in s~urehydraz id u n g e h e m m t s t a t t f inde t . Diese wei tere E inwi rkung , wahrschein l ich durch Eingr i f f in den Ferments tof fwechse l , ff ihrt zu e iner fo r t l aufenden Verminde rung der Virulenz. Die V i ru l enzabnahme ist~ in de r Regel um so ausgepr~gter , je gr61~ere Dosen yon I son ico t ins~urehydraz idzusa tz zum N~hrboden das T u b e r k e l b a c t e r i u m ver t r~g t . Daraus geht he rvo r : Es g ib t keine Res is tenz gegen Isonicot ins~ure- h y d r a z i d im wSrt l ichen Sinne, sondern nur ein Aufh6ren der in v i t r o - W a c h s t u m s - h e m m u n g bci forCschreitender Verminde rung der Virulenz. Therapeur l~ehl- schlfisse, wie das Abse tzen der The rap ie mi t I son ico t in s~urehydraz id mi t d e m A u f t r e t e n der sog. , ,Resis tenz" , werden vermieden , wenn der Begriff der , ,Iso- n i co t ins~urehydraz id res i s t enz" vSllig aus dem bakter io]ogisehen Sprachgebrauch ve rschwinde t [GIERH.~KE (3)].

Es is t also ein Wandel in der Au/ /assung des Resistenzproblem8 bezfiglich des I son ieo t ins~urehydraz ids no twendig . Der Begrfff de r Res is tenz gegen Isonicot in- s~urchydraz id umfaB$ naeh unseren Vors te l lungen heu te eher ein 1]bergangs- s t a d i u m des T u b e r k e l b a c t e r i u m s zur Avirulenz , also eine Vi ta l i t~ tsschi id igung, als das R e s u l t a t e iner akt. iven A b w e h r gegen das Tube rku los t a t i cum.

II. Versuchsanordnung. Gruppe A .

1. Versuchstlere: 40 Meerschweineben yon etwa 300 g Gewicht. 2. Tuberkdbakterienstamm: 14 Tage alte Kultur auf Eiern~hrboden (Hohn-IV-Substrat

in der Modifikation nach HERRMA~N (2)] mit normaler Empfindliehkeit gegen Isonieotins~ure- hydrazid, Conteben, Streptomycin und PAS. Virulenz leicht abgeschwKeht, wohl als Folge der vorhergegangenen Chemotherapie bei dem Tr~tger des Stammes.

3. in/ektionsweise: 5 ~ Bakterienmasse, aufgeschwemmt in 0,1 em a KochsaizlSsung wurden in die linke Schenkelbeuge eines jeden Tiercs intramuskul/ir injiziert.

4. Behandlungsver/ahren: a) 4 Tiere blieben als Kontrollen unbehandelt. b) 18 Tiere wurden yore 14. Tage naeh der Infektion an t~glieh, auBer sonntags, mit 5 mg

Isonicotins~urehydrazid (Neoteben) in w~flriger LSsung durch subcutane Injektion behandelt. Unterbrecltun 9 der Behandlung : Gruppe I : Nach 3 Monaten Behandlung. Gruppe I I : 1Naeh 12 Monaten Behandlung. c) 18 Tiere wurden vom 14. Tagc nach dcr Infcktion an ti~glieh, auBer sonntags, mit 10 mg

Conteben, gelOst in 0,4 cm a ~thylenglykol, durch subcutane Injektion behandelt. 5. TStung der Tiere: Abgesehen yon den SlOontan eingegangenen Tieren wurden in Ab-

st~inden, die unten angegeben sind, Tiere get6tet (durch tiberdosierte Chloroformnarkose oder durch Entbluten nach Nackenschlag), die tibrigen Tiere blieben bis zu einer Gesamtversuehs- dauer yon 18 Monaten am Leben.

6. IVachweis der Heilung oder Erkrankung: a) Makroskopiseher Sektionsbefund. b) Rekultivierung yon Organbrei. c) Histologische Untersuehung. d) Tuberkulinhautprobe (durchgeffihrt mit Alttuberkulin in der Dosierung yon 0,1 em 3,

1:1000 verdiinnt, bis 0,1 cm a unverdiinnt, subcutan injiziert. e) Tuberkulinschockversueh (durch Injektion yon 0,5 cm a Alttuberkulin intraperitoneal). f) Injektion yon Organbrei der Versuchstiere beigesunden Meersehweinchen intraperi$oneal.

Dauerheilung der experimentellen Meerschweinehentuberkulose. 417

Gruppe B.

1. Ver~uchstlere: 14 Meerschweinehen yon etwa 300 g Gewicht. 2. Tuberkelbakterienstamm: Resistent gegen 10 ~ Neoteben. 3. In/ektionsweise: Wie bei Gruppe A. d. Behandlungsver[ahren : a) 2 Tiere als Kontrollen blieben unbehandelt. b) Je 4 Tiere wurden behandelt mit Conteben, Neoteben und Streptomycin. Dosierung yon Streptomycin 5 mg je Tag. Dosierung yon Neoteben und Conteben wie bci Gruppe A. Behandlungsbeginn 14 Tage nach der Infektion. Unterbrechung der Behandlung nach 60 Injektionen innerhalb yon 73 Tagcn. 5. Nachbeobachtung: 12 Monate lang nach Abbruch der Behandlung. 6. Nachweis der Heilunff: Wie bei Gruppe A.

IlL Ergebnisse. Gruppe A.

1. Kontrolltiere: TStung oder Spontanexitus zwischen dem 92. und 202. Tage nach der Infektion. Fortsehreitende, generalisierte Tuberkulose in Lymphknoten, Leber, Milz und Lunge.

2. Tiere, die mit Neoteben behandelt wurden und ~pontan wdhrend der Beha~utlunff eingingen oder unter der Behandlung get6tet wurden:

Versuch'Nr. Behundluttg Untersuehlutg auf Tubcrkutose (Tuberkulinproben n ich t durchgef~ihrt)

1/12 6 Tage 1/19 33 Tage I]7 61 Tage

1/13 188 Tage 1/18 224 Tage 1/14 226 Tage

negativ negativ positiv

(makroskopisch nur eine vergr6Berte nicht verk~tste Driise. Bei Rekultivierung Tuberkulosebakterien geziichtet aus der Driise, der

Leber und der Milz) negativ negativ negativ

3. Tiere, die mit Neoteben behandelt wurden, bei denen die Behandluny aber clue Zeitluny vet dem Tode abgebrochen worden war:

I Zeit ramn ] Versuch t seit Unter- I

Nr. brechung der Behandhmg

Ulltcrsuchlulg at1/ Tuborkulosc

I/4 I/5 I/6 1/8 I/9 I/lo 1/11

a) nach 3 Monaten Behandlung untcrbrochen:

112 Tage negativ ] 150 Tage negativ / Tuberkulinproben nicht durchgefiihrt 200 Tage negativ 250 Tage negativ

410 Tage negativ

b) Nach 12 Moaateu Behandlung unterbrochen:

1/15 I} 1/16 1/17 180 Tage negativ 1/20

29*

4 1 8 FRIEDRICH WILHELM GIERtIAKE :

4. Mit Conteben behandelte Tiere: Keine Unterbrechung der Behandlung. Spontan Exitus in allen 18 Fallen zwischen dem 78. und 152. Tage post infectionem. Alle Fdlle zeigten eine generalisierte Tuberkulose trotz /ortgesetzter Behandlung 1.

Gruppe B: In/ekt ion mit einem gegen Neoteben resistenten Stamm.

1. Kontrolltiere:

Zeitramn seit der Untersuchung auf Tuberkulose

]nfektion

80 Tage positiv (AbsceB an der Injektionsstelle, in diesem mikroskopisch und bei R4ick-

ziiehtung Tuberkulosebakterien nachweisbar. Diese yell empfindlich gegen Neoteben)

140 Tage negativ (Tuberkulinprobe wurde nicht durchgefiihrt)

2. Behandelte Tiere:

Je 4 Tiere mit Neoteben, Conteben und Streptomycin behandelt. Abbruch der Behandlung nach 72 Tagen (60malige Behandlung).

Aus dermit Conteben behandelten Gruppe lasscn sich bei einem 7~/~ 3ionate nach Abbruch der Behandlung eingegangenen Tier Tuberkelbakterien aus der Milz zfichten.

Bei einem weiteren Tier dieser Gruppe ist 12 Monate naeh Abbrueh der Behandlung der Tuberkulintest positiv bei Injektion yon 0,1 cm 3 Alttuberkulin unverdiinnt. Bei der Ver- diinmmg 1:10 dagegen entstand nur eine leichte Hautverdiekung.

M_it Streptomycin behandelte Gruppe: Nach Injektion yon Organbrei eines Tieres, bei dcm die Zeit seit Unterbrechung der Behandlung 12 Monate betr~gt, in die Bauchh6hle eines Meerschweinehens finder sich bel dessen T6tung 8 Wochen spi~ter ein kleiner, steeknadelkopf- gro~er, verk~ster Mesenteriallymphknoten, in dem sich mikroskopisch s~turefeste St~bchen nachweisen lassen.

Alle tibrigen Tiere, yon denen 5 Tiere 12 Monate nach Abbruch der Behandiung erst get6tet wurden, waren bei allen durchgefiihrten Untersuchungen negativ.

IV. Bcsprechung der Ergebnissc .

Die vor l iegenden Un te r suchungen an Meerschweinchen, die mi t e inem normal gegen Tube rku los t a t i c a empf ind l ichen Sta ture (Gruppe A) inf iz ier t worden waren, lassen folgendes e rkennen :

Nach sehr kurzf r i s t iger ]~ehandlung mi t I son ico t in s~urehydraz id schon er- scheinen die Tiere als gehei l t (Versuch-Nr. 1/12 und 1/19), was den frf iheren Be- obach tungen versch iedener Un te r suche r (DoMAGK U. a.) en t spr ich t .

Bei F o r t s e t z u n g der Versuche k a n n es t ro t z we i t e rgehender The rap ie mi~ Isonicot ins i~urehydrazid zu e inem W i e d e r a u f t r e t e n yon Bak te r i en in versch iedenen Organen k o m m e n (Versuch-Nr. I/7). Auf dieser Ersche inung df i r f ten die Be- obach~ungen von Hr~SCH beruhen , dab die The rap ie mi t I sonicot ins~iurehydraz id im Tierversuch (M~use) ledigl ich zu einer Scheinhei lung ffihrt, de r nach genfigend langer /qachbeobachr unweiger l ich tier Ted an Tuberku lose folge.

W i r d die Behand lung aber noch l~nger durchgeff ihr t , so zeigen schon bei e iner Behandlungsze i t yon 90 Tagen u n d e iner Nachbeobach tungsze i$ bis zu 410 Tagen s~mtl iche Tiere eine Hei lung. Es erscheint berech t ig t , in diesen FKllen eine

1 I)iese Ergebnisse werden nur erw~hnt, weft sie die vorhandene Virulenz des Bakterien- stammes erkennen ]assen. Riickschliisse auf die tuberkulostatische ~rirkung des Conteben k6nnen nicht gezogen werden, da Anhaltspunkte fiir die MOgliehkeit einer zus~tzliehen $oxischen SchKdigung vorhanden warcn; au~erdem blieben die durchgefiihrten biologisctmnBlutspiegel- bestimmungen auf Conteben negativ.

Dauerheilung der experimentellen Meersehweinchentuberkulose. 419

Dauerheilung anzunehmen, da auch die Tuberkulinproben negativ geworden waren.

Die fiir eine Dauerheilung iiberraschend kurze Behandlungszeit yon 90 Tagen wird zum Teil dadurch bedingt gewesen sein, dab die Infektionsdosis nicht sehr grol3 war und die Virulenz der Bakterien leicht abgeschw~cht war. Immerhin war abet die Dosis grog genug und die Virulenz stark genug, um nieht nur bei den unbehandelten KontroUtieren eine fortschreitende, generalisierte Tuberkulose zu erzeugen, sondern auch in der Gruppe, die mit Conteben behandelt worden ist, dazu zu fiihren, dab vom 78. Tage post infectionem an s~mtliche Tiere trotz fort- dauernder Behandlung wieder Tuberkelbakterien in allen Organen zeigten, Auch das Auftreten yon Tuberkelbakterien bei einem Tier naeh 61 Tagen einer nieht unterbroehenen Behandlung mit Isonicotinsiiurehydrazid spricht gegen die An- nahme einer zu ldeinen Dosis oder zu geringen Virulenz.

Eine Dauerheilung der experimentellen Meerschweinchentuberkulose ist also bei geeigneter Wahl der Versuchsbedingungen grundsi~tzlich erwiesen.

Die andersartigen Ergebnisse, die VELTMAN~r bei der langfristigen Behandlung und langfristigen bIachbeobaehtung der experimentellen Meerschweinchentuber- kulose erzielte, diirften in andersartigen Versuehsbedingungen ihre Erkl~rung linden: Die Infektionsdosis war doppelt so groB bei V~LTMA~; die Virulenz der verwandten 2 St~mme war grSBer, denn in der einen seiner Serien gingen die Kontrolltiere innerhalb yon 45 Tagen zugrunde, in der anderen Serie innerhalb yon 55--100 Tagen. Aueh die Tiere, die mit Organmaterial von behandelten Tieren infiziert worden waren, gingen bei VELT~IANN innerhalb von 45--111 Tagen an miIiarer Tuberkulose ein.

Dieses auffallend schnelle Zugrundegehen naeh der Infektion, das wit auch bei Infektion mit stark virulenten Sti~mmen praktisch nie sehen, liiBt aber aueh den Schlul3 naheliegend erscheinen, dab Unterbringung oder Fiit terung der Tiere doch nicht optimal gewesen sind.

Wie ist die endgfiltige Heilung der Versuehstiere zu erkliiren ? Durch bakterio- statische oder baktericide Wirkung oder durch Virulenzschwiichung und an- schlie[3ende Vernichtung der avirulenten ]3akterien (lurch den Organismus ?

Die Frage liil3t sieh aus den Versuchen allein nicht ablesen, wenn sie auch zu der Vermutung fiihren, dal3 die bakteriostatische Wirkung bei Versuch Nr. 1/12 und 1/19 (naeh 6 bzw. 33 Behandlungstagen) wirksam ist, bei Versuch Nr. I/7 (naeh 61 Tagen) aber keine Rolle mehr spielt.

Wir glauben jedoeh, dab die endgfiltige Heilung der Tuberkulose erfolgte, indem der Tierorganismus die im Laufe der Behandlung immer virulenzschw~tcher werdenden Bakterien verniehten konnte. DaB diese MSglichkeit besteht, zeigen die histologischen untersuchungen, die an anderer Stelle verSffentlieht wurden [GI~RHAKE (2)], bei denen bei nicht behandelten Tieren, die mit Tuberkel- bakterien infiziert worden waren, die durch Isonicotins~urehydrazid eine Virulenz- abschw~iehung erlitten hatten, in verschiedenen Organen tuberkulSse Gewebs- ver~nderungen histologisch nachgewiesen werden konnten, ohne dal3 es mSglieh gewesen w~re, aus diesen Organen Tuberkelbakterien zu ziichten.

Bei den Versuchen mit einem Stamm (Gruppe B), der eine Resistenz yon 100% gegen 107 Isonicotins~urehydrazid aufwies, der allerdings auch sehr virulenzcshwach war, zeigte es sieh, dab es auch hier zu einer Dauerheilung der mit Isonicotinsiiurehydrazid (Neoteben) behandelten Tiere trotz der gegen

Beitr. Kiln. Tub. Bd. 114. 29a

420 FR~.D~c~ WILHELM GIERHAKE :

Isonicotins~urehydrazid bestehenden Resistenz kam. Dagegen konnten ein mi$ Streptomycin und zwei mi~ Conteben behandelte Tiere trotz der geringen Virulenz des zur Infektion benutzten Stammes nicht restlos geheilt werden.

Wenn es somit gelungen ist, bei der experimentellen MeerschweinchenCuber- kulose eine Dauerheilung durch IsonicotinsEurehydrazid zu erreichen, so ergibt sieh hieraus eine zwingende Konsequenz fiir die Behandlung der menschlichen Tuberkulose:

Die Behandlung der menschlichen Tuberkulose ist bedeutend langfristiger durchzufiihren als dies biaher der Fall war. Das Auftreten einer Resis~enz gegen Isonicotins~urehydrazid bedeutet keine Indikation zum Absetzen des Medikamen- tes. Eine solche Indika$ion wiirde nur das Auftreten einer Unvertr/~glichkeit sein.

Bei einer solchen langfristigen Chemotherapie mit Isonico~ins~urehydrazid, die natfirlich auch a]s Kombinationstherapie durchgeftihrt werden kann, besteht die Aussicht, Friihf/~lle zu einer Dauerheflung zu f/ihren und bei Spi~tf~llen mit Kavernenbildung doch zumindest zu einer solch weitgehenden Virulenzsch~digung der Bakterien zu kommen, dab diese Krankcn als Infektionsquellen an Bedeutung verlieren, da nach bisherigen Untersuchungen [MEIsSNER (3)] es den Anschein hat, als ob solche durch Isonicotins/iurehydrazid beeinfluBten Bakterien seltener zu einer Neuinfektion fiihren, da sich unter 700 Neuinfektionen keine Bakterien mit einer Resistenz gegen Isonicotins/~urehydrazid fanden.

Dariiber hindus erscheint aber auch bei solchen Spi~tfiillen die MSglichkeit einer klinischen Besserung durch Virulenzsch~digung der Bakterien denkbar, wenn auch der exak~e Naehweis des Zusammenhanges zwischen klinischem Ver- lauf und Virulenz schwierig ist und genaue Untersuchungen hieriiber bisher fehlen 1. Wenn aber Tuberkelbakterien mit einer ,,Resistenz" gegen Isonicotins/iure- hydrazid infolge ihrer Virulenzsch/~digung in ihrer F/~higkeit zur Bildung yon Neuinfektionen allem Anschein nach gesch~digt sind, so mtiBte naeh Erzielen einer genfigenden Virulenzschwi~ehung auch ihre F/~higkeit, akute Schiibe durch Streuungen zu setzen, verminder~ sein. DaB eine Einwirkung des Isonicotins~ure- hydrazids auch auf die Bakterien in Kavernen stattfindet, zeigen im iibrigen die Untersuchungen yon DIcKIE und Mitaxbeitern an Lungenresektionspr~paraten.

Zusammenfassung. 1. Bei tuberkuloseinfizierten Meerschweinchen wurde durch Isonicotins~ure-

hydrazid bei einer Nachbeobaehtungszei~ bis zu 410 Tagen eine endgiilr Heilung erzielt mit Negativwerden der Tuberkulinprobe.

2. Das gleiche Ergebnis wurde erzielt bei Tieren, die mit Bakterien infizie~% worden waren, die eine Resistenz gegen Isonicotins/~urehydrazid besaBen.

3. Es wird empIohlen, die Therapie der menschlichen Tuberkulose bedeutend langfristiger als bisher durchzufiihren ohne Rficksicht auf eine Resistenz gegen Isonicotins/~urehydrazid, da es eine wirldiche Resistenz gegen Isonicotins/~ure- hydrazid nich~ gibe.

1 Nachtrag bei der Korrektur: W/~hrend der Drucklegung dieter Arbeit erschien eine Ver6ffentlichung yon OESTREIC~ER, DRESS~L, GROW und MIDDLEBROOK, die 45 Patient~n mit fortgeschrittenen Lungentuberkulosen, die s/~mtlich Bakterien mit einer Resistenz gegen Isonikotins~urehydrazid aushusteten, zwischen 6 und 25 Monaten mit Isonikotins/~ure- hydrazid trotz vorhandener ,,Resistenz" behandelten. Sic konnten bei fast al]er/Patienten unter dieser Behandlung das Auftreten nouer Streuungen verhindern.

Dauerheilung der experimentellen Meerschweinchentuberkulose. 421

4. D e r R e s i s t e n z b e g r i f f is t n a e h u n s e r e n h e u t i g e n K e n n t n i s s e n bez / ig l ieh des

I s o n i c o t i n s ~ u r e h y d r a z i d s a b z u w a n d e l n . E r b e z e i e h n e t e in O b e r g a n g s s t a d i u m des T u b e r k e l b a c t e r i u m s zu r A v i r u l e n z , a lso e ine V i t a l i t ~ t s s c h ~ d i g u n g , n i c h t a b e r e ine

a k t i v e A b w e h r des gegen das T u b e r k e l b a e t e r i u m a n g e s e t z t e n I son ieo t in s~ure -

h y d r a z i d s .

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Dr. med. F.W. GZERHAKE, Giel3en (Lahn), Chirurg. Klinik der Justus-Liebig-Hochschule.