34
118 Migration in und aus Afrika

Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

118

Migration in und aus Afrika

Page 2: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

2

324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations- und Bildungsarbeit“ Friedrich-Ebert-Allee 40 53113 Bonn Tel.: 0228 / 535-3774/5 Fax: 0228 / 535-3985 e-mail: [email protected] homepage: http://www.bmz.de Endredaktion: Eefje Schmid, Jutta Wagner Redaktion: Verena Sich, Rechtsreferendarin im BMZ, Verena Schönleben, Praktikantin im BMZ verantwortlich: Gudrun Grosse Wiesmann Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um die thematische Ausarbeitung einer kurz-fristig im BMZ beschäftigten Rechtsreferendarin sowie einer Praktikantin. Sie stellt daher nicht unbedingt die Meinung des BMZ dar Stand: September 2004

Page 3: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

3

INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG .................................................................................................................................................... 5

2. ARTEN VON MIGRATION ................................................................................................................................. 7

3. ERSCHEINUNGSFORMEN VON MIGRATION IN AFRIKA................................................................................... 8

4. FLÜCHTLINGSBEWEGUNGEN IN AFRIKA ....................................................................................................... 8 4.1 Situation .............................................................................................................................................. 8 4.2 Flüchtlingsbewegungen nach Regionen.................................................................................................. 9 4.2.1 Nordafrika............................................................................................................................................ 9 4.2.2 Westafrika ......................................................................................................................................... 10 4.2.3 Zentralafrika ...................................................................................................................................... 10 4.2.4 Ostafrika............................................................................................................................................ 10 4.2.5 Südliches Afrika ................................................................................................................................. 11 4.3 Aufnahmeländer................................................................................................................................. 12 4.4 Auswirkungen .................................................................................................................................... 12 4.5 Rückkehrbewegungen ........................................................................................................................ 13 4.6 Binnenvertriebene .............................................................................................................................. 14

5. ARBEITSMIGRATION..................................................................................................................................... 15 5.1 Situation ............................................................................................................................................ 15 5.2 Rücküberweisungen ........................................................................................................................... 15 5.3 Arbeitsmigration in Afrika .................................................................................................................... 17 5.4 Abwanderung von Hochqualifizierten.................................................................................................... 17 5.5 Menschenhandel................................................................................................................................ 19

6. WEITERE URSACHEN FÜR MIGRATION ........................................................................................................ 20 6.1 Umweltflüchtlinge ............................................................................................................................... 20 6.2 Bevölkerungswachstum als Migrationsursache...................................................................................... 21 6.3 Stadtflucht als erster Schritt zur grenzüberschreitenden Migration ........................................................... 21

7. MIGRATIONSBEWEGUNGEN AUS NORDAFRIKA .......................................................................................... 22 7.1 Einwanderung in die EU...................................................................................................................... 22 7.2 Afrikanische Flüchtlinge in Europa ....................................................................................................... 22 7.3 Illegale Einwanderung in die EU .......................................................................................................... 22 7.4 Rolle der Maghrebstaaten als Transitländer .......................................................................................... 23 7.5 Asylsuchende in Deutschland .............................................................................................................. 24

8. MIGRATIONSGESCHEHEN IN UND AUS DEN MAGHREBSTAATEN................................................................ 25 8.1 Situation ............................................................................................................................................ 25 8.2 Gründe für die Migration ..................................................................................................................... 25

9. MIGRATIONSPOLITIK DER EU ....................................................................................................................... 26 9.1 Entwicklung der EU-Migrationspolitik.................................................................................................... 26 9.2 Beziehungen der EU zu Nordafrika ...................................................................................................... 26 9.3 Länderbeispiele für Migration: Marokko, Tunesien und Libyen ................................................................ 28 9.3.1 Marokko ............................................................................................................................................ 28 9.3.2 Tunesien ........................................................................................................................................... 30 9.3.3 Libyen ............................................................................................................................................... 31

10. SCHLUSSBETRACHTUNG......................................................................................................................... 33

11. LITERATUR ............................................................................................................................................... 34

Page 4: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

5

1. Einleitung Die folgende Ausarbeitung soll eine grobe Be-standsaufnahme der Migrationsbewegungen in Afrika und eine Analyse der unterschiedlichen Ursachen für Migration liefern. Es werden Zahlen und Daten über die aktuellen Migrati-onsströme innerhalb des afrikanischen Konti-nents und aus Afrika in die Länder der EU ge-liefert. Auf Bewertungen der Politiken der be-teiligten Seiten und auf ein ausführliches Fazit wird in diesem Rahmen verzichtet. Das Thema Migration ist hochkomplex. Un-zählige wissenschaftliche Abhandlungen be-schäftigen sich unter ganz unterschiedlichen Fragestellungen mit dem Phänomen Migra-tion, eine Vielzahl von Fachtagungen wird veranstaltet und das Thema nimmt eine wich-tige Stellung in der europäischen Politik und aktuellen Gesetzgebung ein. Die OECD gibt jährlich eine Untersuchung betreffend „Trends in International Migration“ heraus, die Internati-onale Organisation für Migration (IOM) hat im Jahr 2003 zum zweiten Mal einen „World Migration Report“ erstellt, die UN-Flüchtlings-organisation UNHCR veröffentlicht unregel-mäßig einen Report „Zur Lage der Flüchtlinge in der Welt“ und das U. S. Comitee for Refugees publiziert den „World Refugee Survey“. Verschie-dene wissenschaftliche Institute haben Migra-tion zu ihrem Forschungs- und Handlungsfeld gewählt, so das Institut für Migrationsfor-schung an der Universität Osnabrück oder das Österreichische Forum für Migrationsfor-schung. Die Zahl der internationalen Migranten be-trug im Jahr 1975 84 Millionen und wuchs bis zum Jahr 1985 auf 105 Millionen. 1990 lag die Zahl bei 120 Millionen und im Jahr 2002 wurde die Zahl der Migranten schließlich auf 175 Millionen geschätzt. Dabei ist der Anteil der Migranten weltweit mit zwischen zwei und drei Prozent der Gesamtbevölkerung relativ konstant geblieben. Migrationsbewegungen zeichnen sich heute aber nicht nur durch ihre Dimension sondern vor allem durch die Vielschichtigkeit ihrer Ur-sachen und Folgen aus. Das weltweite Migra-tionsgeschehen befindet sich zudem in ständi-ger Veränderung und ist durch immer neue

Phänomene gekennzeichnet. Insbesondere seit den 1990er Jahren ist eine starke Diversifizie-rung der Herkunfts- und Zielländer festzu-stellen. Charakteristisch ist dabei auch, dass immer mehr Länder gleichzeitig sowohl als Herkunfts- als auch Zielländer in die internati-onalen Wanderungsbewegungen einbezogen sind. Gerade das Leben in Subsahara-Afrika ist in zunehmendem Maße durch das Schicksal von Flucht und Migration - oder dem Wunsch nach letzterer - geprägt. Die Flüchtlingsexis-tenz droht hier für immer mehr Menschen zur Normalität zu werden.1 Zugleich festigt sich bei näherer Beschäftigung mit dem Thema der Eindruck, dass der Wunsch nach Abwande-rung aus der Heimatregion bei vielen Afrika-nern präsent ist, wenngleich er nur von einem Bruchteil der Bevölkerung in die Realität um-gesetzt wird. Die Frankfurter Allgemeine Zei-tung fasste diesen Trend in einem Artikel vom 6. Juli 2003 in der provokanten Überschrift „Afrika sitzt auf gepackten Koffern“ zusam-men. Im Folgenden sollen zunächst unterschiedli-che Arten von Migration aufgezeigt und der Frage nach ihren Ursachen auf die beteiligten Länder nachgegangen werden. Am Beispiel der Maghrebstaaten wird insbe-sondere die illegale Immigration sowie die Migrationspolitik der EU dokumentiert. Es bietet sich an, die Maghrebstaaten einer ge-naueren Untersuchung zu unterziehen, da zum einen der Hauptanteil afrikanischer Migranten in den EU-Staaten historisch und geogra-phisch bedingt nordafrikanischer Herkunft ist, zum anderen die (illegalen) Wanderungsbewe-gungen aus Afrika heraus in die Staaten der Europäischen Union vornehmlich über diese Staaten verlaufen. Die EU hat mit den Magh-rebstaaten Marokko, Tunesien und Libyen be-reits einen teilweise intensiven Dialog über Migrationsfragen aufgenommen. Angesichts der Komplexität des Themas kann diese Darstellung keinesfalls umfassenden

1 Vgl. Tetzlaff, S. 141.

Page 5: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

6

Charakter haben. Für eine detaillierte Analyse des Phänomens Migration wird auf die Einzel-abhandlungen zu spezifischen Fragestellungen verwiesen. Problematisch erweist sich im übri-gen die Ermittlung von Migrationszahlen. Nur wenige Länder erfassen regelmäßig den Zu-strom von Ausländern und zurückkehrenden Staatsbürgern bzw. den Weggang von ihren

Staatsbürgern oder ausländischen Migranten. Migration ist häufig das Ergebnis von Kon-flikten, Verfolgungen oder auch wetterbe-dingten Notsituationen und ist daher von Jahr zu Jahr starken Schwankungen unterlegen. Die Erfassung illegaler Migration ist naturgemäß nur über grobe Schätzungen möglich.

Page 6: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

7

2. Arten von Migration Die Bezeichnung „Migration“ dient hier als Oberbegriff für alle Wanderungsbewegungen, zumal diese vielfach sowohl durch politische als auch durch ökonomische und ökologische Beweggründe provoziert werden. Allgemein wird Migration definiert als die Folge der Ent-scheidung eines Menschen, die eigene Heimat zu verlassen, um andernorts - in sozial bedeut-samer Entfernung - entweder im selben Land oder aber jenseits der Staatsgrenzen sein Le-ben fortzusetzen.2 Unter den Oberbegriff der Migration lassen sich sehr unterschiedliche Formen von Wanderungsbewegungen fassen. Bezeichnung und Status von Migranten variie-ren. Unter den Oberbegriff der Migranten fal-len z. B. (mit Überschneidungen und ohne Anspruch auf präzise Bezeichnungen) aner-kannte Flüchtlinge, Arbeitsmigranten, Asylbe-werber, Binnenvertriebene, Umweltflüchtlinge, Migranten im Rahmen einer Familienzusam-menführung und Migranten ohne Aufenthalts-status. Die sozialwissenschaftliche Migrationsfor-schung unterscheidet fünf allgemeine Ursa-chenbündel, die einer Migrationsbewegung als so genannte Schubfaktoren (push-Fakto-ren) zu-grunde liegen können. Bei diesen Faktoren handelt es sich um: • Krieg, politische Tyrannei und gewalt-

same innerstaatliche Konflikte, • Armut, wirtschaftliche Not und ungleiche

Einkommensverhältnisse, • relative Überbevölkerung und Erwerbslo-

sigkeit, • Umweltzerstörung und Naturkatastro-

phen und schließlich • die Erosion traditioneller Weltanschauun-

gen und Lebensstile.

Eine bedeutende Ursache von Flucht und Migration ist damit eine zunehmende Entwur-zelung der Menschen in vielen Regionen der Welt. Auch und gerade für Afrika gilt, dass die

2 Vgl. Tetzlaff, S. 143.

wachsende wirtschaftliche, politische, ökologi-sche und kulturell-geistige Unwirtlichkeit gan-zer Landstriche die Entwurzelung der dort ge-borenen Menschen forciert und ihren Wunsch nach Auswanderung in andere, meist urbane Lebensräume fördert. Ursache für Migration sind jedoch nicht nur push-Faktoren, sondern auch pull-Faktoren. Zu diesen zählen: • politische und wirtschaftliche Stabilität im

Vergleich zu den Herkunftsländern, • eine Nachfrage in den Industrieländern

nach Arbeitskräften, • höhere Verdienstmöglichkeiten und • der Zugang zu besseren Bildungs- oder

Forschungsmöglichkeiten.

Weitere Anziehungs- und Beschleunigungs-faktoren sind die Zuwanderungspolitiken eini-ger Zielländer, die immer enger werdenden Verflechtungen von Herkunfts- und Empfän-gerländern sowie die Entstehung von komple-xen Netzwerken sowohl zwischen Emigranten selbst als auch zwischen Emigranten und ihren Angehörigen in den Herkunftsländern, durch die Migration erleichtert und geprägt wird.

Die Anwesenheit von Verwandten und Be-kannten im Ausland, die Eingliederungshilfe leisten können, spielt eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, Migrationspläne in die Tat umzusetzen. Damit sind auch die sich ständig verbessernden Informationsnetze und die Ausdehnung des Informationsflusses Ursa-chen dafür, dass die Migration aus den ärme-ren Regionen der Welt in die wohlhabenden Regionen weiter ansteigt.3

3 Vgl. Richter, S. 276.

Page 7: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

8

3. Erscheinungsformen von Migration in Afrika Der afrikanische Kontinent war schon immer Schauplatz großer Wanderbewegungen. Öko-nomisch, religiös oder politisch motivierte Migration gab es ebenso wie umweltbedingte Wanderungsbewegungen. Pilger wanderten von der nordafrikanischen Küste in Richtung Mekka, Menschen aus Westafrika sind von der Sahara in die fruchtbareren Regenwaldgebiete ausgewandert. Die Ethnien der Ndebele und Ngoni flohen im frühen 19. Jahrhundert vor dem in Südafrika gegründeten Zulu-Reich und wurden prägend für das heutige Zimbabwe bzw. Malawi, um nur wenige Beispiele zu nen-nen. Die Gründe für Flucht und Migration werden immer komplexer, viele Migrationsbewegun-gen sind auf ein Bündel von zusammenwir-kenden Ursachen zurückzuführen. Seit dem Ende des Kolonialismus ist in Afrika eine kontinuierliche, oftmals dramatische Zunahme an Flüchtlingen zu verzeichnen,

so dass die Wanderbewegungen eine neue Di-mension erhalten haben. Gründe für Flucht sind oft Bürgerkriege, deren Anzahl in Afrika in den letzten beiden Jahrzehnten gestiegen ist. Bemerkenswert ist, dass der Anteil der weibli-chen Migranten in den letzten beiden Jahr-zehnten deutlich zugenommen hat. 1990 be-trug er nach Angaben der UN-Behörde für Bevölkerung (UNFPA) weltweit 48 Prozent. Auch in Afrika ist dieser Trend verstärkt zu beobachten. Insbesondere erhöht sich die Zahl junger afrikanischer Frauen, die in den wohlhabenderen Ländern nach Arbeitsmög-lichkeiten suchen oder sich repressiven frauen-feindlichen Strukturen ihrer Heimatländer zu entziehen versuchen. Da Statistiken oder sonstige Zahlenangaben in der Literatur aber nicht zwischen weiblichen und männlichen Migranten bzw. Flüchtlingen unterscheiden, muss im Folgenden eine Aufschlüsselung un-terbleiben.

4. Flüchtlingsbewegungen in Afrika Kennzeichnend für den Begriff des Flücht-lings ist die Unfreiwilligkeit der Wanderungs-bewegung. Für Flucht liegen akute und zwin-gende Gründe vor, wie etwa Menschenrechts-verletzungen oder bewaffnete Konflikte oder Naturkatastrophen. 4.1 Situation

Der Begriff des Flüchtlings ist erstmals in der Genfer Konvention von 1951 definiert wor-den. Die Genfer Konvention, der bis jetzt 142 Staaten beigetreten sind, regelt die Rechtsstel-lung der Flüchtlinge. Nahezu alle afrikanischen Staaten mit Ausnahme von Libyen und Eritrea sind Signatarstaaten der Genfer Konvention. Nach der Konvention ist jemand als Flücht-ling anzusehen, wenn er sich aus der begrün-deten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen

seiner politischen Überzeugung außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Be-fürchtungen nicht in Anspruch nehmen will. Die Organisation Afrikanischer Einheit (OAU) hat im Jahr 1969 eine eigene Flücht-lingskonvention geschaffen, die von 45 Staaten ratifiziert worden ist. Gemäß der afri-kanischen Charta sind Menschen - über die Gründe der Genfer Konvention hinaus - als Flüchtlinge anzusehen, die wegen eines Krieges oder eines innerstaatlichen Kon-fliktes geflohen sind. Diese erweiterte Defi-nition legt auch der Hohe Flüchtlingskommis-sar der Vereinten Nationen, der UNHCR, seiner Tätigkeit in Afrika zugrunde; auf ihr be-ruhen auch die folgenden Zahlenangaben. Die statistische Erfassung bzw. Hochrechnung von Flüchtlingen unterliegt allerdings großen Unsicherheiten.

Page 8: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

9

Nach Schätzungen des UNHCR befanden sich im Jahr 2003 weltweit etwa 40 bis 45 Millionen Menschen auf der Flucht. Zwölf Millionen dieser Flüchtlinge sind grenzüberschreitende Flüchtlinge. In dieser Zahl sind Binnenver-triebene nicht berücksichtigt (vgl. unten). Der afrikanische Kontinent bildet seit vielen Jahren die Schwerpunktregion des Weltflücht-lingsproblems. Obwohl in Afrika nur ca. zehn bis zwölf Prozent der Weltbevölkerung leben, wies der Kontinent zeitweise mehr als ein Drittel der weltweiten Flüchtlinge auf (in den 1990er Jahren stammten sechs Millionen der weltweit 16 Millionen Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat aus Afrika). Die Zahl der Flüchtlinge ist in den letzten Jahren gesunken. Im Jahr 2003 unterstützte der UNHCR in Af-rika 4,6 Millionen Flüchtlinge. Die große Mehrheit der afrikanischen Flücht-linge sucht Zuflucht in den nächstgelegenen Staaten, die zumeist zu den ärmsten Ländern der Welt gehören. In vielen Ländern vermi-schen sich gegenläufige Wanderungen von Flüchtlingen, Binnenflüchtlingen und Rück-kehrern. Oft fliehen Menschen in Nachbar-länder, in denen ihrerseits bewaffnete Kon-flikte herrschen und die von ihrer eigenen Be-völkerung verlassen werden. Zunehmend wer-den Flüchtlingsgruppen auch mehrfach und über verschiedene Staatsgrenzen hinweg ver-trieben. Der Grund für die hohen Flüchtlingszahlen liegt unter anderem darin, dass innerhalb des letzten Jahrzehnts fast 40 Prozent aller kriege-rischen Konflikte der Welt in Afrika stattge-funden haben bzw. weiterhin stattfinden. Eine Vielzahl zwischen- und innerstaatlicher Kriege war von Vertreibungen, „ethnischen Säube-rungen“, religiös motivierten Verbrechen und der Verletzung von Menschenrechten beglei-tet. Sie brachten damit jene Art von Flüchtlin-gen hervor, die in einem weiteren Sinn als „politisch Verfolgte“ anzusehen sind.4 Die Kriege bzw. Konflikte, die innerhalb des vergangenen Jahrzehnts die größten Flücht-lingswellen in Afrika ausgelöst haben, sind der sudanesische Bürgerkrieg, der Krieg zwischen Hutus und Tutsis in Burundi und Ruanda, der Krieg in der Demokratischen Re- 4 Vgl. Opitz, S. 271.

publik Kongo sowie die Konflikte in Angola und Somalia. Die größten Flüchtlingsgruppen verteilten sich im Jahr 2002 (2001) laut UNHCR auf die Herkunftsländer wie folgt:

4.2 Flüchtlingsbewegungen nach

Regionen

Die Flüchtlingskrisen des afrikanischen Kon-tinents konzentrieren sich auf Subsahara-Af-rika. Die regionale Verteilung ist hierbei sehr uneinheitlich. Im Jahr 2000 waren insbeson-dere West- und Zentral-/Ostafrika durch große Flüchtlingswanderungen geprägt. So entfielen 47 Prozent aller Flüchtlinge auf das Zielgebiet Zentral-/Ostafrika und 28,5 Pro-zent auf das Zielgebiet Westafrika, während sich beispielsweise nur sieben Prozent der Flüchtlinge im Südlichen Afrika aufhielten. Im Jahr 2001 war in den südafrikanischen Län-dern allerdings eine Zunahme von Flüchtlin-gen zu verzeichnen. 4.2.1 Nordafrika

Flüchtlingsbewegungen aus den Maghreb-staaten sind nur in vergleichsweise geringem Umfang zu verzeichnen, hingegen beherber-gen die Staaten teilweise größere Flüchtlings-gruppen. Eine große Fluchtbewegung entstand aus dem Konflikt um den Status der Westsa-hara. Dieser führte dazu, dass seit 1975 grö-ßere Teile der sahraouischen Bevölkerung nach Algerien flohen. In den Lagern bei Tin-douf leben nach Angaben des UNHCR zur Zeit immer noch rund 160.000 Flüchtlinge aus der Westsahara.5 Des Weiteren halten sich in Algerien Flüchtlinge aus Palästina und Somalia auf. Auch Libyen hat palästinensische Flücht-linge aufgenommen. 5 Vgl. Sintenis, S. 242.

Burundi 574.000 (553.900)Sudan 505.200 (489.300)Angola 433.000 (470.500)Somalia 429.000 (440.200)DR Kongo 415.000 (391.800)Eritrea 316.000 (333.100)

Page 9: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

10

Seit 1990 löste ein militanter Islamismus neue Fluchtbewegungen aus. Nachdem in Al-gerien 1992 wegen des sich abzeichnenden Wahlsiegs der islamistischen Partei Front Isla-mique du Salut (FIS) die Wahlen zur National-versammlung abgebrochen und annulliert wor-den waren und die FIS verboten worden war, verübten radikale islamistische Untergrund-gruppen Anschläge von höchster Brutalität. Der sich hieraus entwickelnde algerische Bür-gerkrieg ließ zahlreiche Algerier vor allem nach Frankreich fliehen. In Ägypten stellen inzwi-schen Islamisten, die sich ihrer Festnahme oder Verurteilung durch Auswanderung ent-ziehen wollen, selbst eine relevante Migran-tengruppe dar.6 4.2.2 Westafrika

In Sierra Leone endete Anfang 2002 mit der offiziell angekündigten Einstellung der Feind-seligkeiten ein zehn Jahre währender, von gro-ßer Brutalität geprägter Bürgerkrieg. In der Zeit bis März 2004 waren bereits schätzungs-weise 300.000 Flüchtlinge, vor allem aus Gui-nea und Liberia, nach Sierra Leone zurückge-kehrt, das sich nach Unterzeichnung eines Friedensabkommens nun in einem fragilen Zustand des Friedens befindet (UNHCR: Vo-luntary Repatriation in West Africa, March 2004). Der Ausbruch des Bürgerkrieges in Liberia im Jahr 1989 brachte die Stabilität der gesam-ten Region in Gefahr und führte zu massiven Flüchtlingsbewegungen sowohl innerhalb des Landes als auch in benachbarte Länder: Bei-nahe 70 Prozent der Bevölkerung, schät-zungsweise 2,4 Millionen Menschen, wurden vertrieben. Im März 2004 gab es rund 320.000 Flüchtlinge aus Liberia, insbesondere in den westafrikanischen Staaten. UNHCR hat seine Präsenz in der Region verstärkt, um im Okto-ber 2004 mit der Unterstützung der organi-sierten Rückführung der Flüchtlinge beginnen zu können. Côte d’Ivoire, zuvor eines der stabilsten Län-der auf dem afrikanischen Kontinent, stürzte gegen Ende des Jahres 2002 ebenfalls in einen Bürgerkrieg, durch den bis Juli 2003 mindes-tens 400.000 Menschen zur Flucht aus dem Land gezwungen und ca. 800.000 zu Binnen- 6 Vgl. Koller, S. 7.

flüchtlingen wurden. Auch 80.000 Immigran-ten aus anderen westafrikanischen Ländern flohen im Verlauf des Jahres 2002 aus der El-fenbeinküste. Ende 2002 lebten u. a. 20.000 Flüchtlinge aus der Cote d’Ivoire in Liberia. 4.2.3 Zentralafrika

Der Konflikt in der Demokratischen Repu-blik Kongo nahm seinen Anfang im Jahr 1998 und eskalierte zum ersten multinationalen in-nerafrikanischen Krieg, an dem zeitweise das Militär aus den sechs benachbarten Ländern beteiligt war und der zu zwei Millionen Bin-nenvertriebenen und rund 400.000 Flüchtlin-gen in den Nachbarländern führte. Angola litt fast drei Jahrzehnte unter einem Bürgerkrieg, in dessen Verlauf vier Millionen Menschen innerhalb der Landesgrenzen ver-trieben und 500.000 zu Flüchtlingen wurden. Die Mehrzahl der angolanischen Flüchtlinge fand Zuflucht in Sambia und der DR Kongo. Zu Beginn des Jahres 2002 wurde ein Frie-densabkommen unterzeichnet. Ende des Jah-res 2002 hielten sich rund 410.000 angolani-sche Flüchtlinge in den Nachbarländern auf. In Burundi wurden in einem über ein Jahr-zehnt währenden Konflikt etwa eine Million Menschen (davon ca. 300.000 Binnenvertrie-bene; vgl. ICG Réfugiés et Déplacés burundais vom 2. Dezember 2003) und damit knapp 14 Pro-zent der Bevölkerung entwurzelt. Im Januar 2002 befanden sich 521.180 der burundischen Flüchtlinge in Tansania, Ende des Jahres 2002 hielten sich noch 370.000 von insgesamt 400.000 Flüchtlingen in Tansania auf. Vor dem Völkermord in Ruanda flohen im Jahr 1994 ungefähr viereinhalb Millionen Menschen (davon etwa 2,5 Millionen Binnen-flüchtlinge). Die weitaus überwiegende Zahl ruandischer Flüchtlinge ist inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt. 4.2.4 Ostafrika

Im Jahr 2002 gab es beinahe eine Million Flüchtlinge in den Ländern Ostafrikas und am Horn von Afrika. Die Flüchtlinge kamen größtenteils aus dem Sudan, aus Eritrea und

Page 10: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

11

aus Somalia. Der Sudan, aus dem die meisten Flüchtlinge stammten, nahm im Vergleich zu den Nachbarstaaten auch die meisten Flücht-linge aus anderen Ländern auf. Der Sudan wurde durch innere Konflikte de-stabilisiert, seitdem das Land im Jahr 1956 seine Unabhängigkeit erlangt hatte. Der nach einer elfjährigen Friedenspause im Jahr 1983 wieder neu entfachte Bürgerkrieg zwischen dem überwiegend arabisch-muslimischen Nor-den und dem animistischen und christlichen Süden mit afrikanischer Bevölkerung brachte vier Millionen Binnenvertriebene hervor und trieb eine halbe Million Flüchtlinge in die Nachbarstaaten. Ende 2002 wurden ein Waf-fenstillstandsabkommen und im Mai 2004 ein Abkommen sowohl über die Machtverteilung im Gesamtsudan als auch zum Status der Ge-biete Southern Blue Nile/Nuba-Berge und der Region Abyei geschlossen. Ca.1,2 Millionen Menschen flohen seit Anfang 2003 vor be-waffneten Rebellen in der Region Dafur im Westsudan (IDP Global Project 2004), davon etwa 200.000 in den Tschad. Es handelt sich um die weltweit gravierendste Flüchtlingskrise des Jahres 2004. Als Folge des über 30 Jahre dauernden Unab-hängigkeitskriegs Eritreas gegen Äthiopien, der im Jahr 1991 endete, und des zweijährigen Grenzkriegs zwischen Eritrea und Äthiopien von 1998 bis 2000 befanden sich im Jahr 2002 immer noch 324.000 eritreische Flüchtlinge im Sudan. Nachdem im Mai 2002 das Flüchtlings-statut aufgehoben wurde, brachte UNHCR 100.000 Eritreer aus dem Sudan zurück. Wei-tere 20.000 eritreische Flüchtlinge kehrten aus Äthiopien und Djibouti zurück. UNHCR plante in den Jahren 2000 bis 2004 insgesamt 25 freiwillige Rückkehrwellen von Eritreern aus dem Exil im Sudan. Im März 2004 waren bereits fast 120.000 Eritreer zurückgekehrt. Viele von ihnen hatten über 30 Jahre im Exil verbracht. Somalier bilden die drittgrößte Flüchtlings-gruppe in der Region. Eine erste Flüchtlings-welle ereignete sich infolge des Sezessions-kriegs um Nordwest-Somalia im Jahr 1988. Hunderttausende weiterer Somalier flohen nach dem Sturz des Siad-Barre-Regimes und dem anschließenden Ausbruch des Bürger-krieges 1991. 1992 gab es fast 700.000 somali-sche Flüchtlinge in den Ländern Ostafrikas

und dem Horn von Afrika. Beinahe 500.000 von ihnen sind inzwischen wieder in ihre Hei-mat zurückgekehrt. Der Frieden in Somalia ist jedoch nicht gefestigt, da örtliche Stammes-häuptlinge und traditionelle Kriegsherrn wei-terhin das Land beherrschen. So vertrieben Stammeskriege im April 2002 10.000 Somalier nach Kenia. 4.2.5 Südliches Afrika

Politische Gewalt im Zuge der Landreformen führte in den letzten Jahren zu einer großen Zahl von Binnenflüchtlingen in Simbabwe. Das U. S Committee for Refugees spricht von 100.000 bis 200.000 Binnenflüchtlingen Ende des Jahres 2002. Betroffen sind vor allem Landarbeiter. Der Großteil von ihnen floh in die großen Städte Simbabwes und lebt dort ohne humanitäre Hilfe. Simbabwe nahm dar-über hinaus 10.000 Flüchtlinge aus der DR Kongo, Ruanda und Burundi auf. Simbabwe ist außerdem eines der Länder im südlichen Afrika, das am stärksten vom Problem der Abwanderung von Akademikern betroffen ist (siehe unten). Abgesehen von ungefähr 1.000 namibischen Flüchtlingen, die infolge einer gewaltsamen Se-zessionistenbewegung zwischen 1998 und 2000 aus Namibia geflohen waren und sich Ende 2002 noch in Botswana aufhielten, fan-den in jüngster Zeit keine Flüchtlingsbewe-gungen aus den Ländern des südlichen Afrika heraus statt. Vielmehr beherbergen diese Län-der Flüchtlinge insbesondere aus Angola und der DR Kongo, des weiteren auch aus Ruanda und Burundi. Südafrika nimmt im Hinblick auf Einwande-rung eine Sonderrolle ein. Anders als die meis-ten anderen afrikanischen Staaten hat Südaf-rika ein Aufnahmesystem für Flüchtlinge, das in Einzelinterviews den Status der Asylbewer-ber festlegt. Zur Zeit leben etwa 65.000 Flüchtlinge und Asylsuchende in Südafrika. Die meisten kommen aus der DR Kongo, So-malia und Angola.

Page 11: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

12

4.3 Aufnahmeländer

Der größte Teil der afrikanischen Flüchtlinge verlässt seine Herkunftsregion nicht, sondern findet Aufnahme in den Nachbarregionen. Die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, ist in den afrikanischen Ländern stets hoch gewe-sen. Nahezu alle Länder beherbergen größere Anzahlen von Flüchtlingen. Ende 2000 hatten 25 der 52 afrikanischen Staaten mehr als 10.000 Flüchtlinge aus anderen Ländern auf-genommen, neun sogar mehr als 100.000 Per-sonen. Zu den Hauptaufnahmeländern von Flücht-lingen in Afrika gehörten nach im Jahr 2003 Tansania, DR Kongo, Sudan, Sambia, Ke-nia und Uganda, auf die sich die Flüchtlinge zahlenmäßig wie folgt verteilten (Quelle: UNHCR, 2003):

Bemerkenswert ist, dass Länder wie der Sudan oder die DR Kongo, in denen immer wieder große Teile der eigenen Bevölkerung zu Flüchtlingen wurden, zugleich zu den wich-tigsten Aufnahmeländern für Flüchtlinge ge-hören. Das westafrikanische Guinea wies Mitte der 1990er Jahre mit ca. zehn Prozent der Ge-samtbevölkerung eine der höchsten Flücht-lingskonzentrationen der Welt auf. Im Jahr 2002 lebten in Guinea - trotz erheblicher Rückkehrbewegungen nach Sierra Leone - noch immer die meisten Flüchtlinge in der Re-gion. Laut UNHCR betrug ihre Zahl 178.500. Anfang 2000 beherbergte Guinea noch unge-fähr 500.000 Flüchtlinge aus Liberia und Sierra Leone. Die zentral-/ostafrikanische Region ist mit fünf der Hauptaufnahmestaaten des afrikani-schen Kontinents - Sudan, DR Kongo, Ugan-da, Kenia und Tansania - nach wie vor die Re-gion mit den meisten Flüchtlingen in Afrika.

Im südlichen Afrika nahm Sambia im Jahr 2002 die meisten Flüchtlinge, vornehmlich aus Angola, auf. Zu Beginn des Jahres 2002 betrug die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge ins-gesamt 281.766, Ende des Jahres ungefähr 250.000. Namibia beherbergte Ende des Jahres 2002 ungefähr 25.000 Flüchtlinge, von denen die meisten aus Angola stammten. In Malawi hielten sich Ende 2002 rund 13.000 Flücht-linge auf; unter diesen 7.000 Flüchtlinge aus Ruanda, 3.000 aus Burundi und 3.000 aus der DR Kongo. In Mosambik lebten ungefähr 7.000 Flüchtlinge, darunter 4.000 Flüchtlinge aus der DR Kongo, 2.000 Flüchtlinge aus Ru-anda und 1.000 aus Burundi. In Nordafrika beherbergte Ende 2002 neben Algerien auch Libyen - obgleich nicht Unter-zeichnerstaat der Genfer Konvention - unge-fähr 9.000 Flüchtlinge aus Palästina und 3.000 Flüchtlinge aus Somalia. 4.4 Auswirkungen

Die Flüchtlingsströme haben vielfältige Aus-wirkungen vor allem auf Umwelt und Sozial-struktur der afrikanischen Aufnahmeländer und bergen ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotential. Wenngleich den Flüchtlin-gen durch die Nachbarländer großzügig Schutz gewährt wurde und wird, streben oft weder die Aufnahmeländer noch die Mehrzahl der Flüchtlinge selbst eine lokale Integration an. Schätzungen zufolge lebten Mitte der 1990er Jahre ungefähr die Hälfte aller Flüchtlinge in Lagern bzw. Camps.7 Die derartige Konzen-tration einer großen Anzahl von Flüchtlingen an einem Ort geht mit schwerwiegenden Um-weltproblemen einher. Die Lager nehmen ihre Funktion oftmals über einen längeren, Jahre oder Jahrzehnte dauernden Zeitraum hinweg wahr und können einen stadtähnlichen Status annehmen. Die Notwendigkeit der Beschaffung von Feuer- und Bauholz sowie Nahrung kann Entwaldung und Bodenerosion sowie die Vernichtung der einheimischen Tierwelt zur Folge haben. Entsprechendes gilt für Wasserressourcen. Hilfsorganisationen wie der UNHCR haben sich in den letzten Jahren in verschiedenen Regionen, u. a. in Tansania 7 Vgl. Jürgens, S. 22.

Tansania 690.000DR Kongo 330.000 Sudan 328.000 Sambia 247.000Kenia 234.000Uganda 217.000

Page 12: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

13

und Guinea, darum bemüht, durch vorbeu-gende Schutzmaßnahmen eine Degradierung der Umwelt zu verhindern. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass in einigen Aufnahmeländern Nahrungsmittel-sicherheit, Bildungsmöglichkeiten und Ge-sundheitsdienste in den Flüchtlingslagern we-sentlich besser sind als die entsprechenden für die einheimische Bevölkerung zugänglichen Dienste. Einheimische können sich gegenüber Flüchtlingen benachteiligt fühlen, was zu so-zialer Destabilisierung beiträgt. Ein ernstes Problem für das Gastland stellen der Import des Konfliktes in das Aufnah-meland und die Anwesenheit von Rebellen-gruppen in den Grenzregionen dar. Wenn Auseinandersetzungen der Nachbarstaaten in das Gastland hineingetragen werden, besteht die Gefahr, dass dieses selbst destabilisiert wird. Um die Flüchtlinge vor Übergriffen aus dem Heimatland zu schützen und das Gast-land vor Verwicklungen in den Konflikt zu bewahren, bestimmt die OAU-Flüchtlings-konvention, dass „aus Sicherheitsgründen die Flüchtlinge in angemessener Distanz von der Grenze des Herkunftslandes angesiedelt wer-den sollen, soweit dies möglich ist.“ Zunehmend ist in Afrika auch das Phänomen zu beobachten, dass Flüchtlingslager feindli-chen Angriffen aus dem Aufnahmeland ausgesetzt sind. Das Leben der Flüchtlinge ist gefährdet durch bewaffnete Angriffe auf Flüchtlingslager, Zwangsrekrutierung von jun-gen Männern oder sexuelle Gewalt gegen ver-triebene Frauen und Mädchen.8 Sexuelle Ge-walt geht oft auch von den Flüchtlingen in den Lagern selbst aus. In dem 1995 für burun-dische Flüchtlinge eröffneten Kanembwa Camp in Tansania wurde ein Viertel der Frauen und Mädchen zwischen 12 und 49 Jah-ren Opfer männlicher Gewalt. Ein weiteres Problem ist die Rekrutierung von Söldnern in den Flüchtlingslagern. Mit dem Versprechen, Armut und Aussichtslosig-keit in den Camps zu entkommen, werden junge Männer und oft auch Kinder als Kämp-fer für die Milizen und Armeen der Bürger-kriege angeworben.

8 Vgl. Tetzlaff, S. 154.

Neben diesen Belastungen stellen Flüchtlings-lager für die umliegenden Gemeinden jedoch auch einen positiven Wirtschaftsfaktor dar. Zugangsstraßen werden angelegt oder ausge-bessert, die auch die infrastrukturelle Anbin-dung der Gastgemeinden verbessern. Durch die Flüchtlinge entstehen zusätzliche Absatz-möglichkeiten für lokale Produktion. UNHCR versucht diesen Auswirkungen Rechnung zu tragen. Er regt Partnerorganisa-tionen und Geber an, auch die Gastbevölke-rung, die nicht unter sein Mandat fällt, ange-messen zu unterstützen, z. B. indem infra-strukturelle Einrichtungen wie Gesundheits-stationen und Schulen - innerhalb oder außer-halb der Lager - sowie Einkommen schaffende Maßnahmen für beide Bevölkerungsgruppen zugänglich gemacht werden. Lager werden möglichst in angemessenem Abstand zur Grenze (mindestens 60 Kilometer) angelegt. Aufklärungs-, Vorbeuge- und Schutzmaßnah-men gegen sexuelle Gewalt haben inzwischen eine hohe Bedeutung. 4.5 Rückkehrbewegungen

Der UNHCR spricht in den letzten Jahren von einem Trend, den die Organisation positiv bewertet: Die Zahl der neuen Flüchtlinge hat seit dem Jahr 2002 geringer zugenommen als die Zahl der Heimkehrer. Zwischen 2001 und 2002 stieg die Zahl der Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat, die in ihr Heimatland zu-rückkehrten, von 500.000 auf 2,5 Millionen weltweit. Nach Angaben des UNHCR von 2004 handelt es sich um einen bis heute an-haltenden Trend. Anders als in anderen Regionen der Welt flieht der weitaus überwiegende Teil der afrikani-schen Flüchtlinge nur über die Grenzen des Heimatlandes in die Nachbarstaaten. Langfris-tiges Ziel und Wunsch dieser Flüchtlinge ist es, nach Beilegung des Konfliktes wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Nachdem in jüngster Zeit in verschiedenen Staaten Afrikas teilweise eine oder zwei Dekaden währende Bürgerkriege einer friedlichen Regelung zuge-führt werden konnten, setzten Rückkehrbewe-gungen enormen Ausmaßes ein. Auch unter Flüchtlingen, die seit einem Jahrzehnt und länger vertrieben waren, setzen Massenrück-wanderungen ein, sobald es die Umstände er-

Page 13: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

14

möglichen. Die Rückkehr erfolgt dabei teil-weise begleitet durch den UNHCR, teilweise auch gegen dessen ausdrücklichen Rat. Die größten Rückkehrbewegungen innerhalb Afrikas fanden im Jahr 2002 nach Angola, Sierra Leone, Burundi, Ruanda, Somalia, Libe-ria und Eritrea statt. Insgesamt verzeichneten diese sieben Länder 361.000 freiwillige Rück-kehrer. Damit lagen sieben der zehn Länder mit den weltweit größten Rückkehrbewe-gungen in Afrika. Im Jahr 2001 kehrten nach UNHCR-Angaben 266.800 afrikanische Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurück, auch hier wieder die meisten nach Sierra Leone, Somalia, Eritrea, Burundi, Ruanda und An-gola. Damit fanden 2001 insgesamt etwa 57 Prozent der weltweiten Rückkehrbewegungen in Afrika statt. Die Reintegration von Rückkehrern stellt eine große Herausforderung dar. Sie muss in einer Weise geschehen, in der neuen Konfliktpo-tentialen und Notsituationen vorgebeugt wird, die aus der Konkurrenz um Ressourcen mit anderen Bevölkerungsgruppen oder aus Per-spektivlosigkeit entstehen könnte. UNHCR ist für die Rückführung von Flüchtlingen in ihr Heimatland verantwortlich, sobald die Sicher-heitsbedingungen dies erlauben und ihre Grundversorgung gewährleistet werden kann. Solange diese Bedingungen nicht erfüllt sind, werden Flüchtlinge oft jahrelang im Gastland versorgt, dabei Abhängigkeiten erzeugt und Ressourcen ineffizient eingesetzt. Um hier zu dauerhaften Lösungen zu kom-men, strebt UNHCR seit 2002 verstärkt multi- und bilaterale strategische Partnerschaften mit UNDP, Weltbank und bilateralen Gebern an, um eine nahtlose Verknüpfung zwischen Flüchtlingshilfe und Entwicklungszusammen-arbeit zu erreichen. Er nennt diese Initiative „Dauerhafte Lösungen für Flüchtlinge“ (Du-rable solutions for refugees). Deutschland begrüßt wie die meisten Mit-gliedsstaaten den Ansatz der strategischen Partnerschaften bei der Suche nach dauerhaf-ten Lösungen als Investition in Frieden, glo-bale Sicherheit und Stabilität. Grundbedingung für die Gestaltung eines fließenden Übergangs von der „Flüchtlingshilfe zur Entwicklungszu-sammenarbeit“ ist, dass alle relevanten Ak-teure, das heißt Partnerregierungen, multi- und

bilaterale Organisationen sowie Nichtregie-rungsorganisationen, das Konzept mittragen und sich an einer gemeinsamen, integrierten Planung beteiligen. 4.6 Binnenvertriebene

Neben den zwölf Millionen grenzüberschrei-tenden Flüchtlingen befinden sich weitere 20 bis 25 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Bei diesen Flüchtlingen handelt es sich vornehmlich um im eigenen Land Vertriebene, so genannte Binnenvertriebene. Für Binnenvertriebene besteht keine mit der Genfer Flüchtlingskonvention vergleichbare Regelung. Die Verantwortung für ihren Schutz und ihre Unterstützung liegt in erster Linie bei ihren eigenen Regierungen. Diese sind jedoch oft nicht willens oder in der Lage, dieser Pflicht angemessen nachzukommen. Die Situ-ation von Binnenvertriebenen ist deswegen oft von besonderer Unsicherheit geprägt. Viele von ihnen sind der Gefahr äußerster Armut und sozio-ökonomischer Ausgrenzung ausge-setzt, haben nur begrenzten Zugang zu huma-nitärer Hilfe, sind vor Menschenrechtsverlet-zungen ungeschützt und leiden unter dem Fehlen von Nahrungsmitteln, Arzneimitteln und Obdach. Schwerwiegende Probleme erge-ben sich insbesondere auch für zahlreiche bin-nenvertriebene Frauen und Kinder, die sich mit der Gefahr von Gewalt und Missbrauch konfrontiert sehen. Das Mandat des UNHCR bezieht sich in ers-ter Linie auf den Schutz von Menschen, die bei ihrer Flucht Staatsgrenzen überschreiten. Inzwischen schützt und unterstützt der UNHCR auf Anforderung des UN-General-sekretärs und der Generalversammlung jedoch auch etwa 6,6 Millionen Binnenvertriebene.9

1992 haben die Vereinten Nationen dem Son-derbeauftragten des Generalsekretärs für Bin-nenvertriebene das Mandat erteilt. 2002 wurde im UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) eine spezielle Einheit für Bin-nenvertriebene geschaffen. Auch andere internationale und nichtstaatliche Organisationen bemühen sich, den Binnen-vertriebenen in über 52 Ländern der Welt 9 UNHCR, „Auf einen Blick“, 2003.

Page 14: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

15

Hilfe und Schutz zu gewähren. Hervorzuhe-ben ist hier das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), das auf strikte Neut-ralität setzt, um Zugang zu den Betroffenen zu erlangen. In vielen Fällen besitzen Hilfsorgani-sationen allerdings keinen Zugang zu den be-troffenen Bevölkerungsgruppen. So lebten im Kongo im Jahr 1998/1999 in den unwegsa-men Gebieten im Süden des Landes schät-zungsweise 400.000 Binnenflüchtlinge ohne jede Hilfe von außen, ohne Nahrungsmittel oder Medikamente. Mehr als die Hälfte aller Binnenvertriebenen lebt in Afrika. Nach Angaben des Projekts Global IDP (Internally Displaced Persons) waren

Ende 2003 auf dem afrikanischen Kontinent 13 Millionen Menschen Binnenvertriebene. Das sind fast dreimal so viele wie noch 1998 (fünf Millionen). Die Mehrzahl (75 Prozent) der Binnenvertriebenen in Afrika verteilte sich 2002 auf die Länder Angola, DR Kongo und Sudan. Insgesamt sind in einem Viertel aller afrikanischen Staaten Teile der Bevölkerung gezwungen, in eine andere Region des Landes zu fliehen. Häufig werden Flüchtlinge, die in ihre Heimatländer zurückkehren, dort zu Bin-nenvertriebenen, weil ihre Dörfer zerstört wurden oder sie politischen Repressalien aus-gesetzt sind.

5. Arbeitsmigration 5.1 Situation

Die zwischenstaatliche Suche nach Arbeit hat nach Angaben der OECD in den letzten Jah-ren als weltweite Ursache für Migration deut-lich zugenommen. Arbeitsmigration umfasst so unterschiedliche Migrationsformen wie Sai-sonarbeit, Migration qualifizierter Arbeiter oder Transfer von Beschäftigten in multinati-onalen Unternehmen. Als eine Form der Ar-beitsmigration kann auch der Nachzug von Familienmitgliedern von Gastarbeitern ange-sehen werden. Er ist seit vielen Jahren der Hauptgrund für Zuwanderung in die OECD-Länder. Ein großer Teil der in der EU lebenden Aus-länder stammt aus Afrika: In den europäischen OECD-Ländern waren 2001 10,6 Prozent aller Zuwanderer afrikanischer Herkunft. Verschiedene internationale Organisationen haben begonnen, sich näher mit dem Phäno-men Arbeitsmigration auseinander zu setzen. Die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) erstellt derzeit eine umfassende Erhebung zum Thema Arbeits-migration, die 2004 allen Mitgliedsstaaten vor-gelegt werden soll. Dennoch gibt es bisher kaum zuverlässige Statistiken zum komplexen Thema Arbeitsmigration.

5.2 Rücküberweisungen

Für Familien, die in wirtschaftlicher Not le-ben, kann die Arbeitsmigration eines Famili-enmitglieds den Lebensstandard heben und das Überleben sichern. Gesamtwirtschaftlich gesehen stellen die Rücküberweisungen der Arbeitsmigranten eine wichtige Einnahme-quelle für zahlreiche Entwicklungsländer dar. Die Überweisungen, die Migranten aus Ent-wicklungsländern von Industrieländern aus in ihre Heimatstaaten tätigen, addieren sich zu Summen, die das Volumen der offiziellen Entwicklungshilfeleistungen bei weitem über-steigen und einen erheblichen Teil des Brut-toinlandsprodukts des Herkunftslandes aus-machen. Schätzungen zufolge erreichen Rück-überweisungen in Entwicklungsländer inzwi-schen bis zu 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr (davon rund 14 Milliarden US-Dollar in die MENA-Region und vier Milliarden US-Dollar nach Subsahara-Afrika; Subsahara-Af-rika ist damit Schlusslicht, was die Höhe von Gastarbeiterüberweisungen in die jeweiligen Heimatregionen angeht). Zu den Ländern in Afrika, in denen die Summe der Rücküberweisungen absolut gese-hen die höchsten Werte aufweist, zählen Ägypten, Marokko, Nigeria und Tunesien. Die Bedeutung der Rücküberweisungen zeigt die nachfolgende Tabelle:

Page 15: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

16

Anmerkung: jährliche Rücküberweisungen in ausgewählte afrikanische Länder in Millionen US-Dollar (Quelle: Weltbank). In verschiedenen Staaten Afrikas steuern die Rücküberweisungen einen erheblichen Anteil zum Bruttoinlandsprodukt bei. Der Anteil der Rücküberweisungen am Bruttoinlandspro-dukt (BIP) betrug nach Angaben der Welt-bank im Jahr 1999 in Eritrea 16,7 Prozent, in Cap Verde 11,9 Prozent, auf den Komoren 6,4 Prozent, in Nigeria 4,1 Prozent in Mali 3,3 Prozent, in Benin 3,1 Prozent, in Bur-kina Faso 2,6 Prozent und im Senegal zwei Prozent. In Ägypten betrug die Rücküber-weisungsquote im Verhältnis zum BIP 2002/ 2003 2,36 Prozent. Bei der Berechnung eines jährlichen Durch-schnittswertes für die Jahre 1990 bis 1996 er-gaben sich laut Weltbank sogar wesentlich hö-here Zahlen. Demnach machten die Rück-überweisungen in Eritrea 23,4 Prozent, in Cap Verde 20,7 Prozent, in Burkina Faso fünf Pro-zent, in Benin 4,7 Prozent, in Mali 4,4 Prozent, in Niger 3,7 Prozent und in Mauretanien 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Da die Geldüberweisungen in der Außenhan-delsbilanz der Herkunftsstaaten einen wichti-gen Faktor darstellen, nehmen diese die Aus-wanderung zum Teil bewusst in Kauf oder fördern sie.10 Aufgrund ihres hohen Volumens stellen die Rücküberweisungen aber zugleich auch ein wichtiges Instrument dar, durch das die internationale Migration Einfluss auf die Entwicklung haben kann. Sie bringen auslän-dische Devisen in die Entwicklungsländer, unterstützen die einheimische Sparquote und stellen so Finanzmittel für Investitionen spe-ziell im informellen Sektor, für Kleinbetriebe und Kleinprojekte bereit. Ein nicht unbedeu-tender Teil wird aber auch konsumtiv verwen-det. Als ein Vorteil von Rücküberweisungen, der auch entwicklungspolitisch relevant ist, 10 Vgl. Koller.

wird die relative Stabilität der Ressourcen-ströme im Vergleich zu den volatilen Kapital-strömen ausländischer Anleger gewertet. Rücküberweisungen können so möglicher-weise sogar antizyklisch wirken. Teilweise wird bezweifelt, ob die Überweisun-gen in nennenswertem Umfang für produktive Investitionen eingesetzt werden. In Kenia durchgeführte Untersuchungen haben aber er-geben, dass ungefähr die Hälfte der überwie-senen Summen für Schulgebühren zurückge-legt wurde und die Überweisungen auch eine wichtige Rolle bei der Verbesserung schuli-scher Infrastruktur in ländlichen Gegenden spielen. Insgesamt kommen verschiedene Studien zu der Schlussfolgerung, dass Rücküberweisun-gen zunächst für den täglichen Lebensbedarf, für Gesundheit und Bildung verwendet wer-den und den betreffenden Haushalten einen höheren Lebensstandard ermöglichen. Das wirtschaftliche Überleben und der Wohlstand vieler Familien in Afrika hängt davon ab, ob sie Mitglieder im Ausland hat. Da aber auf die Ausstattung mit Konsumgü-tern produktive Investitionen folgen können, sehen internationale Organisationen wie die Weltbank, die EU und viele Regierungen in den Rücküberweisungen ein mögliches In-strument zur Armutsbekämpfung. Einige Re-gierungen von Entwicklungsländern versuchen bereits, ihre im Ausland lebenden Staatsange-hörigen für Entwicklungsaufgaben zu mobili-sieren. Die Weltbank hat eine Studie über Verluste durch (hohe) Überweisungsgebühren beim Geldtransfer nach Südamerika erstellt. Auch die EU hat im Rahmen des Migrations-dialogs mit Marokko angeregt, dass durch eine Verbesserung des Transfers zusätzliches Geld zur Überweisung in das Herkunftsland frei werden kann, welches mit dem Ziel der Ver-besserung der Lebensbedingungen eingesetzt werden könnte. Die Senkung der Transakti-onskosten und die verstärkte Nutzung von Rücküberweisungen für Entwicklungszwecke wurden zuletzt auch von den Staats- und Re-gierungschefs der G8 bei ihrem Gipfeltreffen im Mai 2004 thematisiert.

Land 1995 1999 Ägypten 3279.00 3772.40 Marokko 1969.50 1938.11 Tunesien 679.88 761.24 Nigeria 803.55 1301.06 Senegal 86.49 92.78 Ghana 17.30 30.70

Page 16: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

17

5.3 Arbeitsmigration in Afrika

Ökonomisch bedingte Migration hat es in Af-rika schon immer gegeben. Substantielle Teile der männlichen Arbeitsbevölkerung sind im letzten Jahrhundert nach Südafrika gezogen, um in Minen oder in der Agrarwirtschaft zu arbeiten. Mitte der 1970er Jahre betrug der Anteil der in den südafrikanischen Minen an-gestellten ausländischen Arbeiter nach Anga-ben des UNFPA 78 Prozent (1985: 40 Pro-zent). Ghana war in den 1960er Jahren eben-falls ein Magnet für grenzüberschreitende Ar-beitsmigration. Während des Ölbooms in Ni-geria in den 1970er Jahren, der mit dem Kol-laps der ghanaischen Wirtschaft zusammen-traf, wanderten wiederum substantielle Teile der Bevölkerung Ghanas als Arbeitsmigranten nach Nigeria aus. In den 1990er Jahren entwi-ckelte sich die Côte d’Ivoire mit geschätzten 30 Prozent ausländischer Einwohner zu einem für ausländische Arbeitskräfte attraktiven Land. Insbesondere in Westafrika verlief und verläuft die Migration oft zyklisch und ant-wortet auf unterschiedliche Phasen der Ar-beitsnachfrage. Im südlichen Afrika waren u. a. 50 Prozent der arbeitstätigen Bevölkerung Lesothos bereits in den 80er Jahren jenseits der Landesgrenzen beschäftigt. Viele dieser Arbeitsuchenden arbeiten bis heute in südafri-kanischen Bergwerken. Arbeitsmigration muss nicht grenzüberschrei-tend sein. Ein Beispiel für Binnenmigration mit dem Ziel, Arbeit zu finden, ist Südafrika. Viele Männer und Frauen migrieren für meh-rere Jahre oder saisonal aus den früheren „ho-melands“ in Gebiete mit mehrheitlich weißer Bevölkerung, um dort als Arbeiter oder Dienstmädchen Geld zu verdienen.

5.4 Abwanderung von Hochqualifizierten

Bei den Arbeitsmigranten aus Afrika und in-nerhalb Afrikas handelt es sich nicht nur um Arbeiter sondern auch um Akademiker und andere Hochqualifizierte. Wenngleich es noch keine zuverlässige statistische Erfassung der Wanderungsbewegungen Hochqualifizierter gibt, so ist unbestritten, dass die Migrati-onsprozesse der Hochqualifizierten zuge-nommen haben. Die negativen Folgen dieser

Form der Migration sind unter dem Schlag-wort „brain drain“ bekannt, welches die dauer-hafte Abwanderung von überdurchschnittlich qualifizierten Kräften aus Entwicklungslän-dern in entwickelte Länder bezeichnet. Posi-tive Auswirkungen der Migration Hochqualifi-zierter werden oft mit den Schlagworten „brain gain“ oder „brain circulation“ beschrieben (weite-res hierzu weiter unten). Aus Afrika wandern in nicht unerheblicher Zahl qualifizierte Aka-demiker aus, zumeist nach Europa oder in die USA. Im gesamten Subsahara-Afrika gibt es zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach Zählungen der Vereinten Nationen nur noch ungefähr 20.000 qualifizierte Wissenschaftler, was einem Anteil von 0,36 Prozent der Wissenschaft-ler auf der ganzen Welt entspricht. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen arbeiten mehr als 30.000 promovierte Akademiker aus Afrika in Übersee. Nach Angaben von IOM verlassen jedes Jahr 23.000 Graduierte den af-rikanischen Kontinent, größtenteils nach Eu-ropa. Nach Berechnungen der regionalen UN-Wirt-schaftskommission ECA hat Afrika durch den Abfluss von Humankapital in Industriestaaten in weniger als zwei Jahrzehnten ein Drittel seiner Akademiker verloren. Betroffen sind vor allem Ägypten, Südafrika, Nigeria, Kenia und Ghana. Aus Nigeria wanderten zum Bei-spiel bisher über 20.000 Ärzte in die Indust-rieländer ab. Ein weiteres Beispiel für die Migration Hoch-qualifizierter ist Sambia: Die Anzahl der in Sambia praktizierenden Ärzte ist nach Anga-ben der GTZ innerhalb weniger Jahre von 1.600 auf derzeit 400 gesunken, so dass das Land einen massiven Mangel an medizini-schem Personal erfährt. Sambische Ärzte wan-dern hierbei nicht nur nach Europa und in die USA aus. Vielmehr lassen sich auch viele im benachbarten Botswana nieder, welches sei-nerseits heimische Ärzte an Südafrika verliert. Südafrikanische Ärzte emigrieren ihrerseits auf der Suche nach höherem Lohn und besseren Arbeitsbedingungen nach Europa. Auf dem UN-Weltgipfel in Johannesburg 2002 sprach ein südafrikanischer Hochschuldozent von rund 23.000 afrikanischen Dozenten und Wissenschaftlern, die alljährlich ihre Heimat-

Page 17: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

18

länder verlassen. Den beiden Universitäten im Senegal gingen beispielsweise in den vergan-genen Jahren durch die Abwanderung der akademischen Elite mehr als 105 Hochschul-lehrer verloren. Grund für die Abwanderung afrikanischer Dozenten und Wissenschaftler sind unter an-derem die oft unzureichenden Bedingungen an afrikanischen Universitäten. Während in den sechziger Jahren Universitäten in Uganda oder Nigeria als Stolz der afrikanischen Wis-senschaft galten, liegt das akademische Leben heute großenteils brach. Zwar haben die afrikanischen Staaten nach Erlangung der Unabhängigkeit in den 1960er und 1970er Jahren eine intensive Bildungspo-litik betrieben und einen höheren Anteil ihres Bruttoinlandsprodukts in Bildung investiert als die Industriestaaten. In den letzten beiden Jahrzehnten haben aber nahezu alle afrikani-schen Staaten die Ausgaben für die Bildung gekürzt. Auch innere Unruhen können ein Grund für die Abwanderung Hochqualifizierter sein. Ein Beispiel hierfür bildet Algerien, wo seit 1992 etwa 800 Bildungseinrichtungen durch terro-ristische Anschläge zerstört und mehr als 150 Lehrer ermordet wurden. Ein bedeutender Teil der Bildungs- und Akademikerschicht flüchtete aus Furcht vor terroristischen An-schlägen, was wiederum zur Destabilisierung des Landes beitrug.11 Seit 1993 haben unge-fähr 3.500 Hochschuldozenten sowie 270 ausländische Gastdozenten den algerischen Hochschuldienst verlassen, mit der Folge, dass die universitäre Ausbildung an Qualität sehr eingebüßt hat. Der Rückschritt im Bildungs-system bedingt seinerseits wieder neue Ab-wanderungen. Das südliche Afrika weist ein spezielles Mi-grationsmuster auf, welches sich von dem an-derer afrikanischer Regionen unterscheidet: Mit Südafrika und zu einem gewissen Grad auch mit Botswana verfügt die Region über zwei Ökonomien, die auf qualifizierte Berufs-tätige in der Region große Anziehungskraft ausüben und viele gut ausgebildete Kräfte aus den Nachbarstaaten aufgenommen haben. Zugleich sieht sich auch Südafrika selbst ei- 11 Vgl. Loescher, S. 183.

nem „brain drain“ zunehmenden Ausmaßes gegenüber. Als dessen Hauptursachen werden steigende Kriminalität und Verbrechen, nied-rige Löhne, begrenzte Möglichkeiten berufli-chen Aufstiegs, eine sich verschlechternde medizinische Infrastruktur und ein allgemeines Gefühl des Fehlens von Sicherheit genannt. Große Abwanderungsströme kommen zur Zeit infolge der katastrophalen wirtschaftli-chen Lage des Landes vor allem auch aus Simbabwe. Amtlichen Angaben zufolge leben bereits 480.000 Simbabwer mit abgeschlosse-ner Berufsausbildung im Ausland, 176.000 da-von in Großbritannien sowie 49.000 in den USA und Kanada. Weiteren Statistiken zufolge hat ein Drittel der ausgebildeten Krankenpfle-ger Simbabwe in den letzten drei Jahren ver-lassen. Auch Lehrer, Handwerker und Journa-listen zählen zu den Emigranten. Die Aus-wanderer sind inzwischen mehrheitlich Ju-gendliche und Frauen. Der „brain drain“ kann auch Auswirkungen auf politische Systeme, Regierungsstrukturen und gute Regierungsführung haben.12 Der „brain drain“ erschwert oder verhindert die Bildung einer Mittelklasse, deren Fehlen negative Aus-wirkungen auf die politische Stabilität hat und damit wiederum zu einem Anstieg der Emig-rationszahlen führt. Es gibt jedoch auch afrikanische Länder, für die ein „brain gain“ entsteht. Das sind dieje-nigen afrikanischen Staaten, die von der Auf-nahme von Hochqualifizierten aus anderen af-rikanischen Ländern profitieren. Demogra-phen sprechen daher schon von einer „brain circulation“, einem Austausch innerhalb eini-ger Länder Afrikas. „Brain circulation“ auch zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und damit verbundener „brain gain“ sind als mögliche positive Auswir-kungen und damit Chance der internationalen Migration Hochqualifizierter anzusehen. Das Beispiel der Migration hochqualifizierter Inder in die USA und oftmals auch wieder zurück in ihr Heimatland verdeutlicht, dass Migration keine Einbahnstraße sein muss, sondern dass Know-how-Transfer zwischen Industrie- und Entwicklungsländern in beide Richtungen möglich ist und in Entwicklungsländern auch zu wichtigen Investitionen führen kann (Bei- 12 Vgl. Cowan-Louw.

Page 18: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

19

spiel: Gründung von IT-Unternehmen). Aller-dings dürfte in vielen afrikanischen Ländern eine deutliche Verbesserung der wirtschaftli-chen und politischen Rahmenbedingungen Voraussetzung für ähnliche Entwicklungen wie in Indien sein. Solange diese nicht erreicht ist, bleiben die meisten afrikanischen Länder mehr vom „brain drain“ als vom „brain gain“ betroffen. 5.5 Menschenhandel

Der Entschluss, zu emigrieren, um Arbeit zu finden, wird nicht immer freiwillig gefasst. Aus wirtschaftlicher Not und teilweise auf Drängen ihrer Familien sind viele Menschen gezwun-gen, sich außerhalb ihrer Heimat in ausbeuteri-sche Arbeitsverhältnisse zu begeben. Die UN-Behörde für Drogen- und Verbre-chensbekämpfung (UNODC) berichtet von einer wachsenden Anzahl von Menschen, die unter falschen Versprechungen oder mit Ge-walt in andere Länder oder Regionen gebracht werden, um unter sklavenähnlichen Bedingun-gen zu arbeiten. Diese Menschen, hauptsäch-lich Frauen und Kinder, sind schutzlos Unter-drückung und Ausbeutung ausgeliefert. Ihre Situation wird oft dadurch verschlimmert, dass sie illegal ins Ausland gebracht werden, sich dort illegal aufhalten und aus Angst vor Ent-deckung schweigen. Nach Angaben der UNODC werden diese Menschen in allen möglichen Arbeitsbereichen eingesetzt: in der Landwirtschaft, in der Industrie oder in priva-ten Haushalten. Mädchen und Frauen werden häufig zur Prostitution gezwungen. Es gibt keine genauen Zahlen darüber, wie viele Kinder und Frauen von dieser Art er-zwungener Migration betroffen sind. Die ILO schätzt, dass 45 Prozent der Bevölkerung im südlichen Afrika Kinder sind, von denen über 60 Prozent in Armut leben. Die Organisation geht davon aus, dass 400.000 Kinder in dieser Region im informellen und formellen Sektor arbeiten. Die Hälfte von ihnen ist unter 15 Jahre alt. 30.000 bis 40.000 der Mädchen wer-den als Prostituierte missbraucht. Der internationale Handel mit Menschen, die auf der Suche nach Arbeit sind, um wirtschaft-licher Not zu entgehen, hat inzwischen einen

hohen Organisationsgrad erreicht. EUROPOL schätzt, dass weltweit derzeit etwa zwölf Milli-arden Dollar mit Menschenhandel erwirt-schaftet werden. Das Risiko, dass die Beteilig-ten entdeckt und zur Verantwortung gezogen werden, ist gering. Geographisch gesehen findet illegaler „Handel mit Arbeitskräften“ sowohl aus armen in rei-chere Staaten als auch zwischen den armen Ländern der Welt statt. Viele Nordafrikaner verdingen sich als Saisonarbeiter in Südeuropa. Im Jahr 2000 gab es in Andalusien einen Auf-stand marokkanischer Arbeiter ohne Aufent-haltsgenehmigung, die in der Landwirtschaft für niedrigsten Lohn und ohne ausreichende Verpflegung und Unterbringung harte Arbeit verrichten mussten. Innerhalb Afrikas ziehen vor allem Menschen aus den ärmsten afrikani-schen Ländern in wohlhabendere Staaten wie Südafrika oder Kenia. Menschenhandel ist auch innerhalb von Staaten festzustellen. In Nordafrika beispielsweise werden häufig in anderen Familien als Hausangestellte arbeiten-de Frauen und Kinder ausgebeutet. In einigen Staaten Afrikas arbeiten Menschen für ihre Ar-beitgeber unter sklavenähnlichen Bedingun-gen.

Page 19: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

20

6. Weitere Ursachen für Migration 6.1 Umweltflüchtlinge

Wanderungsbewegungen, die sich an spezifi-sche und sich ändernde Umweltbedingungen anpassten, haben den afrikanischen Kontinent seit je her geprägt. Über Jahrtausende zogen Nomaden mit ihren Herden den Regenfällen nach und setzten ihre Mobilität zur Schonung der Weidegründe ein, indem sie überlieferte und ökologisch gebotene Brachezeiten ein-hielten. In vielen Gegenden Afrikas finden jedoch seit einigen Jahrzehnten vor dem Hintergrund fortschreitender Umweltzerstörung Wande-rungsbewegungen vorher nicht gekannten Ausmaßes statt. Neu an diesem Phänomen ist neben der größeren Reichweite aufgrund ei-ner Kombination komplexer Faktoren - dar-unter die Erschöpfung der Ressourcen - die ir-reversible Zerstörung der Umwelt und das an-haltende Bevölkerungswachstum13 die Eindi-mensionalität der Bewegungen in Form der Abwanderung in die Städte. Der Kreislauf der Bewegungen hat sich infolge von Überstrapa-zierung der Böden, Wüstenbildung und Dür-ren in eine einseitig ausgerichtete Wande-rung in die Städte verwandelt. Neu ist auch, dass Flüchtlinge in der Regel nicht mehr in unbewohnte und ökologisch akzeptable Regi-onen abwandern können.14 Unter Umweltflüchtlingen sind damit jene Personen zu verstehen, die ihre Heimatregion verlassen, weil ihr Leben aufgrund von natürli-chen und anthropogenen Umweltschäden so-wie aufgrund von ökologischer Überbelastung durch Überbevölkerung erheblich beeinträch-tigt oder gefährdet wird. Die meisten Umweltflüchtlinge werden durch die Zerstörung von Acker- und Weideland erzeugt. Die größten Verluste an Acker- und Weideland innerhalb Afrikas sind in der öko-logisch labilen Region der Sahelzone zu ver-zeichnen, d. h. in dem Landgürtel am Südrand der Sahara, der sich von Mauretanien und dem Senegal ostwärts bis zum Sudan erstreckt. Sie

13 Vgl. UNFPA, Weltbevölkerungsbericht 2001. 14 Vgl. Wöhlcke, S. 22.

gehen auf unangepasstes menschliches Ver-halten in Form von Überweidung und durch-gängiger Bodenbestellung sowie auf Naturka-tastrophen zurück, die ihrerseits wieder eine anthropogene Komponente haben können. Die Sahelzone wurde wiederholt von großen Dürreperioden heimgesucht, die zu erhebli-chen Abwanderungsströmen führten. Die Dürreperiode zwischen 1968 und 1973 ließ ein Fünftel der mauretanischen Bevölkerung (250.000 Menschen) und ein Sechstel der Be-völkerung Burkina Fasos (eine Million Men-schen) in die Städte abwandern. Insbesondere die Elfenbeinküste mit ihrer zum damaligen Zeitpunkt vergleichsweise stabilen und entwi-ckelten Wirtschaft wurde zum Ziel vieler grenzüberschreitender Umweltflüchtlinge. Binnen weniger Jahre ließ der Flüchtlings-strom auch die Einwohnerzahl Tamanrassets von 5.000 auf 25.000 anschwellen. Heute sind es rund 70.000. Eine zweite Dürreperiode Mitte der 1980er Jahre verursachte alleine in den Ländern Bur-kina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und Ni-ger insgesamt mehr als zwei Millionen Um-weltflüchtlinge. Durch die Abwanderung von Nomaden, die große Teile ihrer Herden verlo-ren, in die Städte vervierfachte sich beispiels-weise die Einwohnerzahl der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott. Mitte 1985 flohen auch aus Äthiopien, dem Sudan, Mosambik, Angola und weiteren Staaten Afrikas wegen der damaligen Dürre mehr als zehn Millionen Menschen. Wenn Umweltflüchtlinge in großen Gruppen in benachbarte Regionen und Staa-ten wandern, führt dies auch hier für zusätzli-che erhebliche Belastungen, da der Druck auf die dortigen Ressourcen an Wasser, Boden und Wald erhöht wird. Bodendegeneration und Wüstenbildung stellen in Afrika aktuell ein massives Umwelt-problem dar. Nach UNFPA-Schätzungen sind 500 Millionen Hektar von der Bodendegene-ration betroffen, hierin eingeschlossen 65 Pro-zent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Im südlichen Afrika ist vor allem die Überwei-dung durch Nutzvieh eine Ursache für die fortschreitende Bodendegeneration, während

Page 20: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

21

im nördlichen Afrika neben der Überweidung die häufigen Dürreperioden zur Wüstenbil-dung beitragen. Auch in West- und Zentralaf-rika werden große Waldflächen zum Zwecke der Gewinnung landwirtschaftlicher Nutzflä-chen und der Gewinnung von Brennholz zer-stört. Unkontrollierte Abholzung, traditionelle Brandrodung und Umwandlung von Wald in Ackerland haben zur Folge, dass Afrika jähr-lich 1,3 Millionen Hektar Wald verliert.15 Nach Angaben des UN-Wüstensekretariats in Bonn ist durch die Wüstenbildung weltweit die Existenzgrundlage von mehr als 1,2 Milliarden Menschen gefährdet. Afrika ist hierbei am stärksten betroffen. Nach Schätzungen der Weltbank befanden sich im Jahr 1998 25 Millionen Menschen aufgrund von Umweltzerstörungen auf der Flucht, so dass die Zahl der Umweltflüchtlinge erstmals die Zahl der Kriegsflüchtlinge über-stieg. Umweltflüchtlinge sind letztlich das Er-gebnis von Umweltschäden und/oder einem ökologisch unangemessenen Bevölkerungs-wachstum. Bezüglich beider Prozesse ist da-von auszugehen, dass sie sich weltweit für die absehbare Zukunft verstärken werden. Aus diesem Grund wird allgemein angenommen, dass die gegenwärtig zu verzeichnenden Zah-len von Umweltflüchtlingen in Zukunft noch bei weitem übertroffen werden. Der von der UN-Entwicklungsorganisation UNDP ver-fasste „Bericht über die menschliche Ent-wicklung“ von 1998 schätzt die Zahl der Men-schen, die in Gefahr sind, zu Umweltflüchtlin-gen zu werden, auf derzeit 135 Millionen. 6.2 Bevölkerungswachstum als

Migrationsursache

Die Weltbevölkerung hat im Jahr 1999 die Sechs-Milliarden-Grenze überschritten. Afrika hat mit 5,4 Kindern pro Frau eine der höchs-ten Geburtenraten der Welt. Die Bevölke-rungswachstumsrate liegt bei circa 2,8 Prozent und ist damit die höchste aller Regionen der Erde.16 Die ungünstigen politischen und wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen der meisten

15 Vgl. Plate/Sommer, S. 21. 16 Vgl. Wöhlcke, S. 14.

afrikanischen Länder werden durch das an-haltende Bevölkerungswachstum wesentlich verschärft. Das Bevölkerungswachstum ver-mehrt die Armut; Wasserknappheit, Brenn-stoffmangel, Unterernährung und wachsende Elendsviertel in den Großstädten sind weitere Folgen. Die Bevölkerungszunahme verstärkt damit auch den Migrationsdruck in Richtung auf die europäischen Staaten und andere In-dustrieländer. 6.3 Stadtflucht als erster Schritt

zur grenzüberschreitenden Migration

Lebten 1950 in den Entwicklungsländern erst 17 Prozent der Gesamtbevölkerung in den Städten, rund 282 Millionen Menschen, so er-höhte sich der Anteil bis zum Jahr 2000 auf 47 Prozent bzw. 2,8 Milliarden Menschen, wobei der Zuwachs mindestens zur Hälfte aus Zu-wanderungsgewinnen resultierte. Auch in den Staaten Afrikas nimmt die Binnenwanderung aus den ländlichen Gebieten in die Städte zu. Während 1960 circa 15 Prozent der Afrikaner in Städten lebten, lag dieser Wert im Jahr 2000 bei etwa 35 Prozent. In keiner anderen Region der Erde fand seit 1980 eine ähnlich hohe Zu-nahme der städtischen Bevölkerung statt. Da-bei ist aber zu berücksichtigen, dass diese Entwicklung von einer extrem niedrigen Basis ausging und keineswegs überall gleichförmig verläuft. Bisher ist kaum eine afrikanische Stadt in die Kategorie der Megastädte (mehr als zehn Millionen Einwohner), wie sie für Lateinamerika oder Asien zunehmend prägend sind, hineingewachsen. Lediglich Kairo (ca. 16 Millionen Einwohner), Lagos (ca. zwölf Milli-onen Einwohner) und Kinshasa (ca. fünf Mil-lionen Einwohner) reichen an diese Dimen-sion heran. Am höchsten ist der Verstädte-rungsgrad in Süd- und Nordafrika, am ge-ringsten in Ost- und Zentralafrika. Das Spezifische des Urbanisierungsprozesses in Afrika liegt in seiner Verbindung mit zwei anderen Entwicklungen: Zum einen sind bei stetig anwachsender Stadtbevölkerung nur wenige neue Arbeitsplätze in der Industrie und im formellen Sektor entstanden. Zum anderen hat sich der Staat im Verlauf der 1980er und 1990er Jahre fast vollständig aus allen Berei-chen der Stadtplanung und -entwicklung zu-

Page 21: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

22

rückgezogen, mit der Folge einer ungeordne-ten spontanen Urbanisierung, in der sich Slums ohne jegliche Infrastruktur in den Au-ßenbezirken der Großstädte ausbreiten. Zu den vielfältigen Ursachen für den Trend zur Abwanderung in die Städte gehören die fehlende Existenzsicherung durch die Land-wirtschaft, Arbeitslosigkeit, fehlende Infra-struktur, zum Teil auch Terrorismus (etwa in Algerien). In den Städten besteht jedoch oft

keine Möglichkeit, auf dem ohnehin überfüll-ten Arbeitsmarkt Beschäftigung zu finden - die Abwanderung in die Städte endet in den Slums und führt zu einer stärkeren Beanspruchung der Umwelt und der Ressourcen. Die Per-spektivlosigkeit in den Großstädten, verbun-den mit der infolge des „Zeltabbruchs“ feh-lenden Möglichkeit, wieder in die alte Umge-bung zurückzukehren, fördert den Wunsch nach einer grenzüberschreitenden Migration.

7. Migrationsbewegungen aus Nordafrika 7.1 Einwanderung in die EU

Nach Angaben des „World Migration Report“ der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind über fünf Prozent (19 Millionen) der EU-Bürger Menschen, die sich außerhalb ihres Herkunftslandes befinden. Nach EURO-STAT wurden im Jahr 1999 in der EU allein 352.000 Asylanträge gestellt; das entspricht ei-ner Einwanderungsrate von 1,8 pro 1.000 EU-Bürger. Von den in der EU lebenden Einwanderern stammen 4,6 Millionen aus afrikanischen Län-dern, die meisten von ihnen aus nordafrikani-schen Staaten. Sie leben vornehmlich in Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland. In Deutschland leben etwa 100.000. Diese Zahl ist seit Mitte der 1990er Jahre konstant geblieben. Neben Menschen nordafrikanischer Herkunft leben in der EU eine Million Einwanderer aus dem südlichen Afrika (IOM 2003). In Deutschland leben derzeit über 300.000 Afri-kaner. Knapp die Hälfte von ihnen stammt aus Nordafrika (Statistisches Bundesamt, 2004). 7.2 Afrikanische Flüchtlinge in

Europa

Ein Teil der afrikanischen Einwanderer in die EU sind Flüchtlinge im weiteren Sinne. Wie viele afrikanische Einwanderer tatsächlich in die StaatenDie Binnenmigration vom Land in die Stadt kann daher der erste Schritt zu einer

transkontinentalen - oftmals illegalen - Wanderung sein. der EU fliehen, lässt sich nur schwer bestimmen. Einen Anhaltspunkt für die Zahl der Flüchtlinge könnte die Zahl der Asylbewerber und Asylberechtigten in den Staaten der EU bieten. Tatsächlich sind jedoch weder die Asylbewerber mit den Asylberech-tigten identisch, noch fallen Bürgerkriegs-flüchtlinge zwangsläufig unter das Asylrecht. Angaben über die geschätzte Zahl von Flücht-lingen, die aus afrikanischen Staaten heraus in westliche Industriestaaten geflohen sind und dort um Asyl nachgesucht haben, enthält der World Refugee Survey. Demnach haben 2002 20.000 Liberianer, 15.000 Kongolesen und 14.000 Nigerianer in Industriestaaten um Asyl gesucht. Nicht alle Flüchtlinge reisen auf legalem Weg in die EU ein. Allgemein wird angenommen, dass angesichts restriktiverer Asylverfahren die Zahl der Flüchtlinge zunimmt, die illegal in die Staaten der EU einreisen und aus Angst vor Ablehnung und Abschiebung keinen Asylan-trag stellen, obwohl sie der völkerrechtlichen Definition des Flüchtlings entsprechen. 7.3 Illegale Einwanderung in die EU

Asylbewerber, die die Voraussetzungen für die Anerkennung nicht erfüllen, und illegale Zu-wanderer machen in den europäischen Län-dern gegenwärtig ungefähr 40 Prozent der ge-samten Zuwanderung aus.

Page 22: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

23

Illegale Einwanderung wird charakterisiert durch das Fehlen einer Einreise- oder Aufent-haltsgenehmigung. Folgende Formen illegaler Migration können unterschieden werden: ei-nerseits die illegale Zuwanderung durch un-bemerkten Grenzübertritt ohne Einreisege-nehmigung oder die Einreise mit gefälschten Papieren, gefolgt von unerlaubtem Inlandsauf-enthalt und illegaler Arbeitsaufnahme; ande-rerseits die Illegalisierung nach zunächst rechtmäßiger Einreise zu befristetem Aufent-halt (z. B. als Tourist, temporär Beschäftigter, Asylbewerber oder Flüchtling) durch rechts-widrigen Verbleib nach Ablauf der Frist. Da die Migranten ohne Aufenthaltsstatus aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung jede be-hördliche Registrierung unterlassen, entziehen sie sich weitgehend der statistischen Erfassung im Aufnahmeland. Wie viele Menschen ohne oder mit gefälschten Papieren in die EU kommen, ist schwierig abzuschätzen. Schät-zungen des Bundesnachrichtendienstes, der IOM und von Europol beziffern die Zahl der jährlich illegal in die Europäische Union Einreisenden auf 350.000 bis 500.000 Men-schen. Anderen Schätzungen zufolge leben in Deutschland zwischen 500.000 und einer Mil-lion Menschen ohne Aufenthaltsstatus.17 Wenngleich keine sicheren Zahlenangaben möglich sind, so ergibt sich aus den Zahlen der beim Versuch des unerlaubten Grenz-übertritts aufgegriffenen Afrikaner eine deut-liche Tendenz zu illegaler Migration. Nach Angaben der spanischen Behörden lag bei-spielsweise im Jahr 2000 die Zahl der Nord- und Schwarzafrikaner, die versucht haben, die spanische Küste zu erreichen, um mehr als das Drei- bis Vierfache höher als im Jahr zuvor.18

Der Leiter der Afrikaabteilung des UNHCR, David Lambo, konstatiert, dass unter vielen Afrikanern ein Gefühl der totalen Verzweif-lung herrsche, welches sie die Gefahren der il-legalen Reise, die in den meisten Fällen auf unsicheren Booten erfolgt, in Kauf nehmen lässt.

17 Siehe Elwert, S. 10. 18 Vgl. Opitz, S. 46.

7.4 Rolle der Maghrebstaaten als Transitländer

Die Staaten des Maghreb sind sowohl Ur-sprungs- als auch Transitland illegaler Mig-ranten. Seit den 1980er bzw. 1990er Jahren traten mit der illegalen Einwanderung insbe-sondere in die südlichen Länder der Europäi-schen Union und einem Anstieg der Asylbe-werberzahlen neue Formen der Migration auf, die als ökonomische und politische Heraus-forderung perzipiert wurden und nationale und gemeinsame Maßnahmen im EU-Raum auslösten. Die Wege der illegalen Migranten aus Afrika heraus verlaufen insbesondere über die Maghrebstaaten, wobei diese Bewegung erst in den letzten zehn Jahren größere Aus-maße angenommen hat und damit für die be-troffenen Länder ein neues Phänomen und eine neue Herausforderung darstellt. Da viele Migranten zunächst keine Möglichkeit haben, weiter nach Europa zu gelangen, sehen sich Staaten wie Algerien und Marokko mit einer immer größer werdenden Zahl von Transit-migranten konfrontiert, die zwar einerseits auf eine Gelegenheit zur Weiterwanderung hoffen, gleichzeitig aber für längere Zeit im Land leben. Nach Angaben der marokkani-schen Behörden setzen sich die Transit-migranten hauptsächlich aus Afrikanern aus Subsahara-Staaten zusammen. Als Haupther-kunftsländer gelten Sierra Leone, Mali, Senegal und Nigeria. Hauptknotenpunkte für auswanderungswil-lige Afrikaner aus West- und Zentralafrika sind laut Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 6. Juli 2003 der mali-sche Wüstenort Gao sowie die Stadt Agadez in Niger. Emigranten aus Nigeria, Ghana, Benin, Burkina Faso oder Liberia beginnen von hier aus ihren Weg durch die Sahara an die Mittelmeerküste und nehmen zu diesem Zweck die Dienste organisierter Menschen-schmuggler in Anspruch. Die Route von Mali aus führt über Algerien nach Marokko und von dort aus zu den Kanarischen Inseln und aufs spanische Festland. Die Möglichkeiten der malischen Gendarmerie, gegen den Men-schenschmuggel vorzugehen, sind begrenzt. Sofern die Transitmigranten aus einem der Staaten der westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion ECOWAS stammen bzw. ei-nen entsprechenden Ausweis besitzen, halten

Page 23: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

24

sie sich legal in Mali auf, da innerhalb der Staa-tengemeinschaft keine Visumspflicht besteht. Die Inanspruchnahme von kommerziellen und kriminellen Organisationen für den Transport oder die Versorgung mit gefälsch-ten Pässen gehört inzwischen zur Normalität. Das Schleusen von Migranten nach Europa hat sich in Afrika innerhalb der letzten Jahre zu einem regelrechten Wirtschaftszweig entwi-ckelt. In der nigerianischen Metropole Lagos haben sich rund um die Konsulate der euro-päischen Staaten „Berater“ niedergelassen, die Visa-Anträge korrekt ausfüllen und gegen ent-sprechende Bezahlung gefälschte Hotelreser-vierungen, Kontoauszüge und andere Doku-mente bereitstellen, die Voraussetzung für ein Touristenvisum für den Schengenraum sind. Auch vor der französischen Botschaft in Abi-djan in Cote d’Ivoire werden die benötigten - gefälschten - Dokumente verkauft. Afrikaner, die mit Hilfe von gefälschten Papieren ein Vi-sum für die EU-Staaten erhalten haben, versu-chen auf dem Luftweg beispielsweise von Abidjan oder Dakar aus nach Paris zu gelan-gen. Die Wanderungsmotive der illegalen Migran-ten sind regelmäßig ökonomisch bedingt. Ausschlaggebend sind insbesondere die Per-spektivlosigkeit in afrikanischen Staaten und der Wunsch nach einer Verbesserung der Le-bensbedingungen und der materiellen Lebens-situation durch Arbeitsaufnahme im Zielland. Eine wichtige Rolle bei der illegalen Migration spielen auch die Netzwerke bereits im Aus-land befindlicher Migranten. 7.5 Asylsuchende in Deutschland

Gemäß Art. 16 a GG genießen politisch Ver-folgte in Deutschland Asylrecht. Zur Beg-riffsbestimmung der politischen Verfolgung wird auf die Merkmale der Genfer Flücht-lingskonvention zurückgegriffen, so dass eine begründete Furcht vor Verfolgung vorliegen muss. Allgemeine Notsituationen wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen sind damit als Gründe für eine Asylgewährung nicht er-fasst. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge entscheidet über eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG. Ein spezieller Rechtsstatus für

Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge ist durch § 32 a AuslG geschaffen worden. Wenngleich sich aus der Genfer Flüchtlings-konvention kein direkter Anspruch auf Asyl ergibt, so begründet Art. 33 GK aber ein Re-foulement-Verbot, wonach die Auslieferung, Ausweisung oder Abweisung eines Flüchtlings in einen Staat, in dem ihm politische Verfol-gung droht, verboten ist. „Sichere Her-kunftsstaaten“ sind Staaten, bei denen auf-grund der allgemeinen politischen Verhältnisse die gesetzliche Vermutung besteht, dass dort weder politische Verfolgung noch unmensch-liche oder erniedrigende Bestrafung oder Be-handlung stattfindet. Derzeit wird im Rahmen der EU-Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres erörtert, welche Staaten als sich-ere Herkunftsstaaten einzustufen sind. Im Jahr 2002 stellten in Deutschland insge-samt 71.127 Menschen einen Asylerstantrag. Die Ablehnungsquote betrug im Jahr 2002 60,6 Prozent, die Anerkennungsquote belief sich dabei nur auf 1,8 Prozent. Asylbewerber aus Afrika bilden bei einer Betrachtung nach Kontinenten nur einen vergleichsweise kleine-ren Anteil der Asylbewerber in Deutschland. Im Jahr 1999 kamen 10,09 Prozent der Asyl-bewerber aus Afrika, im Jahr 2000 waren es 12,55 Prozent. Einen weitaus größeren Anteil der Asylbewerber stellt Asien mit 46,01 Pro-zent und Europa mit 36,91 Prozent. Die Zahl der Asylantragsteller aus Afrika betrug im Jahr 2000 insgesamt 9.593. 1995 lag die Zahl dagegen noch bei 14.374, 1996 bei 15.520.

Page 24: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

25

Asylantragsteller nach ausgewählten afrikanischen Herkunftsländern von 1996 bis 2000: Herkunftsland 1996 1997 1998 1999 2000 Afrika 15.520 14.126 11.458 9.594 9.593 Äthiopien 1.292 878 373 336 366 Algerien 1.417 1.586 1.572 1.473 1.379 Ghana 277 369 308 277 268 Nigeria 1.687 1.137 664 305 420 Togo 961 1.047 722 849 751 DR Kongo 2.971 1.920 948 801 695

8. Migrationsgeschehen in und aus den Maghrebstaaten 8.1 Situation

Die wichtigste Wanderbewegung aus Afrika heraus vollzieht sich, wie oben bereits be-schrieben, von Nordafrika nach Westeuropa. Im Jahr 1970 lebten bereits 1,2 Millionen le-gale Migranten aus Algerien, Marokko und Tunesien in sechs OECD-Staaten. 1990 belief sich die Zahl auf 2,1 Millionen in acht OECD-Staaten. Laut einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 18.8.2003 (S. 18), der sich auf Angaben der OECD beruft, leben heute ins-gesamt sogar 4,6 Millionen Nordafrikaner in der EU. Die Emigration aus dem Maghreb zunächst nach Frankreich und später in andere EU-Staaten, insbesondere Belgien, Nieder-lande, Italien, Spanien und Deutschland, hat in den vergangenen Jahrzehnten stetig zuge-nommen. Die Arbeitsmigration wird inzwi-schen von der Familienzusammenführung übertroffen, auf die in den 1990er Jahren etwa 60 Prozent der Neuzuwanderung entfielen und die somit die wichtigste Form der legalen Einwanderung nach Europa geworden ist. Der mediterrane Raum hat sich nicht erst in jüngerer Zeit zu einem Migrationsraum entwi-ckelt. In der Phase der Kolonialherrschaft war Nordafrika Zielgebiet von Emigrationsströ-men aus Frankreich und in geringerem Um-fang aus Spanien. Vor allem Algerien aber auch Marokko und Tunesien waren Einwan-derungsländer für französische Bauern und andere Arbeitskräfte. Während der Kolonial-zeit emigrierten mehr als eine Million Franzo-sen nach Algerien. Nach dem zweiten Welt-krieg und der Erlangung der Unabhängigkeit der Staaten setzte die Rückwanderung aus den

Kolonien ein. Sie wurde von einer wachsen-den, durch den Arbeitskräftebedarf bedingten Arbeitsmigration aus dem Maghreb begleitet. Zunächst warben französische Einwande-rungsbehörden, in der Folgezeit auch andere europäische Regierungen, in bilateralen An-werbeabkommen um Arbeitskräfte aus dem Maghreb. Marokkanische Emigranten verteilen sich heute in erster Linie auf Frankreich, des weite-ren auf die Niederlande, Belgien, Italien, Deutschland und Spanien. Auch der Großteil der nach Europa ausgewanderten Algerier lebt in Frankreich. Wichtige Aufnahmeländer tunesischer Migranten sind neben Frankreich Italien und Deutschland. Libyen ist fast ausschließlich ein Aufnahme-land von Migranten. Im Jahr 1994 waren 30 Prozent seiner 5,2 Millionen Einwohner Aus-länder. Libyen beschäftigt seit vielen Jahren u. a. Gastarbeiter aus dem Sudan und anderen Sahelstaaten. Die Zahl der Arbeitsmigranten wird derzeit auf zwischen 1,2 und 1,5 Millio-nen Menschen geschätzt. Zielländer ägyptischer Auswanderer sind seit den 1960er Jahren die arabischen Ölstaaten, u. a. der Irak, gewesen. 8.2 Gründe für die Migration In Nordafrika findet ein rasches Bevölke-rungswachstum statt. Zwischen 1960 und 1990 verdoppelte sich die Bevölkerung der Re-gion von 53 auf 110 Millionen, im Jahr 2002

Page 25: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

26

lag die Bevölkerungszahl bei ungefähr 145 Mil-lionen, bis 2020 werden nach Berechnungen der Weltbank etwa 180 Millionen Menschen in Nordafrika leben. Trotz eines Rückgangs der Geburtenraten nimmt die Bevölkerung insge-samt zu, da die geburtenstarken Jahrgänge derzeit in dem Alter sind, in dem sie Familien gründen. Die offiziellen Arbeitslosenquoten liegen derzeit für Ägypten bei 10,9 Prozent (inoffiziell bei bis zu 35 Prozent), für Tunesien bei 14,9 Prozent (inoffiziell 20 bis 30 Prozent), für Algerien bei 28 Prozent (inoffiziell 40 Pro-zent) und für Marokko bei 20 Prozent. In allen drei Ländern ist der Anteil der unter 30-jähri-gen an der Zahl der Arbeitslosen mit 60 bis 70 Prozent besonders hoch. Es ist davon auszu-

gehen, dass die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dieser Länder und das Feh-len von Arbeitsplätzen in Verbindung mit dem raschen Zuwachs der Erwerbsbevölkerung den Migrationsdruck weiter erhöhen werden. Ein Grund für die Förderung der Arbeitsmig-ration durch die Regierungen sind die Geld-überweisungen der Migranten an ihre Angehö-rigen, die wesentlich zum Ausgleich der Au-ßenhandelsbilanzdefizite der Herkunftsländer beitragen. Diesen materiellen, aus der Arbeits-migration erwachsenden Vorteilen steht auf der anderen Seite der Verlust qualifizierter Arbeitskräfte gegenüber (siehe Kapitel 5. 2).

9. Migrationspolitik der EU 9.1 Entwicklung der EU-

Migrationspolitik

Durch den am 1. Mai 1999 in Kraft getretenen Amsterdamer Vertrag sind wesentliche Teile der Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik der EU-Staaten in die Zuständigkeit der EU-Staaten übergegangen (vgl. Art. 62, 63 EGV). Zur Umsetzung dieser Gemeinschaftskompe-tenz haben sich die Staats- und Regierungs-chefs beim Europäischen Rat von Tampere am 15. Oktober 1999 auf die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Asyl- und Migrati-onspolitik verständigt. Ziel ist eine Intensivie-rung der Zusammenarbeit der EU mit den Herkunftsstaaten in Migrationsfragen, unter anderem durch eine Verbesserung des Infor-mationsaustausches und den Abschluss von Rückübernahmeabkommen. Der Europäische Rat erklärte, dass zu einer kohärenten Asyl- und Migrationspolitik vor allem die Minderung bzw. Beseitigung von Fluchtursachen, eine aktive Menschenrechts-politik, Konfliktprävention, wirtschaftliche und entwicklungspolitische Zusammenarbeit sowie die Förderung von demokratischen Strukturen in den Herkunftsländern gehören. Zu diesem Zweck soll ein integraler Ansatz verfolgt werden, der außen-, außenwirtschafts-, entwicklungs-, sozial- und innenpolitische Maßnahmen umfasst. Die gerechte Behand-lung von Drittstaatsangehörigen, die sich

rechtmäßig in einem EU-Land aufhalten, soll sichergestellt und eine intensive Integrations-politik betrieben werden. Die europäische Asyl- und Migrationspolitik soll damit umfas-send sein und alle Aspekte der Migration ab-decken. Ziel eines gemeinsamen europäischen Asylsystems soll die uneingeschränkte Anwen-dung der Regeln der Genfer Flüchtlingskon-vention sein. Der Europäische Rat von Brüssel vom Oktober 2003 bestätigte, dass der Frage der Migration höchste politische Priorität zu-kommt und unterstrich, dass Ausgewogenheit zwischen der dringend notwendigen Bekämp-fung von illegaler Einwanderung und Men-schenhandel und der Politik zur Aufnahme und Integration legaler Zuwanderer herzustel-len sei. Betont wurde auch die Wichtigkeit von Maßnahmen zur Entwicklung einer gemein-samen Rückübernahmepolitik und des Ab-schlusses von Rücknahmeübereinkommen. 9.2 Beziehungen der EU zu

Nordafrika

Die EU unterhält besondere wirtschaftliche und politische Beziehungen zu den Staaten Nordafrikas. 1995 wurde die Euro-Mediter-rane Partnerschaft gegründet und im Vertrag von Barcelona festgeschrieben. Ziele der Part-nerschaft sind die Gründung einer euro-me-

Page 26: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

27

diterranen Freihandelszone für industrielle Güter und Dienstleistungen bis zum Jahr 2010 sowie verstärkte Zusammenarbeit im sicher-heitspolitischen und kulturellen Bereich. Der Vertrag von Barcelona sieht die Bildung von bilateralen und multilateralen Assoziationsab-kommen der Vertragspartner in diesen drei Politikbereichen vor. Das Abkommen bildet auch den rechtlichen Rahmen für eine gemeinsame Erörterung von Fragen der Migration und eine Kooperation auf dem Gebiet der illegalen Migration. Das im März 2000 in Kraft getretene Assoziati-onsabkommen zwischen der EU und Ma-rokko sieht ausdrücklich einen ständigen Di-alog über Fragen der illegalen Migration und die Zusammenarbeit zur Reduzierung des Mi-grationsdrucks vor. Den rechtlichen Rahmen für die Erörterung von Migrationsbelangen zwischen der EU und Tunesien bildet ein im Dezember 1997 in Kraft getretenes Assoziationsabkommen. Die „Arbeitsgruppe zu Sozialen Angele-genheiten“ wurde im April 2001 eingesetzt und bildet den institutionellen Rahmen für den Dialog, der sich bislang in erster Linie auf Fra-gen der Rechte und einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen legaler Mig-ranten in den Vertragsstaaten bezog. Einen weiteren Rahmen für die Zusammenar-beit in Bezug auf Migration bildet das Koope-rationsabkommen von Cotonou. Es wurde im Jahr 2000 zwischen der EU und der Staaten-gruppe Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP) geschlossen. Darin verpflichten sich die AKP-Staaten zur Rücknahme ihrer Staatsan-gehörigen, die sich illegal in der EU aufhalten. Das Abkommen sieht außerdem vor, dass auf Forderung einer Vertragspartei bilaterale Ver-handlungen über Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und einzelnen AKP-Staaten aufgenommen werden müssen. Zwischen Marokko und der EU wurden seit 2002 informelle Verhandlungen über ein Rückführungsübereinkommen geführt und im Jahr 2003 wurden die förmlichen Ver-handlungen aufgenommen. Marokko zeigte sich jedoch bislang unter dem Hinweis darauf, dass es dem Land an Kapazitäten fehle, neben der Rücknahme eigener Bürger und der Be-

kämpfung der illegalen Migration an den Bin-nengrenzen und der Küste auch illegale Tran-sitmigranten zurückzunehmen, zurückhaltend. Im Verhältnis zu Tunesien ist die Kommis-sion bislang nicht mit einem Mandat zu Ver-handlungen über ein Rückführungsabkommen ausgestattet. Tunesien hat im Jahr 1998 ein bilaterales Rückübernahmeabkommen mit Italien geschlossen. Die italienische Regierung sicherte begleitend ein Programm zu, das Ma-terialausstattung und Ausbildungskurse für die tunesischen Polizeikräfte zur besseren Kon-trolle der Küste vorsieht. Alle nordafrikanischen Länder sind der UN-Konvention von Palermo gegen die grenz-überschreitende organisierte Kriminalität bei-getreten, die am 29. September 2003 in Kraft trat. Ägypten und Libyen haben die Konven-tion noch nicht ratifiziert. Marokko hat als einziges Land der Region neben Ägypten die beiden Zusatzprotokolle nicht unterzeichnet, von denen eines gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg gerichtet ist. Tunesien ist das einzige Land, das bereits sowohl die Konvention als auch die Zusatzprotokolle unterzeichnet und ratifiziert hat. Die Regierungen Marokkos und Tunesiens haben die Sorge geäußert, dass Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Migration auch Auswirkungen auf ihre rechtmäßig in der EU lebenden Staatsangehörigen haben könnten. Im Hinblick auf die legale Migration verab-schiedete der Rat im Jahr 2003 die Richtlinie zur Familienzusammenführung sowie die Richtlinie betreffend den Status der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehöri-gen. Hierbei handelt es sich um die ersten Richtlinien, welche die Rechte der legalen Mig-ranten in den Mitgliedstaaten harmonisieren. Weitere Richtlinienvorschläge der Kommis-sion bzw. des Rates betreffen die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Aufnahme ei-nes Studiums oder einer Berufsausbildung, die Einreise und den Aufenthalt zur Ausübung ei-ner Erwerbstätigkeit, die Einreise und Aufent-halt von Forschern aus Drittstaaten sowie Mindestnormen zum Verfahren in den Mit-gliedstaaten zur Anerkennung oder Aberken-nung des Flüchtlingsstatus.

Page 27: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

28

9.3 Länderbeispiele für Migration: Marokko, Tunesien und Libyen

Im Folgenden wird näher auf die Situation der Maghrebstaaten Marokko, Tunesien und Li-byen eingegangen. Damit soll beispielhaft die Bedeutung von Migration für die Region ver-deutlicht werden. Darüber hinaus werden die Probleme und Auswirkungen der verschiede-nen Arten von Migration speziell für diese drei Länder aufgezeigt. 9.3.1 Marokko

2001 lebten schätzungsweise 2,5 Millionen Marokkaner, fast zehn Prozent der marok-kanischen Bevölkerung, im Ausland, vor-nehmlich in den Staaten der Europäischen Union. Seit den späten 1980er Jahren sind auch Kanada, die USA, die Staaten der Golf-region, Algerien und Libyen Zielländer der Emigration aus Marokko. Laut Angaben der EU-Botschaften (Bericht der Heads of Mission vom Dezember 2002) le-ben 80 Prozent der nach Europa immigrierten Marokkaner legal in Europa, die Mehrzahl in Frankreich. Nach Angaben der OECD hatten im Jahr 1999 504.000 Marokkaner ihren recht-mäßigen Aufenthalt in Frankreich, 106.800 in Belgien, 111.400 in den Niederlanden, 199.800 in Spanien und 159.600 in Italien. Zwischen 1995 und 1999 erlangten in Frank-reich ca. 80.000, in den Niederlanden rund 65.000 und in Belgien rund 50.000 Marokka-ner die Staatsangehörigkeit ihres Aufenthalts-landes.19 Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) gibt an, dass sich in Deutschland im Jahr 2002 knapp 80.000 Marokkaner legal aufhielten. Marokkaner bilden die größte Gruppe afri-kanischer Studenten an deutschen Hoch-schulen. Im Wintersemester 1999/2000 ka-men nach Quellen des Statistischen Bundes-amts 4.600 der insgesamt 113.000 ausländi-schen Studenten, die ihre Hochschulzugangs-berechtigung im Ausland erworben hatten, aus Marokko. Marokko gehörte damit nach Polen, China, Frankreich, der Russischen Föderation und der Türkei zu den häufigsten Herkunfts-

19 Siehe OECD, International Migration 2002.

ländern ausländischer Studenten mit ausländi-scher Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland. Marokko ist zugleich eines der Haupther-kunfts- und Transitländer illegaler Immig-ranten aus Afrika in Europa. Der erste Mig-rantenstrom aus Marokko hatte seine Grund-lage in bilateralen Arbeitsübereinkommen, so dass die illegale Migration in Frankreich, Deutschland, Belgien und den Niederlanden erst eine relativ junge Erscheinung ist. Anders ist die Situation in Spanien und Italien: Hier vollzog sich die erst seit den 1980er Jahren zu verzeichnende Zuwanderung bereits von ih-rem Beginn an meist auf illegale Weise. Der Bericht der Heads of Mission vom Dezember 2002 gibt folgende, im Vergleich zu den OECD-Statistiken wesentlich höhere Zahlen für in den EU-Staaten lebende Marokkaner an: Frankreich (900.000), Belgien (400.000), Nie-derlande (300.000), Spanien (250.000), Italien (180.000) und Deutschland (105.000). Nachdem in Marokko seit Mitte der 1990er Jahre das Phänomen heimlich einreisender Af-rikaner aus der Subsahara-Region auftrat, ist im Land eine steigende Zahl von ausländi-schen Migranten, die auf eine Gelegenheit zur illegalen Weiterwanderung nach Europa hof-fen, festzustellen. Die Zahl der aus Marokko kommenden ille-galen Zuwanderer in die EU wird derzeit auf mehrere 10.000 jährlich geschätzt. Weiter wird angenommen, dass zwischen 1997 und 2001 über 4.000 Menschen beim Versuch, von Marokko aus über den Seeweg nach Europa zu gelangen, den Tod fanden. Laut offizieller Statistiken des marokkanischen Staates wurden im Jahr 2000 24.400 illegale Migranten, die nach Europa strebten, festgenommen. Im Jahr 2001 waren es 26.400 und allein im ersten Quartal 2002 fast 13.300. Die Zahl marokka-nischer Staatsangehöriger, die auf illegale Weise nach Europa zu gelangen versuchten, belief sich demnach auf 9.400 im Jahr 2000, auf 13.300 im Jahr 2001 und im ersten Quartal 2002 auf 6.300. Die Zahl der sonstigen illegalen Einwan-derer ist nicht nach Nationalitäten aufge-schlüsselt. Nach Angaben der marokkanischen Behörden setzen sich diese jedoch hauptsäch-lich aus Afrikanern aus Subsahara-Staaten und

Page 28: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

29

Algeriern zusammen. Als Hauptherkunftslän-der gelten Sierra Leone, Mali, Senegal, Niger und Nigeria. Nach einer starken Zunahme in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre nahm die Zahl der Algerier unter den Festgenommenen wieder ab. So wurden im ersten Quartal 2002 nur 298 Algerier von den marokkanischen Be-hörden aufgegriffen; die Grenze zwischen Ma-rokko und Algerien ist seit 1994 geschlossen. Die Transitrouten aus der Subsahara verlaufen seitdem über Niger, Mali und Algerien. Von Marokko aus führen die Hauptwege in die Europäische Union über die Meerenge bei Gibraltar und die Kanarischen Inseln. Die Migranten verstecken sich auf Fähren, Booten oder Transportschiffen oder legen gefälschte Papiere vor. Die Zahl der an den Ufern der Kanarischen Inseln festgenommen illegalen Migranten hat sich 2002 mit über 9.000 (zwi-schen Januar und Oktober) gegenüber dem Vorjahr fast verdreifacht, während die Zahl der Festnahmen an der Meerenge mit 8.300 fast um die Hälfte zurückging. Ursache für diese Änderung der Transitrouten ist die schärfere Überwachung der iberischen Küsten sowie des Mittelmeerraums insgesamt. Spa-nien, Portugal, Frankreich und Italien haben sich Anfang des 2003 auf eine gemeinsame Grenzpatrouille verständigt und z. B. mit der „Operation Odysseus“ versucht, dem Men-schenschmuggel Einhalt zu gebieten. Zudem ist der Weg über die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla regelrecht versperrt, nach-dem diese vor drei Jahren mittels eines Zaunes von Marokko abgetrennt wurden. Aus Sicht der europäischen Staaten erweist es sich bei der Bekämpfung illegaler Immigration aus Marokko als problematisch, dass die Bür-ger einer Vielzahl afrikanischer Staaten bei der Einreise nach Marokko keiner Visumspflicht unterliegen. Insgesamt sind 51 Staaten von der Visumspflicht befreit. Zu diesen gehören auch Subsahara-Staaten, die Herkunftsländer illega-ler Immigranten sind, so Kongo, Elfenbein-küste, Guinea, Mali, Niger und der Senegal. Momentan sind auf Seiten der marokkani-schen Regierung keine Anzeichen für eine Änderung der Visumspolitik gegenüber den Subsahara-Staaten zu erkennen. Aufgrund der wachsenden Zahl illegal in Marokko lebender Immigranten aus der Subsahara könnte sich die Regierung Marokkos jedoch mittelfristig

veranlasst sehen, ihre Politik zu überdenken. Rückführungsabkommen zwischen Marokko und den Subsahara-Staaten bestehen ebenfalls nicht. Marokko hat 2003 die illegale Migration betreffende Gesetze verabschiedet, die u. a. höhere Strafen für Schlepper und illegale Migranten vorsehen. Bemühungen zur Sensi-bilisierung der Öffentlichkeit für die mit der illegalen Migration verbundenen Gefahren sind nach dem Bericht der EU-Botschaften von Januar 2003 allerdings noch nicht in aus-reichendem Maß zu erkennen. Für den Zeitraum 2002 bis 2004 wurden im Rahmen des MEDA-Programms der EU 115 Millionen Euro zur Zusammenarbeit mit Ma-rokko auf dem Gebiet der Migration zur Ver-fügung gestellt. Die Mittel verteilen sich auf drei Programme: Ausrichtung der legalen Mig-ration am Bedarf der EU und Unterstützung der Institutionen im Bereich freier Personen-verkehr, Unterstützung der marokkanischen Behörden bei der Bekämpfung der illegalen Migration und Entwicklung des Nordens Ma-rokkos. Im Rahmen des Programms „Bekämpfung der illegalen Migration“ führten Experten der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten im Juli 2002 eine Mission nach Marokko durch, um die Maßnahmen der marokkani-schen Behörden zur Bekämpfung der illegalen Migration zu bewerten. Die Mission stellte fest, dass die marokkanischen Behörden be-achtliche Anstrengungen unternähmen, um die illegale Migration zu unterbinden, ihnen aber nur begrenzte Mittel zur Verfügung stünden. Eine weitere Mission erfolgte im Sommer 2003. Die marokkanische Delegation hat im Rahmen der Sitzung der „Arbeitsgruppe Soziale An-gelegenheiten und Migration“ im Septem-ber 2003 den dringenden Wunsch nach inten-siverer finanzieller und technischer Zusam-menarbeit mit der EU geäußert. Sie verwies auf die hohen Zahlen der Transitmigranten und die begrenzten Kapazitäten bei der Über-wachung. Zudem werde die Vorstellung der Migranten, dass es in den Staaten der EU Ar-beitsmöglichkeiten gebe, durch die Realität be-stätigt.

Page 29: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

30

Die Rücküberweisungen von 1,9 Milliarden US-Dollar marokkanischer Emigranten im Jahr 1999 entsprachen einem Anteil von 5,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Geogra-phisch kamen die Rücküberweisungen dabei zu 49 Prozent aus Frankreich und zu zwölf Prozent aus Italien sowie aus den Niederlan-den und Belgien gefolgt von Großbritannien, Deutschland, den USA und Spanien. Die Höhe der Rücktransfers lag damit erheblich über der Höhe der ODA, die im Jahr 2000 nur einen Anteil von 1,3 Prozent des BIP ausmachte. Auch Ägypten hat eine hohe Rücküberweisungsquote von 4,2 Prozent des BIP. 9.3.2 Tunesien

Ungefähr acht Prozent der tunesischen Staats-bürger leben im Ausland. Von ihnen leben 84,5 Prozent in Europa (ungefähr 590.000 Menschen), 13 Prozent in anderen Maghreb- bzw. arabischen Staaten (über 91.000) und 2,5 Prozent in den USA und Kanada (insgesamt mehr als 16.000). Der größte Teil der tunesi-schen Bevölkerung innerhalb Europas findet sich in Frankreich (65 Prozent) gefolgt von Italien, Deutschland und Belgien. (Angaben der IOM für das Jahr 2002, siehe „World Mig-ration 2003“). Nach Angaben des BAFl lebten im Jahr 2002 24.200 Tunesier legal in Deutschland. Während es sich bei den Emigranten anfäng-lich um männliche Arbeitsmigranten handelte, machen inzwischen infolge von gesetzlichen Regeln zur Familienzusammenführung und Geburten im Ausland minderjährige Kinder und Frauen jeweils 25 bzw. 23 Prozent der Migranten aus. Die Anzahl der tunesischen Wissenschaftler und Forscher im Ausland ist ebenfalls deutlich gestiegen. Eine kürzlich ein-gerichtete Datei zur Erfassung dieser Gruppe weist 4.800 Personen auf. Der tunesische Staat betreibt eine sehr aktive Politik in Bezug auf die tunesischen Zuwande-rer in Europa. Die tunesische Regierung ar-beitet eng mit den Aufnahmeländern zusam-men, um die Rechte der Emigranten zu si-chern und ihre Lebens- und Aufenthaltsbedin-gungen zu verbessern. Hierbei verfolgt die tu-nesische Regierung auch die Ziele, die kultu-relle Identität der Migranten zu bewahren und

ihre Bindungen zur Heimat zu festigen sowie ihre Teilhabe an der nationalen Entwicklung zu fördern. Im Jahr 1988 wurde eine eigene Behörde für Tunesier im Ausland unter der Aufsicht des Sozialministeriums gegründet. Diese unterhält 17 Niederlassungen in wichti-gen Immigrationsregionen im Ausland und entsendet Sozialberater und Sozialarbeiter in die Aufnahmeländer. Besondere Aufmerk-samkeit wird hierbei der zweiten und dritten Generation der Migranten gewidmet, z. B. durch Schaffung von Foren „Espaces Femme et Deuxième Génération“ in 16 europäischen und US-amerikanischen Städten mit den größten Zahlen tunesischer Immigranten. Das Ministerium für Berufsbildung und die tunesische Behörde für technische Zusam-menarbeit spielen eine wichtige Rolle bei der Steuerung von Migrationsströmen tunesischer Arbeitskräfte. Eine neue Migrationspolitik soll den Zugang zu und die soziale und berufliche Eingliederung in den Aufnahmestaaten er-leichtern. Es wurde eine Datenbank mit den Profilen von über 5.000 Tunesiern angelegt, die als Kandidaten der Arbeitsmigration in Frage kommen. Italien hat im Jahr 1998 Quotenregelungen für die Aufnahme tunesischer Arbeitskräfte einge-führt. Im Jahr 1998 schlossen Italien und Tu-nesien ein bilaterales Kooperationsabkommen über temporäre Arbeitsmigration, das eben-falls Quotenregelungen sowie Regeln über die Arbeitsbedingungen tunesischer Arbeitnehmer vorsieht. Nach Angaben der Weltbank beliefen sich die Rücküberweisungen tunesischer Migranten im Jahr 1999 auf 761 Millionen US-Dollar. Diese Zahl entsprach einem Anteil am Brut-toinlandsprodukt von 3,8 Prozent. Die Summe der Rücküberweisungen war damit signifikant höher als die Summe der ODA-Leistun-gen. Tunesien ist einer der Hauptursprungsstaa-ten für illegale Migration aus Afrika. Der Migrationsfluss aus Tunesien über Italien in die EU beläuft sich nach Angaben des HoM’s-Berichts vom Januar 2003 auf ca. 12.000 Per-sonen pro Jahr. Nach tunesischen Medienbe-richten sollen allein im Juni 2003 3.000 illegale Migranten nach Italien gelangt sein. Eine Viel-zahl von Schiffsunglücken und Festnahmen

Page 30: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

31

vor der tunesischen Küste im Jahr 2003 un-terstreichen, dass die illegale Migration von Nordafrika über den Seeweg nach Europa ei-nen neuen Höhepunkt erreicht hat. Die meis-ten Fluchtversuche werden von den Regionen Sfax, Mahdia, Bizerte, Tunis/La Goulette und von Cap Bon aus unternommen, die den ita-lienischen Inseln Pantelleria, Lampedusa und Sizilien am nächsten liegen. Die Transitstel-len ziehen sich somit die gesamte obere Ost-küste Tunesiens entlang. Tunesien ist selbst zu einem erheblichen Teil Ursprungsland des Migrationsstroms. Die Ar-beitslosenquote liegt weiterhin bei über 20 Prozent, bei Jugendlichen und jungen Erwach-senen noch erheblich höher. Aufgrund anhal-tender Einbrüche beim Tourismus, eines sin-kenden Zuwachses des BIP und der Stagna-tion bei Auslandsinvestitionen hat sich die wirtschaftliche Situation des Landes ver-schlechtert, wenngleich sie immer noch als stabil zu bezeichnen ist. Vor diesem Hinter-grund versuchen junge Tunesier vermehrt, nach Europa zu gelangen. Nach einer offiziel-len Umfrage der Zeitschrift „Jeune Afrique L‘Intelligent“ aus dem Jahr 2003 haben 41,4 Prozent der jungen Tunesier den Wunsch, auszuwandern. Hauptmotiv sind wirtschaftli-che Gründe und der Wunsch nach einer Ver-besserung der Lebensqualität. Neben maghrebinischen Auswanderern befin-det sich unter den illegalen Migranten eine ständig steigende Zahl von Schwarzafrikanern, hauptsächlich aus Mali, Niger, Liberia und der Elfenbeinküste. Zielpunkt der Routen durch die Sahara ist z. B. der libysche Wüstenort Nalut an der Grenze zu Tunesien, von dem aus entweder der libysche Hafen Zouara oder ein tunesischer Hafen angestrebt wird. Bei den Schleppern handelt es sich überwie-gend um Tunesier, die für den Boottransport zwischen 550 und 830 Euro verlangen. Neben Transport- und Fischereischiffen werden ver-mehrt Schlauch- und Schnellboote eingesetzt. Nach italienischen Angaben wurden allein zwischen Januar und September 2002 rund 550 Schlepper festgenommen. Es werden jedoch auch andere Wege gewählt, um nach Europa zu gelangen. Im Februar 2003 legten rund 70 Tunesier in der Deut-schen Botschaft gefälschte Einladungen zur

Einreise nach Deutschland mit Flugticket und Arbeitsplatzbescheinigung vor, die sie auf ei-ner Messe in Sfax für rund 800 Euro erworben hatten. Andere Tunesier versuchten, in Con-tainern deutscher LKW-Transportfirmen ver-steckt die Europäische Union zu erreichen. Die tunesische Regierung unternimmt erhebli-che Anstrengungen, um den illegalen Wande-rungsbewegungen Einhalt zu gebieten. Die 1.300 Kilometer lange Mittelmeerküste und die langen Binnengrenzen zu den Nachbar-staaten stellen die Sicherheitsbehörden jedoch vor erhebliche Überwachungsprobleme. Im Juni 2003 beschäftigte sich der tunesische Mi-nisterrat mit der Problematik der illegalen Mig-ration und erörterte noch intensivere Maß-nahmen zur Bekämpfung des Phänomens. Die staatlich gelenkten Medien warnen immer wieder vor den Todesschiffen und den Gefah-ren für Leib und Leben bei illegalen Migrati-onsversuchen. Im Mai 2003 veranstaltete auch die Tunesische Menschenrechtsliga ein inter-nationales Kolloquium zur „Migrationspolitik im Mittelmeerraum“. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der EU zeigt sich die tunesische Regierung kooperativ und stimmt mit der EU darin über-ein, dass die illegale Migration zu bekämpfen ist. Den Rahmen für eine Kooperation zwi-schen der EU und Tunesien bildet das Assozi-ationsabkommen. Das im Rahmen des MEDA-Programms für 2003 geplante Projekt zu Good Governance beinhaltet eine Kompo-nente zur Migration. Bislang ist die Zusam-menarbeit aber eher noch punktuell. 9.3.3 Libyen

Auch Libyen ist im Verlauf der letzten Jahre zu einer der Hauptquellen der illegalen Migrantenströme aus Afrika in die EU ge-worden. Jüngster trauriger Beleg für diese An-nahme ist das Schiffsunglück, das sich am 21. Oktober 2003 vor der italienischen Insel Lam-pedusa ereignete und bei dem mindestens 63 Migranten zu Tode kamen. Die Mehrheit der illegalen Einwanderer kommt aus Drittstaaten, die Libyen als Transitland benutzen. Libyen ist bevorzugtes Transitland aufgrund seiner geo-graphischen Nähe zu Italien, des Fehlens einer effizienten Überwachung der 1.800 Kilometer langen Mittelmeerküste und der kaum vorhan-

Page 31: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

32

denen Restriktionen für Afrikaner, nach Li-byen einzureisen. Es gibt derzeit noch keine verlässlichen In-formationen über die Zahl der illegal von Li-byen nach Europa gelangenden Migranten. Schätzungen zufolge beläuft sie sich auf über 10.000 Menschen jährlich. Die Zahl der jähr-lich in Libyen eintreffenden Migranten wird laut Bericht der EU-Botschaften vom Januar 2003 auf 75-100.000 geschätzt. Viele von ih-nen kommen aus den südlichen Nachbarstaa-ten und Subsahara-Staaten. Nach offiziellen li-byschen Angaben leben 1,5 Millionen Men-schen aus der Subsahara illegal in Libyen, eine Zahl die infolge Ghaddafis Politik der „offe-nen Grenze für Afrikaner“ weiter ansteigt. Die Mehrzahl der Migranten sieht Libyen nicht als endgültiges Zielland an. Ein für Libyen neues Phänomen stellen Migranten aus Asien (Pa-kistan, Bangladesh, Indien) dar, die per Perso-nenflug in den Tschad oder nach Niger gelan-gen und von dort durch libysches Gebiet zur Küste gebracht werden. Von der Südgrenze des Landes führen nur wenige Straßen zur Küste. Nach libyschen Angaben werden die il-legalen Netzwerke für Menschenschmuggel zu 70 Prozent von Nicht-Libyern, vor allem Ägyptern, betrieben. Laut EU-Botschafterbe-richt halten sich Gerüchte, nach denen Men-schenschmuggler von libyscher Seite („Libyan armed services“) geschützt werden. Die Zahl der libyschen Bürger, welche die EU als Asylsuchende oder illegale Migranten be-treten, ist gering, aber mit ansteigender Ten-denz. Während die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland, Großbritannien und den Nie-derlanden etwas zurückgegangen ist, ist sie in Schweden angestiegen (insgesamt 500 bis 600). Obwohl die soziale und wirtschaftliche Si-cherheit in Libyen höher ist als in anderen Ländern der Region, sieht ein wachsender Teil der männlichen Bevölkerung im Alter zwi-schen 20 und 35 Jahren im eigenen Land keine ausreichenden Zukunftsperspektiven mehr. Probleme bei der Rückführung illegaler liby-scher Immigranten aus EU-Staaten sind nach Angaben des EU-Botschafterberichts vom Ja-nuar 2003 nicht bekannt. Libysche Behörden gewähren dagegen generell keinen Einlass für Drittstaatler, die illegal von Libyen nach Eu-ropa eingereist sind.

Angesichts der geographischen Nähe Libyens zu Europa und seiner Eigenschaft als „Sprungbrett“ für afrikanische Migranten be-steht seitens der EU ein starkes Bedürfnis nach intensiver Zusammenarbeit mit Libyen. Problematisch ist, dass es gegenwärtig keinen institutionellen Rahmen für eine Zusammen-arbeit mit Libyen gibt. Libyen ist das einzige südliche Nachbarland der EU, das kein Asso-ziationsabkommen geschlossen oder zumin-dest ein Migrationsprogramm beschlossen hat. Während langfristiges Ziel der Politik der EU gegenüber Libyen der uneingeschränkte Bei-tritt Libyens zum Barcelona-Prozess ist, ist für die EU kurzfristig zunächst eine Zusammen-arbeit zur Bekämpfung illegaler Einwanderung von höchstem Interesse. Im Auftrag des Rates wurde daher im Mai 2003 eine Sondierungsmission nach Libyen entsandt, um die Bereitschaft zur Kooperation mit der EU zu prüfen und Möglichkeiten für die konkrete Zusammenarbeit zu sondieren. Die libyschen Behörden äußerten deutliches Interesse an einer Zusammenarbeit und legten eine Liste mit Möglichkeiten für ein konkretes Vorgehen vor. Der Rat beschloss daraufhin im Juni 2003, eine von der Kommission geleitete Expertenmission nach Libyen zu entsenden. Hauptziele der Mission sollten der Erwerb gründlicher Kenntnisse über die Migrations-problematik in Libyen (Zusammensetzung der Migranten, Untersuchung der Hauptursachen der Zuwanderung, Feststellung der wichtigsten Herkunfts-, Transit- und Zielländer, Beschrei-bung der Reiserouten, Feststellung der rele-vanten nationalen Rechtsnormen etc.) und die Ermittlung konkreter Maßnahmen zur Verbes-serung der Fähigkeit Libyens, gegen illegale Einwanderung vorzugehen, sein. Der Rat unterstrich in seinem Missionsauftrag, dass die EU und Libyen die Auffassung teil-ten, dass die dramatische sozio-ökonomische Lage in den Ländern südlich der Sahara, die dortige Situation bezüglich Armut und Aus-grenzung und die mangelnde Achtung der grundlegenden Menschenrechte Ursachen der illegalen Einwanderung sind. Die langfristige Zielsetzung, diese Ursachen zu bekämpfen, dürfe nicht vergessen werden, während kurz- und mittelfristige Schritte erfolgen. Der EU-Botschafterbericht vom Januar 2003 weist dar-

Page 32: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

33

auf hin, dass Libyen zwar ein Bedürfnis nach Kapazitätenbildung bei der Migrationsbe-kämpfung und insbesondere bei Grenzkon-trollen anerkenne, dies jedoch u. a. mit der Forderung nach Aufhebung des Waffenem-bargos zu verknüpfen versuche, welches den Kauf von Helikoptern und anderen Mitteln zur Überwachung der Grenze verhindere. Die libysche Regierung hat realisiert, dass es sich bei dem Thema Migration um ein Thema von

hoher Sensibilität und Bedeutung für die EU handelt, und versucht, hieraus Nutzen zu zie-hen. In Anbetracht der Dimension des Prob-lems sollte dies dem Bericht des EU-Bot-schafter zufolge die EU jedoch nicht davon abhalten, eine Form der Zusammenarbeit mit Libyen zu suchen. Tatsächlich ebbte der Strom illegaler Migranten im Juni 2003 infolge ver-schärfter Überwachung der Küste durch die libyschen Behörden bedeutend ab.

10. Schlussbetrachtung Die regelmäßigen Schiffsunglücke vor der tu-nesischen und italienischen Küste, die Vielzahl aufgegriffener Schleuserboote und die u. a. von den marokkanischen Behörden übermit-telten Zahlen der Festnahmen illegaler Migran-ten zeigen deutlich, dass der Migrationsdruck sowohl aus den Maghrebstaaten als auch aus den Subsahara-Staaten enorme Ausmaße ange-nommen hat. Für viele Menschen in Afrika stellt sich die Europäische Union als „Schlaraf-fenland und Boden zur Erfüllung der Träume“ dar, was ansatzweise zu erklären vermag, wa-rum die Migranten auch trotz eindringlichen Warnungen und immer neuen Katastrophen-meldungen die gefährliche Reise über das Mittelmeer antreten. Diese Einschätzung äu-ßerte auch der marokkanische Delegationschef bei der „Arbeitsgruppe Soziale Angelegenhei-ten und Migration“ im September 2003 in Brüssel, demzufolge die EU ein überaus att-raktives Feld für die illegalen Migranten dar-stelle. Sie seien überzeugt, dass es in der EU Arbeit gäbe, und die Realität gebe ihnen Recht. Auswanderung hat aber keineswegs nur posi-tive Aspekte wie den Gewinn von Arbeits-kräften in den Staaten der EU und ein hohes Volumen an Rücküberweisungen nach Afrika. Tatsächlich finden gerade viele junge Maghre-biner in den Zielländern der EU keine Arbeit. Es bilden sich zum Beispiel in den Vororten von Paris Ghettos nordafrikanischer Migran-ten heraus, in denen 90 Prozent Jugendar-beitslosigkeit herrschen. Die marokkanische Delegation konstatierte im Rahmen der Ar-beitsgruppensitzung in Brüssel, dass die Integ-ration der zweiten und dritten Generation in Frankreich gescheitert sei. Während einerseits

arbeitslose Jugendliche oder Jugendliche aus sehr einfachen Verhältnissen ihr Land - viel-fach auf unerlaubtem Wege - verlassen wollen, sind es andererseits oft besser ausgebildete oder in einem Arbeitsverhältnis stehende Men-schen, die emigrieren, um eine relative Verbes-serung ihrer Lebensumstände zu erreichen. Die Migration qualifizierter Fachkräfte kann als wichtiges Ventil gegen Arbeitslosigkeit die-nen. Gleichzeitig kann sie aber auch zu „brain drain“ führen und den Druck auf die Regie-rungen der Herkunftsländer verringern, not-wendige strukturelle Maßnahmen zur Verbes-serung der Arbeitsmöglichkeiten und der all-gemeinen Lebensbedingungen zu treffen. Gleichermaßen sind im Hinblick auf internati-onale Migration qualifizierter Fachkräfte diese Nachteile und Gefahren wie aber auch die Chancen durch „brain circulation“ und „brain gain“ zu berücksichtigen (vgl. oben 5. 4). Ziel der deutschen Entwicklungspolitik ist es in jedem Fall, Flucht- und andere Migrations-ursachen zu bekämpfen und dazu beizutragen, dass in Entwicklungsländern stabile Lebens-verhältnisse geschaffen werden, die den Men-schen den Verbleib im Heimatland ermögli-chen. Langfristiges Ziel der Entwicklungszu-sammenarbeit muss es daher sein, durch einen globalen Ansatz die politische, ökonomische und ökologische Situation sowie den Bildungs-sektor nachhaltig so zu verbessern und zu sta-bilisieren, dass die Anreize aus europäischen Staaten an Gewicht und Bedeutung verlieren.

Page 33: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

34

11. Literatur Akyeampong, Emmanuel: Africans in the Di-aspora, in: African Affairs, 99 (4/2000) 395, S. 183-215. Angenendt, Steffen (Hrsg.): Migration und Flucht, Bundeszentrale für politische Bildung, 1997. Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge: Migration und Asyl in Zahlen, 2003. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung - Afrika I, 1999. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung - Inter-nationale Beziehungen II, 2002. Cowan/Louw, Karin (IOM): Migration for Development in Africa. Deutsche Bundesregierung: Migrationsbericht der Ausländerbeauftragten 2001. Elwert, Georg: Unternehmerische Illegale. Ziele und Organisationen eines unterschätzten Typs illegaler Einwanderer, IMIS-Beiträge 19/ 2002. European Council on Refugees and Exiles: Country Report 2002. Global IDP Project: http://www.idpproject.org/index.htm Hatton, Timothy: Demographic and economic pressure on emigration out of Africa, 2001. Hunger, Uwe: Vom „Brain Drain“ zum „Brain Gain“. IMIS-Beiträge 16/2000. International Labor Office: Trafficking in Hu-man Beings. New approaches to combat the problem, 2003. International Organization for Migration (Hrsg.): World Migration 2003.

Jacobsen, Karen: Can refugees benefit the state? In: Journal of Modern African Studies, 40/4 (12/2002), S. 577-596. Jeune Afrique L’Intelligent: Ausgabe vom 16.3.2003. Jürgens, Ulrich: Flüchtlinge in Afrika, in: Pra-xis Geographie, 2/2002, S. 21. Koller, Michaela (Hrsg.): Migration aus Nord-afrika, 2000. OECD (Hrsg.): Trends in International Mig-ration, 2002. OECD: Trends in International Migration: SOPEMI 2003 Edition. Ogata: Migration und Flucht. Richter, Roland: Subsaharisches Afrika, in: Der globale Marsch, hrsg. von Peter Opitz, 1997. Plate Christoph, Sommer, Theo (Hrsg.): Der bunte Kontinent, Ein neuer Blick auf Afrika, 2001. Sintenis, Monique: Nordafrika, in: Der globale Marsch, hrsg. von Peter Opitz, 1997. Tetzlaff, Rainer: Fluchtbewegungen in Afrika, in: Menschen auf der Flucht, hrsg. von Hut-ter/Mihr/Tessmer, 1999. UNHCR: Voluntary Repatriation in West Africa, 2004. UNHCR: Zeitschrift „Flüchtlinge“, Ausgabe 2/2003. UNHCR: Zur Lage der Flüchtlinge in der Welt, UNHCR-Report 1997-1998. UNFPA: Weltbevölkerungsbericht 1993, 1999, 2001. U.S. Comittee for Refugees: World Refugee Survey 2003.

Page 34: Deckblatt 118 Migration in und aus Afrika · 2 324 Herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Referat: „Entwicklungspolitische Informations-

35

Wöhlcke, Manfred: Umweltflüchtlinge, 1992. Woycke, Wichard (Hrsg.): Handwörterbuch Internationale Politik, Bundeszentrale für Po-litische Bildung, Bonn 2000.

Weitere Dokumente des Statistischen Bundes-amts, der Kommission, Migrationsberichte der Heads of Mission aus Libyen, Marokko und Tunesien, Bericht der Deutschen Botschaft Tunis vom 9.7.2003 u. a.