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DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de VON HANS GASSER S anfter Tourismus? Markus Kofler reagiert etwas gereizt. „Das wollen wir hier nicht.“ Es sei ein „tolles Schlagwort“, aber in den meisten Fällen bedeute es, dass dann „überhaupt nichts mehr los“ sei. Kofler ist Geschäfts- führer von Alpbachtal Seenland Touris- mus und als solcher heilfroh, dass im De- zember eine neue Seilbahn das Skigebiet Alpbachtal mit jenem der Wildschönau ver- bindet. Mit dann 145 Pistenkilometern ge- hört der „Skijuwel“ genannte Verbund zu den Top Ten der größten Skigebiete in Ti- rol. „Wir wollen damit erreichen, dass die Zahl der Wintergäste bei uns nicht weiter zurückgeht“, sagt Kofler, „und im besten Fall welche dazugewinnen.“ Zwischen 2004 und 2012 sei die Zahl der Übernach- tungen von Wintergästen in der Alpbach- Region um zwölf Prozent zurückgegangen. Das liege daran, dass man zu klein sei, ist Kofler überzeugt: „Bei der Auswahl von Ski- gebieten achten die Gäste vor allem auf die Anzahl der Pistenkilometer.“ Dass es am generellen Rückgang der ski- fahrenden Wintergäste liegt, glaubt Kofler nicht, auch die in Zeiten des Klimawandels relativ geringe Höhe des neuen Skijuwels zwischen 800 und 1900 Meter macht ihm keine Sorgen. Schließlich setze man auf Be- schneiung, und die Kitzbüheler Alpen sei- en ein Schneeloch. Eine wirtschaftliche Studie habe man vorher nicht in Auftrag ge- geben, aber die jüngsten Zusammenschlüs- se von Skigebieten hätten gezeigt, dass die Gästezahlen danach immer steigen. Die Bu- chungslage im Alpbachtal für den kom- menden Winter sei „tendenziell schon bes- ser“, sagt Kofler. So denken viele Tourismusverantwortli- che im ganzen Alpenraum. Größer ist auto- matisch besser, und solange man dadurch wenigstens seine Gästezahlen halten kann, denkt man nicht besonders weit in die Zukunft oder fragt sich gar, welche Art von Wintertourismus es in 30, 40 Jahren in den Alpen geben wird. Dominik Siegrist fragt sich das. Siegrist ist Präsident der Cipra, einer internationa- len Organisation, die sich für nachhaltige Entwicklung in den Alpen einsetzt. Es sei zumindest denkbar, dass es in 50 Jahren überhaupt keinen Skitourismus mehr in den Alpen geben wird, so Siegrist. Heute spiele der Klimawandel noch keine so gro- ße Rolle für die Skigebiete. „Der Verdrän- gungswettbewerb wird vor allem durch Wirtschaftskrisen und eine Stagnation des Skifahrer-Marktes ausgelöst.“ Der Anteil der Skifahrer in Deutschland ist laut einer Befragung des Instituts für Demoskopie in Allensbach jedenfalls von 16,1 Prozent im Jahr 1986 auf 12,5 Prozent im Jahr 2012 zu- rückgegangen. Demgegenüber spricht die Tirol Werbung von 40 Millionen „interes- sierten Nicht-Skifahrern“, neun Millionen davon in Deutschland. Wegen des schrumpfenden Marktes, sagt Siegrist, üb- ten die Tourismus- und Seilbahnverbände starken Druck auf die Politiker aus, die dar- aufhin Projekte genehmigten, welche jahr- zehntelang wegen des Naturschutzes nicht genehmigt worden waren. Jenes am Piz Val Gronda etwa. Dieser Berg am Rand des riesigen Skigebietes von Ischgl ist seit 30 Jahren einer der umstrit- tensten zwischen Naturschützern und Seil- bahnbetreibern. Nun, im Herbst 2012, wur- de der Bau einer Seilbahn auf den Berg ge- nehmigt, inklusive einer neuen, zwei Kilo- meter langen Piste. Ischgl-Samnaun be- kommt so zu seinen 238 Pistenkilometern noch zwei dazu. „Dafür wird eine geologi- sche und ökologische Besonderheit geop- fert, sagt Peter Haßlacher, „die es in Öster- reich sonst nur noch an einer Stelle im Nati- onalpark Hohe Tauern gibt – mit Betre- tungsverbot.“ Haßlacher ist Chef der Raumordnung beim Österreichischen Al- penverein (OeAV) und hat 30 Jahre lang ge- gen das Projekt gekämpft. „Diese Geneh- migung geht weit über Ischgl hinaus, sie senkt die Latte für die Begehrlichkeiten an- derer Seilbahngesellschaften“, so Haßla- cher. 20 neue Liftprojekte listet der OeAV allein für Tirol auf, darunter etwa eine Ver- bindung zwischen der Axamer Lizum und Schlick im Stubaital durch ein ökologi- sches Ruhegebiet oder jene von See nach Fiss-Ladis durch das artenreiche Urgtal. „Generationen von Politikern haben dem Druck der Seilbahnen standgehalten, die aktuelle offenbar nicht mehr“, so Haßla- cher. Das Problem am Piz Val Gronda sei nicht nur die zwei Kilometer lange Piste, sondern dass Freerider den Berg auf zwei Seiten hinunterfahren können. „Die Ski- tourengeher, denen der Piz Val Gronda bis- her vorbehalten war, weichen auf andere Berge aus, immer weiter in Wildnisgebiete hinein.“ In der Tat sei unter jungen Skifahrern, auf die Ischgl setzt, das Freeriden immer wichtiger, sagt Hannes Parth, Vorstand der Ischgler Silvrettaseilbahnen AG. „Man muss wachsen, wo man kann, viel geht so- wieso nicht mehr.“ Die Zahl der Skifahrer nehme in Mitteleuropa zwar etwas ab, aber es gebe viele andere Märkte, auf denen sie noch wachse: England etwa, Skandinavien und Russland. „Mir wurde schon vor vielen Jahren der Niedergang des Skitourismus prophezeit, aber in Ischgl ist es bisher im- mer nur bergauf gegangen.“ Laut der repräsentativen T-Mona-Gäs- tebefragung der Österreich Werbung ga- ben 2011/12 nur 66 Prozent der Winterur- lauber an, dass sie zum Skifahren oder Snowboarden kommen. „Heute macht man stärker einen gesamtheitlichen Win- terurlaub im Schnee“, sagt eine Sprecherin der Österreich Werbung. „Skifahren ist wichtiger Bestandteil, aber es geht heute um wesentlich mehr: Schneewanderun- gen, Wellness, Weihnachtsmärkte.“ Um mehr vom kleiner werdenden Ku- chen abzubekommen, wird also zusam- mengeschlossen und erweitert, wo es eben noch geht – denn neue Skigebietserschlie- ßungen sind in Österreich und auch in der Schweiz praktisch verboten. Das kleine Ski- gebiet Warth-Schröcken am Arlberg wird sich 2013 mit dem Riesengebiet Lech-Zürs verbinden. Ein Zusammenschluss zwi- schen dem Pitztal und dem Gletscherskige- biet Sölden ist zwar noch nicht genehmigt, wird aber stark vorangetrieben. Von „ei- nem unglaublichen Angebot für den Kun- den“ spricht Söldens Seilbahnchef in der Tiroler Tageszeitung. Die bayerischen Alpen sind seit 1972 durch den Alpenplan vor Skigebietszusam- menlegungen und Erweiterungen relativ gut geschützt. Es gibt drei Zonen, wobei die Zone C, in der überhaupt nicht erschlos- sen werden darf, bereits 42 Prozent des bayerischen Alpenraums ausmacht. Auch in den anderen zwei Zonen werden Bauvor- haben relativ restriktiv gehandhabt. Das einzige bayerische Projekt ist zurzeit der heftig diskutierte Ausbau der Beschnei- ungsanlagen im Skigebiet Sudelfeld mithil- fe öffentlicher Gelder. In der Schweiz hingegen, wo die Über- nachtungszahlen und die Skifahrertage seit 1992 um 13 Prozent zurückgegangen sind, wird fröhlich fusioniert: Der Betrei- ber des Skigebiets Lenzerheide wird 2013 die bereits genehmigten Verbindungslifte zum Skigebiet von Arosa bauen und hofft so – ähnlich wie im Alpbachtal – den star- ken Rückgang von Übernachtungen und Skifahrertagen aufhalten zu können. Und in Andermatt, wo der ägyptische Investor Samih Sawiris einen Tourismuskomplex mit sechs Hotels und fast 500 Apparte- ments baut, wird 2013 eine Verbindung mit dem Skigebiet Sedrun geschaffen – mit 130 Pistenkilometern. In beiden Fällen ließen sich die Naturschützer auf Kompro- misse ein. Ob das alles auf Dauer wirtschaftlich er- folgreich ist, wird sich erst mit der Zeit zei- gen. Regula Imhof zweifelt jedenfalls dar- an. Imhof ist Vizegeneralsekretärin der Al- penkonvention, eines seit 1991 bestehen- den völkerrechtlichen Gremiums zum Schutz der Alpen. „Die meisten Skigebiets- betreiber bleiben den Nachweis schuldig, dass Erweiterungen und Zusammenschlüs- se tatsächlich unerlässlich sind für ihren wirtschaftlichen Erfolg“, so Imhof (siehe nebenstehendes Interview). Und auch Dominik Siegrist von der Ci- pra ist überzeugt: „Die Alpenorte müssen ihr Angebot diversifizieren, weggehen von dieser Skilift-Fixiertheit, hin zu einem Ganz-Jahres-Tourismus mit vielfältigem Angebot.“ Es gebe schließlich viel mehr Wanderer als Skifahrer. Bislang sei diesbe- züglich nur punktuell eine Trendwende zu erkennen. Allein in Tirol werden 20 neue Projekte geplant. Manche sind seit Jahren umstritten Alle zwei Jahre gibt es einen Alpen-Zu- standsbericht. Er wird vom ständigen Se- kretariat der Alpenkonvention erstellt. In diesem völkerrechtlichen Vertrag zwi- schen den Alpenstaaten geht es um nach- haltige Entwicklung. Der nächste Be- richt wird im Frühjahr 2013 veröffent- licht. Regula Imhof ist Vizegeneralsekre- tärin der Alpenkonvention und kommen- tiert die Ergebnisse aus ihrer Sicht. SZ: Wie geht es den Alpen? Regula Imhof: Sehr unterschiedlich. Es gibt massentouristische Hotspots, aber auch zunehmend Orte, die sich dem sanf- ten Tourismus verschreiben. Wir schät- zen die Zahl der Touristen, die mehrere Tage in den Alpen bleiben, auf rund 95 Millionen und die Tagesbesucher auf 60 Millionen pro Jahr. Um wirklich die Nach- haltigkeit zu beschreiben, bräuchte es Daten über CO 2 -Ausstoß, Energie- und Landverbrauch des Tourismus. Die gibt es aber nicht. Übernachtungszahlen sa- gen dazu relativ wenig aus. Was sind die Hotspots? Das sind Gebiete, in denen die Gäste- übernachtungen im Vergleich zur Bevöl- kerung sehr hoch sind: Tirol etwa, Teile von Bayern, die großen Skigebietsorte in Frankreich, das Wallis. Doch viele Über- nachtungen sind per se nicht schlecht oder gut, es kommt auf den Einzelfall an. Wir haben gute Beispiele aufgelistet, ei- nen fiktiven Touristen begleitet von der Buchung bis zur Rückreise, um so die Auswirkungen des Tourismus auf die Umwelt zu beschreiben. Wie wird gereist? In der Schweiz etwa reisen weniger als 70 Prozent mit dem Privatauto in die Al- pen, in Italien sind es mehr als 90 Pro- zent, Deutschland, Österreich und Frankreich liegen bei etwas über 80 Pro- zent. Unter den Orten haben wir als gu- tes Beispiel etwa Tegernsee angeführt, wo öffentliche Verkehrsmittel für Gäste gratis sind. Auch Les Gets in Frankreich oder der Naturpark Nagelfluhkette tun sich da hervor. Wie kommt der Skitourismus im Zu- standsbericht weg? Da bietet sich auch ein sehr unterschied- liches Bild. Durch die Werbung hat man den Eindruck, der einzige Tourismus, den es gibt, sei der Skitourismus, aber das ist natürlich nicht so. Das geht von Seentourismus im Alpenvorland über Gesundheits- und Naturtourismus. Die Leute fahren nicht mehr den ganzen Tag Ski, sondern sie wollen auch noch ande- re Dinge wie Wellness, Winterwandern oder Kultur erleben. Warum wird die Alpenkonvention nicht umgesetzt? Es gibt in den Alpenländern die entspre- chenden Gesetze, aber sie werden oft um- gangen, wenn es um wirtschaftliche In- teressen geht, etwa bei Skigebieten. Das ist ein politisches Problem. Es wird oft ar- gumentiert, dass eine Skigebietserweite- rung wirtschaftlich unerlässlich ist. Nachgewiesen wird das aber nie. Und oft wird ein Großteil des Budgets aus öffent- lichen Geldern bewilligt, die nicht mehr zurückfließen. Statt dass man in die Zu- kunft denkt und einen wenig erfolgrei- chen Skiort auf mehrere Standbeine stellt, wird nur kurzfristig gerechnet. INTERVIEW: HANS GASSER Bayern ist ziemlich rigide, in der Schweiz hingegen wird in großem Umfang fusioniert Es fängt schon bei der Anreise an. Schweizer Alpenorte sind mit öffentlichen Verkehrs- mitteln gut zu errei- chen, italienische weniger, sagt Regula Imhof, Vize-Generalse- kretärin der Alpenkon- vention. FOTO: OH Sessel ohne Skifahrer? In den großen Skigebieten kommt das seltener vor als in den kleinen – argumentieren die Seilbahnbe- treiber. Sie streiten mit Naturschützern um neue Verbindungen. FOTO: GETTY IMAGES Höher hinaus Klimawandel und sinkende Gästezahlen machen den Skigebieten Probleme. Ihre Lösung: noch mehr Lifte Den ganzen Tag Skifahren, das war einmal. Die Gäste wollen Kultur und Wellness Die Verbindung von zwei benachbarten Skigebie- ten durch neue Lifte oder Seilbahnen gilt in vielen Tourismusorten im Alpenraum als notwendige Maßnahme, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein – zumal die Errichtung neuer Skigebiete in den meisten Alpenländern verboten ist. Natur- und Umweltschützer kämpfen gegen sol- che Projekte und verweisen darauf, dass immer we- niger Menschen Ski fahren und Alpenorte stattdes- sen auf ein vielfältigeres Angebot setzen sollten, um nicht nur im Winter, sondern das ganze Jahr über mehr Touristen anzuziehen. Vorerst wird allerdings noch zusammenge- schlossen und erweitert, wo es geht. Allein in Tirol und in der Schweiz werden zwischen 2012 und 2014 fünf Großskigebiete entstehen, viele weitere stehen auf den Wunschlisten der Seilbahnbetrei- ber. Naturschutzorganisationen kritisieren, dass Politiker solche Anlagen heute schneller genehmi- gen als noch vor 20 Jahren. HAAG Die Rechnung geht nicht auf Touristiker in den Alpen denken häufig zu kurzfristig DEUTSCHLAND ITALIEN SCHWEIZ ÖSTERREICH Alpbachtal/ Wildschönau (ab Dezember 2012) 145 Warth/Lech (voraussichtlich 2013/14) 346 Sölden/Pitztal (geplant) 177 Arosa/ Lenzerheide (2013/14) 225 Andermatt/ Sedrun (Baubeginn 2013 geplant) 130 Ischgl/ Piz Val Gronda (Erweiterung 2013) 240 25 km SZ-Karte: Mainka Zürich Zusammenschlüsse von Skigebieten Innsbruck Pistenkilometer DEFGH Nr. 276, Donnerstag, 29. November 2012 BERGE 39 DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de hgasser SZ20121129S1666837

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DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, MünchenJegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de

VON HANS GASSER

S anfter Tourismus? Markus Koflerreagiert etwas gereizt. „Das wollenwir hier nicht.“ Es sei ein „tollesSchlagwort“, aber in den meisten

Fällen bedeute es, dass dann „überhauptnichts mehr los“ sei. Kofler ist Geschäfts-führer von Alpbachtal Seenland Touris-mus und als solcher heilfroh, dass im De-zember eine neue Seilbahn das SkigebietAlpbachtal mit jenem der Wildschönau ver-bindet. Mit dann 145 Pistenkilometern ge-hört der „Skijuwel“ genannte Verbund zuden Top Ten der größten Skigebiete in Ti-rol. „Wir wollen damit erreichen, dass dieZahl der Wintergäste bei uns nicht weiterzurückgeht“, sagt Kofler, „und im bestenFall welche dazugewinnen.“ Zwischen2004 und 2012 sei die Zahl der Übernach-tungen von Wintergästen in der Alpbach-Region um zwölf Prozent zurückgegangen.Das liege daran, dass man zu klein sei, istKofler überzeugt: „Bei der Auswahl von Ski-gebieten achten die Gäste vor allem auf dieAnzahl der Pistenkilometer.“

Dass es am generellen Rückgang der ski-fahrenden Wintergäste liegt, glaubt Koflernicht, auch die in Zeiten des Klimawandelsrelativ geringe Höhe des neuen Skijuwelszwischen 800 und 1900 Meter macht ihmkeine Sorgen. Schließlich setze man auf Be-schneiung, und die Kitzbüheler Alpen sei-en ein Schneeloch. Eine wirtschaftlicheStudie habe man vorher nicht in Auftrag ge-geben, aber die jüngsten Zusammenschlüs-se von Skigebieten hätten gezeigt, dass dieGästezahlen danach immer steigen. Die Bu-chungslage im Alpbachtal für den kom-menden Winter sei „tendenziell schon bes-ser“, sagt Kofler.

So denken viele Tourismusverantwortli-che im ganzen Alpenraum. Größer ist auto-matisch besser, und solange man dadurchwenigstens seine Gästezahlen haltenkann, denkt man nicht besonders weit indie Zukunft oder fragt sich gar, welche Artvon Wintertourismus es in 30, 40 Jahren inden Alpen geben wird.

Dominik Siegrist fragt sich das. Siegristist Präsident der Cipra, einer internationa-len Organisation, die sich für nachhaltigeEntwicklung in den Alpen einsetzt. Es seizumindest denkbar, dass es in 50 Jahrenüberhaupt keinen Skitourismus mehr inden Alpen geben wird, so Siegrist. Heutespiele der Klimawandel noch keine so gro-ße Rolle für die Skigebiete. „Der Verdrän-gungswettbewerb wird vor allem durchWirtschaftskrisen und eine Stagnation desSkifahrer-Marktes ausgelöst.“ Der Anteilder Skifahrer in Deutschland ist laut einerBefragung des Instituts für Demoskopie inAllensbach jedenfalls von 16,1 Prozent imJahr 1986 auf 12,5 Prozent im Jahr 2012 zu-rückgegangen. Demgegenüber spricht dieTirol Werbung von 40 Millionen „interes-sierten Nicht-Skifahrern“, neun Millionendavon in Deutschland. Wegen desschrumpfenden Marktes, sagt Siegrist, üb-ten die Tourismus- und Seilbahnverbändestarken Druck auf die Politiker aus, die dar-aufhin Projekte genehmigten, welche jahr-zehntelang wegen des Naturschutzes nichtgenehmigt worden waren.

Jenes am Piz Val Gronda etwa. DieserBerg am Rand des riesigen Skigebietes vonIschgl ist seit 30 Jahren einer der umstrit-tensten zwischen Naturschützern und Seil-bahnbetreibern. Nun, im Herbst 2012, wur-de der Bau einer Seilbahn auf den Berg ge-nehmigt, inklusive einer neuen, zwei Kilo-meter langen Piste. Ischgl-Samnaun be-kommt so zu seinen 238 Pistenkilometernnoch zwei dazu. „Dafür wird eine geologi-sche und ökologische Besonderheit geop-fert, sagt Peter Haßlacher, „die es in Öster-reich sonst nur noch an einer Stelle im Nati-onalpark Hohe Tauern gibt – mit Betre-

tungsverbot.“ Haßlacher ist Chef derRaumordnung beim Österreichischen Al-penverein (OeAV) und hat 30 Jahre lang ge-gen das Projekt gekämpft. „Diese Geneh-migung geht weit über Ischgl hinaus, siesenkt die Latte für die Begehrlichkeiten an-derer Seilbahngesellschaften“, so Haßla-cher. 20 neue Liftprojekte listet der OeAVallein für Tirol auf, darunter etwa eine Ver-bindung zwischen der Axamer Lizum undSchlick im Stubaital durch ein ökologi-sches Ruhegebiet oder jene von See nachFiss-Ladis durch das artenreiche Urgtal.„Generationen von Politikern haben demDruck der Seilbahnen standgehalten, dieaktuelle offenbar nicht mehr“, so Haßla-cher. Das Problem am Piz Val Gronda seinicht nur die zwei Kilometer lange Piste,sondern dass Freerider den Berg auf zweiSeiten hinunterfahren können. „Die Ski-tourengeher, denen der Piz Val Gronda bis-her vorbehalten war, weichen auf andereBerge aus, immer weiter in Wildnisgebietehinein.“

In der Tat sei unter jungen Skifahrern,auf die Ischgl setzt, das Freeriden immerwichtiger, sagt Hannes Parth, Vorstand derIschgler Silvrettaseilbahnen AG. „Manmuss wachsen, wo man kann, viel geht so-wieso nicht mehr.“ Die Zahl der Skifahrernehme in Mitteleuropa zwar etwas ab, aberes gebe viele andere Märkte, auf denen sienoch wachse: England etwa, Skandinavienund Russland. „Mir wurde schon vor vielenJahren der Niedergang des Skitourismusprophezeit, aber in Ischgl ist es bisher im-mer nur bergauf gegangen.“

Laut der repräsentativen T-Mona-Gäs-tebefragung der Österreich Werbung ga-ben 2011/12 nur 66 Prozent der Winterur-lauber an, dass sie zum Skifahren oderSnowboarden kommen. „Heute machtman stärker einen gesamtheitlichen Win-terurlaub im Schnee“, sagt eine Sprecherinder Österreich Werbung. „Skifahren istwichtiger Bestandteil, aber es geht heuteum wesentlich mehr: Schneewanderun-gen, Wellness, Weihnachtsmärkte.“

Um mehr vom kleiner werdenden Ku-chen abzubekommen, wird also zusam-mengeschlossen und erweitert, wo es ebennoch geht – denn neue Skigebietserschlie-ßungen sind in Österreich und auch in derSchweiz praktisch verboten. Das kleine Ski-gebiet Warth-Schröcken am Arlberg wirdsich 2013 mit dem Riesengebiet Lech-Zürsverbinden. Ein Zusammenschluss zwi-schen dem Pitztal und dem Gletscherskige-biet Sölden ist zwar noch nicht genehmigt,wird aber stark vorangetrieben. Von „ei-nem unglaublichen Angebot für den Kun-den“ spricht Söldens Seilbahnchef in derTiroler Tageszeitung.

Die bayerischen Alpen sind seit 1972durch den Alpenplan vor Skigebietszusam-menlegungen und Erweiterungen relativgut geschützt. Es gibt drei Zonen, wobeidie Zone C, in der überhaupt nicht erschlos-sen werden darf, bereits 42 Prozent desbayerischen Alpenraums ausmacht. Auchin den anderen zwei Zonen werden Bauvor-haben relativ restriktiv gehandhabt. Daseinzige bayerische Projekt ist zurzeit derheftig diskutierte Ausbau der Beschnei-ungsanlagen im Skigebiet Sudelfeld mithil-fe öffentlicher Gelder.

In der Schweiz hingegen, wo die Über-nachtungszahlen und die Skifahrertageseit 1992 um 13 Prozent zurückgegangensind, wird fröhlich fusioniert: Der Betrei-ber des Skigebiets Lenzerheide wird 2013die bereits genehmigten Verbindungsliftezum Skigebiet von Arosa bauen und hofftso – ähnlich wie im Alpbachtal – den star-ken Rückgang von Übernachtungen undSkifahrertagen aufhalten zu können. Undin Andermatt, wo der ägyptische InvestorSamih Sawiris einen Tourismuskomplexmit sechs Hotels und fast 500 Apparte-

ments baut, wird 2013 eine Verbindungmit dem Skigebiet Sedrun geschaffen –mit 130 Pistenkilometern. In beiden Fällenließen sich die Naturschützer auf Kompro-misse ein.

Ob das alles auf Dauer wirtschaftlich er-folgreich ist, wird sich erst mit der Zeit zei-gen. Regula Imhof zweifelt jedenfalls dar-an. Imhof ist Vizegeneralsekretärin der Al-penkonvention, eines seit 1991 bestehen-den völkerrechtlichen Gremiums zumSchutz der Alpen. „Die meisten Skigebiets-betreiber bleiben den Nachweis schuldig,dass Erweiterungen und Zusammenschlüs-se tatsächlich unerlässlich sind für ihrenwirtschaftlichen Erfolg“, so Imhof (siehenebenstehendes Interview).

Und auch Dominik Siegrist von der Ci-pra ist überzeugt: „Die Alpenorte müssenihr Angebot diversifizieren, weggehen vondieser Skilift-Fixiertheit, hin zu einemGanz-Jahres-Tourismus mit vielfältigemAngebot.“ Es gebe schließlich viel mehrWanderer als Skifahrer. Bislang sei diesbe-züglich nur punktuell eine Trendwende zuerkennen.

Allein in Tirol werden 20 neueProjekte geplant. Manchesind seit Jahren umstritten

Alle zwei Jahre gibt es einen Alpen-Zu-standsbericht. Er wird vom ständigen Se-kretariat der Alpenkonvention erstellt.In diesem völkerrechtlichen Vertrag zwi-schen den Alpenstaaten geht es um nach-haltige Entwicklung. Der nächste Be-richt wird im Frühjahr 2013 veröffent-licht. Regula Imhof ist Vizegeneralsekre-tärin der Alpenkonvention und kommen-tiert die Ergebnisse aus ihrer Sicht.

SZ: Wie geht es den Alpen?Regula Imhof: Sehr unterschiedlich. Esgibt massentouristische Hotspots, aberauch zunehmend Orte, die sich dem sanf-ten Tourismus verschreiben. Wir schät-zen die Zahl der Touristen, die mehrereTage in den Alpen bleiben, auf rund 95Millionen und die Tagesbesucher auf 60

Millionen pro Jahr. Um wirklich die Nach-haltigkeit zu beschreiben, bräuchte esDaten über CO2-Ausstoß, Energie- undLandverbrauch des Tourismus. Die gibtes aber nicht. Übernachtungszahlen sa-gen dazu relativ wenig aus.

Was sind die Hotspots?Das sind Gebiete, in denen die Gäste-übernachtungen im Vergleich zur Bevöl-kerung sehr hoch sind: Tirol etwa, Teilevon Bayern, die großen Skigebietsorte inFrankreich, das Wallis. Doch viele Über-nachtungen sind per se nicht schlechtoder gut, es kommt auf den Einzelfall an.Wir haben gute Beispiele aufgelistet, ei-nen fiktiven Touristen begleitet von derBuchung bis zur Rückreise, um so dieAuswirkungen des Tourismus auf dieUmwelt zu beschreiben.

Wie wird gereist?In der Schweiz etwa reisen weniger als70 Prozent mit dem Privatauto in die Al-pen, in Italien sind es mehr als 90 Pro-zent, Deutschland, Österreich undFrankreich liegen bei etwas über 80 Pro-zent. Unter den Orten haben wir als gu-tes Beispiel etwa Tegernsee angeführt,wo öffentliche Verkehrsmittel für Gästegratis sind. Auch Les Gets in Frankreichoder der Naturpark Nagelfluhkette tunsich da hervor.

Wie kommt der Skitourismus im Zu-standsbericht weg?Da bietet sich auch ein sehr unterschied-liches Bild. Durch die Werbung hat manden Eindruck, der einzige Tourismus,den es gibt, sei der Skitourismus, aberdas ist natürlich nicht so. Das geht vonSeentourismus im Alpenvorland überGesundheits- und Naturtourismus. DieLeute fahren nicht mehr den ganzen TagSki, sondern sie wollen auch noch ande-re Dinge wie Wellness, Winterwandernoder Kultur erleben.

Warum wird die Alpenkonventionnicht umgesetzt?Es gibt in den Alpenländern die entspre-chenden Gesetze, aber sie werden oft um-gangen, wenn es um wirtschaftliche In-teressen geht, etwa bei Skigebieten. Dasist ein politisches Problem. Es wird oft ar-gumentiert, dass eine Skigebietserweite-rung wirtschaftlich unerlässlich ist.Nachgewiesen wird das aber nie. Und oftwird ein Großteil des Budgets aus öffent-lichen Geldern bewilligt, die nicht mehrzurückfließen. Statt dass man in die Zu-kunft denkt und einen wenig erfolgrei-chen Skiort auf mehrere Standbeinestellt, wird nur kurzfristig gerechnet.

INTERVIEW: HANS GASSER

Bayern ist ziemlich rigide, inder Schweiz hingegen wirdin großem Umfang fusioniert

Es fängt schon bei derAnreise an. SchweizerAlpenorte sind mitöffentlichen Verkehrs-mitteln gut zu errei-chen, italienischeweniger, sagt RegulaImhof, Vize-Generalse-kretärin der Alpenkon-vention. FOTO: OH

Sessel ohne Skifahrer? In den großen Skigebieten kommt das seltener vor als in den kleinen – argumentieren die Seilbahnbe-treiber. Sie streiten mit Naturschützern um neue Verbindungen. FOTO: GETTY IMAGES

Höherhinaus

Klimawandel und sinkende Gästezahlen machen denSkigebieten Probleme. Ihre Lösung: noch mehr Lifte

Den ganzen Tag Skifahren,das war einmal. Die Gästewollen Kultur und Wellness

Die Verbindung von zwei benachbarten Skigebie-ten durch neue Lifte oder Seilbahnen gilt in vielenTourismusorten im Alpenraum als notwendigeMaßnahme, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein– zumal die Errichtung neuer Skigebiete in denmeisten Alpenländern verboten ist.

Natur- und Umweltschützer kämpfen gegen sol-che Projekte und verweisen darauf, dass immer we-niger Menschen Ski fahren und Alpenorte stattdes-sen auf ein vielfältigeres Angebot setzen sollten,

um nicht nur im Winter, sondern das ganze Jahrüber mehr Touristen anzuziehen.

Vorerst wird allerdings noch zusammenge-schlossen und erweitert, wo es geht. Allein in Tirolund in der Schweiz werden zwischen 2012 und2014 fünf Großskigebiete entstehen, viele weiterestehen auf den Wunschlisten der Seilbahnbetrei-ber. Naturschutzorganisationen kritisieren, dassPolitiker solche Anlagen heute schneller genehmi-gen als noch vor 20 Jahren. HAAG

Die Rechnunggeht nicht auf

Touristiker in den Alpendenken häufig zu kurzfristig

DEUTSCHL AND

ITALIEN

SCHWEIZ

ÖSTERREICHAlpbachtal/

Wildschönau(ab Dezember 2012)

145Warth/Lech(voraussichtlich 2013/14)

346

Sölden/Pitztal(geplant)

177

Arosa/Lenzerheide

(2013/14)

225

Andermatt/Sedrun

(Baubeginn2013 geplant)

130

Ischgl/Piz Val Gronda

(Erweiterung 2013)

240

25 kmSZ-Karte: Mainka

Zürich

Zusammenschlüssevon Skigebieten

Innsbruck

Pistenkilometer

DEFGH Nr. 276, Donnerstag, 29. November 2012 BERGE 39

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hgasserSZ20121129S1666837