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DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de DEFGH Nr. 299, Samstag/Sonntag, 29./30. Dezember 2018 11 BUCH ZWEI B eginnen wir mit einer Übung. Bitte einfach mal wie gewohnt die Arme vor der Brust ver- schränken. Welcher Unterarm liegt unten, welcher oben – der rechte, der linke? Okay, nun das Gleiche noch einmal, nur anders herum: Der Unter- arm, der eben noch unten war, soll jetzt oben liegen. Das fühlt sich seltsam an, in- stabil, wie eine armgymnastische Zumu- tung? Genau so ist das, wenn man Gewohn- heiten den Stecker zieht. Allein diese lach- hafte Egalgewohnheit umzukrempeln dau- ert bei täglicher Übung im Schnitt zwei Wochen. Bitter genug. Und jetzt – erhöhen wir den Einsatz. Das Jahr biegt auf die Zielgerade ein, der Mensch blickt zurück, zieht Bilanz, hält Ge- richt über sich, bevor er Punkt Mitternacht eine Silvesterrakete zündet und seinen pri- vaten Lebensführungsschlamassel symbo- lisch zum Mond schießt. Ein neues Jahr ist immer auch eine Entlassung auf Bewäh- rung. Der ideale Moment, den zuletzt be- trächtlich angeschwollenen Sündenzähler zurück auf null zu stellen, die Fehler im Code zu beheben, endlich ein aktiverer, ge- sünderer, besserer Mensch zu werden. Jetzt oder nie: Man sollte dringend … … mehr Sport machen. Weniger Alkohol trinken. Die Hälfte essen. Bewusster ein- kaufen, also weniger Fleisch und mehr Ge- müse, noch besser gar kein Fleisch und ganz viel Gemüse, am allerbesten gewis- sensbekömmliches Gemüse aus dem Bio- markt, das man mit dem Fahrrad nach Hause transportieren wird, wie man sowie- so weniger Auto fahren, weniger Plastik verbrauchen und luftverpestende Flugrei- sen ganz einstellen will. Man sollte auch öf- ter zum Arzt gehen. Dreimal die Woche Sex haben. Seine privaten Daten nicht mehr be- sinnungslos ins Netz blasen. Insgesamt nicht mehr so oft ins Handy glotzen, dafür jeden Abend mit den Kindern Legotürme bauen. Man sollte sich das Rauchen abge- wöhnen. Und Aluminiumkapselkaffee. Und Fast Fashion. Man sollte die Eltern häufiger anrufen. Man sollte wirklich mal Italienisch lernen. Alles in allem sollte man im nächsten Jahr endlich das tun, von dem man schon viel zu lange weiß, dass es gut für einen wäre, vielleicht sogar gut für andere. Im Idealfall: gut für die ganze Welt. Und dann tut man es nicht. Wie doof kann man ei- gentlich sein? Es ist wie in der Fabel, wo der Skorpion den Frosch bittet, ihn auf seinem Rücken über den Fluss zu tragen. Der Frosch lehnt dankend ab, weil er befürchtet, gestochen zu werden. Warum sollte ich das tun, sagt der Skorpion total logisch, das wäre doch auch mein Ende. Na gut, quakt der Frosch, dann steig mal auf. In der Mitte des Flusses sticht der Skorpion zu. Warum hast du das getan, jammert der Frosch. Ich kann nicht anders, antwortet der Skorpion, es liegt in meiner Natur. Dann saufen beide ab. So ist das mit dem Menschen. Er ist und bleibt sehenden Auges genau so unver- nünftig, bequem und fehlerhaft, wie die Na- tur es offenbar für ihn vorgesehen hat, was über kurz oder lang seinen Untergang be- deuten wird. „Obwohl der Mensch häufig vom Schlechten erkennt, dass es schlecht ist, führt er es dennoch aus“, verzweifelte vor zweieinhalbtausend Jahren schon der alte Sokrates. Und keine Besserung in Sicht: Etwa 80 Prozent der Neujahrsvorsät- ze scheitern, jeder vierte schon in den ers- ten Januartagen. Der Mensch, so sieht es leider aus, absolviert mit eiserner Disziplin 60-Stunden-Wochen, besteigt Achttausen- der, läuft Marathon; wenn es aber darum geht, eine Tafel Trauben-Nuss-Schokola- de nur halb zu essen, ist er ein rückgratlo- ses Würstchen. Der Mensch braucht Hilfe. Und in der vorliegenden, an käuflichem Rat nicht armen Welt bedeutet das entwe- der, dass er sich mit Ratgeberliteratur ein- deckt oder aber einen Selbsthilfekurs be- sucht. Das „Breaking Bad Habits“-Einfüh- rungsseminar findet in einem Hamburger Souterrain-Studio statt, mit Flipchart und dem kommunikativen Stuhlhalbkreis vor- schriftsmäßig möbliert. Im Halbkreis sit- zen sechs Frauen zwischen Ende zwanzig und Mitte vierzig (die Geschlechtsgleich- heit ist zufällig). Sie sind vielleicht kein re- präsentativer Ausschnitt der Deutschen, ihre bad habits, die sie hier loswerden wol- len, sind es allerdings schon. Auf dem Flip- chart steht: „Süßigkeiten“, „Wein“, „Ziga- retten“, „Social Media“, „Antriebslosig- keit“, „Shopping“, „zu wenig Bewegung“. Moment mal – was war denn jetzt mit Plastikvermeidung, Fleischverzicht, CO2- Eindämmung, dem globalökologischen Fußabdruck? Hat Alexander Gerst, in der Kuppel der Raumstation ISS schwebend, nicht gerade ein herzzerreißendes Ent- schuldigungsvideo an seine ungeborenen Enkelkinder verschickt, dafür, dass wir ihnen die Erde in so einem schlechten Zustand übergeben werden? Interessanterweise zielen die im Stuhl- halbkreis vorherrschenden Veränderungs- wünsche aber allesamt höchst egoistisch auf die eigene Vervollkommnung ab. Da de- cken sie sich mit den Vorsatz-Hitlisten, die alljährlich zu Neujahr veröffentlicht wer- den. Die Deutschen wollen je nach Umfra- ge entweder am liebsten mit dem Rauchen aufhören oder im Fitnessstudio ein paar Ki- los abwerfen oder weniger Zeit im Büro ver- bringen; immer aber wollen sie, dass dabei vor allem für sie selbst ein besseres Leben herausspringt. Klimawandel natürlich ganz schlimme Sache. Bevor der Mensch jedoch die Welt rettet, rettet er lieber erst mal die eigene Haut. Bad-Habits-Bekenntnisrunde. Die eine, Filialleiterin einer Parfümerie, geht in ih- rer Mittagspause zwanghaft einkaufen. „Dinge, die ich nicht brauche, eigentlich gar nicht mal haben will.“ Die andere, Un- ternehmensberaterin, denkt den ganzen Tag lang daran, was sie später essen wird, „und dann stopfe ich das so rein, das hat was Zwanghaftes.“ Die Nächste kann abends nichts ganz machen, sie schaut im- mer ein bisschen fern, telefoniert dabei und füttert am Rande ihre Social-Media- Kanäle. „Danach bin ich so aufgeputscht, dass ich schlecht schlafe.“ Die Übernächste hat vor zehn Monaten ihre beiden Cafés verkauft, weil sie die Arbeitszeiten nicht mehr ausgehalten hat. Seither hat sie au- ßer Kaffeetrinken mit Freundinnen nicht mehr viel auf die Reihe gekriegt, auch ihre Mitgliedschaft im Fitnessstudio schlum- mert vor sich hin. „Ich frage mich: Geht bei mir nur was, wenn ich Stress habe?“ Man ertappt sich dabei, dass man das alles total verständlich findet, also beinahe läppisch. Wie viele Menschen würden die- se schlechten Gewohnheiten mit Kuss- hand adoptieren und ins neue Jahr hin- überretten, wenn sie ihre eigenen dafür los- würden? „Bei manchen Klienten denke ich schon, die könnten sich jetzt mal entspan- nen“, sagt Sabrina Haase. Fortsetzung nächste Seite Alles bleibt anders Gute Vorsätze und schlechte Gewohnheiten: Warum tun wir, was wir tun, obwohl wir wissen, dass wir es anders machen sollten? text: tanja rest, illustrationen: lisa bucher Bevor der Mensch die Welt rettet, rettet er lieber erst mal die eigene Haut Zu hohe, zu viele Ziele: Wer alles auf einmal ändern will, scheitert verlässlich DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de PotschkaJ 301.0..SZ20181229S5728948

DEFGH Nr. 299, Samstag/Sonntag, 29./30. Dezember 2018 …...Gute Vorsätze und schlechte Gewohnheiten: Warum tun wir, was wir tun, obwohl wir wissen, dass wir es anders machen sollten?

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Page 1: DEFGH Nr. 299, Samstag/Sonntag, 29./30. Dezember 2018 …...Gute Vorsätze und schlechte Gewohnheiten: Warum tun wir, was wir tun, obwohl wir wissen, dass wir es anders machen sollten?

DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, MünchenJegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de

DEFGH Nr. 299, Samstag/Sonntag, 29./30. Dezember 2018 11

BUCH ZWEI

Beginnen wir mit einer Übung.Bitte einfach mal wie gewohntdie Arme vor der Brust ver-schränken. Welcher Unterarmliegt unten, welcher oben – der

rechte, der linke? Okay, nun das Gleichenocheinmal,nurandersherum:DerUnter-arm, der eben noch unten war, soll jetztoben liegen. Das fühlt sich seltsam an, in-stabil, wie eine armgymnastische Zumu-tung?Genauso istdas,wennmanGewohn-heiten den Stecker zieht. Allein diese lach-hafteEgalgewohnheitumzukrempelndau-ert bei täglicher Übung im Schnitt zweiWochen. Bitter genug. Und jetzt – erhöhenwir den Einsatz.

Das JahrbiegtaufdieZielgeradeein, derMenschblickt zurück, ziehtBilanz,hältGe-richt über sich, bevor erPunktMitternachteineSilvesterraketezündetundseinenpri-vatenLebensführungsschlamassel symbo-lisch zumMond schießt. Ein neues Jahr istimmer auch eine Entlassung auf Bewäh-rung. Der ideale Moment, den zuletzt be-trächtlich angeschwollenen Sündenzählerzurück auf null zu stellen, die Fehler imCodezubeheben, endlicheinaktiverer, ge-sünderer, besserer Mensch zu werden.Jetzt oder nie: Man sollte dringend …

…mehr Sportmachen.Weniger Alkoholtrinken. Die Hälfte essen. Bewusster ein-kaufen, alsoweniger FleischundmehrGe-müse, noch besser gar kein Fleisch undganz viel Gemüse, am allerbesten gewis-sensbekömmliches Gemüse aus dem Bio-markt, das man mit dem Fahrrad nachHausetransportierenwird,wiemansowie-so weniger Auto fahren, weniger Plastikverbrauchen und luftverpestende Flugrei-senganzeinstellenwill.Mansollteauchöf-ter zumArzt gehen.Dreimal dieWocheSexhaben.SeineprivatenDatennichtmehrbe-sinnungslos ins Netz blasen. Insgesamtnicht mehr so oft ins Handy glotzen, dafürjeden Abend mit den Kindern Legotürmebauen. Man sollte sich das Rauchen abge-wöhnen. Und Aluminiumkapselkaffee.Und Fast Fashion. Man sollte die Elternhäufiger anrufen. Man sollte wirklich malItalienisch lernen.

Alles in allem sollte man im nächstenJahr endlich das tun, von dem man schonviel zu lange weiß, dass es gut für einenwäre, vielleicht sogar gut für andere. ImIdealfall: gut für die ganzeWelt. Und danntut man es nicht. Wie doof kann man ei-gentlich sein?

Es ist wie in der Fabel, wo der Skorpionden Frosch bittet, ihn auf seinem Rückenüber den Fluss zu tragen. Der Frosch lehntdankend ab, weil er befürchtet, gestochenzu werden. Warum sollte ich das tun, sagtder Skorpion total logisch, das wäre dochauchmein Ende. Na gut, quakt der Frosch,dannsteigmalauf. InderMittedesFlussessticht der Skorpion zu. Warum hast du dasgetan, jammert der Frosch. Ich kann nichtanders, antwortet der Skorpion, es liegt inmeiner Natur. Dann saufen beide ab.

So ist dasmit demMenschen. Er ist undbleibt sehenden Auges genau so unver-nünftig,bequemundfehlerhaft,wiedieNa-tur es offenbar für ihn vorgesehenhat,wasüber kurz oder lang seinen Untergang be-deuten wird. „Obwohl der Mensch häufigvom Schlechten erkennt, dass es schlechtist, führt er es dennoch aus“, verzweifeltevor zweieinhalbtausend Jahren schon deralte Sokrates. Und keine Besserung inSicht:Etwa80ProzentderNeujahrsvorsät-ze scheitern, jeder vierte schon in den ers-ten Januartagen. Der Mensch, so sieht esleideraus, absolviertmit eisernerDisziplin

60-Stunden-Wochen,besteigtAchttausen-der, läuft Marathon; wenn es aber darumgeht, eine Tafel Trauben-Nuss-Schokola-de nur halb zu essen, ist er ein rückgratlo-ses Würstchen. Der Mensch braucht Hilfe.Und in der vorliegenden, an käuflichemRat nicht armenWelt bedeutet das entwe-der, dass er sichmit Ratgeberliteratur ein-deckt oder aber einen Selbsthilfekurs be-sucht.

Das „Breaking Bad Habits“-Einfüh-rungsseminar findet in einem HamburgerSouterrain-Studio statt, mit Flipchart unddemkommunikativen Stuhlhalbkreis vor-schriftsmäßig möbliert. Im Halbkreis sit-zen sechs Frauen zwischen Ende zwanzigund Mitte vierzig (die Geschlechtsgleich-heit ist zufällig). Sie sind vielleicht kein re-präsentativer Ausschnitt der Deutschen,ihre bad habits, die sie hier loswerdenwol-len, sind es allerdings schon. Auf demFlip-chart steht: „Süßigkeiten“, „Wein“, „Ziga-retten“, „Social Media“, „Antriebslosig-keit“, „Shopping“, „zu wenig Bewegung“.

Moment mal – was war denn jetzt mitPlastikvermeidung, Fleischverzicht, CO2-Eindämmung, dem globalökologischenFußabdruck? Hat Alexander Gerst, in derKuppel der Raumstation ISS schwebend,nicht gerade ein herzzerreißendes Ent-schuldigungsvideo an seine ungeborenenEnkelkinder verschickt, dafür, dass wirihnen die Erde in so einem schlechtenZustand übergeben werden?

Interessanterweise zielen die im Stuhl-halbkreisvorherrschendenVeränderungs-wünsche aber allesamt höchst egoistischaufdieeigeneVervollkommnungab.Dade-cken sie sichmit den Vorsatz-Hitlisten, diealljährlich zu Neujahr veröffentlicht wer-den. Die Deutschen wollen je nach Umfra-ge entweder am liebstenmit demRauchenaufhörenoder imFitnessstudioeinpaarKi-losabwerfenoderwenigerZeit imBürover-bringen; immer aberwollen sie, dass dabeivor allem für sie selbst ein besseres Lebenherausspringt. Klimawandel natürlichganz schlimme Sache. Bevor der Menschjedoch die Welt rettet, rettet er lieber erstmal die eigene Haut.

Bad-Habits-Bekenntnisrunde. Die eine,Filialleiterin einer Parfümerie, geht in ih-rer Mittagspause zwanghaft einkaufen.„Dinge, die ich nicht brauche, eigentlichgar nicht mal haben will.“ Die andere, Un-ternehmensberaterin, denkt den ganzenTag lang daran, was sie später essen wird,„und dann stopfe ich das so rein, das hatwas Zwanghaftes.“ Die Nächste kannabendsnichts ganzmachen, sie schaut im-mer ein bisschen fern, telefoniert dabeiund füttert am Rande ihre Social-Media-Kanäle. „Danach bin ich so aufgeputscht,dass ich schlecht schlafe.“DieÜbernächstehat vor zehn Monaten ihre beiden Cafésverkauft, weil sie die Arbeitszeiten nichtmehr ausgehalten hat. Seither hat sie au-ßer Kaffeetrinken mit Freundinnen nichtmehr viel auf die Reihe gekriegt, auch ihreMitgliedschaft im Fitnessstudio schlum-mert vor sichhin. „Ich fragemich: Geht beimir nur was, wenn ich Stress habe?“

Man ertappt sich dabei, dass man dasalles total verständlich findet, alsobeinaheläppisch. Wie viele Menschen würden die-se schlechten Gewohnheiten mit Kuss-hand adoptieren und ins neue Jahr hin-überretten,wennsie ihreeigenendafür los-würden? „BeimanchenKlienten denke ichschon, die könnten sich jetzt mal entspan-nen“, sagt Sabrina Haase.

� Fortsetzung nächste Seite

Alles bleibtanders

Gute Vorsätze und schlechte Gewohnheiten:Warum tun wir, was wir tun, obwohl wir

wissen, dass wir es anders machen sollten?

text: tanja rest, illustrationen: lisa bucher

Bevor der Mensch dieWelt rettet, rettet er liebererst mal die eigene Haut

Zu hohe, zu viele Ziele:Wer alles auf einmal ändernwill, scheitert verlässlich

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PotschkaJ301.0..SZ20181229S5728948

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Warumhabenwir nicht nur dickeAutos,

sondern auch dicke Haustiere? Die

CO�-Bilanz ist laut einer US-Studie

verheerend: Die Futterproduktion für

die 163MillionenHunde undKatzen in

den USAverursachen so vieleTreib-

hausgasewie 13MillionenAutos.

Quelle: Plos One

Warum essenwir

immermehr

Avocados,

obwohlwir

wissen, dass für

die Produktion

von einemKilo, also

etwa drei Stück,

600 LiterWasser

verbrauchtwerden?

Quelle: dpa

Warummachenwir selbst

andauernd Selfies, obwohl uns

das Phänomen doch so auf den

Geist geht?

Die 10beliebtestendeutschenPasswörter

Quelle: Hasso-Plattner-Institut (HPI), 2017

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hallo

passwort

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111111

hallo123

wenn alle so lebenwürdenwie die

Bewohner von ...

WievieleErdenwirbräuchten,

Quelle: Global Footprint Network National Footprint

Accounts 2018

USA

Deutschland

Großbritannien

Frankreich

China

gesamteWelt

5,0

3,0

2,9

2,8

2,2

1,7

Warumnehmenwir noch

einen letztenDrink, obwohl

derAbend bereits zu Ende ist,

undwirwissen, dasswir am

nächstenMorgen einen

Kater haben?

Warumwählenwir

Passwörter, die

kinderleicht zu erraten

sind? „123456“ war auch

2018wieder das

häufigste Passwort

12 BUCH ZWEI Samstag/Sonntag, 29./30. Dezember 2018, Nr. 299 DEFGH

� Fortsetzung von Seite 11

„Weil es ihnen eigentlich ganz gut geht.Nur, die merken das nicht. Was genau ge-nommen auch wieder eine schlechte Ge-wohnheit ist.“ SabrinaHaase, 39, dieSemi-narleiterin, ist eine Frau von müheloserSchönheit und ruhiger Vernunft. Mankann sich wunderbar vorstellen, dass siestattdesdrittenGlasesWeineinen Ingwer-tee trinkt oder, statt sich nach drei Gängenauch noch dieMousse au Chocolat reinzu-löffeln, lieber eine Runde laufen geht unddabeinichtmal lustfeindlich rüberkommt.SiehatPsychologieundSportwissenschaf-ten studiert und berät heute Leistungs-sportler und Führungskräfte.

Bei diesen Coachings hat sie festge-stellt, dass ihre Klienten immer wieder anden gleichen großen und kleinen Süchtenherumbasteln,die sieeinfachnicht loswer-den. Seit ein paar Monaten bietet Haasedarum das „Breaking Bad Habits“-Semi-nar an, das als Anleitung soeben auch inBuchform erschienen ist („Schlechte Ge-wohnheiten loswerden in 66 Tagen“). DieNachfrage spricht für sich.

Es geht in den folgenden zwei Stundenausschließlichdarum,wie Selbstverbesse-runggelingenkann. Je längermanSabrinaHaase aber zuhört, umso überzeugter istman, dass hier auch die Riege derWeltver-besserer einiges lernen könnte.

Bevor dem Menschen die Skorpionhaf-tigkeit ausgetriebenwerdenkann,muss ernatürlich erst mal begreifen, warum erüberhaupt so irrational agiert. Die Wurzelallen Übels, erklärt SabrinaHaase, liegt imGehirn, genauer in dem Teil des Gehirns,wo das limbische System beheimatet ist.Haase nennt diesen Teil das „impulsiveIch“. Etwa 95 Prozent der täglichen Ent-scheidungen, sagt sie, werden hier getrof-fen – wenn man überhaupt von Entschei-dungen sprechen wolle, da sie weitgehendautomatisiert ablaufen. Dem gegenüberkämpfe die Großhirnrinde, Sitz der Ver-nunft, auf verlorenem Posten: Sie sei nurfür etwa fünf Prozent der Entscheidungenverantwortlich. Das Gehirn ist damit aufRessourcenschonungprogrammiert.Wärees anders, manmüsste jedenMorgen aufsNeue den Weg ins Bad suchen und sichüberlegen, wie eigentlich Zähneputzenfunktioniert.

Gewohnheiten aus Sicht von Hirnfor-schern sind nichts anderes als neuronaleVerbindungen zwischen Nervenzellen, diedurch permanenteWiederholung gestärktwerden. Man kann sich das vorstellen wiePfade,dieerstmühsaminsDickichtgehau-en wurden und nun ständig benutzt wer-den. Dummerweise ist auch die Trauben-Nuss-Schokolade ein solcher Trampelfad:Wer von ihr loskommen will, muss eineneue Schneise ins Dickicht hacken, dasdauert Studien zufolge imSchnitt 66 Tage.Und dann dauert es noch mal eine ganzeWeile, bis der Trauben-Nuss-Pfad (oderder Fleisch-Pfad oder der Plastikmüll-Pfad) wieder überwuchert ist. In manchenFällenwächst er nie ganz zu undbleibt im-mer erkennbar, und darum wird derMensch, der arme Gewohnheitswicht, oftnach Jahren noch rückfällig.

Wie sich das alles anfühlt, ist in den„Confessiones“desKirchenvatersAugusti-nus sehr anschaulich nachzulesen: „Fasttat ich’s und tat’s doch nicht; aber doch fielich nicht in das frühere zurück, sondernstand ganz nahe und verschnaufte. Unddann versuchte ich es zum zweiten Maleundwar beinahe am Ziele und erreichte esbeinahe und hielt es fest; und dochwar ichnicht am Ziele und erreichte es weder,nochhielt iches fest,nochzauderte ichzwi-schen Tod und Leben, undmehr vermoch-te noch in mir das gewohnte Schlechtereals das ungewohnte Bessere, und je nähermir der Zeitpunkt trat, wo ich ein andererwerden sollte, desto größerer Schauder er-füllte mich.“

Zusammengefasst: Es ist ein schreckli-cher, kräftezehrender Prozess, sich diealtenLasterauszutreiben,miteinemMara-thonlauf durchaus vergleichbar.

Sechs Frauen sitzen mit geschlossenenAugen auf ihren Stühlen, die Hände imSchoß, der Körper entspannt. Die sanfteStimme von Sabrina Haase erfüllt denRaum: „Stell dir vor, nachts im Schlaf isteineguteFeezudirgekommenundhatdei-ne schlechte Gewohnheit weggezaubert.Du weißt es noch nicht … Aber als du auf-wachst, ist irgendetwas anders … Was istanders?Wie fühlt es sich an …?“

Tja, es fühlt sich toll an. Frei, stark,leicht. Leider glaubt man nicht an guteFeen. Man wird die elende Prozedur wohlselbst bewerkstelligen müssen, und dafürbraucht es eine präzise, den Schweine-hund eiskalt überlistende Planung.

Zunächst einmal gilt es, aus der SummeallerLasterdas furchtbarsteundquälends-te herauszufiltern.Mehr als eine schlechteGewohnheit auf einmal abzustreifen istdenmeistenMenschennämlichnichtgege-ben. Dann muss man sich ehrlicherweisefragen: Will ich für mich selbst abnehmenoder nicht eher für den Partner, der immerso fiese Kommentaremacht?Will ichmei-nen Plastikmüll reduzieren oder habe icheinfach nur sehr oft gehört, ich sollte? Nunbedarf esderKonkretisierungundVisuali-sierung. Generell „weniger Süßes essen“,mit diesem Vorsatz hat man schon verlo-ren.Was genauwillmannichtmehr essen?Inwelchen Situationen isstman eigentlichdas Falsche und warum?

Außerdem ist es schonmalgrundfalsch,das Ganze als Verbot zu formulieren, weildas impulsive Ich dann die ganze Zeit umdas rotiert, was es nicht darf. „Man mussins Gelingen verliebt sein, nicht ins Schei-tern“, wie Ernst Bloch sehr richtig sagte.Alsonicht „weniger Süßes essen“, sondern:„Ich will mehr Obst und Gemüse essen“.Nochbesser: „IchwillmehrÄpfel,Orangen

Weniger Süßes essen?Mit diesem Vorsatzhat man schon verloren

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Page 3: DEFGH Nr. 299, Samstag/Sonntag, 29./30. Dezember 2018 …...Gute Vorsätze und schlechte Gewohnheiten: Warum tun wir, was wir tun, obwohl wir wissen, dass wir es anders machen sollten?

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und Brokkoli essen, weil mir dasschmeckt.“

In diesem Punkt übrigens ist die Um-weltbewegung nahezu kollektiv schuldig.Dieselfahrverbot, Fleischverbot (der be-rüchtigte Veggie-Day der Grünen), Arten-sterben, Klimakatastrophe: Die Fokussie-rungaufNegatives,dasAusmalenvonHor-rorszenariensetzenbeimMenscheneinGe-fühl von Ohnmacht und Überforderungfrei, das er mitsamt des Auslösers sofortverdrängt. Der Münchner Psychiater An-dreas Meißner hat das mal mit der Angstvor dem Tod verglichen. Wer will schonhören, dass die eigene Zukunft auf einenAbgrund zurast? „Ich darf nicht mehr mitmeinemDiesel in die Stadt fahren“ ist keinVorsatz. Ein Vorsatz wäre: „Ich will mehrFahrrad fahren.“

Es hilft, das Ganze aufzuschreiben undsich jedenMorgenmantrahaft vorzubeten.Eshilft auch, sichMitwisser insBoot zuho-len,dieeinenunterstützen.EinsanfterUm-bau des gewohnten Alltags schadet nicht:Versuchungen wie Schokolade oder Alko-holausderWohnungentfernen,vorsatzge-fährdendeSituationenoderMenschenmei-den, stattdessen Erinnerungsstützen imTagesablauf installieren. Die Sängerin An-na Netrebko hat mal erzählt, dass sie im-mer, wenn sie eine ihrer Wohnungen be-tritt, zuallererst ein Bild von sich selbst inihrer dicksten Zeit an die Kühlschranktürklebt. Etwas manisch, aber wirksam. Eshilft auch, sich nicht zu viel vorzunehmen;Der Erfolg stellt sich leichter ein, wennmaneineWeilenurdiehalbeTafelSchoko-lade isst als gleich vomerstenTaganüber-haupt keinemehr. Oder, anstatt wie bishertäglich mit dem Auto in die Arbeit zu fah-ren,nurnochzweimaldieWocheeinzustei-gen.

Noch so ein Fehler, wenn man Men-schenfürUmwelt-undKlimaschutzgewin-nen will: dass es immer gleich um allesgeht, um die globale Vollkatastrophe. Daist die Politik hochelegant raus, wenn sieandasVerantwortungsgefühldes Individu-umsappelliert.EinEinzelnerkanndieVer-müllung der Ozeane nicht aufhalten, wassoll er dann auf Plastiktüten verzichten,was ändert das?Überzeugender ist derAn-satz von Beppo Straßenkehrer, in MichaelEndes „Momo“: „Ein Schritt, ein Atemzug,ein Besenstrich“ – und amEnde des Tagesist nicht die ganze Stadt, aber immerhindie eine Straße sauber.

Wenn das alles bedacht, das Ziel formu-liert, visualisiertunddeneigenenMöglich-keiten angepasst ist, ist aber leider immernochnicht viel gewonnen.Denn jetztmussja erst die neue neuronale Schneise durchsDickicht gehauen werden.

Sechs Frauen, Kugelschreiber in derHand,BlockaufdenKnien.Mansoll zusei-ner schlechten Gewohnheit jetzt bitte sehrdrei Wenn-dann-Sätze formulieren. Also:Wenn ich wieder Lust auf Schokolade ha-be, dann mache ich in Zukunft was? „Seidehrlichmiteuch,überlegtgut, obes funkti-onieren könnte“, sagt Sabrina Haase,„denn das sind eure neuen Gewohnhei-ten.“OhSchreck. Unddas ist dannwirklichvon allem das Schwierigste.

„Woop“heißtdiesesSystem,diePsycho-logieprofessorin Gabriele Oettingen hat esentwickelt. Es ist völlig plausibel:Wer eineschlechte Gewohnheit loswerden will, seies Schokolade, seien es Flugreisen, dannaber nicht weiß, was er stattdessen tunsoll, der tut amEndewiederdasGewohnte.Worauf das impulsive Ich erleichtert auf-seufztund eineRundeDopaminausschüt-tet. Die ehemalige Cafébesitzerin mit demAntriebsproblem sagt, dass sie, anstattgleichKaffee trinken zu gehen, jedenMor-gen wenigstens eine konstruktive Hand-lung ausführen könnte. Die Frau mit demGleichzeitigkeitsproblem sagt, dass sieFernseher und Handy ausschalten undstattdessen einBuch lesenkönnte. Alle an-deren sagen nichts. Ihnen fällt erst malnicht viel ein.

Wer diese drei Wenn-dann-Sätze gebil-det und im Hirn verankert hat, ist schonziemlichweit gekommen: Erhat Alternati-ven gefunden zu seiner schlechten Ge-wohnheit. An die kann er sich halten, undeine Zeit lang läuft dann auch wirklich al-les rund. Bis an irgendeiner Lebensfrontder Stress ausbricht. Der Mensch ist näm-lich leider so konstruiert, dass er sich nacheiner großen Anstrengung oder Beunruhi-gungunbedingtbelohnenmöchte.Wissen-schaftler nennen das „Willenskrafter-schöpfung“oder„Ego-Depletion“.AllerRa-tio zumHohn findet derMensch also: Jetzthabe ich einen Tag lang keine Schokoladegegessen, da drücke ich mir heute Abendeine Salamipizza rein. Oder: Jetzt habe ichein Jahr lang nur Joghurt im Glas gekauft,dawerde ichwohlmal insFlugzeugsteigendürfen.

Der schlimmsteWillenskrafterschöpfervon allen ist Stress, denn da brechenwirk-lich alle Dämme. Es sei das A und O derSelbstverbesserung zu lernen, wie manmitstressigenSituationenumgeht, sagtSa-brina Haase. „Darum mache ich mit mei-nen Klienten immer auch Meditation undautogenes Training. Da würdet ihr stau-nen, wie gut das wirkt. “ Und mit diesemletzten guten Rat entlässt sie einen in dieHamburger Nacht.

Dort stellt sichdie entscheidendeFrage:Willmandaswirklich?Willmandemwach-senden Heer der Selbstoptimierer beitre-ten, alle Verlockungen eliminieren, die sü-ße Unvernunft fahren lassen und, Wenn-dann-Mantren vor sich hinmurmelnd, einbesserer Mensch werden? Oder will manjetzt nicht lieber ein Glas Rotwein trinken,einen Cheeseburger mit Pommes essenund sich später auf dem Weg zurück zumHotel noch eine Feierabendzigarette an-zünden?

Und die Antwort lautet selbstverständ-lich in beiden Fällen: Ja.

DEFGH Nr. 299, Samstag/Sonntag, 29./30. Dezember 2018 BUCH ZWEI 13

Demwachsenden Heerder Selbstoptimierer beitreten?Oder lieber schön eine rauchen?

Würdemanalledurchlesen,

bräuchtenwir ...

Quelle: The Atlantic

Quelle: Forsa/DAK

76Arbeitstage pro Jahr

Warum schiebenwirimmer alles auf die

langeBank?Warumwerdenwir nie

rechtzeitig fertig?Warumbleibt amEndeso vieles skizzenhaft?

Warumklickenwirwie

wild durchs Internet und

stimmen all denDaten-

schutzerklärungen

ungelesen zu?

Warumgelingt es uns

nicht,Maßzu

halten?

Jeder4. Deutsche

möchte weniger Computer, Internet und

Handy benutzen. Jeder5.wenigerfernsehen. Jeder6.weniger Alkoholtrinken. Jeder9.möchte gerne das

Rauchen aufgeben

Warumkaufenwir

immer nochKosmetik,

die anTierengetestet

wurde?

Warum verlieben

wir unsmitVorliebe

in dieFalschen?

Warum trauenwir

uns eigentlichnichts

mehr, obwohlwir

wissen, dass es nichts

zu fürchten gibt?

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