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1 "Demokratie macht Schule: Rheinland-Pfalz stärkt Demokratiebildung, Erinnerungskultur und europäisches Miteinander" Regierungserklärung der Staatsministerin für Bildung, Dr. Stefanie Hubig, am 30. Januar 2019 Sperrfrist ist Beginn der Rede. Es gilt das gesprochene Wort!

Demokratie macht Schule: Rheinland-Pfalz stärkt ......"Demokratie macht Schule: Rheinland-Pfalz stärkt Demokratiebildung, Erinnerungskultur und europäisches Miteinander" Regierungserklärung

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Page 1: Demokratie macht Schule: Rheinland-Pfalz stärkt ......"Demokratie macht Schule: Rheinland-Pfalz stärkt Demokratiebildung, Erinnerungskultur und europäisches Miteinander" Regierungserklärung

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"Demokratie macht Schule: Rheinland-Pfalz stärkt

Demokratiebildung, Erinnerungskultur und europäisches

Miteinander"

Regierungserklärung

der Staatsministerin für Bildung, Dr. Stefanie Hubig,

am 30. Januar 2019

Sperrfrist ist Beginn der Rede.

Es gilt das gesprochene Wort!

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Einleitung: Der lange Schatten der Vergangenheit

Herr Präsident,

meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete,

wie könnte man eine Regierungserklärung zur

Demokratiebildung an diesem Tag, an dem vor 86 Jahren die

Nationalsozialisten die Macht übernahmen, anders beginnen

als mit der Erinnerung? Mit der Erinnerung an das, was

Henriette Kretz vor 72 Stunden in diesem Haus so bewegend

geschildert hat – was sie überlebt hat, aber Millionen andere

Menschen nicht? Mit der Erinnerung an Trauer und Scham und

mit der Verantwortung, die daraus erwächst?

Man könnte es nicht.

Man könnte es nicht, weil die Erfahrungen aus der Zeit des

Nationalsozialismus für uns immerwährende Ermahnung und

Verpflichtung sind und bleiben.

Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben aus der

Erinnerung und im Bewusstsein der immerwährenden

Verantwortung die Grundwerte unserer Demokratie geschaffen:

die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Unumstößlichkeit

der Menschenrechte, die Freiheit des Individuums, die immer

auch die Toleranz verlangt.

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Wer versucht, den „Quantensprung in der

Menschheitsgeschichte des Bösen“ – wie die

Erinnerungsforscherin Aleida Assmann den Holocaust

bezeichnet – zu relativieren und zu verharmlosen und die Nazi-

Diktatur zu einem Detail der Geschichte zu machen, dem sei

gesagt: Demokratie und Erinnerung sind in unserem Land

untrennbar miteinander verbunden.

Der Holocaust ist der lange Schatten, der über unserer

Geschichte liegt und der uns für alle Zeit Auftrag sein muss und

sein wird: zu erinnern und nie wieder zuzulassen.

Für uns bedeutet das: Wir müssen die demokratischen

Grundwerte unseres Grundgesetzes kompromisslos

verteidigen, aktiv leben und entschlossen stärken gegen all

das, was sie bedroht. Und diese Bedrohung hat ganz konkrete

Namen: Extremismus und Populismus, Rassismus und

Nationalismus, Antisemitismus und Antiziganismus,

Menschenfeindlichkeit und Chauvinismus – und jede Form der

Missachtung freiheitlich-demokratischer Regeln des

Zusammenlebens, egal aus welchen Gründen und aus welcher

Richtung. Und diese Bedrohung äußert sich ganz konkret: im

Netz und auf der Straße, in verbaler und körperlicher Gewalt

und in der Verrohung der Sprache.

Meine Damen und Herren,

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die Kinder und Jugendlichen von heute sind die Gesellschaft

von morgen. Sie werden dieses Land in 10, 15 und 20 Jahren

tragen. Gemeinsam mit ihren Eltern wollen wir sie dabei

unterstützen, mündige Bürgerinnen und Bürger zu werden.

Wenn wir wollen, dass auch sie die Chance haben, in einer

freien und gerechten Gesellschaft zu leben, dann müssen sie

den Wert von Demokratie kennen. Sie müssen lernen und

selbst erleben, wie Demokratie funktioniert, wie ein

demokratisches Miteinander, respektvoller Umgang und

gegenseitige Achtung funktionieren – und wie unverzichtbar sie

sind.

Wir als Landesregierung wollen unsere Lehrerinnen und Lehrer

und unsere Schülerinnen und Schüler in ihrem Engagement für

die Demokratie bestärken. Wir wollen sie gerade in diesen

Zeiten ermuntern und unterstützen, ihren Weg weiter zu gehen,

aber auch neue Pfade zu beschreiten.

Dafür haben wir im Bildungsministerium ein Gesamtkonzept für

die schulische Demokratiebildung erarbeitet und nehmen dabei

drei Aspekte in den Blick:

Erstens: das Erinnern an die Verbrechen der Nazidiktatur und

das historisch-kritische Bewusstsein für unsere Geschichte und

die Lehren, die daraus für das Heute und Morgen zu ziehen

sind.

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Zweitens: das Lernen und Leben von Demokratie in unserer

Gegenwart;

und drittens: unser europäisches Miteinander.

Warum ist es so wichtig, gerade diese drei Aspekte in unseren

Schulen zu stärken?

Weil unsere Schulen ein, ja der zentrale Ort sind, an dem

Demokratie gelernt und gelebt wird. Und was mich heute

zuversichtlich stimmt, ist welch großes Engagement für die

Demokratie ich bei meinen Besuchen dort immer wieder erlebe.

Ich kann Ihnen heute klar sagen: Für jeden, der auf einer

Demonstration irgendwo in Deutschland fremdenfeindliche oder

antisemitische Parolen skandiert, gibt es in Rheinland-Pfalz

Schülerinnen und Schüler, die sich mit ihren Lehrkräften jeden

Tag gegen Rassismus und Antisemitismus engagieren.

Für jeden, der im Internet Hass postet, gibt es in Rheinland-

Pfalz Schülerinnen und Schüler, die sich in ihren Schulen, in

ihrer Region und bei Schüleraustauschen für Toleranz und

Vielfalt einsetzen – und das auch in immer mehr Europaschulen

und „Schulen ohne Rassismus, Schulen mit Courage“.

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Und für jeden, der glaubt, das Holocaust-Mahnmal sei ein

„Denkmal der Schande“, gibt es unzählige Schülerinnen und

Schüler in unserem Land, die Gedenkorte besuchen,

Stolpersteine verlegen und mit Zeitzeugen sprechen. Sie alle

geben uns Zuversicht. Und sie alle wollen wir mit unserem

Konzept unterstützen.

Das Gesamtkonzept zur Demokratiebildung in Schulen: Ein

neues Maßnahmenpaket zum Erinnern, Demokratiebildung

und Europa baut auf Bestehendem auf

Lassen Sie mich Ihnen unser Maßnahmenpaket erläutern. Wir

werden damit mehr als vier Millionen Euro jedes Jahr zusätzlich

in die Demokratiebildung investieren. Es ist eine Investition in

die Zukunft unserer freiheitlichen Demokratie. Lassen Sie mich

mit der Erinnerungskultur beginnen:

Die Pflicht, nicht zu vergessen – Auseinandersetzung mit

dem Nationalsozialismus in der Schule stärken

Schon heute spielt die Auseinandersetzung mit den Verbrechen

des Nationalsozialismus eine zentrale Rolle in unseren

Schulen: In den Lehrplänen ist sie fest verankert.

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Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer

engagieren sich in zahllosen Projekten, fahren zu

Gedenkstätten und Erinnerungsorten und setzen sich weit über

den Unterricht hinaus ein. Seit 1994 werden solche Projekte

vom Bildungsministerium gefördert. Und im Lehrplan für die

gesellschaftswissenschaftlichen Fächer ist ab Klassenstufe 9 in

jedem Schuljahr ein Unterrichtstag als Demokratietag

vorgesehen, der explizit auch Gedenktag sein kann. Auf all

diesem Bestehenden bauen wir mit unseren Maßnahmen auf.

Im vergangenen Jahr hat uns bundesweit die Frage beschäftigt,

ob Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Schulzeit

wenigstens einmal einen Gedenkort besuchen sollen, der an

die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnert.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Antwort auf diese Frage

nur „ja“ lauten kann. So wichtig das historische Lernen im

Klassenzimmer ist, so wichtig ist auch das unmittelbare

Erleben. Wer Hinzert und Osthofen, Buchenwald oder

Auschwitz besucht oder Zeitzeugen hört, gewinnt viel tiefere

und unmittelbarere Eindrücke. Wir alle haben es am Sonntag

eindrucksvoll erlebt.

Wir müssen es den Schülerinnen und Schülern immer wieder

neu ermöglichen, sich mit dem monströsen Zivilisationsbruch

auseinanderzusetzen, der in ihrem Land vor nicht einmal drei

Generationen begangen wurde.

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Wir müssen verdeutlichen und erfahrbar machen, welchen Wert

unsere Demokratie darstellt und was für eine Errungenschaft

sie ist. Die Schülerinnen und Schüler müssen lernen, was

Henriette Kretz hier so erschütternd und eindringlich

beschrieben hat: dass es jedem und jeder so gehen kann und

Gewissheiten von einem Tag auf den anderen wegbrechen

können, ohne dass man sich irgendetwas hat zuschulden

kommen lassen.

Und all das müssen wir besonders denen vermitteln, die sich

heute fragen, warum sie nach so vielen Jahren noch gedenken

sollen, und jenen, deren eigene Familiengeschichte in

Deutschland nicht in diese Zeit zurückreicht.

Wir sind das – davon bin ich zutiefst überzeugt – auch den

Menschen schuldig, die damals stigmatisiert und ermordet

wurden: als Juden, Sinti und Roma, politisch Andersdenkende,

wegen ihrer Homosexualität, einer Behinderung, einer

psychischen Erkrankung – oder aus ganz anderen, willkürlichen

Gründen.

Wir sind es ihnen schuldig, sie als einzelne Persönlichkeiten mit

individuellen Geschichten in die Gegenwart zurück zu holen

und sie nicht als Zahl in einer Statistik verschwinden zu lassen.

Und deshalb soll sich jede rheinland-pfälzische Schülerin und

jeder rheinland-pfälzische Schüler im Laufe des Schullebens

wenigstens einmal unmittelbar mit dem Erinnern beschäftigen:

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Sie sollen eine Gedenkstätte oder einen anderen Lernort

besuchen oder sich mit dem intensiv befassen, was Zeitzeugen,

ihre Kinder und Enkel direkt oder aufgezeichnet berichten.

Diesen Auftrag werden wir zum neuen Schuljahr in einer

Richtlinie festschreiben und zusammen mit den Schulen

umsetzen.

Wir werden, zweitens, auch die Rahmenbedingungen für solche

schulischen Vorhaben verbessern. Wir werden die Mittel

deutlich erhöhen und neue Unterrichtsmaterialien zur

Verfügung stellen. Fahrten fördern wir dabei zu einer breiten

Anzahl von Gedenkorten auch über die KZ-Gedenkstätten

hinaus. Die Verbrechen des Nationalsozialismus können so im

Unterricht umfassend thematisiert werden.

Wir werden außerdem die Unterstützung unserer

Gedenkstätten für die Arbeit mit Schulen ausbauen und

Osthofen mit einer zusätzlichen Lehrkraft verstärken.

Wir werden, drittens, zum nächsten Schuljahr eine neue

zentrale Servicestelle für schulische Zeitzeugen- und

Gedenkarbeit im Pädagogischen Landesinstitut einrichten, die

allen Lehrkräften beratend, vernetzend und mit neuen

Unterrichtsmaterialien zur Seite steht. Sie wird auf die

Zeitzeugenkoodinierungsstelle aufbauen. Mit ihr war Rheinland-

Pfalz schon vor zehn Jahren einer der Vorreiter unter den

Ländern.

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Gedenkstättenbesuche und moderne Zeitzeugenpädagogik

werden wir, viertens, verpflichtend in der Lehrkräfteausbildung

verankern. Schon heute besuchen viele Anwärterinnen und

Anwärter im Rahmen der Ausbildung Gedenkorte. In Zukunft

werden alle angehenden Lehrkräfte aller Lehrämter während

ihrer Ausbildung eine Gedenkstätte wie Hinzert oder Osthofen

oder andere vergleichbare außerschulische Lernorte besuchen.

Welche Wirkung von Gedenkorten ausgeht, haben die meisten

von uns selbst erlebt. Ich durfte im vergangenen Jahr während

meiner Israel-Reise für die Kultusministerkonferenz die

Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besuchen.

Es war ein Besuch, der mich tief bewegt hat, weil diese

Gedenkstätte es in unvergleichlicher Weise schafft, der

fürchterlichen Zahl von sechs Millionen entrechteter und

ermordeter Juden individuelle Gesichter und Persönlichkeiten

und damit ihre Würde zurückzugeben.

Die Kooperationsvereinbarung, die ich dort für Rheinland-Pfalz

unterzeichnet habe, ermöglicht solche Besuche nun auch

rheinland-pfälzischen Lehrkräften im Rahmen von

Fortbildungen. Im kommenden Monat wird die erste Gruppe

nach Israel aufbrechen, und schon jetzt finden Fortbildungen

mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Yad Vashem in

Rheinland-Pfalz statt.

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Und auch die Vereinbarung mit der Bethe-Stiftung, die für

Schülerinnen und Schüler Gedenkstättenbesuche in Polen,

zum Beispiel in das ehemalige deutsche Konzentrationslager

Auschwitz, fördert, schreiben wir fort. So werden wir die

Erinnerung an die Shoah im Bewusstsein auch der künftigen

Generationen lebendig halten und nach vorne gewandt Lehren

ziehen.

Und nicht zuletzt müssen wir uns mit aller Kraft für die

Bekämpfung des Antisemitismus in unserer Gesellschaft

einsetzen – des alten wie des neuen. Rheinland-Pfalz ist das

erste Bundesland, das mit Dieter Burgard einen

Antisemitismusbeauftragten eingesetzt hat.

Und auch in unseren Schulen müssen unsere Lehrkräfte

kompetent einschreiten können, etwa wenn Schülerinnen und

Schüler das Wort „Jude“ als Schimpfwort gebrauchen. Die

Fortbildungsangebote zur Prävention von und zum Umgang mit

Antisemitismus werden die verschiedenen pädagogischen

Fortbildungsinstitute in Rheinland-Pfalz deshalb noch einmal

deutlich ausbauen.

Und auch mehr Wissen über das Judentum brauchen wir in

unserer Gesellschaft. Dafür bietet beispielsweise das

Pädagogische Landesinstitut in Kooperation unter anderem mit

den SchUM-Städten zukünftig mehr Fortbildungen an.

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Nach 2009 und 2015 wird das Bildungsministerium 2020 zudem

wieder einen Schüleraustausch mit Israel durchführen, den wir

danach alle zwei Jahre anbieten wollen. Daran können

Schülerinnen und Schüler aus ganz Rheinland-Pfalz

teilnehmen. Es geht ums Brückenbauen und Verstehenlernen

auch der künftigen Generationen. Das ist mir ein persönliches

Anliegen.

Demokratie in der Schule lernen und leben

Meine Damen und Herren Abgeordnete,

lassen Sie mich damit zur zweiten Säule unseres

Gesamtkonzeptes kommen: einer umfassenden

Demokratiebildung, die auf Wissen, ebenso wie Werte und

Handeln abzielt.

Denn eine der größten Bedrohungen für unsere Demokratie ist

die Gleichgültigkeit: Zu oft wird die Demokratie, werden die

Grundrechte heute als etwas Selbstverständliches

hingenommen. Wir wissen aber aus unserer eigenen

Geschichte, dass das nicht so ist. Auch die friedliche Revolution

vor 30 Jahren und die Überwindung der SED-Diktatur führen

uns das in diesem Jahr besonders vor Augen. Gerade von

Rheinland-Pfalz sind dabei in der Demokratiegeschichte immer

wieder wichtige Impulse ausgegangen, wie etwa das

Hambacher Fest.

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Unsere Schülerinnen und Schüler sollten wissen, unter welchen

Opfern und gegen welche Widerstände in unserem Land immer

wieder für Freiheit und Demokratie gekämpft worden ist. Und

sie sollten wissen, dass, wer Nationalismus und Spaltung

predigt, wer Vorurteile gegen Minderheiten schürt, gewiss kein

Anrecht hat auf die historischen Symbole von Einigkeit und

Recht und Freiheit.

Sozialkunde stärken, Lehrkräfte unterstützen, Prävention

fördern

Meine Damen und Herren,

bereits zum Schuljahr 2016/17 haben wir die Lehrpläne der

gesellschaftswissenschaftlichen Fächer neu erarbeitet und die

Demokratiekompetenz in den Mittelpunkt gerückt. Mit dem

Landesdemokratietag des Bündnisses „Demokratie gewinnt“

haben wir zudem ein bundesweit einzigartiges Forum zum

Austausch in der Demokratiebildung mit vielen bedeutenden

Partnern. Derzeit wird die Einrichtung einer Geschäftsstelle für

dieses Bündnis vorbereitet. Das Forum werden wir weiter

stärken und ausbauen, ebenso wie die Zusammenarbeit mit

dem Landtag, der eine ganz wesentliche Rolle bei der

Demokratiebildung spielt. Das großartige neue

Besuchsprogramm für Grundschülerinnen und Grundschüler ist

nur ein Beispiel dafür.

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Insgesamt können über den Unterricht hinaus in den

kommenden beiden Jahren im Bildungshaushalt jeweils

700.000 Euro für die Demokratiebildung ausgegeben werden;

doppelt so viel wie noch vor drei Jahren. Dafür danke ich den

Fraktionen von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, die

diese Mittel in den vergangenen beiden Doppelhaushalten

jeweils deutlich erhöht haben.

Zentral ist für mich bei alledem: das Demokratielernen in der

Schule grundsätzlich zu stärken. Dafür werden wir, erstens, das

tun, worüber wir hier schon häufig diskutiert haben: Wir werden

die Sozialkunde ab dem Schuljahr 2020/2021 sukzessive um

insgesamt zwei Wochenstunden ausbauen:

Der Sozialkundeunterricht soll künftig ein Jahr früher mit einer

Stunde einsetzen, in der Regel also in der 8. Klasse. Und er soll

in der letzten Klassenstufe, also der 9. oder 10. Klasse, künftig

mit zwei statt einer Stunde unterrichtet werden.

Entsprechend werden wir auch im Fach Gesellschaftslehre den

Anteil der politischen Bildung stärken. Wir werden außerdem

sicherstellen, dass auch in der Oberstufe alle Schülerinnen und

Schüler das Fach Sozialkunde belegen.

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Damit weiten wir die Demokratiebildung in der Schulzeit

deutlich aus. Jede Schülerin und jeder Schüler in Rheinland-

Pfalz wird dann im Laufe der Sekundarstufe I rund 70

zusätzliche Stunden Sozialkunde haben. Rund 50 Planstellen

werden wir dafür zur Verfügung stellen.

Zweitens werden wir die bestehenden Lehrpläne in der

Sekundarstufe I anpassen, und die Lehrpläne aller

gesellschaftswissenschaftlichen Fächer in der Oberstufe

grundlegend überarbeiten und modernisieren. Auch hier ist

mehr Demokratiebildung der Grundsatz.

Die neue Servicestelle für Zeitzeugen- und Gedenkarbeit am

Pädagogischen Landesinstitut, von der ich eben schon sprach,

ergänzen wir um eine Servicestelle für Demokratiebildung. Sie

ist der zentrale Ansprechpartner für unsere Lehrkräfte zu allen

Fragen rund um Fördermöglichkeiten, Fortbildungen, Beratung,

neue Unterrichtsmaterialien und Vernetzung mit

außerschulischen Partnern wie etwa der Landeszentrale für

politische Bildung.

Und weil Demokratiebildung sich nicht allein im Wissen

erschöpft, tragen wir in Rheinland-Pfalz dafür Sorge, dass sie

von Anfang an immer auch Persönlichkeitsentwicklung ist. Wir

werden deshalb in einer weiteren Maßnahme die vielfältigen

und erfolgreichen Präventionsprogramme, die es heute schon

beispielsweise zu Extremismus, Gewalt und Antisemitismus

gibt, intensivieren.

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Diese Programme stärken die allgemeine

Demokratiekompetenz und die Persönlichkeit der Schülerinnen

und Schüler. Sie helfen ihnen dabei, resilient und selbstbewusst

gegen Extremismus und Populismus zu werden.

Und, meine Damen und Herren, um der Frage vorzugreifen:

Diese Programme dienen, wie alles, was ich Ihnen heute

vorstelle, nicht nur der Prävention von Rechtsextremismus,

sondern jeder Form vom Radikalismus, auch religiösem oder

linkem Extremismus. Denn keine Form des Extremismus ist mit

unserem Grundgesetz vereinbar.

Aber gerade an diesem geschichtsträchtigen Tag heute gilt

mein ganz besonderer Dank den Menschen in unserem Land,

die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen. Allein den Titel

„Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ tragen bei uns

heute schon 140 Schulen, über 100 mehr als vor zehn Jahren.

Und in diesem Jahr kommen noch weitere dazu.

Über diese Entwicklung freue ich mich außerordentlich und ich

danke der Landeszentrale für politische Bildung sehr herzlich,

die sie betreut. Ich bin stolz, selbst Patin einer Schule ohne

Rassismus und mit viel Courage zu sein: des Kant-

Gymnasiums in Boppard.

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Die Schule der Demokratie ist die Schule: Mehr

Partizipation ermöglichen

Meine Damen und Herren Abgeordnete,

wir werden auch die Partizipationsmöglichkeiten von

Schülerinnen und Schülern noch einmal deutlich stärken.

Demokratie muss in der Schule nicht nur gelernt, sondern auch

gelebt werden – von Anfang an. Und das geschieht nicht nur in

unseren 39 Modellschulen für Demokratie und Partizipation,

sondern überall – zum Beispiel in Klassenräten und

Schülerparlamenten und durch die Schülervertreterinnen

und -vertreter.

Die Mitbestimmungsrechte der Schülerinnen und Schüler

werden wir in einer Schulgesetznovelle, die wir noch in diesem

Jahr in den Landtag einbringen werden, ausweiten.

Und weil bei all dem unsere Lehrerinnen und Lehrer die

wichtigsten Botschafterinnen und Botschafter unserer

Demokratie sind, ist es selbstverständlich entscheidend, sie

durch Aus-, Fort- und Weiterbildung optimal zu unterstützen.

Die Studienseminare arbeiten deshalb aktuell an einem

Maßnahmenpaket für eine verstärkte Demokratiebildung.

Und das Pädagogische Landesinstitut hat sie mit Beginn dieses

Jahres zu einem Schwerpunkt des Fortbildungsprogramms

gemacht.

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Begegnung stärken, Europa stärken

Meine Damen und Herren Abgeordnete,

diese Maßnahmen sind für mich die bildungspolitischen

Antworten auf den wachsenden Extremismus, Populismus und

Nationalismus. Aber noch etwas ist für mich von

entscheidender Bedeutung: dass wir für unsere Kinder und

Jugendlichen konkret bewusst und erfahrbar machen, welch

unschätzbaren Wert Europa darstellt. Deshalb werde ich

übrigens meine KMK-Präsidentschaft im nächsten Jahr unter

das Leitthema Europa stellen.

Seit sieben Jahrzehnten leben wir dank der Idee Europa in

Frieden, Freiheit und Wohlstand und es ist Europa, dem

Deutschland verdankt, nach dem furchtbaren Zivilisationsbruch

wieder in die Weltgemeinschaft aufgenommen worden zu sein.

Damit hat Europa schon ganz an seinem Anfang mehr für unser

Land getan, als wir jemals für Europa tun könnten.

Das europäische Miteinander ist seit jeher eine der Grundfesten

der Bundesrepublik und unseres Bundeslandes an der Grenze

zu Frankreich, Belgien und Luxemburg. Und wir verstehen es

als inklusiv, nicht als exklusiv: Man kann Rheinland-Pfälzerin

sein und Deutsche und Europäerin – so formuliert es immer

unsere Ministerpräsidentin.

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Schon heute nehmen Rheinland-Pfalz und unsere

Partnerregion Bourgogne-Franche-Comté in der

Bildungskooperation eine Vorreiterrolle im deutsch-

französischen Tandem ein.

Auch bei der gemeinsamen Lehrkräfteausbildung mit unserer

Partnerregion in Frankreich, bei Programmen wie „Lerne die

Sprache des Nachbarn“, Projekten wie SESAM‘GR und vielem

mehr steht das europäische Miteinander während der gesamten

Bildungskette in Rheinland-Pfalz im Fokus – von der Kita bis in

den Beruf. Und so steigt die Zahl der Schulen in Rheinland-

Pfalz, die Begegnungen im Rahmen von ERASMUS-Plus

organisieren, seit Jahren an. Rheinland-Pfalz gehört schon

heute zu den Spitzenreitern im Ländervergleich.

Das wollen wir ausbauen und fördern. Deshalb erhöhen wir,

erstens, die Mittel für den Schüleraustausch. Unser Ziel ist,

dass es jeder rheinland-pfälzischen Schülerin und jedem

rheinland-pfälzischen Schüler möglich ist, mindestens einmal im

Schulleben Gleichaltrigen im Ausland zu begegnen oder sie

hier kennen zu lernen.

Auch die EU stellt Mittel in ihrem ERASMUS-Plus-Programm

zur Verfügung. Die Antragstellung ist für Schulen oft aufwändig.

Deshalb werden wir sie, zweitens, gemeinsam mit dem

Pädagogischen Austauschdienst und dem Bundesinstitut für

Berufsbildung bei der Antragstellung ganz gezielt beraten und

unterstützen.

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Wir werden, drittens, anknüpfend das deutsch-französische

Doppelabitur AbiBac das AzubiBacPro für die berufsbildenden

Schulen einführen. Das Zertifikat wird sowohl berufsbezogene

französische Sprachkenntnisse als auch den interkulturellen

Kompetenzerwerb während der beruflichen Ausbildung

bestätigen und setzt neue Anreize zur deutsch-französischen

Begegnung für Auszubildende.

Viertens werden wir das Netzwerk der Europaschulen von

derzeit 55 in unserem Land weiter ausbauen. Und es wird,

fünftens, eine neue Koordinierungsstelle Europa im

Europahaus Bad Marienberg geben. Sie wird sowohl zentrale

Servicestelle für die Netzwerkschulen als auch für alle anderen

am Thema Europa interessierten Schulen sein – mit dem Ziel,

den Austausch weiter zu intensivieren und stärker zu vernetzen.

Schluss: Die besondere Verantwortung der Bildung

Meine Damen und Herren Abgeordnete,

das ist unser Maßnahmenpaket für die Demokratiebildung in

unseren Schulen.

Mir ist wichtig, dass alle Kinder und Jugendlichen durch

unmittelbares Erleben die Bedeutung unserer Demokratie

verstehen – an Gedenkorten oder mit Zeitzeugen, beim

Schüleraustausch, in Schülervertretungen oder Klassenräten.

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Und für das Verstehen brauchen sie ein Fundament an Wissen,

das durch eine Ausweitung des Sozialkundeunterrichts gestärkt

wird.

Die Lehrerinnen und Lehrer wollen wir bei ihrer wichtigen

Aufgabe unterstützen: In der Ausbildung, indem sie künftig alle

einen Gedenkort besuchen und erleben. Bei ihrer Arbeit durch

neues Unterrichtsmaterial und Fortbildungen und durch drei

zentrale Service- und Anlaufstellen, die für alle Schwerpunkte

unseres Gesamtkonzeptes – das Erinnern, die

Demokratiebildung und Europa – neu eingerichtet werden.

Und all diese Überlegungen bauen auf den bisher schon

erfolgreichen Maßnahmen auf, natürlich auch auf der

Demokratiepädagogik in unseren Kitas, die die Erzieherinnen

und Erzieher dort ebenfalls mit großem Engagement leben und

die ich deshalb nicht unerwähnt lassen möchte. Und

hervorragend ist auch die außerschulischen Kinder- und

Jugendarbeit zur Demokratiebildung. Auch sie befähigt Kinder

und Jugendliche zu Selbstbestimmung, verantwortlichem

Handeln und sozialem Engagement.

Meine Damen und Herren,

der heutige Tag mahnt und erinnert uns daran, die Demokratie

nicht für selbstverständlich zu halten. Jede Generation muss

sich neu darauf vereinbaren, sie neu erlernen, leben und auch

verteidigen.

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Und kaum ein anderer Tag könnte uns deutlicher daran

erinnern, dass gerade die Länder es sind, die mit der

Bildungshoheit, die ihnen das Grundgesetz aus gutem Grund

zuschreibt, hier in besonderer Verantwortung stehen. Denn der

30. Januar ist auch der Tag, an dem die Nationalsozialisten ein

Jahr nach der Machtübernahme die Landesparlamente

abgeschafft und die Gleichschaltung der Länder vollzogen

haben.

Wenn heute manche die Vergangenheit relativieren,

demokratische Werte untergraben und das europäische

Friedensprojekt von Nationalismus bedroht wird, müssen wir

dem mit wachsamem Blick und klarem Handeln begegnen.

Unsere Antwort darauf muss mehr Demokratiebildung sein, die

das bestehende große Engagement unterstützt und wachsen

lässt.

Das tun wir mit unserem Gesamtkonzept.

Und wir tun dies zusammen und mit der breiten Unterstützung

vieler Partner in unserem Land und mit der Unterstützung

dieses Parlamentes, das sich mit seinen eigenen erfolgreichen

Projekten und in Kooperation mit den Schulen für die

Demokratiebildung stark macht.

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Ich möchte zum Abschluss deshalb dem Landtag und allen

Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzern ganz herzlich

danken, die sich in unseren Schulen und außerhalb,

ehrenamtlich oder beruflich, aber immer aus tiefer Überzeugung

für Demokratie engagieren. Wegen all dieses Engagements

sind wir heute zuversichtlich.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.