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Oper Orthop Traumatol 2012 · 24:227–234 DOI 10.1007/s00064-011-0080-4 Online publiziert: 30. Juni 2012 © Springer-Verlag 2012 J. Hardes · H. Ahrens · M. Nottrott · R. Dieckmann · G. Gosheger · M.-P. Henrichs ·  A. Streitbürger Klinik und Poliklinik für Allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie, Universitätsklinikum Münster Der Anbindungsschlauch zur  Weichteilrekonstruktion nach  Megaprothesenimplantation Vorbemerkungen Die Megaendoprothetik stellt heutzutage die häufigste Rekonstruktionsmethode in der Tumororthopädie dar [4] und findet zunehmend auch Verwendung als „ultima ratio“ in der Revisionsendo- prothetik des Hüftgelenks [5]. Erhalte- nes Muskel- und Sehnengewebe sollte an der Prothese fixiert werden. Wäh- rend einige Prothesensysteme diese Ge- webe nur mit Nahtmaterial direkt über Ösen an der Prothese punktuell fixieren, kann mit dem Anbindungsschlauch (. Abb. 1) ein breitflächiger, stabiler Kontakt zwischen Weichgewebe und Prothese hergestellt werden und zudem eine vollständige Kapselrekonstruktion erfolgen. Operationsprinzip und -ziel Verwendung des Anbindungs- schlauchs zur Kapselrekonstruktion und Fixierung von Muskulatur und Bändern an dem Prothesenkörper. Die Stabilität des rekonstruierten Gelenks (Schultergelenk beim pro- ximalen Humerusersatz, Hüftgelenk beim proximalen Femurersatz) kann erhöht werden. Zusätzlich trägt die refixierte Muskulatur (z. B. M. del- toideus oder Glutealmuskulatur) zur Stabilität des Gelenks bei. Außer- dem kann eine funktionelle Verbes- serung erwartet werden, z. B. Ver- ringerung des Trendelenburg-Hin- kens, Wiederherstellung der Funk- tion des M. biceps humeri durch Fixierung des Muskelbauchs an dem Anbindungsschlauch oder Wieder- herstellung der aktiven Kniegelenk- streckung durch Refixierung des Lig. patellae. Vorteile F   Wiederherstellung der Gelenkkapsel und damit Wiederherstellung eines stabilen Gelenks beim proximalen Femur- und Humerusersatz F   Luxationsschutz F   Erzielen einer aktiven Kniegelenkstre- ckung beim proximalen Tibiaersatz F   Verringerung des Trendelenburg- Hinkens beim proximalen Femur- ersatz F   Gute Biokompatibilität des Materials [2] Nachteile F   Große Materialoberfläche durch Gewebe und damit potentieller Anlagerungspunkt für Bakterien F   Entfernung des gesamten Schlauchs im Falle einer periprothetischen Infektion notwendig Indikationen F   Proximaler Humerusersatz: Refixa- tion der Rotatorenmanschette, des M. deltoideus, M. pectoralis und ggf. M. biceps humeri. Rekonstruktion der Gelenkkapsel nach intra- und extraartikulärer Resektion F   Proximaler Femurersatz: Refixation der Glutealmuskulatur, des M. ilio- psoas, der Quadricepsmuskulatur. Rekonstruktion der Gelenkkapsel F   Proximaler Tibiaersatz: Refixation insbesondere des medialen und/oder lateralen Gastrocnemiusschwenk- lappens und des Lig. patellae F   Distaler Femurersatz: Nach extraar- tikulärer Resektion manchmal zur Augmentation des Kniestreckapparats sinnvoll F   Totaler Humerus- und Femurersatz: Rekonstruktion der Gelenkkapsel der Hüfte oder der Schulter, ggf. Refixa- tion der langstreckig abgelösten Mus- kulatur zur Hohlraumminimierung. Refixation des M. biceps humeri beim totalen Humerusersatz Abb. 1 8 Anbindungsschlauch bestehend aus Polyethylen-Terephtalat von 30 cm Länge und einem Durchmesser von 35 mm (Firma Implantcast, Buxtehude, Deutschland) Redaktion: M. Rudert, Würzburg Zeichner: J. Kühn, Heidelberg 227 Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012| Operative Techniken

Der Anbindungsschlauch zur Weichteilrekonstruktion nach Megaprothesenimplantation; Attachment tube for soft tissue reconstruction after implantation of a mega-endoprosthesis;

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Oper Orthop Traumatol 2012 · 24:227–234DOI 10.1007/s00064-011-0080-4Online publiziert: 30. Juni 2012© Springer-Verlag 2012

J. Hardes · H. Ahrens · M. Nottrott · R. Dieckmann · G. Gosheger · M.-P. Henrichs · A. StreitbürgerKlinik und Poliklinik für Allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie, Universitätsklinikum Münster

Der Anbindungsschlauch zur Weichteilrekonstruktion nach Megaprothesenimplantation

Vorbemerkungen

Die Megaendoprothetik stellt heutzutage die häufigste Rekonstruktionsmethode in der Tumororthopädie dar [4] und findet zunehmend auch Verwendung als „ultima ratio“ in der Revisionsendo­prothetik des Hüftgelenks [5]. Erhalte­nes Muskel­ und Sehnengewebe sollte an der Prothese fixiert werden. Wäh­rend einige Prothesensysteme diese Ge­webe nur mit Nahtmaterial direkt über Ösen an der Prothese punktuell fixieren, kann mit dem Anbindungsschlauch (. Abb. 1) ein breitflächiger, stabiler Kontakt zwischen Weichgewebe und Prothese hergestellt werden und zudem eine vollständige Kapselrekonstruktion erfolgen.

Operationsprinzip und -ziel

Verwendung des Anbindungs-schlauchs zur Kapselrekonstruktion und Fixierung von Muskulatur und Bändern an dem Prothesenkörper. Die Stabilität des rekonstruierten Gelenks (Schultergelenk beim pro-ximalen Humerusersatz, Hüftgelenk beim proximalen Femurersatz) kann erhöht werden. Zusätzlich trägt die refixierte Muskulatur (z. B. M. del-toideus oder Glutealmuskulatur) zur Stabilität des Gelenks bei. Außer-dem kann eine funktionelle Verbes-serung erwartet werden, z. B. Ver-ringerung des Trendelenburg-Hin-kens, Wiederherstellung der Funk-tion des M. biceps humeri durch

Fixierung des Muskelbauchs an dem Anbindungsschlauch oder Wieder-herstellung der aktiven Kniegelenk-streckung durch Refixierung des Lig. patellae.

Vorteile

F  Wiederherstellung der Gelenkkapsel und damit Wiederherstellung eines stabilen Gelenks beim proximalen Femur­ und Humerusersatz

F  LuxationsschutzF  Erzielen einer aktiven Kniegelenkstre­

ckung beim proximalen Tibia ersatzF  Verringerung des Trendelenburg­

Hinkens beim proximalen Femur­ersatz

F  Gute Biokompatibilität des Materials [2]

Nachteile

F  Große Materialoberfläche durch Gewebe und damit potentieller Anlagerungspunkt für Bakterien

F  Entfernung des gesamten Schlauchs im Falle einer periprothetischen Infektion notwendig

Indikationen

F  Proximaler Humerusersatz: Refixa­tion der Rotatorenmanschette, des M. deltoideus, M. pectoralis und ggf. M. biceps humeri. Rekonstruktion der Gelenkkapsel nach intra­ und extraartikulärer Resektion

F  Proximaler Femurersatz: Refixation der Glutealmuskulatur, des M. ilio­psoas , der Quadricepsmuskulatur. Rekonstruktion der Gelenkkapsel

F  Proximaler Tibiaersatz: Refixation insbesondere des medialen und/oder lateralen Gastrocnemiusschwenk­lappens und des Lig. patellae

F  Distaler Femurersatz: Nach extraar­tikulärer Resektion manchmal zur Augmentation des Kniestreckapparats sinnvoll

F  Totaler Humerus­ und Femurersatz: Rekonstruktion der Gelenkkapsel der Hüfte oder der Schulter, ggf. Refixa­tion der langstreckig abgelösten Mus­kulatur zur Hohlraumminimierung. Refixation des M. biceps humeri beim totalen Humerusersatz

Abb. 1 8 Anbindungsschlauch bestehend aus Polyethylen-Terephtalat von 30 cm Länge und einem Durchmesser von 35 mm (Firma Implantcast, Buxtehude, Deutschland)

Redaktion: M. Rudert, WürzburgZeichner: J. Kühn, Heidelberg

227Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012  | 

Operative Techniken

Kontraindikationen

F  Akuter oder chronischer InfektF  Bei Wachstumsprothesen darf nicht

die gesamte Prothese mit dem Anbin­dungsschlauch überzogen werden, da andernfalls die Verlängerung der Pro­these durch den Schlauch verhindert wird.

Patientenaufklärung

F  Allgemeine OperationsrisikenF  Spezielle Komplikationen der Mega­

endoprothetikF  Keine aktive und passive Mobilisa­

tion des Kniegelenks beim proxi­malen Tibiaersatz für 4–6 Wochen (Dauer hängt unter anderem von der intraoperativ erreichten Stabilität der Refixation der Patellasehne ab). Ggf. nicht vollständige aktive Kniegelenk­streckung möglich. Beugedefizit des Kniegelenks

F  Gilchrist­Verband für 4–6 Wochen nach proximalem Humerusersatz. Mobilisation des Ellenbogens in der Regel möglich und sinnvoll, um Kontrakturen zu vermeiden (ggf. nicht sinnvoll nach Refixierung des M. biceps humeri, intraoperativer Befund entscheidend). Bei Opfe­rung des N. axillaris ist trotz Anbin­dungsschlauch keine relevante ak­tive Funktion des Schultergelenks möglich.

F  Bei Patienten mit proximalem Femur­ersatz keine forcierte Adduktion, um Einheilen der Glutealmuskulatur zu ermöglichen (individuelle Entschei­dung, je nach intraoperativem Be­fund)

F  Zumindest diskretes Trendelenburg­Hinken trotz Anbindungsschlauch möglich. Ältere Patienten zeigen hier erfahrungsgemäß ein ausgeprägteres Hinken als junge Patienten (Ausmaß der Muskelresektion ist ein weiterer Faktor).

F  Entfernung des Schlauchs im Falle einer postoperativen periprotheti­schen Infektion notwendig

Operationsvorbereitungen

F  Generelle Vorbereitungen bezüglich der Megaprothesenimplantation

F  Präoperative Planung der Tumorre­sektion. Können originäre Kapsel­strukturen erhalten bleiben? Wenn eine extraartikuläre Resektion er­folgen muss, sollten Knochenanker bereit gehalten werden.

F  Serologischer Ausschluss einer („low grade“) periprothetischen Infektion insbesondere bei Verwendung einer Megaendoprothese in der Revisions­endoprothetik (C­reaktives Protein, Blutbild, Punktion)

F  Bei Durchführung eines proximalen Tibiaersatzes an eine Orthese zur Verhinderung der Beugung denken (alternativ Gipsschale mit Fußein­schluss bei Vorliegen einer Fußhebe­schwäche)

Instrumente und Implantate

F  Siebe für die zu implantierende Megaendoprothese

F  Kocher­Klemmen, um den Schlauch bei der Fixierung an der Prothese unter Zug zu halten

F  Anbindungsschlauch (Firma Im­plantcast, Buxtehude, Deutsch­land) mit einer Länge von 300 mm (Durchmesser 35 mm und 55 mm). Der Schlauch besteht aus Polyethy­

len­Terephtalat und ist charakterisiert durch eine Maschengröße von etwa 250 µm und einer Reißfestigkeit von 4000 Newton (. Abb. 1).

F  Ggf. Bereitstellung von Knochen­ankern

F  Nichtresorbierbares Nahtmaterial (z. B. Ethibond®­Fäden der Stärke 2 für die obere und der Stärke 6 für die untere Extremität)

Anästhesie und Lagerung

F  Anästhesie unabhängig von der Ver­wendung des Anbindungsschlauchs

F  Die Lagerung des Patienten und der Operationszugang richten sich nach der Tumorresektion. Wenn es die Tumorresektion beim proxima­len Femurersatz erlaubt, kann eine Seitenlagerung das Anbringen des Schlauchs und die Reposition er­leichtern (insbesondere wenn noch ausreichend Muskulatur vorhanden ist und die Sicht auf das Acetabu­lum behindert ist).

Operationstechnik

(. Abb. 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16)

Proximaler Tibiaersatz

Femurschild silberbeschichteter proximaler Tibiaersatz

Ethibond-Fäden

Abb. 2 8 Der proximale silberbeschichtete Tibiaersatz ist im Kniegelenk konnektiert. Durch jeweils 2 Ösen medial und lateral sind nichtresorbierbare Ethibond®-Fäden der Stärke 6 gezogen

228 |  Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012

Operative Techniken

Kocher-Klemme

Abb. 5 8 Der proximale fixierte Anbindungsschlauch wird mit 2 distal an-gebrachten Kocher-Klemmen angespannt. Ggf. ist das Kürzen des Schlauchs erforderlich. Er dient nur der Refixierung der Patellasehne und des Gastro-cnemiusschwenklappens

Ethibond-Naht um den Ring der Prothese

Abb. 6 8 Ein weiterer Ethibond®-Faden wird nach dem Hindurchziehen durch den Anbindungsschlauch distal an einem Ring des Prothesenkorpus fixiert

Lig. patella

Abb. 7 8 Die Patellasehne wird mit 2 Kocher-Klemmen gefaxt und dem Anbindungsschlauch aufgelegt

Abb. 8 8 Die Patellasehne ist mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial am Anbindungsschlauch fixiert

Abb. 3 8 Der Anbindungsschlauch wird vor dem Zusammensetzen des Prothesenkorpus übergestülpt

Annähen des proximal gedoppelten Schlauchs

Abb. 4 8 Der Anbindungsschlauch wird nach dem Zusammensetzen des Prothesenkorpus nach kranial gezogen und für einen halben Zentimeter gedoppelt, um den Ethibond®-Fäden ausreichend Halt zu geben

229Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012  | 

Proximaler Femurersatz

M. gastrocnemius

Abb. 9 8 Der laterale Gastrocnemiusschwenklappen wird am Anbindungs-schlauch und der Patellasehne fixiert

Abb. 10 8 Situs vor noch zu erfolgender Meshgraft-Plastik

Ringe am Prothesenkorpus

Abb. 11 8 Der Anbindungsschlauch (Durchmesser 35 mm) wird für das proximale Ende eingeschnitten und am Ende gedoppelt. Ggf. ist das Kürzen des Schlauchs je nach Bedarf nötig. Beim proximalen Femurersatz sollte der Schlauch nur proximal zur Refixierung verwendet werden

Reste der Hüftkapsel

Acetabulum Prothesenschaft

Abb. 12 8 Blick auf das Acetabulum und die verbliebenen, zur Fixierung des Anbindungsschlauchs geeigneten Kapselstrukturen (links) Bereits implantierter Femurschaft (rechts)

Ethibond-Naht

Abb. 13 8 Die erste Naht auf der 6-Uhr-Position. Der Schlauch wird 2-mal mit dem Faden durchzogen und der Knoten sollte außen zu liegen kommen

Abb. 14 8 Weitere Fadenfixierung auf der 9- und 3-Uhr-Position

230 |  Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012

Operative Techniken

Postoperative Behandlung

Die postoperative Behandlung bezüg­lich Entfernung von Redondrainagen, Verbandswechseln und Antibiotikapro­phylaxe richtet sich nach der verwende­ten Megaendoprothese und der Indika­tion zu derselben. Kontrollen des C­reak­tiven Proteins sind aufgrund der generel­len Gefahr von periprothetischen Infek­tionen erforderlich, um einen Frühinfekt ggf. rechtzeitig mit Spülungen zu thera­pieren und um den Anbindungsschlauch nicht zwingend entfernen zu müssen.

Proximaler Humerusersatz

In der Regel Gilchrist­Verband für 4–6 Wochen. Ellenbogen und Handge­lenk dürfen beübt werden. Daran an­schließend ist eine freie Mobilisation er­laubt.

Proximaler Femurersatz

Bei Patienten mit einem proximalen Femurersatz kann in der Regel bei Ver­wendung eines Duokopfs in Verbindung mit dem Anbindungsschlauch die sofor­tige Vollmobilisation erfolgen (vorbehalt­lich einer möglichen Teilbelastung auf­grund einer zementfreien Schaftimplan­tation). Einzig die forcierte Adduktion des Beins sollte vermieden werden, damit die refixierte Glutealmuskulatur nicht aus­

reißt. Lediglich bei sehr straffer Refixa­tion der Glutealmuskulatur (notwendig nach ausgedehnter Muskelresektion im Rahmen der Tumorresektion) kann Bett­ruhe in leichter Abduktion erwogen wer­den. Auch bei Verwendung von tripolaren Pfannen – zumeist in der Revisionsendo­prothetik – ist in der Regel keine Limitie­rung der Beweglichkeit erforderlich. Ein­schränkend muss jedoch erwähnt werden, dass trotz der Verwendung von tripolaren Pfannen bei ausgeprägter muskulärer In­suffizienz (nach multiplen Revisonsein­griffen) Luxationen auftreten können und daher postoperativ individuell über mög­liche Limitierungen der Hüftgelenksbe­weglichkeit entschieden werden muss.

Proximaler Tibiaersatz

Patienten mit einem proximalen Tibiaer­satz werden in unserer Klinik für 4–6 Wo­chen mit einer Mecron­Schiene ruhigge­stellt, um ein ungestörtes Einheilen der Patellasehne zu ermöglichen. Bei häufig simultan vorliegender Schwäche der Fuß­hebermuskeln (neurogen bedingt durch eine notwendige Resektion der N. pero­naeus profundus und/oder muskulär be­dingt nach ausgedehnter Resektion der Fußhebermuskulatur) passen wir nach Entfernung des Vakuumverbands über dem zumeist erfolgten Meshgraft und den Wunddrainagen einen ausgepolster­ten Scotchcast­Verband des Ober­ und

Unterschenkels mit Fußeinschluss an, um zum einen das Kniegelenk zu immobili­sieren und zum anderen einen Spitzfuß zu vermeiden. Die Dauer der Ruhigstellung variiert in Abhängigkeit von der Weich­teilspannung, mit der die Patellasehne am Anbindungsschlauch fixiert wurde. Bei ventral gelegenen Tumoren muss die Sehne weiter proximal abgesetzt werden und ist somit konsekutiv leicht verkürzt. Hier kann die Ruhigstellung in Einzelfäl­len 6 Wochen betragen. Sonst favorisie­ren wir eine 4­wöchige Immobilisation, da eine längere Immobilisation auch zu Schwierigkeiten in der Kniegelenksfle­xion führen kann. Nach der Ruhigstel­lung müssen die Flexion und insbesonde­re die aktive Kniegelenkstreckung physio­therapeutisch beübt werden. Limitierun­gen sind nicht erforderlich, allerdings soll­te die Flexion der Prothese nicht wesent­lich über 90° durchgeführt werden. Falls durch eine leicht verkürzte Patellasehne eine Patella baja resultiert, kann die Fle­xion des Kniegelenks zunächst erschwert sein. Dann muss eine schonende manuel­le Mobilisation der Patella erfolgen.

Distaler Femurersatz

Bei Verwendung des Anbindungs­schlauchs zur Rekonstruktion des Knie­streckapparats (insbesondere der Quadri­cepssehne) nach extraartikulärer Kniege­lenkresektion muss auch hier eine Ruhig­

Abb. 15 8 Hindurchziehen der Prothese durch den Anbindungsschlauch. Prinzipiell ist es auch möglich, den Schlauch uneingeschnitten komplett zirkumferent an der Kapsel zu fixieren. Nachteilig ist dann jedoch die er-schwerte Reposition des Duokopfs oder des konventionellen Hüftkopfs in das Acetabulum ohne direkte Sicht. Der Schlauch kann nach Bedarf gekürzt werden. Sinnvoll ist vor allem die Refixierung der Glutealmuskulatur und des M. iliopsoas (falls vorhanden)

M. glutaeus medius M. glutaeus maximus

Abb. 16 8 Fixierung des Schlauchs an einem der prominenten Ringe des Prothesenkorpus. Der Schlauch ist mittlerweile nach Reposition der Prothese auch ventral an der Gelenkkapsel fixiert und wieder zusammen-genäht. Der M. gluteus medius wurde am Schlauch refixiert

231Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012  | 

stellung des Kniegelenks analog zum pro­ximalen Tibiaersatz erfolgen.

Fehler, Gefahren, Komplikationen

F  Periprothetische Infektion (Ausnah­me Frühinfekt, z. B. bei superinfi­ziertem Hämatom): Entfernung des Schlauchs. In der Praxis können auch „low grade“­Infektionen einige Jahre postoperativ auftreten. Hier sind dann zumeist die umgebende Musku­latur und das Sehnengewebe hervor­ragend in den Schlauch eingewachsen und können die Entfernung erschwe­ren. Oftmals kann mit einem Raspa­ratorium der Schlauch vom Weichge­webe getrennt werden.

F  Postoperatives Ausreißen des Anbin­dungsschlauchs an den Resten der Gelenkkapsel oder Versagen der Fi­xierung an den prominenten Rin­gen des Prothesenkorpus. In der kli­nischen Anwendung äußerst selten beim proximalen Humerusersatz an einer Kaudaliserung der Prothese zu erkennen. Bei einer deutlichen Kau­dalisierung und konsekutiven Verlän­gerung des Arms Refixation anstre­ben.

Ergebnisse

Der Anbindungsschlauch wurde in unse­rer Klinik 1993 eingeführt. Gosheger et al. [2] konnten im Rahmen einer retrospek­tiven Studie (1993–1998) bei 6 Patienten mit einem Knochen­ oder Weichteilsar­kom oder einer Skelettmetastase im Rah­men von Revisionsoperationen zeigen, dass es histologisch zu einem Einwachsen des umgebenden Bindegewebes in den Anbindungsschlauch kommt und Fremd­körperreaktionen ausbleiben (. Tab. 1). Eine erhöhte Rate von periprothetischen

Infektionen bei Verwendung des Anbin­dungsschlauchs konnten Gosheger et al. [2] im Vergleich mit Rekonstruktionen ohne Anbindungsschlauch ausschlie­ßen. Trotz dieser Ergebnisse sollte der Anbindungsschlauch als Fremdoberflä­che nur in dem zur Rekonstruktion und Refixation notwendigen Ausmaß einge­setzt werden. Dieses bedeutet, dass ein proximaler Tibiaersatz z. B. nur insoweit mit dem Anbindungsschlauch überzo­gen werden muss, wie es für die Refixa­tion des Ga strocnemiusschwenklappens und der Patellasehne notwendig ist. Der Schlauch muss nicht zwingend den kom­pletten Prothesenkorpus nach distal über­ziehen. Gleiches gilt für den proximalen Femurersatz, bei dem der Schlauch ins­besondere zur Kapselrekonstruktion und Refixation der Glutealmuskulatur dienen sollte und nicht den gesamten Prothesen­korpus erfassen muss.

Seit 1998 wurde an unserer Klinik der Anbindungsschlauch bei mehreren 100 Operationen verwendet und im Rah­men einer weiteren retrospektiven Stu­die mit Sarkompatienten ausgewertet [4]. . Tab. 1 gibt Auskunft über die Anzahl der mit einem Anbindungsschlauch ver­sorgten Patienten. Bei Revisionsoperatio­nen (aufgrund mechanischer Komplika­tionen) ließ sich makroskopisch immer ein Einwachsen des umgebenden Bin­degewebes erkennen. Bei Vorliegen von akuten periprothetischen Frühinfekten jedoch bleibt dieses Einwachsen naturge­mäß aus.

Durch die Wiederherstellung der Ge­lenkkapsel mit dem Anbindungsschlauch konnten wir im eigenen Patientenkol­lektiv bei Patienten mit einem proxima­len Femurersatz die Luxationsrate gering halten. Gosheger et al. [2] ermittelten eine Luxationsrate von 6% (n = 33), wobei bei­de betroffenen Patienten eine festimplan­tierte, monopolare Pfanne aufwiesen.

Eine Luxation bei Verwendung eines An­bindungsschlauchs in Kombination mit einer bipolaren Pfanne wurde an unse­rer Klinik bisher nicht dokumentiert [4]. Heutzutage favorisieren wir bei Patienten mit gleichzeitiger Arthrose des Acetabu­lums oder Schädigungen bedingt durch Voroperationen tripolare Pfannensyste­me. Diese häufig in der Revisionschirur­gie angewandten Pfannensysteme wiesen in Kombination mit einem Anbindungs­schlauch bisher keine Luxationen auf. Ohne die Verwendung des Anbindungs­schlauchs (z. B. bei präexistentem Infekt) kann jedoch in Einzelfällen eine Luxation auftreten [5].

Durch die Verwendung des Anbin­dungsschlauchs beim proximalen Hume­rusersatz (n = 39) konnten Luxationen vermieden werden. Allerdings kann es je nach Ausdehnung der Muskelresektion insbesondere des M. deltoideus zu einer ventralen Subluxation kommen. Nach extraartikulären Resektionen des proxi­malen Humerus oder simultan durchge­führten Scapulektomien (häufig einherge­hend mit einem ausgedehnten Muskelver­lust) kann es zu einer Kaudalisierung der Prothese kommen. Die zuvor genannten Subluxationen sind in der Regel asympto­matisch und können durch Revisionope­rationen nicht verbessert werden [4].

Beim proximalen Tibiaersatz kann durch die Verwendung des Anbindungs­schlauchs in den meisten Fällen eine ak­tive Kniegelenkstreckung bei gleich­zeitiger Beugung bis 90° erzielt werden (. Abb. 17). Gosheger et al. [2] ermit­telten ein mittleres Streckdefizit von 7,5° nach Wiederherstellung des Extensoren­apparats. Dieses kann in einigen Fällen deutlicher ausfallen, in einigen Fällen je­doch ist die aktive Extension nicht ein­geschränkt. Der durchschnittliche En­neking­Score [1] betrug 25/30 erreichba­ren Punkten (83%), so dass Patienten mit einem proximalen Tibiaersatz in unserer Studie das beste funktionelle Ergebnis im Vergleich zu den anderen Prothesenloka­lisationen aufwiesen [4].

Für Patienten mit einem proximalen Femurersatz kann durch die Refixation der Glutealmuskulatur eine gute akti­ve Abduktionsfähigkeit wiederhergestellt werden. Allerdings muss erwähnt wer­den, dass trotzdem in Abhängigkeit vom

Tab. 1 Nähere Angaben zu den zitierten Studien

Studie Patienten-zahl (n)

Durchschnitts-alter (Jahre)

Ø Follow-up (Monate)

Vorwiegender Prothesentyp

Gosheger G et al. 2001 [2]

69 42 31 PFE 33, PHE 16, PTE 7, TFE 5, DFE 3

Gosheger G et al. 2006 [4]

250 30 45 PTE 42, PHE 39, PFE 37, TFE 12, THE 7, DFE 4

PFE proximaler Femurersatz, PHE proximaler Humerusersatz, PTE proximaler Tibiaersatz, TFE totaler Femurersatz, THE totaler Humerusersatz, DFE distaler Femurersatz.

232 |  Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012

Operative Techniken

Zusammenfassung · Abstract

Oper Orthop Traumatol 2012 · 24:227–234 DOI 10.1007/s00064-011-0080-4© Springer-Verlag 2012

J. Hardes · H. Ahrens · M. Nottrott · R. Dieckmann · G. Gosheger · M.-P. Henrichs · A. Streitbürger

Der Anbindungsschlauch zur Weichteilrekonstruktion nach Megaprothesenimplantation

ZusammenfassungOperationsziel. Wiederherstellung von Funk-tion und aktivem Bewegungsumfang sowie Gelenkstabilisierung nach Gelenkresektion.Indikationen. Wiederherstellung einer Ge-lenkkapsel nach Defektrekonstruktion mit einem proximalen Humerus-, Femur- oder Tibiaersatz.Kontraindikationen. Akute oder chronische Infektion. Zustand nach ausgeheilter Infektion.Operationstechnik. Der Anbindungs-schlauch (Implantcast, Buxtehude, Deutsch-land) wird an Resten der Gelenkkapsel (pro-ximaler Humerus- und Femurersatz oder direkt an der Prothese beim proximalen Tibia-ersatz) mit nichtresorbierbaren Ethibond®-Fäden (Johnson-Johnson Medical, Norder-stedt, Deutschland) fixiert. Bei komplett rese-zierter Gelenkkapsel werden Knochenanker verwendet. Der zuvor am Schaft fixierte Pro-thesenkorpus wird durch den Schlauch ge-

zogen, (Duo-)Kopf oder Humeruskappe wer-den aufgesetzt. Beim proximalen Humerus- und Femurersatz kann eine proximale Schlit-zung des Schlauchs sinnvoll sein, um die Pro-these unter Sicht reponieren zu können. Nach der Reposition Vervollständigung der Fixation des Schlauchs ventral und Vernähen der vor-her durchgeführten Schlitzung des Schlauchs. Die Fixierung des Schlauchs an der Prothese erfolgt zum einen durch um den Schlauch gelegten Ethibond®-Fäden, zum anderen be-steht beim proximalen Humerus- und Tibiaer-satz die Möglichkeit, Nahtmaterial durch Ösen an der Prothese zu fixieren. Refixation von Sehnen und Muskeln.Weiterbehandlung. Die Weiterbehandlung richtet sich im Wesentlichen nach der Lokalisa-tion der verwendeten Megaendoprothese.Ergebnisse. Fibroblasten wandern in die Ma-schen des Schlauchs ein und es erfolgt so-

mit eine Fixierung des Weichgewebes. Bei Ver-wendung des Schlauchs in Kombination mit einem Duokopf sind bisher keine Luxationen eingetreten, bei festimplantierten Pfannen kann das Risiko der Luxation durch tripolare Pfannensysteme reduziert werden. Bei Patien-ten mit einem proximalen Tibiaersatz kann in den meisten Fällen eine aktive Kniegelenkstre-ckung wiederhergestellt werden, ein gewisses aktives Streckdefizit ist jedoch, je nach Aus-dehnung der Tumorresektion, möglich.

SchlüsselwörterProthesen und Implantate · Megaprothesen · Anbindungsschlauch · Oberarm · Oberschen-kel · Gelenkkapsel

Attachment tube for soft tissue reconstruction after implantation of a mega-endoprosthesis

AbstractObjective. To restore function and an active range of motion, and stabilize the joint after joint resection.Indications. Restoration of a joint capsule following reconstruction of a defect using a proximal humerus and femur prosthesis. Reattachment of tendons and muscles.Contraindications. Acute or chronic infec-tion. Status after cured infection.Surgical technique. The attachment tube (Implantcast, Buxtehude, Germany) is at-tached to the joint capsule (proximal humer-us and femur replacement) or directly to the prosthesis (for proximal tibial replacements) using nonresorbable Ethibond® sutures (John-son & Johnson Medical, Norderstedt, Germa-ny). Bone anchors are used, if the joint cap-sule has been completely resected. The body

of the prosthesis, which has previously been attached to the shaft, is then pulled distally through the tube, and a (bipolar) head or hu-merus cap is placed on top of it. In the proxi-mal humerus and femur replacement, proxi-mal slitting of the tube may be helpful to re-position the prosthesis under vision. Follow-ing repositioning, fixation of the tube is com-pleted ventrally and the slits previously made in the tube are sutured. Fixation of the tube to the prosthesis is carried out either with Ethibond ® sutures placed around the tube, or—for a proximal humerus and tibia replace-ment—it is possible to attach suture material to the prosthesis through eyelets.Postoperative management. Further treat-ment basically depends on the location of the mega-endoprosthesis used.

Results. Macroscopically and microscopically, fibroblasts migrate into the tube’s mesh, so that attachment of the soft tissue takes place. As of yet, no cases of luxation have occurred when the tube is used in combination with a bipolar head, and with fixed-implant cups the risk of luxation can be reduced using tripolar cup systems. In patients with a proximal tibial replacement, active straightening of the knee joint can be restored in most cases, although some limitation on active extension is still pos-sible depending on the extent of the tumor resection.

KeywordsProstheses and implants · Megaprostheses · Attachment tube · Humerus · Femur · Joint capsule

233Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012  | 

Ausmaß der Tumorresektion und dem Lebensalter des Patienten (jüngere Pa­tienten mit besseren Ergebnissen) in den meisten Fällen ein Trendelenburg­Hinken festzustellen ist und gerade die älteren Pa­tienten für längere Wegstrecken einen Gehstock auf der Gegenseite verwenden [4, 5]. Dieses spiegelt sich auch in einem geringeren Enneking­Score [1] mit durch­schnittlich nur 21 Punkten (70%) wider.

Bei Patienten mit einem proximalen Humerusersatz nach Tumorresektion mit notwendiger Resektion des N. axilla­ris kann durch die Refixation von verblie­benen Anteilen der Rotatorenmanschette und des M. deltoideus keine relevante ak­tive Abduktion wiederhergestellt werden. Auch durch einen Trapezius­ und Latis­simus­dorsi­Transfer gelang dies im eige­nen Patientengut nicht [3]. Dementspre­chend ist der Enneking­Score [1] für den proximalen Humerusersatz mit durch­schnittlich 21 Punkten (70%) auch deut­lich schlechter als bei Patienten mit einem proximalen Tibiaersatz [4]. Bei einem – in seltenen Fällen onkologisch möglichen – Erhalt des N. axillaris kann die durch die Tumorresektion geschwächte Rotatoren­manschette durch die Verwendung einer inversen Tumorprothese ersetzt werden.

Hier kann die Refixation des M. deltoide­us an den Anbindungsschlauch zu einer aktiven Abduktion von über 90° führen. Die Rotation kann jedoch in beiden Pa­tientengruppen partiell wiederhergestellt werden, indem der M. infraspinatus und M. subscapularis am Schlauch (falls mög­lich) refixiert werden [2].

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. J. HardesKlinik und Poliklinik für Allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie, Universitätsklinikum MünsterAlbert-Schweitzer-Str. 33, 49149 Mü[email protected]

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur

1. Enneking WF, Dunham W, Gebhardt MC (1993) A system for the functional evaluation of reconstruc-tive procedures after surgical treatment of tumors of the musculoskeletal system. Clin Orthop Rel Res 286:241–246

2. Gosheger G, Hillmann A, Lindner N (2001) Soft tis-sue reconstruction of megaprostheses using a tre-vira tube. Clin Orthop Rel Res 393:264–271

3. Gosheger G, Hardes J, Ahrens H (2005) Endopro-sthetic replacement of the humerus combined with trapezius and latissimus dorsi transfer: a re-port of three patients. Arch Orthop Trauma Surg 125:62–65

4. Gosheger G, Gebert C, Ahrens H (2006) Endopro-sthetic reconstruction in 250 patients with sarco-ma. Clin Orthop Rel Res 450:164–171

5. Hardes J, Budny T, Hauschild G (2009) Der Proxima-le Femurersatz in der Revisionsalloarthroplastik. Z Orthop Unfall 147:694–699

Abb. 17 9 Aktive Streckung des Knie-gelenks nach proxima-lem Tibia ersatz ein Jahr postoperativ

234 |  Operative Orthopädie und Traumatologie 3 · 2012

Operative Techniken