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145 Stahlbau 82 (2013), Heft 2 DOI: 10.1002/stab.201320027 Berichte Eine Ausstellung, die vorgibt, einen Beruf in seiner ganzen Komplexität zu präsentieren, ist ein gewagtes Un- terfangen, denn, so fragt man sich, wie lassen sich 4000 Jahre Berufsge- schichte mit ihren vielen Facetten von der Planung bis zur Ausführung eines Bauwerks überhaupt darstellen? Von den Ausstellungen über Architekten weiß man, dass man überwiegend „Flachware“ zu sehen bekommt – Fo- tos, Zeichnungen und vielleicht auch ein paar Modelle –, jedoch nicht die einzelnen Bauten, die das Lebenswerk ausmachen – außer man begibt sich auf eine Architekturreise. Aber mit dem Wissen, dass diese Ausstellung den Abschluss der 35-jährigen Aus- stellungstätigkeit Winfried Nerdingers (*1944) bildet, und damit wahrschein- lich die Erfahrungen aller seiner vor- herigen Ausstellungen mit eingeflossen sind, tritt man die Reise nach München mit der Gewissheit an, dass man wahrscheinlich nicht enttäuscht wird. Um es vorweg zu sagen, man wird nicht nur nicht enttäuscht, sondern umfassend belohnt und verlässt die Ausstellung begeistert von dem Mate- rial, das man in Umfang und Qualität bisher nicht zu sehen bekommen hat. Grandios ist bereits der Blick in den langgestreckten ersten Saal: Direkt am Eingang steht man vor der ein- drucksvollen Plastik des Bekenchons aus Karnak (19. Dyn., um 1240 v. Chr.) in der typischen Form des „Würfelho- ckers“ (Bild 1), in der Ferne erkennt man die Büste des Apollodorus von Damaskus (um 65–130 n. Chr.), des Architekten Kaiser Trajans, und in der Mittelachse, aus rotem Sandstein, sieht man einen Werkmeister vom Mainzer Dom (vor 1239), der unter der zu tragenden Last fast zusammen- bricht. Und so wandert man durch die Geschichte der Architektur und des Architekten, von den Anfängen in Ägypten bis ins 21. Jahrhundert. Die einzelnen Zeitabschnitte sind knapp bemessen und ihnen sind jeweils nur so viele Objekte zugeordnet, dass man einen Überblick behält. Eine Mischung von großformatigen Bildern, Plastiken, Zeichnungen und Büchern trägt dazu bei, dass die Aufmerksamkeit nicht erlahmt. So wird der Themenbereich, der der Verwissenschaftlichung des Be- rufsstandes im 19. Jahrhunderts und der Differenzierung in Architekten und Ingenieure gewidmet ist, eindrucksvoll durch das Modell im Maßstab 1:25 der Bamberger Ludwigsbrücke (1829), der ersten eisernen Hängebrücke in Bay- ern nach dem Entwurf von Leo von Klenze und des Bamberger Ingenieurs Franz von Schieringer dokumentiert. Die Moderne kann damit nicht mithal- ten; hier werden überwiegend Archi- tektenportraits präsentiert – als Bilder, auf Titelbildern von Zeitschriften, Geldscheinen und Briefmarken. Am Ende des Ganges durch die Geschichte blickt man auf das bekannte Portrait Le Corbusiers (Bild 2): der Architekt als Intellektueller mit skeptisch hoch- gezogenen Augenbrauen und in die Stirn geschobener schwarzen Horn- brille. Von Le Corbusier und Iannis Xe- nakis finden sich in der anschließen- den Abteilung „Architektur und Mu- sik“ Zeichnungen und ein Modell des Philips-Pavillons auf der Weltausstel- lung Brüssel 1958, daran schließen sich bis zum Ende des ersten Saales die „Der Architekt. Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes“ Ausstellung des Architekturmuseums der TU München in der Pinakothek der Moderne Hartwig Schmidt Bild 1. Würfelfigur des Bekenchons aus Karnak, Neues Reich, 19. Dynastie, um 1240 v. Chr. Staatliches Museum Ägyp- tische Kunst, München. Im Hintergrund die Büste des Apollodorus von Damas- kus Bild 2. Le Corbusiers auf dem Höhe- punkt seiner Karriere 1956. Foto Archi- tekturmuseum der TU München, Foto André Villers

“Der Architekt. Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes“

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145Stahlbau 82 (2013), Heft 2

DOI: 10.1002/stab.201320027

Berichte

Eine Ausstellung, die vorgibt, einen Beruf in seiner ganzen Komplexität zu präsentieren, ist ein gewagtes Un-terfangen, denn, so fragt man sich, wie lassen sich 4000 Jahre Berufsge-schichte mit ihren vielen Facetten von der Planung bis zur Ausführung eines Bauwerks überhaupt darstellen? Von den Ausstellungen über Architekten weiß man, dass man überwiegend „Flachware“ zu sehen bekommt – Fo-tos, Zeichnungen und vielleicht auch ein paar Modelle –, jedoch nicht die einzelnen Bauten, die das Lebenswerk ausmachen – außer man begibt sich auf eine Architekturreise. Aber mit dem Wissen, dass diese Ausstellung den Abschluss der 35-jährigen Aus-stellungstätigkeit Winfried Nerdingers (*1944) bildet, und damit wahrschein-lich die Erfahrungen aller seiner vor-herigen Ausstellungen mit eingeflossen sind, tritt man die Reise nach München mit der Gewissheit an, dass man wahrscheinlich nicht enttäuscht wird. Um es vorweg zu sagen, man wird nicht nur nicht enttäuscht, sondern umfassend belohnt und verlässt die Ausstellung begeistert von dem Mate-rial, das man in Umfang und Qualität bisher nicht zu sehen bekommen hat.

Grandios ist bereits der Blick in den langgestreckten ersten Saal: Direkt am Eingang steht man vor der ein-drucksvollen Plastik des Bekenchons aus Karnak (19. Dyn., um 1240 v. Chr.) in der typischen Form des „Würfelho-ckers“ (Bild 1), in der Ferne erkennt man die Büste des Apollodorus von Damaskus (um 65–130 n. Chr.), des Architekten Kaiser Trajans, und in der Mittelachse, aus rotem Sandstein, sieht man einen Werkmeister vom Mainzer Dom (vor 1239), der unter der zu tragenden Last fast zusammen-bricht. Und so wandert man durch die Geschichte der Architektur und des

Architekten, von den Anfängen in Ägypten bis ins 21. Jahrhundert. Die einzelnen Zeitabschnitte sind knapp bemessen und ihnen sind jeweils nur so viele Objekte zugeordnet, dass man einen Überblick behält. Eine Mischung von großformatigen Bildern, Plastiken, Zeichnungen und Büchern trägt dazu bei, dass die Aufmerksamkeit nicht erlahmt. So wird der Themenbereich, der der Verwissenschaftlichung des Be-rufsstandes im 19. Jahrhunderts und der Differenzierung in Architekten und Ingenieure gewidmet ist, eindrucksvoll durch das Modell im Maßstab 1:25 der Bamberger Ludwigsbrücke (1829), der

ersten eisernen Hängebrücke in Bay-ern nach dem Entwurf von Leo von Klenze und des Bamberger Ingenieurs Franz von Schieringer dokumentiert. Die Moderne kann damit nicht mithal-ten; hier werden überwiegend Archi-tektenportraits präsentiert – als Bilder, auf Titelbildern von Zeitschriften, Geldscheinen und Briefmarken. Am Ende des Ganges durch die Geschichte blickt man auf das bekannte Portrait Le Corbusiers (Bild 2): der Architekt als Intellektueller mit skeptisch hoch-gezogenen Augenbrauen und in die Stirn geschobener schwarzen Horn-brille.

Von Le Corbusier und Iannis Xe-nakis finden sich in der anschließen-den Abteilung „Architektur und Mu-sik“ Zeichnungen und ein Modell des Philips-Pavillons auf der Weltausstel-lung Brüssel 1958, daran schließen sich bis zum Ende des ersten Saales die

„Der Architekt. Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes“Ausstellung des Architekturmuseums der TU München in der Pinakothek der Moderne

Hartwig Schmidt

Bild 1. Würfelfigur des Bekenchons aus Karnak, Neues Reich, 19. Dynastie, um 1240 v. Chr. Staatliches Museum Ägyp-tische Kunst, München. Im Hintergrund die Büste des Apollodorus von Damas-kus

Bild 2. Le Corbusiers auf dem Höhe-punkt seiner Karriere 1956. Foto Archi-tekturmuseum der TU München, Foto André Villers

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Koolhaas’. Am umfangreichsten ist die Abteilung der Zeichnungen, die von den ersten bekannten Hausgrundris-sen auf Tontafeln aus Babylon, die Ritzzeichnungen am Apollontempel in Didyma, den gotischen Federzeich-nungen auf Pergament für die Turmer-höhung von St. Lorenz (Nürnberg), den Entwurfszeichnungen Bramantes für Sankt Peter bis zu den Computer-animationen für das Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart reichen. Dass dabei hauptsächlich die Bestände des Architekturmuseums der TU präsen-tiert werden, ist verständlich und hat auch die Funktion, auf die Bedeutung dieser von Winfried Nerdinger von 1989 bis 2012 geleiteten Institution hinzuweisen. Aus dem Architektur-museum stammt auch die große An-zahl der ausgestellten Konstruktions-modelle.

Doch vieles zum Thema des Ar-chitektenberufes lässt sich nicht aus-stellen und deshalb gibt es zu dieser reichhaltigen Schau zwei dicke Kata-logbände mit 42 Aufsätzen zu den ein-zelnen Themen – ein wissenschaftli-ches Kompendium, das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte. „Mit Ausstellung und Publikation soll ein weitgespannter Überblick mit vie-len Facetten zur Geschichte, Entwick-lung, Problemen und Themen des Be-rufsstandes gegeben werden“, schreibt Winfried Nerdinger im Vorwort zu den Katalogbänden, „denn nur aus der Kenntnis des Standorts und der historischen Bedingtheit von Vorstel-lungen und Werturteilen kann Er-kenntnis für die Gegenwart erwach-sen. Es geht also um ein Nachschlage-werk mit exemplarischen Kapiteln zum Berufsstand, das auch über den europäischen Horizont blickt, nicht um ein Baulexikon oder eine Samm-lung von Architektenbiographien.“

Mit dem Ende der Ausstellung wird die Pinakothek der Moderne be-reits zehn Jahre nach ihrer Eröffnung für ein halbes Jahr geschlossen werden, um die aufgetretenen Risse an der zentralen Sichtbetonkuppel zu besei-tigen. Der Architekt, Stephan Braun-fels, fühlt sich dafür nicht schuldig, sondern weist auf die Vergaberichtli-nien hin, die immer den billigsten An-bieter bevorzugen würden. Danach scheinen sich einige Probleme für den Architekten im Laufe der Zeit nicht geändert zu haben. So ist der Wunsch des Bauherrn, die Baukosten zu redu-

Mittelachse, um den Bauherrn auch in den Innenraum blicken zu lassen (Bil-der 3 und 4). Weiter hinten schwebt das Modell der Turmhaube der Münchner Frauenkirche – eine verwirrende An-ordnung sich überkreuzender und mit-einander verbundener Hölzer. Zum Thema „Architekten als Theoretiker“ liegen 42 Lehrbücher aus, beginnend mit dem „Blattmusterbuch“ Hans Böb-lingers (um 1435) über die Klassiker Vitruv, Alberti, Serlio und Palladio, die großen Tafelwerke des 18. Jahrhun-derts bis hin zu den Schriften Rem

Abteilungen „Architektur und Bühne“ und „Architekten im Film“ an.

War der erste Teil der Ausstellung auf die Person und Bedeutung des Ar-chitekten im historischen Umfeld aus-gerichtet, so wird im zweiten Saal der Frage nachgegangen, wie Architektur entsteht. Gezeigt werden die Hand-werkszeuge des Architekten, von den Messwerkzeugen und Zeichengeräten über die ersten Entwurfsskizzen und Bauzeichnungen bis zu den Bau- und Konstruktionsmodellen. Im Gegensatz zur ersten Abteilung, in der man auch Bekanntes wiedergetroffen hat, und es dadurch möglich war, die Jahrhun-derte leicht zu durchschreiten, verlangt diese Abteilung vom Besucher ein ge-naues, aufmerksames Hinschauen. Die einzelnen Sachbereiche – Lehrbücher und Traktate, Zeichengeräte, Bauzeich-nungen, Modelle – sind wohl chrono-logisch geordnet, doch muss der Be-trachter sie den einzelnen Zeitab-schnitten zuordnen – und ist verblüfft, was alles bereits ausstellungswert ist: Ernst Neuferts Bauentwurfslehre ebenso wie das Etui mit den verschie-denen Rapidographen, die Plastikdrei-ecke und Kurvenlineale und selbst die Skizzen auf Papierservietten, die ihren Weg ist Architekturmuseum gefunden haben. Aber es sind auch viele Kostbar-keiten zu entdecken: In der Mitte des Raumes steht, bewundernswert in der Ausführung, das Modell der ehemali-gen Klosterkirche Münsterschwarz-ach bei Würzburg (1726/27) von Bal-thasar Neumann, aufklappbar in der

Bild 3. Modell der Kirche der ehemaligen Benediktinerabtei Münsterschwarzach nach dem Entwurf von Balthasar Neumann aus dem Jahre 1825/26. Südansicht

Bild 4. Das zerlegbare, in der Mitte geteilte Holzmodell ermöglichte dem Bauherrn einen Blick ins Innere. Die Abteikirche erbaut 1727–43, abgebro-chen 1821–27. Das 125 cm lange Mo-dell befindet sich heute im Bayerischen Nationalmuseum München

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(zu seinem Werk) ein dauerndes An-sehen begründen kann.“ (Vitruv I, 1,4). Doch wie weit sind wir heute von die-sem Architektenbild entfernt! Hatten im 19. Jahrhundert neue Materialien und Berechnungsmethoden eine Er-weiterung des Gestaltungsspielraumes ermöglicht, aber gleichzeitig die Ab-gabe der konstruktiven Kompetenz an den Ingenieur erzwungen, so scheint heute der fortschreitende Kompetenz-verlust an „Fachfremde“ dazu geführt zu haben, dass die Aufgabe des Archi-tekten sich nur noch auf das Design beschränkt und um eine möglichst „aufregende“ Fassadengestaltung.

Die Ausstellung zeigt eindrucks-voll, wie sich das Berufsbild des Archi-tekten, seine Kompetenz und gesell-schaftliche Bedeutung im Laufe der Zeit geändert haben. „Der vorliegende Überblick vom Alten Ägypten bis heute könnte dagegen helfen“, meint Win-fried Nerdinger, „Konstanten, Deter-minanten und Variablen des Berufs-standes besser zu erkennen und dem-entsprechend auch aus historischer Perspektive reflektiert in der Gegen-wart zu handeln.“ Auch wenn diese Hoffnung wahrscheinlich nicht in Er-füllung gehen wird, ist die Ausstellung selbst großartig und verdient ein gro-ßes Dankeschön an alle Beteiligten für ihre Mühe. Die Ausstellung wurde am 3. Februar 2013 geschlossen. Die Katalogbände(Bilder 5 und 6) kosten im Museum 76 €.

Alle Fotos aus der Ausstellung: H. Schmidt

Autor dieses Beitrages:Prof. Dr.-Ing. Hartwig Schmidt, Kurfürstenstraße 3, 76137 Karlsruhe

lieben zu verbrauchen als nach dem Belieben eines anderen.“ (Vitruv VI, praef.,6. Übersetzung C. Fensterbusch, 1964)

Diesem Bild des unfähigen und bestechlichen Architekten setzt Vitruv die Idee des auf wissenschaftlicher Grundlage und umfangreichen allge-meinen und fachlichen Kenntnissen arbeitenden Architekten gegenüber, der Theorie und Praxis, „fabrica“ (Handwerk) und „ratiocinatio“ (geis-tige Arbeit), miteinander verbinden könne (Vitruv I, 1,1). Darüber hinaus müsse er den Zeichenstift führen kön-nen, um dem Bauherrn das Aussehen des geplanten Gebäudes anschaulich darzustellen, müsse in Arithmetik be-wandert sein, um die Gesamtkosten des Bauwerks berechnen zu können, historische Kenntnisse haben, etwas von Philosophie, Musik und Medizin verstehen haben und darüber hinaus auch noch schreibgewandt sein, „da-mit er durch schriftliche Erläuterungen

zieren, ein Problem, dass bereits Vitruv in „De architectura“ (1. Jh. v. Chr.) be-schrieben hat. Er warnt Augustus, dem er das Buch widmet, vor Architekten und Bauunternehmern, die oftmals die Baukosten überschreiten würden, um sich zu bereichern (Vitruv X, praef.,1), die Bauherren umwerben würden, um Aufträge zu bekommen (Vitruv VI, praef.,5) und im allgemeinen ohne große Bildung seien. „Da ich aber be-merke, daß Leute ohne Ausbildung und Erfahrung sich mit einer Kunst von so großer Bedeutung befassen, Leute, die nicht nur nichts von Baukunst, sondern nicht einmal vom Handwerk-lichen etwas verstehen, kann ich nur das Verhalten derjenigen Bauherren anerkennen, die, ermutigt auf das Ver-trauen auf ein Lehrbuch (über die Bau-kunst), selbst den Bau leiten in der Meinung, wenn man Leuten ohne Er-fahrung die Arbeit nicht anvertrauen dürfe, denn es komme eher ihnen selbst zu, ihr Geld nach ihrem eigenen Be-

Bild 5. Titelbild Katalog 1. Band Bild 6. Titelbild Katalog 2. Band