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22 Dienstag, 18. Februar 2014 — Bern «Der Bund» im Gespräch Magistrale Zurückhaltung Fast vollzählig stand die Regierung des Kantons Bern samt ihren Herausforderern gestern Abend vor dem interessi Gesittet ging es zu, faule Tomaten flogen keine. Ein Zeichen, dass alle zufrieden sind, oder die Ruhe vor dem Sturm Im Ausland denken derzeit manche, in der Schweiz gebe es gar keine Regie- rung, nur ein unbotmässiges, wider- borstiges Volk, das eigenbrötlerische Entscheidungen treffe. Die Regierung, falls es sie doch gäbe, stehe lediglich mit hängenden Armen umher und lege schuldbewusst die Stirn in Falten. ¬ So ist es natürlich nicht. Es gibt 26 Teil- republiken mit 26 Regierungen, und in einem der grössten Kantone, im Stande Bern, wird nächstens gewählt. Grund genug, den amtierenden Magistraten auf den Zahn zu fühlen – und bei den Neukandidierenden herauszufinden, ob sie allenfalls besser für die Aufgabe taugten als die derzeitigen. ¬ So stehen sie also an diesem Montag- abend alle auf der Bühne im Berner Kornhaus, die Männer und Frauen, die in der Regierung sind oder einen Sessel erobern wollen. Alle? Nein, nicht alle. Barbara Egger-Jenzer (SP), die Bau- direktorin, hat unlängst einen Skiunfall erlitten und muss sich schonen, wie- wohl sie sich beim «‹Bund› im Ge- spräch» bestimmt gerne den Fragen gestellt hätte. Den Fragen von Chef- redaktor Artur K. Vogel, dessen Vize und Bundeshausredaktions-Chef Pat- rick Feuz sowie von Bernhard Ott und Marcello Odermatt, die das Bern-Res- sort leiten. Der Herausforderer für den Jura-Sitz, Manfred Bühler, verlässt den Saal bald nach seinen Ausführungen wieder, nicht unter Absingen wüster Lieder, sondern weil weitere Verpflich- tungen rufen. Desgleichen geht SVP- Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) vorzeitig, auch er nicht, weil ihm nach hoch brisanten Äusserungen der Boden unter den Füssen zu heiss geworden wäre – solche gibt es an diesem Abend kaum. Auch Beatrice Simon (BDP) entschwindet fast so schnell, wie sich das drohende Defizit in ihrer Direktion in mutmasslich schwarze Zahlen ver- wandelt hat. Sicherheitshalber wirft sie einen Kontrollblick ins «Bund»-Säckli, das alle als «Bhaltis» bekommen. Die aufgeregte Diskussion über Nebenein- künfte von Regierungsmitgliedern hat ihr eins gezeigt: «Es ist immer delikat, wenn man ein Geschenk annimmt.» ¬ Die «Tüten-Affäre» ist an diesem an Nettigkeiten nicht armen Abend einer der wenigen Höhepunkte. Nicht von schlechten Eltern ist die gut platzierte Provokation von Polizeidirektor Hans- Jürg Käser (FDP), die man mit der gebotenen Vorsicht zitieren möge, so Käser. Bei der Aufarbeitung der Folgen des Ja zur SVP-Masseneinwanderungs- initiative sagt er auf die Frage, weshalb im ländlichen Raum das Ja so stark gewesen sei: «Jene, die noch nie einen Neger gesehen haben, stimmten am meisten Ja.» Natürlich schiebt er so- gleich nach: «Pardon, einen Schwarzen» – wodurch sich feinsinnige Feuilleton- Debatten erübrigen dürften. Wobei, so Käser, die Masseneinwanderung eben gerade nicht im Asylbereich stattfinde. ¬ Man redet Mundart, mit ausdrücklicher Erlaubnis der beiden Welschen in der Runde. Der Aspirant auf den bernjuras- sischen Sitz, Manfred Bühler, spricht Mundart. Gesundheitsdirektor Philippe Perrenoud (SP) bedient sich des Hoch- deutschen, ganz gut, doch ist es in der Tat ein Handicap, wenn man sich in einem fremden Idiom äussern muss. Es ist fast so schwierig wie die Spitalland- schaft. «Das ist alles ein sehr komple- xer Prozess», sagt Perrenoud, der gar nicht findet, er habe in der Spitalfrage ungeschickt agiert. Beobachter hin- gegen sehen es durchaus nicht als Zufall, dass genau dieser Bisherige attackiert wird, da die Eroberung des verfassungsrechtlich garantierten Jura-Sitzes die bürgerliche Wende herbeiführen könnte. ¬ Die Amtierenden halten sich zurück. «Parlament kommt von parlare», sagt Polizeidirektor Käser. Will heissen: Die können im Grossen Rat viel reden, aber tragfähige Lösungen vorlegen muss die Regierung. In einer Kollegialbehörde wie dem Regierungsrat sei das Partei- büchlein nicht das Entscheidende, geben mehrere Magistraten zu Proto- koll. So kommt es, dass SP-Wirtschafts- minister Andreas Rickenbacher enga- giert die Wirtschaftsförderung vertei- digt, «die mehr einbringt, als die Steuervergünstigungen kosten». SVP- Justizminister Neuhaus lässt sich sein Abstimmungsverhalten bei der SVP- Masseneinwanderungsinitiative keines- falls aus der Nase ziehen. «Das wäre ja noch schöner, wenn man das öffentlich verraten müsste», sagt eine Zuhörerin des Abends später beim Hinausgehen. ¬ Weil Neuhaus kürzlich die Raumpla- nung als Gemeindesache bezeichnet hat, fragt Bern-Ressort-Leiter Bernhard Ott den Raumplanungsminister Neu- haus ketzerisch, was er den ganzen Tag mache. Neuhaus zählt auf, was in seinem 600-Millionen-Franken-Laden alles abgeht, was «halt nicht immer sexy» sei, aber dennoch wichtig. Und da gibt es andere wie den Sicherheits- minister Käser, bei dem alle zu wissen glauben, was er den lieben langen Tag macht, weil ihm die Affären nur so ins Haus schneien: Gefängnis Thorberg, IT-Beschaffung bei der Kantonspolizei und fragwürdige Zustände im Migra- tionsamt. Ob Käser Fehler gemacht hat, werden die Untersuchungen erst nach den Wahlen zeigen. Eines weiss er bereits jetzt. Überzeugt sagt er: «Ich habe meinen Laden im Griff.» Ob das Erziehungsdirektor Bernhard Pulver auch denkt? Er besuche Schulhäuser, aber keine Asylbewerberunterkünfte, sagt Pulver. «Ich habe keine Zeit, auch noch Herrn Käsers Direktion zu inspi- zieren.» ¬ Und die Neuen? Man muss dazu sagen, dass in der siebenköpfigen bernischen Exekutive eigentlich gar kein Platz für sie frei wird. Die Bisherigen treten alle noch einmal an, wobei nicht klar ist, ob es alle aus eitel Freude tun oder doch eher aus Parteiräson, um jedes Risiko auszuschalten. Das Risiko Bühler jedenfalls scheint nicht so gross zu sein. Bevor der Mann frühzeitig den Kantonale Wahlen 30. März 2014 www.wahlen2014.derbund.ch «Das ist alles ein sehr komplexer Prozess.» Gesundheitsdirektor Philippe Perrenoud (SP), Verteidiger des Jura-Sitzes, über die Spitalplanung, die so viel Streit im Parla- ment ausgelöst hat – und weiterhin ent- facht «Wirtschaftsför- derung bringt mehr Einkünfte, als die Steuer- erleichterungen kosten.» Andreas Rickenbacher (SP) «Es ist immer delikat, ein Geschenk anzunehmen.» Finanzdirektorin Beatrice Simon (BDP) wirft einen prüfenden Blick ins «Bhaltis»- Säcklein des «Bund», das alle Teilnehmerin- nen und Teilnehmer des Podiums erhalten Die amtierenden Magistraten (v. l.): Bernhard Pulver (Grüne), Hans-Jürg Käser (FDP), Andreas Rickenbacher und Philippe Perrenoud (beide SP), die Neu-Kandidaten der Mitte, Barbara Mühlheim (GLP) und Marc Jost (EVP). Rechts C

«Der Bund» im Gespräch Magistrale Zurückhaltung · Gesundheitsdirektor Philippe Perrenoud (SP) bedient sich des Hoch-deutschen, ganz gut, doch ist es in der Tat ein Handicap,

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Page 1: «Der Bund» im Gespräch Magistrale Zurückhaltung · Gesundheitsdirektor Philippe Perrenoud (SP) bedient sich des Hoch-deutschen, ganz gut, doch ist es in der Tat ein Handicap,

22 Dienstag, 18. Februar 2014 —

Bern

«Der Bund» im Gespräch

Magistrale Zurückhaltung Fast vollzählig stand die Regierung des Kantons Bern samt ihren Herausforderern gestern Abend vor dem interessierten Publikum. Gesittet ging es zu, faule Tomaten flogen keine. Ein Zeichen, dass alle zufrieden sind, oder die Ruhe vor dem Sturm? Markus Dütschler

Im Ausland denken derzeit manche, in der Schweiz gebe es gar keine Regie-rung, nur ein unbotmässiges, wider-borstiges Volk, das eigenbrötlerische Entscheidungen treffe. Die Regierung, falls es sie doch gäbe, stehe lediglich mit hängenden Armen umher und lege schuldbewusst die Stirn in Falten.

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So ist es natürlich nicht. Es gibt 26 Teil-republiken mit 26 Regierungen, und in einem der grössten Kantone, im Stande

Bern, wird nächstens gewählt. Grund genug, den amtierenden Magistraten auf den Zahn zu fühlen – und bei den Neukandidierenden herauszufinden, ob sie allenfalls besser für die Aufgabe taugten als die derzeitigen.

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So stehen sie also an diesem Montag-abend alle auf der Bühne im Berner Kornhaus, die Männer und Frauen, die in der Regierung sind oder einen Sessel erobern wollen. Alle? Nein, nicht alle. Barbara Egger-Jenzer (SP), die Bau-direktorin, hat unlängst einen Skiunfall erlitten und muss sich schonen, wie-wohl sie sich beim «‹Bund› im Ge-spräch» bestimmt gerne den Fragen gestellt hätte. Den Fragen von Chef-redaktor Artur K. Vogel, dessen Vize und Bundeshausredaktions-Chef Pat-

rick Feuz sowie von Bernhard Ott und Marcello Odermatt, die das Bern-Res-sort leiten. Der Herausforderer für den Jura-Sitz, Manfred Bühler, verlässt den Saal bald nach seinen Ausführungen wieder, nicht unter Absingen wüster Lieder, sondern weil weitere Verpflich-tungen rufen. Desgleichen geht SVP-Regie rungsrat Christoph Neuhaus (SVP) vorzeitig, auch er nicht, weil ihm nach hoch brisanten Äusserungen der Boden unter den Füssen zu heiss geworden wäre – solche gibt es an diesem Abend kaum. Auch Beatrice Simon (BDP) entschwindet fast so schnell, wie sich das drohende Defizit in ihrer Direktion in mutmasslich schwarze Zahlen ver-wandelt hat. Sicherheitshalber wirft sie einen Kontrollblick ins «Bund»-Säckli, das alle als «Bhaltis» bekommen. Die aufgeregte Diskussion über Nebenein-künfte von Regierungsmitgliedern hat ihr eins gezeigt: «Es ist immer delikat, wenn man ein Geschenk annimmt.»

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Die «Tüten-Affäre» ist an diesem an Nettigkeiten nicht armen Abend einer der wenigen Höhepunkte. Nicht von

schlechten Eltern ist die gut platzierte Provokation von Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP), die man mit der gebotenen Vorsicht zitieren möge, so Käser. Bei der Aufarbeitung der Folgen des Ja zur SVP-Masseneinwanderungs-initiative sagt er auf die Frage, weshalb im ländlichen Raum das Ja so stark gewesen sei: «Jene, die noch nie einen Neger gesehen haben, stimmten am meisten Ja.» Natürlich schiebt er so-gleich nach: «Pardon, einen Schwarzen» – wodurch sich feinsinnige Feuilleton-Debatten erübrigen dürften. Wobei, so Käser, die Masseneinwanderung eben gerade nicht im Asylbereich stattfinde.

¬

Man redet Mundart, mit ausdrücklicher Erlaubnis der beiden Welschen in der Runde. Der Aspirant auf den bernjuras-sischen Sitz, Manfred Bühler, spricht Mundart. Gesundheitsdirektor Philippe Perrenoud (SP) bedient sich des Hoch-deutschen, ganz gut, doch ist es in der Tat ein Handicap, wenn man sich in einem fremden Idiom äussern muss. Es ist fast so schwierig wie die Spitalland-schaft. «Das ist alles ein sehr komple-

xer Prozess», sagt Perrenoud, der gar nicht findet, er habe in der Spitalfrage ungeschickt agiert. Beobachter hin-gegen sehen es durchaus nicht als Zufall, dass genau dieser Bisherige attackiert wird, da die Eroberung des verfassungsrechtlich garantierten Jura-Sitzes die bürgerliche Wende herbeiführen könnte.

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Die Amtierenden halten sich zurück. «Parlament kommt von parlare», sagt Polizeidirektor Käser. Will heissen: Die können im Grossen Rat viel reden, aber tragfähige Lösungen vorlegen muss die Regierung. In einer Kollegialbehörde wie dem Regierungsrat sei das Partei-büchlein nicht das Entscheidende, geben mehrere Magistraten zu Proto-koll. So kommt es, dass SP-Wirtschafts-minister Andreas Rickenbacher enga-giert die Wirtschaftsförderung vertei-digt, «die mehr einbringt, als die Steuervergünstigungen kosten». SVP-Justizminister Neuhaus lässt sich sein Abstimmungsverhalten bei der SVP-Masseneinwanderungsinitiative keines-falls aus der Nase ziehen. «Das wäre ja noch schöner, wenn man das öffentlich verraten müsste», sagt eine Zuhörerin des Abends später beim Hinausgehen.

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Weil Neuhaus kürzlich die Raumpla-nung als Gemeindesache bezeichnet hat, fragt Bern-Ressort-Leiter Bernhard Ott den Raumplanungsminister Neu-haus ketzerisch, was er den ganzen Tag mache. Neuhaus zählt auf, was in seinem 600-Millionen-Franken-Laden alles abgeht, was «halt nicht immer sexy» sei, aber dennoch wichtig. Und da gibt es andere wie den Sicherheits-

minister Käser, bei dem alle zu wissen glauben, was er den lieben langen Tag macht, weil ihm die Affären nur so ins Haus schneien: Gefängnis Thorberg, IT-Beschaffung bei der Kantonspolizei und fragwürdige Zustände im Migra-tionsamt. Ob Käser Fehler gemacht hat, werden die Untersuchungen erst nach den Wahlen zeigen. Eines weiss er bereits jetzt. Überzeugt sagt er: «Ich habe meinen Laden im Griff.» Ob das Erziehungsdirektor Bernhard Pulver auch denkt? Er besuche Schulhäuser, aber keine Asylbewerberunterkünfte, sagt Pulver. «Ich habe keine Zeit, auch noch Herrn Käsers Direktion zu inspi-zieren.»

¬

Und die Neuen? Man muss dazu sagen, dass in der siebenköpfigen bernischen Exekutive eigentlich gar kein Platz für sie frei wird. Die Bisherigen treten alle noch einmal an, wobei nicht klar ist, ob es alle aus eitel Freude tun oder doch eher aus Parteiräson, um jedes Risiko auszuschalten. Das Risiko Bühler jedenfalls scheint nicht so gross zu sein. Bevor der Mann frühzeitig den

Kantonale Wahlen 30. März 2014 www.wahlen2014.derbund.ch

«Das ist alles ein sehr komplexer Prozess.»Gesundheitsdirektor Philippe Perrenoud (SP), Verteidiger des Jura-Sitzes, über die Spitalplanung, die so viel Streit im Parla-ment ausgelöst hat – und weiterhin ent-facht

«Wirtschaftsför-derung bringt mehr Einkünfte, als die Steuer-erleichterungen kosten.»Andreas Rickenbacher (SP)

«Es ist immer delikat, ein Geschenk anzunehmen.»Finanzdirektorin Beatrice Simon (BDP) wirft einen prüfenden Blick ins «Bhaltis»- Säcklein des «Bund», das alle Teilnehmerin-nen und Teilnehmer des Podiums erhalten

Die amtierenden Magistraten (v. l.): Bernhard Pulver (Grüne), Hans-Jürg Käser (FDP), Andreas Rickenbacher und Philippe Perrenoud (beide SP), die Neu-Kandidaten der Mitte, Barbara Mühlheim (GLP) und Marc Jost (EVP). Rechts Chefredaktor Artur K. Vogel. Bilder: Adrian Moser