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868 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bautechnik 83 (2006), Heft 12 Fachthemen Julius Weisbach (1806–1871) schuf mit seinem zweibändigen „Lehrbuch der Ingenieur- und Maschinen-Mechanik“ (1845–1887), seinem Handbuch „Der Ingenieur“ und der Zeit- schrift „Der Civilingenieur“ eine dem Stand der Industriellen Revolution in Deutschland verpflichtete Darstellung der Technischen Mechanik nach Inhalt und Form. Er unterzog die gesamte Artefaktwelt des Ingenieurs der damaligen Zeit erstmals einer einfachen und verständlichen Analyse durch die Technische Mechanik. Mit diesem enzyklopädisch angelegten Publikationssystem gelang es Weisbach, die historisch-logische Mitte der Disziplinbildungsperiode der Technischen Mechanik (1825–1900) auf gültige Weise dar- zustellen. Encyclopaedist of 19th century applied mechanics – Commemorating Julius Weisbach’s 200th birthday. With his two-volume „Lehrbuch der Ingenieur- und Maschinen-Mechanik“ (Textbook of engineering and machine mechanics) (1845–1887), his handbook „Der Inge- nieur“ (The Engineer) und the journal „Der Civilingenieur“ (The Civil Engineer), Julius Weisbach (1806–1871) created an image of applied mechanics reflecting the state of the industrial revolution in Germany in content and form. For the first time, he subjected the whole ‘artefact world’ of the contemporary engineer to a simple and comprehensible analysis based on applied mechanics. With his encyclopaedic publication system Weis- bach succeeded in providing a valid representation of the historical/logical middle of the discipline formation period of applied mechanics (1825–1900). die Technische Mechanik in der Mitte der Disziplinbildungsperiode auf enzyklopädische Weise. Weisbachs „Lehrbuch“ ist das einflußreichste deutschsprachige Werk der Techni- schen Mechanik im 19. Jahrhundert, das zahlreiche originäre Beiträge ent- hält – insbesondere auf dem Gebiet der Hydraulik und der Festigkeitslehre. So untersuchte er 1848 erstmals die gemischte Beanspruchung wie z. B. „Biegung und Normalkraft“ für Stab- tragwerke [14]. Sein „Lehrbuch“wurde ins Englische (USA, Großbritannien), Russische, Schwedische, Italienische, Französische, Spanische und Polnische übersetzt. Weisbach war korrespon- dierendes Mitglied der Akademien in St. Petersburg, Stockholm und Florenz. Die Universität Leipzig verlieh ihm 1859 den Ehrendoktortitel; ein Jahr später ernannte der 1856 gegründete Verein Deutscher Ingenieure (VDI) Weisbach zum ersten Ehrenmitglied. Karl-Eugen Kurrer Der Enzyklopädist der Technischen Mechanik des 19. Jahrhunderts Zum 200. Geburtstag von Julius Weisbach (1806–1871) 1 Biographisches Das am 10. August 1806 in Mittel- schmiedeberg b. Annaberg/Sachsen geborene achte Kind eines Schicht- meisters auf dem Mittelschmiedeber- ger Eisenhammer, Julius, zeigte schon früh seine außergewöhnlichen geisti- gen Anlagen. Nach dem Besuch des Annaberger Gymnasiums schloß sich 1820 die Freiberger Bergschule an. Von 1822 bis 1826 studierte Julius Weis- bach (Bild 1) an der Bergakademie Freiberg und vollendete seine Ausbil- dung durch mathematisch-naturwis- senschaftliche Studien in Göttingen und in Wien bei Friedrich Mohs (1773– 1839). 1830 unternahm er eine halb- jährige bergmännische Fußreise durch Österreich-Ungarn und kehrte dann nach Freiberg zurück. Dort verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Privatgelehrter mit Mathematikunter- richt. 1833 schließlich wurde Weisbach Lehrer für Mathematik und Bergma- schinenlehre an der Bergakademie Freiberg. Drei Jahre später avancierte er daselbst zum Professor für ange- wandte Mathematik, Mechanik, Berg- maschinenlehre und allgemeine Mark- scheidekunde. In jedem der genannten Fächer hinterließ Weisbach bleibende Leistungen. Wie Franz Joseph Ritter von Gerstner (1756–1832) vor ihm und August Föppl (1854-1924) nach ihm kann Weisbach als führender Didak- tiker der technikwissenschaftlichen Lehre bezeichnet werden. Weisbachs Verständnis der Technischen Mecha- nik wurde durch seine Reise zur In- dustrieausstellung nach Paris im Jahre 1839 tief geprägt; dort lernte er Pon- celet, Morin, Coriolis, Arago und den französischen Generalberginspektor Gruner kennen [1, S. 29]. Mit seinem „Lehrbuch der Inge- nieur- und Maschinen-Mechanik“ [2] bis [13] prägte und popularisierte er Bild 1. Julius Weisbach (1806–1871) (Quelle: [1]) Fig. 1. Julius Weisbach (1806–1871) DOI: 10.1002/bate.200610076

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868 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bautechnik 83 (2006), Heft 12

Fachthemen

Julius Weisbach (1806–1871) schuf mit seinem zweibändigen „Lehrbuch der Ingenieur-und Maschinen-Mechanik“ (1845–1887), seinem Handbuch „Der Ingenieur“ und der Zeit-schrift „Der Civilingenieur“ eine dem Stand der Industriellen Revolution in Deutschlandverpflichtete Darstellung der Technischen Mechanik nach Inhalt und Form. Er unterzogdie gesamte Artefaktwelt des Ingenieurs der damaligen Zeit erstmals einer einfachenund verständlichen Analyse durch die Technische Mechanik. Mit diesem enzyklopädischangelegten Publikationssystem gelang es Weisbach, die historisch-logische Mitte derDisziplinbildungsperiode der Technischen Mechanik (1825–1900) auf gültige Weise dar-zustellen.

Encyclopaedist of 19th century applied mechanics – Commemorating Julius Weisbach’s200th birthday. With his two-volume „Lehrbuch der Ingenieur- und Maschinen-Mechanik“(Textbook of engineering and machine mechanics) (1845–1887), his handbook „Der Inge-nieur“ (The Engineer) und the journal „Der Civilingenieur“ (The Civil Engineer), JuliusWeisbach (1806–1871) created an image of applied mechanics reflecting the state of theindustrial revolution in Germany in content and form. For the first time, he subjected thewhole ‘artefact world’ of the contemporary engineer to a simple and comprehensibleanalysis based on applied mechanics. With his encyclopaedic publication system Weis-bach succeeded in providing a valid representation of the historical/logical middle of thediscipline formation period of applied mechanics (1825–1900).

die Technische Mechanik in der Mitteder Disziplinbildungsperiode aufenzyklopädische Weise. Weisbachs„Lehrbuch“ ist das einflußreichstedeutschsprachige Werk der Techni-schen Mechanik im 19. Jahrhundert,das zahlreiche originäre Beiträge ent-hält – insbesondere auf dem Gebietder Hydraulik und der Festigkeitslehre.So untersuchte er 1848 erstmals diegemischte Beanspruchung wie z. B.„Biegung und Normalkraft“ für Stab-tragwerke [14]. Sein „Lehrbuch“wurdeins Englische (USA, Großbritannien),Russische, Schwedische, Italienische,Französische, Spanische und Polnischeübersetzt. Weisbach war korrespon-dierendes Mitglied der Akademien inSt. Petersburg, Stockholm und Florenz.Die Universität Leipzig verlieh ihm1859 den Ehrendoktortitel; ein Jahrspäter ernannte der 1856 gegründeteVerein Deutscher Ingenieure (VDI)Weisbach zum ersten Ehrenmitglied.

Karl-Eugen Kurrer

Der Enzyklopädist der Technischen Mechanik des 19. JahrhundertsZum 200. Geburtstag von Julius Weisbach (1806–1871)

1 Biographisches

Das am 10. August 1806 in Mittel-schmiedeberg b. Annaberg/Sachsengeborene achte Kind eines Schicht-meisters auf dem Mittelschmiedeber-ger Eisenhammer, Julius, zeigte schonfrüh seine außergewöhnlichen geisti-gen Anlagen. Nach dem Besuch desAnnaberger Gymnasiums schloß sich1820 die Freiberger Bergschule an. Von1822 bis 1826 studierte Julius Weis-bach (Bild 1) an der BergakademieFreiberg und vollendete seine Ausbil-dung durch mathematisch-naturwis-senschaftliche Studien in Göttingenund in Wien bei Friedrich Mohs (1773–1839). 1830 unternahm er eine halb-jährige bergmännische Fußreise durchÖsterreich-Ungarn und kehrte dannnach Freiberg zurück. Dort verdienteer sich seinen Lebensunterhalt alsPrivatgelehrter mit Mathematikunter-richt. 1833 schließlich wurde Weisbach

Lehrer für Mathematik und Bergma-schinenlehre an der BergakademieFreiberg. Drei Jahre später avancierteer daselbst zum Professor für ange-wandte Mathematik, Mechanik, Berg-maschinenlehre und allgemeine Mark-scheidekunde. In jedem der genanntenFächer hinterließ Weisbach bleibendeLeistungen. Wie Franz Joseph Rittervon Gerstner (1756–1832) vor ihm undAugust Föppl (1854-1924) nach ihmkann Weisbach als führender Didak-tiker der technikwissenschaftlichenLehre bezeichnet werden. WeisbachsVerständnis der Technischen Mecha-nik wurde durch seine Reise zur In-dustrieausstellung nach Paris im Jahre1839 tief geprägt; dort lernte er Pon-celet, Morin, Coriolis, Arago und denfranzösischen GeneralberginspektorGruner kennen [1, S. 29].

Mit seinem „Lehrbuch der Inge-nieur- und Maschinen-Mechanik“ [2]bis [13] prägte und popularisierte er

Bild 1. Julius Weisbach (1806–1871)(Quelle: [1])Fig. 1. Julius Weisbach (1806–1871)

DOI: 10.1002/bate.200610076

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Am 24. Februar 1871 – also kaum mehrals vier Wochen nach der Proklamie-rung des preußischen Königs zum Kai-ser des Deutschen Reiches im Spie-gelsaal von Versailles – verstarb JuliusWeisbach in Freiberg (Sachsen).

2 Das „Lehrbuch der Ingenieur- undMaschinen-Mechanik“

„Mein Hauptbestreben bei Bearbeitungdieses Werkes“, schrieb Weisbach inder Vorrede zu Band I seines „Lehr-buches“ (Bild 2a), „bestand in dem Er-zielen der größten Einfachheit bei derEntwickelung und Beweisführung, undnächstdem darin, alle in der Anwen-dung auf die Praxis wichtigen Sätzenur mit Hilfe der niedern Mathematikabzuhandeln“ [2, S. V]. Als Lehrerund Schriftsteller für Techniker sei esPflicht, „das gründliche Studium derWissenschaft durch Vereinfachungim Vortrage, durch Beseitigung allesÜberflüssigen und durch Anwendungder bekanntesten und zugänglichstenHilfslehren zu erleichtern“ [2, S. V–VI].Der durchschlagende Erfolg des Weis-bachschen „Lehrbuchs“ gründete sichauf konsequente Umsetzung jener dreiGrundsätze, welcher der Literatur derTechnischen Mechanik neue Leser-kreise verschaffte.

Bei der Bearbeitung seines „Lehr-buchs“ bemühte sich Weisbach, „die

rechte Mitte zwischen Generalisirenund Specialisiren zu halten“ [2, S. VI].Dabei zieht er die Induktion der De-duktion vor: „Auch ist nicht einfach zuleugnen, daß in der Betrachtung desallgemeinen Falles oft die tiefereKenntnis des specielleren Falles verlo-ren geht, und daß es nicht selten leich-ter ist, aus dem einfachen das Zusam-mengesetztere abzuleiten, als aus demAllgemeineren das Einzelne herauszu-ziehen“ [2, S. VI]. Für die TechnischeMechanik praktizierte Weisbach damiterstmals das durch den britischen Phi-losophen und WissenschaftshistorikerWilliam Whewell (1794–1866) in sei-ner 1840 veröffentlichten Schrift „ThePhilosophy of the Inductive Sciences“für alle Wissenschaften philosophischbegründete Prinzip der Induktion, dasin der angelsächsischen Wissen-schaftstradition eine große Rolle spie-len sollte und mit dazu beitrug, daßWeisbachs „Lehrbuch“ mehrere eng-lischsprachige Editionen erlebte.

Nach Weisbach ist die TechnischeMechanik– keine Maschinenlehre, sondern „nurdie Einleitung oderVorbereitungswis-senschaft zu dieser“ [2, S. VI]– insofern verhält sie sich zur Ma-schinenlehre wie die Darstellende Geo-metrie zum Maschinenzeichnen.

Die Unterteilung seines „Lehr-buchs“ in eine „Theoretische Mecha-

nik“ und eine „Praktische Mechanik“begründet Weisbach damit, „daß die-ses Werk Unterricht über alle mecha-nische Verhältnisse der Bau- und Ma-schinenlehre ertheilen soll (…). Um einBauwerk und zumal eine Maschinevollständig beurtheilen zu können,sind oft die verschiedensten Lehrender Mechanik (…) in Anspruch zunehmen, es ist also das Material zummechanischen Studium eines Bau- undMaschinenwerkes fast aus allen Thei-len der Mechanik zusammenzulesen.Da es nun aber für den praktischenGebrauch viel zweckmäßiger ist, diemechanischen Lehren über jede Ma-schine im Zusammenhange studirenzu können, als sie aus fast allen Thei-len der Mechanik zusammentragen zumüssen, so möchte die Nützlichkeitder gemachten Theilung außer allemZweifel sein“ [2, S. VII].

Weisbach unterteilt die „Theore-tische Mechanik“ in die– „rein mathematische Bewegungs-lehre“ (= Kinematik)– „physische Bewegungslehre im All-gemeinen“ (= Kinetik des materiellenPunktes)– „Statik fester Körper“ (= Statikstarrer und elastischer Körper, Festig-keitslehre)– „Dynamik fester Körper“– „Statik flüssiger Körper“ (= Hydro-und Aerostatik)

Bild 2. Titelblätter der 1. Auflage von Weisbachs „Lehrbuch“Fig. 2. Title pages of the first edition of Weisbach’s „Lehrbuch“

a) b) c)

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– „Dynamik flüssiger Körper“ (= Hy-dro- und Aerodynamik)

sowie die „Praktische Mechanik“in die– „Anwendung der Mechanik aufBauwerke“ (= Baustatik)– „Anwendung der Mechanik auf dieUmtriebsmaschinen“ (= Analyse vonKraftmaschinen).

In Bild 3 ist die von Georg Zöllner1956 entwickelte tabellarische Auf-stellung der deutschsprachigen Aufla-gen von Weisbachs „Lehrbuch“ dar-gestellt (s. [1, S. 43]). Aus Gründen derVergleichbarkeit werden für die wei-tere Analyse nur die Bände I und IIbetrachtet, die im Bild grau hinterlegtsind. Was den Seitenumfang betrifft,so betrug er– in der 1. Auflage für Band I 535Seiten und Band II 618 Seiten– in der 2. Auflage für Band I 696Seiten und Band II 704 Seiten (Bau-statik: 118 Seiten, Kraftmaschinen:586 Seiten)– und schließlich in der 5. Auflagefür Band I 1312 Seiten und Band IIinsgesamt 1870 Seiten (Baustatik: 614Seiten, Kraftmaschinen: 1256 Seiten).

Band III über die Mechanik derArbeits- und Zwischenmaschinenbrachte es schon in der 1. Auflage aufsage und schreibe 1360 Seiten!

Aus diesen Seitenumfängen läßtsich einiges über die qualitative Ent-wicklung der Baustatik und der Ma-schinenmechanik ablesen: In der Zeit

von 1850 bis 1875 durchlief die Bau-statik die Etablierungsphase – die„Mitte“ ihrer Disziplinbildungsperiode(1825–1900), welche durch die Schaf-fung der Fachwerktheorie gekenn-zeichnet war [15, S. 27–28]; für dieMaschinenlehre läßt sich mit der„Technisierung“ der Thermodynamiki. S. einerTheorie der DampfmaschineVergleichbares sagen. Beide diszi-plinären Prozesse koinzidieren mit derIndustriellen Revolution in Deutsch-land. So stand Weisbachs „Lehrbuch“nicht nur historisch, sondern auch lo-gisch in der „Mitte“ der Disziplinge-nese derTechnischen Mechanik. EineBedingung des Erfolges seines „Lehr-buchs“ bildete die Erfindung des In-genieur-Handbuches durch Weisbach,welche die Durchdringung der Inge-nieurpraxis auf der Basis der Techni-schen Mechanik wesentlich befördernsollte.

3 Das Handbuch „Der Ingenieur“

Mit dem 1848 veröffentlichten Hand-buch „Der Ingenieur“ (Bild 4) [16]stellte Weisbach seinem „Lehrbuch“1848 ein Werk zur Seite, das „eine ge-drängte und möglichst geordnete Zu-sammenstellung von solchen sorgfäl-tig ausgewählten Regeln, Formelnund Tabellen (enthält), welche aufden sichersten Theorien und Thatsa-chen der Erfahrung basirt sind, undin dem Ingenieurwesen, der prakti-

schen Geometrie und Mechanik, demMaschinenwesen, der Baukunst undder Technik überhaupt, ihre Anwen-dung finden“ [16, S. VI].

„Der Ingenieur“ ist in drei Teilegegliedert:

Erster Teil: Arithmetik (147 Seiten)– Tabellen: z. B. Wurzel- und Loga-rithmentafeln– Regeln und Formeln: Grundopera-tionen (z. B. arithmetische Grund-operationen, Radizieren, Logarith-mieren), Gleichungen, Reihen

Zweiter Teil: Geometrie (205 Seiten)– Tafeln: Maßtafeln, TrigonometrischeTabellen, Kreistafeln– Formeln und Regeln der theoreti-schen Geometrie: Planimetrie, Stereo-metrie– Formeln und Regeln der praktischenGeometrie: Geodäsie

Dritter Teil: Mechanik (255 Seiten)– Formeln, Regeln und Tabellen dertheoretischen Mechanik: Gewichts-tafeln, Formeln, Regeln und Tabellender allgemeinen Mechanik, Statik,Dynamik, Hydraulik– Formeln, Regeln und Tabellen derpraktischen Mechanik: Statik derBauwerke, Mechanik der Umtriebs-maschinen,Wärmetheorie und Dampf-

Bild 3. Tabellarische Aufstellung der deutschsprachigen Auflagen von Weisbachs„Lehrbuch“Fig. 3. Tabular listing of the German-language editions of Weisbach’s „Lehrbuch“

Bild 4. Titelblatt von Weisbachs Hand-buch „Der Ingenieur“ Fig. 4. Title page of Weisbach’s hand-book entitled „Der Ingenieur“ (TheEngineer)

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maschinen, Zwischenmaschinen, Ar-beitsmaschinen.

Bild 5 zeigt die von Weisbacherstmals eingeführte zusammenge-setzte Festigkeit. Der unter einemspitzen Winkel a gegen das Auflagereingespannte Kragbalken AB derLänge � wird auf Biegung von derQuerkraft P · sin a und auf Zug vonder Normalkraft P · cos a beansprucht.Für diesen Fall einer zusammengesetz-ten Beanspruchung gibt Weisbach erst-mals die Spannungsformel an [16,S. 425]:

(1)

In der Gleichung für die Normalspan-nungen (1) entspricht F der Quer-schnittsfläche, W dem Trägheitsmo-ment und e dem Abstand der äußerenFaser von der neutralen Achse; dabeientspricht W/e dem Widerstandsmo-ment des Querschnitts. Auf den bei-den folgenden Seiten entwickelt Weis-bach weitere Spannungsformeln fürBiegung mit Normalkraft sowie Bie-gung mit Torsion.

So entsprach „Der Ingenieur“dem Bedürfnis, die dynamisch sichentwickelnden Wissensbestände derentstehenden klassischen Technik-wissenschaften in der zweiten Hälftedes 19. Jahrhunderts strukturell so zuorganisieren und aufzubereiten, daßsie dem Ingenieur in der Praxis als Ar-beitmittel dienen konnten. WeisbachsIngenieur-Handbuch sollten weiterefolgen, von denen nur das im VerlagErnst & Korn (heute Ernst & Sohn)

s a a= ◊ + ◊ ◊ ◊PF

eW

Pcos sin l

1857 erschienene Handbuch mit demTitel „Des Ingenieur’s Taschenbuch.Hütte“ genannt sei – dem erfolgreich-sten deutschsprachigen Ingenieur-Ta-schenbuch, das von Mitgliedern des1846 an der Königlichen Gewerbe-akademie zu Berlin gegründeten Ver-eins „Die Hütte“ herausgegeben wurde.Festzuhalten bleibt, daß das in mehre-ren Auflagen erscheinende Ingenieur-Handbuch Weisbachs die Literatur-gattung des Ingenieur-Handbuchsüberhaupt begründete.

4 Die Zeitschrift „Der Civilingenieur“

Georg Zöllner vermutet, daß die Be-obachtungen und Eindrücke der Pari-ser Reise im Jahre 1839 Weisbach an-regten, mit einigen Freiberger Mitar-beitern eine Ingenieurzeitschrift zugründen [1, S. 30]. Die Planungenhierzu begannen 1846 und konnten1848 in Gestalt der Zeitschrift „DerIngenieur. Zeitschrift für das ge-sammte Ingenieurwesen“ (Bild 6) zu-sammen mit den Freibergern Borne-mann, Brückmann und Röting reali-siert werden; mit der Zeitschrift „DerIngenieur“ erblickte die erste deutsch-sprachige Ingenieurzeitschrift dasLicht der Welt. Schon im ersten Jahr-gang dieser Zeitschrift veröffentlichteWeisbach seinen sehr bedeutsamenAufsatz „Die Theorie der zusammen-gesetzten Festigkeit“ [14]. Die Zeit-schrift wurde seit 1854 unter dem Ti-tel „Der Civilingenieur. Zeitschrift fürdas Ingenieurwesen“ – mit dem Weis-bach-Schüler Gustav Anton Zeuner(1828–1907) als Hauptredakteur – fort-

geführt und avancierte zum Organdes Sächsischen Ingenieur- und Ar-chitekten-Vereins; im Jahr 1896 er-schien der letzte Jahrgang. Im „Civil-ingenieur“ veröffentlichte Weisbach29 seiner insgesamt 59 Zeitschriften-beiträge, darunter seine didaktischvorbildlichen Versuche über Techni-sche Mechanik im Jahr 1863 und1868.

5 Weisbachs Festigkeitslehre

Die Festigkeitslehre subsumierteWeisbach unter dem Abschnitt „Sta-tik fester Körper“ [6, S. 146–468] imKapitel „Elasticität und Festigkeit“ [6,S. 305–468] des ersten Bandes. Ela-stizität im weiteren Sinne des Wortesdefiniert Weisbach als Fähigkeit derKörper, die durch Einwirkung vonKräften erlittene Formveränderungnach Wegnahme dieser Kräfte voll-ständig wieder aufzuheben. UnterElastizität im engeren Sinne des Wor-tes versteht er „den Widerstand, mitwelchem ein Körper der Formände-rung entgegenwirkt“, dagegen seiFestigkeit der „Widerstand, welchenein Körper der Zertheilung desselbenentgegensetzt“ [6, S. 306]. Damit dif-ferenziert Weisbach auch auf begriff-licher Ebene klarzwischen Gebrauchs-und Bruchzustand. Nach Art undWeise, wie die äußeren Kräfte aufKörperwirken und dieselben in räum-

Bild 5. Biegung mit Normalkraft nach Weisbach (Quelle: [16, S. 425])Fig. 5. Compound bending according to Weisbach (Source: [16, p. 425])

Bild 6. Titelblatt der Zeitschrift „DerIngenieur“Fig. 6. Title page of the journal entitled„Der Ingenieur“ (The Engineer)

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lichen Beziehungen verändern, läßtsich die Elastizität und Festigkeit derKörper einteilen„I. in einfache und II. zusammenge-setzte; erstere aber wieder– 1.) in die absolute oder Zug-,– 2.) in die rückwirkende oder Druck-,– 3.) in die relative oder Biegungs- und– 4.) in die Torsions- oder Drehungs-Elasticität und Festigkeit“ [6, S. 306].

Ein originärer Beitrag Weisbachszur Festigkeitslehre besteht in derEinführung der aus den einfachenBeanspruchungsarten 1.) bis 4.) „zu-sammengesetzten Elasticität und Fes-tigkeit“, die in der Ingenieurpraxis amhäufigsten vorkommt.

Weisbach handelt folgende The-menbereiche der Festigkeitslehre ab:Einfache Beanspruchungsarten, Mate-rialkennwerte, Balkentheorie (Krag-und Einfeldträger – auch statisch un-bestimmte Fälle, Träger mit gebräuch-lichen Querschnitten, Träger gleicherFestigkeit), Torsionstheorie, zusam-mengesetzte Festigkeit, Knicktheorieund zugbeanspruchte Balken nachTheorie II. Ordnung (Kragbalken).Dieser mit zahlreichen – übersichtlichin Tabellen aufbereiteten – experimen-tellen Befunden durchsetzte Par Force-Ritt Weisbachs durch die Festigkeits-lehre enthält bemerkenswerte Neue-rungen. So gibt er bei der Abhandlungder verschiedenen Lagerungs- undLastfälle erstmals die graphische Dar-stellung der Biegemomente an (Bild 7).

5.1 Biegefestigkeit

Daß Weisbach mitunter irrte, zeigtder Biegemomentenverlauf des beid-seitig eingespannten Balkens unterGleichstreckenlast (Bild 7b). Zwarsind die von Weisbach abgeleitetenFormeln für die Einspannmomenteund das Feldmoment richtig, diezeichnerische Umsetzung in eineKurve aber nicht folgerichtig. Dabeinutzte er implizit jene aus der schonvon Eytelwein angegebenen lineari-sierten Differentialgleichung der Bie-gelinie y(x)

(2)

folgende Eigenschaft, die darin be-steht, daß die Krümmung 1/R(x) undBiegemomente M(x) an den Stellen Dund E verschwinden müssen. Daraus

-( )

=( )◊

= ( )d y x

dx

M x

E I R x

2

21

folgt aber nicht, daß die Punkte Dund E des BiegemomentenverlaufesM(x) auch Wendepunkte sind – wieWeisbach in seiner Zeichnung angab.Daß dies nicht richtig ist, geht auszweimaliger Integration der Differen-tialgleichung

(3)

sofort hervor, denn für q(x) = q = const.ergibt für den BiegemomentenverlaufM(x) eine quadratische Parabel undnicht ein Polynom 4. Ordnung mitWendepunkten in D und E. Die Ursa-che der falschen zeichnerischen Um-setzung liegt letztlich darin begrün-det, daß Weisbach sich der Mittel derElementarmathematik bediente, denFunktionsverlauf für M(x) nicht an-gab und ihm die Differentialglei-chung (3) unbekannt war; gleichwohlleitete er M(x) für statisch unbestimmteEinfeldträger unter Einzellast richtigab (Bild 7a).

5.2 Zugfestigkeit

Im Gegensatz zu Gerstner (s. [17])gibt Weisbach Kraft-Verformungsdia-

d M x

dxq x

2

2

( )= ( )

gramme unterschiedlichster Materia-lien qualitativ (Bild 8) und quantitativ(Bild 9) an. Dabei stehen in den Bil-dern 8 und 9 die X-Achse für die KraftF und die Y-Achse für die Dehnungbzw. Stauchung D�/�. Interessant da-bei ist, daß Weisbach den Flächenin-halt von AON bzw. AO1N1 im SinneClapeyrons als Formänderungsener-gie interpretiert (s. Bild 8) und damiterstmals das Energieprinzip in derFestigkeitslehre popularisiert. In Bild 9ist beispielsweise das charakteristi-sche Kraft-Verformungsdiagramm fürSchmiedeeisen mit der Proportio-nalitätsgrenze und dem Fließbereichdargestellt. Für sämtliche Materialiengibt Weisbach die Hookesche Geradean und stellt den Elastizitätmodul inden Mittelpunkt seiner Betrachtungen.So gibt er in einer Tabelle die Elasti-

Bild 7. a) Biegemomentenverlauf fürden beidseitig eingespannten Balkenunter mittiger Einzellast P und b) Gleich-streckenlast q (Quelle: [6, S. 410/411])Fig. 7. a) Bending moment curve forbeams fixed at both ends under centralpoint load P and b) equally distributedlinear load q (Source: [6, p. 410/411])

a)

b)

Bild 8. Schematisches Kraft-Verfor-mungsdiagramme nach Weisbach(Quelle: [6, S. 313])Fig. 8. Schematic force/deformationdiagrams according to Weisbach(Source: [6, p. 313])

Bild 9. Maßstäbliche Kraft-Verfor-mungsdiagramme verschiedener Ma-terialien nach Weisbach (Quelle: [6, S. 331])Fig. 9. True to scale force/deformationdiagrams for different materials accor-ding to Weisbach (Source: [6, p. 331])

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zitätsmoduli, die Elastizitätsgrenzesowie die Zug- und Druckfestigkeitverschiedenster Materialien an [6,S. 335– 337]. Im zweiten Band wen-det Weisbach die Technische Mecha-nik auf Erddruckprobleme, Gewölbesowie Holz- und Eisenkonstruktio-nen an [5, S. 5–118]. Noch mehr alsGerstner, konzentrierte sich Weisbachauf den Maschinenbau und die Hy-draulik.

5.3 Torsionsfestigkeit

Eine sehr frühe Anwendung speziel-ler Ergebnisse der Saint-VenantschenTorsionstheorie findet sich in der drit-ten Auflage von Weisbachs „Lehr-buch“ aus dem Jahre 1855 [6]. Weis-bach geht es dort um die Dimensio-nierung von hölzernen, guß- undschmiedeeisernen Wellen als wichti-ges Maschinenelement von Wasser-kraftanlagen. Bild 10 zeigt eine höl-zerne Welle mit quadratischem undkreisförmigem Querschnitt unter Tor-sionsbeanspruchung. Nachdem Weis-bach die auf Coulomb, Navier u. a.zurückgehende ältere Torsionstheorievorstellt, bestimmt er mit Saint-Venantderen Grenzen; er schreibt: „Die vorste-hende Theorie gibt uns von der Wahr-heit etwas abweichende Torsionsmo-mente, weil bei ihrer Entwickelungvorausgesetzt worden ist, daß die End-flächen des Prismas, welches eine Tor-sion erleidet, bei derTorsion eben blei-ben, wohingegen dieselben in Wirk-lichkeit windschief ausfallen. Nach denUntersuchungen von Saint Venant“,hier verweist Weisbach auf dessen„Mémoire“ aus dem Jahre 1853 [18],„ist für einen quadratischen Schaft“[6, S. 429]:

(4)

In etwas anderer Schreibweise als dervon Weisbach ist h die Seitenlängedes Quadrates und E der Elastizitäts-modul, für den er den empirischenZusammenhang mit dem Schubmo-dul G zu

G = 0,3756 · E (5)

angibt. Mit Gl. (5) läßt sich das Tor-sionsmoment wie folgt ausdrücken:

(6)M G ht = ◊ ◊ ◊0140 4,jl

M E ht = ◊ ◊ ◊0 0526 4,jl

Formel (6) weicht von der exaktenLösung nur geringfügig ab. Ein Koef-fizientenvergleich der von Föppl 1917gefundenen Beziehung für die Dril-lung [19]

(7)DM

G It

t= =

◊jl

mit (6) führt zu der Torsionssteifigkeit

(8)

Das Produkt G 0,14 bzw. 0,3756 · E ·0,14 = 0,0526 · E mit dem Faktor

vom Bogenmaß in das Winkelmaßumgerechnet, nennt Weisbach denDrehungskoeffizient D (nicht zu ver-wechseln mit der Drillung D, vgl.Gl. (7)); für den quadratischen Quer-schnitt gibt er D mit

D = 0,0526 · 0,017453 · E = 0,000918 · E (9)

an, so daß sich Formel (8) wie folgtschreiben läßt:

G · It = D · h4 (10)

Für den praktischen Gebrauch erar-beitet Weisbach eine Tabelle (Bild 11),in der er mit den Elastizitätsmodulivon Holz, Gußeisen, Messing sowieStahl- und Schmiedeeisen den Dre-hungskoeffizienten fürWellen mit qua-dratischem Querschnitt D und kreis-förmigem Querschnitt D1 die entspre-chenden Zahlenwerte angibt. Damitist Weisbachs Interesse an der Tor-sionstheorie erschöpft.

In der Vorrede zur 3. Auflage desI. Bandes seines „Lehrbuches“ ver-merkt Weisbach, daß seinem Buche„auch ganz ungerechte Vorwürfe ge-macht worden sind. So zeigt z. B.Professor Wiebe in Berlin in seiner

j p j j= ◊ ∞ = ◊ ∞180

0 017453,

G I G ht◊ = ◊ ◊0140 4, .

Bild 10. Welle mit quadratischem undkreisförmigem Querschnitt nach Weis-bach (Quelle: [6, S. 428])Fig. 10. Shaft with square and circularcross-section according to Weisbach(Source: [6, p. 428])

Bild 11. Drehungskoeffizienten für quadratische Querschnitte D (vgl. Gln. (9)und (10)) und kreisförmige Querschnitte D1 nach Weisbach (Quelle: [6, S. 430])Fig. 11. Rotation coefficients for square cross-sections D (cf. Eq. (9) and (10)) andcircular cross-sections D1 according to Weisbach (Source: [6, p. 430])

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Bautechnik 83 (2006), Heft 12

Anmerkung auf Seite 245 und 246seines Werkes über ‚die Lehre von derBefestigung der Maschinentheile‘(Berlin 1854) an, daß „ich die Tor-sionscoefficienten für quadratischeSchäfte sowohl in meiner ‚Mechanik‘(I. Aufl.) als auch im ‚Ingenieur‘16mal größer als die Morin’schen an-gegeben habe. Hierbei hat aber HerrWiebe übersehen, daß dafür auch inmeinen Formeln, wie in beidenSchriften ausdrücklich gesagt wird,die vierten Potenzen der halben Sei-tenlängen vorkommen, während dieFormeln von Morin und Wiebe, sowieauch die der zweiten Auflage meiner‚Mechanik‘ (von 1850) die viertenPotenzen der ganzen Seitenlänge desquadratischen Querschnitts enthal-ten. Da nun aber 24 gleich 16 ist, soläuft diese Anzeige des Herrn Wiebeauf einen Irrtum seinerseits hinaus“[6, S. XIII–XIV]. Weisbach war imRecht, nicht zuletzt deshalb, weil erseine Buchmanuskripte von drei un-abhängigen Personen korrekturlesenließ.

Als Resümee sei festgehalten:

Erstens:Da sich Weisbach mehr an den Ma-schinenbauingenieur als an den Bau-ingenieur wendet, thematisiert er dieTorsionstheorie nur im Rahmen derBemessung von Wellen.

Zweitens:Daraus folgt, daß Weisbach ergeb-nisorientiert arbeitet. Nicht um dieBegründung der Torsionstheorie istes ihm zu tun, sondern um die nach-vollziehbare Aufstellung von prakti-schen Gebrauchsformeln für die Be-messung von torsionsbeanspruchtenWellen.

Drittens:Der operative Charakter von Weis-bachs Technischer Mechanik zeigt sichin der Entwicklung des Proportiona-litätsfaktors D für die Bestimmung derTorsionssteifigkeit G · It nach Formel(10) und dessen zahlenmäßiger Aus-wertung für praxisrelevante Fälle desMaschinenbaus. Dennoch ist es ihmnicht gelungen, das Torsionsträgheits-moment It begrifflich zur Darstellungzu bringen: Weisbachs Proportionali-tätsfaktor D hat noch nicht den Sta-tus eines technikwissenschaftlichenBegriffs erreicht.

Viertens:Weisbachs Technische Mechanik ver-einigt die Technisierung der wissen-schaftlichen Mechanik mit der durchdie Mechanik verwissenschaftlichtenMaschinen- und Bautechnik auf derEbene des einfach begründeten, ge-brauchsfertigen Rezeptes. Aus diesemGrunde avancierte Weisbachs „Lehr-buch“ zur wichtigsten Enzyklopädieder Technischen Mechanik für Bau-und Maschineningenieure in der Zeitvon 1850 bis 1900.

6 Autorenhonorare

Kurz vor seinem Tod erreichte Weis-bach mit 1600 Taler pro Jahr seinhöchstes Gehalt als Staatsbeamter [1,S. 37] – begonnen hatte er 1833 ander Bergakademie Freiberg mit einemJahresgehalt von 400 Talern für seineLehrveranstaltungen zur angewand-ten Mathematik und Bergmaschinen-lehre. Selbst das der Bergakademievorgesetzte Oberbergamt Freibergmußte feststellen, „daß das bean-tragte Diensteinkommen von 400 Ta-lern kaum den bürgerlichen Verhält-nissen eines öffentlichen Lehrers ent-sprechend ist (…)“ [1, S. 21]. ErstEnde 1834 verfügte das zuständigeMinisterium eine jährliche BesoldungWeisbachs von 500 Taler; hierzumußte er aber zusätzlich noch die

Vorträge zur allgemeinen Markschei-dekunst übernehmen. Die bescheideneBesoldung mag ein nicht unwichtigesMotiv für Weisbachs umfangreichefachpublizistische Betätigung gewe-sen sein. So zeigt Bild 12 die Weis-bachsche Aufstellung der Aktiva undPassiva vom 8. August 1852 gegen-über dem Braunschweiger VerlagVieweg. Weisbachs Autorenhonorarwurde i. w. als Bogenhonorar ausge-worfen: Für Band II seines in zweiterAuflage erschienen „Lehrbuches“ standihm ein Honorar von 10 Taler pro Bo-gen zu; davon erhielt Weisbach 1851vom Verlag eine Abschlagszahlung von500 Taler, so daß er über ein Restgut-haben von 498,75 Taler verfügte. Es istsicherlich nicht übertrieben, daß Weis-bach zeit seines Lebens Autorenho-norare zuflossen, die einem Äquiva-lent von mehreren Jahreseinkommenals Professor entsprachen.

7 Der Goldene Schnitt

Bild 13 zeigt eine Darstellung vonGerstners „Handbuch der Mechanik“[20] bis [23], Weisbachs „Lehrbuch“[2] bis [13] und Föppls „Vorlesungenüber technische Mechanik“ [24] bis[29] auf der Zeitachse. Für die Er-scheinungsjahre wurde jeweils dasarithmetische Mittel gebildet: – Gerstner (einschl. der 2. Aufl. vonBand 1): 1832 – Weisbach (1. bis 5. Aufl. des erstenund zweiten Teils): 1859– Föppl (nur 1. Aufl.): 1902Aus der Differenz der genannten Zah-len geht hervor, daß sie nahezu imVerhältnis des Goldenen Schnittes zueinander stehen: Weisbachs „Lehr-buch“ steht chronologisch im Ver-hältnis des Goldenen Schnittes zuGerstners „Handbuch“ und Föppls„Vorlesungen“.

Gerstners „Handbuch“ setzte –was die Form der Darstellung betrifft –den Schlußstein der Vorbereitungs-periode der Technischen Mechanik(1575–1825); gleichzeitig scheinen in-haltlich vereinzelte Übergänge zurDisziplinbildungsperiode der Techni-schen Mechanik (1825–1900) auf, dievon Föppls „Vorlesungen“ nach Formund Inhalt auf klassische Weise abge-schlossen wird. Gleichwohl sindFöppls „Vorlesungen“ den für das20. Jahrhundert charakteristischenTheoretisierungs- und Darstellungs-stil der Technischen Mechanik schon

Bild 12. Rechnungslegung Weisbachsv. 8. August 1852 an den Verlag Vieweg(Quelle: Vieweg-Archive der Univer-sitätsbibliothek Braunschweig)Fig. 12. Weisbach’s invoice for the Vie-weg publishing house dated 8 August1852 (Source: Vieweg archives atBraunschweig University Library)

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eingeschrieben. Weisbachs „Lehrbuch“jedoch bildet die goldene Mitte derDisziplinbildungsperiode der Techni-schen Mechanik. Es besitzt enzyklo-pädischen Charakter, stößt aber mitder von Gustav Herrmann besorgten5. Auflage an die Grenze einer Enzy-klopädie der Technischen Mechanik.Erst die von Föppl vorgenommeneKalkülisierung der Technischen Me-chanik ermöglichte die Strukturierungder angeschwollenen Stoffmenge undhob diese Grenze auf [30, S. 54–55].

Literatur

[1] Rektor der Bergakademie Freiberg(Hrsg.): Julius Weisbach. Gedenkschriftzu seinem 150. Geburtstag. FreibergerForschungshefte Reihe D, Heft 16. Ber-lin: Akademie-Verlag 1956.

[2] Weisbach, J.: Lehrbuch der Ingenieur-und Maschinen-Mechanik. Erster Teil:Theoretische Mechanik, 1. Aufl. Braun-schweig: Friedrich Vieweg 1845.

[3] Weisbach, J.: Lehrbuch der Ingenieur-und Maschinen-Mechanik. ZweiterTeil:Praktische Mechanik, 1. Aufl. Braun-schweig: Friedrich Vieweg 1846.

[4] Weisbach, J.: Lehrbuch der Ingenieur-und Maschinen-Mechanik. Erster Teil:Theoretische Mechanik, 2. Aufl. Braun-schweig: Friedrich Vieweg 1850.

[5] Weisbach, J.: Lehrbuch der Ingenieur-und Maschinen-Mechanik. ZweiterTeil: Statik der Bauwerke und Mecha-nik der Umtriebsmaschinen, 2. Aufl.Braunschweig: Friedrich Vieweg 1851.

[6] Weisbach, J.: Lehrbuch der Ingenieur-und Maschinen-Mechanik. Erster Teil:Theoretische Mechanik, 3. Aufl. Braun-schweig: Friedrich Vieweg 1855.

[7] Weisbach, J.: Lehrbuch der Ingenieur-und Maschinen-Mechanik. ZweiterTeil:Statik der Bauwerke und Mechanik derUmtriebsmaschinen, 3. Aufl. Braun-schweig: Friedrich Vieweg 1857.

[8] Weisbach, J.: Lehrbuch der Ingenieur-und Maschinen-Mechanik. Erster Teil:

Theoretische Mechanik, 1. Hälfte, 1.Abt.: Hilfslehren, Bewegungslehre, Sta-tik fester Körper; 2. Abt.: Elastizitäts-und Festigkeitslehre, 4. Aufl. Braun-schweig: Friedrich Vieweg 1863.

[9] Weisbach, J.: Lehrbuch der Ingenieur-und Maschinen-Mechanik. Erster Teil:Theoretische Mechanik, 2. Hälfte, 3.Abt.: Dynamik der festen Körper. Sta-tik der flüssigen Körper. Dynamik derflüssigen Körper. Schwingungen, 4. Aufl.Braunschweig: Friedrich Vieweg 1863.

[10] Weisbach, J.: Lehrbuch der Ingenieur-und Maschinen-Mechanik. ZweiterTeil: Statik der Bauwerke und Mecha-nik der Umtriebsmaschinen, 4. Aufl.Braunschweig: Friedrich Vieweg 1863.

[11] Weisbach, J.: Lehrbuch der Inge-nieur- und Maschinen-Mechanik. ErsterTeil: Theoretische Mechanik, 5. Aufl.hrsgn. v. G. Herrmann. Braunschweig:Friedrich Vieweg 1875.

[12] Weisbach, J.: Lehrbuch der Inge-nieur- und Maschinen-Mechanik. Zwei-ter Teil, 1. Abt.: Statik der Bauwerke,5. Aufl. hrsgn. v. G. Herrmann. Braun-schweig: Friedrich Vieweg 1882.

[13] Weisbach, J.: Lehrbuch der Inge-nieur- und Maschinen-Mechanik. Zwei-ter Teil, 2. Abt.: Mechanik der Um-triebsmaschinen, 5. Aufl. hrsgn. v. G.Herrmann. Braunschweig: FriedrichVieweg 1887.

[14] Weisbach, J.: Die Theorie der zu-sammengesetzten Festigkeit. Der Inge-nieur 1 (1848), S. 252–265.

[15] Kurrer, K.-E.: Geschichte der Bau-statik. Berlin: Ernst & Sohn 2002.

[16] Weisbach, J.: Der Ingenieur. Samm-lung von Tafeln, Formeln und Regeln derArithmetik, Geometrie und Mechanik.Braunschweig: Friedrich Vieweg 1848.

[17] Kurrer, K.-E.: Das Verhältnis vonBautechnik und Festigkeitslehre inGerstners ‚Handbuch der Mechanik‘.Zum 250. Geburtstag von Franz Jo-seph Ritter von Gerstner. Stahlbau 75(2006), H. 7, S. 586–597.

[18] Saint-Venant,A. J.-C. B. de: Mémoiresur la Torsion des Prismes, avec des

considérations sur leur flexion, ainsique sur l’équilibre intérieur des solidesélastiques en général, et des formulespratiques pour le calcul de leur rési-stance à divers efforts s’exerçant simul-tanément. Mémoires présentés par di-vers savants à l’Académie des Sciencesde l’Institut Impérial de France. Re-cueil des savants étrangers 1855, Vol.14, pp. 233–560.

[19] Föppl, A.: Über den elastischen Ver-drehungswinkel eines Stabes. In: Sit-zungsberichte der mathematisch-phy-sikalischen Klasse der KöniglichBayerischen Akademie der Wissen-schaften zu München, München 1917,Jg. 1917, S. 5–31.

[20] Gerstner, F. J. v.: Handbuch der Me-chanik, Band 1, 2. Aufl. (1. Aufl. 1831),hrsgn. v. F. A. v. Gerstner. Prag: JohannSpurny 1833.

[21] Gerstner, F. J. v.: Handbuch der Me-chanik, Band 2, hrsgn. v. F. A. v. Gerst-ner. Prag: Johann Spurny 1832.

[22] Gerstner, F. J. v.: Handbuch der Me-chanik, Band 3, hrsgn. v. F. A. v. Gerst-ner. Wien: J. P. Sollinger 1834.

[23] Gerstner, F. J. v.: Handbuch der Me-chanik, Tafeln, Band 1–3, hrsgn. v.F. A. v. Gerstner. Prag: Johann Spurny1832–1834.

[24] Föppl, A.: Vorlesungen über techni-sche Mechanik. Erster Band. Ein-führung in die Mechanik. Leipzig: Ver-lag von B. G. Teubner 1898.

[25] Föppl, A.: Vorlesungen über techni-sche Mechanik. Zweiter Band. Graphi-sche Statik. Leipzig: Verlag von B. G.Teubner 1900.

[26] Föppl, A.: Vorlesungen über techni-sche Mechanik. Dritter Band. Festig-keitslehre. Leipzig: Verlag von B. G.Teubner 1897.

[27] Föppl, A.: Vorlesungen über techni-sche Mechanik. Vierter Band. Dynamik.Leipzig: Verlag von B. G. Teubner 1899.

[28] Föppl, A.: Vorlesungen über techni-sche Mechanik. Fünfter Band. Diewichtigsten Lehren der höheren Elasti-zitätstheorie. Leipzig: Verlag von B. G.Teubner 1907.

[29] Föppl, A.: Vorlesungen über techni-sche Mechanik. Sechster Band. Diewichtigsten Lehren der höheren Dyna-mik. Leipzig: Verlag von B. G. Teubner1910.

[30] Kurrer, K.-E.: Julius Weisbachs‚Lehrbuch der Ingenieur- und Maschi-nen-Mechanik‘ im Goldenen Schnittder Beiträge Gerstners und Föppls.Freiberger Forschungshefte D 222,2006, S. 25–67. Freiberg: TechnischeUniversität Bergakademie Freiberg.

Autor dieses Beitrages:Dr.-Ing. Karl-Eugen Kurrer,Verlag Ernst & Sohn GmbH & Co. KG,Bühringstraße 10, D – 13086 Berlin

Bild 13. Weisbachs „Lehrbuch“ im Goldenen Schnitt der Beiträge Gerstners undFöpplsFig. 13. Weisbach’s „Lehrbuch“ in the ‘golden section’ of Gerstner’s and Föppl’scontributions