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Der Feuertöter

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Dragon - Söhne von Atlantis Heft Nr. 42 Der Feuertöter von Hugh Walker

Seit der Stunde, da Arric der Rote seinen schändlichen Verrat beging und das Tor zwischen Dragons und Danilas Welt für immer verschloß, sind der Atlanter und sein Gefährte Ubali zu Gefangenen einer wilden und bizarren Umgebung geworden. Um sich behaupten zu können, müssen sie um ihr Leben kämpfen – und zwar jeder für sich, denn sie sind getrennt worden. Beide Männer haben wenig Hoffnung, ihre eigene Welt jemals wiederzusehen – dennoch geben sie nicht auf! Während Ubali, gegenwärtig zum Dasein in der Gestalt eines Panthers verurteilt, zusammen mit Thamai, seiner ebenholzfarbenen Geliebten, den langen und gefahrvollen Weg zum Reich des Lebensgeists beschreitet, hat Dragon, seit er Träger des einen Auges Vestas wurde, ein schweres Erbe übernommen – eine Mission, die ihn schließlich in das »Land des Nebels« führte.

Und dort gelang ihm, was noch kein Sterblicher vor ihm jemals fertigbrachte: Der Atlanter kämpfte sich durch zu Aerulas Gipfelreich und versicherte sich der Unterstützung des Luftgeists.

Anschließend will Dragon den Versuch unternehmen, mit Aerula-thane, der treuen Wanderwolke, die Insel des Namenlosen zu erreichen und Vesta, den einstigen Herrn der Elemente, zu befreien, auf daß dieser das drohende Chaos abwende, das Akkeron, der andere Träger von Vestas Auge, auf Danilas Welt zu entfesseln beginnt.

Dragon hat nicht mehr viel Zeit für seine Aufgabe, denn Akkeron hat Tyde, den Wassergeist, längst unterworfen, wie die Ereignisse um Askaloth und Ekkelund bewiesen. Jetzt ist er auf dem Wege, Skortsch, den Feuergeist, zu unterjochen. Er, Akkeron, sieht sich als DER FEUERTÖTER …

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Die Hauptpersonen des Romans:Der Oberste Mandhin - Retter des Volkes der Tshinnaker.Akkeron - Der Himur-Sohn, der Danilas Welt verändern will. Tyde - Geist des Wassers und Akkerons Diener. Skortsch - Geist des Feuers und Akkerons Gegner.Akkathos und Himur - Zwei Tote leben erneut.

1.

Der Reiter, der schweißüberströmt vor den Toren Kha-auns anhielt, war dunkelhaarig und gedrungen. Seine dunkle Haut war von Staub bedeckt, seine Züge von Müdigkeit gezeichnet. Die schmalen Augen funkelten von einem inneren Feuer, das den Mann vier Tage und Nächte fast ununterbrochen durch die Steppe getrieben hatte.

Er kam von Tshinnak, einem Dorf im Nordosten am Fuß der Berge, das nun nicht mehr stand. Das Licht in seinen Augen war ein Abglanz des Grauens, das er erlebt hatte. Auch sein Reittier war in keiner besseren Verfassung. Der Schaum vor seinem Maul verriet, daß es fast am Ende war.

Seine Ankunft war nicht unbemerkt geblieben. Die Wachen an den Tortürmen hatten die Staubwolke des näher kommenden Reiters bereits seit geraumer Weile beobachtet. Jetzt um die Zeit des Sonnenaufgangs waren sie dankbar für die Unterbrechung der Ereignislosigkeit des nächtlichen Wachdiensts.

Als der Reiter erschöpft von seinem Girion stieg, das in die Knie gegangen war, öffneten sie das Tor. Sie eilten dem Taumelnden entgegen und fingen ihn auf, bevor er stürzen konnte.

»Der ist aus Tshinnak«, sagte einer und deutete auf den mit Löwenköpfen verzierten Sattel.

»Wasser«, krächzte der Mann. Während sich zwei bemühten, das Tier wieder auf die Beine zu

bringen, führten die anderen den Mann ins Innere des Wachturms. Einer hielt ihm einen Becher Wasser an die Lippen.

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Er trank hastig, bis sie ihm den Becher aus den Händen zerrten. »Langsam, Freund.«

»Die Dalaugiri«, keuchte er. »Sie kommen … morden …« Er griff wieder nach dem Becher. Diesmal ließen sie ihn trinken, bis er selbst absetzte. Er lehnte sich zurück. Sein Atem kam immer noch keuchend. Aber er wurde zusehends ruhiger. Er wischte sich mit dem Arm über den Mund.

Der Anführer der Wachen musterte ihn mitfühlend, aber nicht ohne Mißtrauen. Er schickte zwei seiner Männer auf Posten. Durch eine Maueröffnung beobachtete er, wie die anderen das Reittier endlich auf die Beine brachten und durch das Tor führten. Stimmengemurmel von außerhalb sagte ihm, daß die Ankunft des Fremden registriert worden war. Aber er zögerte, den Obersten Mandhin zu benachrichtigen. Es war noch zu früh, ihn zu wecken, wenn der Grund nicht triftig genug war. Und der schien es nicht. Die Dalaugiri? Hier im Süden? Gewiß, Händler aus Mangol hatten vor einiger Zeit von kriegerischen Vorgängen weiter im Norden zu berichten gewußt, die die Dalaugiri-Stämme selbst aufs Meer hinaustrieben.

»Du bist aus Tshinnak?« fragte er den Fremden. »Ich war aus Tshinnak«, erwiderte dieser tonlos, und der Blick

seiner Augen ließ den Kommandanten unwillkürlich schaudern. »Was heißt das, Freund?« »Tshinnak ist nicht mehr«, fuhr der Fremde fort. Er schien den

Wachkommandanten gar nicht gehört zu haben. Eine schreckliche Erinnerung war in seinen Zügen. »Alles verbrannt … die Frauen und Kinder abgeschlachtet wie Vieh … die Männer erschlagen …«

Er verstummte mit geballten Fäusten. Die Männer starrten ihn entgeistert an. »Tshinnak zerstört?« »Dem Erdboden gleich.« »Und du sagst, es waren Dalaugiri?« Der Kommandant schüttelte

den Kopf. »Welcher Stamm ist so weit im Süden?« »Kein einzelner Stamm«, erklärte der Fremde. »Sie müssen sich

zusammengerottet haben. Alle Hügel waren schwarz von ihnen.

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Tausende. Und sie waren auf Blut aus. Sie folgten einem Anführer, der kein Dalaugiri war. Ein gewaltiger Mann, der sie um mehr als Kopfeslänge überragte. Ich bekam ihn einmal zu Gesicht, als ich hilflos in meinem Versteck lag und zusehen mußte, wie sie mordeten und zerstörten und ihren leichtgewonnenen Sieg feierten. Ich würde sein Gesicht unter allen Gesichtern wiedererkennen – denn auf seiner Stirn funkelte etwas wie ein drittes Auge.«

»Ein Dämon!« entfuhr es einem der Wachen. Der Fremde nickte. »Ja, ein Dämon. Und ein mächtiger ist es,

wenn ihm diese Horden gehorchen, wie es den Anschein hat.« »Dann sind die Geschichten also wahr, die der Händler aus

Mangol uns berichtete, daß …« »Mangol«, unterbrach ihn der Fremde zitternd. »Auch Mangol ist

nicht mehr. Sie ziehen wie eine Plage durch das Land, und wo sie reiten, wird das Land verwüstet …«

»Mangol«, wiederholte der Kommandant bleich. »Mangol, Tshinnak …« Er brach ab.

Der Fremde nickte. »Deshalb bin ich hier«, sagte er. »Um euch zu warnen. Es ist nichts mehr zwischen eurer Stadt und den mörderischen Horden. Verlaßt eure Stadt. Vielleicht ist es ihnen zu mühsam, in den Bergen nach euch zu suchen. Sie meiden die Berge …«

»Wie groß ist der Vorsprung, den du hast?« Der Fremde zuckte die Schultern. »Das ist schwer zu sagen. Ich

schlich mich während der Siegesfeier aus meinem Versteck. Nun bin ich drei Tage und Nächte fast ununterbrochen geritten. Ich weiß nicht, wann sie aufgebrochen sind, und wie eilig sie es hatten. Es mag sein, daß sie in zwei oder drei Tagen kommen. Es kann aber auch sein, daß bereits in den nächsten Stunden der Horizont schwarz von ihnen wird.« Er fuhr sich mit zitternden Händen durch das staubverfilzte Haar. »Aber wann sie auch immer kommen – nichts wird sie aufhalten können.«

Er sank zurück und schloß die Augen. Der Kommandant starrte ihn blaß an.

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»Er schläft, Kommandant«, sagte einer der Männer. »Er ist mehr tot als lebendig. Und sein Girion nicht weniger. Er wird uns mehr erzählen, wenn er ein paar Stunden ausgeruht hat.«

Der Kommandant nickte. Abwesend starrte er auf den Schlafenden. Die Dalaugiri kamen! Tausende! Es war das Ende!

Hastig wandte er sich um. Er brachte die Nachricht am besten selbst.

Der Mann aus Tshinnak hatte recht. Sie mußten fliehen. Diese Stadt war keine Festung, auch wenn sie Mauern und Tore besaß. Sie waren wirksam gegen räuberische Banden und gegen die Bestien der Wildnis, aber nicht gegen eine solche Macht, wie der Tshinnaker sie beschrieb.

Aber der Oberste Mandhin würde das Heiligtum nicht verlassen. Ein Schwur kettete sie alle an das Heiligtum, an die Götter des Drüben, die keiner von ihnen je gesehen hatte. Vielleicht, dachte der Kommandant grimmig, vielleicht würden diese Götter nun helfen. Der Augenblick der Wahrheit war gekommen – oder wenigstens einer der Enthüllungen.

Blut würde fließen. Aber wurde die Wahrheit nicht immer mit Blut bezahlt?

Neugierige hatten sich am Tor eingefunden. Ein Mann des Wachtrupps redete auf sie ein. Sie schienen alle sehr aufgeregt. Es war zu spät, die drohende Gefahr geheimzuhalten. Um so besser, dachte er. So nehmen die Dinge ihren Lauf, und es ist allein des Priesters Sache, sich zu behaupten.

Er war sich nicht ganz klar darüber, warum er den Priester im Grunde seines Herzens haßte. Vielleicht, weil, obwohl Nomadenblut in den Adern der Männer von Kha-aun floß, der Mandhin es verstanden hatte, brütende Hennen aus ihnen zu machen, die seit über hundert Jahren hier nisteten. Und wie um ihnen diese Schmach vor Augen zu führen, war ein Tempel von der Form eines Eies errichtet worden.

Auf diesen Tempel strebte er nun zu. Er erhob sich im Mittelpunkt der Stadt und überragte alle Häuser, selbst das Haus des

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Stammesführers, der sich nun König von Kha-aun nannte, aber dem Wort des Mandhin nichts zu entgegnen wagte.

Die Tempelwachen ließen ihn ungehindert passieren. Das erfüllte ihn ein wenig mit Verwunderung. Ein Tempeldiener in der roten Robe der Inneren empfing ihn bereits am Eingang.

»Wango, eile. Der Mandhin erwartet dich.« »Er erwartet mich bereits?« entfuhr es dem Kommandanten. Der Diener gab keine Antwort. Er schritt stumm voraus durch den

hohen kuppelartigen Tempelraum, vorbei an dem Marmoraltar, dessen Stein sie aus den Bergen herbeigeschafft hatten. Unbehaglich warf er einen Blick auf die rötlich leuchtende Lampe und die grauschwarze Wand dahinter, die seltsam lebendig schien und eine eisige Kälte ausströmte. Der ganze Tempel war erfüllt von dieser Kälte. Der Kommandant fröstelte und eilte hinter dem Diener her. Es erfüllte ihn immer mit Unbehagen, wenn er den Tempel betrat.

Der Diener öffnete eine Tür und bedeutete Wango, einzutreten. Er schloß die Tür leise hinter dem Kommandanten.

Der Oberste Mandhin saß in einem hochlehnigen Stuhl vor einem kunstvoll gezimmerten Tisch. Er war dürr, beinahe zerbrechlich, und alt. Doch seine Augen schienen jung geblieben. Der weiße Bart und die faltige Haut paßten nicht zu ihnen.

»Ah, Wango«, sagte er. »Ich weiß, du bringst wichtige Nachricht. Du atmest heftig. Du bist gelaufen?«

»Die Nachricht ist von größter Dringlichkeit, Mandhin«, erwiderte der Kommandant.

»Man könnte meinen, die Dalaugiri wären bereits vor den Toren Kha-auns.« Die Stimme klang eine Spur spöttisch.

»Ihr wißt von den Dalaugiri?« fragte der Kommandant überrascht. Der Mandhin nickte und deutete auf einen Stuhl. »Setz dich,

Wango. Es mißfällt mir, aufzublicken. Ich weiß auch, daß die Dalaugiri auf dem Weg hierher sind. Seit heute nacht weiß ich es. Ich hatte Zeichen, und ich verstehe sie zu deuten. Aber ich weiß nicht alles, und das beunruhigt mich. Berichte, Wango.«

Der Kommandant erzählte von der Ankunft des Fremden und gab

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die Worte des Tshinnakers genau wieder. Der Untergang von Mangol und Tshinnak beeindruckte den Mandhin nicht, aber die Beschreibung des Anführers der Dalaugiri fand sein reges Interesse.

»Ein drittes Auge, sagst du?« Der Kommandant nickte. »So hat er es berichtet. Es mag sein, daß

die Furcht ihn Dinge sehen ließ, die …« »Nein.« Der Mandhin schüttelte den Kopf. »Er hat sich nicht

geirrt. Es ist das Auge der Geister.« Er fuhr mit der Hand über seine Stirn. »So wird die Welt ihr Antlitz erneut verändern. Ich habe die Zeichen richtig gedeutet. Viele werden dieser neuen Welt ihr Leben opfern müssen – viele, denen sie gefällt, wie sie ist. Aber wir sind nicht so hilflos, wie diese Mächte glauben. Wir brauchen nur ein wenig Zeit für die Vorbereitungen. Wir werden den königlichen Rat in den Tempel bitten. Laßt niemanden außer den Jägern aus der Stadt, und auch sie mögen bis zum Mittag zurück sein. Und laßt eine Patrouille ausreiten. Sie soll feststellen, wie nah die Dalaugiri bereits sind.«

»Wünscht Ihr den Mann aus Tshinnak zu sprechen, Mandhin?« »Später. Das Wichtigste ist nun die Patrouille. Wir müssen wissen,

wieviel Zeit uns noch bleibt.« Und mit starrem Blick fügte er hinzu: »Wir müssen wissen, ob uns noch genug Zeit bleibt.«

*

Als der Kommandant gegangen war, verharrte der Mandhin eine Weile nachdenklich. Dann nahm er eine Schelle vom Tisch und schüttelte sie kurz. Der Tempeldiener erschien.

»Oberster Mandhin?« »Laßt alles vorbereiten. Wir werden unsere Verbündeten rufen.« »Ja, Oberster Mandhin.« Sein Traum kam ihm erneut in den Sinn. Die Geister hatten

gesprochen. Manchmal im Schlaf hörte er ihre Stimmen, wenn sie über die Welt flüsterten.

Spöttisch. Überheblich. Das Murmeln von Bächen, das Knistern

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von Flammen, der Wind – ihre Stimmen entstammten den Zungen und Kehlen der Elemente.

Im Traum verstand er sie, wie sein Vater vor ihm und dessen Vater, der den Tempel gebaut und Kha-aun errichtet hatte.

Aber in den letzten Monden waren ihre Stimmen schriller geworden von einer Furcht, die in einem Namen wurzelte.

Akkeron! Der Mandhin erhob sich mit einem nachdenklichen Ausdruck.

Dieser Anführer der Dalaugiri mit seinem dritten Auge … Das war Akkeron. Daran zweifelte er nicht. Seine Stimme hatte er

noch nicht gehört. Aber das würde nun bald geschehen, wenn der Mann aus Tshinnak die Wahrheit gesprochen hatte.

Der Mandhin trat in den Tempelraum. Einige Diener in roten Roben machten sich am Altar zu schaffen. Die Priester und Akolythen kamen aus ihren Kammern und ließen sich vor dem Altar nieder.

Er gab das Zeichen. Eine Klappe öffnete sich im oberen Drittel der Tempelwand. Das Licht des Morgens drang in die gedämpfte Düsternis.

Der Mandhin schüttelte den Kopf. Die beiden Tempeldiener, die von einer schmalen Leiter aus die Klappe geöffnet hatten, schlossen sie wieder. Sie kletterten tiefer und öffneten erneut eine Klappe. Diesmal fiel Sonnenlicht in die Kuppel. Die Wände schimmerten, als wären sie aus Gold. Aber noch blieb der Altar dunkel.

Wiederum gab der Mandhin ein Zeichen. Die Öffnung wurde verschlossen. Etwas tiefer tat sich eine neue auf. Diesmal fielen die Strahlen der tiefstehenden Sonne direkt auf den Altar. Der Marmor gleißte. Die grauschwarze Wand dahinter wurde unter dem Licht durchscheinend. Sie hatte etwa die Form eines Ovals. Sie hing über dem Altar, ohne daß etwas sie hielt – scheinbar schwerelos. Sie verschmolz fugenlos mit der Tempelwand. Aber nun im Licht war auch zu erkennen, daß sie kein Teil der Tempelwand war.

Das Oval war ein großes Loch in eine tiefe Schwärze – als blickte man in einen Brunnen mit von der Sonne blinden Augen.

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Dennoch war die Schwärze nicht vollkommen. Etwas funkelte darin. Fern in dieser samtenen Tiefe.

Sterne! Das Oval war ein Fenster in einen anderen Himmel, in einen

Himmel, in dem es Nacht war. Die Blicke der Priester waren ohne Ausnahme darauf gerichtet. Der Mandhin begab sich zum Altar und hob die dürren Arme, bis

aller Augen sich ihm zuwandten. Er betrachtete die Versammelten einen Augenblick stumm. Die meisten waren jünger als er, manche der Akolythen noch Knaben. Wie er trugen sie weiße Kutten mit einer ovalen Öffnung über dem Herzen – das Symbol des Fensters, das den Blick in ihr Inneres gewährte.

»Ihr seid bislang gute Diener des Auges der Götter gewesen. Nun ist der Augenblick gekommen, da das Schicksal unserer Stadt und unseres Volkes in unseren Händen liegt. Nun können wir beweisen, wie gut wir vorbereitet sind.«

Ein Murmeln ging durch die Versammelten. Der Mandhin winkte mit beiden Armen, und sie verstummten.

»Die Weltengeister flüsterten vom Untergang und von einer neuen Zeit. Heute morgen kam ein Mann in die Stadt und berichtete vom Untergang und vom Tod und von vielen tausend Dalaugiri, die wie ein Pesthauch über das Land jagen; geführt von einem Mann oder einem Dämon, der das Geisterauge auf seiner Stirn trägt und den sie Akkeron nennen.«

Er machte eine Pause und wartete, bis das aufgeregte Stimmengewirr verstummt war.

»Wir wissen nicht, welches Ziel er hat. Aber er ist auf dem Weg nach Süden. Wenn er kommt, wird Kha-aun fallen wie Mangol und Tshinnak, und nicht einer von uns wird ihrer Mordgier entgehen. Wir können diese Horden nicht aufhalten, aber wir können unser Volk retten. Uns sind viele Wege offen in den Träumen der Götter. Wir müssen weise entscheiden.«

Stille folgte diesen Worten. Und in diese Stille verkündete der Mandhin: »Wir werden unser Volk durch das Auge führen!«

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Erschrocken sprang einer der älteren Priester auf. »Aber Mandhin, wir haben noch kein Land erblickt, das dem hier gleicht, dessen Gefahren wir kennen. Was uns das Auge zeigt, ist alles so fremd …«

»Bevor es Kha-aun gab, war uns auch dieses Land fremd«, erwiderte der Mandhin. »Wir kamen aus den Bergen, durch die wir seit Jahrhunderten zogen.«

»Der König wird sich weigern«, wandte ein anderer ein. »Das mag sein«, stimmte der Mandhin ruhig zu. »Aber wenn erst

die Hügel um die Stadt unter den Hufen der Dalaugiri-Reiter erzittern, wird sein Herz nicht weniger beben. Wenn es ihn dann immer noch nach Kampf gelüstet, dann mag er mit seinen Getreuen bleiben. Laßt uns jetzt den Weg beraten.«

*

König Bardawil II. stand auf dem Dach des Königshauses und blickte der Patrouille nach, die im Norden über den Hügeln verschwand. Er war ein gedrungener krummbeiniger Mann von vielleicht vierzig Sommern. Seinem Wuchs nach war er mehr ein Dalaugiri, denn einer vom Volk Kha-auns. Es mochte wohl eine Zeit gegeben haben, da die Berg- und Steppenstämme des Landes sich vermischten.

Der König schien auch etwas von der Wildheit seiner Steppenreitervorfahren geerbt zu haben. Seine Berater fürchteten seinen Jähzorn. Er war in ein knielanges Lederhemd gekleidet. Sein schwarzes Haar war lang und zu einem Knoten gebunden.

Er verließ das Dach und kletterte in sein Schlafgemach hinab. Dort nahm er einen breiten Gürtel von einem Stuhl neben dem Bett, legte ihn um und steckte die kurze, krumme Klinge in die Schlaufen.

»Inyak!«rief er. Ein älterer Mann erschien mit schlurfenden Schritten. »Mein

König?« »Inyak, was geht da draußen vor?« fragte Bardawil scharf.

»Warum bin ich nicht informiert, wohin diese Patrouille reitet?«

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»Eine Patrouille, mein König?« erwiderte der Alte erstaunt. »Bist du mein Berater, oder mein Narr, Inyak?« rief der König

heftig. »Ein Dutzend Männer in den Wämsern der Wachen ritten eben nach Norden. Laß feststellen, wer den Auftrag gab. Und mach dem Koch Beine. Du weißt, auf leeren Magen vertrage ich keine Unannehmlichkeiten. Und ich spüre, daß es heute Ärger geben wird.«

»J-ja, mein König«, beeilte sich der Berater zu versichern und machte, daß er aus dem Gemach kam.

Während König Bardawil auf sein Morgenmahl wartete, dachte er an den Mandhin. Es waren unfreundliche Gedanken. Zweifellos hatte der Priester etwas mit der Patrouille zu tun. Der Wachkommandant würde allein keine solche Entscheidung treffen. Der Mandhin wurde immer dreister. Für des Königs Geschmack handelte er zu sehr auf eigene Faust. Es war an der Zeit, diese Priestersippe in ihre Schranken zu weisen.

Aber von seinem Ärger abgesehen, war er auch von Unruhe erfüllt. Der Priester schickte nicht ohne Grund eine Patrouille aus.

Zwei Mädchen in spärlichen Fellkleidern unterbrachen seine Gedanken. Sie stellten Becher und Schüsseln auf seinen Tisch und standen abwartend, während der König sich an das Essen machte.

»Ist die Königin schon auf?« brummte er. »Nein, o König.« Er nickte zu sich selbst. »Wißt ihr, was in der Stadt vorgeht?« »Nur daß ein Fremder gekommen ist, o König.« »Sonst wißt ihr nichts?« Sie schüttelten den Kopf. Tumult erklang von den unteren Räumen des Hauses. »Ihr könnt gehen.« Kaum waren die beiden Mädchen verschwunden, kam Inyak

zurück. An seiner Seite trat ein junger Mann in die Privatgemächer des Königs.

»Ah, Kalwyn!« Der König erhob sich. »Nun, was habt ihr

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erfahren?« Der Berater verneigte sich. »Es sind keine guten Nachrichten, mein

König. Der Mann, der halbtot bei Sonnenaufgang vor den Toren der Stadt erschien, ist aus Tshinnak. Seine Erzählung mutet unglaublich an. Allein sein Zustand deutet darauf hin, daß wohl Wahrheit in seinen Worten sein könnte …«

»Komm zur Sache.« »Ja, mein König. Er berichtete, daß Mangol dem Erdboden gleich

sei, und daß er mit eigenen Augen gesehen habe, wie Tshinnak zerstört worden sei. Und nun stünde Kha-aun das gleiche Schicksal bevor …«

Der König war ein wenig bleich geworden bei diesen Worten. Bemüht, sein Gesicht zu wahren, lächelte er. »Das hört sich an wie eine von Mandhins Prophezeihungen. Steht der Weltuntergang bevor, Kalwyn?«

Aber auch Kalwyn gelang es nicht ganz, seine Besorgnis zu verbergen.

»Das mag wohl sein, mein König«, erwiderte er. »Die Dalaugiri sind auf dem Weg nach Süden, und sie vernichten alles, was sich ihnen in den Weg stellt.«

Der König blickte die beiden an. »Die Dalaugiri also, hm.« Er schüttelte den Kopf. Dann grinste er: »Keine Götter, keine Dämonen, keine Geister! Sie haben Schwerter in den Fäusten wie wir. Ihre Leiber sind so verwundbar wie unsere. Der Gedanke an Kampf ist den Männern Kha-auns offenbar fremd geworden bei dem Gesäusel des Mandhin und seiner Tempelhüter …!«

»In Mangol haben sie auch gekämpft, mein König«, erwiderte Kalwyn. »Und in Tshinnak nicht minder. Wir sind nur einige Hunderte. Die Dalaugiri aber Tausende. Ein Riese mit einem dritten Auge auf der Stirn ist ihr Anführer. Beinah alle Stämme müssen sich zusammengeschlossen haben.«

Der König starrte ihn bleich an. »Ein Riese mit einem dritten Auge?« Er griff unbewußt nach seinem Schwert, als gäbe ihm das kalte Eisen Beruhigung. Er begann auf und ab zu schreiten.

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Schließlich sah er die beiden erneut an: »Und ihr glaubt jedes Wort dieses Fremden aus Tshinnak?«

»Es gibt keinen Grund, seine Erzählung anzuzweifeln. Er hätte sich nicht fast zu Tode geritten, um uns zu warnen, wenn er nicht überzeugt von der Gefahr wäre. Ich habe Männer erblickt, die einem schrecklichen Tod ins Auge sahen. Die Furcht und das Grauen in den Zügen dieses Mannes waren nicht gespielt. Er verlor sein Weib und seine Kinder vor seinen Augen. Er sah, wie die Tshinnaker ohne Erbarmen niedergemacht wurden. Wir sollten seine Warnungen nicht in den Wind schlagen, mein König!«

Der König nickte düster. »Gut. Laßt den Rat zusammenkommen …«

»Verzeiht, mein König«, unterbrach ihn Inyak. »Der Mandhin bittet Euch zur Beratung in den Tempel. Euch und die Männer des königlichen Rates beim höchsten Sonnenstand …«

»Der alte Fuchs«, brummte der König. »Er wird das Blaue vom Himmel herunterreden. Aber ich bin zu neugierig, was er von dem dreiäugigen Riesen hält. Er hat die Patrouille ausgesandt?«

Der alte Berater nickte. Der König grinste plötzlich wieder. »Was meint ihr? Ist er nur

vorsichtig? Oder hat er auch Angst?«

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2.

Die Stimmung im Tempel war eisig. Der König hatte beim Eintritt bemerkt, daß es ihm widerstrebe, in einem Ei zu beraten. Er hatte während des ganzen Morgens mit seinen Vertrauten beraten und in den Männern immer mehr die Überzeugung geweckt, daß die Gefahr nicht so überwältigend sei, wie die Worte des Fremden es glauben machen wollten. Er ließ den Mann aus Tshinnak zu sich bringen und befragte den Erschöpften ausführlich. Danach war er sehr nachdenklich. Er glaubte dem Mann, aber es war nicht die Gefahr, die ihn beschäftigte, sondern ein anderer Gedanke, der ihm eines Königs würdiger schien. Wenn dieser Feind wirklich so mächtig war, dann war es das Klügste, sich mit ihm zu verbünden. Die Welt mochte ihre Beute sein, und er war entschlossen, sich einen Teil davon zu sichern.

Daß die Beratung mit der Priesterschaft im Tempel stattfand und nicht in der Ratshalle, bereitete den Königstreuen wenig Freude. Aber der König war zu klug, sich mit der Priesterschaft offen zu verfeinden. Sein Vater, Bardawil I., war der letzte einer langen Folge erblicher Häuptlinge gewesen, und der erste König, ernannt von eigenen Gnaden und ohne mehr als nur formalen Protest der Priesterschaft. Kha-aun war eine Stadt geworden. Es war nur recht, daß ein König herrschte, als Zeichen der Seßhaftigkeit.

Kha-aun bedeutete in ihrer Sprache so viel wie Auge der Götter. Ein prunkvoller Name für eine Stadt. Aber bereits die ersten Hütten hatten diesen Namen getragen, die der Stamm der Melniken, wie sie sich einst nannten, um einen großen Kreis gebaut hatten.

Den Kreis hatte der Priester des Stammes gezogen – nach einem seltsamen Traum, den er nachts an dieser Stelle hatte. Er schwor, daß sich mit den ersten Strahlen der Morgensonne über ihm ein Auge öffnete, in dem sich ein fremder Himmel widerspiegelte. Und er behauptete, fremde Landschaften und Wesen gesehen zu haben, die ihm wie der Traum eines Gottes anmuteten. Dann aber habe das

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Auge zu funkeln begonnen und sei verschwunden. Viele glaubten ihm. Sie hielten es für ein Zeichen der Götter. Ein

großer Teil des Stammes gab die Wanderschaft auf. Es begann auch die Regenzeit. Viele Tage blieb der Himmel verhangen, und keiner sah das Auge mehr.

Als der Rest des Stammes auf dem Rückweg in die Berge wieder an jener Stelle vorbeikam, standen viele Hütten, und ein Tempel von der Gestalt eines Eies, so oval wie das Auge, erhob sich in ihrer Mitte. Im düsteren Innern des Tempelraumes konnten es nun alle sehen. Grau, wie von Schleiern verhangen, schwebte das Auge über dem Altar. Es gab den Blick nicht frei in fremde Landschaften. Es blieb geschlossen. Aber die Priester verhießen, daß es sich eines Tages öffnen würde, um ihnen ein Paradies zu zeigen.

So entstand nach und nach die Stadt. Der Stamm der Melniken, der es müde war, durch die kargen Berge zu ziehen, begann auf das verheißene Paradies zu warten.

In den ersten Jahren hatte es blutige Auseinandersetzungen mit den Tshinnakern gegeben. Dies trug viel dazu bei, daß die Stadt immer mehr befestigt wurde. Es gab auch Zeiten, da räuberische Dalaugiri-Stämme weiter in den Süden kamen. Sie griffen Dörfer an und verschwanden wieder. Ihre Zahl war nie groß. Aber um sich ihrer zu erwehren, schloß Kha-aun mit Tshinnak Frieden. Auch mit Mangol weiter im Norden gab es ein Bündnis und einen spärlichen Handel.

Es gelang, die Dalaugiri zu vertreiben, und manche glaubten, das verheißene Paradies wäre gefunden, denn seit zwanzig Regenzeiten hatte niemand mehr zu den Waffen gegriffen, außer um auf die Jagd zu gehen. Wild war genug da, und der Boden gab ihnen reiche Ernte.

Die davor warnten, das Schwert ganz mit dem Pflug zu vertauschen, waren in der Minderzahl, und die Priester versprachen immer noch, daß sich eines Tages das Auge öffnen würde, wenn sie den Göttern gefällig wären.

König Bardawil II. war einer derer, die das Schwert nicht aus der

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Hand legten. Viele wünschten nun, sie hätten den Pflug nie gesehen. Sie wünschten, Nomaden zu sein wie ihre Vorfahren. Aber sie hatten längst verlernt, von der Wanderschaft zu leben. Sie waren Sklaven ihrer Äcker, ihrer Häuser, ihres Besitzes. Die Steppe war zur Wildnis geworden, die kleine Stadt zum Paradies.

Vorerst ahnten sie noch nicht, daß es wenig Unterschied machte, ob sie Soldaten waren, oder Bauern, Weber, Schmiede …

Aber sie waren bereit, ihr Blut für ihre Stadt zu geben. Das war des Königs große Stunde. Kaum daß die Versammlung aller wichtigen Oberhäupter im

Tempel begonnen hatte, kam der erste Mann der Patrouille zurück. Er berichtete, daß sie drei Reitstunden im Norden zwar noch keine Dalaugirireiter gesehen hätten, wohl aber Rauchwolken am Horizont. Diese mochten von einem Buschfeuer herrühren, doch war das um diese Jahreszeit eine seltene Erscheinung. Wenn sie von den Dalaugiri stammten, dann könnte der Feind bereits am Abend in der Nähe der Stadt sein.

Das versetzte die Versammlung in Aufruhr. Der König erhob sich. »Wir sollten die Zeit nicht im Tempel vergeuden!«

Nicht ohne Spott entgegnete der Mandhin: »Was wollt Ihr tun, König? Mit einer Handvoll Männer gegen Tausende reiten?«

»Wir wissen noch nicht, ob es Tausende sind. Wir haben nur das Wort eines Fremden …«

»Und mein Wort, König«, erwiderte der Mandhin. »Ich hörte die Geister reden, und sie sagten, daß die Welt in Gefahr wäre. Einer mit dem Geisterauge auf der Stirn, einer mit Namen Akkeron, wollte die Welt nach seinen Wünschen formen mit der frevelhaften Anmaßung eines Gottes. Hört mich an, König: Es ist dieser Akkeron, den der Fremde an der Spitze der Dalaugiri gesehen hat. Er besitzt Macht und Mittel, die selbst die Geister fürchten. Selbst das Meer ist ihm Untertan. Er mag kein Gott sein. Aber er besitzt die Macht eines Gottes. Solch einem Mann wollt Ihr mit der Klinge gegenübertreten – wenn Euch seine Horden überhaupt an ihn heranlassen? Ihr kennt die Dalaugiri. Nur ein toter Dalaugiri läßt das Wort eines anderen

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gelten.« Der König schüttelte den Kopf. »Das mag schon sein, Priester.

Wenn der Feind so mächtig ist, daß wir ihn nicht besiegen können, so bleibt uns immer noch die Möglichkeit, uns mit ihm zusammenzutun. Wenn dieser Akkeron so große Pläne hat, wie du sagst, dann wird er vernünftig genug sein …«

»Vernunft?« unterbrach ihn der Mandhin. »Seine Pläne haben nichts mit Vernunft zu tun. Blutvergießen hat nichts mit Vernunft zu tun. Er hat Tausende von Mördern an seiner Seite, die Blut gerochen haben. Und solange er ihnen genug Blut bieten kann, werden sie an seiner Seite bleiben. Dünkt Ihr Euch so viel klüger als der König von Mangol oder die Chans von Tshinnak? Einer, der die Welt in Blut ertränkt, um sie sich Untertan zu machen, und der die Geister befehligen will, ist entweder ein Dämon oder ein Wahnsinniger. Auf welche Vernunft wollt Ihr pochen, König? Darauf, daß er seinen Horden Einhalt gebietet, nur weil ein klägliches Hundert an seiner Seite glaubt, auch ein Stück von der Beute zu gewinnen? Nein, mein König. Wenn er der ist, für den ich ihn halte, dann läßt er sich nicht benutzen. Dann bedeutet ihm das Schicksal der Sterblichen nichts. Weder das der Dalaugiri noch das anderer. Und die Dalaugiri sind die besten Schergen, die einer von seiner Art finden konnte. Sie sind so mitleidlos wie alle unmenschlichen Kreaturen …«

»Mitleid, Priester?« warf der König heftig ein. »Ist es Mitleid, das wir brauchen? Mitleid?«

»Was wir brauchen, ist eine Chance zu überleben, und die sehe ich in Eurem Handeln nicht, König …«

»Ah«, entfuhr es König Bardawil. »Und wo siehst du diese Chance? Darin, daß wir uns in die Berge verkriechen?«

Der Priester schüttelte den Kopf. »Die Chance liegt nicht in unserer Welt. Chaos wird überall sein. Laßt mich Euch zeigen, welchen Weg ich sehe, mein König.«

Dem König lag eine Erwiderung auf der Zunge, aber dann sah er ein, daß Heftigkeit kein Argument war, und nickte.

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Der Mandhin gab ein Zeichen. Zwei Diener öffneten eine Klappe fast am höchsten Punkt der eiförmigen Kuppel. Die Strahlen der Mittagssonne fielen steil auf den Altar und das verhangene Auge der Götter darüber. Zwei weitere Tempeldiener machten sich daran, das große Tuch mit Stricken hochzuziehen, so daß das Auge sichtbar wurde.

Nur wenige Bewohner Kha-auns hatten das Auge je bloß gesehen oder gar ohne die Nebelschleier, die sein Inneres verhüllten. Aber nun, als das Tuch hochgezogen wurde, sah es aus, als ob sich ein Lid über dem Auge hob, und sie blickten hinein in die rötliche Glut einer Abenddämmerung.

Vereinzelte Aufschreie kamen von den Versammelten; in der Mehrzahl aber waren es Rufe der Verwunderung.

Das Bild war so klar, als blickten sie in eine andere Welt, in der eben die Sonne am Horizont einer Sandwüste unterging. Vor ihnen lagen die Dünen.

»Hier«, sagte der Priester, »ist unser Paradies.« In die Stille, die diesen Worten folgte, sagte der König: »Die

Wüste?« Der Mandhin erwiderte ruhig: »Sie wäre bereits das Paradies im

Vergleich zu dem, was uns hier droht. Aber ich meine nicht die Wüste. Wir müssen sie durchqueren. Einer unserer Priester hat sie durchquert. Nach drei Tagen fand er Wasser und fruchtbares Land. Und der Wind, der ihm entgegenblies, war salzig. Irgendwo dort am Horizont, wo die Sonne untergeht, ist ein Meer. Eine Welt für uns, König. Vielleicht eine friedlichere. Jede Welt ist der Traum eines Gottes. Wir sind in einem Alptraum gefangen. Aber wir haben eine Tür gefunden. In einen anderen, schöneren Traum. Welche Entscheidung Ihr auch immer fällt, König, wir werden diesen Weg gehen. Und alle, die mit uns wollen, werden uns willkommen sein. Aber die Entscheidung muß schnell getroffen werden. Die Tür ist nur für wenige Stunden offen. Dann schließt sich das Auge und öffnet sich in einen anderen Traum. Viele dieser Träume sind Alpträume, daß unsere Welt wie ein Paradies erscheinen muß, selbst

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mit dem nahenden Tod vor Augen. Es sind die Strahlen der Sonne, die es öffnen und schließen. Wir haben Jahre gebraucht, das Geheimnis zu ergründen. Und aus der Vielzahl der Welten, in die dieses Auge zu blicken vermag, erwählten wir diese, weil sie am meisten dieser gleicht.«

Ohne auf eine Antwort des Königs zu warten, gab er einem der Priester ein Zeichen. Dieser kletterte auf den Altar und trat furchtlos an das Auge. Vorsichtig streckte er die Hände durch. Dann sprang er und stand im nächsten Augenblick im Wüstensand. Er wandte sich um und winkte.

Es war atemlos still im Tempel, während der Priester einige Schritte durch den Sand ging. Seine Spuren waren deutlich sichtbar. Auf einer der Dünen hielt er an, klein und fern, und blickte in die untergehende Sonne. Dann kam er zurück. Während der letzten Schritte vor dem Auge bückte er sich und hob eine Handvoll Sand auf. Dann trat er lächelnd durch das Auge und sprang auf den Altar.

In der atemlosen Stille hob er seine Hand und ließ den Sand zu Boden rieseln.

Ein zweiter Laut mischte sich in die Stille: das Hufgetrappel eines Girions. Es verhielt vor dem Tempel. Im nächsten Augenblick erschien ein Mann im Eingang und rief keuchend: »Die Dalaugiri kommen!«

Er war einer der Patrouille, erschöpft vom wilden Ritt zurück zur Stadt und mit Entsetzen in den Zügen. Seine Ankunft verwandelte den Tempel in ein Chaos durcheinanderbrüllender Stimmen. Den Priestern gelang es nach einem Augenblick, die Ruhe wiederherzustellen, und alle konnten die Worte des Mannes hören:

»… Hügel sah aus wie ein Berg von Ameisen. Reiter an Reiter!« rief er. »Der ganze Horizont war schwarz von ihnen. Tausend müssen es sein, und aber Tausende. Es gibt nur eines, das sie aufhalten könnte: das Meer. Oder die eisigen Gipfel der Himmelsberge. Aber nichts sonst. Ihr Götter, nichts sonst!« Er starrte den König und den Mandhin an. »Was tun wir?« stammelte

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er. »Ihr Götter, was tun wir nur? In wenigen Stunden werden sie hier sein …!«

»Warst du nicht immer ein tapferer Mann?« fragte der König. »Ja, mein König. Und ich bin es noch. Aber was vermag der

Tapfere gegen die Flut oder den Sturm? Solcherart werden sie über uns hinwegfegen.«

»So werden wir mit ihnen fegen«, knurrte der König. »Mit den Dalaugiri, mein König?« rief der Mann bleich. »Habt Ihr

vergessen, wie es war, als wir gegen sie kämpften? Wißt Ihr nicht mehr, wie sie sich gebärden, wenn Blut fließt? Und wie wenig sie das Leben achten? Es heißt, daß sie das Fleisch ihrer Feinde essen. Wollt Ihr wahrhaftig mit solchen Teufeln reiten?«

»Willst du lieber sterben?« rief der König. Der Mandhin ergriff den Soldaten am Arm und führte ihn vor den

Altar. »Wenn du klug bist, wählst du das Paradies dort am Horizont.«

Der Priester, der die andere Welt betreten hatte, stand noch immer auf dem Altar. Er streckte dem Mann die Hand entgegen und ließ den Rest des Wüstensands niederrieseln. Ein Hauch von erlöschender Glut kam durch das Auge.

Der Mann atmete tief ein. »Dort hinein?« murmelte er. Der Mandhin nickte. »Das ist eine Tür, die wir hinter uns

zuschlagen können. Und keine Armee dieser Welt vermag sie wieder zu öffnen.«

»Bleibt noch Zeit genug für uns alle?«

Page 22: Der Feuertöter

3.

Es war ein gespenstischer Anblick. Der Tempel war voll Menschen, die Packen und Bündel

herbeischafften, Wasserkrüge, Bündel mit Räucherfleisch, Mehl, Früchten, Werkzeugen und Waffen. Vor dem Altar waren Stufen errichtet worden, die es leichter machten, das Auge zu erreichen. Ein ständiger Strom von Männern, Frauen und Kindern schob sich auf den Altar zu.

Über der Wüste war inzwischen die Nacht hereingebrochen. Mehrere Feuer brannten, aber selbst ihr grelles Licht vermochte den Glanz des fremden Sternenhimmels nicht zu überstrahlen. Eine Reihe von Zelten stand bereits im Sand. In einiger Entfernung sah man die dunklen Körper der Girions, etwa hundert an der Zahl, die hauptsächlich zum Tragen der Lasten gebraucht wurden.

Der Tempel war abgedunkelt gegen die Nachmittagssonne bis auf einen schmalen Lichtstreifen, der von der Decke auf eine Schale aus Silbermetall fiel, und von dort auf das Auge. Aber die steinernen Wände des Tempels flackerten im Widerschein der Feuer jenseits dieser Welt.

Die Erzählung des Mannes der Patrouille und die zweier weiterer Reiter, die ein wenig später eintrafen, machten den Bewohnern nur allzu deutlich, daß ihr einziges Heil in der Flucht lag. Es gab wenige, die zögerten. Selbst die Königstreuen schmolzen nach und nach. Aus einem halben Hundert, die an des Königs Seite bleiben wollten, wurden nach und nach drei Dutzend, zwei, eines. Mit jedem, der ging, wurde den übrigen mehr die Sinnlosigkeit ihres Handelns bewußt.

Kha-aun leerte sich. Auch die Königin nahm den Weg durch das Auge in eine

ungewisse Zukunft. Zurück blieben schließlich der König, Inyak, Kalwyn und ein halbes Dutzend Vertrauter, die ihm die Treue mit ihrem Blut geschworen hatten.

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Und sie hielten ihm die Treue bis zuletzt. Als der letzte der Patrouillenreiter zurückkam und kundgab, daß die Dalaugirihorden nicht mehr als eine Stunde hinter ihm wären, faßten sie einen weisen Entschluß.

Sie schlugen ihren König nieder und trugen ihn in den Tempel. Der Mandhin und zwei seiner Diener schlossen hinter ihnen die Tore. Stumm deutete der Priester auf das Auge. Die Menschen saßen um die Feuer. Es war fast wie in alten Zeiten, als sie durch die Berge zogen. Keiner von ihnen hatte dieses Dasein selbst erlebt. Aber sie fühlten, so mußte es gewesen sein – mit dem Himmel über ihren Häuptern, nicht eingeschlossen in die Steinmauern einer Stadt.

Sie trugen den König auf den Altar und stießen ihn durch. Während sie folgten und freudig begrüßt wurden, befahl der Mandhin den beiden Dienern, alle Klappen in der Kuppel zu öffnen.

Einer rief plötzlich, daß er Reiter sähe. Ganze Scharen, die sich rasch näherten.

Der Mandhin trieb sie zur Eile an. Er half selbst mit, bis der Glanz der Nachmittagssonne den Tempel erfüllte und die nächtliche Szenerie im Auge fast verblassen ließ. Dann stiegen sie selbst hinein in die Nacht der Wüste.

In der Leere des Tempels verklangen alle Geräusche.

*

Neue Laute drangen in die verlassene Stadt. Das Fluchen von Reitern, die ihre Tiere antrieben. Das Stampfen

von Tausenden von Hufen. Der Boden erzitterte. Schrille Kommandos.

Dann wurde langsam Stille. Eine erwartungsvolle Stille – wie vor einem schweren Sturm.

Es war niemand da, der den imposanten Anblick hätte bewundern können. Die Stadt war eingeschlossen von unübersehbaren Scharen von Reitern, kleinen, gelbhäutigen, dunkelhaarigen Männern, die mit ihren Girions verwachsen schienen.

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Die Ebene vor der Stadt, die Hügel in ihrem Rücken – bis zum Horizont reihte sich Reiter an Reiter. Sie standen reglos und warteten auf ein Zeichen.

Eine Gruppe von einem Dutzend Männer ritt an die vorderste Linie. Einer unter ihnen überragte seine Begleiter um mehr als Kopfeslänge. Seine Haut war bronzefarbig und seine Kleidung kostbarer. Am auffallendsten aber war das funkelnde Auge auf der Stirn, das ein schwerer, hoher Helm nur halb verdeckte. Auch seine Begleiter waren keine gewöhnlichen Krieger. Sie trugen gold- und silberbestickte Gewänder, die an ihnen unnatürlich wirkten, wenn man die barbarische Wildheit in ihren Zügen sah.

Die Kleider waren Beutestücke aus den Königshäusern Mangols und Tshinnaks. Und an manchem klebte Blut.

»Diesmal ist es Sache der Wengau-Krieger«, sagte einer. »Nein, die Maguas werden diese Stadt nehmen!« zischte ein

zweiter. »Haben die Häuptlinge der Wengaus und Maguas noch nicht

bemerkt, daß die Maulani den Mauern am nächsten stehen?« Der Sprecher grinste spöttisch. Eine Narbe quer über Lippen und Wange verlieh ihm einen Zug von festgefrorener Boshaftigkeit.

Der Große sagte nichts zu diesem Gespräch. Er wartete nur. Er hielt einen unterarmlangen Stab in der Linken. Sein Kopf war leicht geneigt, als lausche er auf etwas.

»Still wie ein Grab«, bemerkte der Wengau-Häuptling nervös. »Sie lassen uns herankommen.« »Wenn wir mit ihnen fertig sind, werden sie noch stiller sein, was

meint ihr?« »Daß wir diesen Steinhaufen auseinandernehmen, meine ich«,

knurrte der Anführer der Maulani. »Wenn es der große Akkeron befiehlt.«

Sie starrten auf den Riesen unter ihnen, der sie nur schweigend musterte. Da wußten sie, daß sie freie Hand hatten, nach ihrem eigenen Gutdünken zu verfahren. Ein Palaver hob an, in dem auch bereits um die Beute gefeilscht wurde. Daß sie nicht siegen könnten,

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kam ihnen gar nicht in den Sinn. So wie Mangol und Tshinnak ohne große Verluste gefallen waren, so würden sie auch diese Stadt in Schutt und Asche legen. Es bedeutete, Beute, Töten und Weiber – alles was ein Dalaugiri an einem Kriegszug schätzte, gleich ob ein Wengau, ein Tirpin, ein Magua, ein Maulani und jeder hundert kleineren Stämme, die trotz Zank und Hader längst erkannt hatten, welche Macht in ihrer Masse lag.

Mit einem schrillen Pfiff brachte schließlich der Maulani-Häuptling seine Reiter in Bewegung. In halsbrecherischem Galopp hielten sie auf die Stadtmauern zu. In der Nähe angekommen, stimmten sie ein höllisches Geheul an und schwenkten erst ab, als sie schon fast gegen die Mauern prallten.

Nichts regte sich. Die Häuptlinge starrten verblüfft auf die Stadt; dann auf Akkeron. Aber dieser sagte kein Wort. Wie immer beobachtete er nur. Auf ein neues Kommando ritten ein halbes Hundert Männer mit

großen Schilden auf die Stadt zu. Sie näherten sich erst vorsichtig, preschten jedoch dann in vollem Galopp an der Mauer entlang und warfen Seile mit Haken hinüber.

Wiederum kam keine Abwehr. Fluchend rief der Maulani-Häuptling: »Die Würmer haben sich

verkrochen!« »Aber nicht außerhalb der Stadt«, erwiderte der Magua. »Wir

haben nur Spuren von weniger als einem Dutzend Reitern gefunden.«

»Es gefällt mir nicht. Was soll es nur bedeuten?« »Die Männer sollen stürmen. Dann wissen wir es gleich!« Das geschah auch. Eine neue Welle von Männern galoppierte gegen die Mauern,

schwang sich auf die Seile und kletterte behende hoch. Einen Augenblick hoben sie sich gegen den Himmel ab, dann verschwanden sie im Innern, ohne daß sich ein Verteidiger gezeigt hätte.

Niemand hegte nun noch Zweifel daran, daß die Bewohner

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geflohen waren. Aber wohin? Wenn es bereits vor Tagen geschehen war, mochten die Spuren

inzwischen verwischt sein. Vielleicht waren die Bewohner in die Berge geritten, vielleicht auch nach Süden. Oder sie hatten sich in Höhlen unter der Stadt verkrochen wie die Aussätzigen Mangols.

Gleich darauf öffneten sich die Stadttore. Die Männer winkten. Ein vielstimmiger Schrei ging durch die Reihen der Angreifer.

Akkeron und die Häuptlinge ritten auf die Stadt zu. Eine Eskorte ritt vor ihnen her.

Als sie zwischen den ersten Häusern durchkamen, bestätigte sich, daß die Stadt verlassen war. Nichts regte sich. Die Plünderer kamen mit leeren Händen aus den Gebäuden. Immer stärker erfüllte ein Wutgeheul die Luft.

Die Angreifer erkannten, daß sie nicht nur um den Kampf, sondern auch um jegliche Beute betrogen waren.

Akkeron kümmerte sich nicht um das Fluchen und Zetern der Männer um ihn. Der eiförmige Tempel fing seinen Blick. Er begann darauf zuzusteuern, und die Häuptlinge folgten ihm, während die Krieger in den Häusern Feuer legten. Flammen schlugen aus dem ersten der Gebäude hoch. Die hintergangenen Eroberer fingen an, ihrem Ärger Luft zu machen – und Feuer vermochte am besten, die Zerstörungswut zu befriedigen.

»Sieht aus wie ein Tempel«, brummte der Maulani, als sie vor dem Riesenei ankamen.

Sie traten ins Innere. »Ist wohl ein Tempel gewesen. Gleicht aber mehr einem Stall, so wie es hier aussieht.«

Die Häuptlinge verstummten, als sie ebenfalls entdeckten, worauf Akkeron fasziniert starrte. Sie eilten zum Altar, und abergläubische Scheu erfüllte sie beim Anblick des riesigen Auges und der Wüste jenseits, auf der noch immer die Lagerfeuer brannten.

»Das sind sie«, flüsterte der Magua. »Da ist ein Zauber im Spiel …!« Zögernd folgten sie Akkeron, der auf den Altar stieg. Plötzlich

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erhoben sich die Männer an den Feuern und kamen auf das Auge zu. Sie hatten Bogen und Lanzen in den Händen. Im nächsten Augenblick schwirrte ein Hagel von Geschossen auf Akkeron und die erstarrten Häuptlinge zu.

Gleichzeitig aber geschah etwas Seltsames: Das Bild verblaßte. Grauer Nebel schob sich wie ein Lid über das Auge. Der Maulani-Häuptling schrie auf.

Entsetzt bemerkten die übrigen den gefiederten Schaft, der aus seiner Schulter ragte.

Das war kein Traumbild gewesen, sondern die Wirklichkeit. Das war der Fluchtweg, den die Bewohner dieser Stadt genommen hatten! Das war der Weg, den ihre Beute gegangen war!

Wütend stürmte der Magua-Häuptling vorwärts. Das Auge hatte sich wieder geöffnet. Die Feuer waren

verschwunden. Das Land lag in nächtlichem Dunkel. Der Magua sprang hindurch, bevor ihn jemand hindern konnte.

Die Zurückgebliebenen sahen, wie er drüben auf die Beine kam und sich verblüfft umblickte. Wo erst der Wüstensand gewesen war, befand sich nun steiniger Boden. Feuer zuckte über den Himmel und enthüllte ein zerklüftetes Land von nackten Felsen, soweit das Auge reichte.

Der Magua blickte zurück. Dann schien er ein Geräusch zu hören, denn er wirbelte herum mit dem Schwert in der Faust. Für die Männer im Tempel geschah es völlig lautlos, aber sie sahen am weitaufgerissenen Mund des Häuptlings, daß er schrie. Gleichzeitig sank ein schwarzer Schatten herab, kaum zu erkennen in der Finsternis. Neuerlicher Feuerschein am Himmel enthüllte einen gewaltigen Schädel. Ein Rachen von sägeartigen Zähnen faßte den Magua und biß ihn mitten durch. Blut spritzte hoch. Ein Schwall kam durch das Auge und färbte den Altar dunkelrot. Die erstarrt zusehenden Häuptlinge sprangen mit einem Aufschrei zurück. Nur Akkeron regte sich nicht. Er beobachtete das seltsame Auge nachdenklich. Er hielt den Stab halberhoben.

Während der restliche Teil vom Körper des Maguas zu Boden fiel,

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schob sich erneut das nebelige Lid vor das Auge. Rascher als zuvor öffnete es sich wieder.

Eine grünlichdämmrige Welt tat sich vor den Blicken der Männer auf. Ein riesiges Gebilde bewegte sich im Vordergrund und schwebte auf das Oval zu.

Die Häuptlinge schrien erneut auf, diesmal in panischer Furcht. Sie blickten in die Tiefe eines Meeres, und die tiefverwurzelte Angst vor dem Wasser lähmte sie. Das schwebende Gebilde war ein gewaltiger Krake, dessen lange Arme das Oval erreichten. Eine unsichtbare Wand mußte sich zwischen ihm und den Männern befinden, an der sich die Saugnäpfe festsogen. Mit einem leisen Plätschern begann Wasser durch das Oval zu dringen.

Schreiend sprangen die Häuptlinge vom Altar hinab. Sie erwarteten jeden Augenblick, daß diese unsichtbare Wand barst, der Ozean in den Tempel strömte und sie alle verschlang.

Doch da schloß sich das Auge wieder. Und öffnete sich. Sie blickten in eine Leere, die von Sternen erfüllt war. Ihr

stechender Glanz blendete sie. Schneller schob sich das Lid vor das Auge. Und enthüllte eine rauchende Landschaft von Lavaströmen, über

die hochbeinige, spinnenähnliche Wesen hinwegkletterten. Das Lid schob sich vor und zurück. Immer rascher. Bizarre Bilder

offenbarten sich den erstarrten Zuschauern und erfüllten sie mit Furcht und Entsetzen.

So rasch wechselten bald die Bilder, daß es aussah, als funkelte das Oval wie ein Juwel in der Sonne. Aber immer noch wurde die Bewegung rascher.

Dann verschwand das Auge mit einem grellen Aufblitzen. Die Wand über dem Altar war leer.

Akkerons Gedanken suchten Tyde, den Wassergeist, den er bezwungen hatte.

»Was war das? Hast du es mit angesehen?« »Ich sehe alles mit an, das du siehst.«

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»Was war es also ?« »Ich weiß es nicht. Es stammt nicht aus meinem Element.« »Und deine Geisterfreunde, wissen sie es nicht? Eines Tages

werden sie mir doch dienen, wenn ich der Herr dieser Welt bin. Es wäre klüger, nicht meinen Zorn zu wecken …«

»Ich kann sie nicht zwingen, dir dienlich zu sein, Akkeron. Das mußt du selbst tun. Du warst nicht sehr erfolgreich, selbst mit meiner Hilfe. Ich fürchte, das erfüllt sie mit Zuversicht.«

Die Stimme des Wassergeists verstummte. Akkeron unterdrückte mühsam seinen Zorn. Eines Tages würden ihm alle Geheimnisse dieser Welt offen sein.

Und der Tag war nicht mehr fern!

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4.

Das gewaltige Westmeer erstreckte sich vor ihnen unter einem stürmischen Himmel. Übermannshohe Wogen rollten über den flachen Strand – schäumend, wütend.

Der einsame Mann mit dem kurzen, armdicken Stab in der Rechten und dem dritten Auge auf der Stirn starrte mit dem Anflug eines Lächelns in das aufgewühlte Element.

»Du siehst alles mit an, was ich sehe, nicht wahr, Geist des Wassers?« Er murmelte es halblaut, obwohl es nur der Gedanken bedurft hätte, um mit Tyde, dem Wassergeist, zu reden.

»Ich sehe alles, Akkeron.« Die Antwort hallte in seinem Kopf wider wie ein mächtiges Rauschen.

»So siehst du auch den nutzlosen Grimm, der dich beherrscht. Ich fürchte deine Wogen nicht. Ich fürchtete sie auch nicht, bevor ich dich bezwang. Du dienst mir, weil du zu schwach warst, allein zu herrschen, und zu einfallslos, um deine Macht zu nutzen. Ich werde der neue Herr der Elemente sein. Ich, der Sohn Himurs.«

»Du bist nur Herr über das Wasser, und es liegt nicht allein in deiner Hand, es zu bleiben …«

»Willst du mir drohen?« »Wie könnte ich meinem Meister drohen? Es ist meine Pflicht, dich

zu warnen, Akkeron. Du hast in diesem König aus einem Reich jenseits unserer Macht einen starken Rivalen gefunden. Erthu, der Geist der Erde, ist Dragon Untertan. Bald wird es auch der Geist der Luft sein. Jetzt in diesem Augenblick ist er auf dem Weg in Aerulas inneres Reich. Und Vitu, der Geist des Lebens, der mächtigste von allen elementaren Geistern, ist dabei, seine eigenen Bündnisse mit einem Sterblichen zu schließen.«

»Hüte deine Zunge, Tyde«, murmelte Akkeron zornig. »Mein ist das Erbe des Namenlosen. Ich werde an Vestas Stelle treten und eine neue Ordnung nach meinen Vorstellungen schaffen. Niemand wird mich daran hindern. Auch nicht dieser Dragon. Du selbst wirst mir

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helfen, das Feuer zu bezwingen. Was denkst du? Was glaubst du, wird uns noch widerstehen können – dem Feuer, dem Wasser und zwanzigtausend Dalaugiri-Schwertern?«

Er lachte schallend, Tyde schwieg. »Der Herr der Elemente!« rief Akkeron. »Ah, mein schäumender

Sklave. Wenn ich es bin, werde ich diese Welt verändern, daß selbst ihre Götter sie nicht wiedererkennen! Und nun höre meinen Plan, Tyde. Diesmal werde ich mich nicht deiner Geschöpfe bedienen. Die Stärke meiner Dalaugiri ist auf dem Rücken ihrer Pferde. Sie scheuen das Wasser, und du wirst sie nicht berühren.«

»Wie du befiehlst, Akkeron.« »Du wirst das Westmeer für uns öffnen. So werden wir trockenen

Fußes in das Land der Feuerberge reiten!« Einen langen Augenblick schwieg der Geist des Wassers, und der

Stab der Elemente bebte in Akkerons Faust. Dann kam die Antwort. »Es soll nach deinem Willen geschehen, Meister. Wenn du mich rufst, werde ich das Meer öffnen.«

Akkeron nickte zu sich. Dann deutete er auf die wilde Brandung. »Und nun beende dieses Spiel. Es erschreckt meine Dalaugiri. Ich will das Meer glatt und ruhig.«

Tyde gehorchte. Die hohen Wogen glätteten sich fast augenblicklich. Das Meer wurde ruhiger. Aber nur für einen Augenblick. Dann heulte ein Sturmwind in die weite Bucht und peitschte die Wogen erneut hoch, daß sie wie Häuser heranrollten. Akkeron wich nicht, als sie auf ihn zukamen. Er schüttelte nur drohend den Stab. Einige der Dalaugiri, die an den Strand geritten kamen, sahen ein seltsames Bild: Ihr Zarath stand inmitten der wilden Gischt, aber kein Tropfen berührte ihn. In einem Sturm, der sie fast von den Pferden fegte, stand er mit erhobenen Armen wie im Gebet zu den Göttern. Nicht eine Locke seines schwarzen Haares bewegte sich, nicht ein Stück seines Umhangs flatterte.

»Du mißachtest meine Befehle!« rief Akkeron ergrimmt. »Nein«, erwiderte Tyde. »Es ist nicht meine Kraft, die deinen

Befehlen zuwiderhandelt. Es ist der Geist der Luft. Er ist so stark

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wie ich. Er vermag mein Element aufzuwühlen, im selben Augenblick, da ich es zur Ruhe rufe. Laß dir sagen, daß es ein schwerer Weg wird bis zu Skortschs Reich. Über mir ist die Luft und unter mir die Erde. Sie sind deine Feinde. Sie kennen meine Macht gut. Sie werden dir Fallen stellen, bei denen ich machtlos bin …«

»Ich bin Akkeron! Ich werde herrschen! Der Staev beweist es!« Er hielt den Stab hoch empor. Einst der Herrscherstab Vestas, war in ihm ein wenig der Macht aller Elemente. Er war nun fast schwarz und lag wie etwas Lebendiges in der Hand. Das Flüstern der Elemente bekam einen klagenden Ton, als ob sie Schmerz empfänden. Der wütende Wind wurde schwächer, die Wellen glätteten sich.

Die Dalaugiri wendeten ihre Girions und galoppierten zurück zu den Lagern. Sie wußten Wundersames zu berichten, wie Akkeron den Dämonen des Windes und des Meeres getrotzt hatte.

*

Vier Tage lagerten Akkerons gewaltige Heerscharen an der Küste des Westmeers.

Dann glaubte er genügend Vorräte zu haben, um den langen Ritt durch das Meer zu wagen. Längeres Warten wäre auch schwierig geworden, denn das Land war in weitem Umkreis leer von jagdbarer Beute. Außerdem begann es merklich kälter zu werden. Ein schneidender Wind blies aus dem Süden herauf und machte sein Heer ungeduldig. Auch begannen sie sich zu fragen, worauf sie an dieser einsamen Küste warteten.

So ließ er am Morgen des fünften Tages die Zelte abbrechen. Aus dem Rauch von mehreren hundert Lagerfeuern bewegte sich die gewaltigste Schar Bewaffneter auf den grauen Meeresstrand zu, die dieser Teil der Welt je zuvor gesehen hatte.

In den Gesichtern der Reiter war Unbehagen, denn Wasser war das Element, das sie mehr als den Tod scheuten. Aber sie vertrauten ihrem Zarath, ihrem Oberherrn. Er hatte viele Wunder vollbracht.

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Und er war der Herr ihrer Girions, die sie für die andere Hälfte ihrer Seelen hielten. Diese Hälfte ihrer Seelen und ihres Lebens gehorchte ihm. Und wohin die eine Hälfte ging, folgte auch die zweite. Oder sie starb. Solcherart hatte Akkeron es verstanden, die Dalaugiri an sich zu ketten.

Der Wind war noch kälter geworden. Er führte den Odem des Südeises mit sich, und es war allein Tydes Wirken zu verdanken, daß kein Wasser in die Luft gelangte. Es wäre als Eis oder Schnee vom Himmel gefallen und hätte Akkerons Heer schwer zu schaffen gemacht.

Die Wellen rollten mit aller Macht in die Bucht, als wollten die Elemente mit einem letzten Wüten den Menschen den Mut nehmen.

Auf Akkerons Geheiß tat sich das Meer auf, so breit, daß zwei Dutzend Reiter bequem nebeneinander Platz hatten. Einen Augenblick lang gerieten die vordersten Dalaugiri in Panik, als sie den Abgrund sahen, der sich vor ihnen öffnete.

Aber dann folgten sie Akkeron, der ohne Zögern hineinritt. »Trockenen Fußes werden wir in das Land der Feuerberge

gelangen. Gebt es von Mund zu Mund!« Tatsächlich war der Meeresboden trocken, nur von einer Schicht

Staub bedeckt, die einst Schlamm gewesen sein mochte. Aber Tyde hatte alles Wasser aus ihrem Weg entfernt.

Sie waren ein langer Wurm, der ins Meer kroch. Ein Wurm mit zwanzigtausend Stacheln und zwanzigtausend blutlüsternen Gehirnen.

Der Feuergeist lauschte grimmig ihren emsigen Gedanken. Er war nicht unvorbereitet. Aber sie sollten ein wenig näher

kommen. Zu den Lavaströmen, die unter dem Meeresboden kochten …

*

Bald verschwand der Kopf des Wurms unter der Wasseroberfläche. Da der Strand flach war, befanden sie sich bereits

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weit draußen in den Fluten. Links und rechts türmten sich die schimmernden, grünlichen

Wände des Wassers. Es war grau vom Schlamm, den der Sturm aufwühlte.

Vor ihnen fiel der Weg immer steiler ab. Die Girions gehorchten ihren Reitern nur mühsam. Das

gespenstische, dröhnende Rauschen, das die gewaltige Kluft erfüllte, machte Männer und Tiere taub.

Es wurde zudem düster. Der Streifen des Himmels über ihnen war alles, was ihnen von der Außenwelt blieb. Es gab keinen außer Akkeron, der nicht tief im Herzen fühlte, daß sie in die Unterwelt ritten, und daß irgendwo da unten Dämonen auf sie lauern würden.

Aber auch der Himmel gab bald nur noch wenig Licht, denn er verdunkelte sich. Blitze zuckten herab zwischen die haushohen Wasserwände. Donner rollte über die Reiter hinweg.

Die vordersten Girions tänzelten. Innerhalb eines Augenblicks löste sich die Formation auf. Reiter hieben auf ihre Tiere ein und verkrallten sich in den Mähnen, um ihnen und sich die Todesfurcht zu nehmen. In dem Donnern und Rauschen war nicht ein menschlicher Laut zu vernehmen, und nicht ein tierischer.

Mit Vestas Auge gelang es Akkeron, die Girions zu beruhigen. Und mit ihnen gewann auch bei den Reitern wieder die Vernunft die Oberhand.

Wütend zog Akkeron den Wassergeist zur Rechenschaft. »Diene ich dir nicht gut, Meister?« »Nein, und du weißt es!« »Was sollte ich wissen, Meister?« »Daß du Skortsch Vorschub leistest. Wie könnte er sich Wolken

am Himmel zunutze machen, wenn er nicht dein Wasser nähme, um sie zu formen?«

»Ich bin nicht allmächtig. So wie der Wind mag auch das Feuer mein Element benutzen. Etwas, das stärker ist als wir, zwingt uns, bestimmte Gesetze einzuhalten. Nur in den wilden Zonen sind wir wirklich frei.«

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»Was ist das für eine Kraft?« »Ich weiß es nicht. Keiner von uns weiß es.« »Auch Vesta nicht?« »Vielleicht.« Akkeron lächelte. »Und diese Wolken und das Feuer vom Himmel

gehört zu den Gesetzen, die du einhalten mußt?« »Ja.« »Auch jetzt?« »Das weiß ich nicht.« »Du wirst es Skortsch verweigern. Ich befehle es!« Es kam keine Antwort. Aber nach einer Weile wurde der Himmel

heller. Ein wilder Regen begann. Donner rollte ein letztes Mal über die Reiter hinweg. Es klang wie ein höhnisches Lachen. Dann war der Himmel klar.

Akkeron lächelte. Er fühlte sich sehr zuversichtlich.

*

Längst befand sich der ganze Heerwurm tief unter der Wasseroberfläche. Die Wasserwände türmten sich wie Gebirge. Die Männer ritten mit einer steten Furcht im Herzen und ließen kein Auge von ihnen; wenigstens jene, die am Rand ritten. Ohne daß es ihnen noch recht bewußt geworden war, war eine hallende Stille eingetreten. Nur das ferne Rauschen der Meeresoberfläche und des Windes drang herab.

Zwanzigtausend Männer ritten schweigend in dieser Stille, begleitet allein vom dumpfen Getrappel der Hufe und dem leisen Klirren der Schwerter.

Die glatten Wände des Wassers erfüllten sie mit Grauen, denn sie blickten trotz des spärlichen Lichtes in unergründliche Tiefen, in denen sich dunkle Schatten bewegten und manchmal näher kamen.

Ein Hai von der Größe mehrerer Männer begleitete sie eine Weile. Manche Faust klammerte sich an den Griff des Schwertes bei seinem Anblick. Eine riesige Schlange schwebte weit über ihnen in der

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grünen Dämmerung. Den ganzen Tag lang ging es abwärts. Den ganzen Tag lang

verstärkte sich in ihnen das Gefühl, daß sie ihre Welt für immer verließen.

Aber Akkeron ließ ihnen keine Zeit, nachzudenken. Er trieb sie zu größerer Eile an. Je erschöpfter sie waren, wenn sie lagerten, desto weniger Furcht würden sie empfinden.

Dies war erst der Beginn, und er fragte sich manchmal, ob es klug war, diesen Weg zu wählen. Die Götter mochten wissen, wie tief das Meer wirklich war, und sie mußten hinab bis auf den Grund. In Finsternis und Kälte. Er hätte sich mit den Fischen verbünden sollen.

Der Gedanke amüsierte ihn.

*

Als der Abend kam, wurde es so finster, daß sie die Hand nicht vor den Augen sahen. Jeder Schritt mochte in den Abgrund führen. Deshalb beschloß Akkeron zu lagern.

Er wies den Wassergeist an, eine weite Fläche freizumachen, auf der sie alle lagern konnten. Als das geschehen war, rief er die Häuptlinge zu sich. Er verbot, Feuer anzuzünden, da sie alles Brennbare in den kommenden Tagen für Fackeln brauchen würden. So saßen die Männer stumm in der Finsternis, müde, von Ungewisser Furcht erfüllt, die Girions, den kostbaren Schatz ihrer anderen Seele, neben sich.

Der Boden war kahl. Stein und Staub und Geröll und Schalen von toten Meerestieren. Es gab nichts, das die Girions hätten fressen können. Das mitgeführte Futter würde noch ein oder zwei Tage reichen. Danach mußten die Tiere mit Fleisch gefüttert werden. Wenn auch diese Vorräte zur Neige gingen, dann war es Tydes Aufgabe, sie zu versorgen. Seine Meere waren voll von Nahrung. Die Dalaugiri verabscheuten Fisch, aber der Hunger würde ihren Abscheu überwinden helfen.

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Das einzige wirkliche Problem war das Feuer. Aber Akkeron war sicher, daß Skortsch sie damit reichlich versorgen würde, ob es ihnen gefiel oder nicht.

Das Murmeln und Flüstern der lagernden Männer hallte wie in einer tiefen Schlucht wider. Mehr noch als während des Reitens fühlten sie nun das Eingeschlossensein. Die Wasserwand umgab sie in einem weiten Kreis. Wenn sie hochblickten, wo irgendwo weit über ihnen der Himmel sein mußte, sahen sie nur einen kleinen runden Fleck, auf dem eine Handvoll Sterne blinkten. Sie saßen in einem riesigen Rohr, das jeden Augenblick jemand verschließen mochte.

Überall roch es nach Fisch und Salz. Und die schwarzen, jetzt nicht mehr unterscheidbaren Schatten, die in den Wasserwänden hin und her glitten, trugen nichts dazu bei, den Männern Ruhe zu geben.

Die Häuptlinge fanden sich bei Akkeron ein. »Zwei meiner Unterführer meuterten«, erklärte der Tirpin-

Anführer. »Der halbe Stamm wäre mit ihnen umgekehrt. Wir haben sie erschlagen«, meinte er gleichmütig. »Sie sind Futter für die Fische.«

»Wie wir alle bald sein werden«, wandte ein anderer ein. »Willst du umkehren?« fragte der Tirpin-Anführer spöttisch. »Sind das die beiden einzigen Toten?« unterbrach Akkeron den

Streit. Niemand sonst wußte Ausfälle zu berichten. Aber es gab keinen

Dalaugiri, der nicht von genügend Furcht erfüllt war, um die Beine in die Hand zu nehmen, wenn es einen Ausweg aus diesem Alptraum gegeben hätte.

Page 38: Der Feuertöter

5.

Das spärliche Licht des Morgens, das zu ihnen herabfiel, schien den Männern wie eine Erlösung. Sie brachen auf und erreichten gegen Mittag den Rand einer Schlucht, die in endlose Tiefen führte. Die jenseitige Wand war nicht zu erkennen. Der Boden verlor sich in Schwärze. Selbst Akkeron schwindelte bei diesem Anblick. Die Häuptlinge standen ratlos um ihn. Für sie war das Ende dieser unseligen Reise gekommen.

Akkeron sammelte seine Gedanken, um Tyde zu rufen. Der Wassergeist meldete sich augenblicklich. Seine Stimme hatte

einen spöttischen Beiklang, der Akkeron nicht entging. Der Sohn Himurs ließ sich nicht beirren. »Wie breit ist diese

Schlucht?« »Zehn Tagesritte, wenn ich den vergangenen als Maß nehme.« »Gibt es eine Möglichkeit, sie zu umreiten?« »Ja. Aber sie führt bis hinauf in das Nordmeer. Ihr würdet ein Jahr

reiten und hättet erst die Hälfte des Weges.« »Warum hast du uns nicht auf dieses Hindernis hingewiesen?« »Es schien mir nicht von Bedeutung.« Akkeron schwieg. Dann dachte er: »Eines Tages werde ich dich

denken lehren, wie ich es wünsche und erwarte. Aber du hast recht …« Und diesmal war der Spott in Akkerons Gedanken. »Es ist nicht von Bedeutung. Du wirst uns über diese Schlucht bringen, heil und trocken, und es ist mir gleich, wie du es bewerkstelligst. Also laß hören.«

In der Gedankenstille, die folgte, vernahm Akkeron das unruhige Scharren der Girions hinter sich. Er wandte sich um und winkte den Häuptlingen beruhigend zu. Sie starrten ihn verständnislos an, aber dann schienen sie zu begreifen, daß er einen neuen Zauber mit dem Wassergeist vorbereitete. Sie wußten nicht recht, ob sie froh darüber sein sollten.

»Begehrst du, daß ich dir Fische sende, die euch über die Schlucht

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tragen?« »Nein. Meine Dalaugiri würden vor Entsetzen sterben, wenn sie

ihre Girions verlassen müßten, um sich Fischen anzuvertrauen. Als Nahrung wären sie uns jedoch willkommen. Wenn wir heute lagern, wirst du uns damit versorgen. Ich will dir sagen, wie du uns über diese Schlucht bringst, und vielleicht auch noch ein ganzes Stück weiter. Auf dem Grund deiner Meere liegen Schiffe, die in vergangenen Schlachten ein nasses Grab fanden. Askalother und Ekkelunder Segler und Meliganer Ruderer. Es müssen genug sein, um mein Heer aufzunehmen und uns über diese Schlucht zu tragen. Schaff sie herbei.«

»Das wird einige Tage dauern, selbst mit den raschesten Strömungen.«

»Wir werden so lange hier lagern. Du wirst uns reichlich mit Fischen versorgen, die wir essen können, und mit Treibholz, das wir trocknen und verbrennen können. Und beanspruche meine Geduld nicht über Gebühr!«

»Es soll geschehen, wie du sagst, Meister.« Befriedigt begab sich Akkeron zu seinen Häuptlingen. »Der

Wassergeist wird uns über diese Schlucht tragen. Bis es soweit ist, werden wir hier lagern. Es wird einige Tage dauern.«

Diesmal wurden Feuer entzündet. Ihr Schein und ihre Wärme gaben den Dalaugiri eine Spur von Zuversicht. Hundertfach spiegelten sich die flackernden Feuer in den Wasserwänden ringsum und vervielfachten das Licht. Wenn sie nicht in diese von Leben erfüllten Wände starrten, mochten sie sogar das Gefühl haben, in einer Höhle zu sitzen.

Nach allem, was geschehen war, zweifelten sie nicht daran, daß der Wassergeist sie über die Schlucht bringen würde. Akkeron stand auf bestem Fuß mit ihm, das hatten sie erlebt. Wenn es nicht so wäre, lägen sie längst unter den Wassermassen dieses Meeres begraben.

*

Page 40: Der Feuertöter

Einige Stunden später geschah, was ihnen Akkeron vorhergesagt hatte. Die Wasserwände spien Treibholz aus. Es hatte noch nicht lange im Wasser gelegen. Es war frisch. Akkeron befahl, es zu zerkleinern und zu trocknen, und die Feuer höher zu schüren. Von nun an gab es keinen Mangol an Holz mehr.

Auf die mit dem Treibholz beschäftigten Dalaugiri ergoß sich kurz darauf ein wahrer Regen von Fischen. Der ganze Lagerplatz zappelte. Es war ein Chaos brüllender, auseinanderstiebender Männer und Girions, die vergeblich Schutz suchten, um von diesem Geschenk des Wassergeists nicht erschlagen zu werden.

Zudem verabscheuten sie Fisch. Der Gedanke, ihn zu essen, kam ihnen nicht. Sie hackten mit ihren Schwertern in panischem Entsetzen auf die schweren, zuckenden Körper ein, bis sich nichts mehr regte.

Einige der Männer hatten Verletzungen erlitten, und Akkeron schalt den Wassergeist ob seiner Unachtsamkeit. Als die Männer begannen, die toten Fische in die Schlucht zu werfen, befahl er den Häuptlingen, ihnen Einhalt zu gebieten und die Fische zu braten.

Das geschah murrend. Sie hielten es ausnahmslos für eine Zumutung, auch nur einen Bissen davon zu essen.

Bald war der Lagerplatz erfüllt vom Duft bratenden Fischfleisches. Er verlockte einige der Männer, davon zu kosten. Das zarte, frischgebratene Fleisch fand überraschend Anklang. Immer mehr nahmen sich ein Beispiel an ihren Gefährten. Auch die Girions verschmähten es nicht, und das überzeugte schließlich auch die eingefleischtesten Gegner. Denn was der andere Teil der Seele aß, das mußte auch für den einen Teil bekömmlich sein.

Danach gewann das Lager trotz des Banns von Zauberei und Dämonie, der es umgab und in den abergläubischen Dalaugiri Entsetzen auslösen mußte, fast ein wenig von der Atmosphäre eines Steppenlagers. Die Männer wagten zu reden und sich zu unterhalten, und da und dort klang sogar ein Lachen auf, wenn es auch ohne Fröhlichkeit war. Immerhin, man war satt und eine Weile

Page 41: Der Feuertöter

ohne Strapazen. Die Schrecken, die weiter unten lauern mochten, waren nicht mehr so nah. Außerdem, wenn der Wassergeist so gut für sie sorgte, wie es nach allem den Anschein hatte, waren sie hier in seinem Schoß vielleicht sicherer, als sonstwo auf der Welt. Daß einige ihrer Stämme an der Seite des Zarath bereits empfindliche Niederlagen erlitten hatten, war im Augenblick nicht von Bedeutung.

Lebendiger in ihrer Erinnerung waren die triumphalen Siege über Mangol und Tshinnak, die sie ihrer geballten Macht verdankten. Sie hatten sie kennengelernt, die Wirkung der geballten Macht. Unbewußt hielt sie auch das zusammen.

Am zweiten Tag wurde das Trinkwasser knapp. Akkeron nahm das Ewige Naß aus den Falten seines Umhangs. Es war das Innere Tydes, seine Seele, wenn Geister so etwas wie eine Seele besaßen. Es war ein kristallklarer Wassertropfen von der Größe zweier Fäuste. Dem Besitzer dieses Tropfens war der Wassergeist untertan. Aber es garantierte nicht nur den Gehorsam Tydes, es leistete einem Feldherrn und Eroberer auch andere unbezahlbare Dienste – wie in diesem Augenblick. Er hieß die Männer in weitem Umkreis zurücktreten und warf den Tropfen in eine Bodenmulde. Sofort begann sie sich mit klarem Wasser zu füllen, bis ein kleiner Teich entstand.

»Trinkt!« befahl Akkeron. »Und füllt Becher und Schläuche.« Die Männer erkannten, daß das Wasser ohne Salz war und klar

wie eine Bergquelle. Zwanzigtausend Männer und Tiere labten sich, und die Quelle versiegte nicht. Es war eines der vielen Wunder, die die Dalaugiri an Akkeron ketteten.

Als alle Wasser hatten und die Behälter aufgefüllt waren, nahm Akkeron das Ewige Naß wieder zu sich. Akkerons Heerschar hatte den moralischen Tiefpunkt überwunden. Sie begannen, sich an ihre Lage zu gewöhnen.

*

Page 42: Der Feuertöter

Akkeron aber wurde ungeduldig. Er hatte das Gefühl, daß Tyde ihn hinzuhalten bemüht war. Er hatte längst erkannt, daß der Wassergeist ihm nur widerwillig diente.

Am Nachmittag des zweiten Tages begann plötzlich der Boden zu beben.

Männer und Tiere sprangen auf und hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Die Wasserwände schwankten und wölbten sich bedrohlich über ihnen.

Das ganze Heer war in einem Augenblick ein chaotischer Haufen schreiender, durcheinanderlaufender Männer und Tiere. Mehr noch, als daß der Boden schwankte, versetzten sie die zerfließenden Wände in Schrecken. Sprühregen kam aus großen Höhen herab. Es sah aus, als würde sich das nasse Grab jeden Moment schließen. Der Himmel war nicht mehr sichtbar. Die sich wie Schlangen windenden Wände versperrten den Blick in die Freiheit. Die Feuer verlöschten unter einem orkanartigen Wind, der in den Kessel herabkam und sie beinahe von den Beinen fegte. Die Männer, die gegen die Wände geschleudert wurden, erwartete ein grausiges Schicksal. Riesige Raubfische faßten mit ihren Rachen aus dem nassen Reich heraus und zerrten sie in das dämmrige Grün hinein, wo sie sie vor den Augen ihrer Kameraden zerrissen und fraßen.

»Tyde!« schrie Akkeron. »Ja, Meister«, kam sofort die gedankliche Antwort. »Ich sehe, was

geschieht. Aber es ist Erthus Werk. Ich habe Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Aber habt keine Furcht vor dem Wasser. Von ihm wird euch nichts geschehen.«

»Die Fische!« rief Akkeron. »Bleibt ihnen fern! Sie sind Vitus Geschöpfe. In diesem Augenblick

vermag ich ihnen nicht zu befehlen.« »Wo bleiben die Schiffe?« »Auf dem Weg, Meister.« Der Boden klaffte auf in einem gewaltigen Spalt. Manche der

Dalaugiri sprangen zu spät zurück und stürzten hinab in das Innere der Erde.

Page 43: Der Feuertöter

Dann trat schlagartig Stille ein. Der Boden war ruhig, nur die Wasserwände schwankten mit drohendem Rauschen. Aber auch sie gewannen an Festigkeit. Wie betäubt lagen Reiter und Tiere auf dem Boden. Nur Akkeron stand mit geballten Fäusten.

»Ich sagte dir, daß Dinge geschehen würden, gegen die ich keine Macht habe«, kamen Tydes Gedanken. »Du nutzt meine Kraft ohne Verstand. Alle Wasser dieser Welt fließen durch mich, bewußt oder unbewußt. Sie sind mein Blut. Gesetzmäßigkeiten, auf die ich keinen Einfluß habe, sorgen für den Gleichlauf. Weißt du, welcher Macht es bedarf, dieses Meer für dich zu teilen? Tausend andere Dinge geraten mir dabei außer Kontrolle, die deine Feinde nutzen können. Ich bin nur ein Geist, ein Element. Und ich sehe keinen Zweck darin, dich zu leiten. Du achtest meine Kräfte nicht. Wäre ich einer menschlichen Leidenschaft fähig, würde ich dich hassen. Es bedeutet nichts, daß ich dir diene. Ich werde noch sein, wenn du nicht mehr bist.«

Tyde zog sich von ihm zurück. Als er sich umwandte, sah er die Häuptlinge herankommen. Ihre

Gesichter waren blaß. »Mehr als hundert Männer sind tot, Zarath. Erschlagen, oder von

den großen Fischen getötet. Zürnt uns der Geist des Wassers?« Akkeron schüttelte den Kopf. »Es ist der Geist der Erde, der uns

verflucht. Aber wenn erst das Feuer unser ist, wird die Erde vor uns beben.«

Es klang wie ein Schwur. Die Dalaugiri nickten. Solche Schwüre verstanden sie.

*

In der Nacht weckte sie ein gewaltiges Rauschen. Es erfüllte alles um sie, und es wurde lauter …

Es kam aus der Schlucht. Das spärliche Licht der Feuer und Fackeln drang kaum in die

Tiefe. So standen sie und lauschten und versuchten die Furcht zu

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unterdrücken, mit der das Rauschen sie erfüllte. Aber Akkeron wußte, was geschah, auch ohne daß Tyde es ihm

sagte. Die Schlucht begann sich mit Wasser zu füllen. Das bedeutete, daß

die ersten Schiffe nicht mehr weit waren. Es ging sehr schnell. Mit grollendem Donner schäumte das Wasser

hoch. Vor ihnen in der Dunkelheit erstreckte sich ein Meer im Meer, die Fläche spiegelglatt und wenig einladend. Aus den schwarzen Wasserwänden näherten sich verschwommene Gebilde. Sie schimmerten wie Irrlichter und wurden größer, je näher sie kamen.

Erst zählten sie ein Dutzend. Alle schimmerten in diesem unheimlichen Licht. Bald waren es zwei Dutzend, dann drei, schließlich hundert und mehr.

Aber die nächsten waren nun deutlicher zu erkennen. Es waren die Schiffe! Ein mächtiger Bug glitt auf sie zu und brach schäumend durch die

Wand. Das Uferwasser wirbelte und schlug gegen die Felsen. Knarrend legte das Schiff an.

Sie sahen, daß das Licht von einer dicken schlammigen Schicht herrührte, die das ganze Schiff umgab.

Es war ein mächtiger Dreimaster, und ein ebenso mächtiger Feind hatte ihn in den Grund gerammt. Ein großes Loch gähnte seitlich im Bug, bei dem das Wasser aus- und einfloß. Dennoch schwamm das Schiff. Auch die Masten hatten gelitten, große Teile der Reling fehlten. Die Deckaufbauten ragten wie Ruinen hoch. Eine leuchtende Gestalt stand am Steuerhaus. Das Fleisch des Steuermanns war längst verfault und von den Fischen gefressen worden, aber der leuchtende Schlamm hatte sich an seinem Skelett festgesetzt. Man sah unter dem Harnisch und dem Umhang das Gerippe nicht, aber ein grinsender, ausgehöhlter Schädel starrte unter dem Helm hervor und über den Bug hinweg, als steuere er das Schiff noch immer dem Feind entgegen.

»Darin sollen wir segeln«, stammelte einer der Häuptlinge. »In diesen Totenschiffen?«

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»Es lastet ein Fluch darauf …« »Ihr könnt auch schwimmen«, erklärte Akkeron ungerührt. Schäumend öffnete sich erneut die Wand. Ein zweites Schiff glitt

heraus und auf das Ufer zu – ein schlanker Segler, dessen Masten der Sturm geknickt hatte.

Immer rascher kamen sie aus den Wasserwänden. Schiffe aller Völker und aller Zeitalter dieser Welt, in Stürmen oder Schlachten versenkt, mit Schätzen und Toten beladen. Alle leuchteten in ihrem Kleid aus Schlamm, das ihnen das Meer angelegt hatte. Bald überstrahlte ihr Licht das der Feuer.

Die Schlucht war zu einem riesigen Hafen geworden, in dem Schiff an Schiff lag und darauf wartete, daß sie an Bord kamen. Ihr Anblick ließ den Tapfersten das Herz zu Eis gefrieren. Keine Überredungskunst hätte die Dalaugiri dazu gebracht, an Bord zu gehen. Doch Akkeron hatte schon einmal bewiesen, daß er der Herr aller Girions war. Vestas Auge und die Macht des Staevs trieben die Tiere an Bord.

Und wohin sein Girion ging, da folgte auch der Reiter.

*

Die gespenstische Flotte glitt, wie von Zauberhand bewegt, in die Finsternis dieses inneren Meeres hinaus. Mit Grauen im Herzen standen die Krieger auf den schlammigen Decks, die Fäuste in die Mähnen ihrer Tiere gekrallt!

Ein Pfeifen wie von einem kräftigen Wind war in ihren Ohren, doch nicht der leichteste Windhauch berührte ihre Gesichter. Aber in dieser unspürbaren Brise nahmen die Schiffe immer mehr Fahrt auf.

Die ganze Nacht glitten sie über die schwarze See, während die Männer sich nicht zu rühren wagten. Für sie waren es die Geister der Erschlagenen, die die Schiffe steuerten. Jede Berührung mochte die Berührung mit einer kalten, untoten Hand sein.

Jeder Laut das Flüstern einer längst erloschenen Stimme.

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Auf dem Führungsschiff riet Akkeron den Männern zu schlafen. Nichts würde sich während dieser Fahrt ereignen. Hier waren sie ganz in den Händen des Wassergeistes. Er hieß einige der Männer, das Deck von Schlamm, Skeletten und Gerümpel zu säubern und aus dem Metall, das sie fanden, eine Feuerstelle zu errichten. Feuer und Fackeln waren etwas, das ihnen Geborgenheit vermittelte, Wärme und Sicherheit. Keiner dachte daran, daß dies aber auch die Fanale des Feindes waren, gegen den Akkeron sie führte.

Daß das Feuer brannte, daß sie Luft zum Atmen hatten, mußte ein Teil jener Gesetzmäßigkeiten sein, die Tyde erwähnt hatte, dachte Akkeron bei sich. Vorgänge, die ohne direkte Lenkung abliefen. Andernfalls wären die Dalaugiri längst tot. Gleichzeitig wußte er, daß es gleichgültig war, ob sie starben oder nicht. Er würde seinen Weg gehen. Er würde neue Verbündete finden. Eines Tages würde er sogar die Macht Vitus besitzen und seine Verbündeten selbst schaffen – nach seinen eigenen Vorstellungen.

Macht. Macht zu erlangen, zu besitzen und zu demonstrieren – das war

sein Ziel. Nach einer Weile wurden auch auf den anderen Schiffen der

gewaltigen Flotte Feuer entzündet. Einen Augenblick schien es Akkeron wie ein verschwenderisches Fest zu Ehren Skortschs. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

Das Wasser war vollkommen ruhig. Akkeron spielte mit dem Gedanken, auf diesen Schiffen auf der Oberfläche weiterzufahren. Aber er ahnte, daß dann wohl der Einfluß des Luftgeistes größer wäre, und daß sie in Sturm und haushohen Wellen dahinsegeln müßten. Aber dennoch konnten sie sich von Tyde solcherart bis an die Küste von Skortschs Land herantreiben lassen. Die Strapazen eines Rittes auf dem unebenen Meeresboden waren vorbei.

*

Ein Mann an der Reling rief etwas.

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Einer der Häuptlinge kam zu Akkeron gerannt, der in Gedanken versunken in die Flammen des Feuers starrte.

»Das Meer glüht, Akkeron«, rief ein Häuptling bleich. »Es glüht?« »Ja, tief unten. Als ob es brenne.« Akkeron trat mit gerunzelter Stirn an die Reling und starrte in das

schwarze Wasser. Ein flackernder, rötlicher Schein ließ es aufleuchten. Ein roter Kreis leuchtete tief unten am Grund der Schlucht.

»Was ist das?« dachte Akkeron. »Skortschs Auge«, antwortete Tyde. »Er sieht damit?« »Ja, und es ist eine Quelle seiner Kraft. Er weiß, daß du kommst

und was du vorhast. Hüte dich, seinen Augen zu nahe zu kommen. Sie sind heiß wie das Innere der Sonne.«

Das Wasser bebte plötzlich. Das Auge tief unten öffnete sich weit und spie einen Teil seiner

Glut aus, die emporkam. »Was ist das?« »Eine Art von Feuer und brennendem Gestein.« »Es kommt auf uns zu …« »Ja.« »Was können wir tun?« »Nichts.« »Und du? Was kannst du tun? Sende dem Feuer eine Strömung

entgegen, die es wieder nach unten treibt!« »Ich werde es versuchen, Meister.« Wieder bebte das Wasser. Die Schiffe ächzten, daß die Männer

fürchteten, sie könnten unter ihren Füßen auseinanderfallen. Aber die morschen, in manchen Fällen auch bereits versteinerten Planken hielten.

Auf einigen der kleineren Boote, in denen die Männer dem Wasser näher waren, zum Teil auch deshalb, weil durch die beschädigten Planken Wasser in die unteren Schiffsteile strömte, schrien die

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Männer auf. Das Wasser war heiß! Es schäumte, und Blasen und Dämpfe stiegen auf. Dann barst die

Wasseroberfläche ein Stück vor dem Bug des ersten Schiffes, und Schlamm und Wasser und glühendes Gestein sprühten zischend hoch und ergossen sich über die Flotte. Die Finsternis war von Funken und Schreien erfüllt.

Akkeron starrte wieder in die Tiefe. Nicht nur ein Auge Skortschs hatte sich geöffnet, sondern mächtige, glühende Arme reckten sich hoch.

Aber auch Tyde war am Werk. Starke Strömungen zerrten an den feurigen Armen und trieben sie von den Schiffen fort. In einiger Entfernung kamen sie schließlich fauchend aus dem Wasser und verstreuten ihre Glut, ohne Schaden anzurichten.

Aber das Meer begann zu kochen. Heiße Dämpfe umhüllten die Schiffe und machten den Männern das Atmen zur Qual. Sie waren in kurzer Zeit in Schweiß gebadet. Das Holz wurde heiß unter den tierhautbekleideten Füßen der Männer. Sie tanzten von einem Bein auf das andere und rissen Schmuck, Helme und anderes Raubgut von ihren Körpern, denn die heiße Luft erhitzte das Metall bald soweit, daß es auf der Haut brannte. Mit den Schwertern war es nicht anders.

Aber selbst der Dampf war bald unerträglich. Er brannte wie Feuer auf der Haut. Girions und Männer brüllten. Gekochte Fische trieben zur Oberfläche.

Einige der Krieger verloren das Bewußtsein und sanken auf die heißen Planken, wo sie lautlos starben. Immer mehr wankten, als die Sinne ihnen schwanden.

Akkeron beobachtete es voll Grimm. »Tyde!« wütete er. »Was soll ich tun?« »Vermagst du Skortschs Feuer nicht aufzuhalten?« »Nein. Und es ist nur ein Vorgeschmack dessen, was dich im Land

der Feuerberge erwartet, wo kein Wasser zwischen euch und den

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Feuerlingen sein wird. Nur Luft, und sie ist nicht in deiner Macht.« »Kaltes Wasser!« schrie Akkeron. »Er wird eine Weile brauchen,

bis er es wieder zum Kochen bringt. Du hast ganze Meere davon!« »Ja, Meister.« Es klang wie ein Seufzen. Dann schüttelten starke Strömungen die Schiffe. Gleichzeitig ließ

das Dampfen nach. Die Männer vermochten wieder zu atmen. Die Feuer und Fackeln waren nicht länger verschwommen gleißende Punkte. Die Schiffe glitten wie Schemen aus den letzten Schleiern heißen Nebels. Unentwegt floß kaltes Meerwasser unter die Kiele und drängte das heiße in andere Bereiche.

Krieger und Tiere genossen die kühle Luft mit langen tiefen Zügen.

Unter ihnen begann sich Skortschs Auge zu schließen. Die Luft in diesem engen Kanal roch nach Asche. Skortschs Odem.

Skortschs Pesthauch, dachte Akkeron grimmig. Es war ein erster Sieg.

*

Akkeron starrte gebannt auf das rötlich leuchtende Land voraus, das aus schweren Rauchschwaden hervortauchte. Eine Alptraumlandschaft bot sich den Blicken der Männer, die sie wünschen ließ, Akkeron niemals bis hierher gefolgt zu sein. Ein Berg spie ununterbrochen Feuer in den Himmel, das als Asche herabsank.

Flammen züngelten über das Land, das so heiß sein mußte wie die Schiffe noch eben gewesen waren. Rotglühende Ströme ergossen sich langsam ins Meer und ließen es in mächtigen Dampfwolken aufwallen. Stetes Donnern erfüllte die Luft.

Als sie an der Küste anlegten, brachen neue Feuerströme aus dem Gipfel des Berges hervor und wanden sich auf sie zu. Aber sie waren langsam und mußten ihren Weg durch das zerklüftete Gestein suchen, schwere Berge von Geröll und Asche vor sich herschiebend.

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Akkeron lachte. Den Staev fest umklammert, stieg er auf das glühende Land. Das Feuer wich vor ihm zurück.

Ein Gebrüll seiner Männer machte ihn auf eine Gefahr aufmerksam, die sich aus dem Innern des Feuerberges näherte. Graugekleidete Krieger stürmten hervor. Sie hielten blitzende Waffen in den Händen, die zuckten und funkelten in den grauen Rauchschwaden, die aus dem Spalt kamen, aus dem auch die unerwartete Streitmacht hervorquoll.

Sie waren übermannsgroß, in grauen Helmen und Harnischen, mit grauen Schilden von der Farbe der Asche. In den schmalen Visieröffnungen vermeinte Akkeron wilde, glühende Augen zu erkennen.

Vor ihm hielten sie an, hoben ihre Schilde ans Kinn, ruckten ihre Lanzen hoch, aus denen Feuerstrahlen auf Akkeron zuckten. Er hob den Staev abwehrend. Das Feuer zuckte harmlos an ihm vorbei.

Er lachte erneut. »Skortsch, deine Krieger treffen nicht! Ist das alles, was du zu

bieten hast?« Er riß das Ewige Naß aus dem Umhang und schleuderte es den

Kriegern entgegen. Sie wichen brüllend zurück, als das Innere des Wassergeists nach ihnen griff. Ihre Schilde vermochten es abzuwehren, aber wo diese Schilde sie nicht schützten, hüllte das Wasser sie ein. Dampfend und zischend brachen sie zusammen. Die glühenden Augen erloschen. Die Speere entfielen ihren Fäusten.

Was blieb, waren leere, graue Hüllen. Akkeron stieß mit dem Fuß gegen eine davon. Die graue Hülle zerfiel. Sie war nicht mehr als eine dicke Schicht von Asche.

»Seht sie euch an!« rief er seinen Männern auf den Schiffen zu. »Nichts als Asche. Wir werden sie alle löschen! Wir werden Skortsch das Schwimmen lehren! Vorwärts!«

Mit einem Triumphgeheul sprangen die Dalaugiri an Land. Aber als sie es taten, wurden sie von Flammen eingehüllt und verbrannten. Tausende loderten auf, wanden sich hinter einem Vorhang aus Feuer und wurden zu Asche.

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Eine mächtige, riesenhafte Gestalt aus reinem Feuer stieg aus dem Gipfel des Berges und kam herab.

Akkeron wußte, daß es Skortsch selbst war. Er stand wie gelähmt. Mit donnerndem Lachen kam der flammende Gigant auf die Küste zu.

Akkeron schleuderte ihm das Ewige Naß entgegen, aber es verdampfte in einem Augenblick. Unerträglich heiß und hell ragte der Riese vor ihnen auf. Dann griff er mit einer Hand in die Flotte.

Sie brannte lichterloh. Dann griff die Hand nach Akkeron und hob ihn hoch. Trotz des

Staev spürte er die unglaubliche Hitze. Er wußte, daß es das Ende war, daß die Geister mächtiger waren, als er geahnt hatte.

Um ihn war das Schreien sterbender Männer, das Brüllen verbrennender Tiere …

Wie unter schweren Schleiern sah er das dunkle Wasser schäumen. Hunderte von Männern sprangen in die Fluten und gingen schreiend unter oder wurden von großen Raubfischen hinabgezogen. Wie rasend stürzten sich immer neue von den ruhig dahingleitenden Schiffen …

Akkeron schüttelte den Kopf. Etwas lähmte ihn, lähmte seine Gedanken. Betäubt schüttelte er

den Kopf. Etwas geschah mit ihm und seinen Kriegern. »Tyde!« riefen seine Gedanken verzweifelt. »Was geschieht?« »Deine Krieger springen über Bord« »Ich sehe es. Aber warum?« »Ich weiß es nicht.« »Du wirst verhindern, daß sie ertrinken, oder daß ihnen in deinem

Element Schaden zustößt.« »Ja, Meister.« Die Benommenheit ließ sich nur mühsam abschütteln. Undeutlich

sah er, daß seine Männer noch immer in die Fluten sprangen, wenn auch nicht mehr in so großen Scharen wie zuvor. Wie er selbst schienen sie zur Vernunft zu kommen.

»Wo sind wir?«

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»Noch immer unter dem Meer, auf meinen Schiffen!« »Nicht an Skortschs Küste?« »Sie ist noch mehr als zehn Tage entfernt.« »Aber ich war eben …« Akkerons Gedanken brachen ab. Es war

ein Traum. Jemand gaukelte ihnen etwas vor. Die Männer glaubten, von brennenden Schiffen zu springen, um sich in die Fluten zu retten.

Während der wirkliche Feind, der einzige reale Feind das Wasser war, denn keiner der Dalaugiri konnte schwimmen. Ihr Glück war, daß sie sich nicht von ihren Reittieren trennten; diese vermochten sich über Wasser zu halten und damit auch ihre Reiter. Viele der Reiter aber verloren ihre Tiere während des Sprunges und während des Eintauchens und kurzen Untersinkens. Ein weiterer Teil war von den großen Fischen in die Tiefe gerissen worden.

Aber nun gehorchte Tyde dem Befehl Akkerons und trug Männer und Tiere schützend an der Oberfläche. Auch die Raubfische verschwanden.

»Woher kam der Traum?« »Der Traum, Meister?« »Wir sahen Skortschs Küste, und unsere Schiffe brannten!« »Ich sah keinen Traum, Meister.« »Das mag sein. Wer macht die Träume?« »Sie entstehen aus vielen Dingen, die ich nicht alle kenne. Ich bin

nur der Geist des Wassers. In allen Elementen schlummern Träume. In allen Dingen. Im Duft von Blumen, in den Lebenssäften von Tieren und Pflanzen. In den Gasen der Luft. In den Stoffen der Erde. Es ist in des Träumers …«

»In den Gasen der Luft, sagst du?« unterbrach ihn Akkeron. »Auch …« »Also auch in den Dämpfen, die aus Skortschs Auge kamen?« »Das mag sein.« »Reinige die Luft, die wir atmen.« »Sie reinigt sich selbst. Das ist eine der Gesetzmäßigkeiten der

beiden Elemente.«

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»Es geschieht nicht rasch genug. Wir brauchen frische Luft, um aus diesem Traum zu erwachen.«

»Es soll geschehen.« Die Schiffe änderten den Kurs und steuerten auf eine Wasserwand

zu. Während die schwimmenden Dalaugiri und Girions an Bord kletterten, verblüfft darüber, wie das Wasser sie plötzlich trug und förmlich auf die Schiffe zuschwemmte, erhob sich ein vieltausendfacher Aufschrei von den Männern an Deck.

Halb aus ihrem Traum erwacht, sahen sie sich bereits im nächsten Alptraum, und er war nicht weniger erschreckend. Die Schiffe fuhren direkt auf die gefürchteten Wasserwände zu. Es war das Ende, denn sie würden von ihnen verschlungen werden, um für alle Zeiten auf dem Grund des Meeres zu segeln wie die Toten, die sie auf den Schiffen gefunden hatten. Erneut begannen sie, von Grauen getrieben, in die Fluten zu springen. Das Wasser nahm sich ihrer hilfreich an und trieb sie neben den Schiffen her auf die Wand zu.

Dann stieß das Führungsschiff mit Akkeron an Bord hinein. Gespenstisch verschwand der Bug, das Vorderdeck, die Masten, die ersten Männer, die vor Grauen erstarrt waren und nicht mehr zu springen vermocht hatten.

Das Wasser umspülte Akkeron einen Augenblick lang mit sanftem Druck. Dann war er durch. Das Schiff schwankte leicht. Er sah sich um. Weitere Buge tauchten aus der Wasserwand auf, ebenso die Männer in den Fluten.

Dämmerlicht vom fernen Morgenhimmel umgab sie. Alle Feuer und Fackeln waren gelöscht worden. Die Luft war rein. Der dumpfe Druck in seinem Kopf begann zu schwinden, je mehr er von dieser Luft einatmete. Auch die Dalaugiri würden bald klare Köpfe bekommen und erkennen, daß sie einem Traumbild zum Opfer gefallen waren. Aber für sie mußte auch das alles wie ein Alptraum wirken. Sicher vermochten sie Traum und Wirklichkeit längst nicht mehr zu unterscheiden.

Akkeron fand seine Gedanken bestätigt, als einer der Häuptlinge mit bebender Stimme sagte: »Wir haben die Schlacht gegen den

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Feuergeist verloren. Aber was sollten wir gegen das Feuer ausrichten? Wir haben viele Männer verloren. Möge der Geist des Wassers uns für diese Rückkehr Schutz gewähren …«

»Rückkehr, sagst du?« Akkeron lachte. Der Häuptling der Tirpin-Stämme sah ihn verwundert an. »Es werden mehr als zehn Tage vergehen, ehe wir die Küsten des

Feuerlands erreichen. Was wir gesehen haben, war ein Traum. Er sollte uns abschrecken. Aber er tut es nicht!«

Der Dalaugiri war sichtlich anderer Meinung. »Ich werde den Feuergeist bezwingen«, fuhr Akkeron fort, mehr

zu sich selbst, als zu dem Dalaugiri. »Alle Träume werden ihm nicht helfen.«

»Wenn dieser Traum die Wahrheit ist«, warf der Häuptling ein. »Wenn er die Wahrheit ist, dann ist der Kampf so gut wie verloren.«

»Es mag manches so sein, wie es der Traum zeigt«, erklärte Akkeron, »aber anderes ist nur ein Wunschtraum. Wenn wir zurückkehren, so wird es mit der ewigen Fackel des Feuers an unserer Seite sein. Merk es dir gut, Häuptling. Die Furcht ist für die Schwachen. Mein Reich wird für die Starken sein!«

»Ja, Zarath. Deshalb hast du uns erwählt, an deiner Seite zu kämpfen, Zarath. Gib uns einen wirklichen Feind, und wir werden ihn ohne Erbarmen töten. Aber wie sollen wir gegen Träume und Geister kämpfen? Gegen Stürme und Meere und Feuer? Gib uns ein Reich der Steppe, in dem alles wirklich ist, und wir erobern es dir – mit unseren Schwertern und mit unserem Blut. Aber hier bleibt für einen Krieger nur Verzagen.«

Akkeron empfand fast Sympathie für den Dalaugiri-Häuptling. Er wußte, wie es in ihren kriegerischen, barbarischen Schädeln aussah. Aber sein Kampf war einer gegen Geister und Götter, in dem den Sterblichen nur ein Weg blieb – der zu sterben. Es lag an ihm, aus ihrem Tod den größten Nutzen zu ziehen.

Er hütete sich wohl, dies zu sagen. Oder auch zu denken. Er wußte, daß der Staev in beiden Richtungen wirkte. Wie er damit Tydes Sprache verstand, so vermochte auch Tyde seinen Gedanken

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zu lauschen. Und was Tyde wußte, war auch den anderen Elementargeistern kein Geheimnis mehr.

Akkeron wußte, daß nur er selbst dem Feuergeist widerstehen oder ihn gar bezwingen konnte.

Dennoch würden die Dalaugiri dabei eine wichtige Rolle spielen.

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6.

Die nächsten Tage und Nächte verliefen ruhig, Feuer brannten wieder auf den Schiffen. Die Männer genossen die Verschnaufpause, die ihnen gegönnt war. Es gab ausreichend zu essen und zu trinken. Tod und Schrecken waren rasch vergessen.

Auch daß nun bereits mehr als ein halbes Tausend Männer den Tod gefunden hatten, kümmerte sie wenig. Sie hatten ihre Toten nie gezählt, weder während ihrer Stammesfehden, noch ihrer Raubzüge. Krieg, Töten und Sterben gehörten zu den alltäglichen Dingen eines Dalaugiri, ob im Stamm von fünfzig oder einem Heer von zwanzigtausend.

Das düstere Meer und die Wasserwände waren inzwischen zu gewohnten Begleitern geworden, die schimmernden, lautlos dahingleitenden Schiffe zu vertrauten Geschenken Tydes.

Manchmal sahen sie glühende Augen des Feuergeists in den unergründlichen Tiefen, aber Skortsch wußte wohl, daß in einer Wiederholung des ersten, nicht sehr erfolgreichen Angriffes wenig Sinn lag. Akkeron ahnte, daß er seine Kräfte sparte für den entscheidenden Kampf in seinem Reich. Dort konnte er sie auch am wirkungsvollsten einsetzen.

Aber er ließ sie nicht aus den Augen. Es sah so aus, als sollten die zehn Tage auf dem inneren Meer

ohne weitere Schwierigkeiten vergehen. Akkeron erfuhr von Tyde, daß Erthu sich bereit erklärt habe, Vesta

wieder als Oberherrn anzuerkennen, wenn es Dragon gelänge, auch Aerula dazu zu bewegen.

Dragons Wirken erfüllte Akkeron mit Unbehagen. Er ahnte, daß die Zeit drängte. Mit jedem Element, das er bezwang, würden die weiteren leichter zu erobern sein. Aber das galt auch für diesen Dragon.

Die Zeit war das Problem. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, sie zu bezwingen …! Sie wäre ein mächtiger Verbündeter. Vielleicht der

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mächtigste! Wenn es ihm gelang, Skortsch zu besiegen, war Vitu ein leichtes

Opfer. Der Lebensgeist war sein nächstes Ziel. Er war unbedacht mit seinen Gedanken. Er träumte davon, wie

das Leben ihm dienen würde. Es waren Gedanken der Vernichtung, der Auslöschung dessen, was bestand, und der Neuschöpfung einer barbarischen Welt des Glanzes. Das Leben galt ihm wenig. Es war nicht mehr als ein Spiel nach seinen Gesetzen. Nach den grausamen Regeln eines Wesens ohne Mitleid.

Es gab Augenblicke, da Vitu sich entsetzt vor der Kälte und Erbarmungslosigkeit des Himur-Sohnes zurückzog.

Es geschah aus solchen Empfindungen heraus, die den Geistern der toten Elemente fremd waren, daß Vitu zu handeln beschloß.

Akkeron wußte es in demselben Augenblick, als es die anderen Geister wußten.

Er wappnete sich. Aber was geschah, traf ihn völlig unerwartet.

*

Aus dem Dunkel vor den Schiffen kam eine Gestalt. Sie schritt auf dem Wasser. In ihrem bleichen Gesicht spiegelte sich der Feuerschein von den Schiffen. Die Augen der Gestalt waren dunkel, die Höhlen leer. Sie war blind.

»Akkathos«, flüsterte Akkeron überrascht. Die Gestalt streckte die Arme aus. »Mein Bruder, wo bist du?« Die Dalaugiri starrten entsetzt auf die geheimnisvolle

Erscheinung. »Akkeron, mein Bruder! Wo bist du? Ich kann dich nicht sehen.

Warum hast du mir das Licht der Augen genommen?« »Tyde!« riefen Akkerons Gedanken. »Ich sehe es, Meister.« »Ist mein Bruder nicht tot?« »Er ist es nicht mehr.«

Page 58: Der Feuertöter

»Aber er starb und gab diesem Dragon Vestas Auge …!« »Jetzt ist es Vitus Wille, daß er lebt und Zeugnis ablegt von

deinem Verbrechen.« »Verbrechen? Er hatte andere Pläne, und ich war der Stärkere.« »Er war dein Bruder.« »Ich nahm ihm nur das Licht der Augen … Vater!« Der Schrei hallte über das dunkle Wasser. Neben Akkathos war

Himur selbst erschienen und sah seinen Sohn anklagend an. »So mißbrauchst du das Erbe des Namenlosen. Sein Fluch über

dich, Akkeron. Wehe dem, der die Macht mißbraucht! Fürchte die Strafe der Götter! Ihr alle, die ihr ihm folgt, kehrt um! Es ist euer Verderben, wohin ihr geht …!«

»Töte sie!« brüllte Akkeron außer sich. »Ich gehorche!« Wasserwände begruben Akkathos und Himur unter sich. Aber in

all dieser Flut standen sie aufrecht und unberührt. »Frevler!« rief Himur. Aber es war nicht die Stimme Himurs,

sondern Vitus. »So treffe euch alle mein Fluch!« »Töte sie!« schrie Akkeron, Vestas Herrscherstab wie zum Schlag

erhoben. »Töte sie!« »Ich kann nicht!« antwortete Tyde. »Vitus Macht über das Leben

ist größer.« Plötzlich waren sie verschwunden. »Sind sie tot?« »Ich weiß es nicht.« Akkeron wandte sich hastig um und starrte in die bleichen

Gesichter der Dalaugiri. Der Fluch war nicht ohne Eindruck geblieben. »Fürchtet nichts!« sagte er beschwörend. »Die Geister suchen euch

den Mut zu nehmen.« »Du bist unser Zarath«, antwortete einer. Aber Akkeron sah Zweifel und Furcht in ihren Augen. »Der Fluch!« brüllte plötzlich einer und deutete auf das Wasser

hinaus. Seine Augen waren weit aufgerissen.

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Akkeron fuhr herum. Aus der Dunkelheit jenseits der Schiffe kamen seltsame Gestalten

auf sie zu. Wie Akkathos und Himur zuvor, schritten auch sie auf dem Wasser.

»Bei den Göttern«, murmelte der Tirpin-Häuptling. »Das sind keine Lebenden!«

Er hatte recht. Sie glichen den Toten, die sie auf den Schiffen gesehen hatten.

Schlammige Gerippe in Rüstungen und Kleidern, mit Schwertern und Äxten in den knöchernen Fäusten. Manche trugen Helme. Andere waren ohne Schädel, ohne Arme oder Beine. Andere waren verwachsen mit zuckenden Meerestieren. Und obwohl sie keine Gesichter mehr besaßen, war doch ein Ausdruck von Grimm in den bleichen Gerippen, der niemanden zweifeln ließ, was sie vorhatten. Hundert oder mehr mochten es sein. Aber auch aus den Wasserwänden kamen Gestalten.

»Wer sind sie?« »Die Toten, Meister. Alle, die das Meer jemals verschlungen hat!

Zu allen Zeiten und Orten!« Triumph klang in diesen Worten mit. »Sie leben wieder?« »Sie wandeln.« Die ersten hatten das Schiff erreicht. Schilde, Schwerter, Gebeine

scharrten über die Bordwände. »Sie kommen!« brüllte ein Krieger hinter ihm. »Bei den Göttern,

sie klettern hoch! Kämpft!« Der erste Schädel tauchte über der Reling auf. Der Schwerthieb

eines entsetzten Dalaugiri schlug ihm den Schädel vom Rumpf. Aber der Rumpf kletterte weiter, bis weitere Krieger herbeisprangen und auf die Arme und Beine einhackten.

Er fiel ins Meer zurück, aber gleichzeitig kamen überall an den Bordwänden die gespenstischen Angreifer hoch.

»Kämpft!« brüllte Akkeron, der sah, wie sich die Dalaugiri, von Grauen erfaßt, auf dem Mitteldeck zusammenrotteten und vor den Angreifern zurückwichen. »Kämpft, ihr Narren!«

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»Aber sie sind tot!« »So zeigt es ihnen. Sie scheinen es nicht zu wissen!« Das wirkte. Brüllend, um sich selbst Mut zu machen, stürmten sie

den dämonischen Angreifern entgegen. Schwerter hieben knirschend auf Gebeine, knöcherne Gliedmaßen schlangen sich um lebendes Fleisch und hielten es fest mit einer Gier, die alten Erinnerungen entspringen mochte – an Wärme, das Pochen des Blutes, Lust, Schmerz, Leidenschaften, die vielleicht unerfüllt geblieben waren. Jetzt erwachte das auf dämonische Weise in den Skeletten. Sie warfen ihre Waffen fort, erfüllt von dem einzigen Bestreben, mit den Lebenden in Berührung zu kommen.

In schauriger Umarmung tanzten sie über das Deck, während immer weitere aus dem Wasser kamen. Auch auf den hinteren Schiffen kletterten die ersten hoch.

Bevor er es sich versah, war auch Akkeron umringt. Knöcherne Finger griffen nach ihm trotz des Staev, den er abwehrend erhoben hielt. Es geschah zum erstenmal, daß der Stab eine Gefahr nicht von ihm fernzuhalten vermochte, die die Geister ihm sandten. Ein wenig der Macht aller Elementargeister war in diesem Stab, aber selbst diese Macht hielt die Toten nicht von ihm zurück. Hungrig klammerten sie sich an ihn. Er machte sich brüllend frei. Aber nur für einen Augenblick, dann waren sie erneut auf ihm und rangen ihn zu Boden. Er spürte die Kälte, die von ihnen ausging. Und er spürte noch etwas: wie die Wärme ihn verließ, wie seine Glieder kälter wurden.

Er versuchte sich wieder zu wehren, aber der Hunger verlieh ihnen gewaltige Kräfte. Es war ihm unmöglich, nach seinem Schwert zu greifen. Die Luft war erfüllt von Flüchen und Schreien und Kampflärm.

Die Feinde rangen stumm. »Tyde!« rief Akkeron. Er fühlte Verzweiflung in ihm aufwallen

wie noch nie zuvor in seinem jahrhundertelangen Leben. »Sie sind Vitus Werk«, antwortete der Wassergeist. »Ich kann sie

nicht aufhalten. Ihr Leben entspricht nicht den Gesetzmäßigkeiten

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der Elemente.« »Sie fürchten den Staev nicht, wie kommt das?« »Sie fürchten den Staev nicht?« wiederholte Tyde ungläubig. Eine

Weile war Stille, währenddessen die Toten von Akkeron abließen. Überrascht gewahrte er, daß sie sich verändert hatten. Durchsichtig, nebelartig verschleierte etwas ihre Gerippe.

Ein Körper! Ja, sie waren deutlich zu erkennen, Männer, Frauen – Gesichter,

die von Verzückung erfüllt waren. Und er lebte. Er wandte sich um und sah, daß auch den Dalaugiri

nicht mehr geschah, als daß die Toten sich an sie klammerten und auf eine seltsame Art Leben und Körper gewannen. Aber während er noch starrte, kamen neue und nahmen ihn in ihre Arme. Panik befiel ihn, als er erneut spürte, wie Lebenskraft aus ihm schwand, wie er kälter und schwächer wurde; wie sie ihn aussaugten.

Er wußte plötzlich, daß sie alle sterben würden, wenn kein Wunder geschah. Wie viele Tote lagen in diesem Meer begraben? Hunderttausende, Millionen … seit Anbeginn der Zeiten … eine unschätzbare Zahl …

»Tyde!« rief er erneut voller Verzweiflung. »Meister, sie gehorchen nicht mehr.« »Was meinst du damit? Wem gehorchen sie nicht mehr?« »Dem Lebensgeist …« »Er hat keine Gewalt mehr über sie? Wenn das ein Trick ist …« »Nein. Als Vitu erfuhr, daß sie den Staev nicht fürchteten, wußte

er, daß sie seiner Kontrolle entglitten waren.« »Wie?« »Ihr Wunsch nach Leben ist stärker als alle Macht Vitus. Vielleicht

weil in diesen Meeren keiner ruht, der nicht eines gewaltsamen Todes starb. Jeder wurde um einen Teil seines Lebens betrogen. Jetzt hat er die Chance, ihn sich zu holen.«

»Schaff uns fort von hier!« »Es nützt nichts. Sie werden überall hinfolgen.« »Es ist gleich. Schaff uns fort! Wenn erst genug Zeit ist,

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nachzudenken, wird mir ein Weg einfallen, mit ihnen fertig zu werden!«

»Du bist sehr zuversichtlich.« »Meine Pläne werden auch die Toten nicht durchkreuzen. Ich

befehle dir, mich und mein Heer auf schnellstem Wege an Skortschs Küste zu bringen!«

»Verlange nichts Unmögliches. Meine Kräfte sind über die ganze Welt verteilt. Wenn ich zuviel hier binde, wird es für andere Teile der Welt katastrophale Folgen haben!«

»Was kümmern mich andere Teile der Welt, die ich dereinst ohnehin nach meinem Gutdünken formen werde. Hier ist deine Aufgabe. Hier ist dein Herr. Ich befehle dir, diese Schiffe wie auf Flügeln an unser Ziel zu schaffen!«

»Ich gehorche, Meister.« Gleich darauf spürte er, wie die Schiffe Fahrt aufnahmen. Er war

bereits sehr schwach. Er fror. Er vermochte sich nicht aus den hungrigen Armen loszureißen.

Aber sie hatten bereits genug. Sie ließen von ihm ab. Taumelnd kam er auf die Beine. Undeutlich sah er, wie neue

Angreifer über die Reling kamen. Er stolperte zum Feuer und riß ein brennendes Scheit aus den

Flammen. Er wirbelte es herum und sah befriedigt, wie der erste Tote mit einem prasselnden Geräusch Feuer fing.

»Hier ist die Glut, die ihr braucht!« rief er. »Kommt nur, hier ist Wärme, und sie ist genauso erpicht auf euch!«

Tatsächlich brannten die Gerippe, einmal von den Flammen berührt, wie Zunder. Sie loderten auf wie riesige Fackeln und entzündeten einander.

Als Dalaugiri sahen, welch gute Waffe das Feuer war, warfen sie ihre Schwerter beiseite und erwehrten sich der hungrigen Toten mit den Fackeln.

Innerhalb kurzer Zeit war das Deck leer. Die Dalaugiri, die sich noch auf den Beinen halten konnten,

brachen in ein Triumphgeheul aus. Von Schiff zu Schiff verbreitete

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sich die Kunde von der Macht des Feuers. Bald waren auf allen Schiffen zuckende Fackeln und brennende Gestalten zu sehen.

»Ein Sieg mit Skortschs Waffen«, murmelte Akkeron ironisch. »Wenn ich erst über alle Geister herrsche, wird es nichts geben, das wir nicht vollbringen können. Lockt euch das nicht, ihr Geister?«

Aber es kam keine Antwort. Die Schiffe glitten mit großer Geschwindigkeit durch die

Düsternis. Noch immer kamen Tote aus den Wänden oder tauchten vor ihnen auf. Doch die Flotte glitt über sie hinweg und ließ sie weit hinter sich zurück. Aber es war zu erkennen, daß sie folgten.

»Ja«, dachte Akkeron. »Folgt nur. Ich werde euch an einen Ort der Wärme führen, wo das Feuer niemals ausgeht!«

Er kletterte hoch auf den Bug und starrte in das schwarze Wasser eines Meeres, das Tyde nur für ihn und sein Heer tief unter der Oberfläche des Westmeers geschaffen hatte. Er träumte davon, was die anderen Elemente für ihn schaffen konnten, wenn er ihr Herr war, während die Flotte wahrhaftig wie mit Flügeln dahinraste.

Die Wasserwände verschwammen. Sie glitten zu rasch für das Auge vorüber. Die Welt vor ihnen war ein schwarzer Korridor, in den sie hineinflogen. Die Welt hinter ihnen ein rasend entschwindender Hohlraum, über dem die Wasserwände zusammenstürzten.

Page 64: Der Feuertöter

7.

Am Abend des dritten Tages nach der Schlacht mit den Toten der Meere verkündete der Wassergeist Akkeron, daß nun das Land der Feuerberge sehr nahe sei.

Akkeron befahl anzuhalten. Diese drei Tage waren sie ohne Unterbrechung mit unglaublicher Geschwindigkeit unterwegs gewesen. Die Männer sollten sich stärken und sich auf die entscheidende Schlacht vorbereiten.

Von Tyde wußte Akkeron, daß der Feuergeist in dem Vulkan hauste, der die Insel überragte. Auch, daß er Asche und Funken und heißes Gestein bis weit ins Meer hinauszuschleudern vermochte. Meist kündeten schwarze Wolken das an.

Akkeron wußte, daß es nicht leicht sein würde. Dies war des Feuergeistes ureigenstes Reich.

»Laß uns bei Dunkelheit auftauchen!« befahl Akkeron. »Ich will mir das Land ansehen. In der Dunkelheit erkennen wir am besten, wo er seine Stellungen hat.«

Zum erstenmal seit einer Ewigkeit, so empfanden es die Dalaugiri, kamen sie an die Meeresoberfläche. Die Schiffe, auf denen alle Fackeln und Feuer gelöscht worden waren, damit sie in der Dunkelheit unentdeckt blieben, schwankten in den Wellen. Hier war wieder das Reich des Luftgeists. Aber der heftige Wind trug den Geruch von Land mit sich, der die Dalaugiri aufleben ließ. Feuergeist oder nicht, es gab keinen unter ihnen, der nicht darauf brannte, an Land zu gehen und wieder festen Boden unter sich zu haben – wenn auch vielleicht nur, um darauf zu sterben.

Das felsige Eiland ragte schwarz und drohend vor ihnen auf. Nur die Umrisse waren gegen den helleren Sternenhimmel zu erkennen. Von Skortsch oder seiner Tätigkeit war nichts zu sehen. Nicht ein Funken, nicht der kleinste Lichtschimmer verriet, daß dies das Land des Feuergeists war.

Akkeron glaubte erst, daß Tyde ihn vielleicht betrogen und

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irgendwo an eine verlassene Insel gebracht habe, um ihn auszusetzen und so seine Herrschaft abzuschütteln. Aber er wußte, daß Tyde dazu von sich aus nicht in der Lage war.

Wahrscheinlicher schien ihm, daß Skortsch von ihrer Anwesenheit wußte und sich hütete, Geheimnisse preiszugeben.

So blieb nichts anderes übrig, als auf den Morgen zu warten. Und auf der Hut zu sein, denn eines dieser Augen des Feuergeistes mochte sich unter der Flotte öffnen. Er schärfte dem Wassergeist ein, die Flotte augenblicklich in Sicherheit zu bringen, wenn ihr von Skortsch Gefahr drohe.

Er wußte, daß Tyde wachen würde und daß es keinen besseren Wächter gab. Dennoch vermochte er kaum ein Auge zuzutun. Er war dankbar, als endlich der Morgen graute.

Die Nacht war ereignislos verlaufen. Wohl deshalb, weil Skortsch wußte, daß Tyde im Falle seines Angriffes handeln mußte. Es wäre ein sinnloses Unterfangen gewesen, das den Feuergeist nur Kraft gekostet und ihn verwundbarer gemacht hätte.

*

In der Morgendämmerung näherten sich die Schiffe der Küste. Jedem Betrachter mußten sie wie eine Flotte erscheinen, die aus einer Schlacht zurückkam, aber nicht wie eine; die erst in den Kampf segelte.

Nein, die Flotte sah nicht aus wie nach einer Schlacht. Sie sah aus wie nach hundert Schlachten. Keines der Schiffe war unbeschädigt. Die Masten, die noch standen, mochten zwei Männer an ihren Händen abzählen. Kein einziges Segel bauschte sich im Wind. Die meisten Bordwände wiesen große, ausgezackte Öffnungen auf, durch die das Wasser aus und ein floß.

Und dennoch schwammen diese Schiffe – Kauffahrer, Galeeren, schnelle Segler, Königsbarken, Fischerboote – alle vollgestopft mit Reitern, deren schwarze Haare im Wind flatterten.

Noch etwas Seltsames mochte einem Beobachter auffallen: die

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Schiffe fuhren gegen den Wind! Es gab nur einen Beobachter, der dies alles sah: Es war Skortsch – der Feuergeist.

*

»Beobachtet er uns?« fragte Akkeron in Gedanken. »Ja, das tut er«, antwortete Tyde. »Hast du herausgefunden, in welchem der Gipfel er haust?« »Ja, Meister. In dem höchsten. Und er ist bereit, dich zu

empfangen.« Akkeron nickte. »Dann wollen wir beginnen. Du schützt die

Schiffe. Wir werden sie noch brauchen.« »Es soll geschehen, Meister.« Ein Großteil der Flotte hatte bereits angelegt, als die Sonne über

den Horizont kam und die letzten Schatten der Dämmerung vertrieb.

Die Insel lag grün und fruchtbar vor ihnen, aber das mochte eine Falle sein. Der Strand war flach, aber Tyde trug die Schiffe bis fast auf das trockene Land. Das Heer quoll auf den Strand und begann sich zu sammeln. Die Häuptlinge und ihre Meldereiter blieben in Akkerons unmittelbarer Nähe, während die Unterhäuptlinge die Stämme sammelten und auf Meldungen warteten.

Die Dalaugiri waren in Hochstimmung. Endlich wieder festen Boden unter den Hufen der Girions. Jetzt kam ihre Stunde. Der Alptraum war vergessen. Sie sahen das grüne Land vor sich und barsten förmlich vor Tatendurst.

Akkeron befahl, alle tragbaren Wassergefäße zu füllen, vor allem die Blasen der großen Fische, die er zu diesem Zweck hatte aufbewahren lassen. Und er schärfte den Häuptlingen ein, ihren Männern klarzumachen, daß Wasser der tödlichste Feind des Feuers war. Sie sollten die Schwerter stecken lassen und das Wasser ständig bereithalten.

Alles, was sich auf dieser Insel bewegte, war feindlich. Tiere,

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Menschen, sogar Pflanzen mochten Schergen des Feuergeists sein. »Tötet erst, und seht dann nach, was es war!« Das war der

Leitspruch. Aber das wußten sie ohnehin. Das hatten sie immer getan.

Während Tyde begann, die Schiffe in das Meer zurückzuholen, setzte sich das mächtige Heer in Bewegung auf den nahen Dschungel zu. Dahinter ragten die Berge hoch in den Himmel. Das war ihr Ziel.

Ein Donnern rollte über die Insel bei ihrem Aufbruch, und der Boden bebte. Die Dalaugiri brachen vorübergehend aus der Formation. Aber sie fingen sich wieder, als sie merkten, daß nichts weiter geschah.

Es war lediglich eine Vorwarnung gewesen. Der Dschungelstreifen war nur einige Wegstunden breit, aber

tückisch. Der Boden war so uneben, das Dickicht so dicht, daß die Dalaugiri absteigen mußten, um sich und ihren Girions einen Weg zu bahnen. Das war ein wenig erfreulicher Umstand für sie. Das Unbehagen wurde schlagartig zur Katastrophe, als das Heer vollkommen in den Dschungel eingedrungen war.

Von unsichtbaren Quellen entzündet, begann der Dschungel zu brennen. Kräftige Winde wehten die Brände hinter den flüchtenden Männern und Tieren her, die nur langsam vorankamen. Sie dachten gar nicht daran, ihre Wasservorräte einzusetzen. Es wäre nutzlos gewesen.

Mehr als tausend kamen in den Bränden um, bevor Akkeron zur Stelle war. Er warf das Ewige Naß in die Luft, worauf sich Wolken bildeten und heftige Regengüsse die Flammen zum Erlöschen brachten.

Aber für mehr als tausend Mann war es zu spät! Von da an riet Akkeron den Häuptlingen, die Männer weit

ausschwärmen zu lassen, damit größere Brände weniger Schaden anzurichten vermochten. Sie sollten aber in Rufweite voneinander bleiben, damit neue Gefahren sofort mitgeteilt werden konnten.

Etwa achtzehntausend Dalaugiri-Reiter durchquerten den

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Dschungel und erreichten die Steppe dahinter. Die Steppe! Sie ließ ihre Herzen höher schlagen! Sie erstreckte sich

bis zu den fernen Bergen. Trotz der schnellen Reittiere würden sie sie nicht mehr an diesem Tag durchqueren können. Der Gedanke an die Nacht war wenig verlockend.

Aber einen zusätzlichen Vorteil besaß dieses fast baumlose Gebiet. Niemand konnte sich ihnen unbemerkt nähern. Jede Gefahr mußten sie bereits von weitem erkennen.

Oder? Die Häuptlinge sandten Späher aus, die in kleinen Abständen vor

der Hauptmacht herritten. Die vordersten hatten eine gute Stunde Vorsprung, während eine größere Vorhut in Sichtweite ritt.

Tyde mußte mehr wissen, dachte Akkeron, und rief den Wassergeist.

»Wußtest du, daß der Dschungel eine Falle war?« »Ich war nicht sicher. Skortsch war sehr vorsichtig. Aber ich ahnte

es.« »Warum hast du mich nicht gewarnt?« »Du hast es mir nicht befohlen!« Akkeron fluchte. Es war eines der wenigen Male, daß er es tat. »Was weißt du noch?« »Ich weiß nichts.« »Keine Fallen voraus?« »Doch. Mit größter Sicherheit.« »Du kennst sie nicht?« »Nein, Meister.« »Ahnst du, wo sie sich befinden?« »Vier Reitstunden vor euch ist eine Wasserstelle und ein guter

Lagerplatz, Ein einladender Lagerplatz.« »Du willst sagen, wir sollten ihn meiden?« »Ja, Meister.« »Was weißt du noch von Skortschs Plänen?« »Er wird angreifen, sobald ihr das Ende der Steppe erreicht.« »Wie?«

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»Das weiß ich nicht.« »Weißt du wenigstens womit?« »Mit seinen Helfern, die er Feuerlinge nennt.« »Feuerlinge? Was ist das?« »Ich weiß es nicht. Eine Form von Feuer …« »Ja, das dachte ich«, erwiderte Akkeron sarkastisch. »Was weißt

du noch?« Einen Augenblick war Schweigen, dann kamen Tydes Gedanken

erneut: »Achtet auf den Wind. Wenn er gegen euch weht!« Akkeron spürte, daß der Wassergeist sich zurückgezogen hatte. Er

schickte einen Reiter voraus, um die Vorhut vor der Wasserstelle zu warnen.

Während er noch Anordnung gab, kam ein starker Wind auf. Er mußte von den Bergen herabkommen. Er wehte ihnen entgegen und fegte sie fast von den Tieren. Der Luftgeist hatte sich offenbar mit dem Feuergeist verbündet.

Dann kam ihm schlagartig in den Sinn, was Tyde ihm vor wenigen Augenblicken gesagt hatte. Er sollte auf den Wind achten, der ihnen entgegenwehte.

Aus den Augenwinkeln sah er kleine Flammen hochzucken. Er stieß einen warnenden Schrei aus, aber es war bereits zu spät. Von einem Augenblick zum anderen wuchsen die kleinen Flämmchen in dem trockenen Steppengras zu einer gewaltigen Feuerwand, die mit Orkangewalt über die Reiter hinwegraste.

Das Ewige Naß vermochte die Flammen erst zu löschen, als mehr als hundert Dalaugiri und ihre Tiere verkohlt auf dem schwarzen Steppenboden lagen.

Akkeron ließ sie aus dem Weg schaffen. Er musterte die fernen Berge mit zusammengekniffenen Augen. Skortschs Chancen lagen in seinen überraschenden Angriffen.

Der Himur-Sohn wußte, daß er jede Stunde auf dieser Insel mit Männern bezahlen mußte. Es wäre Wahnsinn gewesen, eine Nacht auf dem Eiland zu lagern. Sie mußten rasch zuschlagen. Nachts, wenn es sein mußte.

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Das Gelände wurde nach und nach hügeliger. Akkeron ritt mit den Häuptlingen an der Spitze der Hauptmacht. Eine Stunde später stieg vor ihnen dunkler Rauch auf. Akkeron ließ anhalten und schickte eine kleine Abteilung voraus. Aber noch bevor sie den Hügelkamm erreicht hatten, kam ihnen ein Reiter der Vorhut entgegen. Er brannte lichterloh, ebenso das Girion. Er ritt in vollem Galopp an Akkeron vorbei mitten in die Dalaugiri hinein. Als sie das Tier endlich anhalten konnten, sahen sie, daß der Reiter bereits tot war. Sie töteten das Tier, damit der andere Teil der Seele sich mit dem Toten vereinen konnte.

Das war ein uralter Brauch bei allen Dalaugiri-Stämmen. So wie sie sich auch selbst töteten, wenn ihr Girion den Tod fand. Kein Dalaugiri wollte mit einer halben Seele weiterleben. Erst Akkeron hatte ihren Glauben erschüttert, als er verkündete, daß er die Seele aller Girions sei und es auch bewies, indem er sie mit Hilfe des Staev nach seinem Willen handeln ließ.

Aber es würde Jahre brauchen, bis die alten Reflexe wirklich erloschen waren, die einen Dalaugiri sofort nach dem Schwert greifen ließen, um halbe Seelen in das Schattenreich zu senden.

Akkeron sah, daß das Girion in keinem Fall überlebt hätte. Seine ganze halbe Seite brannte noch immer. In den Gestank von brennendem Fell und Fleisch mischte sich jedoch auch ein anderer, wie ihn Akkeron noch nie gerochen hatte. Es erwies sich als schwierig, das Feuer zu löschen. Die Kleider des toten Dalaugiri hatten dunkle Flecken, von denen ebenfalls dieser Geruch ausging.

Gleich darauf kam die Abteilung zurück, die Akkeron vorausgesandt hatte. Aufgeregt berichteten die Männer, daß die gesamte Vorhut brennend in der Steppe liege.

Eine weitere Schreckensnachricht kam vom Ende der Heereskolonne. Auch dort hatte es unvermutete Angriffe gegeben. Zwar hatten die Männer nach dem ersten Augenblick der Überraschung vermocht, die Brände mit dem mitgeführten Wasser zu bekämpfen, aber zwei Dutzend Tote hatte es dennoch gegeben.

Alles in allem ein halbes Hundert Männer!

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Akkeron befahl beschleunigten Vormarsch. Männer und Tiere waren darauf bedacht, diese unheimliche Steppe möglichst rasch hinter sich zu bringen. Außerdem ließ er die Männer weit ausfächern. Je weniger dicht sie ritten, desto weniger Opfer würden plötzliche Angriffe bieten.

*

Es kam wieder ohne Vorwarnung. Zudem war die Gefahr nicht sofort erkennbar.

Ohne daß die Vorhut Verdächtiges bemerkt hatte, taten sich im Bereich der Hauptmacht plötzlich große Öffnungen im Boden auf, aus denen eine dunkle, schmierige, übelriechende Flüssigkeit schoß und Reiter und Reittiere wie unter einem Regenschauer durchnäßte. In wilder Panik versuchten die Männer, aus dem Bereich der sprühenden Fontänen zu gelangen, doch überall brach die Erde unter ihnen auf.

Akkeron wurde sofort an den Geruch erinnert, der dem verbrannten Mann der Vorhut angehaftet hatte. Hilflos sah er zu, wie die Reiter in dem glitschigen Boden auszugleiten begannen. Es war unmöglich, in dem Chaos einen Befehl zu geben. Mühsam und halb blind von der öligen Flüssigkeit kämpfte er sich durch die panisch durcheinanderrasenden Dalaugiri, um die nachfolgenden Scharen zu warnen.

Aber er kam nicht weit. Er spürte die Gefahr und riß instinktiv den Staev hoch und preßte

schützend den Arm vor das Gesicht. Im nächsten Augenblick war die Welt um ihn in Flammen. Sie schlugen donnernd gegen den Himmel. Zuckende Gestalten huschten in der grellen Helligkeit vorüber.

Er riß das Ewige Naß aus seinem lodernden Umhang und schleuderte es hoch.

Mitten in den Flammen begann es zu regnen. Dichte Schleier von Regen fuhren zischend herab, dämmten das Feuer einen Moment

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und verwandelten den Prärieboden in ein schlammiges Bad. Entsetzt sah Akkeron, daß Tydes Wasser die Flammen nicht zu

löschen vermochte. Die dunkle Flüssigkeit, die noch immer aus dem Boden spritzte, schwamm auf dem Wasser und brannte weiter. Wasser und Feuer begannen sich über den Prärieboden zu bewegen und wie Ströme zu fließen.

Irgendwie gelangte Akkeron ins Freie. Durch die gewaltigen schwarzen Rauchschwaden erkannte er, daß seine Dalaugiri sich zurückzogen. Aber er erkannte auch, daß viele der Reiter während der Flucht plötzlich in Flammen aufgingen und ihre Gefährten entzündeten. Überall entstanden neue Feuerherde. Was die schwarze Flüssigkeit berührt hatte, begann zu brennen.

Akkeron rief verzweifelt das Ewige Naß wieder zu sich, als er sah, daß das Wasser alles nur verschlimmerte. Der Wind trug die Schreie der brennenden Männer und Tiere zu ihm. Es war ihm, als wäre das das Ende seines ganzen Heeres. Tränen des Zorns traten in seine Augen.

»Skortsch!« brüllte er. Aber es kam keine Antwort. Er drohte mit geballten Fäusten den fernen Bergen. Dann trieb er

sein Girion an, das wie er durch den Staev von den wütenden Elementen verschont blieb, und jagte zurück, in der Hoffnung, wenigstens noch einige seiner Männer lebend wiederzufinden.

Das Wasser verdunstete rasch in der Glut, und das schwarze, brennende Gift versickerte im Boden. Hoch wie Türme loderten die Flammen und erfüllten die Prärie. Der Weg zu den Bergen war versperrt. Hier würde er nicht an den Feuergeist herankommen. Er vielleicht schon, aber kein Dalaugiri.

Vor ihm endete das Feuer abrupt, und er sah zu seiner Erleichterung große Scharen von Reitern, die auf den nahen Dschungel zujagten.

So waren nicht alle vernichtet worden! Er hetzte hinter ihnen her. Es blieb jetzt ohnehin nur ein Weg: zurück zur Küste. Vielleicht gab es einen Landeplatz, der Skortschs Unterschlupf näher lag.

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Aber für viele war diese Flucht noch nicht geglückt. Flammenteile sprangen von Busch zu Busch mit dem tosenden Wind, den das Feuer entfachte, und erreichten den Dschungel. Sofort loderten große Teile des Urwalds auf und verschlangen ganze Abteilungen seiner Reiter.

Glühende Luft raste über sie hinweg und peitschte sie förmlich zur Küste hin.

»Die Flotte!« riefen Akkerons Gedanken. Als hätte der Wassergeist nur noch auf Akkerons Befehl gewartet,

tauchte die Flotte aus den Fluten auf und schob sich ans Ufer, noch bevor die ersten Dalaugiri dort ankamen.

Der Donner der fernen Flammen hörte sich wie höhnisches Lachen an.

Page 74: Der Feuertöter

8.

Die Verluste waren nicht so hoch wie befürchtet, aber dennoch hoch genug.

Mehr als tausend Männer hatten auf der Steppe ihr Leben gelassen.

Und es war umsonst gewesen. Sie standen wieder am Anfang. Sie waren keinen Schritt weitergekommen.

Es war ein hastiger Rückzug auf die Schiffe, und den Rest des Nachmittags verbrachten die Männer damit, ihre Wunden und die ihrer Girions zu versorgen, während Akkeron sich neue Pläne zurechtzulegen versuchte.

Auch Skortsch unternahm nichts weiter. Er beobachtete sie nur. Die Männer meldeten Akkeron, daß sie am Grund des Meeres wieder Augen des Feuergeists entdeckt hätten.

Er überzeugte sich selbst. Ja, das waren Skortschs glühende Augen, ohne Zweifel.

Er befahl Tyde, die Flotte um die Insel herumzufahren, bis er einen günstigeren Angriffspunkt fände. Aber er sollte die Schiffe sofort in Sicherheit bringen, wenn Gefahr drohe.

Inzwischen gab es ein weiteres Problem, das unbedingt einer Lösung bedurfte. Alle Häuptlinge hatten sich während des Rittes über die Steppe an seiner Seite befunden. Sie waren in den Flammen umgekommen.

Es mußten neue ernannt werden, Männer, die genügend Einfluß bei ihren Stämmen besaßen, und die Akkeron aus freiem Willen treu ergeben waren.

Er verfuhr vollkommen willkürlich bei der Ernennung der neuen Häuptlinge und befahl sie anschließend auf sein Schiff.

Die schwarzen Wolken über der Steppe schienen noch zu wachsen, während die Flotte die Bucht verließ und die Küste entlangglitt. Selbst hier, aus dieser großen Entfernung, war zu sehen, daß das Feuer höher und höher loderte. Das war seltsam.

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»Tyde, was war dieses schwarze Wasser?« »Das Blut der Erde.« »Der Erde?« wiederholte Akkeron laut, und seine Häuptlinge

sahen ihn erstaunt an. »Nicht Skortschs Blut?« »Nein. Es kommt tief aus dem Bauch der Erde durch Gänge, die

Erthu schuf. Er sagte Skortsch einen Dienst zu. Aber Skortsch hat nichts, um dieses Feuer zu löschen. Es wird noch bis tief in die Nacht hinein brennen.«

»Dann haben wir gutes Licht«, stellte Akkeron fest. »Erthu hat also auch uns einen Dienst erwiesen. Sag ihm meinen Dank. Ich werde mich daran erinnern, wenn ich diesen Dragon aus dem Weg geräumt habe«, fügte er ironisch hinzu.

Während der Fahrt entdeckten sie immer wieder Skortschs Augen im Wasser, aber sie spieen kein Feuer aus. Sie starrten nur empor und erfüllten die Männer mit Unbehagen. Das Feuer war etwas, das sie nun immer fürchten würden. Aber trotz der bisherigen Mißerfolge hatte Akkeron in ihren Augen nichts von seinem Ansehen eingebüßt. Er war ihr Zarath, ihr oberster Führer. Und wenn er vielleicht auch mehr als ein Mensch war, so war er doch menschlich genug, daß sie seinen Mut bewundern konnten, sich gegen die Geister und Götter zu stellen.

Sie waren nicht mehr von jener Zuversicht erfüllt wie am Anfang, als sie plündernd aus ihren Steppen nach Süden zogen, aber sie hatten auch erkannt, daß die Geister längst nicht allmächtig waren.

Noch war nichts verloren. Aber selbst wenn alles verloren wäre, würden sie kämpfen.

Die Küste wurde bald felsiger. Spitze Zacken ragten aus dem Meer. In dem klaren Wasser waren

die Untiefen mit erschreckender Deutlichkeit zu sehen. Aber unter den Schiffen hob sich das Wasser, so daß die Flotte darüberglitt, ohne Schaden zu nehmen.

Von hier aus schien es unmöglich, an Land zu gehen. In diesen zerklüfteten Felsen war eine Fortbewegung zu schwierig und auf den Reittieren unmöglich. Gute Kletterer mochten es schaffen, den

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Hauptberg zu erreichen, aber sie würden hilflos an den Felsen hängen, ganz der Willkür des Feuergeists ausgeliefert.

Aber Akkeron merkte mit Befriedigung, daß sich die Küste stetig näher an Skortschs Berg herankrümmte. Das Land wurde wilder. Es stieg steil aus dem Wasser.

Nichts regte sich, während die Flotte vorbeitrieb. Jeder schien auf den nächsten Zug des Gegners zu warten. Aber es war, als ob die Felsen Augen hätten. Die Stille und das Warten zerrten an den Nerven der Männer.

Akkeron beobachtete die steile Küste nachdenklich. Sie strebte hoch, scheinbar unüberwindlich in den Himmel. Oben schien das Land flach zu sein. Von dort mußte man an den Hauptberg herankommen.

Der Boden war massiver Fels. Es dürfte selbst Skortsch schwerfallen, sie dort abzuwehren, wenn sie erst einmal gelandet waren. Vermutlich hielt der Feuergeist diese unerklimmbare Küste für Bollwerk genug. Die Chancen standen jedenfalls dafür.

Es war einen Versuch wert. Viel mehr konnte nicht geschehen, als daß er wieder einige Männer verlor und auf die Flotte zurückgetrieben wurde.

Aber er war auch nicht mehr so sicher wie zu Anfang dieses Unternehmens. Er hatte erkannt, daß der Staev ihn nicht vollkommen unverwundbar machte. Nicht nur die innere Macht der Elementargeister mochte stärker sein als er, sondern auch kleinere, weniger überschaubare Gefahren drohten – wie diese Toten der Meere, die der Gewalt ihres Erweckers entglitten waren. Andere Dinge mochten den Geistern entgleiten und eigenen Trieben folgen. In einem Kampf wie dem Bevorstehenden war es wahrscheinlich genug, daß Kräfte frei wurden, die ihren eigenen Weg gingen.

*

Wo die Küste am steilsten und höchsten war, gab Akkeron den Befehl an Tyde, die Flotte anzuhalten.

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»Hier will ich landen!« stellte Akkeron fest. Die Männer um ihn starrten ihn an. »Jetzt?« fragte Tyde. »Jetzt!« stimmte Akkeron zu. Im nächsten Augenblick begann das Wasser zu steigen, und die

Flotte mit ihm. Wie ein Berg hob sich ein Teil des Wassers aus dem Meer, während die Männer sich mit Ausrufen des Erschreckens an der Reling festklammerten. Gewaltiges Rauschen war um sie.

Als sie die Höhe des Felsens erreichten, sah Akkeron, daß seine Vermutungen stimmten. Hier war das Land verhältnismäßig eben. Sie befanden sich auf einem Plateau, das vollkommen unbewachsen war. Säulenartige Felsen strebten da und dort aus dem Plateau. In einiger Entfernung sah man kleine Kegelberge, über denen die Luft flimmerte.

Dort drinnen mußte es heiß sein. Es war ratsam, den Kegelbergen aus dem Weg zu gehen.

Hinter diesen ragte der Hauptberg hoch, Skortschs Sitz, wenn Tyde die Wahrheit gesprochen hatte. Dort lag sein Ziel.

Für Akkeron galt es, unbemerkt heranzukommen. Die Dalaugiri mußten für genügend Abwechslung sorgen und die Aufmerksamkeit des Feuergeists von der eigentlichen Gefahr ablenken.

Die zweite Landung begann. Die wundersame Hilfe des Wassergeists beflügelte die Dalaugiri.

Erneut hatten sie erkannt, welch mächtiger Verbündeter Tyde war. Das Heer schwärmte aus und ritt in die Ebene hinein. Ein Grollen

kam vom Hauptberg her, wie um die Angreifer zu erinnern, daß der Verteidiger wachsam war.

Es schien die Angreifer nicht zu beeindrucken. Von Skortschs Warte aus mußten sie wie Gewürm erscheinen, das auf seine Festung zukroch, und das er nur zu zertreten brauchte. Vielleicht amüsierte es ihn. Vielleicht beschloß er, ein wenig damit zu spielen. Vielleicht hatte er aber auch ein bißchen Furcht, weil er am Beispiel Tydes sah, welches Schicksal ihm bevorstehen mochte, wenn er

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nicht auf der Hut war. Vielleicht erinnerte er sich an die Zeit, da Vesta der Herr der

Elemente gewesen war und er ihm gedient hatte. Vielleicht aber auch war sein Gedächtnis zu kurzlebig, seine Erinnerungen verzehrt von der gefräßigen Kraft des steten Feuers. Was immer ihn auch bewegte, es war allein der Wunsch, daß die Dinge so blieben, wie sie waren.

Erneut grollte der ganze Berg und erbebte unter den Hufen. Einige der Reiter stürzten, andere klammerten sich fester an ihre Girions. Ein drittes Grollen, noch mächtiger diesmal, und der Fels tat sich vor den Angreifern auf.

Die ganze Ebene klaffte auf. Diesmal ging eine ganze Welle von Angreifern aus den Sätteln.

Eine tiefe Kluft bereitete ihrem weiteren Vorrücken ein Ende. Aber es war nicht nur die Kluft. Dämpfe stiegen hoch, glühend heiß und ätzend. Sie hüllten Männer und Tiere ein, denen augenblicklich die Sinne schwanden. Sie stürzten zu Boden und rührten sich nicht mehr.

Regenschauer, die das Ewige Naß brachte, vermochten wenig gegen die Dämpfe auszurichten, aber Akkeron, der sah, daß die Flotte eben in der Tiefe verschwand, befahl dem Wassergeist, das Plateau so zu überschwemmen, daß das Heer nicht zu Schaden kam, und die Schlucht zu füllen.

Tyde mahnte, daß dies nah an die Grenze seiner Fähigkeiten heranreiche, denn er könne sein Element nicht beliebig bewegen, wenn die anderen Elementargeister nicht einverstanden waren.

»Ich werde herausfinden, wo deine Grenzen liegen«, erklärte Akkeron ungerührt. »Und du wirst gehorchen!«

Während sich die Männer, die von den Dämpfen noch nicht erfaßt worden waren, schleunigst zurückzogen, schäumte das Meer über die Ebene und floß aufwärts auf die Kluft zu. Zischend ergoß sich der Strom in die Tiefe. Erst sah es aus, als würde es den Dampf nur verschlimmern, aber nach und nach wurden die Wolken dünner. Der Fels bebte ununterbrochen.

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Plötzlich begann einer der Kegelberge in der Ferne Feuer und Rauch zu speien. Ein zweiter folgte. Ein dritter. Es sah aus, als ob Skortsch vor Wut platzte, dachte Akkeron.

Während der Wasserstrom langsam versiegte, ritten einige der Männer an der Kluft entlang, fanden aber keine Stelle, die schmal genug gewesen wäre, sie zu überqueren. Es sah aus, als hätte Skortsch die zweite Runde gewonnen, wenn es ihn auch viel Kraft gekostet hatte.

»Zurück zu den Schiffen!« befahl Akkeron. Zum zweitenmal zog sich das Heer an diesem Tag unverrichteter

Dinge auf die Flotte zurück und sank langsam auf den Meeresspiegel hinab.

»Diese Aufgabe hat mich erschöpft. Du mußt mir Zeit gewähren, bevor ich dir wieder mit vollen Kräften dienen kann, Meister«, erklärte Tyde.

»Wie lange?« »Einige Stunden.« Ein plötzlicher Gedanke kam Akkeron. »Wie ist es mit Skortsch?

Ermüdet ihn dieser Kampf auch? Gibt es einen Augenblick, da er hilflos ist, unfähig sich zu wehren?«

»Seine Kraft ist nicht unerschöpflich«, erwiderte der Wassergeist. »Was kostet ihn am meisten Kraft?« »Der Verlust von Feuer.« »Dein Wasser, als es in die Kluft floß, stieß es da im Innern auf

Feuer?« »Auf Glut.« »Hat es ihn Kraft gekostet?« »Ja.« »Und das Feuer, das auf der Steppe brennt, kostet es ihn auch

Kraft?« »Ja.« »So werden wir ihn weiter dazu verleiten, seine Kraft zu

vergeuden!«

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*

Akkeron gönnte dem Wassergeist nur wenig Rast. Er hatte einen neuen Plan. Während die Flotte weiter an der Küste entlang fuhr, weihte Akkeron die neuen Häuptlinge ein.

Er wollte das Heer aufteilen. Drei Streitmächte von je etwa sechstausend Reitern sollten an verschiedenen Punkten landen und zum Gipfel vorzustoßen versuchen. Dort wollte man zusammentreffen für den Endkampf, wenn bis dahin nicht bereits alles entschieden war.

So mußte Skortsch seine Aufmerksamkeit teilen, und seine Kräfte dazu.

Wantau, der Häuptling der Maguas, erhielt das Kommando über die ersten Scharen. Sein Teil der Flotte landete an einem Stück verhältnismäßig flacher Küste, die rasch zu den Vorbergen anstieg. Ihr Aufstieg würde nicht leicht sein, aber da sie im Grunde nur den Zweck erfüllten, Skortsch abzulenken, war es nicht von Bedeutung, wie rasch sie vorankamen.

Das zweite Teilheer mit Akkeron an der Spitze landete weiter im Norden, wo das Land noch felsig war und wo er den kürzesten Weg zum Gipfel vermutete.

Die restlichen Schiffe sollten so rasch wie möglich die Insel umrunden und vom Osten her vordringen. Sie würden allerdings kaum vor Einbruch der Dunkelheit landen.

Akkerons Heer kam rasch voran, wie er es erwartet hatte. Das Gelände gestattete es, daß die Dalaugiri den größten Teil des Weges reiten konnten.

Skortsch schien abzuwarten. Sicher beobachtete er sie, und ebenso sicher hatte er von Tyde erfahren, was Akkeron plante. Vielleicht war er sich noch nicht im klaren darüber, wie er sich dieser neuen Tücke der Sterblichen erwehren sollte, die das Feuer seines Zornes so offensichtlich mißachteten.

Oder er war erschöpft und hielt es für besser, erst einmal Kräfte zu sammeln. Letzteres hoffte Akkeron.

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Die Sonne begann unterzugehen, als sie die Vorberge erklommen hatten und nun weitgehend zu Fuß vorstießen. Es würde nicht ungefährlich sein, in der Dunkelheit weiter in dieses zerklüftete Land einzudringen, aber Akkeron ahnte, daß jede Ruhe, die sie sich gönnten, dem Feuergeist von größerem Nutzen war.

Sie hatten Fackeln dabei, und es mußte dem Feuergeist wie eine Verhöhnung erscheinen, daß sie im Licht des Feuers gegen seine Festung rannten. Akkeron war sich dessen wohl bewußt.

Ein plötzliches Grollen verkündete, daß Skortsch zum Kampf bereit war. Mit größter Vorsicht arbeitete sich Akkerons Streitmacht voran.

Erneut kam dumpfer Donner vom Gipfel her. Der Himmel leuchtete rötlich im Widerschein von Flammen.

Die Krieger hielten an und lauschten. Gegen wen richtete sich der Zorn Skortschs?

Weit entfernt brach zischend und knisternd ein rotglühender Strom aus dem Boden und wand sich mit großer Geschwindigkeit vorwärts. Halbverwehte Schreie verkündeten, daß der Feuergeist Erfolg gehabt hatte. Das mußte Wantaus Streitmacht sein.

Akkeron gab das Zeichen zum Weitermarsch. Der nächste Angriff würde ihnen gelten. Aber bis dahin mußten sie die Zeit nützen, die der Angriff auf ihre Kameraden ihnen gewann.

Von ihrem Standort aus war nicht zu erkennen, wie gut oder wie schlecht Wantaus Männer den Feuerstrom überstanden hatten. Sie sahen vereinzelte Lichtpunkte in der Finsternis, die Fackeln sein mochten. Doch der glühende Strom überstrahlte alles. Er floß auf das Meer zu und ergoß sich gleich darauf mit donnerndem Zischen in die Fluten.

Akkerons Scharen erreichten eine kleine, mit spärlichem Gras bewachsene Ebene und machten kurze Rast. Sie waren darauf gefaßt, daß nun jeden Augenblick Skortschs Angriff erfolgen konnte.

Akkeron setzte das Ewige Naß ein. Regengüsse durchnäßten die Reiter bis auf die Haut. So mochten sie dem ersten Ansturm eines

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Feuers standhalten. Wieder grollte der Berg drohend. »Vorsicht!« brüllte Akkeron, als ein Gluthauch über ihn

hinwegfegte. Während die Männer nach ihren Wasserbeuteln griffen, und das

Ewige Naß erneut einen Schwall von Wasser über die Ebene goß, flammte die Finsternis vor ihnen auf. Einer der Kegelberge warf einen Funkenregen hoch in den Himmel. Glühendes Gestein folgte in mehreren Stößen und schließlich ein Strom von flüssigem Feuer, wie sie es schon zuvor beobachtet hatten. Aber nun raste das Feuer auf sie zu, und es blieb wenig Platz, auszuweichen. Das Wasser verdampfte zischend. Das Glühen wurde ein wenig dunkler. Der Strom floß breit auseinander, teilte sich in mehrere Bäche.

Akkeron wußte, wenn sie erst eingeschlossen waren, gab es kein Entrinnen mehr. Die Luft war glühendheiß und machte das Atmen zur Qual.

»Zurück!« brüllte er. »Zurück!« Es währte einen Moment, bevor die Rückwärtigen begriffen, was

geschah, und bis sie sich in Bewegung setzten. Für manche der Männer vorne einen Moment zu lange. Das Feuer begrub sie unter sich. Schreiend drängte die Masse der Reiter nach hinten. Aber der Rückzug ging auf den schmalen Wegen, auf denen sie gekommen waren, nicht so rasch. Einige wurden in den Abgrund gedrängt.

Mehr als eine Stunde lang währte die verzweifelte Flucht, bis das Feuer selbst über hohe Felsen in die Tiefe stürzte.

Akkeron war nicht unzufrieden. Er wußte zwar nicht, welche Kräfte dem Feuergeist zur Verfügung standen, aber dieser gewaltige Feuerausbruch stand in keinem Verhältnis zu den Verlusten, die er erlitten hatte. Nicht mehr als drei Dutzend Männer, eine Zahl, die bei sechs Tausendschaften nichts bedeutete.

Aber der Weg war ihnen versperrt, denn obwohl die Strömung des Feuerflusses bald darauf aufhörte, und die Glut dunkler zu werden begann, was ein sicheres Zeichen dafür war, daß es abkühlte, würde es vor dem Morgen für Reiter und Girions kaum

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ratsam sein, sich in ihre Nähe zu wagen. Ein gutes Stück der Nacht verging damit, daß sie einen neuen Weg

nach oben suchten. Einigemale standen sie plötzlich vor unerklimmbaren Wänden, oder auf Graten, die jeden weiteren Vormarsch unmöglich machten.

Erschöpfung machte sich nach und nach bei den Männern bemerkbar. Allmählich begann sich bei ihnen der Gedanke einzunisten, daß sie den Gipfel niemals erreichen würden.

Erneut kamen sie zu der Ebene der Kegelberge. Ein Regen von Feuer fuhr in den Himmel, zu weit weg, um für sie gefährlich zu werden. Er mußte dem dritten Heer gelten. Der Widerschein des Feuers am Himmel ließ sie ihren Weg gut erkennen.

Ein weiterer Kegel begann Feuer zu speien, im Süden diesmal. So war Wantaus Heer noch nicht ausgelöscht und erneut auf dem Vormarsch.

Es gab Augenblicke, da war es fast taghell um sie. Die meiste Zeit über arbeiteten sie sich in einem roten Licht voran, das Fackeln überflüssig machte.

Einer der Kegel direkt vor ihnen barst, aber der Feuerstrom verschwand zwischen den Felsen, bevor er sie erreichen konnte.

Es wurde sehr heiß. Ein Regen von heißen Steinen und Asche ergoß sich über sie, richtete aber keinen großen Schaden an. Akkeron trieb sein Heer vorwärts. Der Feuergeist war nun von allen Seiten beschäftigt. Jetzt war der Augenblick, da er ihnen nur einen Teil seiner Aufmerksamkeit schenken konnte. Jetzt waren ihre Chancen am größten.

Der Boden war von einem ständigen Beben erfüllt. Immer neue Kegel brachen auf und schickten ihr Feuer auf den Weg. Mit jedem neuen Ausbruch wurde der Berg heller und die Hitze unerträglicher. Aber sie kamen näher und vermochten Wege zwischen den Feuerströmen zu finden. Das Ewige Naß hüllte das Heer in Schauer kühlen Wassers, so daß sie die Glut auch zu ertragen vermochten, wenn sie sehr nahe an einen der Feuerflüsse heranmußten.

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Ob Skortsch in diesem Chaos aus Feuer sie sah, war nicht zu erkennen. Der ganze Berg war von einem gleißenden Aderwerk umgeben. Nur der obere Teil war dunkel.

Dort lag ihr Ziel.

*

Der Feuerschein von Skortschs Eiland mußte weit über das Meer hinaus sichtbar sein. Fast die ganze Insel loderte. Akkeron konnte nicht erkennen, wie es den beiden anderen Heeren erging. Nicht so gut wie ihnen, dessen war er sicher, denn sie besaßen nicht das Ewige Naß, das ihnen Schutz spendete. Sie waren der ganzen Glut ausgesetzt. Es gab aber große dunkle Flächen zwischen den Feuerströmen. Dort mochten sie Schutz gefunden haben.

Die glühenden Ströme erreichten nach und nach das Meer. Riesige Dampfwolken wallten hoch. Mächtiges Rauschen aus der Tiefe mischte sich in Skortschs Grollen.

Beides wurde nach einer Weile schwächer. Die Kegelberge erloschen. Die Ströme wurden kühler, verloren

ihre Weißglut, wurden rötlicher und glühten schließlich dunkelrot, während plötzliche Windböen frische Meeresluft über die schweißgebadeten Männer trug.

Für den Augenblick wenigstens schien Skortsch sich verausgabt zu haben, dachte Akkeron. Vielleicht sammelte er Kräfte für den entscheidenden Schlag. Tyde mochte es wissen.

Aber Tyde zu fragen, hätte bedeutet, die Aufmerksamkeit des Feuergeists auf die Tatsache zu lenken, daß sein Hauptwidersacher den Feuerzauber überstanden hatte. Es bestand immerhin die Möglichkeit, daß Skortsch glaubte, die Angreifer erledigt zu haben.

Nichts regte sich. Nur die lebenspendende Kühle nahm zu. Ohne Fackellicht, nur im roten Schein der erstarrenden Ströme

drangen Akkerons Männer weiter vor. Unangefochten brachten sie die Ebene der gefährlichen Kegelberge hinter sich.

Sie befanden sich im Hauptmassiv, das dunkel über dem

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rotgeäderten Land aufragte. Irgendwo dort oben, im Innern des Berges war Skortschs Sitz. Nun da dieses gefährliche Stück überwunden war, faßten die Männer auch neuen Mut.

An einer geeigneten Stelle gönnte er ihnen eine kurze Rast. Der Drang, Tyde nach Skortschs Befinden zu fragen, war groß, aber Akkeron unterdrückte ihn. Später, wenn es erneut zum Kampf kam, war noch immer Zeit genug.

In der Dunkelheit stiegen sie weiter nach oben. Die Wege waren manchmal so schmal, daß sie nur einer hinter dem anderen reiten konnten, und schließlich kam der Augenblick, da sie sich überhaupt von ihren Girions trennen mußten.

Die Dalaugiri weigerten sich nicht, aber deutlich war ihren Mienen zu entnehmen, daß sie sich nur als halbe Menschen fühlten, wenn diese anderen Hälften ihren Seelen zurückblieben.

Akkeron, der wußte, daß keiner der Männer seinen Mann stehen würde, solange sein Ich bei den zurückgelassenen Tieren weilte, demonstrierte erneut, daß niemand anderer als er selbst die Seele ihrer Girions war. Auf seinen mit dem Staev und Vestas Auge übermittelten Befehl begannen die Girions ihre Reiter abzuwerfen.

»Sie werden hier auf euch warten. So lange ich mit euch bin, wird auch ihre Seele mit euch sein!«

Von da an folgten sie ihm ohne Zögern, aber sie scharten sich dichter um ihn, als wollten sie ihn mit ihren Körpern schützen.

Akkeron hatte nichts dagegen. Er verstand genau, was sie dachten. Wenn er starb, würde keiner von ihnen weiterleben. Sie würden alle sterben. Er war nun ihre andere Seele, ihr anderer Körper.

*

Unten in der Tiefe ging etwas vor, aber es war nicht zu erkennen, was!

Sie starrten gebannt nach unten. In der rötlichen Glut regte sich etwas.

Bleiche Gestalten glitten zwischen den roten Strömen über die

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Felsen. Verwundert fragte sich Akkeron, welcher Teil seines Heeres sich

unter ihm befinden mochte. Wantaus Scharen waren ihnen am nächsten gewesen. Aber selbst wenn Skortschs Ausbrüche sie zurückgetrieben hatten, konnten sie jetzt nicht da unten sein. Für die im Osten gelandete Armee war es völlig unmöglich!

Wer waren die Männer da unten? Denn Männer waren es. Man erkannte es an dem aufrechten Gang

und dem gelegentlichen Aufblitzen der Waffen im rötlichen Schein der Glut.

»Wer sind sie?« fragte sich Akkeron laut. »Sie erinnern mich an etwas, Zarath«, erklärte einer der

Häuptlinge. »Aber ich weiß nicht, woran.« »Ja, mich auch«, fiel ein zweiter ein. »Sie sind unvorsichtig.« Einige der Gestalten hatten sich zu nah an die glühenden Adern

herangewagt. Sie fingen Feuer und verbrannten. »Diese Narren!« Sie waren sehr viele. Das ganze Gelände schien förmlich

überschwemmt mit ihnen. Auch Skortsch schien sie wahrzunehmen. Der Berg erbebte. Aber diesmal kamen keine Feuerströme. Statt

dessen zuckten Flammen aus Felsspalten, lösten sich vom Boden und huschten auf die Eindringlinge zu. Feuerfetzen, die tanzten und sprangen und auf und nieder huschten. Wo sie einen der Männer berührten, ging der in Flammen auf.

Die Beobachter sahen gebannt, wie die Eindringlinge sich mit ihren Schwertern zur Wehr setzten, aber die huschenden Flammen tanzten über sie hinweg, berührten sie und entzündeten sie wie trockenes Stroh.

Bald leuchtete die Landschaft wie unter unzähligen großen Fackeln, die sich wanden und krümmten. Immer mehr der zuckenden Irrlichter kamen aus den Felsen hervor, manche auch aus den rotglühenden Strömen. Sie schienen pures Feuer zu sein.

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Die Feuerlinge, die Tyde erwähnt hatte! Über wen immer sie da unten herfielen, die Angreifer mußten

Skortschs Feinde sein. Und welche Götter auch immer dafür verantwortlich waren, daß die Horden gerade in diesem Augenblick angriffen, Akkeron dankte ihnen.

Aber sie waren so hilflos! Sie hieben vergeblich mit ihren Äxten und Schwertern auf die

Feuerwesen ein, während eine leichte Berührung genügte, sie zu entzünden.

»Ihr Götter!« rief einer der Häuptlinge. »Sie werden alle sterben, ohne einen einzigen ihrer Feinde getötet zuhaben!«

»Sie brauchen Wasser!« »Könnt Ihr ihnen keines geben, Zarath?« »Dann sind wir selbst schutzlos.« »Ein Augenblick würde ihnen vielleicht helfen. Und was sie töten,

wird auch uns nicht mehr schaden können.« Zögernd setzte Akkeron das Ewige Naß ein. Es tauchte die vordersten der Angreifer in dichte Regenschleier

und löschte die Feuerwesen einfach aus. »Sie sind nicht mehr als Feuer«, murmelte einer. »Nur Flammen.« »Es ist gut zu wissen, daß ein wenig Wasser sie auslöscht.« Weiter unten, außerhalb der begrenzten Reichweite des Ewigen

Naß blieben die Flammen weiterhin erfolgreich. Sie huschten von Krieger zu Krieger, und bald war der gesamte Weg zum Meer übersät mit krabbelnden, brennenden Punkten und winzigen Funken, die dazwischen hin und her huschten und immer neue entzündeten.

Dann kam die Wasseroberfläche, und die stetig neu aufflammenden Punkte machten den Beobachtern schließlich klar, wer die Angreifer waren.

»Zarath, es sind die Toten der Meere!« rief einer. »Ja«, stimmte Akkeron zu. »Sie sind es. Sie sind uns bis hierher

gefolgt. Sie wollen nichts von Skortsch. Sie wollen unser Leben. Der

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Feuergeist scheint sie für seine Feinde zu halten, das ist unser Glück. Und wir wollen ihn an ihrer Vernichtung nicht mehr hindern, um so mehr, als ihn das beträchtliche Bestände seiner Kraft kosten wird.«

Er zog das Ewige Naß zurück, und sie beobachteten befriedigt, wie die Feuerlinge erneut über die Gerippe herfielen. Bald brannten alle bis zum Meer hinab. Aber überall an der Küste kamen neue Gestalten aus dem Wasser.

Sie mußten Tausende sein, vielleicht Zehntausende, oder mehr. Und Skortsch war offenbar von einem Taumel der Vernichtung befallen.

Akkeron fragte sich, ob Tyde wußte, was vorging. Oder Vitu? Und warum Skortsch nicht von ihnen wußte, daß diese Toten seine Verbündeten waren? Vielleicht aber fürchteten diese Geister alles, was ihrer Kontrolle entglitt, mehr als sterbliche Feinde. Es wäre eine Erklärung, warum der Feuergeist so erbittert gegen die neuen Angreifer zu Felde zog. Die ganze Küste, soweit sie sie übersehen konnten, war übersät von brennenden Gestalten, und ihre Zahl wuchs mit jedem Augenblick.

»Wir müssen es nützen«, drängte Akkeron, »solange er mit ihnen beschäftigt ist. Vorwärts!«

In diesem Augenblick sahen sie auch weiter im Süden Flammenwesen aus dem Boden springen. Aber dort schienen sie es nicht so leicht zu haben, die Angreifer zu vernichten. Nur wenige fingen Feuer, den meisten gelang es sogar, die Feuerwesen zum Verlöschen zu bringen.

»Das ist Wantaus Heer.« »Sie wehren sich mit dem Wasser, das sie dabei haben.« Auch im Osten flammten kleine Feuer auf. Und dann vor ihnen.

Unglaublich rasch kamen Scharen von Feuerwesen aus den Felsspalten. Sie waren mannshoch und gleißend hell. Sie bewegten sich ungeheuer rasch.

»Wasser!« schrien die vordersten der Dalaugiri. Die nächsten fingen den Ruf auf und gaben ihn weiter. Aber nur

die ersten Reihen kamen wirklich in Berührung mit den

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Flammenwesen. Dann löschte das Ewige Naß die feurigen Gegner mit

Regenschauern aus. Akkeron wußte nicht, wie lange er das Ewige Naß auf diese

extreme Weise beanspruchen konnte, bevor die Kräfte erschöpft waren, aber nun war der Augenblick, es herauszufinden.

Noch immer scheute er davor zurück, Tyde anzurufen. Skortsch mochte auf diese Weise zu viele Dinge erlauschen. Der Feuergeist schien noch immer im dunklen zu tappen, denn seine Feuerlinge waren eifrig am Werk, die aus dem Wasser watenden Toten in Brand zu stecken.

Aber Skortschs feurige Krieger ließen sich auch von der verheerenden Wirkung des Ewigen Naß nicht so leicht abschrecken. Sie bündelten sich zusammen, und an manchen Stellen gelang es ihnen, das Wasser zu verdampfen und an einige der Dalaugiri heranzukommen, die sich mit ihren Wasserbeuteln zu Wehr setzten. Da und dort fiel ein Dalaugiri brennend in den Abgrund, doch zeigte sich deutlich genug, daß die Feuerlinge Tydes wäßrigem Herzen nicht gewachsen waren.

Als Teile Skortschs fürchteten sie den Tod nicht. Sie lebten nicht selbst, sie waren nur Teile eines größeren Feuers. So wurde es ein erbarmungsloser Kampf, in dem Akkerons Heer Schritt um Schritt weichen mußte. Das Ewige Naß löschte sie unermüdlich, aber ebenso unermüdlich kamen neue Feuerzungen aus dem Innern des Berges.

Unten an den Küsten wurden die Lichtpunkte weniger. Kamen keine neuen Toten mehr aus dem Wasser? Es sah so aus.

Gleich darauf geschah etwas, das Akkeron verblüffte und dem Rückzug seiner Männer ein abruptes Ende machte.

Die Feuerlinge erloschen. Manche krochen zurück in die Spalten, andere gingen einfach aus.

Dunkelheit senkte sich über die Insel des Feuergeists.

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9.

Atemlos starrten Akkeron und seine Krieger, wie alles Feuer in die Felsen zurückkroch, und wie sich die Schwärze der Nacht über die Insel legte. Selbst die halberstarrten Feuerströme hörten auf zu leuchten.

»Was bedeutet das?« »Seht ihr es nicht?« erwiderte Akkeron triumphierend. »Der

Feuergeist zieht sich zurück! Diesmal war es unser Sieg!« Es gab keinen Zweifel, Skortsch rief seine erschöpften und

angeschlagenen Truppen zurück. Vielleicht ein Täuschungsmanöver? Oder nur um die Kräfte zu sammeln? Rings um sie war alles still. Wenn es noch Tote der Meere gab,

würden sie es bald wissen. Wantaus Heer war der Küste näher und würde den lebenshungrigen Toten das erste Ziel sein. In dieser Stille mußte der Kampflärm weit zu hören sein.

»Tyde!« Akkerons Gedanken versuchten den Wassergeist zu erreichen.

»Meister?« »Weißt du, was Skortsch vorhat?« »Alle Feuer fließen in ihn zurück.« »Ist er erschöpft?« »Er sammelt Kraft.« »Wozu?« »Er will … Ich sah ein Bild in seinen Gedanken. Darin spie der

große Berg Feuer. Alles Feuer, das in ihm wohnte. Und nichts vermochte zu überleben. Auch nicht der Träger von Vestas Auge.«

»Der entscheidende Schlag also. Wieviel Zeit bleibt uns noch?« »Das vermag ich nicht zu sagen.« »Du wirst uns rechtzeitig warnen.« »Ja, Meister. Aber wenn es geschieht, wird dir weder der Stab der

Elemente noch das Ewige Naß Schutz zu bieten vermögen. Der

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Geist des Feuers wird alles wagen, auch wenn dabei die Welt in Asche sinkt. Hüte dich, Sterblicher. Laß es nicht geschehen. Gib den Kampf auf .«

»Nein!« rief Akkeron. »Ich will diese Welt, oder sie mag untergehen. Wenn euch so sehr an ihr liegt, ihr Geister, dann gebietet ihm doch Einhalt!«

»Wenn du denkst, den Geistern könnte diese Welt etwas bedeuten, so irrst du. Nur die Sterblichen lieben den Staub. Weil sie selbst aus diesem Staub sind. Wir sind nur der Geist der Elemente. Wenn diese Welt aufhört zu bestehen, wird sich eine neue formen. Ich werde ihr neue Meere geben, Aerula einen Mantel von Luft, Skortsch das Feuer und Erthu die feste Form. Und dann mag Vitu ihr Leben geben. Seit Anbeginn der Zeiten sind wir dazu ausersehen, in der kosmischen Leere unsere Elemente zu formen. Eine Welt, denn sie ist die ideale Form.«

»So mag sie versinken, wenn es nichts bedeutet – oder mir gehören. Du magst es den Feuergeist wissen lassen. Auch daß wir seinen Gipfel stürmen werden.«

»Es ist dein Wille, Meister.« Akkeron lachte triumphierend. »Ja, das ist es. Und bevor der

Morgen graut, wird auch Skortsch diese Worte sprechen!«

*

Ein Dutzend der besten und mutigsten Dalaugiri war bald darauf ausgewählt. Sie allein sollten Akkeron in das Innere des Berggipfels begleiten. Mit ihnen wollte er Skortsch gegenübertreten, während der Rest des Heeres ihnen langsam folgen sollte, um den Feuergeist von der kleinen Gruppe abzulenken.

Der Aufstieg war gefährlich. In der vollkommenen Finsternis, die sie umgab – die Rauchwolken bedeckten den größten Teil des Himmels, so daß selbst die Sterne kein Licht spendeten –, mochte jeder Schritt ein Fehltritt in den Abgrund sein.

Die Stille war lähmend. Das Knirschen der Steine unter den Füßen

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schien den Männern verräterisch laut. Von irgendwo tiefer unten kam ein langgezogener Schrei, der abrupt abbrach. Jemand war abgestürzt. Es kam aus dem Gebiet, wo sie Wantaus Heer zuletzt gesehen hatten. Wahrscheinlich versuchte Wantau ebenfalls, die Dunkelheit zu nutzen und rasch voranzukommen.

Akkeron hatte seine Begleiter in seinen Plan eingeweiht. Sie wußten, daß sie Skortsch von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten würden. Vielleicht ahnten sie, daß es ihren Tod bedeutete. Vielleicht wußten sie auch, daß es Frevel war für Sterbliche, gegen die Geister zu kämpfen. Vielleicht hatten sie Furcht. In der Dunkelheit war ihren Mienen nichts zu entnehmen.

Aber sie wären auch zur Hölle mit ihm gegangen. Sie waren nun die Leibwache, stellvertretend für ihre Stammesbrüder, die zurückblieben.

Die Leibwache für die andere Hälfte ihrer Seelen. Der Fels war warm unter ihren Händen – von innen heraus. Die Dalaugiri waren keine guten Kletterer. Sie kamen nur mühsam

voran. Mehrmals gelangten sie auf Felsvorsprünge, wo es keinen Weg weiter gab.

Furcht bemächtigte sich der Männer, als sie in der Finsternis an der Felswand hingen. Über und unter ihnen das Nichts. Sicher waren sie nicht mehr in der wirklichen Welt. Dies war der Pfad in das Reich der Seelen.

Aber Akkerons befehlende Stimme vertrieb solche Gedanken rasch wieder, und sie fanden in die Wirklichkeit zurück. Dann glitt der erste Kletterer mit dem Fuß aus. Er fing sich wieder, aber eine Menge Gestein löste sich und riß einen der Männer mit sich in die Tiefe.

Er schrie nicht, wahrscheinlich hatten die Steine ihn betäubt. Aber sie hörten, wie sich im Laufe seines Falles weitere Steine lösten. Eine verräterisch laute Lawine polterte in die Dunkelheit.

Die Männer hingen keuchend, bis die Geräusche verklangen. Nichts regte sich mehr. Für eine ganze Weile blieb alles still. Sie

wagten weiterzuklettern und erreichten gleich darauf eine breite

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Öffnung im Fels. »Da hinein?« flüsterte einer der Männer. Akkeron stimmte zu. »Ja, wir müssen in den Berg hinein.

Versuchen wir es.« Sie tasteten sich voran. Der Boden war uneben, die warmen

Wände rauh, aber die Höhle war so geräumig, daß sie aufrecht gehen konnten. Sie verbreiterte sich auch zusehends, so daß sie bald zu zweit und dann zu dritt nebeneinander zu gehen vermochten, ohne die Wände zu berühren. Mit ausgestreckten Armen tasteten sie sich voran.

Bald spürten sie, daß die Luft wärmer wurde. »Wir befinden uns auf dem richtigen Weg. Ich wünschte, wir

könnten mehr sehen …« »Still!« zischte der vorderste warnend. »Bleibt stehen. Horcht!« Sie erstarrten. Deutlich kam aus der Schwärze vor ihnen ein knirschendes

Geräusch. Es wiederholte sich regelmäßig. »Jemand bewegt sich da vorn«, flüsterte der Dalaugiri, der sie

gewarnt hatte. »Einer von den Toten der Meere?« »Können wir nicht Licht machen, Zarath? Denkst du, daß der

Feuergeist uns hier im Innern des Berges sehen kann? Eher kann er uns hören …«

»Kein Licht«, entschied Akkeron. »Noch nicht. Nur die Überraschung kann uns den Sieg bringen.« Bevor Skortsch Zeit hatte, seinen letzten Schlag zu tun. Tyde hatte bestimmt nicht übertrieben mit dem, was er über die Macht der Geister sagte.

Die Geräusche näherten sich. Es war nun ein vielfaches Knirschen, das nicht nur von einer Person herrühren konnte.

»Seht!« zischte einer. Schwachglühende Punkte näherten sich etwa in Manneshöhe. Sie waren paarweise wie Augen. Sie glühten dunkelrot.

»Das sind Augen!«

Page 94: Der Feuertöter

Der Mann hatte recht. Das waren Augen. Die Männer griffen nach ihren Schwertern. Sie wußten, daß es

keine Toten sein konnten, denn die Toten hatten keine Augen besessen. Es konnten auch nicht Skortschs Geschöpfe sein, denn nirgends an ihnen war Feuer.

Die glühenden Augen sahen auch nicht menschlich aus. Wer bei allen Göttern, kam auf sie zu …? Der Drang, eine Fackel zu entzünden, um den Feind zu sehen, war

gewaltig, selbst für Akkeron. Sie kamen heran, und Akkeron wußte plötzlich, daß sie doch

Skortschs Geschöpfe waren. Ein Gluthauch ging von ihnen aus. Etwas pfiff durch die Luft und landete mit einem dumpfen Schlag, gefolgt von einem knirschenden Geräusch und einem gurgelnden Todesschrei eines Dalaugiri.

Die anderen sprangen auf und hieben mit ihren Klingen in die Richtung der Augen. Eisen schlug auf Eisen. Mehrere Dalaugiri gingen schreiend zu Boden. Ein weiterer starb stöhnend neben Akkeron.

So rasch war der Angriff gekommen, daß ein Großteil seiner Männer bereits hingestreckt war, als er sich auf seine fast unfehlbaren Mittel besann. Er riß den Staev hoch und das Ewige Naß und nahm befriedigt wahr, wie das Wasser zischend über die Angreifer strömte. Die glühenden Augen erloschen.

Nach einer Weile war nur noch das gurgelnde Abfließen des Wassers zu vernehmen – gleich darauf das Stöhnen einiger Männer.

Akkeron rief flüsternd in die Finsternis und bekam ebenso flüsternd Antwort.

»Hier, Zarath.« Ein Stöhnen antwortete ihm von weiter weg. »Könnt ihr Licht machen?« fragte Akkeron. »Ich bin sicher, daß

wir uns mit dem Ewigen Naß bereits verraten haben.« »Ja, Zarath … wenn die Fackeln nicht zu naß sind …« Funken sprangen. Nach einer Endlosigkeit flackerte die Flamme

hoch. Der Dalaugiri brachte sie Akkeron und entzündete an ihr eine

Page 95: Der Feuertöter

zweite. Im Fackellicht sahen sie Dalaugiri und die Fremden reglos auf

dem Boden. Sie waren alle tot. Der Anblick der Fremden erinnerte Akkeron an den Traum, den er

im Meer unter dem Einfluß der giftigen Dämpfe gehabt hatte. In diesem Traum hatte er gegen solche Krieger gekämpft – Krieger in grauen Wämsern und Helmen, mit aschgrauen Schilden. Auch im Traum waren sie mit Wasser besiegt worden. Sie waren erloschen.

Er stieß sein Schwert in einen der reglosen Körper. Es fand kaum Widerstand. Der Körper brach auseinander. Er war nichts als Asche! Im Innern fanden sich noch Reste einer schwachen Glut. »Die Soldaten des Feuergeists«, murmelte der Dalaugiri mit

bleichem Gesicht. »Wie groß mag ihre Zahl sein?« »Das Ewige Naß wird mit ihnen fertig, wie viele es auch sein

mögen!« erklärte Akkeron grimmig und zerstörte auch die übrigen Körper, um sich zu vergewissern, daß das Feuer in ihnen erloschen war.

Seine Gedanken kehrten zu dem Gifttraum zurück. Damit hatte Skortsch ihnen vorzugaukeln versucht, daß die Schlacht geschlagen wäre – und verloren.

Dieses gewaltige Feuerwesen des Traumes, war das Skortschs wahre Gestalt? Warum kam er nicht heraus aus seiner Festung und besiegte sie wie im Traum?

Ein Stöhnen schreckte ihn aus seinen Gedanken. Einer der Dalaugiri bewegte sich und richtete sich auf. Sein Kopf blutete, aber er schien nicht schwer verletzt. Sie halfen ihm auf die Beine und untersuchten die übrigen Gefährten. Doch diese waren tot. Sie hatten schwärzliche Wunden, als hätte jemand ein glühendes Schwert in sie gebohrt. Es roch nach verbranntem Fleisch.

Ein dumpfes Grollen erschütterte den Berg. »Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.« Mit den Fackeln in Händen liefen Akkeron und die beiden Krieger

tiefer in die Höhle hinein. Sie führte leicht nach unten, tief in den

Page 96: Der Feuertöter

Berg. Mit jedem Schritt wurde es heißer. Akkeron holte den Staev hervor und hielt ihn hoch. Der Stab

wurde hart und dunkel in seiner Faust. Die Hitze um ihn ließ nach. Aber nicht für die beiden Dalaugiri. Akkeron sah aus den

Augenwinkeln, wie der Schweiß über ihre geröteten Gesichter lief. »Herr«, stöhnte der eine schließlich und griff an seine Kehle. »Ich

kriege keine Luft mehr. Alles … brennt in mir …« Auch der zweite hatte die Grenze des Erträglichen erreicht. Er

sank erschöpft gegen die Felswand und fuhr schreiend hoch. Das Fleisch an seinem Rücken schwoll auf und roch verbrannt. Er krümmte sich. »Zarath, wir werden … hier … sterben …«

Akkeron sah, daß er nun allein weiter mußte. Der Staev und wahrscheinlich auch Vestas Auge schützten ihn vor der Glut. Er fühlte sie nicht. Aber wenige Schritte weiter würden seine Männer verbrennen.

Er mußte dem Feuergeist bereits sehr nah sein. »Kehrt um!« befahl er den Dalaugiri. »Jetzt ist es nur noch meine

Macht gegen seine. Geht zurück und sammelt die Heere und wartet!«

»Zarath … du bist unsere Seele … wir kehren nicht … ohne dich um …«

Akkeron grinste. »Um eure Seele bangt ihr und fürchtet, daß ihr ohne sie weiterleben müßtet. Aber laßt euch eines sagen: Wenn ich Erfolg habe, werde ich zurückkehren und den Girions eure Seelen zurückgeben. Wenn ich aber nicht siege, dann werdet auch ihr nicht lebend von dieser Insel gelangen. So hat es der Geist des Wassers prophezeit. Also geht zurück. Euer Tod ist hier nutzlos. Er kann euch auch anderswo erreichen!«

Sie starrten ihn hilflos an. Als er sich von ihnen abwandte und weiter in die Höhle schritt, schien es einen Augenblick, als würden sie umkehren. Halb erstickt wichen sie einige Schritte zurück.

Doch dann überwog ihr seltsamer Glaube. Sie waren mitgekommen, um die Seele der Girions zu schützen, das andere

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Leben von fast sechstausend Dalaugirikriegern. Es gab keine Trennung außer dem Tod. Es war nicht logisch. Es war die Art, wie das barbarische Herz eines Dalaugiri dachte.

Sie liefen hinter Akkeron her, aber sie erreichten ihn nicht mehr. Die Luft verbrannte ihre Lungen. Sie stürzten im Lauf, und als ihre Körper den Boden berührten, fingen ihre Haare und Kleider Feuer.

Sie starben ohne einen Schrei. Akkeron merkte von all dem nichts. Er sah am fernen Ende der

Höhle einen Lichtschein. Dort mochte Skortschs Inneres Reich beginnen. Dort mochte das Ewige Feuer sein.

Erneutes Grollen aus dem Bergesinnern beschleunigte seine Schritte. Er spürte nichts von der unerträglichen Gluthitze, die in der Höhle herrschte.

Er erreichte den Lichtschimmer – eine kleine Öffnung, die in eine Kammer von lodernden Flammen führte. Er schrak davor zurück. Doch dann zwang er sich, durch die Öffnung zu schlüpfen.

Die Flammen wichen vor ihm zurück, nur ihr Glanz blendete ihn fast. Mit zusammengekniffenen Augen schritt er mittendurch. Der Staev bebte in seiner Faust. Gewaltige Kräfte waren am Werk. Unwillkürlich starrte er nach unten – und unterdrückte nur mit Mühe einen Entsetzensschrei.

Er stand in flüssigem Feuer. Seine Beine verschwanden in einem weißglühenden Teich.

Aber er spürte es nicht.

*

Wie in einem Traum schwebte er inmitten der Glut. Sie schien ihm unwirklich.

Wirklich war nur er selbst – und eine grelle, mannshohe Feuerwand vor ihm. Eine Waberlohe, die ihn blendete, als blickte er in das Herz der Sonne selbst.

Akkeron wußte instinktiv, daß er Skortsch, den Feuergeist, vor sich hatte.

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Das war der Augenblick, dem all die Mühen gegolten hatten! Und er fühlte, daß der Kampf verloren war. Eine tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigte sich seiner.

Nichts, das in seiner Macht war, würde etwas gegen diese Waberlohe ausrichten können. Er war zu spät gekommen. Der Feuergeist hatte sich bereits von seiner Erschöpfung erholt. Er war mächtig, voller Kraft. Der entscheidende Gegenschlag mußte nahe bevorstehen.

Während er in die Waberlohe starrte, fielen ihm zwei Dinge auf: Skortsch schien seine Gegenwart noch nicht bemerkt zu haben. Und er wurde von Augenblick zu Augenblick heller.

Er war noch immer dabei, seine Kräfte zu sammeln, alles Feuer in sich aufzunehmen. Er war blind und taub nach außen. Alle seine Aufmerksamkeit war auf die inneren Vorgänge gerichtet.

Der Traum kam Akkeron wieder in den Sinn. Der Traum von einem Kampf, der nur in ihren Köpfen stattgefunden hatte. Wie nun, wenn er …

Er dachte den Gedanken nicht zu Ende. Er hielt der Waberlohe den Staev entgegen, dessen Ruf alle

Elemente gehorchten, weil ein Teil ihrer Macht ihm innewohnte. Auch Skortsch hörte den Ruf und gehorchte ihm. Vestas Auge

funkelte an Akkerons Stirn und verstärkte den Einfluß des Stabes. »Schlafe!« befahl Akkeron. Das war ein ungewöhnlicher Befehl, aber Skortsch lehnte sich

nicht auf. Er fühlte Kräfte in sich fließen, die ihn trunken machten. Er ruhte in sich, um all das Feuer aufzunehmen, das er brauchte, um die lästigen Angreifer auszulöschen. Er war sehr schwach gewesen, aber nun flossen die alten Kräfte in ihm. Das gab ihm ein Gefühl der Sicherheit und des Sieges.

»Schlafe!« Ja, es war gut, zu ruhen. Ein wenig noch, bis alle Kraft gesammelt

war. »Schlafe«, flüsterte Akkeron, der fühlte, wie willig Skortsch war,

diesem Befehl zu folgen, ohne zu wissen, woher er kam.

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»Ich befehle dir, zu schlafen, Geist des Feuers.« Und Skortsch schlief. Äußerlich veränderte sich nichts an der

Waberlohe, aber der Staev durchbrach plötzlich alle Riegel. Akkeron war es, als blicke er tief in das Innere des Feuergeists. Schaudernd sah er, welche Macht der Kontrolle harrte. Tyde hatte recht. Damit mochten Welten verglühen.

Aber Skortsch schlief. »Hörst du mich, Geist des Feuers?« flüsterte Akkeron. Wie von weit her drangen Skortschs Gedanken in sein Gehirn. »Ja,

ich verstehe dich.« »Du wirst nicht aufwachen, bis ich es dir gestatte.« »Ich werde nicht aufwachen.« »Du bist müde.« »Ich bin müde.« »Müde von der großen Schlacht.« »Von der großen Schlacht.« »Du hast sie alle vernichtet.« »Ja, ich habe sie alle vernichtet. Dieses Gewürm!« »Aber nun bist du erschöpft.« »Ja, erschöpft.« »Alles Feuer ist verbraucht.« »Verbraucht …« »Du bist leer und kraftlos.« »Leer … und … kraftlos …« »Und du mußt lange ruhen.« »… lange … ruhen …« Immer schwerer waren die Gedanken gekommen. Skortsch

glaubte, was die Stimme ihm sagte. So wie er seine Feinde einst unter dem Einfluß des Giftes träumen

ließ, so träumte er nun selbst. Er hatte die große Schlacht geschlagen und gewonnen. Aber er war müde und leer … kraftlos …

Die Waberlohe begann schwächer zu gleißen. Sie verlor an Kraft. Akkeron beobachtete sie triumphierend, wie ihre Weißglut sich in rotes Glühen verwandelte, wie sie zusammensank, merklich kleiner

Page 100: Der Feuertöter

wurde. Augenblicke später glühte sie nur noch schwach – müde, leer, wie

die Stimme es gesagt hatte. Akkeron handelte rasch. Das Ewige Naß ertränkte den traurigen Rest der Glut. Was übrig

blieb, war eine kleine Flamme. Sie war weiß und nicht größer als eine Faust. Das Ewige Feuer!

Rasch bückte sich Akkeron und hob die Flamme hoch. Sie brannte ruhig und war kalt.

»Bei diesem Stab«, erklärte Akkeron voll Triumph, »wirst du mir nun gehorchen!«

»Ich werde gehorchen«, erwiderte Skortsch schwach. »Wach auf!« Ein Windhauch fegte durch die Höhle. Die kleine Flamme blieb

davon unberührt.

Page 101: Der Feuertöter

10.

»Du wirst uns Wärme und Licht geben!« hatte Akkeron befohlen. »Ich gehorche, Meister«, hatte Skortsch geantwortet. Das Eiland gleißte in Tausenden von Fackeln und Feuern. Akkerons Heere sammelten sich an der Küste. Fast

siebzehntausend waren sie noch stark. Das war mehr, als er zu hoffen gewagt hatte. Bis in die frühen Morgenstunden dauerte es, bis die letzten Dalaugiri aus den Bergen zurückkamen. Sie waren erschöpft und zerschlagen.

Und auch enttäuscht! Es war ein langer, gefährlicher Weg gewesen, und ein ermüdender Kampf. Sie hatten einen mächtigen Feind bezwungen. Aber der Sieg entbehrte die kleinen Freuden, die mit der Vernichtung eines Feindes immer verbunden waren …

Es gab nichts zu plündern! Es gab keine Frauen! Es war während des ganzen Kampfes kein Blut geflossen außer

ihrem eigenen! Wie sollte ein Dalaugiri Freude an solch einem Sieg haben?

*

Akkeron starrte über das riesige Lager seiner Heerschar und schmiedete bereits Pläne. Er war voller Tatendrang. Er war nun mächtig, da ihm zwei der fünf Elementargeister dienten – aber nicht mächtig genug. Erst mit der Mehrheit der Geister auf seiner Seite rückte seine angestrebte Macht in greifbare Nähe.

Er rief Tyde und Skortsch und verlangte: »Berichtet mir von diesem Dragon!«

»Er hat den Erdgeist besiegt.« »Er steht vor den Toren von Aerulas Reich.« »Er kämpft nicht für sich. Er steht auf Vestas Seite.« »Er will Vesta befreien?« entfuhr es Akkeron.

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»Ja, Meister.« »Was wißt ihr noch?« »Er stammt nicht von dieser Welt.« »Nicht von dieser Welt, sagt ihr? Gibt es mehrere Welten?« »Viele.« »Wie viele?« »Unzählbar.« »Und man kann sie erreichen?« Akkeron lehnte sich interessiert

vor. »Es gibt … Türen« erklärte Skortsch in Ermangelung eines

besseren Wortes. »Türen«, wiederholte Akkeron nachdenklich. Es weckte eine

Erinnerung an ein Erlebnis, das noch gar nicht so lange zurücklag. Der Tempel von Kha-aun! Dieses Oval, durch das sie fremde Landschaften erblickt hatten.

Ja, das mußte solch eine Tür sein! Das Volk von Kha-aun war also in eine andere Welt geflohen.

Er kannte nun solch eine Tür. Eines Tages, wenn ihm diese Welt gehörte, würde er nach Kha-aun zurückkehren und die Faust nach anderen Welten ausstrecken …

»Sagt mir noch eines: An wen hat sich Vitu um Hilfe gewandt?« »An einen Mann mit Namen Ubali.« »Ist er so mächtig wie ich?« »Nein, Meister.« »So mächtig wie dieser Dragon?« »Nein, Meister.« »So ist er ein Narr, der sich von den Geistern mißbrauchen läßt!« »Anstatt sie zu mißbrauchen?« erwiderte Tyde ironisch. »Welche Qualitäten hat dieser Ubali, daß der Lebensgeist ihn zu

seinem Schutz erwählt?« fragte Akkeron, ohne sich um Tydes Bemerkung zu kümmern.

»Er achtet das Leben.« »So ist er ungefährlich!« stellte Akkeron fest. »Er ist mutig.«

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»Das ist nicht genug.« Als Tyde und Skortsch nicht mehr antworteten, lehnte er sich

lächelnd zurück. Einer, der das Leben achtete, war kein Gegner, den er zu fürchten

brauchte. Vitus innere Kraft war das Ewige Leben. Man brauchte es nicht zu

achten. Es genügte, wenn man es besaß! Dieser Dragon war flink, aber nicht flink genug. Er besaß nicht die

Kräfte des Meeres, die seine Flotte mit der Geschwindigkeit des Windes ans Ziel bringen konnten.

Er besaß nicht einmal eine Flotte, wenn Tyde die Wahrheit gesagt hatte – und Tyde konnte seinen Herrn nicht belügen.

Nein, es gab nichts mehr, das er zu fürchten brauchte. Vitu, der Lebensgeist, war sein nächstes Ziel – sobald seine

Reiterhorden Atem geschöpft hatten. Und diesmal waren nicht Feuer und Wasser, Träume und Gespenster ihre Gegner.

Diesmal würden es Wesen aus Fleisch und Blut sein …

ENDE

Nach der Überwindung von Skortsch wird Akkerons Ziel und das seiner wilden Horden Vitu, der Lebensgeist, sein.

Zu Vitu will auch Ubali. Zusammen mit Thamai geht er den Pfad der Prüfungen …

Mehr über Ubalis Abenteuer lesen Sie im nächsten DRAGON-Band. Der Roman ist ebenfalls von Hugh Walker geschrieben und erscheint unter dem Titel:

UBALI, DER PALADIN

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