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Universität Karlsruhe (TH) Institut für Literaturwissenschaften Oberseminar: Mythos & Mythenrezeption Sommersemester 2007 Prof. Dr. Andreas Böhn Der Held mit den 1000 Gesichtern - Campbells Monomythos im Computerrollenspiel Sebastian Felzmann Matrikelnummer 1203810 Kaiserallee 72 76185 Karlsruhe Masterstudiengang Germanistik

Der Held mit den 1000 Gesichtern - Monomythos und Computerrollenspiele

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Page 1: Der Held mit den 1000 Gesichtern - Monomythos und Computerrollenspiele

Universität Karlsruhe (TH)

Institut für Literaturwissenschaften

Oberseminar: Mythos & Mythenrezeption

Sommersemester 2007

Prof. Dr. Andreas Böhn

Der Held mit den 1000 Gesichtern - Campbells Monomythos im Computerrollenspiel

Sebastian Felzmann

Matrikelnummer 1203810

Kaiserallee 72

76185 Karlsruhe

Masterstudiengang Germanistik

Page 2: Der Held mit den 1000 Gesichtern - Monomythos und Computerrollenspiele

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis....................................................................................................................... 1 1. Einleitung ............................................................................................................................... 2 2. Joseph Campbell und der Monomythos................................................................................. 3

2.1 Was sind Mythen?............................................................................................................ 3 2.2 Campbells Heldenreise .................................................................................................... 4 2.3 Die Heldenreise im populären Medium ........................................................................... 8

3. Diablo 2 und Gothic 2 – Der Monomythos im Spiel ........................................................... 11 3.1 Die Struktur der Spiele................................................................................................... 11 3.2 Der Plot der Spiele ......................................................................................................... 13

4. Fazit und abschließende Betrachtungen............................................................................... 17 5. Bibliographie........................................................................................................................ 19

5.1 Sekundärliteratur:........................................................................................................... 19 5. 2 Internetquellen: ............................................................................................................. 19

6. Versicherung über die Anfertigung der Hausarbeit ............................................................. 20

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1. Einleitung

Computerspiele sind in den vergangenen Jahren zu einem immer bedeutsameren

Medienphänomen heran gewachsen. Wurden sie in der Vergangenheit auch oftmals als

‚Spielzeug’ oder ‚dumpfe Ballerorgien’ polemisch innerhalb der Fachwelt und der

Medienlandschaft verhandelt, so sind sie heute doch, bedingt durch ihre strukturelle

Verfasstheit, mit eines der anspruchvollsten Medienprodukte. Innerhalb ihrer

multiintegrativen Form ist es möglich geworden, tiefgehende Geschichten um die

immerwährenden Themen Liebe, Hass, Verrat, Kampf, Tod und Wiedergeburt zu erzählen -

und dies auf eine Art und Weise, dass sie eine ähnliche Wirkung und Faszination auf den

Rezipienten ausüben, wie man es in dieser Form eigentlich nur von großen Hollywood-

Blockbustern1 kennt.

In meiner Arbeit möchte ich dieses Phänomen der Faszination innerhalb eines genauer

spezifizierten Bereiches der Spiele, nämlich innerhalb der Familie der Computerrollenspiele,

näher betrachten. Dabei postuliere ich die These, dass diese Spiele von ihrer Strukturierung

her, sowohl inhaltlich-narrativ als auch von der Spielweise und Regelmechanik ausgehend,

spezifische Elemente des Monomythos beinhalten, wie ihn Joseph Campbell in seiner

deskriptiven Untersuchung „Der Heros in tausend Gestalten“ 1949 erstmalig aufgestellt hat.

Diese Spiele sind demnach auf eine spezifische Art und Weise auch wieder Mythen, bzw.

entfalten eine ähnliche Wirkung auf den Mediennutzer, wie dies antike Mythen und

Göttergeschichten auf die damaligen Rezipienten taten.

Zu diesem Zweck widme ich mich im ersten Teil meiner Arbeit der Untersuchung und

Erläuterung des Monomythos, stelle dabei dessen Bauprinzip vor und zeige die

Besonderheiten im Bezug auf Schwellen- oder Übergangsrituale nach van Gennep auf. Im

zweiten Schritt weise ich dann diese Bauelemente in besonders populären Rollenspielen nach.

Denn meiner Ansicht nach bewirken diese monomythischen Elemente, da sie fundamentale

menschliche Bedürfnisse bedienen, mit die Faszination, die von diesen Spielen ausgeht und

bedingen damit schlussendlich deren Beliebtheit. Natürlich kann diese Untersuchung keinerlei

Anspruch auf Vollständigkeit erheben, vielmehr ist sie lediglich eine stichprobenartige

Untersuchung an einigen wenigen Beispielen.

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!1 Zur Wirkungstheorie des Monomythos im Hollywood-Kino siehe auch: Stuart Voytilla: Myth and the Movies, Studio City 1999.

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2. Joseph Campbell und der Monomythos

2.1 Was sind Mythen?

Bevor man sich dem Monomythos nach Campbell widmet, um zu fragen, wie Computerspiele

Geschichten erzählen, ist es für ein grundlegendes Verständnis sinnvoll, zuerst den Begriff

Mythos allgemein im Bezug auf seine narrative Funktion zu klären. Ute Heidmann Vischer

definiert unter dem entsprechenden Lemma im Reallexikon der Literaturwissenschaften

Mythos als „Narrative Überlieferung aus einer vorschriftlichen Epoche; auch: Form eines

vorrationalen Weltverständnisses.“2 Ihrer Ansicht nach sind Mythen erzählende Darstellungen

von kollektiv bedeutsamen Orten und Figuren oder Naturphänomenen, in aller Regel mit

religiöser und kultischer Dimension. Mythen erklären somit in narrativer Form Erfahrungen

und Erlebnisse, welche außerhalb der Sphäre des menschlich zugänglichen Bereichs liegen

bzw. wofür man keine Erklärung hat.

Gero von Wilpert wiederum gliedert diese erzählende Darstellung in dem von ihm heraus

gegebenen Sachwörterbuch der Literaturwissenschaft stofflich unterscheidend in drei

Untergruppen: eigentliche Mythen, halbgeschichtliche Mythen und phantastische Mythen3.

Eigentliche Mythen deuten demnach Erfahrungstatsachen und Naturerscheinungen, so wie die

Blitze in der griechischen Mythologie zu Donnerkeilen des Zeus wurden. Die

halbgeschichtlichen Mythen wiederum erzählen von frühesten Kriegern und Heroen und sind

dabei oftmals mit Göttersagen gesprenkelt. Sie haben die Aufgabe, eine Traditionslinie

aufrechtzuerhalten und dabei das Jetzt der jeweiligen sozialen Gruppe, welche diese Mythen

tradiert, mit einer Vorvergangenheit zu verbinden, auf die man sich bezieht. Die

phantastischen Mythen schließlich sind aus lauter Phantasierfreude entstanden und damit

reine Kunstprodukte. Die Literatur übernehme zudem oftmals ganze Mythen, kombiniere

diese neu, aktualisiere sie und reichere sie weiter an. Durch dieses Verfahren werde Literatur

schließlich in alltagsferne Welten gehoben, da sie durch die mythogenen Elemente und

Symbole auch deren Erklärungsfunktionen für außermenschliche Erfahrungen übernimmt.

Ulrich Wyss4 wiederum streicht vor allem die erklärende Funktion des Mythos heraus.

Mythen dienen demnach vor allem zur Deutung von Naturphänomenen oder stellen im Modus

der Allegorese moralische und metaphysische Begriffe da.

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!2 Ute Heidmann Vischer: Lemma Mythos. In: Reallexikon der Literaturwissenschaften, hg. von Harald Fricke, Berlin / New York 2000, Band 2: H - O, S. 664. 3 Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 2001, S. 541 – 543. 4 Ulrich Wyss: Lemma Mythos. In: Literaturwissenschaftliches Lexikon. Grundbegriffe der Germanistik, hg. von Horst Brunner und Rainer Moritz, Berlin 2006, S. 288/289.

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Zusammengefasst lässt sich damit also sagen, dass Mythen der vorwissenschaftlichen

Naturerklärung dienten oder dienen, indem sie nicht klar fassbare Phänomene in einen

spezifischen Sachzusammenhang stellen, sie in eine narrative Erzählung kleiden und oftmals

einer spezifischen Tradierungslinie unterliegen.

2.2 Campbells Heldenreise

„Ohne Zweifel gibt es Unterschiede zwischen den zahlreichen Mythologien, aber dies soll ein

Buch über ihre Ähnlichkeiten sein.“5 So leitet Joseph Campbell in seinem 1949 erstmals

erschienen Werk „Der Heros in tausend Gestalten“ seine deskriptive, konstruktivistische

Untersuchung der Mythen der Welt ein. Campbell konzentrierte sich bei seiner Untersuchung

vor allem auf die kleinsten wiederkehrenden Gemeinsamkeiten und nahm eine vergleichende

Durchdringung des Stoffes vor, ohne dabei die Unterschiede zwischen den verschiedenen

Kulturkreisen, aus welchen sein Material stammte, zu beachten. Sein Darstellungsinteresse

zielte vor allem darauf ab, einen zugrunde liegenden ‚Bauplan’ auszumachen, welcher in allen

Mythen, egal in welcher Ausprägung, sowohl motivisch als auch strukturell zu Tage trete.

Ausgangslage für diese wiederkehrenden Bauprinzipien sei das kollektive Unterbewusstsein

der Menschheit mit den diesem eigenen Archetypen, wie es schon C. G. Jung in seinen

Schriften annimmt. Campbell leitet seine Arbeit davon ausgehend mit der Beobachtung der

Träume moderner Menschen, sprich seiner Zeitgenossen, ein, nur um diese dann neben

Erzählungen, Mythen und Märchen aus der Antike und anderen Kulturkreisen zu stellen.

Merkwürdig daran sei, dass diese Träume „das allen Völkern gemeinsame Grundschema der

mythischen Abenteuer bis ins einzelne“6 reproduzieren und es daher große Ähnlichkeiten

zwischen 'modernen' Träumen und 'klassischen' Mythen gebe. Er stellt daher auch „immer

wiederkehrende Grundmotive des wunderreichen Liedes von den Abenteuern der Seele“7 fest.

Diese Bedürfnisse der Seele, welche sich immer wieder in Träumen und Erzählungen

manifestieren, sind für Campbell Grundkonstanten des menschlichen Daseins. Sie schlagen

sich zuerst in Mythen und dann, in der Ausgestaltung, in Riten nieder. Denn genauso, wie es

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!5 Joseph Campbell: Der Heros in tausend Gestalten, Frankfurt am Main 1978, S. 8. 6 Ebd., S. 28. 7 Ebd.

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wiederkehrende Elemente der innerpsychischen Landkarte gebe, ließen sich auch immer

wieder auftauchende Lebensabschnitte beobachten, etwa Geburt, Pubertät, Hochzeit und Tod,

an deren Überwindung der Mensch eines Ritus bedürfe, der ihm helfe, diese Lebensschwelle

zu überwinden:

Für Gruppen wie für Individuen bedeutet leben unaufhörlich sich trennen und wieder vereinigen, Zustand und Form verändern, sterben und wieder geboren werden. […] Und immer sind neue Schwellen zu überschreiten: die Schwelle des Sommers oder die des Winters, der Jahreszeit oder des Jahres, des Monats oder der Nacht; die Schwelle der Geburt, der Adoleszenz oder der Reife[…].8

Erstaunlich an diesen Riten sei jedoch, „dass viele jener rituellen Prüfungen und Bilder denen

entsprechen, die sich automatisch im Traum einstellen.“9 Der Ritus wird für Campbell in

seiner Betrachtung zu einer Ausgestaltung des Mythos, also eine um symbolische Handlungen

angereicherte Umsetzung oder Inszenierung.

Auf dieser Basis konzipiert er seinen Monomythos, also den Archetypus aller Mythen, in

Anlehnung an das dreistufige System des Rite de passages. Dieser Übergangsritus und

dessen Gesetzmäßigkeiten wurden bereits 1909 von dem französischen Ethnologen Arnold

van Gennep beobachtet und formuliert. Van Gennep machte Riten als soziale Notwendigkeit

aus, welche für den Zusammenhalt der Gesellschaft sorgen, indem sie verbindende

Erfahrungen durch das gemeinsame Erleben von gleichen Situationen schaffen. Da diese

Riten somit immer wieder gleiche Funktionen zu erfüllen haben, könne man sie daher auch

strukturalistisch untergliedern und somit wiederkehrende Elemente beobachten.

Der Rite de passages stellt damit den eigentlichen Kern des Monomythos da und besteht aus

drei Stufen: Trennung, Initiation und Rückkehr. Auf einen Nenner gebracht, fasst Campbell

diesen Kern folgendermaßen zusammen: „Der Heros verlässt die Welt der gemeinen Tage

und sucht einen Bereich übernatürlicher Wunder auf, besteht dort fabelartige Mächte und

erringt einen entscheidenden Sieg, dann kehrt er mit der Kraft, seine Mitmenschen mit

Segnungen zu versehen, von seiner geheimniserfüllten Fahrt zurück.“10 Dieses Muster aus

Trennung, Prüfung bzw. Abenteuerreise und schlussendlicher Wiederkehr in die Welt ist auch

das immer wiederkehrende Bauprinzip vieler Computerspiele, wie ich es im folgenden

Abschnitt noch genauer an zwei ausgewählten Beispielen exemplarisch betrachten werde.

Von dieser einfachen Gliederung ausgehend, weist Campbell den drei Abschnitten des

Monomythos oder der Heldenfahrt, wie er ihn nennt, spezifische Elemente und Motive zu:

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!8! Arnold van Gennep: Übergangsriten. Les rites de passage, Frankfurt / New York 1999, S. 182.

9 Campbell: Heros, S. 19. 10 Campbell: Heros, S. 36.

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Das erste Kapitel, die Trennung, enthält die 1) Berufung, die 2) Weigerung, das 3) Erlangen

von übernatürlicher Hilfe, die 4) Überwindung der ersten Schwelle und den 5) Bauch des

Walfischs, also das Eingehen in das übernatürliche Reich. Mit diesen Elementen ist die

Trennung des Helden von der Alltagswelt vollzogen und der zweite Abschnitt, die Initiation

beginnt. Diese umfasst 6) den Weg der Prüfungen, 7) die Begegnung mit der Göttin, 8) das

Weib als Verführerin, 9) die Versöhnung mit dem Vater, 10) die Apotheose und 11) die

endgültige Segnung. Hat der Held all diese Stadien oder Herausforderungen hinter sich

gebracht, so ist er bereit für den letzten Abschnitt des Monomythos: Die Rückkehr. Diese

umfasst die 12) Verweigerung der Rückkehr, 13) die magische Flucht, 14) die Rettung von

außen, 15) die Rückkehr über die Schwelle, 16) den Herrn der zwei Welten und 17) die

Freiheit vom Leben.

Abb. 1: Das System Campbells mit den wiederkehrenden Elementen, nach Jens Wiemken.

Quelle: Jens Wiemken: Hardliner – Zeit für Helden? In: Johannes Fromme und Norbert Meder

(Hrsg.): Bildung und Computerspiele. Zum kreativen Umgang mit elektronischen

Bildschirmspielen, Opladen 2001

Diese Abfolge der 17 verschiedenen Stadien stellt den exakten Bauplan des Monomythos

nach Campbell dar. Allerdings lassen sich nicht immer alle diese in den jeweils von Campbell

betrachtete Texten wiederfinden: „Wenn das eine oder andere Element des Archetyps in

einem bestimmten Märchen, Bericht, Ritual oder Mythos nicht erscheint, dann sicher implizit

oder an anderer Stelle.“11 An dieser Stelle erkennt man auch sehr deutlich, dass Campbell

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!11 Ebd., S. 43.

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keinen engeren Mythenbegriff hat, wie er im vorangegangen Kapitel aus der Sicht der

Literaturwissenschaft untersucht wurde. Er ordnet vielmehr einer Anzahl an unterschiedlichen

Textformen gleiche Wurzeln zu und betrachtet damit 'das Mythische' als das Hervorgehen aus

einer gemeinsamen Quelle, welche wiederum aus den Archetypen des kollektiven

Unterbewusstseins gespeist wird.

An den Bezeichnungen der einzelnen Abschnitte erkennt man sehr deutlich noch die Prägung

Campbells durch die Auseinandersetzung mit Jung und zudem Freud. Gerade die

innerpsychischen Befindlichkeiten, welche sich in Grundmotiven wie der erotischen

Mutterliebe und dem Hass auf den Vater niederschlagen, sind für Campbell von großer

Bedeutung zur Erstellung seines Systems.

In der Folge erfuhr es dann durch Christopher Vogler eine Verknappung und Präzisierung,

was zu einer größeren Verbreitung der Thesen Campbells führte. Vogler ging davon aus, dass

ein Plot, der die Campbellschen Mythenelemente in exemplarischer Weise enthält,

automatisch eine möglichst große Anzahl an Rezipienten ansprechen müsste, egal in welchem

Medium er verhandelt wird oder welchem Genre er entspringt. Denn wenn diese Elemente

aus den innerpsychischen Verhältnissen der Menschen hervorgehen und, da Teil des

kollektiven Unterbewusstseins, diese Anlagen auch in allen Menschen vorhanden sind, so

könnte man demnach davon ausgehen, dass sie auch eine große Anzahl an Menschen

ansprechen bzw. ihnen erlauben, sich in der Geschichte mit eigenen Bedürfnissen,

Erlebnissen, Träumen und Emotionen wiederzufinden.12 Davon ausgehend erstellte Vogler

nun eine Art Leitfaden für Drehbuchautoren, der den Campbellschen Monomythos auf das

Medium Film übertrug und dessen Elemente als konstituierend für den Erfolg an den

Kinokassen machte. Dieses eigentlich nur für den internen Gebrauch erstellte siebenseitige

Memo fand unter dem Namen „A Practical Guide to The Hero with a Thousand Faces" große

Verbreitung und wurde dann schließlich Teil des Autorenhandbuchs13, das Vogler in den

späten 90er Jahren herausgab.

Für eine weitere Beschäftigung mit dem Monomythos in populären Medien ist es sinnvoll,

von der ursprünglichen Campbellschen Einteilung abzuweichen und einen näheren Blick auf

die von Vogler entworfenen Stadien zu richten, welche eben genau auf den Einsatz der

mythologischen Strukturen innerhalb von Medienprodukten ausgerichtet sind.

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!12 Vogler sah sich in dieser These durch den großen Erfolg des ersten Star Wars Films und den darauf folgenden Teilen bestätigt, da George Lucas bewusst das Campbellsche System der Heldenreise für seine Drehbücher anwand. Vgl.: Christopher Vogler: Foreword. In: Stuart Voytilla: Myth and the Movies, Studio City 1999, S. vii – xi. 13 Christopher Vogler: Die Odyssee des Drehbuchschreibers: Über die mythologischen Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos, Frankfurt am Main 2004.

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2.3 Die Heldenreise im populären Medium

Stuart Voytilla wiederum griff die Arbeit von Vogler auf und stellte ihr ein großes

Kompendium an möglichen Beispielen zur Seite. Er schuf eine in Genres gegliederte

Übersicht über die verschiedenen möglichen Manifestationen der Heldenreise und deren

Stadien und versuchte, deren verschiedene Funktionen zu benennen und zu interpretieren.

Seine zentrale Grundthese dabei ist: „All stories consist of common structural elements or

Stages found universally in myths, fairy tales, dreams and movies. These twelve Stages

compose the Hero’s Journey“.14 Dabei stellt er jedoch kein starres Konzept auf, sondern ist

sich dessen flexibler Auslegung bewusst: „The Hero’s Journey provides a flexibel and

adaptable model with the potential for an infinite variety of shapes and progressions of

Stage.“15

Diese zwölf Stadien sind nach Voytilla / Vogler:

1) The ordinary World: Hier lernt der Rezipient den Helden kennen, entdeckt seine

Ambitionen oder Einschränkungen und knüpft ein Band der Identifikation zu ihm.

2) The Call to Adventure: Der Held wird nun herausgefordert, ein Problem zu lösen oder

sich einer Aufgabe zu stellen.

3) Refusal of the Call: Verzögerung, die sich durch die Angst oder Zögerlichkeit des

Helden ergibt.

4) Meeting the Mentor: Dem Helden wird eine Quelle an Wissen, Erfahrung und

Sicherheit an die Seite gestellt.

5) Crossing the Threshold: Oftmals das geographische Überschreiten einer Schwelle,

durch welches sich der Held dem Abenteuer stellt.

6) Tests, Allies and Enemies: Interaktion mit der fremden und neuen Welt.

7) Approach the inmost Cave: Eine Phase der Vorbereitung auf die finale Konfrontation,

welche in sich die Gefahren von Scheitern und Tod birgt.

8) The Ordeal: Die zentrale Krise der Handlung, in welcher der Held sich seiner größten

Furcht stellen muss und den Tod hautnah erlebt.

9) Reward: Die Belohnung für die Heldenfahrt und die Konfrontation mit dem

möglichen Tod. Der Held wird im übertragenen Sinne neu geboren.

10) Road back: Das Abenteuer wird beendet und der Held kehrt – verändert – selbständig

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!14 Voytilla: Myth and Movies, S. 5. 15 Ebd.

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in die normale Welt zurück oder wird dorthin verbannt.

11) Resurrection: ein letzter Höhepunkt, bei dem der Held sich einem Test auf der

Schwelle zur Heimat unterzieht, welcher ihn reinigt und befreit.

12) Return with the Elixir: Die Ankunft des Helden, bei welcher er das errungene Gut -

welcher Art auch immer - seiner Sphäre und den Verhältnissen dort zukommen lässt. 16

Die Übertragung dieser Stadien auf das Computerspiel ergibt sich aus der strukturellen

Ähnlichkeit, welche sich zwischen beiden Medien finden lässt. Zwar erscheint das

Computerspiel durch seine Möglichkeiten der Interaktion wesentlich freier als ein Film, der

stringent und linear dem Zuschauer präsentiert wird. Aber der Spieler kann auch nur jene

Elemente des Spiels erreichen und rezipieren, welche die Designer und Programmierer

eingebaut haben. Damit ist seine Reise durch die virtuelle Welt auch schon wieder durch die

Anzahl der verfügbaren Elemente reglementiert und bestimmt. Zumal eine große Varianz

innerhalb der Geschichten auch niemals vorkommt, betrachtet man die populärsten Vertreter

dieses immer noch jungen Mediums. Vielmehr sind die Plotsequenzen, also die Abschnitte

des Spieles, in welchen die Handlung fortgeführt wird, oftmals mit sogenannten Triggern

verbunden. Der Plot wird damit erst weiter erzählt, wenn der Spieler, bzw. dessen Held in der

Diegese eine bestimmte Schwelle oder Entwicklung erreicht hat. Damit beschränkt sich die

Interaktion des Mediums nur auf den Weg und die Handlungen zwischen den einzelnen

Abschnitten der Geschichte, welche innerhalb des Spiels erzählt wird. Allerdings sind die

meisten Spiele und Filme auf reine ‚Action’ ausgelegt, so dass der vollständige Ablauf des

Campbellschen bzw. Voglerschen Monomythos nicht erfolgt:

Die kapitalistische Ausbeutung des Monomythos erlaubt nur eine verkürzte Darstellung der Abenteuerfahrt. [...]Spiele und Hollywood-Filme enden mit dem großen Showdown, so dass dem Betrachter die Rückkehr des Helden in die Normalität verschlossen bleibt.17

Ausgehend von diesen ganzen Beobachtungen lässt sich daher ein Gerüst an Elementen

aufstellen, welche sich, wenn die These zutrifft, dass populäre Computerspiele ihren Erfolg

daraus ziehen, dass sie die Heldenreise integrieren, in diesen finden lassen müssten.

Demnach beginnt jedes Spiel mit dem Ruf nach dem Helden, welcher diesem Ruf entweder

folgt oder aber diesen verweigert und daher durch externe Mächte dazu gezwungen wird,

diesem zu folgen. Daran knüpft sich das Treffen eines wie auch immer gearteten Mentors an,

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!16 Voytilla: Myth and Movies, S. 6. 17 Jens Wiemken: Hardliner – Zeit für Helden? In: Johannes Fromme und Norbert Meder (Hrsg.): Bildung und Computerspiele. Zum kreativen Umgang mit elektronischen Bildschirmspielen, Opladen 2001, S. 79.

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der dem Helden und letztendlich damit dem Spieler mit Rat und Tat sowie Wissen und

Erfahrung zur Seite steht. Im Anschluss und dergestalt ausgerüstet überschreitet der Held die

Schwelle und stellt sich den Abenteuern. Im folgenden muss er sich nun den Gefahren der

neuen Welt stellen welche Prüfungen sowie neue Freunde und Feinde für ihn bereit hält. Nach

einer relativ langen Phase voller Nebenplots und aufbauenden Handlungssträngen beginnt nun

die Annäherung an die finale Konfrontation, Während dieser Zeit bereitet sich der Spieler auf

einen zentralen Kampf vor, löst im Vorfeld darauf hinleitende Aufgaben oder erlernt dafür

wichtige Fähigkeiten. Der zentrale Kampf ist nun die finale Herausforderung, sowohl in

struktureller als auch plottechnischer Hinsicht. Hier hat der Spieler eine finale Prüfung zu

bestehen, welche den Höhepunkt der gesamten Spielgeschichte und Charakterentwicklung des

Helden darstellt. Im Anschluss daran wird der Held mit einer besonderen Sache belohnt,

welche in Relation zur Schwierigkeit des finalen Kampfes steht. Mit diesem Gegenstand

ausgerüstet, kehrt er nun in die normale Welt zurück, meistens dabei als ein Heilsbringer,

welcher durch seine Taten das Böse vernichtete und seinen Mitmenschen den Frieden wieder

bringt.

Hierin findet sich also eine Art finale Verknappung der Thesen von Campbell bzw. Vogler /

Voytilla als auch Van Genneps. Dieses Schema soll nun im folgenden an zwei ausgewählte

Beispiele angelegt werden.

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3. Diablo 2 und Gothic 2 – Der Monomythos im Spiel

3.1 Die Struktur der Spiele

Generell lässt sich bei den Spielen die schon vorher benannte gesteigerte Interaktivität des

Mediums hervorheben. Im Gegensatz zum Film, dem Hören von Märchen oder dem Lesen

von Mythen ist es somit dem Rezipienten möglich, die mythogenen Strukturen

nachzuvollziehen und damit eine Art von Ritus zu erleben. Denn:

In der Erzählung geschehen diese Prozesse [des rituellen Handelns] allein in der Phantasie. Aus real durchlebter Zeit wird ein komprimierter Vorgang, der nur in der Phantasie abläuft. In der Dichtung werden Zeit und Handlung zu seelischen Prozessen verdichtet. [...] Damit ist der Weg von der Realität in die Vorstellung, das bedeutet, vom machtvollen Handeln, das Veränderungen bewirkt, zum Mobilisieren einer inneren, unsichtbaren Kraft überschritten. 18

Davon ausgehend lässt sich eine gesteigerte immersive Wirkung der Bildschirmspiele

konstruieren, da hier der Spieler eine direkte Reaktion auf seine Handlungen innerhalb der

Diegese bekommt. Er handelt symbolisch innerhalb der Spielewelt mittels seines Avatars,

während reale und virtuelle Zeit verstreicht und vollzieht damit den Ritus:

Computerspiele haben eine mythische Dimension, d.h. sie verdichten Erfahrungen, heben sie aus der alltäglichen Welt und siedeln sie in einem zeitlosen, allgemein menschlichen Raum an. Im Mythos und im Märchen erscheinen die ewig menschlichen Themen.19

Durch dieses Ansprechen der ewig menschlichen Themen lässt sich nun eine grundlegende

Faszination der Spiele erkennen: Sie geben dem Spieler die Möglichkeit, innerhalb einer ‚ent-

ritualisierten’ und mythenleeren Zeit nochmals seine Sehnsucht nach den Riten zu stillen,

welche ihm Hilfe in schwierigen Situationen geben. Spiele treten hier die Rolle der Vermittler

von Übergangsriten an, wie sie van Gennep strukturierte und Campbell sie in seine

Betrachtungen einfließen ließ.

Daher ließe sich folgende These formulieren: je exakter und tiefgehender die rituellen

Strukturen van Genneps und Campbells innerhalb eines Mediums berücksichtig werden, desto

stärker spricht es die Nutzer an und entfaltet damit eine große Wirkung auf sie, was sich

wiederum im Markterfolg des jeweiligen Medienproduktes niederschlägt und an diesem

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!18 Angelika-Benedicta Hirsch: An den Schwellen des Lebens. Warum wir Übergangsrituale brauchen, München 2004, S. 31. 19 Wolfgang Schindler: Doomes Zeug. Fragwürdige Video- und Computerspiele. In: Johannes Fromme und Norbert Meder (Hrsg.): Bildung und Computerspiele. Zum kreativen Umgang mit elektronischen Bildschirmspielen, Opladen 2001, S. 36.

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ablesen lässt.

Die Rollenspiele wiederum nehmen innerhalb der gesamten Videospiellandschaft einen

besonderen Status ein. Denn dort fällt die Spieleerfahrung mit dem Weg des Helden

zusammen. Rollenspiele oder Role Playing Games, abgekürzt RPG,

bieten die Möglichkeit, einen oder mehrere Charaktere zu erschaffen, auszustatten und durch im Spielverlauf gesammelter Erfahrung sich entwickeln zu lassen. Im Spielverlauf gilt es, je nach Priorität der Spieleentwickler, Kämpfe zu bestreiten und Aufgaben (Quest genannt) zu lösen.20

Wie bereits angesprochen, beschreitet der monomythische Held Campbellschen Zuschnitts

einen Weg, auf welchem er sich entlang der Erfahrungen, welche er macht, weiter entwickelt

und dabei die Fähigkeiten erlangt, die finale Herausforderung zu bestehen. Dieses Sammeln

von Erfahrungen und das Erlangen von neuen Kräften bzw. deren Verbesserung ist

fundamentaler Bestandteil aller Rollenspiele. Der Spieler vollzieht daher allein schon durch

das Regelsystem und den funktionalen Aufbau den Heldenweg nach. Jeder Spielabschnitt, der

erreicht und jede Herausforderung, die gemeistert wird, geben demnach sog.

Erfahrungspunkte, welche der Spieler in sein virtuelles Alter Ego investieren kann, um damit

bestimmte Fähigkeiten auszubauen oder neue Fertigkeiten zu erlernen.

Erfahrungspunkte sind eine regeltechnische Verlegenheit, welche die Erlebnisse de Spielers

und das Lernen seines virtuellen Alter Ego in der Diegese in eine numerisch messbare

Systematik überführt. Sie binden zugleich den Spieler stärker an die Erlebnisse in der

Spielewelt, da sie dadurch nicht spurlos an ihm vorüber gehen, sondern immer Marken an

seiner virtuellen Verkörperung hinterlassen. Es findet somit eine wesentlich stärkere

Identifikation mit dem Avatar, also dem Abbild des Spielers in der fiktiven Welt dadurch

statt, dass dieser durch die Spielgewohnheiten desjenigen, der ihn lenkt, geformt wird. Man

handelt nicht mehr im ‚luftleeren’ Raum, sondern es ergeben sich Konsequenzen, welche auf

den Spieler durchschlagen und sei es nur, weil sie seine Spielweise in der der einen oder

andere Form reflektieren oder auch mitbestimmen. Der beständige Einsatz von

Fernkampfkräften und Magie etwa erzeugt einen anderen Helden als das wiederholte Suchen

des Nahkampfes mit Schwert und Schild. Zugleich kann man diese Entwicklung nicht mehr

umkehren, sondern muss den einmal eingeschlagenen Weg auch fortsetzen.

Erfahrungspunkte sind damit zugleich eine Art der Motivation, da man immer ‚stärker’ und

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!20 Internetquelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Computer-Rollenspiel, abgefragt am 19. Oktober 2008, 13:12. Gerade für Themen aus dem Bereich der Computer- und Videospiele ist die Wikipedia ein sehr geeignetes Nachschlagewerk, da hier die Medienrezipienten direkt bei der Erstellung der Artikel mitarbeiten und es zudem an anderweitigen qualifizierten Nachschlagewerken noch mangelt. Es stellt sich an dieser Stelle die Forderungen nach einer belastbaren Systematik der Bildschirm-Spiele, vergleichbar mit dem Genre-Kanons des Films.

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‚besser’ werden möchte, als auch ein Belohnungs- und Immersionssystem.

Abb. 2: Charakterbildschirm und Inventaransicht aus Diablo 2. Die vier Hauptmerkmale des

Helden, Stärke, Geschick, Vitalität und Energie werden durch das fortgesetzte Spielen gesteigert

und versetzen den Spieler in die Lage, sich immer stärkeren Herausforderungen zu stellen.

Zugleich erlauben die erspielten Erfahrungspunkte bei einem „Levelaufstieg“, also dem

Erreichen einer neuen Stufe des Avatars, das Erlernen und Ausbauen von neuen

Kampfesfähigkeiten.

3.2 Der Plot der Spiele

Die ausgesuchten Beispiele bieten sich aus zwei Gründen für eine Betrachtung an: Zum einen

stellten sie einen großen wirtschaftlichen Erfolg für die Entwickler da, was sich in der Höhe

ihrer Absatzzahlen und damit in ihrer Verbreitung nieder schlug. Zum Anderen können sie

durch ihre große Popularität als Meilensteine in der jeweiligen Entwicklungslinie gesehen

werden. Zudem unterscheiden sich beide Rollenspiele signifikant durch die ihnen zugrunde

liegende Mechanik, so dass man durch sie einen möglichst großen Bereich der RPGs

abdecken kann.

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Diablo 2 (D2) lässt sich als ein reinrassiges ‚Hack&Slay’21 charakterisieren, während Gothic

2 (G2) sehr viel mehr ‚klassisches’ Rollenspiel ist, mit dem Fokus auf eine große Anzahl an

Interaktionen und Gesprächen zwischen dem Avatar des Spielers und den virtuellen Figuren

der fiktiven Welt.

Beide Spiele bzw. Diegesen führen den Helden in eine Welt, in der das Böse eine immanente

Bedrohung darstellt bzw. der Spieler als letzte Kraft des ‚Guten’ das ‚Böse’ in welcher

Gestalt auch immer bekämpfen muss. Diese binäre Situation zwischen dem Spieler als

Verkörperung der Kräfte des Guten und einer ultimativen Bedrohung, welche meistens nur

sehr simpel strukturiert als das Böse an sich auftritt, ist fast schon paradigmatisch für das

Genre des Rollenspiels.

Von besonderem Interesse ist dabei die Zerrissenheit der Welt, wie sie durch die Handlung

dem Spieler nahe gebracht wird. Die gesamte Spielsituation dreht sich um die

Wiederherstellung der Ordnung und der Einheit. Demnach ist die gesamte Spieleerfahrung

innerhalb des Übergangsrituals von van Gennep in der Initiations- bzw. Liminalphase22

einzuordnen. D.h. der Spieler unternimmt durch sein Alter Ego in der virtuellen Welt alle

Schritte eines Initianten innerhalb eines typischen Ritus, wobei sowohl die Trennung von der

Welt bzw. der Ruf zum Abenteuer und die Rückkehr in die alltägliche Welt in

Bildschirmspielen oftmals teil von Zwischensequenzen sind, welche die Handlung zwar

vermitteln, aber keine Interaktion mehr zulassen.23

Der Ruf zum Abenteuer findet in D2 nur vermittelt statt. Der Spieler wird zu Beginn des

Abenteuers in einem Übergangslager der Schwesternschaft, einem Orden von Krieger-

Nonnen, welche von dem Dämon Andariel aus ihrem Kloster vertrieben wurden, begrüßt und

dafür gelobt, dass er ihnen in ihrem Elend zur Hilfe eilt. Die eigentliche Motivation bzw. das

Übermitteln des Rufs nach dem Helden wird hier nicht gezeigt, auch nicht die Trennung bzw.

der Auszug aus der natürlichen Welt. Auf eine ähnliche Weise beginnt auch G2 in medias res:

Der Spieler wurde am Ende der Vorgängerepisode unter einem großen Haufen Erzgestein

begraben, aus diesem ihn nun der Magier und Dämonenbeschwörer Xardas per Teleportmagie

birgt. Wieder zu Kräften gekommen, bekommt der Held seine Aufgabe übertragen, nämlich

in der Welt von G2 die Kräfte des bösen Gottes Beliar zu bekämpfen und dessen Agenten,

Drachen, in die Hölle zurück zu schicken. Hier begegnet der Spieler auch sogleich dem

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!21! Vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Action-Rollenspiel.

22! Liminal- bzw. Schwellenphase nach dem lateinischen Wort für Schwelle, limen. Angelika-

Benedicta Hirsch prägte diesen Ausdruck in ihrem Eröffnungsvortrag in der Katholischen Akademie Berlin am 17.9.1999 aus Anlaß der Akademietagung: „Denkanstoß Jugendweihe - Kirchliche Rituale für Nichtchristen?“. 23! Vgl.: Van Gennep: Übergangsriten, Paris 1999.

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helfenden und wissenden Mentor: Während Xardas in G2 von Anfang an den Helden

unterstützt bzw. ihn mit okkultem Wissen versorgt, muss der Gelehrte Deckard Cain in D2

erst vom Spieler befreit werden. Damit ist er dort ein Stück weiter auf dem Zyklus des

Monomythos angesiedelt, da der Spieler hier schon erste Abenteuer und Kämpfe bestehen

muss. Allerdings sind von der Konzeption her beide Figuren durchaus äquivalent zu sehen

und wirken wie Ausprägungen ein- und desselben Archetyps: Xardas und Cain werden als

alte, weise Männer mit okkultem, geheimem und verloren gegangenem Wissen dargestellt,

welche dem Helden immer wieder an zentralen Stellen im Spiel helfen und an

Schlüsselpositionen eingreifen. Zugleich scheinen sie über mehr Wissen über die Vorgänge in

der Diegese zu verfügen, als sie preisgeben und zugleich wesentlich mehr Macht zu besitzen,

als sie zeigen. Außerdem sind sie jeweils ‚die letzten ihrer Art’, sie sind die letzten

verbliebenen und überlebenden Mitglieder von Geheimgesellschaften, die einst sehr mächtig

waren, aber inzwischen untergegangen und lange vergessen sind24.

Abb. 4: Deckard Cain aus Diablo 2. Abb. 5: Der Magier Xardas aus Gothic 2.

Die Überwindung der Schwelle hinein in das wunderbare und fabelreiche Land der Abenteuer

ist bei beiden Spielen auch eine geographische Grenzüberschreitung: Während man in D2

immer in allen vier Kapiteln eine sichere Stadt oder ein Lager hat, das noch Reste der

‚normalen’ Welt bietet, ist es in G2 der Turm bzw. die Festung Xardas, von welcher aus man

aufbricht, Abenteuer und Kämpfe zu bestehen. Es gibt zwar weitere befriedete Gebiete, aber

diese überhaupt betreten zu können, ist selbst wieder Teil von Quests, so dass sie schon als

Teil der wunderbaren Welt nach Campbell anzusehen sind.

Der längste – und in beiden Spielen – bedeutsamste Abschnitt ist nun der Weg der Prüfungen.

Die meiste Spielzeit bringt man in beiden Welten damit zu, Aufgaben zu lösen und Kämpfe

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!24 Man könnte hier fast von einem Mem sprechen, dass spätestens seit Tolkiens Figur Gandalf der Graue in das kollektive populärkulturelle Bewusstsein eingegangen ist. Diese archetypische Ausgestaltung, wie sie in der Arbeit angerissen wurde, findet sich in einer erstaunlich großen Anzahl an Videospielen wieder, welche in einem pseudo-mittelalterlichen Szenario angesiedelt sind.

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zu bestehen, wodurch man neue Freunde aber auch Feinde gewinnt. Motiviert wird man als

Spieler dabei durch die Belohnungen, die man für diese Quests erhält. Dabei verdient man

sich nicht nur bessere Ausrüstungsgegenstände zur Interaktion mit der Spielewelt, wie etwa

Waffen, Rüstungen und magische Hilfsmittel, sondern auch Erfahrungspunkte. Diese lassen

sich wiederum in den Ausbau des eigenen Selbst in der virtuellen Welt investieren, um somit

den Charakter an die eigene Spieleweise anzupassen. Dabei lassen sich etwa Grundwerte wie

Ausdauer, Stärke, Lebenskraft oder Geschick verbessern, aber auch sekundäre und

spezifische Fähigkeiten, wie etwa der Umgang mit Zweihandwaffen zugunsten von

Einhandwaffen oder das Beschwören von Feuerbällen.

Die Heldenreise ist damit – wie bereits weiter oben beschrieben - sowohl physisch im Sinne

des zurück gelegten Weges als auch psychisch im Sinne der Anpassung und Verbesserung des

eigenen Avatars und der somit immer stärker stattfindenden Identifikation mit diesem zu

sehen.

Die Annäherung an den finalen Konflikt geht in beiden Spielen dabei auch mit der

Verbesserung des eigenen Charakters einher. In D2 muss der Held im Auftrag des Erzengels

Raziel mehrere Seelensteine vernichten bevor er sich der finalen Konfrontation in Form von

Diablo, dem Herren der Höllen stellen kann. In diesen Vorkämpfen sieht sich der Held

einerVielzahl an besonders starken Gegnern ausgesetzt, was sich wiederum in einer großen

Anzahl an Erfahrungspunkten niederschlägt und dazu führt, dass man schnell relativ weit

innerhalb der möglichen Kampfdisziplinen aufsteigt. Zugleich ist auf der Ebene der

Geschichte das Zerstören der Seelensteine und das Ausräumen der Höllenschmiede als

Vorkampf angelegt, welcher sicherstellen soll, dass nach dem Schlusskonflikt mit Diablo

dieser nicht wieder auferstehen kann. Ähnliches lässt sich auch in G2 finden. Vor dem finalen

Konflikt mit einem untoten Drachen, dem Emissär des dunklen Gottes Beliar, muss der Held

erst ein mystisches Amulett zusammensetzen, welches im erlaubt, mit den weltlichen Drachen

zu kommunizieren und dabei den Aufenthalt des untoten Skelettdrachens zu erfahren.

Zugleich erhält er durch dieses Amulett eine starke Waffe im Kampf gegen die

Schuppenwesen, welches ihm im finalen Kampf dann auch einen entscheidenden Vorteil

verschafft.

Der Höhepunkt der Story bzw. die finale Auseinandersetzung mit einem ‚Endgegner’ ist bei

beiden Spielen auch in ähnlicher Weise angelegt: Beide Gegner sind Personifikationen des

absolut Bösen, in Kraft und Vermögen dem Helden fast gleichgestellt und eine wahrhaft

schwere Herausforderung. Sowohl Diablo, der Herr des Schreckens als auch der untote

Skelettdrache sind innerhalb der Diegese einzigartig und stellen aller bishe dem Helden bzw.

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Spieler entgegen getretenen Opponenten in den Schatten, sowohl was die Ausdauer im

Überstehen von Schaden, welchen der Held verursacht, als auch im Austeilen von Treffern

gegen den Spieler angeht.

Abb. 6: Diablo, der Herr des Schreckens. Abb. 7: Der untote Skelettdrache.

Mit der Überwindung dieser finalen Gegner haben die Spiele dann auch ihre Höhepunkte

sowohl in spieletechnischer als auch erzählerischer Perspektive überschritten. Beide Spiele

deuten zwar im Abspann die Rückkehr des Helden in die alltägliche Welt an, zeigen dieses

aber nicht. Somit vollendet sich der Campbellsche Zyklus nicht vollständig, sondern wird nur

soweit umgesetzt, wie er für den Plot von Relevanz ist. Denn das herausfordernde Element

des Spiels, welches die Beschäftigung mit dem Game mit motiviert, ist durch den finalen

Endkampf abgeschlossen. Anders ausgedrückt: die Wiederkehr in den Alltag stellt kein

besonderes Ereignis mehr da, welches den Spieler packt oder dazu bewegen würde, weitere

Zeit innerhalb der Diegese zu verbringen. Daher auch die Verbannung der Andeutungen über

die Wiederkehr in den nicht-interaktiven Abspann.

4. Fazit und abschließende Betrachtungen

Wie im voran gegangenen Kapitel deutlich wurde, lassen sich eine Vielzahl der

monomythischen Elemente in populären Computerrollenspielen finden. Dieses liegt natürlich

auch in der spezifischen Struktur der Spiele begründet, die schon von Natur aus eine

Entwicklung des Helden durch Steigerung und Erlangung spezifischer Attribute und

Fähigkeiten als zentralen Teil der Spielmechanik beinhaltet.

Der Monomythos Campbellschen Zuschnitts und in Berücksichtigung der Schriften Voglers

scheint demnach ein machtvolles Werkzeug darzustellen, um mediale Produkte zu erzeugen,

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welche einen möglichst großen Kreis an Rezipienten ansprechen sollen. Inwiefern es sich

dabei zugleich auch um eine rituelle Erfahrung handelt, die vor allem Mediennutzer anspricht,

welche sich gerade in einer Schwellensituation innerhalb ihres soziokulturellen Alltags

befinden, müsste ein exaktere empirische Analyse zeigen.

Verallgemeinernd lässt sich aber sagen, dass die Benutzung dieser spezifischen Elemente

scheinbar eine Erhöhung der immersiven Wirkung des jeweiligen medialen Produktes zur

Folge hat – wobei natürlich gerade bei den Spielen die Regelmechanik und das Spielsystem

als Quelle der Faszination niemals ausgeschlossen werden dürfen. Handwerkliche Mängel

fallen hier noch wesentlich gravierender auf als etwa in Filmen und Romanen.

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5. Bibliographie

5.1 Sekundärliteratur:

Campbell, Joseph: Der Heros in tausend Gestalten, Frankfurt am Main 1978

Van Gennep, Arnold: Übergangsriten. Les rites de passage, Paris 1999

Hirsch, Angelika-Benedicta: An den Schwellen des Lebens. Warum wir Übergangsrituale

brauchen, München 2004

Schindler, Wolfgang: Doomes Zeug. Fragwürdige Video- und Computerspiele. In: Johannes

Fromme und Norbert Meder (Hrsg.): Bildung und Computerspiele. Zum kreativen

Umgang mit elektronischen Bildschirmspielen, Opladen 2001, S. 29 -42

Vischer, Ute Heidmann: Lemma Mythos. In: Reallexikon der Literaturwissenschaften, hg.

von Harald Fricke, Berlin / New York 2000, Band 2: H - O, S. 664

Vogler, Christopher: Die Odyssee des Drehbuchschreibers: Über die mythologischen

Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos, Frankfurt am Main 2004

Ders.: Foreword. In: Stuart Voytilla: Myth and the Movies, Studio City 1999, S. vii – xi

Voytilla, Stuart: Myth and the Movies, Studio City 1999

Von Wilpert, Gero: Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 2001

Wiemken, Jens: Hardliner – Zeit für Helden? In: Johannes Fromme und Norbert Meder

(Hrsg.): Bildung und Computerspiele. Zum kreativen Umgang mit elektronischen

Bildschirmspielen, Opladen 2001, S. 57-98

Wyss, Ulrich: Lemma Mythos. In: Literaturwissenschaftliches Lexikon. Grundbegriffe der

Germanistik, hg. von Horst Brunner und Rainer Moritz, Berlin 2006, S. 288/289

5. 2 Internetquellen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Computer-Rollenspiel, abgefragt 19. Oktober 2008, 13:12

http://de.wikipedia.org/wiki/Action-Rollenspiel, abgefragt 25. November 2008, 13:45

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6. Versicherung über die Anfertigung der Hausarbeit

„Ich versichere, die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und alle von mir benutzten

Hilfsmittel und Quellen angegeben zu haben. Ich bin mir bewusst, dass ein nachgewiesener

Täuschungsversuch rechtliche Konsequenzen haben kann.“

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25.11.2008 Sebastian Felzmann